Portrait von Ellen White
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Der verlorene Groschen
Der verlorene Groschen
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Nachdem Christus das Gleichnis vom verlorenen Schaf gegeben hatte, gab er noch ein anderes. Er sagte: „Welch Weib ist, die zehn Groschen hat, so sie der einen verliert, die nicht ein Licht anzünde, und kehre das Haus, und suche mit Fleiß, bis dass sie ihn finde?“ CGl.190.1 Teilen

Im Orient hatten die Häuser der Armen gewöhnlich nur ein Zimmer und dieses war oft ohne Fenster und daher dunkel. Das Zimmer wurde nur selten gekehrt, und ein auf den Boden fallendes Geldstück wurde leicht durch den Staub und Unrat verdeckt. Um es zu finden, musste selbst zur Tageszeit ein Licht angezündet und das Haus gründlich gekehrt werden. CGl.190.2 Teilen

Das Heiratsgut der Frau bestand gewöhnlich aus Geldstücken, die sie sorgfältig als ihren größten Schatz bewahrte, um ihn ihren Töchtern zu vererben. Der Verlust eines dieser Geldstücke wurde als ein ernstliches Unglück betrachtet, und das Wiederfinden desselben war die Ursache großer Freude, an welcher die Nachbarsfrauen sich gern beteiligten. CGl.190.3 Teilen

„Und wenn sie ihn gefunden hat,“ sagte Christus, „rufet sie ihren Freundinnen und Nachbarinnen, und spricht: Freuet euch mit mir, denn ich habe meinen Groschen gefunden, den ich verloren hatte. Also auch, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.“ CGl.190.4 Teilen

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Dieses Gleichnis gleich dem vorhergehenden, beschreibt den Verlust von etwas, das durch fleißiges Suchen wieder erlangt werden kann und dann große Freude verursacht. Aber die zwei Gleichnisse stellen zwei verschiedene Klassen dar. Das verlorene Schaf weiß, dass es verloren ist. Es hat die Herde verlassen und kann sich nicht selber retten. Es stellt diejenigen dar, welche erkennen, dass sie von Gott getrennt und von Schwierigkeiten, Demütigungen und schweren Versuchungen umgeben sind. Der verlorene Groschen dagegen stellt solche dar, die in Missetaten und Sünden tot und sich ihres Zustandes nicht bewußt sind. Sie sind von Gott entfremdet, aber sie wissen es nicht. Ihre Seelen sind in Gefahr, aber sie sind sich dessen nicht bewußt und daher ganz unbekümmert. In diesem Gleichnis lehrt Christus, dass Gott selbst solche, die sich gleichgültig gegen seine Ansprüche verhalten, bemitleidet und liebt. Man sollte sie aufsuchen, damit sie zu Gott zurückgebracht werden könnten. CGl.191.1 Teilen

Das Schaf lief von der Hürde fort, es verirrte sich in der Wüste oder auf den Bergen. Der Groschen ging im Hause verloren. Er war ganz in der Nähe, konnte aber dennoch nur durch fleißiges Suchen gefunden werden. CGl.191.2 Teilen

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In dem Gleichnis liegt eine Lehre für Familien. Oft herrscht in einem Haushalt große Gleichgültigkeit mit Bezug auf das Seelenheil der verschiedenen Familienglieder. Es mag unter ihrer Zahl eins sein, das Gott entfremdet ist, und doch wie wenig Besorgnis wird in der Familie gehegt, damit nicht eins der ihr von Gott Anvertrauten verloren gehe. CGl.192.1 Teilen

Der Groschen, selbst wenn er unter Staub und Unrat liegt, ist immer noch ein Stück Silber. Sein Eigentümer sucht ihn seines Wertes wegen. So ist auch eine jede Seele, gleichviel wie entartet sie durch die Sünde auch sein mag, in den Augen Gottes köstlich erachtet. Wie der Groschen das Bild und die Inschrift der regierenden Macht trägt, so trug der Mensch, als er geschaffen wurde, das Bild und die Inschrift Gottes; und obgleich die Seele jetzt durch den Einfluß der Sünde entstellt und unkenntlich geworden ist, sind dennoch die Spuren dieser Inschrift bei jeder einzelnen vorhanden. Gott wünscht diese Seele zu erretten und ihr sein eigenes Ebenbild in Gerechtigkeit und Heiligkeit neu aufzuprägen. CGl.192.2 Teilen

Das Weib im Gleichnis sucht fleißig nach dem verlorenen Groschen. Sie zündet das Licht an und kehrt das Haus. Sie entfernt alles, was ihr beim Suchen hinderlich ist. Obgleich nur ein Groschen verloren ist, will sie doch ihre Anstrengungen nicht aufgeben, bis sie denselben gefunden hat. So sollen auch in der Familie, wenn ein Glied sich von Gott abgewandt hat, alle nur möglichen Mittel angewandt werden, um es wieder zurückzubringen. Alle anderen sollten eine ernste, sorgfältige Selbstprüfung vornehmen, ihre Lebensgewohnheiten untersuchen, und forschen, ob nicht irgend ein Fehler, ein Irrtum in denselben begangen ist, wodurch jene Seele in ihrer Unbußfertigkeit gestärkt wurde. CGl.192.3 Teilen

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Wenn in der Familie ein Kind ist, welches sich seines sündigen Zustandes nicht bewußt ist, so sollten die Eltern nicht ruhen. Zündet das Licht an! Durchforscht das Wort Gottes und laßt im Lichte desselbigen alles, was im Hause ist, aufs fleißigste durchsucht werden, um zu sehen, warum dies Kind verloren geht. Eltern sollten ihre eigenen Herzen erforschen und ihre Gewohnheiten und Gebräuche einer genauen Prüfung unterziehen. Kinder sind das Erbteil des Herrn, und wir müssen ihm Rechenschaft darüber ablegen, wie wir sein Eigentum verwalten. CGl.193.1 Teilen

Es gibt Väter und Mütter, die darnach verlangen, in irgend einem auswärtigen Missionsfelde zu wirken; es gibt viele die außerhalb der Familie in christlichen Werken tätig sind, während ihre eigenen Kinder den Heiland und seine Liebe nicht kennen. Viele Eltern überlassen es dem Prediger oder Sabbatschullehrer, ihre Kinder für Christum zu gewinnen; aber indem sie das tun, vernachlässigen sie das ihnen von Gott auferlegte Amt. Die Erziehung und Heranbildung der Kinder zu Christen ist der höchste Dienst, den Eltern Gott leisten können. Es ist eine Aufgabe, welche geduldiges Wirken und lebenslängliches, fleißiges und andauerndes Streben erfordert. Durch Vernachlässigung dieser uns anvertrauten Aufgabe erweisen wir uns als ungetreue Haushalter, und Gott wird keine Entschuldigung für solche Vernachlässigung annehmen. CGl.193.2 Teilen

Doch brauchen die, welche sich eine Vernachlässigung dieser Art haben zu schulden kommen lassen, nicht zu verzweifeln. Das Weib, dessen Groschen verloren war, suchte bis es ihn fand. So sollen auch die Eltern in Liebe, Glauben und Gebet für ihre Familien wirken, bis sie mit Freuden vor Gott kommen und sagen können: „Siehe, hier bin ich und die Kinder, die mir der Herr gegeben hat.“ Jesaja 8,18. CGl.193.3 Teilen

Dies ist wahre Missionsarbeit im Familienkreise, und sie nützt denen, die sie tun, gerade soviel, als denen, für die sie geschieht. Durch treues Wirken im Familienkreise werden wir geschickt, für die Glieder der Familie Gottes zu wirken, mit denen wir, wenn wir Christo treu bleiben, die ganze Ewigkeit hindurch zusammen leben werden. Wir sollen für unsere Brüder und Schwestern in Christo dieselbe Teilnahme zeigen, wie wir als Glieder einer Familie für einander haben. CGl.193.4 Teilen

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Es ist der Plan Gottes, dass dies alles uns geschickt machen soll, für andere zu wirken. Indem unser Mitgefühl für andere wächst und unsere Liebe zunimmt, werden wir überall ein Werk zu tun finden. Gottes große menschliche Familie umfaßt die ganze Welt und keins ihrer Glieder soll vernachlässigt oder übergangen werden. CGl.194.1 Teilen

Wo wir auch sein mögen, überall wartet der verlorene Groschen unseres Suchens. Suchen wir nach ihm? Tag für Tag treffen wir mit Menschen zusammen, die keinen Anteil an religiösen Dingen nehmen; wir sprechen mit ihnen, wir besuchen sie, zeigen wir aber ein Interesse an ihrem geistlichen Wohlergehen? Führen wir ihnen Christum als einen sündenvergebenden Heiland vor Augen? Erzählen wir ihnen von der Liebe Christi, indem unsere eigenen Herzen von dieser Liebe brennen? Wenn wir das nicht tun, wie sollen wir dann diesen Seelen — verloren, auf ewig verloren — entgegentreten, wenn wir mit ihnen vor dem Throne Gottes stehen? CGl.194.2 Teilen

Wer kann den Wert einer Seele schätzen? Wenn du den Wert derselben erkennen willst, dann gehe nach Gethsemane und wache dort mit Christo in jenen Stunden des bitteren Seelenkampfes, da sein Schweiß wie große Blutstropfen floß. Blicke auf den am Kreuze erhöhten Heiland. Höre den Ruf der Verzweiflung: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Markus 15,34. Blicke auf das verwundete Haupt, die durchstochene Seite, die durchbohrten Füße. Bedenke, dass Christus alles daran setzte! Um unserer Erlösung willen wurde selbst der Himmel gefährdet. Wenn du am Fuße des Kreuzes bedenkst, dass Christus für nur einen Sünder sein Leben dahingegeben haben würde, dann kannst du den Wert einer Seele schätzen. CGl.194.3 Teilen

Wenn du mit Christo in Verbindung stehst, wirst du ein jedes menschliche Wesen so schätzen, wie er es schätzt. Du wirst dieselbe tiefe Liebe für andere empfinden, die Christus für dich fühlte. Dann wirst du imstande sein, Seelen, für die er starb, zu gewinnen und nicht zu vertreiben, sie anzuziehen und nicht abzustoßen. Niemand wäre jemals zu Gott zurückgebracht worden, wenn Christus sich nicht persönlich um ihn bemührt hätte, und es ist wiederum durch persönliche Arbeit, dass wir Seelen retten können. Wenn du Menschen siehst, die dem Tode entgegengehen, wirst du nicht in Ruhe und Gleichgültigkeit müßig zusehen. Je größer ihre Sünde und je tiefer ihr Elend, desto ernster und liebevoller werden deine Bemühungen zu ihrer Rettung sein. Du wirst die Bedürfnisse derer, die da leiden, die gegen Gott gesündigt haben und von dem Gewicht ihrer Sündenschuld niedergedrückt sind, erkennen. Du wirst herzliches Mitleid mit ihnen haben und wirst ihnen eine hilfreiche Hand entgegenstrecken. In den Armen deines Glaubens und deiner Liebe wirst du sie zu Christo bringen; dann wirst du über sie wachen und sie ermutigen und dein Mitgefühl und Vertrauen werden sie stärken, dass sie nicht wieder zurückfallen. CGl.194.4 Teilen

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Alle Engel im Himmel stehen bereit, in dieser Arbeit mitzuwirken. Alle Hilfsquellen des Himmels stehen denen zu Gebote, welche die Verlorenen zu retten versuchen. Engel werden uns helfen, die Gleichgültigsten und Verhärtetsten zu erreichen und wenn eine Seele zu Gott zurückgebracht wird, dann freut sich der ganze Himmel. Seraphim und Cherubim greifen in ihre goldenen Harfen und bringen Gott und dem Lamme Loblieder dar für ihre, den Menschenkindern erwiesene Liebe und Gnade. CGl.195.1 Teilen

[Auf der Grundlage von Lukas 15,11-32.] CGl.195 Teilen

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Die Gleichnisse vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Groschen und vom verlorenen Sohn führen uns in deutlichen Zügen Gottes Mitleid und Liebe für diejenigen, die sich von ihm abgewandt haben, vor Augen. Obgleich sie ihn verlassen haben, verläßt er sie doch nicht in ihrem Elend. Er ist voll Liebe und zarten Mitleids für alle, die den Versuchungen des listigen Feindes ausgesetzt sind. CGl.196.1 Teilen

Im Gleichnis vom verlorenen Sohn wird uns des Herrn Verfahrungsweise mit solchen dargestellt, die einmal des Vaters Liebe erkannt, aber dem Versucher gestattet haben, sie nach seinem Willen gefangen zu führen. CGl.196.2 Teilen

„Ein Mensch hatte zwei Söhne. Und der jüngste unter ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Teil der Güter, das mir gehört. Und er teilte ihnen das Gut. Und nicht lange darnach sammelte der jüngste Sohn alles zusammen, und zog ferne über Land.“ CGl.196.3 Teilen

Der jüngere Sohn war der ihm im Vaterhause auferlegten Schranken überdrüssig geworden. Er glaubte, dass seine Freiheit beschränkt werde. Seines Vaters Liebe und Fürsorge wurden von ihm falsch gedeutet, und er beschloß, seinen eigenen Neigungen zu folgen. CGl.196.4 Teilen

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Dieser Jüngling fühlt keinerlei Verpflichtung seinem Vater gegenüber und zeigt ihm keine Dankbarkeit. Dennoch beansprucht er das Vorrecht eines Kindes, einen Teil des Besitztums seines Vaters. Er wünscht das ihm beim Todes seines Vaters zufallende Erbe jetzt zu erhalten. Er denkt nur an gegenwärtigen Genuß und bekümmert sich nicht um die Zukunft. CGl.197.1 Teilen

Nachdem er seinen Anteil bekommen hat, verläßt er seines Vaters Haus und zieht „ferne über Land“. Da er Geld die Fülle hat und tun kann, was ihm gefällt, so schmeichelt er sich mit dem Gedanken, dass sein Herzenswunsch jetzt erfüllt ist. Es gibt niemand, der sagt: Tue dies nicht, denn es wird dir schaden; oder: Tue das, weil es recht ist. Verderbte Kameraden helfen ihm, immer tiefer in Sünde zu geraten und er bringt „sein Gut um mit Prassen“. CGl.197.2 Teilen

Die Bibel sagt von gewissen Menschen: „Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden“ (Römer 1,22), und dies ist auch die Erfahrung des jungen Mannes im Gleichnis. Den Reichtum, den er in selbstsüchtiger Weise von seinem Vater beansprucht hatte, verschwendete er mit Huren. Der Schatz seiner Manneskraft wird vergeudet. Die köstlichen Jahre des Lebens, die Verstandeskräfte, die glänzenden Erwartungen der Jugend, das geistige Emporstreben — alles wird vom Feuer der Lust verzehrt. CGl.197.3 Teilen

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Es kommt eine große Teurung über das Land; er fängt an zu darben und hängt sich an einen Bürger des Landes, der ihn auf seinen Acker schickt, die Säue zu hüten. Für einen Juden war dies die gemeinste und erniedrigendste Beschäftigung. Der Jüngling, der sich seiner Freiheit gerühmt hatte, sieht sich jetzt als Sklave. Er ist in der allerschlimmsten Sklaverei — „er wird mit dem Strick seiner Sünde gehalten.“ Sprüche 5,22. Der Flitter, der Tand, der ihn verlockte, ist verschwunden; er fühlt die Last seiner Kette. In jenem öden, von Hungersnot heimgesuchten Lande sitzt er auf dem kahlen Erdboden, nur die Schweine sind seine Gesellschafter, und in seinem Hunger begehrt er sich zu sättigen an den Trebern, womit die Schweine gefüttert wurden. Von all den lustigen Kameraden und Freunden, die sich in den Tagen seines Wohlstandes um ihn scharten und auf seine Kosten schwelgten, ist auch nicht ein einziger da, der ihn unterstützen möchte. Wo ist jetzt die beim Prassen empfundene Freude? Indem er sein Gewissen beschwichtigte und sein Gefühl betäubte, hielt er sich für glücklich; aber jetzt, ohne Vermögen, mit ungestilltem Hunger, mit gedemütigtem Stolze und sittlich heruntergekommen, ist sein Wille geschwächt und unzuverlässig und seine feineren und edleren Gefühle scheinen abgestorben; er ist der elendeste aller Sterblichen. CGl.198.1 Teilen

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Welch ein Bild wird hier von dem Zustande des Sünders entworfen! Umgeben von den Segnungen der göttlichen Liebe wünscht der auf Befriedigung des eigenen Ich und unrechte Vergnügungen bedachte Sünder nichts so sehr, als von Gott getrennt zu sein. Gleich dem undankbaren Sohn beansprucht er die guten Dinge Gottes als ihm rechtmäßigerweise zukommend. Er nimmt sie als eine ganz selbstverständliche Sache an, spricht keinen Dank dafür aus und leistet keinen Liebesdienst dafür. Wie Kain vom Angesicht des Herrn ausging, um ein Heim zu suchen, wie der verlorene Sohn „ferne über Land“ zog, so suchen Sünder ihr Glück im Vergessen Gottes. Römer 1,28. CGl.199.1 Teilen

