Portrait von Ellen White
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Der verlorene Groschen
Der verlorene Groschen
235

„Israel, du bringst dich ins Unglück; denn dein Heil steht allein bei mir.“ Hosea 13,9. CGl.235 Teilen

[Auf der Grundlage von Matthäus 18,21-35.] CGl.235 Teilen

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Petrus war zu Christo gekommen mit der Frage: „Wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündiget, vergeben? Ist’s genug siebenmal?“ Die Rabbiner beschränkten die Ausübung der Vergebung auf drei Vergehen. Petrus, in der Meinung die Lehren Christi zu befolgen, wollte diese Zahl auf sieben, die Zahl der Vollkommenheit ausdehnen. Aber Christus lehrte, dass wir niemals des Vergebens überdrüssig werden sollen. „Nicht siebenmal“ sagte er, „Sondern siebenzigmal siebenmal.“ CGl.241.1 Teilen

Dann zeigte er den wahren Grund, auf welchen hin Vergebung gewährt werden sollte, und die Gefahr, einen unversöhnlichen Geist zu nähren. In einem Gleichnis erzählte er von dem Verfahren eines Königs mit den Beamten, welche seine Regierungsgeschäfte besorgten. Einige dieser Beamten nahmen große, dem Staat gehörige Summen Geldes in Empfang. Als der König die Führung des ihnen anvertrauten Amtes untersuchte, fand er einen Mann, dessen Bericht zeigte, dass er seinem Herrn die große Summe von zehntausend Pfund schuldig war. Er hatte nichts, womit er dieselbe hätte bezahlen können, und dem Landesbrauche gemäß wollte der König ihn mit allem, was er hatte, verkaufen lassen, damit seine Schuld getilgt werden könne. Aber der erschrockene Mann fiel vor ihm nieder, flehte ihn an und sagte: „Habe Geduld mit mir, ich will dir’s bezahlen! Da jammerte den Herrn desselbigen Knechts und ließ ihn los, und die Schuld erließ er ihm auch.“ CGl.241.2 Teilen

243

„Da ging derselbige Knecht hinaus und fand einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Groschen schuldig; und er griff ihn an und würgte ihn und sprach: Bezahle mir, was du mir schuldig bist! Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Habe Geduld mit mir, ich will dir’s alles bezahlen! Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis dass er bezahlte, was er schuldig war. Da aber seine Mitknechte solches sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten vor ihren Herrn alles, das sich begeben hatte. Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du Schalksknecht, alle diese Schuld habe ich dir erlassen, dieweil du mich batest; solltest du denn dich nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmet habe? Und sein Herr ward zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis dass er bezahlte alles, was er ihm schuldig war.“ CGl.243.1 Teilen

Dies Gleichnis führt uns Einzelheiten vor, die zur Darstellung des Bildes notwendig sind, die aber in seiner geistlichen Bedeutung kein Gegenstück finden. Die Aufmerksamkeit sollte deshalb auch nicht auf sie gelenkt werden. Das Gleichnis veranschaulicht gewisse große Wahrheiten und auf diese sollten wir unsere Gedanken richten. CGl.243.2 Teilen

Die von diesem Könige gewährte Verzeihung veranschaulicht die göttliche Vergebung aller Sünde. Christus wird durch den König dargestellt, der, von Mitleid bewegt, seinem Knechte die Schuld erließ. Der Mensch war unter dem Fluch des übertretenen Gesetzes. Er konnte sich selbst nicht retten, und deshalb kam Christus auf diese Welt, bekleidete seine Gottheit mit der Menschheit und gab sein Leben dahin, der Gerechte für die Ungerechten. Er gab sich selbst für unsere Sünden, und bietet jetzt einer jeden Seele die durch sein Blut erkaufte Vergebung an. „Bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm.“ Psalm 130,7. CGl.243.3 Teilen

Hier liegt der Grund, auf welchen hin wir Mitleid gegen unsere Mitsünder bekunden sollten. „Hat uns Gott also geliebet, so sollen wir uns auch untereinander lieben.“ „Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebet es auch.“ 1.Johannes 4,11; Matthäus 10,8. CGl.243.4 Teilen

244

Als der Schuldner im Gleichnis um Aufschub bat, indem er sagte: „Herr, habe Geduld mit mir,“ und das Versprechen gab: „ich will dir’s alles bezahlen,“ da wurde der Urteilsspruch aufgehoben. Die ganze Schuld wurde ihm erlassen; und es wurde ihm bald Gelegenheit gegeben, dem Beispiel seines Herrn, der ihm vergeben hatte, zu folgen. Als er hinausging, fand er einen Mitknecht, der ihm eine kleine Summe schuldete. Ihm waren zehntausend Pfund erlassen worden; sein Schuldner dagegen schuldete ihm nur hundert Groschen. Aber er, mit dem so barmherzig verfahren worden war, behandelte seinen Mitarbeiter in einer ganz anderen Weise. Sein Schuldner richtete eine ähnliche Bitte an ihn, wie die, welche er selbst an den König gerichtet hatte, erzielte aber kein ähnliches Ergebnis. Er, dem erst eben so viel vergeben wurde, war nicht weichherzig und liebevoll. Die ihm erwiesene Barmherzigkeit übte er nicht in der Behandlung seines Mitknechts. Er schenkte der Bitte um Geduld kein Gehör. Dieser undankbare Knecht dachte nur an die kleine Summe, die jener ihm schuldete. Er verlangte alles, was er als ihm zukommend ansah und ließ ein Urteil vollziehen, das jenem ähnlich war, welches zu seinen Gunsten so gnädiglich aufgehoben wurde. CGl.244.1 Teilen

