Portrait von Ellen White
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Kapitel 40: Eine Nacht auf dem See
Kapitel 40: Eine Nacht auf dem See
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Auf der Grundlage von Matthäus 14,22-33; Markus 6,45-52; Johannes 6,14-21. DM.294 Teilen

Auf der grünen Ebene in der Dämmerung eines Frühlingsabends aß die Menge die Speise, die ihnen der Heiland verschafft hatte. Die Worte Jesu, die sie da gehört hatten, waren ihnen wie eine Offenbarung Gottes vorgekommen. Die Taten der Heilung, die sie sehen durften, konnten nur durch göttliche Kraft bewirkt worden sein. Das Wunder der Brote aber berührte jeden persönlich, jeder hatte Anteil an diesem Geschenk. Zu Moses Zeit hatte der Herr die Kinder Israel in der Wüste durch Manna gespeist, und wer war dieser, der sie heute gespeist hatte, wenn nicht der, von dem Mose geweissagt hatte? DM.294.1 Teilen

Keine menschliche Macht kann aus fünf Gerstenbroten und zwei kleinen Fischen so viel Speise schaffen, um damit Tausende hungriger Leute zu versorgen. Und sie sagten zueinander: „Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll.“ Johannes 6,14. DM.294.2 Teilen

Den ganzen Tag waren sie immer mehr davon überzeugt worden. Doch jene krönende Handlung nun gab ihnen die Gewissheit, dass der lang erwartete Erlöser unter ihnen weilt. Die Hoffnung aller Anwesenden wird immer größer: Er ist es, der Judäa zu einem irdischen Paradies machen wird, zu einem Land, in dem Milch und Honig fließt. Er kann jeden Wunsch erfüllen und auch die verhassten Römer verjagen. Er kann Juda und Jerusalem befreien und die in der Schlacht verwundeten Soldaten heilen, die Heere mit Nahrung versorgen sowie Völker besiegen und auch Israel die lang ersehnte Herrschaft geben. DM.294.3 Teilen

In ihrer Begeisterung sind die Leute bereit, Jesus sofort zum König zu krönen. Sie sehen, dass Er sich nicht darum müht, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken oder sich ehren zu lassen. Hierin unterscheidet Er sich wesentlich von den Priestern und Obersten, und sie befürchten, dass Er nie einen Anspruch auf Davids Thron geltend machen wird. Sie beraten gemeinsam und kommen überein, Ihn gewaltsam zum König von Israel auszurufen. Die Jünger schließen sich der Menge an und erklären, dass der Thron Davids das rechtmäßige Erbe ihres Herrn sei. Nur Jesu Bescheidenheit, sagen sie, veranlasse Ihn, diese Ehre auszuschlagen. Möge doch das Volk Seinen Befreier erheben, dann werden die hochmütigen Priester und Obersten gezwungen sein, den mit göttlicher Macht ausgestatteten Heiland zu ehren. Es werden nun eilig Vorbereitungen getroffen, diesen Plan auszuführen. Doch der Herr bemerkt ihre Absicht und kennt besser als das Volk die Folgen einer solchen Handlung. Schon jetzt trachten die Priester und Obersten Ihm nach dem Leben und beschuldigen Ihn, dass Er das Volk gegen sie aufwiegele. Auf den Versuch des Volkes, Ihn auf den Thron zu setzen, würden nur Gewalttat und Aufstand folgen. Das würde das geistliche Reich in Gefahr bringen. Diese Entwicklung musste sofort gestoppt werden. Jesus rief Seine Jünger und ordnete an, sofort das Boot zu besteigen und nach Kapernaum zurückzufahren, während Er selbst das Volk entlassen werde. DM.294.4 Teilen

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Noch nie waren die Jünger so wenig bereit, die Anordnung ihres Herrn zu befolgen. Sie hatten schon lange auf einen allgemeinen Volksaufstand gehofft, um Jesus auf den Thron zu heben. Sie konnten sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass diese Begeisterung erfolglos bleiben sollte. Die zum Passahfest versammelte Volksmenge wollte den neuen Propheten sehen, und den Jüngern schien die Zeit gekommen, ihren geliebten Meister auf den Thron zu heben. In dieser Begeisterung war es wirklich schwer für sie, ohne Jesus fortzugehen und Ihn an diesem einsamen Platz zurückzulassen. Sie protestierten gegen Seinen Befehl, aber der Herr sprach nun mit solcher Autorität, wie Er sie ihnen gegenüber noch nie gezeigt hatte. Sie wussten nun, dass weiterer Widerstand nutzlos sein würde und wandten sich schweigend dem See zu. DM.295.1 Teilen

Jesus gebietet nun der Menge, auseinanderzugehen. Sein Auftreten ist so bestimmt, dass sich niemand zu widersetzen wagt. Die Worte des Lobes und der Begeisterung ersterben auf ihren Lippen. Die Schritte derer, die Ihn greifen wollen, verhallen, und der frohe, lebhafte Blick weicht aus ihren Augen. In dieser Menschengruppe gibt es Männer mit starkem Willen und fester Entschlossenheit, doch die königliche Haltung Jesu und die wenigen ruhigen und befehlenden Worte unterdrücken den Tumult und vereiteln ihre Absichten. Sie erkennen in Ihm eine Macht, die über aller irdischen Gewalt steht, und unterwerfen sich ohne jede Frage. DM.295.2 Teilen

Als Jesus allein war, „ging er ... auf einen Berg, um zu beten“. Markus 6,46. Stundenlang flehte Er zu Gott. Seine ernsten Bitten galten nicht sich selbst, sondern den Menschen. Er betete um Kraft, den Menschen den göttlichen Charakter Seiner Sendung zu offenbaren, damit Satan ihr Verständnis nicht verdunkeln und ihr Urteil fehlleiten könne. Der Heiland wusste genau, dass die Zeit Seines irdischen Wirkens bald vorüber wäre, und dass nur wenige Ihn als ihren Erlöser annehmen würden. In bitterem Schmerz und tiefem seelischem Ringen betete Er für Seine Jünger, denen noch schwere Prüfungen bevorstanden. Ihre lang gehegten Hoffnungen, die sich auf einen im Volk allgemein verbreiteten Irrtum gründeten, sollten in schmerzlicher und demütigender Weise vereitelt werden. An Stelle Seiner Erhebung auf den Thron Davids würden sie Seine Kreuzigung miterleben. Dies wäre Seine wahre Krönung, aber die Jünger würden es nicht erkennen. Darum kämen kräftige Versuchungen über sie, die sie aber nur schwer als solche erkennen würden. Ohne den Heiligen Geist zur Erleuchtung ihrer Sinne und zur Erweiterung ihres Verständnisses musste ihr Glaube scheitern. Es war schmerzlich für den Heiland, dass sich ihre Vorstellungen von Seinem Reich so sehr auf weltliche Erhöhungen und Ehren beschränkten. Die Sorge für sie lag schwer auf Seinem Herzen, und in bitterem Schmerz und unter heißen Tränen brachte er Seine Bitten zu Gott. DM.295.3 Teilen

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Die Jünger hatten ihr Boot nicht gleich vom Ufer abgestoßen, wie es ihnen von Jesus befohlen worden war. Sie warteten noch einige Zeit und hofften, dass Er nachkäme. Als aber die Dunkelheit der Nacht schnell hereinbrach, traten sie „in ein Boot und fuhren über den See nach Kapernaum“. Johannes 6,17. Sie hatten Jesus mit unbefriedigtem Herzen verlassen und waren ungeduldiger über Ihn als je zuvor, seit sie Ihn als ihren Herrn anerkannt hatten. Sie murrten, weil sie es nicht geschafft hatten, Ihn als König auszurufen. Sie machten sich Vorwürfe, Seinem Befehl so schnell nachgekommen zu sein, da sie vielleicht doch ihre Absicht erreicht hätten, wenn sie entschiedener aufgetreten wären. DM.296.1 Teilen