Gleichviel was auch der Anschein sein mag, so ist doch ein jedes Leben, dessen Mittelpunkt das eigene Ich ist, ein vergeudetes. Wer es versucht, getrennt von Gott zu leben, verpraßt sein Gut. Er verschwendet die köstlichen Jahre, vergeudet die Kräfte des Verstandes, des Herzens und der Seele, und richtet sich für immer zugrunde. Ein Mensch, der sich von Gott trennt, um sich selbst zu dienen, wird zum Sklaven des Mammons. Die Seele, die Gott für die Gesellschaft von Engeln schuf, wird zu irdischem, tierischem Dienst herabgewürdigt. Das ist das Ende von dem Dienen des eigenen Ich. CGl.199.2 Teilen

Wenn du ein solches Leben gewählt hast, so weißt du, dass du Geld darzählst für etwas, das nicht Brot ist, und Arbeit tust, von der du nicht satt werden kannst. Es kommen für dich Stunden, in denen du deine Entwürdigung erkennst. Allein, im fernen Lande, fühlst du dein Elend und rufst in Verzweiflung aus: „Ich elender Mensch! wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ Römer 7,24. In den Worten des Propheten wird eine allgemeine Wahrheit ausgesprochen: „Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verläßt, und hält Fleisch für seinen Arm, und mit seinem Herzen vom Herrn weicht. Der wird sein wie die Heide in der Wüste, und wird nicht sehen den zukünftigen Trost, sondern wird bleiben in der Dürre, in der Wüste, in einem unfruchtbaren Lande, da niemand wohnet.“ Jeremia 17,5.6. Gott „läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Matthäus 5,45), aber es steht in der Menschen Macht, sich von Sonnenschein und Regen abzuschließen. So können auch wir, während die Sonne der Gerechtigkeit leuchtet und Ströme der Gnade reichlich frei für uns alle fließen, „sein wie die Heide in der Wüste“, wenn wir uns von Gott trennen. CGl.199.3 Teilen

200

Die Liebe Gottes sehnt sich immer noch nach dem, der sich von ihm getrennt hat, und läßt nichts unversucht, um ihn zum Vaterhause zurückzubringen. Der verlorene Sohn in seinem Elend schlug in sich. Die betörende Macht, die Satan über ihn ausgeübt hatte, war gebrochen. Er sah, dass sein Leiden die Folge seiner Torheit war und sprach: „Wieviel Taglöhner hat mein Vater, die Brot die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen.“ So elend der verlorene Sohn auch war, fand er doch Hoffnung in der Überzeugung, dass sein Vater ihn liebe. Diese Liebe zog ihn heimwärts. So ist es auch die Versicherung der Liebe Gottes, die den Sünder bewegt, zu Gott zurückzukehren. „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ Römer 2,4. Eine goldene Kette, die Gnade und das Mitleid göttlicher Liebe wird um eine jede gefährdete Seele gelegt. Der Herr sagt: „Ich habe dich je und je geliebet, darum hab ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“ Jeremia 31,3. CGl.200.1 Teilen

Der Sohn entschließt sich, seine Schuld zu bekennen. Er will zu seinem Vater gehen und ihm sagen: „Ich sündigte gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen.“ (Parallelbibel). Eine wie sehr beschränkte Auffassung er aber noch von der Liebe seines Vaters hatte, zeigt sich, wenn er hinzufügt: „Mache mich als einen deiner Taglöhner.“ CGl.200.2 Teilen

Der junge Mann wendet den Schweineherden und den Trebern den Rücken und richtet sein Angesicht heimwärts. Zitternd vor Schwäche und matt vor Hunger dringt er mühsam voran. Er kann seine Lumpen nicht verbergen, aber sein Elend hat seinen Stolz besiegt und er eilt weiter, um die Stellung eines Knechts zu erbitten, da, wo er einstmals ein Kind war. CGl.200.3 Teilen

201

Als der frohe, unbekümmerte Jüngling sein Vaterhaus verließ, hatte er kein Verständnis von dem Schmerz und dem Sehnen, die in des Vaters Brust zurückblieben. Als er mit seinen wilden Genossen tanzte und praßte, dachte er nicht an den Schatten, der auf sein Vaterhaus gefallen war. Und jetzt, da er mit müden und schweren Schritten den Heimweg verfolgt, weiß er nicht, dass einer auf seine Rückkehr wartet. Aber „da er noch ferne“ ist, erkennt der Vater seine Gestalt. Die Liebe hat ein gutes Auge. Selbst die durch jahrelanges Sündenleben verursachte Entartung kann den Sohn dem Vaterauge nicht verbergen. „Es jammerte ihn, lief und fiel ihm um seinen Hals“ und hielt ihn lange und zärtlich umarmt. CGl.201.1 Teilen

Der Vater will nicht, dass über seines Sohnes Elend und Lumpen gespottet werde. Er nimmt den weiten, kostbaren Mantel von seinen eigenen Schultern und hüllt des Sohnes abgezehrte Gestalt damit ein; der Jüngling aber schluchzt sein reumütiges Bekenntnis und sagt: „Vater, ich sündigte gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen.“ Der Vater hält ihn nahe an seiner Seite und bringt ihn heim. Es wird ihm gar keine Gelegenheit gegeben, um die Stellung eines Taglöhners zu bitten. Er ist der Sohn, der mit dem Besten, was das Vaterhaus zu bieten vermag, geehrt werden, dem von den aufwartenden Männern und Frauen Achtung gezollt, dem gedient werden soll. CGl.201.2 Teilen

202

Der Vater sagte zu seinen Knechten: „Bringet das beste Kleid hervor und tut ihn an, und gebet ihm einen Fingerreif an seine Hand und Schuhe an seine Füße; und bringet ein gemästet Kalb her und schlachtet’s; lasset uns essen und fröhlich sein; denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig worden; er war verloren und ist gefunden worden. Und fingen an, fröhlich zu sein.“ CGl.202.1 Teilen

In seinen ruhelosen Jugendjahren hielt der verlorene Sohn seinen Vater für streng und hart. Wie so ganz anders ist aber jetzt seine Ansicht über ihn! So halten auch die von Satan Betörten Gott für hart und strenge. Sie betrachten ihn als einen, der sie beobachtet, um sie zu rügen und zu verdammen, der nicht willig ist, den Sünder anzunehmen, solange er noch irgend eine Entschuldigung finden kann, um ihm nicht zu helfen. Sein Gesetz betrachten sie als eine Beschränkung der Glückseligkeit der Menschen, ein drückendes Joch, dem sie gern entfliehen möchten. Ein Mensch aber, dessen Augen durch die Liebe Christi geöffnet sind, erkennt Gott als den, der voll Erbarmen ist. Ihm erscheint er nicht als ein tyrannisches und hartherziges Wesen, sondern als ein Vater, den darnach verlangt, seinen reumütigen Sohn zu umarmen. Der Sünder wird mit dem Psalmisten ausrufen: „Wie sich ein Vater über Kinder erbarmet, so erbarmet sich der Herr über die, so ihn fürchten.“ Psalm 103,13. CGl.202.2 Teilen

Im Gleichnis wird dem verlorenen Sohn sein schlechter Lebenswandel nicht vorgeworfen. Der Sohn fühlt, dass das Vergangene vergeben und vergessen und auf ewig ausgelöscht ist. So sagt auch Gott zu dem Sünder: „Ich vertilge deine Missetaten wie eine Wolke, und deine Sünden wie den Nebel.“ Jesaja 44,22. „Ich will ihnen ihre Missetat vergeben, und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“ Jeremia 31,34. „Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter seine Gedanken, und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich sein erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.“ „Zur selbigen Zeit und in denselbigen Tagen wird man die Missetat Israels suchen, spricht der Herr, aber es wird keine da sein, und die Sünden Judas, aber es wird keine gefunden werden.“ Jesaja 55,7; Jeremia 50,20. CGl.202.3 Teilen

203

Welch eine Versicherung von der Willigkeit Gottes, den bußfertigen Sünder anzunehmen! Hast du, lieber Leser, deinen eigenen Weg gewählt? Hast du dich entfernt von Gott? Hast du versucht, dich an den Früchten der Übertretung zu ergötzen und hast gefunden, dass sie auf deinen Lippen zu Asche wurden? Und jetzt, da dein Gut verpraßt ist, deine Lebenspläne vereitelt, und deine Hoffnungen geschwunden sind, sitzest du einsam und verlassen da? Jetzt hörst du jene Stimme, die so lange zu deinem Herzen gesprochen hat, der du aber kein Gehör schenken wolltest, klar und deutlich sagen: „Darum macht euch auf! Ihr müsset davon, ihr sollt hier nicht bleiben; um ihrer Unreinigkeit willen müssen sie unsanft zerstört werden.“ Micha 2,10. Kehre zu deines Vaters Haus zurück. Er ladet dich ein und sagt: „Kehre dich zu mir, denn ich erlöse dich.“ Jesaja 44,22. CGl.203.1 Teilen

Schenke der Einflüsterung des Feindes, von Christo fortzubleiben, bis du dich selbst besser gemacht hast, bis du gut genug bist, zu Gott zu kommen, kein Gehör. Wenn du bis dahin wartest, wirst du nie zu ihm kommen. Wenn Satan auf deine unreinen Gewänder hinweist, so wiederhole die Verheißung Jesu: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ Johannes 6,37. Sage dem Feinde, dass das Blut Jesu Christi rein macht von aller Sünde. Bete mit David: „Entsündige mich mit Ysop, dass ich rein werde; wasche mich, dass ich schneeweiß werde.“ Psalm 51,9. CGl.203.2 Teilen

204

Mache dich auf und gehe zu deinem Vater. Er wird dir entgegengehen, wenn du noch ferne bist. Wenn du auch nur einen Schritt nimmst, um dich ihm in Reue und Buße zu nähern, wird er zu dir eilen und dich mit Armen ewiger Liebe umfassen. Sein Ohr ist dem Schreien der bußfertigen Seele geöffnet. Das erste Sehnen des Herzens nach Gott ist ihm bekannt. Nie wird ein Gebet dargebracht, einerlei wie stammelnd, nie eine Träne vergossen, gleichviel wie verborgen, nie ein aufrichtiges Verlangen nach Gott genährt, wie schwach es auch sein möge, ohne dass der Geist Gottes es wahrnimmt und dem betreffenden Herzen entgegenkommt. Ja, ehe noch das Gebet gesprochen, oder das Sehnen des Herzens kundgegeben wird, unterstützt die Gnade Christi die Kraft, die an der menschlichen Seele wirkt. CGl.204.1 Teilen

Dein himmlischer Vater wird die mit Sünden befleckten Gewänder von dir nehmen. In der herrlichen parabolischen Weissagung Sacharjas stellt der Hohepriester Josua, der in unreinen Gewändern vor dem Engel des Herrn steht, den Sünder dar. Und der Herr spricht das Wort: „Tut die unreinen Kleider von ihm! Und er sprach zu ihm: Siehe, ich habe deine Sünde von dir genommen, und habe dich mit Feierkleidern angezogen ... Und sie setzten einen reinen Hut auf sein Haupt und zogen ihm Kleider an.“ Sacharja 3,4.5. So wird Gott dich mit „Kleidern des Heils“ anziehen und dich bedecken mit „dem Rock der Gerechtigkeit“. „Wenn ihr zwischen den Hürden laget, so glänzte es als der Taube Flügel, die wie Silber und Gold schimmern.“ Jesaja 61,10; Psalm 68,14. CGl.204.2 Teilen

„Er wird dich in seinen Festsaal führen, und seine Liebe wird sein Panier über dir sein.“ Hohelied 2,4. „Wirst du in meinen Wegen wandeln,“ sagt er, so will ich „dir geben von diesen, die hier stehen, dass sie dich geleiten sollen“ (Sacharja 3,7), — nämlich von den heiligen Engeln, die seinen Thron umgeben. CGl.204.3 Teilen

„Wie sich ein Bräutigam freuet über der Braut, so wird sich dein Gott über dir freuen.“ „Er wird sich über dich freuen und dir freundlich sein und vergeben, und wird über dir mit Schall fröhlich sein.“ Jesaja 62,5; Zephanja 3,17. Und Himmel und Erde werden sich mit des Vaters Freudengesang vereinen: „Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig worden; er war verloren und ist wieder gefunden.“ CGl.204.4 Teilen

205

Bis so weit ist im Gleichnis des Heilandes kein Mißklang, um die Harmonie der Freudenszene zu stören; aber jetzt führt Christus ein anderes Element ein. Als der verlorene Sohn heimkam, war der älteste Sohn „auf dem Felde. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er das Gesänge und den Reigen; und rief zu sich der Knechte einen und fragte, was das wäre. Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist kommen, und dein Vater hat ein gemästet Kalb geschlachtet, dass er ihn gesund wieder hat. Da wird er zornig und wollte nicht hineingehen.“ Dieser älteste Bruder hatte nicht teilgenommen an des Vaters Sorge um den einen, der verloren war. Er nimmt deshalb auch keinen Anteil an des Vaters Freude über die Rückkehr des Verirrten. Der Freudengesang erweckt keine Freude in seinem Herzen. Er fragt einen Knecht um den Grund der Festlichkeit, und die erhaltene Antwort erregt seine Eifersucht. Er will nicht hineingehen, um seinen verlorenen Bruder zu bewillkommnen. Die dem Verlorenen bezeigte Liebe und Güte betrachtet er als eine Beleidigung seiner selbst. CGl.205.1 Teilen

Als der Vater hinauskommt, um mit ihm darüber zu sprechen, da werden der Stolz und die Bosheit seiner Natur so recht offenbar. CGl.205.2 Teilen

Er betrachtet sein Leben im Vaterhause als eine Runde unbelohnten Dienstes und vergleicht dann in verächtlicher Weise damit die dem eben zurückgekehrten Sohne gewordene gute Aufnahme. Er macht sich klar, dass sein eigener Dienst eher der eines Knechts, als der eines Sohnes gewesen ist. Während er sich beständig hätte freuen sollen, bei seinem Vater zu sein, waren seine Gedanken auf den Vorteil gerichtet gewesen, der ihm durch sein behutsames Leben erwachsen könne. Seine Worte zeigen, dass er aus diesem Grunde den Freuden der Sünde entsagt hat. Wenn jetzt dieser Bruder an des Vaters Gaben teilnehmen soll, dann meint der älteste Sohn, geschehe ihm Unrecht. Er mißgönnt seinem Bruder die ihm gewordene freundliche Aufnahme. Er zeigt deutlich, dass, wenn er an des Vaters Stelle gewesen wäre, er den Verlorenen nicht aufgenommen haben würde. Er erkennt ihn nicht einmal als seinen Bruder an, sondern spricht in kalter Weise von ihm als „dein Sohn“. CGl.205.3 Teilen

206

Dennoch behandelt der Vater ihn liebevoll. „Mein Sohn,“ sagt er, „du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein.“ Ist es dir nicht in allen diesen Jahren, in denen dein Bruder ein elendes Leben geführt, vergönnt gewesen, bei mir zu sein? CGl.206.1 Teilen

Alles, was zum Glück seiner Kinder beitragen konnte, wurde ihnen freudig gegeben. Der Sohn braucht nicht um eine Belohnung oder Gabe zu bitten. „Alles, was mein ist, das ist dein.“ Du brauchst nur meiner Liebe zu vertrauen und die Gaben anzunehmen, die so reichlich dargeboten werden. CGl.206.2 Teilen

Der eine Sohn hatte sich eine Zeitlang von der Familie getrennt, weil er des Vaters Liebe nicht erkannte. Jetzt aber ist er zurückgekehrt, und vor der Flut der Freude weicht jeder störende Gedanke. „Dieser, dein Bruder war tot und ist wieder lebendig worden; er war verloren und ist wieder gefunden.“ CGl.206.3 Teilen

207

Erkannte der älteste Bruder seine niederträchtige, undankbare Gesinnung? Begriff er, dass, obgleich sein Bruder gottlos gehandelt hatte, er dennoch sein Bruder war? Bereute er seine Eifersucht und seine Hartherzigkeit? Christus schwieg hierüber. Die hier dargestellte Handlungsweise wurde noch ausgeübt und seine Zuhörer konnten selbst vermuten, was das schließliche Ende sein würde. CGl.207.1 Teilen