Wie viele bekunden heutzutage denselben Geist? Als der Schuldner seinen Herrn um Gnade bat, hatte er kein rechtes Verständnis von der Größe seiner Schuld. Er erkannte seine Hilflosigkeit nicht. Er hoffte, sich selbst zu erlösen. „Habe Geduld mit mir,“ sagte er, „ich will dir’s bezahlen.“ So gibt es viele, welche durch ihre eigenen Werke Gottes Gnade zu verdienen hoffen. Sie erkennen ihre Hilflosigkeit nicht. Sie nehmen die Gnade Gottes nicht als eine freie Gabe an, sondern versuchen, sich durch ihre eigene Gerechtigkeit aufzubauen. Ihre Herzen sind nicht durch die Erkenntnis der Sünde gebrochen und gedemütigt, sie sind streng und unversöhnlich gegen andere. Ihre eigenen Sünden gegen Gott sind im Vergleich mit denen ihres Bruders gegen sie, wie zehntausend Pfund gegen hundert Groschen — etwa wie eine Million sich zu Eins verhält — aber dennoch wagen sie es, unversöhnlich und streng zu sein. CGl.244.2 Teilen

245

Im Gleichnis ließ der Herr den unbarmherzigen Schuldner vor sich fordern und sprach zu ihm: „Du Schalksknecht, alle diese Schuld habe ich dir erlassen, dieweil du mich batest; solltest du denn dich nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmet habe? Und sein Herr ward zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis dass er bezahlte alles, was er ihm schuldig war.“ „Also,“ sagte Jesus, „wird euch mein himmlischer Vater auch tun, so ihr nicht vergebet von eurem Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler.“ Ein Mensch, welcher sich weigert, zu vergeben, wirft dadurch seine eigene Hoffnung auf Vergebung fort. CGl.245.1 Teilen

Aber die in diesem Gleichnis liegende Lehre sollte nicht falsch angewandt werden. Die uns von Gott zuteil werdende Vergebung verringert in keiner Weise unsere Pflicht, ihm zu gehorchen. So hebt auch der gegen unsere Mitmenschen bekundete Geist der Vergebung nicht die gerechten Verpflichtungen auf. In dem Gebet, welches Jesus seine Jünger lehrte, sagte er: „Vergib uns unsere Schulden, wie wir unsern Schuldigern vergeben.“ Matthäus 6,12. Er wollte hierdurch keineswegs sagen, dass wir, um die Vergebung unserer Sünden zu erlangen, das, was uns rechtmäßig gehört, von unsern Schuldnern nicht fordern dürfen. Wenn sie nicht bezahlen können, selbst wenn es die Folge unweiser Wirtschaft ist, sollen wir sie nicht ins Gefängnis werfen und bedrücken lassen oder sie auch nur hart behandeln; das Gleichnis lehrt uns aber nicht, die Trägheit zu ermutigen. Im Worte Gottes steht geschrieben: „So jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen.“ 2.Thessalonicher 2,10. Der Herr verlangt von dem schwer arbeitenden Menschen nicht, andere in ihrer Trägheit zu unterstützen. Viele geraten infolge von Zeitverschwendung oder Mangel an Strebsamkeit in Armut und Not. Wenn diese Fehler nicht abgelegt werden, so wird alles, was für solche Personen getan wird, doch nur so sein, als ob man einen Schatz in einen löcherigen Sack täte. Doch gibt es auch eine unvermeidliche Armut und wir sollen Liebe und Mitleid gegen Unglückliche bekunden. Wir sollen andere so behandeln, wie wir unter gleichen Umständen behandelt werden möchten. CGl.245.2 Teilen

246

Der Heilige Geist legt uns durch den Apostel Paulus folgendes ans Herz: „Ist nun bei euch Ermahnung in Christo, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so erfüllet meine Freude, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einhellig seid, nichts tut durch Zank oder eitle Ehre, sondern durch Demut achte einer den andern höher denn sich selbst; und ein jeglicher sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was des anderen ist. Ein jeglicher sei gesinnet, wie Jesus Christus auch war.“ Philipper 2,1-5. CGl.246.1 Teilen

Aber wir sollen es in keine Weise leicht mit der Sünde nehmen. Der Herr hat uns geboten, nicht zu dulden, dass unser Bruder unrecht tue. Er sagt: „So dein Bruder an dir sündiget, so strafe ihn.“ Lukas 17,3. Die Sünde soll bei ihrem rechten Namen genannt und dem, der sie begeht, klar vorgehalten werden. CGl.246.2 Teilen

In seiner Mahnung an Timotheus sagt Paulus, durch Eingebung des Heiligen Geistes schreibend: „Predige das Wort, halte an, es sei zu rechter Zeit oder zur Unzeit; strafe, dräue, ermahne mit aller Geduld und Lehre.“ Und an Titus schreibt er: „Es sind viel freche und unnütze Schwätzer und Verführer ... Strafe sie scharf, auf dass sie gesund seien im Glauben.“ 2.Timotheus 4,2; Titus 1,10-13. CGl.246.3 Teilen

247

„Sündiget aber dein Bruder an dir,“ sagte Christus, „so gehe hin und strafe ihn zwischen dir und ihm allein. Höret er dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Höret er dich nicht, so nimm noch einen oder zwei zu dir, auf dass alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Munde. Höret er die nicht, so sage es der Gemeinde. Höret er die Gemeinde nicht, so halte ihn als einen Heiden und Zöllner.“ Matthäus 18,15-17. CGl.247.1 Teilen

Unser Herr lehrt, dass, wenn sich Mißhelligkeiten zwischen Christen erheben, solche in der Gemeinde geschlichtet werden sollen. Sie sollten nicht vor Menschen gebracht werden, die Gott nicht fürchten. Wenn einem Christen von seinem Bruder unrecht getan wird, so sollte er sich nicht an Ungläubige in einem Gerichtshof wenden. Er sollte der von Christo gegebenen Unterweisung folgen. Anstatt zu versuchen, sich zu rächen, sollte er darnach trachten, seinen Bruder zu retten. Gott wird die Angelegenheiten derer schützen, die ihn lieben und fürchten, und wir können in voller Zuversicht unsere Fälle dem anheimstellen, der recht richtet. CGl.247.2 Teilen

Nur zu oft glaubt der Geschädigte, wenn ihm wieder und wieder Unrecht zugefügt wird, selbst wenn der Betreffende seine Schuld bekennt, dass er doch jetzt genug vergeben habe. Aber der Heiland hat uns klar und deutlich gesagt, wie wir mit den Irrenden verfahren sollen: „So dein Bruder an dir sündiget, so strafe ihn; und so es ihn reuet, vergib ihm.“ Lukas 17,3. Stoße ihn nicht weg von dir und betrachte ihn nicht als deines Vertrauens unwürdig. „Siehe auf dich selbst, dass du nicht auch versuchet werdest.“ Galater 6,1. CGl.247.3 Teilen