Unglaube erfüllte ihr Herz und Gemüt. Die Liebe nach weltlicher Ehre hatte sie verblendet. Sie wussten, dass Jesus von den Pharisäern gehasst wurde, und sie waren sehr darauf bedacht, Ihn zu erhöhen, wie es Ihm zustände. Mit einem Lehrer verbunden zu sein, der mächtige Wunder wirken und gleichzeitig als Betrüger geschmäht werden konnte, das war eine Prüfung, die für sie nur schwer zu ertragen war. Sollten sie immer für die Nachfolger eines falschen Propheten gehalten werden? Würde Christus nie Seine Gewalt als König geltend machen? Warum offenbarte Er, der so eine Macht besaß, nicht Seinen wahren Charakter und machte dadurch auch ihren Weg müheloser? Warum hatte Er Johannes den Täufer nicht vor dem gewaltsamen Tod bewahrt? Wegen solcher Gedanken gerieten sie selbst in geistliches Dunkel, bis sie sich schließlich fragten: Könnte ihr Herr ein Betrüger sein, wie es die Pharisäer behaupteten? DM.296.2 Teilen

Die Jünger hatten an jenem Tag die wunderbaren Werke Christi miterlebt und es schien, als ob der Himmel sich zur Erde herabgelassen hätte. Die Erinnerung an jene herrlichen und wertvollen Stunden hätte sie mit Glauben und Hoffnung erfüllen sollen. Wenn sie sich dann aus der Fülle ihres Herzens über all diese Dinge unterhalten hätten, wären sie bestimmt nicht in Versuchung geraten. Ihre Enttäuschung jedoch nahm alle anderen Gedanken gefangen. Die Worte Jesu: „Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkomme“, blieben unbeachtet. Es waren segensreiche Stunden für die Jünger gewesen, aber jetzt hatten sie alles vergessen. Sie befanden sich mitten auf dem unruhigen See. Ihre Gedanken selbst waren stürmisch bewegt und ohne Vernunft. Der Herr gab ihnen etwas anderes, um sie zu beschäftigen und ihre Gedanken abzulenken. Das tut Gott oft, wenn Menschen sich selbst Mühsal und Sorgen schaffen. Es war ganz unnötig, dass sich die Jünger Schwierigkeiten bereiteten, denn die Gefahr näherte sich schnell. DM.296.3 Teilen

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Ein heftiges Unwetter war heraufgezogen und die Jünger waren nicht darauf vorbereitet. Es brach unvermutet los — nach einem herrlichen Tag. Als der Sturm plötzlich tobte, bekamen sie es mit der Angst zu tun. Sie vergaßen schnell ihre Unzufriedenheit, ihren Unglauben und ihre Ungeduld. Jeder von ihnen packte mit an, um das Boot vor dem Sinken zu bewahren. Von Bethsaida bis zu dem Ort, an dem sie Jesus erwarteten, war es nicht weit. Bei günstigem Wetter brauchten sie zur Überfahrt nur einige Stunden. Jetzt aber wurden die Jünger immer weiter von ihrem Ziel abgetrieben. Sie arbeiteten bis zur vierten Nachtwache an den Rudern, dann gaben sich die erschöpften Männer verloren. In Sturm und Dunkelheit hatte der See ihnen ihre Hilflosigkeit gezeigt, und sie sehnten sich nach der Nähe ihres Meisters. DM.297.1 Teilen

Jesus hatte sie nicht vergessen. Der Wächter am Ufer sah die angsterfüllten Männer mit dem Sturm kämpfen. Nicht einen Augenblick verlor er Seine Jünger aus den Augen sondern verfolgte mit großer Aufmerksamkeit das vom Sturm umhergeworfene Boot mit seiner wertvollen Last. Diese Männer sollten doch das Licht der Welt sein. Besorgt, wie eine Mutter über ihre Kinder, wachte der Heiland über Seine Jünger. Als ihre Herzen sich Ihm unterordneten, als sie ihren unheiligen Ehrgeiz bezwungen hatten und wieder demütig um Hilfe flehten, wurde sie ihnen gegeben. DM.297.2 Teilen

In dem Augenblick, da sie meinen, verloren zu sein, erkennen sie in dem Aufleuchten eines Blitzes eine geheimnisvolle Gestalt, die sich ihnen auf den Wogen nähert. Sie ahnen aber nicht, dass es Jesus ist, und halten den, der ihnen zu Hilfe kommen will, für einen Feind. Schrecken erfüllt sie. Die Ruder, die sie mit festem Griff umklammert halten, entfallen ihnen. Das Boot wird zum Spielball der Wellen. Ihre Blicke sind durch die Erscheinung gefesselt — ein Mensch geht auf den schäumenden Wogen des wütenden Sees. DM.297.3 Teilen

Sie glauben, es sei ein Geist, der ihnen ihren Untergang ankündigt, und sie schreien vor Furcht. Die Gestalt kommt immer näher. Es scheint, als wolle sie vorübergleiten. Da erkennen sie ihren Herrn, und sie rufen und bitten um Hilfe. Der Heiland wendet sich ihnen zu, und Seine Stimme besänftigt ihre Furcht: „Seid getrost, ich bin‘s; fürchtet euch nicht!“ Matthäus 14,27. Kaum können die Jünger dieses Wunder begreifen, da gerät Petrus außer sich vor Freude. Er ruft: „Herr, bist du es, so befiel mir, zu dir kommen auf dem Wasser.“ Und Jesus spricht: „Komm her!“ Matthäus 14,28.29. Solange Petrus zu Jesus hinschaut, geht er sicher; kaum blickt er aber stolz zu seinen Gefährten im Boot zurück, da verliert er die Verbindung mit Seinem Herrn. Der Wind stürmt noch heftig, die Wogen gehen hoch und drängen sich zwischen ihn und den Meister. Nun fürchtet sich Petrus. Für einen Augenblick kann er Christus nicht sehen, da lässt sein Glaube nach und er beginnt zu sinken. Aber während die Wogen ihn mit dem Tod bedrohen, blickt Petrus von dem tobenden Wasser weg auf den Heiland hin und ruft: „Herr, hilf mir!“ Sofort ergreift Jesus die ausgestreckte Hand mit den Worten: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Matthäus 14,30.31. DM.297.4 Teilen

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An der Hand Seines Heilandes betrat Petrus wieder das Schiff. Er war gedemütigt worden und verhielt sich nun still. Er hatte keinen Grund mehr, sich vor den Gefährten zu rühmen, denn er hätte durch Unglauben und Überheblichkeit beinahe sein Leben verloren, denn als er die Augen von Jesus wandte, verlor er seinen Halt und versank in den Wellen. DM.298.1 Teilen

Wie oft gleichen wir Petrus, wenn Schwierigkeiten auf uns zukommen! Wir sehen dann auf die brausenden Wogen, statt unseren Blick auf den Herrn zu heften. Unsere Füße gleiten aus, und die stolzen Wellen gehen über uns hinweg. Jesus hatte Petrus nicht geboten, zu Ihm zu kommen, damit er umkomme. Er fordert auch uns nicht auf, Ihm nachzufolgen, um uns dann zu verlassen. „Fürchte dich nicht“, sagt Er, „denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland.“ Jesaja 43,1-3. DM.298.2 Teilen