Durch den ältesten Sohn wurden die zurzeit Christi lebenden unbußfertigen Juden dargestellt, sowie auch die Pharisäer eines jeden Zeitalters, welche mit Verachtung auf solche blicken, die ihnen als Zöllner und Sünder gelten. Weil sie selbst nicht in die tiefsten Laster gefallen sind, sind sie von Selbstgerechtigkeit erfüllt. Jesus traf diese Wortklauber auf ihrem eigenen Boden. Gleich dem ältesten Sohn im Gleichnis hatten sie besondere, ihnen von Gott gegebene Vorrechte genossen. Sie behaupteten, Söhne im Hause Gottes zu sein, aber sie hatten den Geist eines Mietlings. Sie arbeiteten nicht aus Liebe, sondern getrieben durch die Hoffnung auf Belohnung. In ihren Augen war Gott ein harter, strenger Meister. Sie sahen, wie Christus Zöllner und Sünder einlud, um die große Gabe seiner Gnade frei anzunehmen — die Gabe, welche die Rabbiner sich durch harte Arbeit und Bußübungen zu sichern hofften — und sie ärgerten sich. Die Rückkehr des verlorenen Sohnes, welche das Vaterherz mit Freude erfüllte, erweckte in ihnen Neid und Eifersucht. CGl.207.2 Teilen

Die Vorstellungen, welche der Vater im Gleichnis dem ältesten Sohne machte, waren Gottes zärtliche Bitten an die Pharisäer. „Alles, was mein ist, das ist dein“ — nicht als Lohn, sondern als Gabe. Wie der verlorene Sohn, so könnt auch ihr dies nur als unverdientes Geschenk der väterlichen Liebe erhalten. CGl.207.3 Teilen

Selbstgerechtigkeit verleitet die Menschen nicht nur dazu, Gott falsch darzustellen, sondern macht sie auch kaltherzig und tadelsüchtig gegen ihre Brüder. Der älteste Sohn war in seiner Selbstsucht und seinem Neide bereit, seinen Bruder zu beobachten, jede seiner Handlungen zu kritisieren und ihn wegen des geringsten Mangels zu verklagen. Er machte jeden Fehler ausfindig und stellte jede unrechte Handlung so groß wie möglich hin. In dieser Weise versuchte er seinen unversöhnlichen Geist zu rechtfertigen. Viele tun heute ganz dasselbe. Während die Seele ihre ersten Kämpfe gegen eine Flut von Versuchungen kämpft, stehen sie trotzig, eigenwillig, fehlerfindend und beschuldigend dabei. Sie mögen behaupten, Kinder Gottes zu sein, aber sie bekunden den Geist Satans in ihren Handlungen. Durch ihre Handlungsweise gegen ihre Brüder nehmen diese Beschuldiger eine Stellung ein, in welcher Gott das Licht seines Angesichts nicht über ihnen leuchten lassen kann. CGl.207.4 Teilen

208

Viele fragen beständig: „Womit soll ich den Herrn versöhnen, mich bücken vor dem hohen Gott? Soll ich mit Brandopfern und jährigen Kälbern ihn versöhnen? Wird wohl der Herr Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen Öls? ... Aber es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ Micha 6,6-8. CGl.208.1 Teilen

Dies ist der Dienst, den Gott erwählet hat: „Laß los, welche du mit Unrecht gebunden hast; laß ledig, welche du beschwerest; gib frei, welche du drängest; reiß weg allerlei Last; ... und entzeuch dich nicht von deinem Fleisch.“ Jesaja 58,6.7. CGl.208.2 Teilen

Wer sich als Sünder erkennt, der nur durch die Liebe seines himmlischen Vaters gerettet ist, der wird auch Liebe und Mitleid für andere haben, die infolge der Sünde leiden; der wird dem Elend und der Reue nicht mit Eifersucht und Tadel entgegentreten. Wenn das Eis der Selbstsucht von unseren Herzen geschmolzen ist, dann werden wir in Harmonie mit Gott sein und werden mit ihm die Freude teilen über die Rettung Verlorener. CGl.208.3 Teilen

Wohl behauptest du mit Recht ein Kind Gottes zu sein, aber wenn diese Behauptung wahr ist, dann ist der „dein Bruder“, welcher „tot“ war „und ist wieder lebendig worden“; welcher „verloren“ war, „und ist wieder lebendig worden“; welcher „verloren“ war „und ist wiedergefunden“. Er ist durch die zartesten Bande mit dir verbunden, denn Gott erkennt ihn als seinen Sohn an. Verleugnest du aber deine Verwandtschaft mit ihm, dann zeigst du, dass du nur ein Mietling im Haushalte, aber nicht ein Kind in der Familie Gottes bist. CGl.208.4 Teilen

209

Obgleich du dich der Begrüßung des Verlorenen nicht anschließen willst, wird doch der Freude kein Einhalt getan werden. Der Wiedergefundene wird seinen Platz an des Vaters Seite und in des Vaters Werk einnehmen. Wem viel vergeben ist, der liebt auch viel. Du aber wirst draußen in der Finsternis sein, denn „wer nicht liebhat, der kennet Gott nicht; denn Gott ist Liebe“. 1.Johannes 4,8. CGl.209.1 Teilen

[Auf der Grundlage von Lukas 13,1-9.] CGl.209 Teilen

210

Warnte Christus in seinen Lehren vor dem Gericht, so verband er damit die Einladung, seine Gnade anzunehmen. „Des Menschen Sohn ist nicht kommen,“ sagte er, „der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.“ „Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde.“ Lukas 9,56; Johannes 3,17. Seine gnadenvolle Mission in ihrer Beziehung zur Gerechtigkeit und zum Gericht wird durch das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum veranschaulicht. CGl.210.1 Teilen

Christus hatte die Menschen darauf hingewiesen, dass das Reich Gottes kommen werde und er hatte ihre Unwissenheit und ihre Gleichgültigkeit scharf getadelt. Die Zeichen am Himmel, welche auf das Wetter schließen ließen, konnten sie mit Leichtigkeit erkennen, aber die Zeichen der Zeit, die so klar auf seine Mission hinwiesen, wurden nicht erkannt. CGl.210.2 Teilen

Die Menschen waren damals ebenso geneigt, wie sie es jetzt sind, sich als von Gott begünstigt zu betrachten und zu glauben, dass die Botschaft des Tadels für andere sei. Die Zuhörer erzählten Jesu ein Vorkommnis, welches gerade große Aufregung verursacht hatte. Einige der von Pontius Pilatus, dem Landpfleger in Judäa, getroffenen Maßregeln hatten dem Volke Ärgernis gegeben. In Jerusalem war ein Volksaufstand gewesen und Pilatus hatte versucht, ihn durch Gewaltanwendungen zu unterdrücken. Bei einer Gelegenheit waren seine Soldaten sogar in die Tempelräume gedrungen und hatten einige galiläische Pilgrime, die gerade ihre Opfertiere schlachteten, niedergehauen. Die Juden betrachteten Trübsal als ein Gericht wegen der Sünden des Betroffenen und die, welche diese Gewalttat erzählten, taten es mit geheimer Befriedigung. Nach ihrer Ansicht wurde durch ihr glücklicheres Schicksal bewiesen, dass sie viel besser und deshalb Gott angenehmer seien, als diese Galiläer es waren. Sie erwarteten, dass Jesus diese Männer, die ohne Zweifel ihre Bestrafung reichlich verdient hatten, verdammen würde. CGl.210.3 Teilen

211

Die Jünger Jesu wagten nicht, ihre Meinungen auszusprechen, bis sie die Ansicht ihres Meisters gehört hatten. Er hatte ihnen strenge Verweise gegeben, über die Charaktere anderer Menschen zu richten und die entsprechende Vergeltung mit ihrem beschränkten Verstande beurteilen zu wollen. Dennoch erwarteten sie, dass Christus diese Männer als solche bezeichnen werde, die vor allen anderen Sünder seien. Groß war daher ihre Überraschung über seine Antwort. CGl.211.1 Teilen

Indem der Heiland sich zu der Menge wandte, sagte er: „Meinet ihr, dass diese Galiläer vor allen Galiläern Sünder gewesen sind, dieweil sie das erlitten haben? Ich sage: Nein; sondern so ihr euch nicht bessert, werdet ihr alle auch also umkommen.“ Diese erschreckenden Heimsuchungen sollten sie dahinbringen, dass sie ihre Herzen demütigten und ihre Sünden bereuten. Der Sturm der Rache, der bald über alle, die nicht in Christo Jesu Zuflucht gefunden hatten, losbrechen sollte, bereitete sich vor. CGl.211.2 Teilen

Indem Jesus mit den Jüngern und der Volksmenge sprach, blickte er mit prophetischem Blick in die Zukunft und sah Jerusalem von Heerscharen belagert. Er hörte die fremden Heere gegen die erwählte Stadt heranmarschieren und sah die Tausende und Abertausende in der Belagerung umkommen. Viele der Juden wurden dann gleich den Galiläern in den Vorhöfen des Tempels erschlagen, während sie ihre Opfer darbrachten. Die Heimsuchungen, die über einzelne Personen gekommen waren, waren Warnungen Gottes an eine gleich schuldige Nation. „So ihr euch nicht bessert,“ sagte Jesus, „werdet ihr alle auch also umkommen.“ Eine kleine Zeit dauerte die Gnadenzeit noch für sie. Jetzt war noch Zeit, zu wissen, was zu ihrem Frieden diente. CGl.211.3 Teilen

212

„Es hatte einer“, fuhr er fort, „einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberge; und kam und suchte Frucht darauf, und fand sie nicht. Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang alle Jahre kommen und habe Frucht gesucht auf diesem Feigenbaum, und finde sie nicht. Haue ihn ab! Was hindert er das Land?“ CGl.212.1 Teilen

Die Zuhörer Christi konnten die Anwendung seiner Worte nicht mißverstehen. David hatte von Israel als von einem aus Ägypten gebrachten Weinstock gesungen. Jesaja hatte geschrieben: „Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel, und die Männer Judas seine Pflanzung, daran er Lust hatte.“ Jesaja 5,7. Das Geschlecht, zu welchem der Heiland gekommen war, wurde durch den Feigenbaum im Weinberg des Herrn dargestellt — im Bereich seiner besonderen Fürsorge und seines besonderen Segens. CGl.212.2 Teilen

Gottes Absicht mit seinen Kindern und das herrliche Ziel vor ihnen war in folgenden Worten geschildert worden: „Dass sie genannt werden Bäume der Gerechtigkeit, Pflanzen des Herrn zum Preise.“ Jesaja 61,3. Der sterbende Jakob hatte unter der Eingebung des Geistes von seinem am meisten geliebten Sohne gesagt: „Joseph wird wachsen, er wird wachsen wie ein Baum an der Quelle, dass die Zweige emporsteigen über die Mauer.“ Ferner sagte er: „Von deines Vaters Gott ist dir geholfen, und von dem Allmächtigen wirst du gesegnet mit Segen oben vom Himmel herab, mit Segen von der Tiefe, die unten liegt.“ 1.Mose 49,22.25. So hatte Gott Israel als einen blühenden Weinstock an der Quelle des Lebens gepflanzt. Er hatte seinen „Weinberg an einem fetten Ort“. Er hatte ihn „verzäunet und mit Steinhaufen verwahret und edle Reben drein gesenkt“. CGl.212.3 Teilen

213

„Und wartete, dass er Trauben brächte; aber er brachte Herlinge.“ Jesaja 5,1.2. Die zurzeit Christi lebenden Menschen trugen ihre Frömmigkeit mehr zur Schau, als die Juden früherer Zeitalter es getan hatten; aber sie ermangelten der Gnadengaben des Geistes Gottes viel mehr als jene. Die köstlichen Charakterfrüchte, die Josephs Leben zu einem so wahrhaft edlen und schönen gestalteten, zeigten sich nicht im jüdischen Volke. CGl.213.1 Teilen

Gott hatte durch seinen Sohn Frucht gesucht, aber keine gefunden. Israel hinderte nur das Land. Sein Dasein an sich war ein Fluch; denn es nahm im Weinberge einen Platz in Anspruch, auf dem ein fruchtbarer Baum hätte stehen können. Es beraubte die Welt der Segnungen, die Gott derselben zu geben beabsichtigte. Die Israeliten hatten Gott vor den Völkern falsch dargestellt. Sie waren nicht nur nutzlos, sondern ein entschiedenes Hindernis. Ihr religiöses Leben war in hohem Grade irreleitend und brachte Verderben, anstatt Heil und Seligkeit. CGl.213.2 Teilen

Im Gleichnis widerspricht der Weingärtner nicht dem Urteil, dass der Baum, wenn er unfruchtbar bleibe, abgehauen werden sollte; aber er weiß wohl, welch ein Interesse der Eigentümer an dem unfruchtbaren Baum hat, er weiß, dass ihm nichts eine größere Freude bereiten könnte, als denselben wachsen und Frucht bringen zu sehen, und da er dieses Verlangen mit ihm teilt, so antwortet er dem Wunsche des Eigentümers entsprechend: „Herr, laß ihn noch dies Jahr, bis dass ich um ihn grabe und bedünge ihn, ob er wollte Frucht bringen.“ CGl.213.3 Teilen

Der Gärtner weigert sich nicht an einer so wenig versprechenden Pflanze zu arbeiten; er ist bereit, ihr noch größere Sorge angedeihen zu lassen. Er will ihre Umgebung zu der allergünstigsten gestalten und ihr alle mögliche Aufmerksamkeit schenken. CGl.213.4 Teilen

214

Der Eigner und der Gärtner des Weinberges sind eins in ihrem Interesse für den Feigenbaum. So waren auch der Vater und der Sohn eins in ihrer Liebe zu dem erwählten Volk. Christus sagte zu seinen Zuhörern, dass ihnen noch günstigere Gelegenheiten geboten werden sollten. Alle Mittel, welche die Liebe Gottes ersinnen könnte, würden angewandt werden, damit sie Bäume der Gerechtigkeit werden und zum Segen der Welt Frucht bringen möchten. CGl.214.1 Teilen

Jesus sagte im Gleichnis nicht, was das Ergebnis der Arbeit des Gärtners war. Hier schnitt er seine Erzählung ab. Wie der Schluß sein würde, hing von denen ab, die seine Worte hörten. Ihnen wurde die ernste Warnung gegeben: „Wo nicht, so haue ihn ab.“ Es hing von ihnen ab, ob diese unwiderruflichen Worte gesprochen werden würden. Der Tag des Zorns war nahe. Durch die Heimsuchungen, die Israel schon befallen hatten, wies der Eigentümer des Weinbergs sie in gnadenvoller Weise hin auf die Vernichtung des unfruchtbaren Baumes. CGl.214.2 Teilen

Diese Warnung tönt bis in unser Geschlecht hinein. Bist du, o gleichgültiges Herz, ein unfruchtbarer Baum in des Herrn Weinberg? Soll dieser Urteilsspruch dereinst auch dir gelten? Wie lange hast du seine Gnadengaben angenommen? Wie lange hat er darauf gewartet, dass du ihm seine Liebe erwiderst? Welche Vorrechte hast du doch, der du in seinem Weinberg gepflanzt und unter der Obhut des Gärtners bist! Wie oft hat die zärtliche Botschaft des Evangeliums dein Herz ergriffen! Du hast den Namen Christi angenommen, bist äußerlich ein Glied der Gemeinde, welche sein Leib ist und dennoch bist du dir keiner lebendigen Verbindung mit dem großen Herzen der Liebe bewußt. Der Strom seines Lebens fließt nicht für dich. Die süßen Gnadengaben seines Charakters, „die Früchte des Geistes“, werden nicht in deinem Leben gesehen! CGl.214.3 Teilen

Dem unfruchtbaren Baum wird der Regen und der Sonnenschein sowie auch die Fürsorge des Gärtners zuteil. Er zieht seine Nahrung aus der Erde, aber seine unfruchtbaren Zweige verdunkeln so den Boden, dass fruchtbringende Pflanzen in seinem Schatten nicht gedeihen können. So gereichen auch die dir von Gott so freigebig und reichlich mitgeteilten Gaben der Welt nicht zum Segen; du beraubst andere der Vorrechte, die sie, wäre es nicht deinetwegen, erhalten hätten. CGl.214.4 Teilen

215

Du erkennst, obgleich vielleicht nur trübe, dass du nur eine Pflanze bist, die das Land hindert. Dennoch hat Gott in seiner großen Barmherzigkeit dich nicht abgehauen. Er blickt nicht kalt auf dich herab. Er wendet sich nicht in Gleichgültigkeit von dir ab, und überläßt dich nicht dem Verderben. Er ruft vielmehr auf dich blickend, wie er vor vielen Jahrhunderten über Israel rief: „Was soll ich aus dir machen, Ephraim? Soll ich dich schützen, Israel? ... Aber mein Herz ist anderen Sinnes, meine Barmherzigkeit ist zu brünstig, dass ich nicht tun will nach meinem grimmigen Zorn, noch mich kehren, Ephraim gar zu verderben. Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch.“ Hosea 11,8.9. Der mitleidsvolle Heiland sagt betreffs deiner: „Laß ihn noch dies Jahr, bis dass ich um ihn grabe und bedünge ihn.“ CGl.215.1 Teilen