Wenn deine Brüder irren, so sollst du ihnen vergeben. Wenn sie zu dir kommen und bekennen, so sollst du nicht sagen: „Ich glaube nicht, dass sie demütig genug sind, ich glaube nicht, dass sie es mit ihrem Bekenntnis aufrichtig meinen.“ Was für ein Recht hast du, sie zu richten, als ob du das Herz lesen könntest? Das Wort Gottes sagt: „So es ihn reuet, vergib ihm. Und wenn er siebenmal des Tages an dir sündigen würde und siebenmal des Tages wiederkäme zu dir und spräche: Es reuet mich! so sollst du ihm vergeben.“ Lukas 17,3.4. Und nicht nur siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal — gerade so oft wie Gott dir vergibt. CGl.247.4 Teilen

248

Wir selbst schulden alles der freien Gnade Gottes. Die Gnade im Bunde Gottes macht uns zu Kindern Gottes. Die Gnade unseres Heilandes bewirkte unsere Erlösung, unsere Wiedergeburt und unsere Erhebung zu Miterben Christi. Laßt diese Gnade auch anderen kundgetan werden. CGl.248.1 Teilen

Gebt dem Irrenden keinen Anlaß, entmutigt zu sein. Laßt keine pharisäische Härte aufkommen und eurem Bruder wehe tun. Nehmt euch in acht, damit nicht etwa ein bitteres Gefühl in eurem Herzen aufsteige. Laßt auch nicht eine Spur von Hohn durch eure Stimme bekundet werden. Es mag der Seele zum Verderben gereichen, wenn ihr ein Wort aus euch selbst sprecht, wenn ihr eine gleichgültige Stellung einnehmt, oder Mißtrauen oder Argwohn zeigt. Sie bedarf eines Bruders mit dem mitleidsvollen Herzen unseres älteren Bruders, um ihr menschliches Herz zu rühren. Laßt sie den festen Druck einer teilnehmenden Hand fühlen und die sanften Worte hören: Lass uns beten! Gott wird euch beiden eine herrliche Erfahrung geben. Das Gebet verbindet uns miteinander und mit Gott. Das Gebet bringt Jesum an unsere Seite und gibt der schwachen, durch Sorgen und Schwierigkeiten niedergedrückten Seele Kraft, die Welt, das Fleisch und den Teufel zu überwinden. Das Gebet wendet die Angriffe Satans ab. CGl.248.2 Teilen

Wenn man sich von menschlicher Unvollkommenheit abwendet, um Jesum zu sehen, findet eine göttliche Umbildung des Charakters statt. Der auf das Herz einwirkende Geist Christi verwandelt es in sein Ebenbild. Laßt also euer Bestreben sein, Jesum zu erheben und das Glaubensauge auf „Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt“ (Johannes 1,29), zu richten. Indem ihr das tut, bedenkt, „dass wer den Sünder bekehret hat von dem Irrtum seines Weges, der hat einer Seele vom Tode geholfen und wird bedecken die Menge der Sünden.“ Jakobus 5,20. CGl.248.3 Teilen

„Wo ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben.“ Matthäus 6,15. Nichts kann einen unversöhnlichen Geist rechtfertigen. Wer unbarmherzig gegen andere ist, zeigt dadurch, dass ihm selbst die vergebende Gnade Gottes nicht zuteil geworden ist. Durch Gottes Vergebung wird das Herz des Irrenden fest an das große Herz der ewigen Liebe gezogen. Die Flut göttlichen Erbarmens fließt in des Sünders Seele und von ihm zu den Seelen anderer. Die Liebe, die Barmherzigkeit, welche Christus in seinem köstlichen Leben offenbarte, wird auch in denen gesehen werden, die seiner Gnade teilhaftig geworden sind. „Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.“ Römer 8,9. Er ist von Gott getrennt und wird auf ewig von ihm getrennt bleiben. CGl.248.4 Teilen

249

Er mag vielleicht einmal Vergebung empfangen haben, aber seine Unbarmherzigkeit zeigt, dass er jetzt Gottes vergebende Liebe verwirft. Er hat sich von Gott getrennt und ist deshalb in demselben Zustande, in dem er war, ehe ihm vergeben wurde. Er hat seine Reue verleugnet und seine Sünden sind auf ihm, als ob er sie nie bereut hätte. CGl.249.1 Teilen

Aber die in diesem Gleichnis enthaltene große Lehre liegt in dem Gegensatz des Erbarmens Gottes zu der Hartherzigkeit des Menschen — in der Tatsache, dass Gottes vergebende Gnade für uns das Maß ist, wie wir vergeben sollen. „Solltest du denn dich nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmet habe?“ CGl.249.2 Teilen

Uns wird nicht vergeben, weil wir vergeben, sondern wie wir vergeben. Der Grund aller Vergebung liegt in der unverdienten Liebe Gottes; aber durch unsere Handlungsweise gegen andere zeigen wir, ob wir uns jene Liebe angeeignet haben. Deshalb sagt Christus: „Mit welcherlei Gerichte ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden.“ Matthäus 7,2. CGl.249.3 Teilen

[Auf der Grundlage von Lukas 12,13-21.] CGl.249 Teilen

250

Christus lehrte; und wie gewöhnlich hatten sich außer seinen Jüngern auch noch andere um ihn geschart. Er hatte zu den Jüngern von den Begebenheiten gesprochen, an denen sie bald einen tätigen Anteil nehmen sollten. Sie sollten die ihnen anvertrauten Wahrheiten verbreiten und würden in Schwierigkeiten geraten mit den Herrschern dieser Welt. Um seinetwillen würden sie vor Obrigkeiten und Gewaltige geführt werden. Er hatte ihnen eine Weisheit verheißen, der niemand widersprechen konnte und durch seine Worte, welche die Herzen der Menge bewegten und seine verschmitzten Feinde in Verwirrung brachten, bezeugte er die Kraft jenes innewohnenden Geistes, welchen er seinen Nachfolgern verheißen hatte. CGl.250.1 Teilen