Jesus kannte den Charakter Seiner Jünger. Er wusste, wie schwer ihr Glaube geprüft werden würde. Durch die Erfahrung auf dem See wollte Er die Schwäche von Petrus offenbaren und ihm zeigen, dass seine Sicherheit nur darauf beruhe, der göttlichen Macht beständig zu vertrauen. Inmitten der Stürme der Versuchung konnte er nur dann sicher sein, wenn er, frei von überheblichem Selbstvertrauen, sich ausschließlich auf den Herrn verlassen würde. Gerade dann, als Petrus meinte, stark zu sein, war er schwach. Erst als er seine Schwäche erkannte, konnte er das Bedürfnis seiner Abhängigkeit von Gott sehen. Hätte er aus der Lektion auf dem See gelernt, die Jesus ihm gerne geben wollte, dann wäre er auch nicht gescheitert, als die große Prüfung an ihn herantrat. DM.298.3 Teilen

Jeden Tag unterweist Gott Seine Kinder. Durch die Erlebnisse des täglichen Lebens bereitet Er sie darauf vor, dass sie eine größere Aufgabe übernehmen können, zu der Seine Vorsehung sie berufen hat. Sieg oder Niederlage in der großen Lebensentscheidung hängt davon ab, wie sie mit den täglichen Prüfungen fertig werden. Wer seine ständige Abhängigkeit von Gott nicht erkennt, wird in der Versuchung unterliegen. Wir meinen vielleicht, sicher zu stehen und nicht fallen zu können. Wir mögen vertrauensvoll sagen: Ich weiß, an wen ich glaube — nichts kann meinen Glauben an Gott und Sein Wort erschüttern! Aber Satan denkt unablässig darüber nach, wie er aus unseren menschlichen Mängeln Vorteile ziehen und unsere Augen gegen unsere wahren Bedürfnisse blind machen kann. Nur durch das Erkennen unserer Schwächen, und durch den ständigen Blick auf Jesus können wir sicher wandeln. DM.298.4 Teilen

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Kaum hatte Jesus das Boot bestiegen, hörte der Sturm auf. „Und sogleich war das Boot an der Stelle, wohin sie fahren wollten.“ Johannes 6,21. DM.299.1 Teilen

Der Schreckensnacht folgte das sanfte Licht der Morgendämmerung. Die Jünger und noch andere Leute, die sich mit ihnen im Boot befanden, beugten sich mit dankerfülltem Herzen zu den Füßen Jesu und sagten: „Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!“ Matthäus 14,33. DM.299.2 Teilen

Kapitel 41: Die Entscheidung in Galiläa
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Auf der Grundlage von Johannes 6,22-71; markus 14,22; Lukas 4,4. DM.300 Teilen

Christus wusste, dass ein Wendepunkt in Seinem Dasein erreicht war, als Er es den Menschen untersagte, Ihn zum König auszurufen. Die Volksmenge, die Ihn heute auf den Thron heben wollte, hätte sich am nächsten Tag von Ihm abgewandt. Sobald ihr selbstsüchtiger Ehrgeiz enttäuscht worden wäre, hätte sich ihre Liebe in Hass und ihr Lob in Fluch verwandelt. Doch obwohl Christus dies wusste, unternahm Er nichts, um die Krise abzuwenden. Von Anfang an hatte Er Seinen Nachfolgern keinerlei Hoffnung auf irdische Belohnung gemacht. Einem Mann, der Sein Jünger werden wollte, sagte Er: „Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ Matthäus 8,20. DM.300.1 Teilen

Hätten die Menschen zugleich Christus und die Welt besitzen können, würden sie Ihm in Scharen ihrer Treue versichert haben. Aber so einen Dienst konnte Er nicht annehmen. Viele Seiner Anhänger damals wurden von der Hoffnung auf ein weltliches Königreich angezogen. Sie sollten eines besseren belehrt werden. Die tiefe geistliche Bedeutung des von Ihm vollbrachten Wunders der Speisung war von ihnen nicht verstanden worden. Das aber wollte Er ihnen verständlich machen. Diese neue Offenbarung würde jedoch eine strengere Prüfung mit sich bringen. DM.300.2 Teilen

Überall sprach man über das Wunder der Brotvermehrung, und schon früh am nächsten Morgen strömten die Leute nach Bethsaida, um Jesus zu sehen. Sie kamen zahlreich auf dem Landweg und auch über den See. Die Ihn am Abend zuvor verlassen hatten, kehrten zurück und erwarteten, Ihn dort noch anzutreffen. Es war doch kein Boot vorhanden, mit dem Er zum anderen Seeufer hätte übersetzen können. Ihr Suchen blieb jedoch erfolglos. Deshalb wandten sich viele wieder nach Kapernaum, um Ihn dort zu suchen. Inzwischen befand sich Jesus nach nur eintägiger Abwesenheit wieder in der Landschaft Genezareth. „Als sie aus dem Boot stiegen, erkannten ihn die Leute alsbald und liefen im ganzen Land umher und fingen an, die Kranken auf Bahren überall dorthin zu tragen, wo sie hörten, dass er war“. Markus 6,54.55. DM.300.3 Teilen

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Kurze Zeit später ging Er in die Synagoge. Dort fanden Ihn die Leute, die aus Bethsaida gekommen waren. Sie erfuhren, wie Er den See überquert hatte. Die Jünger erzählten der staunenden Menge in allen Einzelheiten von der Heftigkeit des Sturms, dem stundenlangen vergeblichen Rudern gegen widrige Winde, dem Erscheinen Jesu, der auf dem Wasser ging, von der Furcht, in die sie dadurch gerieten und wie Christus sie beruhigte. Sie erzählten vom Wagnis des Petrus, was er erlebte und wie plötzlich der Sturm aufhörte, sodass das Boot anlegen konnte. Viele aber, die mit diesem Bericht nicht zufrieden waren, versammelten sich um Jesus und fragten Ihn: „Rabbi, wann bist du hergekommen?“ Johannes 6,25. Sie hofften, von Ihm selbst eine Schilderung des Wunders zu hören. DM.301.1 Teilen

Jesus aber befriedigte ihre Neugier nicht. Traurig erwiderte Er: „Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von dem Brot gegessen habt und satt geworden seid.“ Johannes 6,26. Sie suchten Ihn nicht aus edlen Motiven. Das Brot hatte sie gesättigt, und nun erwarteten sie, weitere irdische Vorteile zu haben, wenn sie sich an Ihn hielten. Der Heiland aber machte ihnen klar: „Verschafft euch doch nicht die Speise, die vergänglich ist, sondern die Speise, die für das ewige Leben vorhält.“ Johannes 6,27 (Menge). Anders ausgedrückt: Trachtet nicht nur nach irdischem Gewinn! Lasst es nicht euer Hauptanliegen sein, für das diesseitige Leben zu sorgen, sondern strebt nach geistlicher Speise — nach jener Weisheit, die bis ins ewige Leben andauert und die allein der Sohn Gottes schenken kann; „denn dazu hat Gott der Vater ihn gesandt“. Johannes 6,27 (NL). DM.301.2 Teilen

Für einen Moment war das Interesse der Hörer geweckt. Sie riefen aus: „Was sollen wir tun, um die Werke Gottes zu wirken?“ Johannes 6,28. Sie hatten vieles und schweres geleistet, um sich vor Gott angenehm zu machen. Sie waren auch bereit, eine neue Vorschrift zu beachten, durch deren Befolgung sie sich ein größeres Verdienst sichern konnten. Ihre Frage bedeutete eigentlich: Was sollen wir tun, um uns den Himmel zu verdienen? Welchen Preis müssen wir zahlen, um das künftige Leben zu bekommen? „Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Das ist Gottes Werk, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat.“ Johannes 6,29. Der Preis des Himmels ist die Annahme Jesu. Der Weg zum Himmel geht über den Glauben an „Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt“. Johannes 1,29. DM.301.3 Teilen