216

Mit welcher unermüdlicher Liebe hat Christus dem Volke Israel während der für sie verlängerten Gnadenzeit gedient. Am Kreuze betete er: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Lukas 23,34. Nach seiner Himmelfahrt wurde das Evangelium zuerst in Jerusalem gepredigt. Dort wurde der Heilige Geist ausgegossen. Dort offenbarte die erste Evangeliumsgemeinde die Kraft des auferstandenen Heilandes. Dort legte Stephanus — mit einem „Angesicht wie eines Engels Angesicht“ (Apostelgeschichte 6,15) — sein Zeugnis ab und gab sein Leben dahin. Alles, was Gott geben konnte, wurde dargereicht. „Was sollte man doch mehr tun an meinem Weinberge,“ sagte Christus, „das ich nicht getan habe an ihm?“ Jesaja 5,4. So ist auch seine Sorge und Arbeit um dich durchaus nicht verringert, sondern noch erhöht und vermehrt. Immer noch sagt er: „Ich, der Herr, behüte ihn, und feuchte ihn bald, dass man seiner Blätter nicht vermisse; ich will ihn Tag und Nacht behüten.“ Jesaja 27,3. CGl.216.1 Teilen

„Ob er wollte Frucht bringen; wo nicht, so“ - CGl.216.2 Teilen

Das Herz, welches dem göttlichen Ziehen und Rufen nicht Folge leistet, wird verhärtet, bis es den Einflüssen des Heiligen Geistes nicht mehr zugänglich ist. Dann wird das Wort gesprochen: „Haue ihn ab! Was hindert er das Land?“ CGl.216.3 Teilen

Heute ladet er dich noch ein: „Bekehre dich, Israel, zu dem Herrn, deinem Gottes; ... so will ich ihr Abtreten wieder heilen; gerne will ich sie lieben ... Ich will Israel wie ein Tau sein, dass er soll blühen wie eine Rose, und seine Wurzeln sollen ausschlagen wie der Libanon ... Und sie sollen wieder unter seinem Schatten sitzen; von Korn sollen sie sich nähren und blühen wie ein Weinstock ... An mir soll man deine Frucht finden.“ Hosea 14,2-9. CGl.216.4 Teilen

[Auf der Grundlage von Lukas 14,1.12-24.] CGl.216 Teilen

217

Bei einem Feste im Hause eines Pharisäers war der Heiland zu Gaste. Er ließ sich von den Reichen sowie auch von den Armen einladen und benutzte seiner Gewohnheit gemäß jede ihm dadurch gebotene Gelegenheit, um Heilswahrheiten vorzuführen. Bei den Juden waren alle nationalen und religiösen Freudentage mit einem festlichen Gastmahle verbunden. Dies war ihnen ein Vorbild der Segnungen des ewigen Lebens. Das große Festmahl, an welchem sie sich mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische setzen, während die Heiden draußen bleiben und mit sehnsüchtigen Augen zusehen würden, war ihr Lieblingsthema. Die Warnung und Lehre, welche Christus zu geben wünschte, veranschaulichte er dementsprechend durch das Gleichnis von einem großen Abendmahl. Die Juden wollten die Segnungen Gottes für das gegenwärtige sowohl, wie für das zukünftige Leben für sich allein beanspruchen. Sie stellten in Abrede, dass Gott auch den Heiden gnädig sei. Aber Christus zeigte ihnen durch das Gleichnis, dass sie selbst die gnadenvolle Einladung, den Ruf, in das Reich Gottes einzugehen, verwarfen. Er zeigte, dass die Einladung, welche sie gering schätzten, nun an die ergehen würde, welche sie verachteten — an die, von denen sie sich zurückgezogen hatten, als ob sie Aussätzige seien, die man zu meiden habe. CGl.217.1 Teilen

218

Der Pharisäer hatte bei der Auswahl der Gäste, die er zu seinem Feste einlud, sein eigenes, selbstsüchtiges Interesse zu Rate gezogen. Christus sagte ihm nun: „Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machest, so lade nicht deine Freunde, noch deine Brüder, noch deine Gefreundten (Verwandten), noch deine Nachbarn, die da reich sind, auf dass sie dich nicht etwa wieder laden, und dir vergolten werde. Sondern wenn du ein Mahl machest, so lade die Armen, die Krüppel, die Lahmen, die Blinden, so bist du selig; denn sie haben’s dir nicht zu vergelten; es wird dir aber vergolten werden in der Auferstehung der Gerechten.“ CGl.218.1 Teilen

Christus wiederholte hier die Unterweisung, die er dem Volke Israel durch Mose gegeben hatte. Bei ihren heiligen Festen sollten „der Fremdling und der Waise und die Witwe, die in deinem Tore sind,“ kommen und essen und sich sättigen. 5.Mose 14,29. CGl.218.2 Teilen

Diese Zusammenkünfte sollten den Kindern Israel als Anschauungsunterricht dienen und wenn sie so die Freude wahrer Gastfreundschaft kennen gelernt hatten, sollten sie das ganze Jahr hindurch für die Armen und Bedürftigen sorgen. Aber diese Feste enthielten noch eine weitere Lehre. Die geistlichen Segnungen, die den Kindern Israel gegeben worden waren, waren nicht für sie allein; Gott hatte ihnen das Brot des Lebens gegeben, um es der Welt mitzuteilen. CGl.218.3 Teilen

Diese Aufgabe hatten sie nicht erfüllt. Die Worte Christi waren daher ein Tadel ihrer Selbstsucht. Sie paßten den Pharisäern durchaus nicht. Hoffend, der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben rief einer von ihnen in scheinheiliger Weise: „Selig ist, der das Brot isset im Reich Gottes.“ Dieser Mann sprach mit großer Zuversicht, als ob er selbst eines Platzes im Himmelreiche gewiß sei. Seine Stellung war der Stellung derer ähnlich, die sich freuen, von Christo gerettet zu sein und doch den Bedingungen nicht nachkommen, auf welche hin die Seligkeit verheißen ist. Sein Geist war dem des Bileam gleich, als er betete: „Meine Seele müsse sterben des Todes der Gerechten, und mein Ende werde wie dieser Ende.“ 4.Mose 23,10. Der Pharisäer dachte nicht darüber nach, ob er auch für den Himmel geschickt sei, sondern freute sich nur auf das, was er im Himmel zu genießen hoffte. Er beabsichtigte durch seine Bemerkung, die Gedanken der beim Feste anwesenden Gäste von dem Thema ihrer praktischen Pflicht abzulenken und sie über dies gegenwärtige Leben hinaus auf die in der fernen Zukunft liegende Zeit der Auferstehung der Gerechten zu führen. CGl.218.4 Teilen

219

Christus las das Herz dieses anmaßenden Menschen, und sein Augen auf ihn heftend, zeigte er der Gesellschaft den Charakter und den Wert ihrer gegenwärtigen Vorrechte. Er führte ihnen vor, dass sie jetzt, gerade jetzt etwas tun müßten, um an den Segnungen der Zukunft teilnehmen zu können. CGl.219.1 Teilen

„Es war ein Mensch,“ sagte er, „der machte ein groß Abendmahl und lud viele dazu.“ Als die zum Feste anberaumte Zeit kam, sandte der Gastgeber seinen Knecht mit einer zweiten Botschaft an die Geladenen und ließ ihnen sagen: „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Doch alle legten eine seltsame Gleichgültigkeit an den Tag. „Sie fingen an alle nacheinander sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm. Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der andere sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der dritte sprach: Ich habe ein Weib genommen, darum kann ich nicht kommen.“ CGl.219.2 Teilen

Keiner der vorgebrachten Entschuldigen lag eine wirklich dringende Pflicht zugrunde. Der Mann, der hinausgehen musste, um seinen Acker zu besehen, hatte ihn schon gekauft. Seine Eile hinzugehen und ihn zu besehen, war der Tatsache zuzuschreiben, dass sein ganzes Interesse dem Einkauf galt. Auch die Ochsen waren gekauft worden. Das Besehen derselben sollte nur ein Verlangen des Käufers befriedigen. Auch die dritte Entschuldigung hatte keinen triftigen Grund. Die Tatsache, dass der geladene Gast ein Weib genommen hatte, brauchte seine Gegenwart beim Feste nicht zu verhindern. Sein Weib wäre auch willkommen gewesen. Aber er hatte seine eigenen Pläne gelegt, um sich Freude zu machen und diese schienen ihm wünschenswerter, als dem Feste beizuwohnen, wie er versprochen hatte. Er hatte größere Freude an der Gesellschaft anderer als an der seines Gastgebers. Er bat nicht um Entschuldigung und war beim Geben seiner abschlägigen Antwort nicht einmal höflich. Das „darum kann ich nicht kommen“ verschleierte nur die Wahrheit: es ist mir nichts daran gelegen. CGl.219.3 Teilen

220

Alle diese Entschuldigungen verrieten, dass die Gedanken anderweitig beschäftigt waren, dass die geladenen Gäste von anderen Dingen vollkommen in Anspruch genommen wurden. Die von ihnen angenommene Einladung wurde beiseite gesetzt und der freigebige Freund durch ihre Gleichgültigkeit beleidigt. CGl.220.1 Teilen

In dem großen Abendmahl zeigt uns Christus die durch das Evangelium angebotenen Segnungen, die nichts weniger sind, als Christus selbst. Er ist das Brot, das vom Himmel kommt, und von ihm fließen die Ströme des Heils. Die Boten des Herrn hatten den Juden das Kommen des Heilandes verkündigt. Sie hatten auf Christum hingewiesen, als auf „Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt“. Johannes 1,29. In dem von Gott veranstalteten Fest bot er ihnen die größte Gabe an, die er geben kann — eine Gabe, die alle Berechnung übersteigt. Die Liebe Gottes hatte das köstliche Festmahl bereitet und in demselben unerschöpfliche Gaben angeboten. „Wer von diesem Brot essen wird,“ sagte Christus, „der wird leben in Ewigkeit.“ Johannes 6,51. CGl.220.2 Teilen

221

Um aber der Einladung zum Evangeliumsfeste Folge zu leisten, müssen alle weltlichen Interessen dem einen Zweck, Christum und seine Gerechtigkeit anzunehmen, untergeordnet werden. Gott gab alles für den Menschen und er verlangt von ihm seinen, das ist des Herrn Dienst, über alle irdischen und selbstsüchtigen Erwägungen zu stellen. Er kann kein geteiltes Herz annehmen. Ein Herz, das von irdischen Neigungen beherrscht wird, kann sich nicht Gott ergeben. Diese Lehre gilt für alle Zeit. Wir sollen dem Lamme Gottes folgen, wohin es geht. Seine Führung muss gewählt und seine Gemeinschaft mehr als die Gemeinschaft irgend welcher irdischen Freunde geschätzt werden. Christus sagt: „Wer Vater oder Mutter mehr liebet denn mich, der ist mein nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebet denn mich, der ist mein nicht wert.“ Matthäus 10,37. CGl.221.1 Teilen

Zu Christi Zeiten wiederholten viele am Familientisch, wenn sie ihr tägliches Brot brachen, die Worte: „Selig ist, der das Brot isset im Reiche Gottes.“ Aber Christus zeigte, wie schwer es ist, Gäste für die Tafel zu finden, die unter so unendlich großen Kosten bereitet ist. Diejenigen, die seinen Worten lauschten, wußten, dass sie die gnadenvolle Einladung gering geschätzt hatten. Irdische Besitzungen, Reichtümer und Vergnügen beanspruchten ihre ganze Aufmerksamkeit. Alle nacheinander hatten sie sich entschuldigt. CGl.221.2 Teilen

So ist es auch jetzt. Die Entschuldigungen, auf Grund derer die Einladungen zum Feste abgelehnt wurden, umfassen alle Entschuldigungen, die für die Ablehnung der Evangeliumseinladung vorgebracht werden. Die Menschen sagen, dass sie ihre weltlichen Aussichten nicht dadurch gefährden können, indem sie die Ansprüche des Evangeliums beachten. Sie halten ihre irdischen Interessen von größerem Wert als die Dinge der Ewigkeit. Gerade die Segnungen, die sie von Gott empfangen haben, werden ihnen zu Schranken, die ihre Seelen von ihrem Schöpfer und Erlöser scheiden. Sie wollen sich in ihrem weltlichen Streben nicht stören lassen und sagen deshalb zu dem Boten, der ihnen die gnadenvolle Einladung bringt: „Gehe hinauf diesmal; wenn ich gelegene Zeit habe, will ich dich her lassen rufen.“ Apostelgeschichte 24,25. Andere schützen die Schwierigkeiten vor, die im gesellschaftlichen Verkehr aufkommen würden, wenn sie dem Rufe Gottes Folge leisten wollten. Sie sagen, dass sie mit ihren Verwandten und Bekannten nicht uneins sein wollen und so bekunden sie, dass sie es gerade so machen, wie jene, welche im Gleichnis beschrieben sind. Der Festgeber betrachtet ihre nichtigen Entschuldigungen als eine Verachtung seiner Einladung. CGl.221.3 Teilen

222

Der Mann, welcher sagte: „Ich habe ein Weib genommen, darum kann ich nicht kommen,“ stellte eine große Klasse dar. Es gibt viele, die sich durch ihre Frauen oder ihre Männer davon abhalten lassen, dem Rufe Gottes zu folgen. Der Ehemann sagt: Ich kann nicht nach meiner Überzeugung leben, während meine Frau so sehr dagegen ist; ihr Einfluß würde es außerordentlich schwer für mich machen. Die Frau hört den gnadenvollen Ruf: „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Aber sie sagt: Ich bitte dich, entschuldige mich; mein Mann schlägt die gnadenvolle Einladung ab; er sagt, sein Geschäft steht im Wege, und ich muss mit meinem Manne gehen und deshalb kann ich nicht kommen. Die Herzen der Kinder sind bewegt worden, sie möchten kommen, aber sie lieben ihren Vater und ihre Mutter, und da diese dem Rufe des Evangeliums nicht folgen, so glauben die Kinder, dass es von ihnen nicht erwartet werden kann, zu kommen. Auch sie sagen: entschuldige mich. CGl.222.1 Teilen

Diese alle folgen dem Rufe des Heilandes nicht, weil sie fürchten, Zwiespalt in der Familie zu erregen. Sie meinen, dass sie, indem sie sich weigern, Gott zu gehorchen, den Frieden und das Glück der Familie sichern, aber dies ist eine Täuschung. Menschen, die Selbstsucht säen, werden Selbstsucht ernten. Indem sie die Liebe Christi verwerfen, verwerfen sie das, was einzig und allein der menschlichen Liebe Reinheit und Beständigkeit verleihen kann. Sie werden nicht nur des Himmels verlustig gehen, sondern werden auch hier den wahren Genuß an dem verfehlen, wofür der Himmel aufgegeben wurde. CGl.222.2 Teilen

223

Im Gleichnis erfuhr der Gastgeber, wie seine Einladungen aufgenommen worden waren. „Da ward der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knechte: Gehe aus schnell auf die Straßen und Gassen der Stadt, und führe die Armen und Krüppel und Lahmen und Blinden herein.“ CGl.223.1 Teilen

Der Gastgeber wandte sich ab von denen, die seine Güte verschmähten und lud eine Klasse ein, die nicht volles Genüge hatte, die keine Häuser und Ländereien besaß. Er lud solche ein, die arm und hungrig waren und das von ihnen dargebotene Mahl schätzen würden. „Die Zöllner und Huren“, sagte Christus, „mögen wohl eher ins Himmelreich kommen denn ihr.“ Matthäus 21,31. Wie elend auch jene Menschen sein mögen, von denen sich andere mit Verachtung abwenden, so sind sie doch nicht zu niedrig, nicht zu elend, um von Gott beachtet und geliebt zu werden. Es verlangt Christum darnach, dass die von Sorge und Kummer Niedergebeugten und Bedrückten zu ihm kommen möchten; er sehnt sich darnach, ihnen das Licht, die Freude und den Frieden zu geben, die nirgends sonst gefunden werden. Die ärgsten Sünder sind die Gegenstände seines tiefen Mitleids und seiner inbrünstigen Liebe. Er sendet seinen Heiligen Geist, ihnen in Liebe nachzugehen und zu versuchen, sie zu sich zu ziehen. CGl.223.2 Teilen

224

Der Knecht, als er die Armen und Blinden hereingeführt hatte, berichtete seinem Meister: „Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knechte: Gehe aus auf die Landstraßen und an die Zäune, und nötige sie, hereinzukommen, auf dass mein Haus voll werde.“ Hier wies Christus auf das Werk des Evangeliums außerhalb der Grenzen des Judaismus, an den Landstraßen und den Zäunen der Welt hin. CGl.224.1 Teilen

Diesem Gebote gehorsam, erklärten Paulus und Barnabas den Juden: „Euch musste zuerst das Wort Gottes gesagt werden; nun ihr es aber von euch stoßet und achtet euch selbst nicht wert des ewigen Lebens, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden. Denn also hat uns der Herr geboten: Ich habe dich den Heiden zum Licht gesetzt, dass du das Heil seiest bis an das Ende der Erde. Da es aber die Heiden hörten, wurden sie froh, und priesen das Wort des Herrn, und wurden gläubig, wie viel ihrer zum ewigen Leben verordnet waren.“ Apostelgeschichte 13,46-48. CGl.224.2 Teilen