Aber es waren viele dort, welche Gottes Gnade nur zu haben wünschten, um ihren selbstsüchtigen Zwecken zu dienen. Sie erkannten die wunderbare Kraft Christi an, wenn er die Wahrheit in einem so klaren Lichte vorführte. Sie hörten die Verheißungen, seinen Nachfolgern Weisheit zu verleihen, um vor Obrigkeiten und Gewaltigen reden zu können. Würde er seine Kraft nicht auch zu ihrem irdischen Nutzen verwenden? CGl.250.2 Teilen

251

„Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile.“ Gott hatte durch Moses Anweisungen über das Erbrecht gegeben. Der älteste Sohn erhielt einen doppelten Anteil von allem Besitztum des Vaters (5.Mose 21,17), während die jüngeren Brüder gleiche Teile bekamen. Dieser Mann glaubt, dass sein Bruder ihn um sein Erbteil betrogen habe. Seine eigenen Bestrebungen, das zu erlangen, was ihm nach seiner Meinung gebührt, sind fruchtlos geblieben; wenn Christus sich für die Sache verwenden will, so wird er seine Absicht sicherlich erreichen. Er hat Christi anregende Aufforderungen und seine gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten erhobenen ernsten Androhungen gehört. Wenn seinem Bruder solche gebietende Worte gesagt würden, dann würde er es nicht wagen, ihm, dem beeinträchtigten Mann, seinen Anteil vorzuenthalten. CGl.251.1 Teilen

Inmitten der von Christo gegebenen feierlichen Mahnungen offenbarte dieser Mann seine selbstsüchtige Gesinnung. Er kannte wohl die Fähigkeit des Herrn an, seine zeitlichen Angelegenheiten fördern zu können, aber geistliche Wahrheiten hatten keinen Eindruck auf sein Herz und Gemüt gemacht. Die Erlangung des Erbteils war der eine, seine Aufmerksamkeit völlig in Anspruch nehmende und alles andere in den Hintergrund stellende Gedanke. Jesus, der König der Herrlichkeit, der reich war, aber um unseretwillen arm wurde, eröffnete ihm die Schätze göttlicher Liebe. Der Heilige Geist wirkte an ihm und versuchte ihn dahin zu bringen, doch vor allem ein Erbe jenes „unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbes, das behalten wird im Himmel“, zu werden. 1.Petrus 1,4. Er hatte den Beweis der Kraft Christi gesehen und hatte jetzt die Gelegenheit, zu dem großen Lehrer zu sprechen und ihm seinen innigsten Herzenswunsch auszudrücken. Aber wie der Mann mit dem Rechen in Bunyans Allegorie nach unten blickte, so waren auch seine Augen auf die Erde gerichtet. Er sah nicht die über seinem Haupte befindliche Krone. Wie Simon Magus, hielt auch er die Gabe Gottes für ein Mittel zur Erlangung irdischen Gewinnes. CGl.251.2 Teilen

Des Heilandes Mission auf Erden näherte sich schnell ihrem Abschluss. Es blieben ihm nur noch wenige Monate, um das zu vollenden, wozu er gekommen war, nämlich das Reich seiner Gnade zu begründen; aber menschliche Habgier wollte ihn jetzt von seinem Werke abhalten, dadurch dass er den Streit über ein Stück Land entscheiden sollte. Jesus jedoch ließ sich nicht von seiner Mission abbringen. Seine Antwort war: „Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch gesetzt?“ CGl.251.3 Teilen

252

Jesus könnte diesem Manne gesagt haben, was recht war. Er wußte, wer in diesem Fall recht hatte; aber diese Brüder waren im Streit, weil sie habsüchtig waren. Christus sagte deutlich: Es ist nicht meine Aufgabe, Streitfragen dieser Art zu schlichten. Er kam zu einem anderen Zwecke, nämlich das Evangelium zu predigen, und dadurch die Menschen für ewige Wirklichkeiten empfänglich zu machen. CGl.252.1 Teilen

In der Art und Weise, wie Christus diesen Fall behandelte, liegt eine Lehre für alle, die in seinem Namen wirken. Als er die Zwölfe aussandte, sagte er: „Gehet aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeikommen. Machet die Kranken gesund, reiniget die Aussätzigen, wecket die Toten auf, treibet die Teufel aus. Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebet es auch.“ Matthäus 10,7.8. Sie sollten nicht die irdischen Angelegenheiten der Menschen schlichten; ihre Aufgabe bestand darin, die Menschen dahin zu bringen, sich mit Gott versöhnen zu lassen. Hierdurch konnten sie der Menschheit zum Segen gereichen. Das einzige Heilmittel gegen die Sünden und Leiden der Menschen ist Christus. Das Evangelium von seiner Gnade allein kann die Übel heilen, die der Fluch der menschlichen Gesellschaft sind. Die Ungerechtigkeit der Reichen gegen die Armen, und auch der Haß der Armen gegen die Reichen haben ihre Wurzel in der Selbstsucht; und diese kann nur durch Hingabe an Christum ausgerottet werden. Er allein kann an die Stelle des selbstsüchtigen, sündigen Herzens das neue, liebende Herz geben. Die Diener Christi sollten das Evangelium durch den vom Himmel gesandten Geist predigen und, wie Christus tat, zum Wohl der Menschen wirken. Dann werden sich solche Ergebnisse zeigen und die Menschen so gesegnet und erhoben werden, wie es durch menschliche Macht unmöglich erreicht und getan werden kann. CGl.252.2 Teilen

253

Unser Herr berührte die Wurzel der Sache, die diesen Fragesteller beunruhigte, sowie aller ähnlichen Streitfragen, indem er sagte: „Sehet zu und hütet euch vor dem Geiz; denn niemand lebet davon, dass er viele Güter hat.“ CGl.253.1 Teilen

„Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, des Feld hatte wohl getragen, Und er gedachte bei ihm selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nicht, da ich meine Früchte hinsammle. Und sprach: Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will drein sammeln alles, was mir gewachsen ist, und meine Güter; und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viel Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut. Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wes wird’s sein, das du bereitet hast? Also gehet es, wer sich Schätze sammelt und ist nicht reich in Gott.“ CGl.253.2 Teilen