Die Menschen aber wollten diese Erklärung nicht als göttliche Wahrheit annehmen. Jesus hatte genau das getan, was die Prophezeiungen über die Taten des Messias vorausgesagt hatten; aber die Menschen vermissten, was ihre egoistischen Hoffnungen sich als Sein Wirken vorgestellt hatten. Nun, Christus hatte die Menge mit Gerstenbroten gesättigt. Doch war Israel in den Tagen Moses nicht 40 Jahre durch Manna ernährt worden? Weit größere Segenstaten erwartete man vom Messias. Unzufriedenen Herzens fragten sie, weshalb Jesus, wenn Er schon so viele wunderbare Taten vollbrachte, die sie miterlebt hatten, den Menschen nicht Gesundheit, Kraft und Reichtum schenkte, sie nicht von den Unterdrückern befreite und ihnen nicht zu Macht und Ansehen verhalf. Dass Jesus behauptete, der Gesandte Gottes zu sein, nicht aber der König Israels sein wollte, das war für sie ein Geheimnis, das sie nicht begreifen konnten. Seine Weigerung wurde falsch verstanden. Viele schlossen daraus, dass Er es nicht wagte, auf Seinen Ansprüchen zu bestehen, weil Er selbst am göttlichen Charakter Seiner Sendung zweifelte. So öffneten sie ihre Herzen dem Unglauben, und die Saat, die Satan ausgestreut hatte, brachte die entsprechenden Früchte: Missverständnisse und Abfall. Nun fragte Ihn ein Schriftgelehrter halb spöttisch: „Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht: ‚Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen.‘“ Johannes 6,30.31. DM.301.4 Teilen

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Die Juden ehrten Mose als Spender des Manna und priesen so den Mittler, wobei sie den aus den Augen verloren, der diese Tat eigentlich vollbracht hatte. Ihre Vorfahren hatten gegen Mose gemurrt, an ihm gezweifelt und seine göttliche Mission bestritten. In der gleichen Gesinnung verwarfen deren Nachkommen jetzt den, der ihnen die Botschaft Gottes überbrachte. „Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben.“ Johannes 6,32. Der Spender des Manna stand vor ihnen. Christus selbst hatte ja die Hebräer durch die Wüste geführt und sie täglich mit Himmelsbrot versorgt. Diese Speise war ein Symbol für das wahre Himmelsbrot. Der lebenspendende Geist, der von der unendlichen Fülle Gottes nimmt, ist das wahre Manna. „Denn“, so sagte Jesus, „Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.“ Johannes 6,33. Einige Hörer meinten noch immer, dass Jesus auf irdische Nahrung hinwies und riefen deshalb aus: „Herr, gib uns allezeit solches Brot.“ Daraufhin wurde Jesus deutlich: „Ich bin das Brot des Lebens“ Johannes 6,34.35. DM.302.1 Teilen

Das Bild, das Jesus gebrauchte, war den Juden gut vertraut. Schon Mose hatte unter dem Einfluss des Heiligen Geistes den Israeliten gesagt, „dass der Mensch nicht lebt vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Mund des Herrn geht“. 5.Mose 8,3. Und der Prophet Jeremia hatte geschrieben: „Dein Wort ward meine Speise, sooft ich‘s empfing, und dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost.“ Jeremia 15,15. Selbst die Rabbiner kannten ein Sprichwort, wonach das Essen von Brot in geistlichem Verständnis Studium des Gesetzes und Erfüllung guter Werke bedeutete, und oft hieß es, dass bei der Ankunft des Messias ganz Israel gesättigt würde. Die Lehren der Propheten enthüllten den tiefen geistlichen Sinn, der in dem Brotwunder steckte. Diese Bedeutung wollte Christus Seinen Hörern in der Synagoge erschließen. Hätten sie die Schrift verstanden, dann würden sie auch erfasst haben, was Seine Worte bedeuteten: „Ich bin das Brot des Lebens.“ Johannes 6,35. Erst einen Tag zuvor war die große, ermattete und müde Volksmenge durch das Brot gesättigt worden, das Er gegeben hatte. Wie sie durch dieses Brot körperlich gekräftigt und erfrischt worden waren, so hätten sie durch Christus geistliche Kraft für das ewige Leben erhalten können. Er fuhr deshalb fort: „Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Johannes 6,35. Aber Er fügte auch hinzu: „Ihr habt mich wohl gesehen, glaubt aber doch nicht.“ Johannes 6,36 (Menge). DM.302.2 Teilen

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Sie hatten Christus durch ein Zeugnis des Heiligen Geistes und eine Offenbarung Gottes erkannt. Die lebenden Beweise Seiner Macht hatten sie täglich vor Augen gehabt, trotzdem fragten sie noch nach einem weiteren Zeichen. Hätten sie es auch erhalten, so wären sie doch weiter ungläubig geblieben. Konnten sie nicht durch das Gesehene und Gehörte überzeugt werden, dann hatte es keinen Sinn, ihnen noch wunderbarere Dinge zu zeigen. Der Unglaube findet für den Zweifel immer einen Grund und diskutiert den sichersten Beweis hinweg. DM.303.1 Teilen

Und wieder rief Christus jenen starrsinnigen Herzen zu: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ Johannes 6,37. Alle, die Ihn im Glauben annähmen, so versicherte Er, würden das ewige Leben haben. Nicht einer könnte verloren gehen. Weder die Pharisäer noch die Sadduzäer brauchten sich weiterhin über das zukünftige Leben zu streiten. Und niemand brauchte länger in hoffnungslosem Leid um seine Toten zu trauern. „Denn das ist der Wille meines Vaters, dass, wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.“ Johannes 6,40. DM.303.2 Teilen

Die Führer des Volkes waren jedoch beleidigt und sprachen: „Ist dieser nicht Jesus, Josephs Sohn, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wieso spricht Er dann: Ich bin vom Himmel gekommen?“ Johannes 6,42. Sie wollten so Vorurteile wecken, indem sie sich verächtlich auf Jesu niedrige Herkunft bezogen. Abfällig erinnerten sie an Sein Leben als Arbeiter in Galiläa sowie an Seine Familie, die arm und von einfachem Stand war. Die Behauptungen dieses ungelehrten Zimmermannes wären, so behaupteten sie, keiner Aufmerksamkeit wert. Das Wunderbare Seiner geheimnisvollen Geburt nahmen sie zum Anlass, von einer zweifelhaften Herkunft zu sprechen und die irdischen Umstände Seiner Geburt als Makel hinzustellen. DM.303.3 Teilen

Jesus versuchte nicht, das Geheimnis Seiner Geburt zu erklären. Er beantwortete weder die Fragen im Hinblick auf Seine himmlische Herkunft noch die, wie Er auf dem See hatte gehen können. Überhaupt lenkte Er die Aufmerksamkeit nicht auf die Wunder, die Sein Leben auszeichneten. Freiwillig hatte Er auf ein hohes Ansehen verzichtet und statt dessen Knechtsgestalt angenommen. Seine Worte und Taten aber bezeugten, wer Er wirklich war. Alle, deren Herzen der göttlichen Erleuchtung geöffnet waren, erkannten in Ihm den eingeborenen Sohn „vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“. Johannes 1,14. DM.303.4 Teilen