Die von Christi Jüngern gepredigte Evangeliumsbotschaft kündigte sein erstes Kommen in die Welt an. Sie brachte den Menschen die frohe Botschaft vom Heil durch den Glauben an ihn. Sie wies hin auf seine Wiederkunft in Herrlichkeit, um die Seinen zu erlösen, und gab den Menschen, wenn sie glaubten und gehorchten, die Hoffnung, am Erbteil der Heiligen im Licht teilzunehmen. Diese Botschaft wird den Menschen auch heute gegeben und zwar ist sie mit der Ankündigung verbunden, dass die Wiederkunft Christi nahe ist. Die von Christo selbst angegebenen Zeichen von der Nähe seiner Wiederkunft haben stattgefunden und aus den Lehren des Wortes Gottes können wir wissen, dass der Herr vor der Tür ist. CGl.224.3 Teilen

Johannes weissagt in der Offenbarung eine allgemeine Verkündigung der Evangeliumsbotschaft gerade vor der Wiederkunft Christi. Er sieht „einen Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte ein ewig Evangelium zu verkündigen denen, die auf Erden wohnen, und allen Heiden und Geschlechtern und Sprachen und Völkern, und sprach mit großer Stimme: Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre; denn die Zeit seines Gerichts ist kommen.“ Offenbarung 14,6.7. CGl.224.4 Teilen

225

In der Prophezeiung folgt dieser Warnung und den mit ihr verbundenen Botschaften das Kommen des Menschensohnes in den Wolken des Himmels. Die Verkündigung des Gerichts ist eine Ankündigung der nahen Wiederkunft Christi, und diese Verkündigung wird das ewige Evangelium genannt. So ist also die Predigt von der Wiederkunft Christi und die Ankündigung ihrer Nähe ein wesentlicher Teil der Evangeliumsbotschaft. CGl.225.1 Teilen

Die Bibel weissagt, dass die Menschen in den letzten Tagen ganz und gar von weltlichen Beschäftigungen, von Vergnügungen und dem Jagen nach dem Reichtum in Anspruch genommen sein werden. Sie werden gegen ewige Wahrheiten blind sein. CGl.225.2 Teilen

Christus sagt: „Gleich aber wie es zu der Zeit Noahs war, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohns. Denn gleich wie sie waren in den Tagen vor der Sintflut? Sie aßen, sie tranken, sie freiten und ließen sich freien, bis an den Tag, da Noah zu der Arche einging; und sie achteten’s nicht, bis die Sintflut kam, und nahm sie alle dahin: also wird auch sein die Zukunft des Menschensohns.“ Matthäus 24,37-39. CGl.225.3 Teilen

226

So ist es auch heute. Die Menschen stürzen vorwärts in der Jagd nach Gewinn und selbstsüchtiger Befriedigung, als ob es keinen Gott, keinen Himmel und kein zukünftiges Leben gäbe. In den Tagen Noahs wurde die Warnung vor der kommenden Flut gegeben, um die Menschen aus ihrer Gottlosigkeit aufzurütteln und sie zur Buße zu rufen. So soll auch die Botschaft von der baldigen Wiederkunft Christi die Menschen aus ihrem Vertieftsein in weltlichen Dingen aufwecken und soll sie zu einem Verständnis ewiger Wahrheiten bringen, damit sie der Einladung zum Abendmahl des Herrn Beachtung schenken. CGl.226.1 Teilen

Die Evangeliumseinladung soll der ganzen Welt gegeben werden — „allen Heiden und Geschlechtern und Sprachen und Völkern.“ Offenbarung 14,6. Die letzte Warnungs- und Gnadenbotschaft soll die ganze Erde mit ihrer Klarheit erleuchten. Sie soll alle Menschenklassen, reich und arm, hoch und niedrig, erreichen. „Gehe aus auf die Landstraßen und an die Zäune,“ sagt Christus, „und nötige sie, hereinzukommen, auf dass mein Haus voll werde.“ CGl.226.2 Teilen

Die Welt kommt um wegen Mangel am Evangelium. Es ist ein Hungern nach dem Worte Gottes da. Es gibt nur wenige, die das Wort, unverfälscht durch menschliche Überlieferungen, predigen. Obgleich die Menschen die Bibel in ihren Händen haben, empfangen sie doch nicht den Segen, den Gott für sie da hinein gelegt hat. Der Herr beruft seine Knechte, um dem Volke seine Botschaft zugehen zu lassen. Das Wort des ewigen Lebens muss solchen gegeben werden, die in ihren Sünden umkommen. CGl.226.3 Teilen

In dem Gebot, auf die Landstraßen und an die Zäune zu gehen, führt Christus die Aufgabe aller derer vor, die er beruft, in seinem Namen zu wirken. Die ganze Welt ist das Arbeitsfeld für die Diener Christi. Die ganze menschliche Familie bildet ihre Zuhörerschaft. Der Herr wünscht, dass sein gnadenvolles Wort einer jeden Seele nahe gebracht werde. CGl.226.4 Teilen

227

Dies muss in einem hohen Grade durch persönliches Wirken geschehen. Das war auch Christi Methode. Sein Wirken bestand zum größten Teil in persönlichen Unterredungen. Er wirkte treulich, wenn er auch nur eine Seele vor sich hatte. Durch eine solche Seele wurde die Botschaft oft Tausenden gebracht. CGl.227.1 Teilen

Wir sollen nicht darauf warten, dass Seelen zu uns kommen; wir müssen sie aufsuchen, wo sie sind, Wenn das Wort vom Predigtstuhl verkündigt worden ist, dann hat die Arbeit erst begonnen. Es gibt Scharen von Menschen, die niemals durch das Evangelium erreicht werden, wenn es ihnen nicht persönlich gebracht wird. CGl.227.2 Teilen

Die Einladung zum Feste wurde zuerst dem jüdischen Volke gegeben — dem Volke, welches berufen war, als Lehrer und Leiter unter den Menschen dazustehen, dem Volke, in dessen Händen die prophetischen Schriften waren, die das Kommen Christi voraussagten, dem Volke, dem der sinnbildliche Gottesdienst, welcher auf Christi Mission hinwies, anvertraut worden war. Hätten Priester und Volk die Einladung beachtet, so würden sie sich mit den Boten Christi vereinigt haben, um der Welt die Evangeliumsbotschaft zu bringen. Die Wahrheit wurde ihnen gegeben, damit sie dieselbe anderen mitteilen möchten. Als sie sich jedoch weigerten, dem Rufe Folge zu leisten, da erging die Einladung an die Armen, die Krüppel, die Lahmen und die Blinden. Zöllner und Sünder erhielten die Einladung. Wenn der Ruf des Evangeliums an die Heiden ergeht, so wird nach demselben Plane gearbeitet. Die Botschaft soll zuerst auf die „Landstraßen“ gehen — an Menschen, die tätigen Anteil an der Arbeit für die Welt nehmen, an die Lehrer und Leiter des Volkes. CGl.227.3 Teilen

Die Boten des Herrn müssen dies beachten. Es sollte den Hirten der Herde, den göttlich ernannten Lehrern, als ein Warnungsruf kommen. Die, welche den höheren Gesellschaftsständen angehören, sollten mit inbrünstiger Liebe und brüderlicher Achtung aufgesucht werden. Männer im Geschäftsleben, in hohen Vertrauensstellungen, Männer mit Erfindungsgabe und wissenschaftlicher Einsicht, Männer mit Talent, Lehrer des Evangeliums, deren Aufmerksamkeit noch nicht auf die besonderen Wahrheiten für diese Zeit gelenkt worden ist — diese sollten die ersten sein, die den Ruf hören. Ihnen muss die Einladung gegeben werden. CGl.227.4 Teilen

228

Für die Wohlhabenden muss etwas getan werden. Sie müssen dahin gebracht werden, dass sie ihre Verantwortlichkeit als solche, denen Himmelsgaben anvertraut worden sind, erkennen. Sie müssen daran erinnert werden, dass sie dem, der die Lebendigen und die Toten richten wird, Rechenschaft ablegen müssen. Der reiche Mann bedarf eurer Arbeit in der Liebe und in der Furcht Gottes. Nur zu oft vertraut er auf seine Reichtümer; er kennt seine Gefahr nicht. Die Augen seines Verständnisses sollten auf Dinge gerichtet werden, die dauernden Wert haben. Ihm tut es not, die Autorität der wahren Güte anzuerkennen, welche sagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ Matthäus 11,28-30. CGl.228.1 Teilen

An solche, die infolge ihrer Bildung, ihres Reichtums, oder ihres Berufs eine hohe Stellung in der Welt einnehmen, wendet man sich selten persönlich, um mit ihnen über ihr Seelenheil zu sprechen. Viele christliche Arbeiter scheuen sich davor, sich diesen Klassen zu nähern. Aber das sollte nicht so sein. Wenn ein Mensch am Ertrinken wäre, so würden wir nicht ruhig dabei stehen und ihn umkommen lassen, weil er ein Rechtsanwalt, ein Kaufmann oder ein Richter ist. Würden wir sehen, wie Personen einem steilen Abhang zueilen, so würden wir nicht zögern, sie zurückzuhalten, ganz einerlei, was ihre Stellung oder ihr Beruf auch sein möchte. So sollten wir auch nicht zaudern, Menschen vor der Gefahr zu warnen, welche ihrer Seele droht. CGl.228.2 Teilen

Keiner sollte vernachlässigt werden, weil sein Herz anscheinend an weltlichen Dingen hängt. Viele, die hohe gesellschaftliche Stellungen einnehmen, haben ein krankes Herz und sind des eitlen Treibens überdrüssig; sie sehnen sich nach einem Frieden, der ihnen fehlt. In den höchsten Gesellschaftsklassen gibt es Menschen, die hungern und dürsten nach der Seligkeit. Viele würden die Hilfe annehmen, wenn die Arbeiter des Herrn sich ihnen in freundlicher Weise mit einem von der Liebe Christi durchdrungenen Herzen nahen würden. CGl.228.3 Teilen

229

Der Erfolg der Evangeliumsbotschaft hängt nicht von gelehrten Ansprachen, beredten Zeugnissen oder tiefen Beweisgründen ab. Er hängt davon ab, ob die Botschaft einfach und klar verkündigt wird und dem Verständnis der Seelen angepaßt ist, die nach dem Brot des Lebens hungern. „Was muss ich tun, dass ich selig werde?“ — das ist das Bedürfnis der Seele. CGl.229.1 Teilen

230

Tausende können in der einfachsten und bescheidensten Weise erreicht werden. Die Verständigen, die als die begabtesten Männer und Frauen der Welt betrachtet werden, werden oft erquickt durch die einfachen Worte eines Menschen, der Gott liebt und von Gottes Liebe so natürlich sprechen kann, wie der Weltling von den Dingen, die ihn am meisten interessieren. CGl.230.1 Teilen

Oft machen gut vorbereitete und einstudierte Worte wenig Eindruck. Aber die aufrichtige, ehrliche Äußerung eines Sohnes oder einer Tochter Gottes in natürlicher Einfachheit gesprochen, hat die Kraft, die Tür solcher Herzen zu entriegeln, die lange gegen Christum und seine Liebe verschlossen waren. CGl.230.2 Teilen

Der Arbeiter für Christum sollte bedenken, dass er nicht in seiner eigenen Kraft sich abzumühen hat. Er muss sich an den Thron Gottes klammern, im festen Glauben, dass Gott die Kraft hat zu retten. Er muss im Gebet mit Gott ringen und dann mit allen ihm von Gott gegebenen Fähigkeiten ans Werk gehen. Der Heilige Geist gibt ihm die Tüchtigkeit. Dienende Engel werden an seiner Seite sein, um auf die Herzen einzuwirken. CGl.230.3 Teilen

Was für ein Missionszentrum hätte Jerusalem sein können, wenn die Leiter und Lehrer dort die von Christo gebrachte Wahrheit angenommen hätten! Das abtrünnige Israel würde bekehrt worden sein. Eine große Schar wäre für den Herrn gesammelt und schnell hätte das Evangelium nach allen Teilen der Welt getragen werden können! So ist es auch jetzt. Wenn einflußreiche und fähige Personen für Christum gewonnen würden, dann könnte durch sie ein großes Werk getan werden, indem die Gefallenen aufgerichtet, die Ausgestoßenen wieder aufgenommen und die frohe Botschaft vom Heil weit und breit verkündigt werden könnte. Die Einladung könne schnell ergehen und die Gäste für des Herrn Tisch gesammelt werden. CGl.230.4 Teilen

Doch sollen wir nicht nur an die großen und begabten Menschen denken und die ärmeren Klassen vernachlässigen. Christus gibt seinen Boten die Weisung, auch an die Zäune und Hecken, zu den Armen und Niedrigen der Erde zu gehen. In den Höfen und Gassen der großen Städte, an den einsamen Wegen auf dem Lande sind Familien und einzelne Personen — vielleicht Fremdlinge in einem fremden Lande — die keiner Gemeinde angehören und in ihrer Einsamkeit denken, dass Gott sie vergessen hat. Sie wissen nicht, was sie tun müssen, um selig zu werden. Viele sind in Sünde versunken; viele sind in Elend und Not. Sie werden von Leiden, Mangel, Unglauben und Verzweiflung niedergedrückt oder von Krankheiten aller Art an Leib und Seele heimgesucht. Sie sehnen sich nach Trost in ihrer Trübsal und Satan versucht sie, denselben in den Lüsten und Vergnügungen zu suchen, die zum Verderben und zum Tode führen. Er bietet ihnen Sodomsäpfel an, die auf ihren Lippen zu Asche werden. Sie zählen ihr Geld dar, für etwas, das kein Brot ist, und arbeiten für etwas, davon sie nicht satt werden können. CGl.230.5 Teilen

231

In diesen Leidenden sollen wir Seelen sehen, zu deren Rettung Christus kam. Seine Einladung an sie ist: „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommet her zum Wasser! Und die ihr nicht Geld habt, kommet her, kaufet und esset; kommt her und kauft ohne Geld und umsonst beide, Wein und Milch! ... Höret mir doch zu und esset das Gute, so wird eure Seele am Fetten ihre Lust haben. Neiget eure Ohren her und kommt her zu mir; höret, so wird eure Seele leben.“ Jesaja 55,1-3. CGl.231.1 Teilen

Gott hat ein besonderes Gebot gegeben, dass wir den Fremdling, den Ausgestoßenen und die armen Seelen, die schwach an sittlicher Kraft sind, mit Liebe und Rücksicht behandeln sollen. Viele, die ganz und gar gleichgültig gegen religiöse Dinge zu sein scheinen, sehnen sich in ihrem Herzen nach Ruhe und Frieden. Obgleich sie in die tiefsten Tiefen der Sünde versunken sein mögen, ist es doch noch möglich, sie zu retten. CGl.231.2 Teilen

Die Knechte Christi sollen seinem Beispiel folgen. Indem er von Ort zu Ort ging, tröstete er die Leidenden und heilte die Kranken. Dann führte er ihnen die großen Wahrheiten in Bezug auf sein Reich vor. Dies ist auch die Aufgabe seiner Nachfolger. Indem ihr die Leiden des Körpers lindert, werdet ihr auch Mittel und Wege finden, den Bedürfnissen der Seele abzuhelfen. Ihr könnt auf den erhöhten Heiland hinweisen und von der Liebe des großen Arztes erzählen, der allein die Macht hat, Kranke wieder herzustellen. CGl.231.3 Teilen

232

Sagt den armen Verzweifelnden, die in die Irre gegangen sind, dass sie nicht zu verzweifeln brauchen. Obgleich sie geirrt und nicht den rechten Charakter entwickelt haben, hat Gott doch Freude daran, sie wieder zurückzubringen und ihnen die Freude seines Heils zu geben. Er nimmt gern anscheinend hoffnungsloses Material — Seelen, durch welche Satan gewirkt hat — und macht es zum Gegenstand seiner Gnade. Er hat Freude daran, die Menschen von dem Zorn zu erlösen, der über die Ungehorsamen kommen wird. Sagt ihnen, dass es eine Reinigung, eine Heilung für jede Seele gibt. Da ist ein Platz für sie am Tische des Herrn, und er wartet darauf, sie willkommen zu heißen. CGl.232.1 Teilen