254

Durch das Gleichnis vom törichten, reichen Menschen zeigte Christus die Torheit derer, welche einzig und allein für diese Welt leben. Dieser Mann hatte alles von Gott empfangen. Die Sonne hatte auf sein Land geschienen, denn ihre Strahlen fallen auf die Gerechten und die Ungerechten. Den Regen sendet Gott ebensowohl auf die Bösen als auch auf die Guten herab. Der Herr hatte den Pflanzen Gedeihen geschenkt und das Feld wohl tragen lassen. Der reiche Mann war in Verlegenheit und wußte nicht recht, was er mit seinem Getreide tun sollte. Seine Scheunen waren überfüllt und er hatte keinen Platz, wo er den übrigen Teil der Ernte hätte aufbewahren können. Er dachte nicht an Gott, dem er alle diese Gnadengaben zu verdanken hatte. Er erkannte nicht, dass Gott ihn zu einem Haushalter seiner Güter gemacht habe, damit er den Bedürftigen helfen möge. Er hatte eine herrliche Gelegenheit, Gottes Almosenpfleger zu sein, aber er war darauf bedacht, sich selbst gütlich zu tun. CGl.254.1 Teilen

255

Die Lage des Armen, des Waisen, der Witwe, des Leidenden, des Betrübten war diesem reichen Manne nicht unbekannt; es gab viele Plätze, an denen er guten Gebrauch von seinen Gütern hätte machen können. Er hätte sich leicht eines Teils seines Überflusses entledigen können und viele Familien wären dadurch des Mangels enthoben, viele Hungrige gespeist, viele Nackte gekleidet, viele Herzen erfreut, viele Gebete um Brot und Kleidung erhört worden und Loblieder wären zum Himmel gestiegen. Der Herr hatte die Gebete der Bedürftigen gehört und mit seinen Gütern für die Armen gesorgt. Reichliche Vorkehrungen, um den Bedürfnissen vieler abzuhelfen, waren durch die Segnungen, die dem reichen Manne gegeben waren, getroffen worden, aber er verschloß sein Herz gegen das Rufen der Bedürftigen und sagte zu seinen Knechten: „Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will drein sammeln alles, was mir gewachsen ist, und meine Güter, und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viel Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut.“ CGl.255.1 Teilen

Die Ziele dieses Mannes waren nicht höher, als die der Tiere, welche vergehen und umkommen. Er lebte, als ob es keinen Gott, keinen Himmel und kein zukünftiges Leben gäbe — als ob alles, was er besaß sein Eigentum sei, und er weder Gott noch Menschen etwas schulde. Der Psalmist beschrieb diesen Menschen also: „Die Toren sprechen in ihrem Herzen: es ist kein Gott.“ Psalm 14,1. CGl.255.2 Teilen

256

Dieser Mann hat für sich selbst gelebt und geplant. Er sieht jetzt, dass auch für die Zukunft reichlich vorhanden ist; es bleibt ihm nichts anderes zu tun übrig, als die Früchte seiner Arbeit zu bewahren und zu genießen. Er hält sich für begünstigt vor anderen Menschen und schreibt das seiner weisen Verwaltung zu. Er wird von seinen Mitbürgern als ein Mann von gesundem Urteil und als wohlhabender Bürger geehrt; „man preiset’s wenn einer sich gütlich tut.“ Psalm 49,19. CGl.256.1 Teilen

Aber „dieser Welt Weisheit ist Torheit bei Gott.“ 1.Korinther 3,19. Während der reiche Mann Jahren des Genusses und der Freude entgegensieht, hat der Herr ganz andere Pläne. An den ungetreuen Haushalter ergeht die Botschaft: „Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern.“ Hier ist eine Forderung, die durch Geld nicht befriedigt werden kann. Der von ihm aufgehäufte Schatz kann ihm keine Frist erkaufen. In einem Augenblick wird das, was er durch lebenslange Arbeit erzielt hat, für ihn wertlos. „Und wes wird’s sein, das du bereitet hast?“ Seine weiten Felder und gefüllten Kornhäuser werden seinem Besitz entrückt. „Sie sammeln und wissen nicht, wer es einnehmen wird.“ Psalm 39,7. CGl.256.2 Teilen

Das einzige, das ihm jetzt von Wert sein würde, hat er sich nicht gesichert. Indem er für das eigene Ich lebte, hat er jene göttliche Liebe, die sich in Barmherzigkeit gegen seine Mitmenschen offenbart, verworfen. Dadurch hat er das Leben verworfen. Denn Gott ist Liebe, und Liebe ist Leben. Dieser Mann hat das Irdische dem Geistlichen vorgezogen und muss mit dem Irdischen dahinfahren. „Wenn ein Mensch in Ansehen ist und hat keinen Verstand, so fähret er davon wie ein Vieh.“ Psalm 49,21. CGl.256.3 Teilen

„Also gehet es, wer sich Schätze sammelt und ist nicht reich in Gott.“ Das Bild ist ein treffendes für alle Zeit. Du magst Pläne zur Befriedigung deines selbstsüchtigen Strebens legen, du magst Schätze sammeln, du magst große und hohe Häuser bauen, wie der Erbauer des alten Babylon; aber du kannst keine so hohe Mauer, kein so starkes Tor bauen, dass die Boten des Verderbens dadurch ausgeschlossen werden können. Der König Belsazer machte ein herrlich Mahl mit seinen Gewaltigen und sie lobten „die silbernen, güldnen, ehernen, eisernen, hölzernen und steinernen Götter“. Aber die Hand eines Unsichtbaren schrieb auf die Wand jene verhängnisvollen Worte, und das Herannahen feindlicher Truppen wurde an den Toren seines Palastes gehört. „In derselbigen Nacht ward der Chaldäer König Belsazer getötet“ (Daniel 5,30), und ein fremder Monarch kam auf den Thron. CGl.256.4 Teilen