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Das Vorurteil der Pharisäer lag viel tiefer, als aus ihren Fragen hervorging, es war in der Verderbtheit ihrer Herzen begründet. Jedes Wort und jede Tat Jesu rief in ihnen Widerstand hervor; denn der Geist, den sie hegten, fand bei Ihm keinen Widerhall. „Nur der kann zu mir kommen, den der Vater, der mich gesandt hat, zu mir führt. Und ich werde jeden, der zu mir kommt, am letzten Tag vom Tod erwecken. Die Propheten haben geschrieben: ‚Gott selbst wird sie alle unterweisen.‘ Wer den Vater hört und von ihm lernt, der kommt zu mir.“ Johannes 6,45 (GN). Niemand wird je zu Christus kommen, wenn er nicht auf die Liebe des Vaters eingeht, die uns zu Ihm führt. Doch Gott zieht alle Herzen zu sich, und nur wer sich Ihm widersetzt, wird sich weigern, zu Christus zu kommen. DM.304.1 Teilen

Mit den Worten: „Gott selbst wird sie alle unterweisen“ bezog sich Jesus auf die Weissagung des Propheten Jesaja: „Kinder werden vom Herrn gelehrt und der Friede deiner Kinder wird groß sein.“ Jesaja 54,13. Dieses Schriftwort wandten die Juden auf sich an. Sie rühmten sich damit, dass Gott ihr Lehrer sei. Jesus aber zeigte ihnen, wie vergeblich solch ein Anspruch ist, denn Er sagte: „Wer den Vater hört und von ihm lernt, der kommt zu mir.“ Johannes 6,45 (GN). Nur durch Christus konnten sie Kenntnis über den Vater erlangen. Die menschliche Natur konnte die Erscheinung Seiner Herrlichkeit nicht ertragen. Wer von Gott gelernt hatte, hörte auf die Stimme des Sohnes und erkannte in Jesus von Nazareth den, der durch Sein Wesen und durch Offenbarung den Vater darstellte. DM.304.2 Teilen

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben.“ Johannes 6,47. Johannes, der Lieblingsjünger, hatte diesen Worten zugehört. Durch ihn erklärte der Heilige Geist den Gemeinden: „Das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, der hat das Leben.“ 1.Johannes 5,11.12. Jesus versprach: „Ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.“ Johannes 6,44. Christus wurde eins mit uns im Fleisch, damit wir im Geist eins würden mit Ihm. Kraft dieser Verbindung werden wir aus dem Grab wieder hervorkommen, nicht nur als Bekundung der Macht Christi, sondern weil durch den Glauben Sein Leben zu unserem wurde. Wer das wahre Wesen Christi erkennt und Ihn in seinem Herzen aufnimmt, hat ewiges Leben. Durch den Geist bleibt Christus in uns, und der Geist Gottes, den unser Herz im Glauben erhält, ist der Anfang vom ewigen Leben. DM.304.3 Teilen

Die Menschen hatten Christus auf das Manna hingewiesen, das ihre Vorfahren in der Wüste gegessen hatten, als wäre die Gewährung dieser Speise ein größeres Wunder gewesen als das, was Jesus getan hatte. Er zeigte, wie einfach diese Gabe war im Vergleich zu dem, das Er schenken wollte. Das Manna konnte nur die irdische Existenz sichern. Es konnte weder den Tod verhindern noch Unsterblichkeit zusichern. Das Brot des Himmels dagegen würde sie nähren und zum ewigen Leben führen. Der Heiland sagte deshalb: „Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.“ Johannes 6,48-51. Diesem Bild fügt Christus noch ein weiteres hinzu. Nur durch Sterben konnte Er den Menschen Leben schenken, und mit folgenden Worten nennt Er Seinen Tod das Mittel der Erlösung, denn Er sagt: „Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.“ Johannes 6,51. DM.304.4 Teilen

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Die Juden wollten in Jerusalem gerade das Passahfest feiern zur Erinnerung an die Nacht der Befreiung Israels, als der Todesengel die Familien der Ägypter heimsuchte. Nach dem Willen Gottes sollten sie im Passahlamm das Lamm Gottes sehen und in diesem Bild jenen annehmen, der sich selbst für das Leben der Welt gab. Aber die Juden hatten das Sinnbild zur höchsten Bedeutung erhoben und verstanden seinen Sinn nicht mehr. Daher erkannten sie in Ihm nicht den Leib des Herrn. Die gleiche Wahrheit, die im Passahfest symbolisiert wurde, lehrte auch von Christus, doch diese wurde noch immer nicht verstanden. DM.305.1 Teilen

Nun riefen die Rabbiner ärgerlich: „Wie kann der uns sein Fleisch zu essen geben?“ Johannes 6,52. Sie taten so, als verstünden sie Seine Worte in demselben buchstäblichen Sinn wie Nikodemus, als dieser fragte: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist?“ Johannes 3,4. Bis zu einem gewissen Grad begriffen sie, was Jesus meinte, aber sie wollten es nicht zugeben. Bewusst deuteten sie Seine Worte falsch in der Hoffnung, das Volk gegen Ihn aufzuwiegeln. Christus schwächte jedoch Seine sinnbildliche Darstellung nicht ab, sondern wiederholte die Wahrheit vielmehr mit noch deutlicheren Worten: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.“ Johannes 6,53-56. DM.305.2 Teilen

Christi Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken heißt, Ihn als persönlichen Heiland anzunehmen sowie daran zu glauben, dass Er uns unsere Sünden vergibt, und dass wir in Ihm vollkommen sind. Wenn wir mit Seiner Liebe verbunden sind, in ihr bleiben, sie in uns aufnehmen, dann haben wir Anteil an Seiner Natur. Was die Speise für den Körper bedeutet, das ist Christus für unser Herz. Nahrung nützt uns nichts, wenn wir sie nicht essen und sie dadurch nicht zu einem Bestandteil von uns wird. Genauso ist Christus für uns wertlos, wenn wir Ihn nicht als unseren persönlichen Heiland anerkennen. Ein rein theoretisches Wissen wird uns nichts nützen. Wir müssen vielmehr von Ihm leben, Ihn in unser Herz aufnehmen, damit Sein Leben unser Leben wird. Seine Liebe und Gnade muss in uns aufgenommen werden. Doch selbst diese Bilder stellen das besondere der Beziehungen des gläubigen Menschen zu Christus nicht ausreichend dar. Christus sagte: „Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen.“ Johannes 6,57. Wie der Sohn Gottes durch Seinen Glauben an den Vater lebte, so sollen auch wir durch den Glauben an Christus leben. Jesus hatte sich dem Willen Gottes so völlig ausgeliefert, dass allein der Vater in Seinem Leben sichtbar wurde. Obwohl Er in allen Dingen genauso versucht wurde wie wir, stand Er in dieser Welt ohne Beeinträchtigung vom Bösen, das Ihn umgab. So sollen auch wir genauso überwinden wie Christus. DM.305.3 Teilen

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Bist du ein Nachfolger Jesu? Wenn ja, dann ist alles, was über das geistliche Leben geschrieben steht, für dich geschrieben. Du kannst es erhalten, wenn du dich mit Ihm vereinst. Lässt dein Eifer nach? Ist deine erste Liebe erkaltet? Dann nimm wieder die Liebe an, die Christus dir anbietet. Iss Sein Fleisch und trinke Sein Blut, und du wirst mit dem Vater und dem Sohn eins werden. Die ungläubigen Juden wollten die Worte des Heilandes nur wörtlich verstanden wissen. Im Zeremonialgesetz war ihnen der Blutgenuss verboten. Sie legten daher Christi Rede als eine Lästerung aus und stritten sich untereinander darüber. Sogar viele Jünger erklärten: „Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören?“ Johannes 6,60. DM.306.1 Teilen