Diejenigen, die hinausgehen an die Landstraßen und Zäune, werden noch ganz andere Charaktere finden, die ihrer Hilfe bedürfen. Es gibt Menschen, die im vollen Einklang mit dem Lichte leben, das sie haben und Gott nach bestem Wissen dienen. Dennoch erkennen sie, dass an ihnen selbst und auch an ihrer Umgebung noch ein großes Werk getan werden muss. Sie verlangen nach größerer Erkenntnis Gottes, obgleich sie nur erst begonnen haben, den Schimmer größeren Lichtes zu sehen. Sie beten unter Tränen, dass Gott ihnen den Segen geben möge, den sie im Glauben von ferne sehen. Inmitten der Gottlosigkeit der großen Städte sind viele dieser Seelen zu finden. Viele von ihnen leben in sehr beschränkten Verhältnissen und werden aus diesem Grunde von der Welt nicht beachtet. Es gibt viele, von denen Prediger und Gemeinden nichts wissen; dennoch sind sie an den niedrigen elenden Örtern des Herrn Zeugen. Sie mögen nur wenig Licht erhalten und wenige Gelegenheiten zur Erlangung christlicher Erziehung gehabt haben, aber inmitten von Blöße, Hunger und Kälte versuchen sie anderen zu dienen. Die Haushalter der mannigfaltigen Gnade Gottes sollten diese Seelen ausfindig machen, sie in ihren Häusern besuchen und durch die Kraft des Heiligen Geistes für ihre Bedürfnisse sorgen. Forscht in der Bibel mit ihnen und betet mit ihnen in der Einfachheit, die der Heilige Geist eingibt. Christus wird seinen Dienern eine Botschaft geben, die den Seelen wie Brot vom Himmel sein wird. Der köstliche Segen wird von Herz zu Herz und von Familie zu Familie gehen. CGl.232.2 Teilen

233

Der im Gleichnis gegebene Auftrag: „Nötige sie, hereinzukommen,“ ist oft falsch gedeutet worden. Man hat daraus die Schlußfolgerung gezogen, dass wir die Menschen zur Annahme des Evangeliums zwingen sollten. Doch wird hiermit nur die Dringlichkeit der Einladung und die Wirksamkeit der vorgebrachten Gründe gezeigt. Das Evangelium wendet niemals Gewalt an, um Menschen zu Christo zu bringen. Seine Botschaft ist: „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommet her zum Wasser!“ „Der Geist und die Braut sprechen: Komm! ... und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst!“ Jesaja 55,1; Offenbarung 22,17. CGl.233.1 Teilen

Der Heiland sagt: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ Offenbarung 3,20. Er läßt sich weder durch Hohn und Verachtung, noch durch Drohungen abweisen, sondern sucht beständig die Verlorenen und sagt: „Wie sollte ich dich hingeben?“ Hosea 11,8 (EB). Obgleich seine Liebe von dem harten Herzen zurückgewiesen wird, kommt er doch wieder und bittet eindringlicher: „Siehe, ich stehe vor der Tür, und klopfe an.“ Die gewinnende Macht seiner Liebe nötigt die Seele, zu ihm zu kommen und sie sagt zu Christo: „Deine Güte erhob mich.“ Psalm 18,36. CGl.233.2 Teilen

Christus will seinen Boten dieselbe verlangende Liebe einpflanzen, die er selbst beim Suchen der Verlorenen hat. Wir sollen nicht nur sagen: Komm! Es gibt Menschen, die den Ruf hören, aber ihre Ohren sind zu taub, um die Bedeutung desselben zu fassen. Ihre Augen sind zu blind, um das Gute, das für sie in Aussicht steht, zu sehen. Viele erkennen ihre große Verkommenheit. Sie sagen: Mir kann nicht mehr geholfen werden; laßt mich nur gehen. Aber die Arbeiter dürfen nicht davon abstehen. Nahet euch den Entmutigten und Hilflosen in herzlicher, mitleidsvoller Liebe. Gebt ihnen euren Mut, eure Hoffnung, eure Kraft. Nötigt sie durch eure Güte zu kommen. „Und haltet diesen Unterschied, dass ihr euch etlicher erbarmet, etliche aber mit Furcht selig machet und rücket sie aus dem Feuer.“ Judas 22-23. CGl.233.3 Teilen

234

Wenn die Knechte Gottes im Glauben mit ihm wandeln, wird er ihrer Botschaft Kraft verleihen. Sie werden imstande sein, seine Liebe und die in Verwerfung der Gnade Gottes liegende Gefahr so zu schildern, dass die Menschen sich zur Annahme des Evangeliums gedrungen fühlen. Christus wird große Wunder verrichten, wenn die Menschen nur den ihnen von Gott aufgetragenen Teil tun wollen. Auch heute noch kann in menschlichen Herzen eine ebenso große Umbildung bewirkt werden wie sie jemals in vergangenen Geschlechtern bewirkt worden ist. John Bunyan, der früher fluchte und ein liederliches Leben führte, John Newton, der zuvor mit Sklaven handelte, beide wurden von dem allen frei und schließlich dahingebracht, einen erhöhten Heiland zu verkündigen. Ein Bunyan und ein Newton kann auch heute noch unter den Menschen erlöst werden. Durch menschliche Werkzeuge, die mit den göttlichen zusammenwirken, kann mancher Ausgestoßene wieder gewonnen werden, der dann seinerseits versuchen wird, das Ebenbild Gottes in dem Menschen wieder herzustellen. Auch solchen, die nur wenig Gelegenheiten hatten, und die auf verkehrten Pfaden gewandelt haben, weil sie von keinem besseren Wege wußten, werden Lichtstrahlen gebracht werden. Wie das Wort Christi: „Ich muss heute zu deinem Hause einkehren“ (Lukas 19,5), an Zachäus erging, so wird es auch an sie ergehen und man wird finden, dass Menschen, die man für verhärtete Sünder hielt, Herzen haben, die so zart wie die der Kinder sind, weil Christus sich herabgelassen hat, ihnen Beachtung zu schenken. Viele werden aus den gröbsten Irrtümern und Sünden herauskommen und die Stelle solcher einnehmen, die mehr Gelegenheiten und größere Vorrechte hatten, aber sie nicht schätzten. Sie werden zu den Erwählten des Herrn gehören, die ihm teuer sind und wenn Christus in seinem Reiche kommen wird, werden sie seinem Throne am nächsten stehen. CGl.234.1 Teilen

235

Aber „sehet zu, dass ihr euch des nicht weigert, der da redet.“ Hebräer 12,25. Jesus sagte: „Ich sage euch aber, dass der Männer keiner, die geladen sind, mein Abendmahl schmecken wird.“ Sie hatten die Einladung verworfen und keiner von ihnen sollte wieder eingeladen werden. Indem die Juden Christum verwarfen, verhärteten sie ihre Herzen und gaben sich in die Macht des Satans, so dass es ihnen unmöglich wurde, seine Gnade anzunehmen. So ist es auch jetzt. Wenn die Liebe Gottes nicht gewürdigt und nicht eine bleibende Grundkraft wird, welche die Seele weich macht und sie überwindet, so sind wir gänzlich verloren. Der Herr kann keine größere Offenbarung seiner Liebe geben, als er gegeben hat. Wenn die Liebe Jesu das Herz nicht beugt, dann gibt es kein anderes Mittel, durch welches wir erreicht werden können. CGl.235.1 Teilen

Jedesmal, wenn du dich weigerst, der Gnadenbotschaft Gehör zu schenken, bestärkst du dich in deinem Unglauben. Jedesmal, wenn du es unterläßt, die Tür deines Herzens Christo zu öffnen, wirst du mehr abgeneigt werden, auf die Stimme dessen zu achten, der da redet. Du verringerst deine Aussicht, dem letzten Gnadenruf Gehör zu schenken. Laß nicht von dir geschrieben werden, wie von Israel vor alters: „Ephraim hat sich zu den Götzen gesellet; so laß ihn hinfahren.“ Hosea 4,17. Lasse Christum nicht über dich weinen, wie er über Jerusalem weinte, als er sage: „Wie oft habe ich wollen deine Kinder versammeln, wie eine Henne ihr Nest unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt. Sehet, euer Haus soll euch wüste gelassen werden.“ Lukas 13,34.35. CGl.235.2 Teilen

Wir leben in der Zeit, in welcher die letzte Gnadenbotschaft, die letzte Einladung an die Menschen ergeht. Der Befehl: „Gehe aus auf die Landstraßen und an die Zäune,“ wird bald ganz ausgeführt sein. Einer jeden Seele wird die Einladung Christi zugehen. Die Boten sagten: „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Himmlische Engel wirken immer noch mit menschlichen Werkzeugen zusammen. Der Heilige Geist lockt dich auf alle mögliche Art und Weise, damit du kommen möchtest. Christus wartet auf irgend ein Anzeichen, dass die Riegel entfernt sind und die Tür deines Herzens ihm offen steht. Engel warten darauf, die frohe Botschaft gen Himmel zu tragen, dass ein anderer verlorener Sünder gefunden ist. Die himmlischen Scharen warten und stehen bereit, in ihre Harfen zu greifen und einen Freudengesang anzustimmen, weil eine andere Seele die Einladung zum Evangeliumsfestmahl angenommen hat. CGl.235.3 Teilen

„Israel, du bringst dich ins Unglück; denn dein Heil steht allein bei mir.“ Hosea 13,9. CGl.235 Teilen

[Auf der Grundlage von Matthäus 18,21-35.] CGl.235 Teilen

241

Petrus war zu Christo gekommen mit der Frage: „Wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündiget, vergeben? Ist’s genug siebenmal?“ Die Rabbiner beschränkten die Ausübung der Vergebung auf drei Vergehen. Petrus, in der Meinung die Lehren Christi zu befolgen, wollte diese Zahl auf sieben, die Zahl der Vollkommenheit ausdehnen. Aber Christus lehrte, dass wir niemals des Vergebens überdrüssig werden sollen. „Nicht siebenmal“ sagte er, „Sondern siebenzigmal siebenmal.“ CGl.241.1 Teilen

Dann zeigte er den wahren Grund, auf welchen hin Vergebung gewährt werden sollte, und die Gefahr, einen unversöhnlichen Geist zu nähren. In einem Gleichnis erzählte er von dem Verfahren eines Königs mit den Beamten, welche seine Regierungsgeschäfte besorgten. Einige dieser Beamten nahmen große, dem Staat gehörige Summen Geldes in Empfang. Als der König die Führung des ihnen anvertrauten Amtes untersuchte, fand er einen Mann, dessen Bericht zeigte, dass er seinem Herrn die große Summe von zehntausend Pfund schuldig war. Er hatte nichts, womit er dieselbe hätte bezahlen können, und dem Landesbrauche gemäß wollte der König ihn mit allem, was er hatte, verkaufen lassen, damit seine Schuld getilgt werden könne. Aber der erschrockene Mann fiel vor ihm nieder, flehte ihn an und sagte: „Habe Geduld mit mir, ich will dir’s bezahlen! Da jammerte den Herrn desselbigen Knechts und ließ ihn los, und die Schuld erließ er ihm auch.“ CGl.241.2 Teilen

243

„Da ging derselbige Knecht hinaus und fand einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Groschen schuldig; und er griff ihn an und würgte ihn und sprach: Bezahle mir, was du mir schuldig bist! Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Habe Geduld mit mir, ich will dir’s alles bezahlen! Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis dass er bezahlte, was er schuldig war. Da aber seine Mitknechte solches sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten vor ihren Herrn alles, das sich begeben hatte. Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du Schalksknecht, alle diese Schuld habe ich dir erlassen, dieweil du mich batest; solltest du denn dich nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmet habe? Und sein Herr ward zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis dass er bezahlte alles, was er ihm schuldig war.“ CGl.243.1 Teilen

Dies Gleichnis führt uns Einzelheiten vor, die zur Darstellung des Bildes notwendig sind, die aber in seiner geistlichen Bedeutung kein Gegenstück finden. Die Aufmerksamkeit sollte deshalb auch nicht auf sie gelenkt werden. Das Gleichnis veranschaulicht gewisse große Wahrheiten und auf diese sollten wir unsere Gedanken richten. CGl.243.2 Teilen

Die von diesem Könige gewährte Verzeihung veranschaulicht die göttliche Vergebung aller Sünde. Christus wird durch den König dargestellt, der, von Mitleid bewegt, seinem Knechte die Schuld erließ. Der Mensch war unter dem Fluch des übertretenen Gesetzes. Er konnte sich selbst nicht retten, und deshalb kam Christus auf diese Welt, bekleidete seine Gottheit mit der Menschheit und gab sein Leben dahin, der Gerechte für die Ungerechten. Er gab sich selbst für unsere Sünden, und bietet jetzt einer jeden Seele die durch sein Blut erkaufte Vergebung an. „Bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm.“ Psalm 130,7. CGl.243.3 Teilen

Hier liegt der Grund, auf welchen hin wir Mitleid gegen unsere Mitsünder bekunden sollten. „Hat uns Gott also geliebet, so sollen wir uns auch untereinander lieben.“ „Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebet es auch.“ 1.Johannes 4,11; Matthäus 10,8. CGl.243.4 Teilen

244

Als der Schuldner im Gleichnis um Aufschub bat, indem er sagte: „Herr, habe Geduld mit mir,“ und das Versprechen gab: „ich will dir’s alles bezahlen,“ da wurde der Urteilsspruch aufgehoben. Die ganze Schuld wurde ihm erlassen; und es wurde ihm bald Gelegenheit gegeben, dem Beispiel seines Herrn, der ihm vergeben hatte, zu folgen. Als er hinausging, fand er einen Mitknecht, der ihm eine kleine Summe schuldete. Ihm waren zehntausend Pfund erlassen worden; sein Schuldner dagegen schuldete ihm nur hundert Groschen. Aber er, mit dem so barmherzig verfahren worden war, behandelte seinen Mitarbeiter in einer ganz anderen Weise. Sein Schuldner richtete eine ähnliche Bitte an ihn, wie die, welche er selbst an den König gerichtet hatte, erzielte aber kein ähnliches Ergebnis. Er, dem erst eben so viel vergeben wurde, war nicht weichherzig und liebevoll. Die ihm erwiesene Barmherzigkeit übte er nicht in der Behandlung seines Mitknechts. Er schenkte der Bitte um Geduld kein Gehör. Dieser undankbare Knecht dachte nur an die kleine Summe, die jener ihm schuldete. Er verlangte alles, was er als ihm zukommend ansah und ließ ein Urteil vollziehen, das jenem ähnlich war, welches zu seinen Gunsten so gnädiglich aufgehoben wurde. CGl.244.1 Teilen

Wie viele bekunden heutzutage denselben Geist? Als der Schuldner seinen Herrn um Gnade bat, hatte er kein rechtes Verständnis von der Größe seiner Schuld. Er erkannte seine Hilflosigkeit nicht. Er hoffte, sich selbst zu erlösen. „Habe Geduld mit mir,“ sagte er, „ich will dir’s bezahlen.“ So gibt es viele, welche durch ihre eigenen Werke Gottes Gnade zu verdienen hoffen. Sie erkennen ihre Hilflosigkeit nicht. Sie nehmen die Gnade Gottes nicht als eine freie Gabe an, sondern versuchen, sich durch ihre eigene Gerechtigkeit aufzubauen. Ihre Herzen sind nicht durch die Erkenntnis der Sünde gebrochen und gedemütigt, sie sind streng und unversöhnlich gegen andere. Ihre eigenen Sünden gegen Gott sind im Vergleich mit denen ihres Bruders gegen sie, wie zehntausend Pfund gegen hundert Groschen — etwa wie eine Million sich zu Eins verhält — aber dennoch wagen sie es, unversöhnlich und streng zu sein. CGl.244.2 Teilen

245

Im Gleichnis ließ der Herr den unbarmherzigen Schuldner vor sich fordern und sprach zu ihm: „Du Schalksknecht, alle diese Schuld habe ich dir erlassen, dieweil du mich batest; solltest du denn dich nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmet habe? Und sein Herr ward zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis dass er bezahlte alles, was er ihm schuldig war.“ „Also,“ sagte Jesus, „wird euch mein himmlischer Vater auch tun, so ihr nicht vergebet von eurem Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler.“ Ein Mensch, welcher sich weigert, zu vergeben, wirft dadurch seine eigene Hoffnung auf Vergebung fort. CGl.245.1 Teilen

Aber die in diesem Gleichnis liegende Lehre sollte nicht falsch angewandt werden. Die uns von Gott zuteil werdende Vergebung verringert in keiner Weise unsere Pflicht, ihm zu gehorchen. So hebt auch der gegen unsere Mitmenschen bekundete Geist der Vergebung nicht die gerechten Verpflichtungen auf. In dem Gebet, welches Jesus seine Jünger lehrte, sagte er: „Vergib uns unsere Schulden, wie wir unsern Schuldigern vergeben.“ Matthäus 6,12. Er wollte hierdurch keineswegs sagen, dass wir, um die Vergebung unserer Sünden zu erlangen, das, was uns rechtmäßig gehört, von unsern Schuldnern nicht fordern dürfen. Wenn sie nicht bezahlen können, selbst wenn es die Folge unweiser Wirtschaft ist, sollen wir sie nicht ins Gefängnis werfen und bedrücken lassen oder sie auch nur hart behandeln; das Gleichnis lehrt uns aber nicht, die Trägheit zu ermutigen. Im Worte Gottes steht geschrieben: „So jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen.“ 2.Thessalonicher 2,10. Der Herr verlangt von dem schwer arbeitenden Menschen nicht, andere in ihrer Trägheit zu unterstützen. Viele geraten infolge von Zeitverschwendung oder Mangel an Strebsamkeit in Armut und Not. Wenn diese Fehler nicht abgelegt werden, so wird alles, was für solche Personen getan wird, doch nur so sein, als ob man einen Schatz in einen löcherigen Sack täte. Doch gibt es auch eine unvermeidliche Armut und wir sollen Liebe und Mitleid gegen Unglückliche bekunden. Wir sollen andere so behandeln, wie wir unter gleichen Umständen behandelt werden möchten. CGl.245.2 Teilen