257

Für sich selbst leben heißt vergehen. Der Geiz, das Verlangen, es dem eigenen Ich bequem zu machen, schneidet die Seele vom Leben ab. Der Geist Satans bekundet sich durch das Verlangen, etwas zu erhalten, etwas an sich zu ziehen; der Geist Christi jedoch bekundet sich im Geben und Aufopfern zum Besten anderer. „Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben hat gegeben; und solches Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht.“ 1.Johannes 5,11.12. CGl.257.1 Teilen

Deshalb sagt er: „Sehet zu und hütet euch vor dem Geiz; denn niemand lebet davon, dass er viel Güter hat.“ CGl.257.2 Teilen

[Auf der Grundlage von Lukas 16,19-31.] CGl.257 Teilen

258

Im Gleichnis von dem reichen Mann und dem armen Lazarus zeigt Christus, dass die Menschen in diesem Leben über ihr ewiges Schicksal entscheiden. Während der Prüfungszeit dieses kargen Erdenlebens wird Gottes Gnade einer jeden Seele angeboten; aber wenn die Menschen die ihnen gebotenen Gelegenheiten in ihrer Selbstbefriedigung vergeuden, dann schneiden sie sich vom ewigen Leben ab. Keine zweite Gnadenzeit wird ihnen gewährt werden. Durch ihre eigene Wahl haben sie eine unübersteigbare Kluft zwischen sich und Gott geschaffen. CGl.258.1 Teilen

Dies Gleichnis legt den Unterschied klar zwischen den Reichen, die Gott nicht vertrauen, und den Armen, die ihr Vertrauen auf Gott setzen. Christus zeigt, dass die Zeit kommen wird, in welcher die Lage der zwei Klassen eine umgekehrte sein wird. Wer arm an Gütern dieser Welt ist, aber dennoch Gott vertraut und in seinem Leiden geduldig ist, wird eines Tages weit über diejenigen erhöht werden, die jetzt die höchsten Stellungen einnehmen, welche die Welt bieten kann, aber ihr Leben nicht Gott geweiht haben. CGl.258.2 Teilen

„Es war aber ein reicher Mann,“ sagte Christus, „der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand, und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer, mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären, und begehrte, sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tische fielen.“ CGl.258.3 Teilen

259

Der reiche Mann gehörte nicht zu der Klasse, die durch den ungerechten Richter dargestellt wird, welcher offen erklärte, dass er Gott nicht fürchte und sich vor keinem Menschen scheue. Er behauptete, ein Sohn Abrahams zu sein; er mißhandelte den Bettler nicht und forderte auch nicht von ihm, dass er fortgehe, weil sein Anblick ihm unangenehm sei. Wenn dieser arme, ekelerregende Mensch dadurch getröstet werden könnte, dass er ihn anblickte, wenn er aus- und einging, so war der reiche Mann vollkommen willens, dass er da verbleibe. Aber seine Selbstsucht machte ihn gleichgültig gegen die Bedürfnisse seines leidenden Bruders. CGl.259.1 Teilen

Es gab damals keine Hospitäler, in welchen die Kranken versorgt werden konnten. Leidende und Bedürftige wurden unter die Beachtung solcher gebracht, denen der Herr Güter anvertraut hatte, damit ihnen Hilfe und Teilnahme erwiesen werde. Dies war auch mit dem armen Mann der Fall. Lazarus war der Hilfe sehr bedürftig, denn er war ohne Freunde, ohne Heim, ohne Geld und ohne Nahrung. Er musste Tag für Tag in diesem Zustande bleiben, während dem reichen Edelmann alle Bedürfnisse befriedigt wurden. Er, dem es doch leicht geworden wäre, die Leiden seines Mitmenschen zu lindern, lebte für sich selbst, wie es heutzutage so viele tun. CGl.259.2 Teilen

In unserer allernächsten Umgebung gibt es auch heute viele, die hungrig, nackt und heimatlos sind. Wenn wir es vernachlässigen diesen Bedürftigen und Leidenden von unsern Mitteln mitzuteilen, so laden wir auf uns eine Schuld, für welche wir eines Tages Rechenschaft ablegen müssen. Aller Geiz ist als Abgötterei verdammt. Alle selbstsüchtige Befriedigung ist in Gottes Augen ein Verbrechen. CGl.259.3 Teilen

Gott hatte den reichen Mann zu einem Haushalter seiner Güter gemacht und es war seine Pflicht, für solche Leute, wie gerade jener Arme war, zu sorgen. Der Herr hatte das Gebot gegeben: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allem Vermögen,“ und „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ 5.Mose 6,5; 3.Mose 19,18. Der reiche Mann war ein Jude und als solcher mit dem Befehl Gottes bekannt. Aber er vergaß, dass er für die Verwendung der ihm anvertrauten Mittel und Fähigkeiten verantwortlich war. Der Herr hatte ihn reichlich gesegnet, aber er benutzte die Gaben in selbstsüchtiger Weise, um sich selbst zu ehren und nicht seinen Schöpfer. Nach dem Maße, wie der Herr ihn gesegnet hatte, lag auch die Verpflichtung auf ihm, seine Gaben zum Nutzen und Segen der Menschheit anzuwenden. Dies war des Herrn Gebot, aber der reiche Mann dachte gar nicht an seine Pflicht gegen Gott. Er lieh Geld aus und nahm Zinsen für das Ausgeliehene; aber er gab keine Zinsen für das, was Gott ihm geliehen hatte. Er besaß Kenntnisse und hatte Gaben, benutzte sie aber nicht. Seine Verantwortlichkeit gegen Gott vergessend, weihte er alle seine Kräfte der Selbstbefriedigung. Seine ganze Umgebung, die ganze Runde von Vergnügungen, die Lobeserhebungen und Schmeicheleien seiner Freunde erhöhten seine selbstsüchtige Freude. Die Gesellschaft seiner Freunde nahm ihn so sehr in Anspruch, dass er alles Verständnis für die ihm anvertraute Aufgabe, als Mitarbeiter Gottes den Leidenden zu dienen, verlor. Er hatte Gelegenheit gehabt, das Wort Gottes zu verstehen und dessen Lehren zu befolgen, aber die von ihm gewählte, vergnügungssüchtige Gesellschaft beschäftigte ihn so sehr, dass er des ewigen Gottes vergaß. CGl.259.4 Teilen