Der Heiland antwortete ihnen: „Ärgert euch das? Wie wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war? Der Geist ist‘s, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich rede, sind Geist und sind Leben.“ Johannes 6,61-63. Das Leben von Christus, das Er der Welt schenkt, ist in Seinem Wort. Dadurch heilte Jesus Kranke und trieb Dämonen aus. Durch Sein Wort stillte Er den Sturm und weckte Tote auf. Die Menschen bezeugten, dass Sein Wort voller Kraft war. Er sprach Gottes Wort, wie Er es durch die Propheten und Lehrer des Alten Testaments gesprochen hatte. Die ganze Bibel ist eine Offenbarung Christi, und der Heiland wollte den Glauben Seiner Nachfolger deshalb an das Wort koppeln. Wenn Er nicht mehr sichtbar unter ihnen weilen würde, dann müsste das Wort die Quelle ihrer Kraft sein. Wie ihr Meister, so sollten auch sie leben „von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht“. Matthäus 4,4. DM.306.2 Teilen

Wie unser Körper durch Nahrung am Leben erhalten wird, so unser geistliches Leben durch Gottes Wort. Jeder Mensch soll aus dem Wort Gottes für sich selbst Leben empfangen. Wie wir um unser selbst willen essen müssen, um ernährt zu werden, so müssen wir uns auch Gottes Wort selbst aneignen. Wir sollen es nicht nur durch die Vermittlung anderer Menschen empfangen, sondern sorgfältig die Bibel studieren und Gott um die Hilfe des Heiligen Geistes anflehen, damit wir Sein Wort auch verstehen. Wir sollten uns einen Vers vornehmen und uns ernstlich darauf konzentrieren, den Gedanken zu erfassen, den Gott für uns dort hineingelegt hat. Dabei sollten wir so lange verweilen, bis er zu unserem eigenen wird und wir wissen, was der Herr sagt. Mit Seinen Verheißungen und Warnungen wendet sich Jesus ganz persönlich an mich. DM.306.3 Teilen

307

Gott liebte die Welt so sehr, „dass er seinen eingeborenen Sohn gab“ (Johannes 3,16), damit auch ich durch den Glauben an ihn nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben habe. Die im Wort Gottes erhaltenen Erfahrungen sollen meine Erfahrungen werden. Gebet und Verheißung, Gebot und Warnung sind für mich ganz persönlich. „Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahin gegeben.“ Galater 2,19.20. Werden so im Glauben die Grundsätze der Wahrheit aufgenommen und sich angeeignet, dann werden sie zum Bestandteil des menschlichen Wesens und zur bewegenden Kraft seines Lebens. Das Wort Gottes im Herzen formt die Gedanken und gestaltet die Charakterentwicklung. DM.307.1 Teilen

Schauen wir mit Augen des Glaubens beständig auf Jesus, dann werden wir stark. Gott wird Seinem hungernden und dürstenden Volk die herrlichsten Offenbarungen schenken und es erfahren lassen, dass Christus ein persönlicher Erlöser ist. Alle, die sich mit Seinem Wort nähren, merken bald, dass es Geist und Leben ist. Das Wort zerstört die natürliche, irdische Wesensart und gibt neues Leben in Christus. Der Heilige Geist naht sich der Seele als Tröster. Durch die umwandelnde Kraft Seiner Gnade wird das Ebenbild Gottes in dem Jünger hergestellt und er wird eine neue Kreatur. Liebe tritt an die Stelle von Hass, und das Herz wird Gott ähnlich. Das bedeutet es, „von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht“, zu leben und das Brot zu essen, das vom Himmel kommt. DM.307.2 Teilen

Christus hatte hinsichtlich der Beziehung zwischen Ihm und Seinen Nachfolgern eine heilige und ewige Wahrheit ausgesprochen. Er wusste, wie jene beschaffen waren, die den Anspruch erhoben, Seine Jünger zu sein. Seine Worte stellten ihren Glauben auf die Probe. Er erklärte ihnen, dass sie glauben und sich nach Seinen Lehren richten sollten. Jeder, der Ihn aufnahm, sollte von Seinem Wesen und Seinem Charakter erfüllt werden. Dies aber hieß, dass sie ihre liebgewordenen Neigungen aufgeben mussten. Dazu gehörte ferner die völlige Übergabe des eigenen Ichs an Jesus. So wurden sie aufgerufen, aufopferungsvoll, bescheiden und demütig zu sein. Sie sollten — wie der Mann von Golgatha — den schmalen Weg gehen, wenn sie die Gabe des ewigen Lebens und die Herrlichkeit des Himmels empfangen wollten. Diese Prüfung war zu schwer. Die Begeisterung der Menschen, die Ihn gewaltsam entführen und zum König machen wollten, erkaltete. Diese Unterredung in der Synagoge, so erklärten sie, habe ihnen die Augen geöffnet. Jetzt seien sie klüger geworden. Für sie waren Seine Worte geradezu das Eingeständnis, dass Er nicht der Messias sei, und dass aus einer Verbindung mit Ihm kein irdischer Gewinn realisiert werden könne. Seine Wunder wirkende Kraft hatten sie begrüßt. Sie waren froh, von Krankheit und Leid befreit zu werden. An Seinem aufopfernden Leben waren sie jedoch nicht interessiert. Sie kümmerten sich auch nicht um das geheimnisvolle geistliche Reich, von dem Er sprach. Die unaufrichtigen und selbstsüchtigen Menschen, die zu Ihm gekommen waren, hatten kein Verlangen mehr nach Ihm. Falls Er Seine Macht und Seinen Einfluss nicht dazu einsetzen würde, sie von den Römern zu befreien, dann wollten sie mit Ihm nichts mehr zu tun haben. DM.307.3 Teilen

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Jesus sagte ihnen deutlich: „Es gibt einige unter euch, die glauben nicht.“ Und Er fügte hinzu: „Darum habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn vom Vater gegeben.“ Johannes 6,64.65. Sie sollten begreifen, dass sie sich deshalb nicht zu Ihm gezogen fühlten, weil ihre Herzen für den Heiligen Geist nicht offen waren: „Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt sein.“ 1.Korinther 2,14. Nur im Glauben erblickt die Seele die Herrlichkeit Jesu. Die bleibt ihr so lange verborgen, bis durch den Heiligen Geist der Glaube im Herzen entzündet ist. DM.308.1 Teilen

Durch die öffentliche Zurechtweisung ihres Unglaubens wurden diese Jünger Jesus noch mehr entfremdet. Sie waren sehr erbost. Weil sie den Heiland kränken und der Böswilligkeit der Pharisäer zugetan sein wollten, wandten sie Jesus den Rücken und verließen Ihn voller Verachtung. Sie hatten ihre Wahl getroffen und sich der Form ohne Geist, der Hülse ohne Kern zugewandt. Ihre Entscheidung haben sie später nicht wieder korrigiert, denn sie „gingen hinfort nicht mehr mit ihm“. Johannes 6,66. „Er hat die Wurfschaufel in seiner Hand und wird seine Tenne gründlich reinigen und seinen Weizen in die Scheune sammeln.“ Matthäus 3,12. Jetzt war solch eine Zeit der Reinigung gekommen. Die Worte der Wahrheit trennten die Spreu vom Weizen. Viele wandten sich jetzt von Jesus ab, weil sie zu eitel und zu selbstgerecht waren und allzu sehr die Welt liebten, um ein Leben der Demut auf sich zu nehmen. Auch heute verhalten sich viele Menschen so. Auch jetzt werden Menschen so geprüft wie damals die Jünger in der Synagoge zu Kapernaum. Wenn ihnen die Wahrheit nahegebracht wird, so erkennen sie, dass ihr Leben nicht mit dem Willen Gottes übereinstimmt. Sie begreifen zwar, dass sie sich von Grund auf ändern müssen, sind aber nicht bereit, diese selbstverleugnende Aufgabe auszuführen. Deshalb ärgern sie sich, wenn ihre Sünden aufgedeckt werden. Beleidigt wenden sie sich ab, wie damals die Jünger und murren dabei: „Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören?“ Johannes 6,60. Lob und Schmeichelei würden ihnen zusagen, die Wahrheit aber ist ihnen nicht willkommen. Sie können sie nicht ertragen. Wenn Menschenmassen nachfolgen und Tausende gesättigt werden, wenn Triumphgeschrei ertönt, dann schreien sie ihr Lob mit lauter Stimme hinaus. Sobald aber Gottes Geist ihre Sünden offenbart und sie auffordert, diese abzulegen, dann kehren sie der Wahrheit den Rücken und folgen Jesus nicht mehr nach. DM.308.2 Teilen