246

Der Heilige Geist legt uns durch den Apostel Paulus folgendes ans Herz: „Ist nun bei euch Ermahnung in Christo, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so erfüllet meine Freude, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einhellig seid, nichts tut durch Zank oder eitle Ehre, sondern durch Demut achte einer den andern höher denn sich selbst; und ein jeglicher sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was des anderen ist. Ein jeglicher sei gesinnet, wie Jesus Christus auch war.“ Philipper 2,1-5. CGl.246.1 Teilen

Aber wir sollen es in keine Weise leicht mit der Sünde nehmen. Der Herr hat uns geboten, nicht zu dulden, dass unser Bruder unrecht tue. Er sagt: „So dein Bruder an dir sündiget, so strafe ihn.“ Lukas 17,3. Die Sünde soll bei ihrem rechten Namen genannt und dem, der sie begeht, klar vorgehalten werden. CGl.246.2 Teilen

In seiner Mahnung an Timotheus sagt Paulus, durch Eingebung des Heiligen Geistes schreibend: „Predige das Wort, halte an, es sei zu rechter Zeit oder zur Unzeit; strafe, dräue, ermahne mit aller Geduld und Lehre.“ Und an Titus schreibt er: „Es sind viel freche und unnütze Schwätzer und Verführer ... Strafe sie scharf, auf dass sie gesund seien im Glauben.“ 2.Timotheus 4,2; Titus 1,10-13. CGl.246.3 Teilen

247

„Sündiget aber dein Bruder an dir,“ sagte Christus, „so gehe hin und strafe ihn zwischen dir und ihm allein. Höret er dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Höret er dich nicht, so nimm noch einen oder zwei zu dir, auf dass alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Munde. Höret er die nicht, so sage es der Gemeinde. Höret er die Gemeinde nicht, so halte ihn als einen Heiden und Zöllner.“ Matthäus 18,15-17. CGl.247.1 Teilen

Unser Herr lehrt, dass, wenn sich Mißhelligkeiten zwischen Christen erheben, solche in der Gemeinde geschlichtet werden sollen. Sie sollten nicht vor Menschen gebracht werden, die Gott nicht fürchten. Wenn einem Christen von seinem Bruder unrecht getan wird, so sollte er sich nicht an Ungläubige in einem Gerichtshof wenden. Er sollte der von Christo gegebenen Unterweisung folgen. Anstatt zu versuchen, sich zu rächen, sollte er darnach trachten, seinen Bruder zu retten. Gott wird die Angelegenheiten derer schützen, die ihn lieben und fürchten, und wir können in voller Zuversicht unsere Fälle dem anheimstellen, der recht richtet. CGl.247.2 Teilen

Nur zu oft glaubt der Geschädigte, wenn ihm wieder und wieder Unrecht zugefügt wird, selbst wenn der Betreffende seine Schuld bekennt, dass er doch jetzt genug vergeben habe. Aber der Heiland hat uns klar und deutlich gesagt, wie wir mit den Irrenden verfahren sollen: „So dein Bruder an dir sündiget, so strafe ihn; und so es ihn reuet, vergib ihm.“ Lukas 17,3. Stoße ihn nicht weg von dir und betrachte ihn nicht als deines Vertrauens unwürdig. „Siehe auf dich selbst, dass du nicht auch versuchet werdest.“ Galater 6,1. CGl.247.3 Teilen

Wenn deine Brüder irren, so sollst du ihnen vergeben. Wenn sie zu dir kommen und bekennen, so sollst du nicht sagen: „Ich glaube nicht, dass sie demütig genug sind, ich glaube nicht, dass sie es mit ihrem Bekenntnis aufrichtig meinen.“ Was für ein Recht hast du, sie zu richten, als ob du das Herz lesen könntest? Das Wort Gottes sagt: „So es ihn reuet, vergib ihm. Und wenn er siebenmal des Tages an dir sündigen würde und siebenmal des Tages wiederkäme zu dir und spräche: Es reuet mich! so sollst du ihm vergeben.“ Lukas 17,3.4. Und nicht nur siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal — gerade so oft wie Gott dir vergibt. CGl.247.4 Teilen

248

Wir selbst schulden alles der freien Gnade Gottes. Die Gnade im Bunde Gottes macht uns zu Kindern Gottes. Die Gnade unseres Heilandes bewirkte unsere Erlösung, unsere Wiedergeburt und unsere Erhebung zu Miterben Christi. Laßt diese Gnade auch anderen kundgetan werden. CGl.248.1 Teilen

Gebt dem Irrenden keinen Anlaß, entmutigt zu sein. Laßt keine pharisäische Härte aufkommen und eurem Bruder wehe tun. Nehmt euch in acht, damit nicht etwa ein bitteres Gefühl in eurem Herzen aufsteige. Laßt auch nicht eine Spur von Hohn durch eure Stimme bekundet werden. Es mag der Seele zum Verderben gereichen, wenn ihr ein Wort aus euch selbst sprecht, wenn ihr eine gleichgültige Stellung einnehmt, oder Mißtrauen oder Argwohn zeigt. Sie bedarf eines Bruders mit dem mitleidsvollen Herzen unseres älteren Bruders, um ihr menschliches Herz zu rühren. Laßt sie den festen Druck einer teilnehmenden Hand fühlen und die sanften Worte hören: Lass uns beten! Gott wird euch beiden eine herrliche Erfahrung geben. Das Gebet verbindet uns miteinander und mit Gott. Das Gebet bringt Jesum an unsere Seite und gibt der schwachen, durch Sorgen und Schwierigkeiten niedergedrückten Seele Kraft, die Welt, das Fleisch und den Teufel zu überwinden. Das Gebet wendet die Angriffe Satans ab. CGl.248.2 Teilen

Wenn man sich von menschlicher Unvollkommenheit abwendet, um Jesum zu sehen, findet eine göttliche Umbildung des Charakters statt. Der auf das Herz einwirkende Geist Christi verwandelt es in sein Ebenbild. Laßt also euer Bestreben sein, Jesum zu erheben und das Glaubensauge auf „Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt“ (Johannes 1,29), zu richten. Indem ihr das tut, bedenkt, „dass wer den Sünder bekehret hat von dem Irrtum seines Weges, der hat einer Seele vom Tode geholfen und wird bedecken die Menge der Sünden.“ Jakobus 5,20. CGl.248.3 Teilen

„Wo ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben.“ Matthäus 6,15. Nichts kann einen unversöhnlichen Geist rechtfertigen. Wer unbarmherzig gegen andere ist, zeigt dadurch, dass ihm selbst die vergebende Gnade Gottes nicht zuteil geworden ist. Durch Gottes Vergebung wird das Herz des Irrenden fest an das große Herz der ewigen Liebe gezogen. Die Flut göttlichen Erbarmens fließt in des Sünders Seele und von ihm zu den Seelen anderer. Die Liebe, die Barmherzigkeit, welche Christus in seinem köstlichen Leben offenbarte, wird auch in denen gesehen werden, die seiner Gnade teilhaftig geworden sind. „Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.“ Römer 8,9. Er ist von Gott getrennt und wird auf ewig von ihm getrennt bleiben. CGl.248.4 Teilen

249

Er mag vielleicht einmal Vergebung empfangen haben, aber seine Unbarmherzigkeit zeigt, dass er jetzt Gottes vergebende Liebe verwirft. Er hat sich von Gott getrennt und ist deshalb in demselben Zustande, in dem er war, ehe ihm vergeben wurde. Er hat seine Reue verleugnet und seine Sünden sind auf ihm, als ob er sie nie bereut hätte. CGl.249.1 Teilen

Aber die in diesem Gleichnis enthaltene große Lehre liegt in dem Gegensatz des Erbarmens Gottes zu der Hartherzigkeit des Menschen — in der Tatsache, dass Gottes vergebende Gnade für uns das Maß ist, wie wir vergeben sollen. „Solltest du denn dich nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmet habe?“ CGl.249.2 Teilen

Uns wird nicht vergeben, weil wir vergeben, sondern wie wir vergeben. Der Grund aller Vergebung liegt in der unverdienten Liebe Gottes; aber durch unsere Handlungsweise gegen andere zeigen wir, ob wir uns jene Liebe angeeignet haben. Deshalb sagt Christus: „Mit welcherlei Gerichte ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden.“ Matthäus 7,2. CGl.249.3 Teilen

[Auf der Grundlage von Lukas 12,13-21.] CGl.249 Teilen

250

Christus lehrte; und wie gewöhnlich hatten sich außer seinen Jüngern auch noch andere um ihn geschart. Er hatte zu den Jüngern von den Begebenheiten gesprochen, an denen sie bald einen tätigen Anteil nehmen sollten. Sie sollten die ihnen anvertrauten Wahrheiten verbreiten und würden in Schwierigkeiten geraten mit den Herrschern dieser Welt. Um seinetwillen würden sie vor Obrigkeiten und Gewaltige geführt werden. Er hatte ihnen eine Weisheit verheißen, der niemand widersprechen konnte und durch seine Worte, welche die Herzen der Menge bewegten und seine verschmitzten Feinde in Verwirrung brachten, bezeugte er die Kraft jenes innewohnenden Geistes, welchen er seinen Nachfolgern verheißen hatte. CGl.250.1 Teilen

Aber es waren viele dort, welche Gottes Gnade nur zu haben wünschten, um ihren selbstsüchtigen Zwecken zu dienen. Sie erkannten die wunderbare Kraft Christi an, wenn er die Wahrheit in einem so klaren Lichte vorführte. Sie hörten die Verheißungen, seinen Nachfolgern Weisheit zu verleihen, um vor Obrigkeiten und Gewaltigen reden zu können. Würde er seine Kraft nicht auch zu ihrem irdischen Nutzen verwenden? CGl.250.2 Teilen

251

„Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile.“ Gott hatte durch Moses Anweisungen über das Erbrecht gegeben. Der älteste Sohn erhielt einen doppelten Anteil von allem Besitztum des Vaters (5.Mose 21,17), während die jüngeren Brüder gleiche Teile bekamen. Dieser Mann glaubt, dass sein Bruder ihn um sein Erbteil betrogen habe. Seine eigenen Bestrebungen, das zu erlangen, was ihm nach seiner Meinung gebührt, sind fruchtlos geblieben; wenn Christus sich für die Sache verwenden will, so wird er seine Absicht sicherlich erreichen. Er hat Christi anregende Aufforderungen und seine gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten erhobenen ernsten Androhungen gehört. Wenn seinem Bruder solche gebietende Worte gesagt würden, dann würde er es nicht wagen, ihm, dem beeinträchtigten Mann, seinen Anteil vorzuenthalten. CGl.251.1 Teilen

Inmitten der von Christo gegebenen feierlichen Mahnungen offenbarte dieser Mann seine selbstsüchtige Gesinnung. Er kannte wohl die Fähigkeit des Herrn an, seine zeitlichen Angelegenheiten fördern zu können, aber geistliche Wahrheiten hatten keinen Eindruck auf sein Herz und Gemüt gemacht. Die Erlangung des Erbteils war der eine, seine Aufmerksamkeit völlig in Anspruch nehmende und alles andere in den Hintergrund stellende Gedanke. Jesus, der König der Herrlichkeit, der reich war, aber um unseretwillen arm wurde, eröffnete ihm die Schätze göttlicher Liebe. Der Heilige Geist wirkte an ihm und versuchte ihn dahin zu bringen, doch vor allem ein Erbe jenes „unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbes, das behalten wird im Himmel“, zu werden. 1.Petrus 1,4. Er hatte den Beweis der Kraft Christi gesehen und hatte jetzt die Gelegenheit, zu dem großen Lehrer zu sprechen und ihm seinen innigsten Herzenswunsch auszudrücken. Aber wie der Mann mit dem Rechen in Bunyans Allegorie nach unten blickte, so waren auch seine Augen auf die Erde gerichtet. Er sah nicht die über seinem Haupte befindliche Krone. Wie Simon Magus, hielt auch er die Gabe Gottes für ein Mittel zur Erlangung irdischen Gewinnes. CGl.251.2 Teilen

Des Heilandes Mission auf Erden näherte sich schnell ihrem Abschluss. Es blieben ihm nur noch wenige Monate, um das zu vollenden, wozu er gekommen war, nämlich das Reich seiner Gnade zu begründen; aber menschliche Habgier wollte ihn jetzt von seinem Werke abhalten, dadurch dass er den Streit über ein Stück Land entscheiden sollte. Jesus jedoch ließ sich nicht von seiner Mission abbringen. Seine Antwort war: „Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch gesetzt?“ CGl.251.3 Teilen

252

Jesus könnte diesem Manne gesagt haben, was recht war. Er wußte, wer in diesem Fall recht hatte; aber diese Brüder waren im Streit, weil sie habsüchtig waren. Christus sagte deutlich: Es ist nicht meine Aufgabe, Streitfragen dieser Art zu schlichten. Er kam zu einem anderen Zwecke, nämlich das Evangelium zu predigen, und dadurch die Menschen für ewige Wirklichkeiten empfänglich zu machen. CGl.252.1 Teilen

In der Art und Weise, wie Christus diesen Fall behandelte, liegt eine Lehre für alle, die in seinem Namen wirken. Als er die Zwölfe aussandte, sagte er: „Gehet aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeikommen. Machet die Kranken gesund, reiniget die Aussätzigen, wecket die Toten auf, treibet die Teufel aus. Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebet es auch.“ Matthäus 10,7.8. Sie sollten nicht die irdischen Angelegenheiten der Menschen schlichten; ihre Aufgabe bestand darin, die Menschen dahin zu bringen, sich mit Gott versöhnen zu lassen. Hierdurch konnten sie der Menschheit zum Segen gereichen. Das einzige Heilmittel gegen die Sünden und Leiden der Menschen ist Christus. Das Evangelium von seiner Gnade allein kann die Übel heilen, die der Fluch der menschlichen Gesellschaft sind. Die Ungerechtigkeit der Reichen gegen die Armen, und auch der Haß der Armen gegen die Reichen haben ihre Wurzel in der Selbstsucht; und diese kann nur durch Hingabe an Christum ausgerottet werden. Er allein kann an die Stelle des selbstsüchtigen, sündigen Herzens das neue, liebende Herz geben. Die Diener Christi sollten das Evangelium durch den vom Himmel gesandten Geist predigen und, wie Christus tat, zum Wohl der Menschen wirken. Dann werden sich solche Ergebnisse zeigen und die Menschen so gesegnet und erhoben werden, wie es durch menschliche Macht unmöglich erreicht und getan werden kann. CGl.252.2 Teilen

253

Unser Herr berührte die Wurzel der Sache, die diesen Fragesteller beunruhigte, sowie aller ähnlichen Streitfragen, indem er sagte: „Sehet zu und hütet euch vor dem Geiz; denn niemand lebet davon, dass er viele Güter hat.“ CGl.253.1 Teilen

„Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, des Feld hatte wohl getragen, Und er gedachte bei ihm selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nicht, da ich meine Früchte hinsammle. Und sprach: Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will drein sammeln alles, was mir gewachsen ist, und meine Güter; und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viel Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut. Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wes wird’s sein, das du bereitet hast? Also gehet es, wer sich Schätze sammelt und ist nicht reich in Gott.“ CGl.253.2 Teilen

254

Durch das Gleichnis vom törichten, reichen Menschen zeigte Christus die Torheit derer, welche einzig und allein für diese Welt leben. Dieser Mann hatte alles von Gott empfangen. Die Sonne hatte auf sein Land geschienen, denn ihre Strahlen fallen auf die Gerechten und die Ungerechten. Den Regen sendet Gott ebensowohl auf die Bösen als auch auf die Guten herab. Der Herr hatte den Pflanzen Gedeihen geschenkt und das Feld wohl tragen lassen. Der reiche Mann war in Verlegenheit und wußte nicht recht, was er mit seinem Getreide tun sollte. Seine Scheunen waren überfüllt und er hatte keinen Platz, wo er den übrigen Teil der Ernte hätte aufbewahren können. Er dachte nicht an Gott, dem er alle diese Gnadengaben zu verdanken hatte. Er erkannte nicht, dass Gott ihn zu einem Haushalter seiner Güter gemacht habe, damit er den Bedürftigen helfen möge. Er hatte eine herrliche Gelegenheit, Gottes Almosenpfleger zu sein, aber er war darauf bedacht, sich selbst gütlich zu tun. CGl.254.1 Teilen