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Es kam die Zeit, in welcher eine Änderung in den Verhältnissen der zwei Männer eintrat. Der Arme hatte Tag für Tag gelitten, aber sein Leiden ruhig und geduldig ertragen. Er starb und wurde begraben. Niemand trauerte um ihn, aber durch seine im Leiden bewiesene Geduld hatte er für Christum gezeugt, hatte er die Prüfung seines Glaubens bestanden, und nach seinem Tode wird er uns dargestellt als von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. CGl.260.1 Teilen

Lazarus stellt die an Christum glaubenden, leidenden Armen dar. Wenn die Posaune erschallt und alle, die in den Gräbern sind, die Stimme Christi hören und hervorkommen, werden sie ihre Belohnung erhalten, denn ihr Glaube an Gott war ihnen nicht nur eine Lehre, sondern eine Wirklichkeit. CGl.260.2 Teilen

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„Der Reiche aber starb auch und ward begraben. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hub er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. Und er rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich mein und sende Lazarus, dass er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme.“ CGl.261.1 Teilen

In diesem Gleichnis nahm Jesus Rücksicht auf eine unter dem Volke herrschende Ansicht. Viele der Zuhörer Christi hingen der Lehre von einem bewußten Zustande zwischen dem Tode und der Auferstehung an. Der Heiland war mit ihren Ansichten bekannt und kleidete deshalb sein Gleichnis so ein, dass es diesen Leuten vermittels ihrer vorgefaßten Ansichten wichtige Wahrheiten vorführen konnte. Er hielt seinen Zuhörern einen Spiegel vor, in dem sie sich in ihrem wahren Verhältnis zu Gott sehen konnten. Er benutzte die vorherrschende Ansicht, um den einen Gedanken, den er besonders hervorzuheben wünschte, klar zu machen — dass nämlich kein Mensch nach seinen Besitztümern geschätzt wird, weil alles, was er hat, ihm nur vom Herrn geliehen ist. Der Mißbrauch dieser Gaben stellt ihn niedriger als den ärmsten und elendesten Menschen, der Gott liebt und ihm vertraut. CGl.261.2 Teilen

Christus wollte es seinen Zuhörern verständlich machen, dass es den Menschen unmöglich ist, nach dem Tode ihr Seelenheil zu sichern. Das Gleichnis läßt Abraham antworten: „Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeiniget. Und über das alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestiget, dass, die da wollten von hinnen hinabfahren zu euch, könnten nicht, und auch nicht von dannen zu uns herüberfahren.“ Auf diese Weise zeigte Christus, wie hoffnungslos die Aussicht auf eine zweite Gnadenzeit ist. Dies Leben ist die einzige Zeit, die den Menschen gegeben wird, um sich für die Ewigkeit vorzubereiten. CGl.261.3 Teilen

Der reiche Mann hatte den Gedanken nicht aufgegeben, ein Kind Abrahams zu sein und wird dargestellt, wie er in seiner Not ihn um Hilfe anruft. „Vater Abraham,“ bat er, „erbarme dich mein.“ Er richtete seine Bitte nicht an Gott, sondern an Abraham. Dadurch zeigte er, dass er Abraham über Gott stellte und durch sein Verhältnis zu Abraham selig zu werden glaubte. CGl.261.4 Teilen

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Der Schächer am Kreuz richtete seine Bitte an Christum. „Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst“ (Lukas 23,42), sagte er; und sofort kam die Antwort: Wahrlich, ich sage dir heute (da ich in Demütigung und Leiden am Kreuze hänge), du wirst mit mir im Paradiese sein. Aber der reiche Mann richtete seine Bitte an Abraham, und sie wurde nicht erhört. Christus allein ist „erhöhet zu einem Fürsten und Heiland, zu geben Israel Buße und Vergebung der Sünden;“ „und ist in keinem andern Heil.“ Apostelgeschichte 5,31; Apostelgeschichte 4,12. CGl.262.1 Teilen

Der reiche Mann hatte sein ganzes Leben hindurch darnach getrachtet, sich selbst zu befriedigen und sah jetzt zu spät, dass er keine Vorkehrung für die Ewigkeit getroffen hatte. Er erkannte seine Torheit und dachte an seine Brüder, die fortfahren würden, ihren Lüsten zu leben, wie er es getan hatte. Deshalb stellte er die Forderung: „So bitte ich dich, Vater, dass du ihn (Lazarus) sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, dass er ihnen bezeuge, auf dass sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual.“ Aber „Abraham sprach zu ihm: Sie haben Mose und die Propheten; laß sie dieselbigen hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham; sondern, wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob jemand von den Toten aufstünde.“ CGl.262.2 Teilen

Als der reiche Mann darum bat, seinen Brüdern noch weitere Beweise zugehen zu lassen, da wurde ihm klar gesagt, dass, selbst wenn dieser Beweis ihnen gegeben würde, sie doch nicht überzeugt werden würden. Seine Forderung belastete Gott. Es war, als ob der reiche Mann gesagt hätte: wenn du mich mehr und gründlicher gewarnt hättest, so würde ich jetzt nicht hier sein. Abraham wird dargestellt, als ob er in seiner Antwort auf diese Bitte sagte: Deine Brüder sind genügend gewarnt worden, es ist ihnen Licht gegeben worden, aber sie wollten nicht sehen; die Wahrheit ist ihnen gebracht worden, aber sie wollten nicht hören. CGl.262.3 Teilen

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„Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob jemand von den Toten aufstünde.“ Diese Worte haben sich in der Geschichte des jüdischen Volkes bewahrheitet. Das letzte Wunder Christi, wodurch er sozusagen allen von ihm verrichteten Wundern die Krone aufsetzte war die Auferweckung des Lazarus von Bethanien, der schon vier Tage tot gewesen war. Dieser wunderbare Beweis für die Gottheit des Heilandes wurde den Juden gegeben, aber sie verwarfen ihn. Lazarus stand von den Toten auf und legte sein Zeugnis vor ihnen ab; aber sie verhärteten ihre Herzen gegen allen und jeden Beweis und trachteten sogar darnach, ihn zu töten. Johannes 12,9-11. CGl.263.1 Teilen