309

Als diese unzufriedenen Jünger sich von Christus abwandten, führte sie ein anderer Geist. Ihn, der ihnen einst so anziehend erschienen war, fanden sie nicht mehr interessant. Sie suchten jetzt Seine Feinde auf, denn mit ihnen stimmten sie nun in Gesinnung und Haltung überein. Sie missdeuteten Seine Worte, verfälschten Seine Aussagen und bestritten Seine Motive. Sie stärkten ihre Entscheidung dadurch, dass sie alles sammelten, was gegen Ihn verwendet werden konnte. Durch diese falschen Berichte entstand eine Empörung, die Sein Leben gefährdete. Schnell verbreitete sich die Nachricht, dass Jesus selbst eingestanden habe, nicht der Messias zu sein. Dadurch entstand in Galiläa eine allgemeine Stimmung gegen Ihn wie ein Jahr zuvor in Judäa. Wehe dem Volk Israel! Es lehnte Seinen Erlöser ab, weil es nach einem Eroberer Ausschau hielt, der ihm irdische Macht geben sollte. Es wünschte sich eine Speise, die vergänglich ist, nicht aber etwas, das „in das ewige Leben führt“. Johannes 6,27 (NL). DM.309.1 Teilen

Schmerzlich sah Jesus, wie jene, die bisher Seine Nachfolger gewesen waren, sich von Ihm abwandten — dem Leben und Licht der Menschen. Das Bewusstsein, dass man Sein Mitleid nicht schätzte, Seine Liebe nicht erwiderte, Seine Gnade verachtete und Seine Erlösung ablehnte, erfüllte Ihn mit unbeschreiblichem Kummer. Solche Entwicklungen wie diese machten Ihn zu einem Mann der Schmerzen, der mit Leid vertraut war. Ohne zu versuchen, jene aufzuhalten, die Ihn verließen, „fragte Jesus die Zwölf: Wollt ihr auch weggehen?“ Johannes 6,67. DM.309.2 Teilen

Petrus antwortete Ihm mit der Gegenfrage: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ Und er fügte hinzu: „Wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.“ Johannes 6,68.69. DM.309.3 Teilen

„Wohin sollen wir gehen?“ Die Lehrer Israels waren Sklaven ihres Formenwesens. Die Pharisäer und Sadduzäer lagen miteinander in ständigem Streit. Wer Jesus verließ, geriet damit unter Eiferer für Bräuche und Zeremonien sowie unter ehrgeizige Menschen, die nur ihren eigenen Ruhm suchten. Die Jünger hatten, seit sie Christus angenommen hatten, mehr Frieden und Freude gefunden als in ihrem ganzen Leben davor. Wie konnten sie nun zu denen wieder zurückkehren, die den Freund der Sünder verachteten und verfolgten? Schon lange hatten sie nach dem Messias Ausschau gehalten. Jetzt war Er endlich erschienen, und sie konnten sich nicht von Ihm abwenden und zu denen übergehen, die Jesus nach dem Leben trachteten und sie selbst auch verfolgt hatten, weil sie Seine Jünger geworden waren. „Wohin sollen wir gehen?“ Auf keinen Fall fort von den Lehren Christi, von Seinen Beispielen der Liebe und Gnade und hin zur Finsternis des Unglaubens und zur Bosheit der Welt! DM.309.4 Teilen

310

Während der Heiland von vielen verlassen wurde, die Zeugen Seines Wunderwirkens gewesen waren, drückte Petrus den Glauben der Jünger aus: „Du bist Christus.“ Nur der Gedanke daran, diesen Anker für ihre Seelen verlieren zu können, erfüllte sie mit Angst und Schmerz. Ohne Heiland zu sein, bedeutete für sie, auf einem finsteren, stürmischen Meer umherzutreiben. DM.310.1 Teilen

Viele Worte und Taten Jesu erscheinen dem begrenzten Verstand geheimnisvoll, aber jedes Wort und jede Tat diente einem ganz bestimmten Zweck im Erlösungswerk und sollte ein besonderes Ergebnis hervorbringen. Wären wir fähig, Jesu Absichten zu begreifen, dann würde uns alles wichtig erscheinen, vollkommen und in Übereinstimmung mit Seiner Sendung. DM.310.2 Teilen

Während wir jetzt das Handeln Gottes und Seine Wege noch nicht wahrnehmen, können wir trotzdem Seine große Liebe erkennen, die all Seinem Handeln am Menschen zugrunde liegt. Wer nahe bei Jesus lebt, der wird vieles vom Geheimnis der Gottseligkeit verstehen. Er wird die Gnade anerkennen, die tadelt, den Charakter des Menschen bewertet und das Trachten seines Herzens ans Licht bringt. Als Jesus diese Prüfung durch die Wahrheit vornahm, die so viele Seiner Jünger veranlasste, sich abzuwenden, war Ihm vorher schon klar, dass dies das Ergebnis Seiner Worte sein würde. Aber Er hatte Er seine Gnadenabsicht zu erfüllen. Er sah voraus, dass jeder Seiner geliebten Jünger in der Stunde der Versuchung eine schwere Prüfung zu bestehen haben würde. Sein Todeskampf in Gethsemane, der Verrat an Ihm und Seine Kreuzigung mussten für sie eine überaus schwere Prüfung sein. Würde es zuvor keine Erprobung gegeben haben, dann hätten sich viele aus egoistischen Motiven dem Jüngerkreis angeschlossen. Wenn der Herr in der Gerichtshalle verurteilt würde, wenn die Volksmenge, die Ihm als König zugejubelt hatte, Ihn nun auspfiffe und schmähte, wenn die höhnende Schar schreien würde: „Kreuzige ihn!“, weil ihr weltlicher Ehrgeiz enttäuscht worden sein würde, hätten diese selbstsüchtigen Nachfolger Jesu die Treue aufgekündigt und dadurch die wahren Jünger zusätzlich zu deren Kummer und Enttäuschung über den Zusammenbruch ihrer schönsten Hoffnungen noch in bittere, belastende Sorge gestürzt. In jener dunklen Stunde hätte das Verhalten jener, die sich von Ihm abwandten, andere mitziehen können. DM.310.3 Teilen

Jesus führte deshalb die Entscheidung herbei, solange Er durch Seine Anwesenheit den Glauben Seiner wahren Nachfolger stärken konnte. Als sorgsamer Erlöser, der genau wusste, welches Schicksal auf Ihn zukam, ebnete Er voller Mitgefühl den Weg für Seine Jünger. Er bereitete sie auf die abschließende Versuchung vor und stärkte sie dadurch für die letzte Prüfung. DM.310.4 Teilen