255

Die Lage des Armen, des Waisen, der Witwe, des Leidenden, des Betrübten war diesem reichen Manne nicht unbekannt; es gab viele Plätze, an denen er guten Gebrauch von seinen Gütern hätte machen können. Er hätte sich leicht eines Teils seines Überflusses entledigen können und viele Familien wären dadurch des Mangels enthoben, viele Hungrige gespeist, viele Nackte gekleidet, viele Herzen erfreut, viele Gebete um Brot und Kleidung erhört worden und Loblieder wären zum Himmel gestiegen. Der Herr hatte die Gebete der Bedürftigen gehört und mit seinen Gütern für die Armen gesorgt. Reichliche Vorkehrungen, um den Bedürfnissen vieler abzuhelfen, waren durch die Segnungen, die dem reichen Manne gegeben waren, getroffen worden, aber er verschloß sein Herz gegen das Rufen der Bedürftigen und sagte zu seinen Knechten: „Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will drein sammeln alles, was mir gewachsen ist, und meine Güter, und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viel Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut.“ CGl.255.1 Teilen

Die Ziele dieses Mannes waren nicht höher, als die der Tiere, welche vergehen und umkommen. Er lebte, als ob es keinen Gott, keinen Himmel und kein zukünftiges Leben gäbe — als ob alles, was er besaß sein Eigentum sei, und er weder Gott noch Menschen etwas schulde. Der Psalmist beschrieb diesen Menschen also: „Die Toren sprechen in ihrem Herzen: es ist kein Gott.“ Psalm 14,1. CGl.255.2 Teilen

256

Dieser Mann hat für sich selbst gelebt und geplant. Er sieht jetzt, dass auch für die Zukunft reichlich vorhanden ist; es bleibt ihm nichts anderes zu tun übrig, als die Früchte seiner Arbeit zu bewahren und zu genießen. Er hält sich für begünstigt vor anderen Menschen und schreibt das seiner weisen Verwaltung zu. Er wird von seinen Mitbürgern als ein Mann von gesundem Urteil und als wohlhabender Bürger geehrt; „man preiset’s wenn einer sich gütlich tut.“ Psalm 49,19. CGl.256.1 Teilen

Aber „dieser Welt Weisheit ist Torheit bei Gott.“ 1.Korinther 3,19. Während der reiche Mann Jahren des Genusses und der Freude entgegensieht, hat der Herr ganz andere Pläne. An den ungetreuen Haushalter ergeht die Botschaft: „Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern.“ Hier ist eine Forderung, die durch Geld nicht befriedigt werden kann. Der von ihm aufgehäufte Schatz kann ihm keine Frist erkaufen. In einem Augenblick wird das, was er durch lebenslange Arbeit erzielt hat, für ihn wertlos. „Und wes wird’s sein, das du bereitet hast?“ Seine weiten Felder und gefüllten Kornhäuser werden seinem Besitz entrückt. „Sie sammeln und wissen nicht, wer es einnehmen wird.“ Psalm 39,7. CGl.256.2 Teilen

Das einzige, das ihm jetzt von Wert sein würde, hat er sich nicht gesichert. Indem er für das eigene Ich lebte, hat er jene göttliche Liebe, die sich in Barmherzigkeit gegen seine Mitmenschen offenbart, verworfen. Dadurch hat er das Leben verworfen. Denn Gott ist Liebe, und Liebe ist Leben. Dieser Mann hat das Irdische dem Geistlichen vorgezogen und muss mit dem Irdischen dahinfahren. „Wenn ein Mensch in Ansehen ist und hat keinen Verstand, so fähret er davon wie ein Vieh.“ Psalm 49,21. CGl.256.3 Teilen

„Also gehet es, wer sich Schätze sammelt und ist nicht reich in Gott.“ Das Bild ist ein treffendes für alle Zeit. Du magst Pläne zur Befriedigung deines selbstsüchtigen Strebens legen, du magst Schätze sammeln, du magst große und hohe Häuser bauen, wie der Erbauer des alten Babylon; aber du kannst keine so hohe Mauer, kein so starkes Tor bauen, dass die Boten des Verderbens dadurch ausgeschlossen werden können. Der König Belsazer machte ein herrlich Mahl mit seinen Gewaltigen und sie lobten „die silbernen, güldnen, ehernen, eisernen, hölzernen und steinernen Götter“. Aber die Hand eines Unsichtbaren schrieb auf die Wand jene verhängnisvollen Worte, und das Herannahen feindlicher Truppen wurde an den Toren seines Palastes gehört. „In derselbigen Nacht ward der Chaldäer König Belsazer getötet“ (Daniel 5,30), und ein fremder Monarch kam auf den Thron. CGl.256.4 Teilen

257

Für sich selbst leben heißt vergehen. Der Geiz, das Verlangen, es dem eigenen Ich bequem zu machen, schneidet die Seele vom Leben ab. Der Geist Satans bekundet sich durch das Verlangen, etwas zu erhalten, etwas an sich zu ziehen; der Geist Christi jedoch bekundet sich im Geben und Aufopfern zum Besten anderer. „Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben hat gegeben; und solches Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht.“ 1.Johannes 5,11.12. CGl.257.1 Teilen

Deshalb sagt er: „Sehet zu und hütet euch vor dem Geiz; denn niemand lebet davon, dass er viel Güter hat.“ CGl.257.2 Teilen

[Auf der Grundlage von Lukas 16,19-31.] CGl.257 Teilen

258

Im Gleichnis von dem reichen Mann und dem armen Lazarus zeigt Christus, dass die Menschen in diesem Leben über ihr ewiges Schicksal entscheiden. Während der Prüfungszeit dieses kargen Erdenlebens wird Gottes Gnade einer jeden Seele angeboten; aber wenn die Menschen die ihnen gebotenen Gelegenheiten in ihrer Selbstbefriedigung vergeuden, dann schneiden sie sich vom ewigen Leben ab. Keine zweite Gnadenzeit wird ihnen gewährt werden. Durch ihre eigene Wahl haben sie eine unübersteigbare Kluft zwischen sich und Gott geschaffen. CGl.258.1 Teilen

Dies Gleichnis legt den Unterschied klar zwischen den Reichen, die Gott nicht vertrauen, und den Armen, die ihr Vertrauen auf Gott setzen. Christus zeigt, dass die Zeit kommen wird, in welcher die Lage der zwei Klassen eine umgekehrte sein wird. Wer arm an Gütern dieser Welt ist, aber dennoch Gott vertraut und in seinem Leiden geduldig ist, wird eines Tages weit über diejenigen erhöht werden, die jetzt die höchsten Stellungen einnehmen, welche die Welt bieten kann, aber ihr Leben nicht Gott geweiht haben. CGl.258.2 Teilen

„Es war aber ein reicher Mann,“ sagte Christus, „der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand, und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer, mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären, und begehrte, sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tische fielen.“ CGl.258.3 Teilen

259

Der reiche Mann gehörte nicht zu der Klasse, die durch den ungerechten Richter dargestellt wird, welcher offen erklärte, dass er Gott nicht fürchte und sich vor keinem Menschen scheue. Er behauptete, ein Sohn Abrahams zu sein; er mißhandelte den Bettler nicht und forderte auch nicht von ihm, dass er fortgehe, weil sein Anblick ihm unangenehm sei. Wenn dieser arme, ekelerregende Mensch dadurch getröstet werden könnte, dass er ihn anblickte, wenn er aus- und einging, so war der reiche Mann vollkommen willens, dass er da verbleibe. Aber seine Selbstsucht machte ihn gleichgültig gegen die Bedürfnisse seines leidenden Bruders. CGl.259.1 Teilen

Es gab damals keine Hospitäler, in welchen die Kranken versorgt werden konnten. Leidende und Bedürftige wurden unter die Beachtung solcher gebracht, denen der Herr Güter anvertraut hatte, damit ihnen Hilfe und Teilnahme erwiesen werde. Dies war auch mit dem armen Mann der Fall. Lazarus war der Hilfe sehr bedürftig, denn er war ohne Freunde, ohne Heim, ohne Geld und ohne Nahrung. Er musste Tag für Tag in diesem Zustande bleiben, während dem reichen Edelmann alle Bedürfnisse befriedigt wurden. Er, dem es doch leicht geworden wäre, die Leiden seines Mitmenschen zu lindern, lebte für sich selbst, wie es heutzutage so viele tun. CGl.259.2 Teilen

In unserer allernächsten Umgebung gibt es auch heute viele, die hungrig, nackt und heimatlos sind. Wenn wir es vernachlässigen diesen Bedürftigen und Leidenden von unsern Mitteln mitzuteilen, so laden wir auf uns eine Schuld, für welche wir eines Tages Rechenschaft ablegen müssen. Aller Geiz ist als Abgötterei verdammt. Alle selbstsüchtige Befriedigung ist in Gottes Augen ein Verbrechen. CGl.259.3 Teilen

Gott hatte den reichen Mann zu einem Haushalter seiner Güter gemacht und es war seine Pflicht, für solche Leute, wie gerade jener Arme war, zu sorgen. Der Herr hatte das Gebot gegeben: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allem Vermögen,“ und „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ 5.Mose 6,5; 3.Mose 19,18. Der reiche Mann war ein Jude und als solcher mit dem Befehl Gottes bekannt. Aber er vergaß, dass er für die Verwendung der ihm anvertrauten Mittel und Fähigkeiten verantwortlich war. Der Herr hatte ihn reichlich gesegnet, aber er benutzte die Gaben in selbstsüchtiger Weise, um sich selbst zu ehren und nicht seinen Schöpfer. Nach dem Maße, wie der Herr ihn gesegnet hatte, lag auch die Verpflichtung auf ihm, seine Gaben zum Nutzen und Segen der Menschheit anzuwenden. Dies war des Herrn Gebot, aber der reiche Mann dachte gar nicht an seine Pflicht gegen Gott. Er lieh Geld aus und nahm Zinsen für das Ausgeliehene; aber er gab keine Zinsen für das, was Gott ihm geliehen hatte. Er besaß Kenntnisse und hatte Gaben, benutzte sie aber nicht. Seine Verantwortlichkeit gegen Gott vergessend, weihte er alle seine Kräfte der Selbstbefriedigung. Seine ganze Umgebung, die ganze Runde von Vergnügungen, die Lobeserhebungen und Schmeicheleien seiner Freunde erhöhten seine selbstsüchtige Freude. Die Gesellschaft seiner Freunde nahm ihn so sehr in Anspruch, dass er alles Verständnis für die ihm anvertraute Aufgabe, als Mitarbeiter Gottes den Leidenden zu dienen, verlor. Er hatte Gelegenheit gehabt, das Wort Gottes zu verstehen und dessen Lehren zu befolgen, aber die von ihm gewählte, vergnügungssüchtige Gesellschaft beschäftigte ihn so sehr, dass er des ewigen Gottes vergaß. CGl.259.4 Teilen

260

Es kam die Zeit, in welcher eine Änderung in den Verhältnissen der zwei Männer eintrat. Der Arme hatte Tag für Tag gelitten, aber sein Leiden ruhig und geduldig ertragen. Er starb und wurde begraben. Niemand trauerte um ihn, aber durch seine im Leiden bewiesene Geduld hatte er für Christum gezeugt, hatte er die Prüfung seines Glaubens bestanden, und nach seinem Tode wird er uns dargestellt als von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. CGl.260.1 Teilen

Lazarus stellt die an Christum glaubenden, leidenden Armen dar. Wenn die Posaune erschallt und alle, die in den Gräbern sind, die Stimme Christi hören und hervorkommen, werden sie ihre Belohnung erhalten, denn ihr Glaube an Gott war ihnen nicht nur eine Lehre, sondern eine Wirklichkeit. CGl.260.2 Teilen

261

„Der Reiche aber starb auch und ward begraben. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hub er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. Und er rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich mein und sende Lazarus, dass er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme.“ CGl.261.1 Teilen

In diesem Gleichnis nahm Jesus Rücksicht auf eine unter dem Volke herrschende Ansicht. Viele der Zuhörer Christi hingen der Lehre von einem bewußten Zustande zwischen dem Tode und der Auferstehung an. Der Heiland war mit ihren Ansichten bekannt und kleidete deshalb sein Gleichnis so ein, dass es diesen Leuten vermittels ihrer vorgefaßten Ansichten wichtige Wahrheiten vorführen konnte. Er hielt seinen Zuhörern einen Spiegel vor, in dem sie sich in ihrem wahren Verhältnis zu Gott sehen konnten. Er benutzte die vorherrschende Ansicht, um den einen Gedanken, den er besonders hervorzuheben wünschte, klar zu machen — dass nämlich kein Mensch nach seinen Besitztümern geschätzt wird, weil alles, was er hat, ihm nur vom Herrn geliehen ist. Der Mißbrauch dieser Gaben stellt ihn niedriger als den ärmsten und elendesten Menschen, der Gott liebt und ihm vertraut. CGl.261.2 Teilen

Christus wollte es seinen Zuhörern verständlich machen, dass es den Menschen unmöglich ist, nach dem Tode ihr Seelenheil zu sichern. Das Gleichnis läßt Abraham antworten: „Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeiniget. Und über das alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestiget, dass, die da wollten von hinnen hinabfahren zu euch, könnten nicht, und auch nicht von dannen zu uns herüberfahren.“ Auf diese Weise zeigte Christus, wie hoffnungslos die Aussicht auf eine zweite Gnadenzeit ist. Dies Leben ist die einzige Zeit, die den Menschen gegeben wird, um sich für die Ewigkeit vorzubereiten. CGl.261.3 Teilen

Der reiche Mann hatte den Gedanken nicht aufgegeben, ein Kind Abrahams zu sein und wird dargestellt, wie er in seiner Not ihn um Hilfe anruft. „Vater Abraham,“ bat er, „erbarme dich mein.“ Er richtete seine Bitte nicht an Gott, sondern an Abraham. Dadurch zeigte er, dass er Abraham über Gott stellte und durch sein Verhältnis zu Abraham selig zu werden glaubte. CGl.261.4 Teilen

262

Der Schächer am Kreuz richtete seine Bitte an Christum. „Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst“ (Lukas 23,42), sagte er; und sofort kam die Antwort: Wahrlich, ich sage dir heute (da ich in Demütigung und Leiden am Kreuze hänge), du wirst mit mir im Paradiese sein. Aber der reiche Mann richtete seine Bitte an Abraham, und sie wurde nicht erhört. Christus allein ist „erhöhet zu einem Fürsten und Heiland, zu geben Israel Buße und Vergebung der Sünden;“ „und ist in keinem andern Heil.“ Apostelgeschichte 5,31; Apostelgeschichte 4,12. CGl.262.1 Teilen

Der reiche Mann hatte sein ganzes Leben hindurch darnach getrachtet, sich selbst zu befriedigen und sah jetzt zu spät, dass er keine Vorkehrung für die Ewigkeit getroffen hatte. Er erkannte seine Torheit und dachte an seine Brüder, die fortfahren würden, ihren Lüsten zu leben, wie er es getan hatte. Deshalb stellte er die Forderung: „So bitte ich dich, Vater, dass du ihn (Lazarus) sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, dass er ihnen bezeuge, auf dass sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual.“ Aber „Abraham sprach zu ihm: Sie haben Mose und die Propheten; laß sie dieselbigen hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham; sondern, wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob jemand von den Toten aufstünde.“ CGl.262.2 Teilen

Als der reiche Mann darum bat, seinen Brüdern noch weitere Beweise zugehen zu lassen, da wurde ihm klar gesagt, dass, selbst wenn dieser Beweis ihnen gegeben würde, sie doch nicht überzeugt werden würden. Seine Forderung belastete Gott. Es war, als ob der reiche Mann gesagt hätte: wenn du mich mehr und gründlicher gewarnt hättest, so würde ich jetzt nicht hier sein. Abraham wird dargestellt, als ob er in seiner Antwort auf diese Bitte sagte: Deine Brüder sind genügend gewarnt worden, es ist ihnen Licht gegeben worden, aber sie wollten nicht sehen; die Wahrheit ist ihnen gebracht worden, aber sie wollten nicht hören. CGl.262.3 Teilen

263

„Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob jemand von den Toten aufstünde.“ Diese Worte haben sich in der Geschichte des jüdischen Volkes bewahrheitet. Das letzte Wunder Christi, wodurch er sozusagen allen von ihm verrichteten Wundern die Krone aufsetzte war die Auferweckung des Lazarus von Bethanien, der schon vier Tage tot gewesen war. Dieser wunderbare Beweis für die Gottheit des Heilandes wurde den Juden gegeben, aber sie verwarfen ihn. Lazarus stand von den Toten auf und legte sein Zeugnis vor ihnen ab; aber sie verhärteten ihre Herzen gegen allen und jeden Beweis und trachteten sogar darnach, ihn zu töten. Johannes 12,9-11. CGl.263.1 Teilen

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