Das Gesetz und die Propheten sind die von Gott bestimmten Werkzeuge zur Rettung der Menschen. Christus sagte: Laßt sie diesen Beachtung schenken. Wenn sie auf die Stimme Gottes in seinem Worte nicht achteten, so würde das Zeugnis eines von den Toten auferstandenen Zeugen auch nicht beachtet werden. CGl.263.2 Teilen

Die Menschen, die auf Moses und die Propheten achten und ihren Lehren folgen, werden nicht mehr Licht verlangen als Gott gegeben hat; aber die, welche das Licht verwerfen und die ihnen gegebenen Gelegenheiten nicht schätzen, werden auch nicht hören, wenn einer von den Toten mit einer Botschaft zu ihnen kommen würde. Sie würden selbst durch diesen Beweis nicht überzeugt werden; denn Menschen, welche das Gesetz und die Propheten verwerfen, verhärten ihre Herzen derart, dass sie alles Licht verwerfen. CGl.263.3 Teilen

Die Unterhaltung zwischen Abraham und dem bei Lebzeiten so reichen Manne ist bildlich zu nehmen. Die daraus zu ziehende Lehre ist, dass einem jeden Menschen genügend Licht zur Erfüllung der von ihm geforderten Pflicht gegeben wird. Die Verantwortlichkeiten des Menschen stehen im Verhältnis zu seinen Gelegenheiten und Vorrechten. Gott gibt einem jeden genügend Licht und Gnade, das Werk zu verrichten, das er ihm zu tun gegeben hat. Wenn ein Mensch es versäumt, das, was ihm ein kleines Licht als Pflicht zeigt, zu tun, so würde ein größeres Licht nur Untreue und Nachlässigkeit im Ausnützen der erhaltenen Segnungen offenbaren. „Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im Geringsten unrecht ist, der ist auch im Großen unrecht.“ Lukas 16,10. Die Menschen, die sich weigern, sich durch Moses und die Propheten erleuchten zu lassen, und um Verrichtung irgend eines Wunders bitten, würden nicht überzeugt werden, wenn ihr Wunsch erfüllt würde. CGl.263.4 Teilen

264

Das Gleichnis von dem reichen Mann und dem armen Lazarus zeigt, wie die durch diese Männer dargestellten zwei Klassen in der ungesehenen Welt geschätzt werden. Es ist keine Sünde, reich zu sein, wenn der Reichtum nicht durch Ungerechtigkeit erlangt worden ist. Ein reicher Mann wird nicht verdammt, weil er Reichtümer hat; aber die Verdammnis kommt über ihn, wenn er die ihm anvertrauten Mittel in selbstsüchtiger Weise verausgabt. CGl.264.1 Teilen

Weit besser wäre es, wenn er sein Geld neben dem Throne Gottes aufhäufen würde dadurch, dass er es benutzt, um Gutes zu tun. Der Tod kann keinen Menschen arm machen, der nach ewigen Reichtümern trachtet. Aber ein Mensch, der Schätze für sich selbst aufhäuft, kann nichts davon in den Himmel nehmen. Er hat sich als ein ungetreuer Haushalter erwiesen. Während seiner Lebenszeit hat er sein Gutes gehabt, aber er hat seine Pflicht gegen Gott vergessen und hat es vernachlässigt, sich den himmlischen Schatz zu sichern. CGl.264.2 Teilen

Der reiche Mann, der so viele Vorrechte genossen hatte, wird uns dargestellt als einer, der seine Gaben hätte ausbilden sollen, so dass seine Werke bis ans Jenseits gereicht und vergrößerten geistlichen Gewinn mit sich gebracht hätten. Es ist der Zweck der Erlösung, nicht nur die Sünde auszurotten, sondern auch den Menschen jene geistlichen Gaben zurückzugeben, die er infolge der alles verkrüppelnden Macht der Sünde verloren hat. Geld kann nicht mitgenommen werden ins zukünftige Leben, es wird dort auch nicht gebraucht; aber die guten Taten, die geschehen sind, um Seelen für Christum zu gewinnen, gehen in die himmlischen Höfe. Wer des Herrn Gaben in selbstsüchtiger Weise für sich verwendet, seine bedürftigen Mitgeschöpfe ohne Hilfe läßt und nichts tut, um das Werk Gottes in der Welt zu fördern, entehrt seinen Schöpfer. Seinem Namen gegenüber in den Büchern des Himmels steht geschrieben: Beraubung Gottes. CGl.264.3 Teilen

265

Der reiche Mann hatte alles, was durch Geld erlangt werden konnte; aber er besaß nicht die Reichtümer, die seine Rechnung mit Gott begleichen konnten. Er hatte gelebt, als ob alles, was er besaß, ihm gehöre. Er hatte den Ruf Gottes und die Ansprüche der leidenden Armen vernachlässigt. Aber zuletzt kommt ein Ruf, den er nicht vernachlässigen kann. Durch eine Macht, die er nicht in Frage stellen und der er nicht widerstehen kann, wird ihm geboten, die Güter, über welche er nicht länger Haushalter ist, zu verlassen. Der einstmals so reiche Mann gerät in hoffnungslose Armut. Das Kleid der Gerechtigkeit Christi, gewoben am himmlischen Webstuhl, kann ihn niemals bedecken. Er, der einstmals den reichsten Purpur und die feinste Leinwand trug, steht jetzt nackt und bloß da. Seine Gnadenzeit ist zu Ende. Er hat nichts in die Welt hineingebracht und kann auch nichts aus derselben herausnehmen. CGl.265.1 Teilen

Christus hob den Vorhang und führte dieses Bild den Priestern und Obersten, Schriftgelehrten und Pharisäern vor Augen. Seht es euch an, ihr, die ihr reich seid an Gütern dieser Welt, aber nicht in Gott! Wollt ihr nicht über diese Szene nachdenken? Was unter den Menschen am höchsten geschätzt wird, ist in den Augen Gottes ein Greuel. Christus sagt: „Was hülfe es den Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme an seiner Seele Schaden? Oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele löse?“ Markus 8,36.37. CGl.265.2 Teilen

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