Kapitel 42: Überlieferungen
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Auf der Grundlage von Matthäus 15,1-20; Lukas 11,37-41. DM.311 Teilen

Die Pharisäer und Schriftgelehrten, die ja erwarteten, Jesus auf dem Passah fest zu sehen, hatten Ihm eine Falle gestellt. Doch Christus kannte ihre Absichten und blieb der Versammlung fern. Da Er nicht zu ihnen ging, „kamen zu Jesus Pharisäer und Schriftgelehrte“. Matthäus 15,1. Kurze Zeit schien es, als ob die Galiläer Jesus als Messias annehmen würden und die Macht der Priesterherrschaft in jener Gegend gebrochen werden sollte. Die Missionstätigkeit der Zwölf, die die Ausdehnung des Werkes Christi anzeigte und die Jünger unmittelbar mit den Rabbinern in Berührung brachte, erregte erneut die Eifersucht der führenden Männer in Jerusalem. Ihre Spione, die von ihnen zu Beginn des irdischen Dienstes Christi nach Kapernaum gesandt worden waren und die versucht hatten, den Heiland wegen Übertretung des Sabbats anzuklagen, waren verwirrt worden. Trotzdem waren die Rabbiner entschlossen, ihr Vorhaben durchzuführen. Es wurden andere Abgeordnete ausgesandt, um Jesu Tun zu beobachten und irgendeine Anschuldigung gegen Ihn zu finden. Abermals wurde die Nichtbeachtung der überlieferten Vorschriften, mit denen das Gesetz Gottes belastet worden war, Grund zur Klage gegen Ihn. Diese Satzungen waren angeblich dazu bestimmt, die Beachtung des Gesetzes zu schützen, wurden jedoch über das Gesetz selbst gestellt. Wenn sie mit den Zehn Geboten in Widerspruch gerieten, hatten die Vorschriften der Rabbiner Priorität. DM.311.1 Teilen

Eine der strengsten Vorschriften war die zeremonielle Reinigung. Die vor dem Essen zu beachtenden Formen zu vernachlässigen, galt als schwere Sünde, die sowohl in dieser als auch in der zukünftigen Welt bestraft werden würde. Man hielt es für eine Tugend, den Übertreter solcher Verordnungen unschädlich zu machen. Die Regeln hinsichtlich der Reinigung waren zahlreich. DM.311.2 Teilen

Ein ganzes Menschenleben reichte kaum aus, um sie alle kennenzulernen. Das Leben derer, die sich bemühten, den Anforderungen der Rabbiner nachzukommen, war ein einziger Kampf gegen zeremonielle Verunreinigung, eine endlose Reihe von Waschungen und Reinigungen. Während das Volk sich mit all den unbedeutenden Unterschieden und Vorschriften beschäftigte, die Gott gar nicht verlangte, wurde seine Aufmerksamkeit von den wichtigen Prinzipien des Gesetzes Gottes abgelenkt. DM.311.3 Teilen

312

Christus und Seine Jünger nun hielten sich nicht an diese zeremoniellen Waschungen, und die Abgesandten der Pharisäer machten diese Vernachlässigung zum Grund ihrer Anklage. Sie wagten jedoch keinen direkten Angriff auf den Herrn, sondern kamen zu Ihm und beschuldigten Seine Jünger. Vor allem Volk fragten sie Ihn: „Warum halten deine Jünger sich nicht an unsere uralten Überlieferungen? ... Sie missachten unsere Vorschrift, sich vor dem Essen die Hände zu waschen.“ Matthäus 15,2 (NL). DM.312.1 Teilen

Wenn Menschen durch die Botschaft der Wahrheit mit besonderer Kraft erfasst werden, dann schickt Satan seine Helfer los, einen Streit über Kleinigkeiten vom Zaun zu brechen und versucht so, die Aufmerksamkeit von den wirklichen Themen abzulenken. Sobald ein gutes Werk begonnen wird, sind gleich Kritiker bereit, über Äußerlichkeiten und Formen zu streiten, um die Gemüter von den lebendigen Wahrheiten abzubringen. Wenn es scheint, als ob Gott auf besondere Weise für Sein Volk wirken will, sollte dieses sich nicht verleiten lassen, auf Streitfragen einzugehen, die der Seele nur zum Verderben gereichen können. Die wichtigsten Fragen für uns sind: Habe ich den rettenden Glauben an den Sohn Gottes? Lebe ich mein Leben in Übereinstimmung mit dem Gesetz Gottes? „Wer an den Sohn glaubt, der hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen.“ Johannes 3,36. „Und an dem merken wir, dass wir ihn kennen, wenn wir seine Gebote halten.“ 1.Johannes 2,3. DM.312.2 Teilen

Jesus versuchte nicht, sich oder Seine Jünger zu verteidigen. Er ging auch nicht auf die Beschuldigung ein, sondern zeigte nur den Geist, der diese Eiferer für menschliche Satzungen beseelte. Er zeigte ihnen durch ein Beispiel, was sie schon wiederholt getan und gerade jetzt wieder getan hatten, ehe sie gekommen waren, Ihn zu suchen. Er sagte ihnen: „Trefflich verwerft ihr das Gebot Gottes, um eure Überlieferung festzuhalten. Denn Mose hat gesagt: ‚Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!‘ und: ‚Wer Vater oder Mutter flucht, der soll des Todes sterben!‘ Ihr aber lehrt so: Wenn jemand zum Vater oder zur Mutter spricht: ‚Korban‘, das heißt zur Weihegabe ist bestimmt, was dir von mir zugute kommen sollte!, dann gestattet ihr ihm auch fortan nicht mehr, irgendetwas für seinen Vater oder seine Mutter zu tun.“ Markus 7,9-12. Sie setzten das fünfte Gebot als unwichtig beiseite, handelten aber sehr genau nach ihren Traditionen. Die Tempelsteuer bezeichneten sie als eine Pflicht, die zu erfüllen heiliger sei als die Unterstützung der Eltern. Es sei sogar ein Unrecht, den Eltern etwas von dem zu geben, das dem Tempel geweiht war. Ein untreues Kind brauchte nur das Wort „Korban“ über sein Eigentum auszusprechen, so wurde es dadurch Gott geweiht. Es durfte wohl sein Hab und Gut während seiner Lebensdauer für sich verwenden, aber nach seinem Tod wurde es dann dem Tempel zugesprochen. So hatte das Kind stets die Freiheit, während seines Lebens und nach seinem Tod die Eltern unter dem Deckmantel der Hingabe an Gott zu entehren und zu betrügen. DM.312.3 Teilen

313

Niemals hatte Jesus durch Worte oder Taten, die Verpflichtung des Menschen eingeschränkt, dem Herrn Opfergaben zu bringen. Er selbst hatte die Anweisungen des Gesetzes hinsichtlich des Zehnten und der Gaben gegeben. Er lobte auch die arme Frau, als Er auf Erden war, die alles, was sie hatte, in den Gotteskasten legte. Doch der scheinbare Eifer der Priester und Rabbiner für Gott war nur ein Vorwand, um ihr Verlangen nach Selbsterhöhung zu verdecken. Die Menschen wurden dadurch betrogen. Sie trugen schwere Lasten, die nicht Gott ihnen auferlegt hatte. Selbst die Jünger waren nicht ganz frei von dem Joch, das durch ererbtes Vorurteil und rabbinische Autorität auf sie gelegt worden war. Indem Jesus den wahren Geist der Rabbiner zeigte, wollte Er alle echten Diener Gottes von der Last der Überlieferungen befreien. DM.313.1 Teilen

Den listigen Kundschaftern rief Er zu: „Ihr Heuchler, wie fein hat Jesaja von euch geweissagt und gesprochen: ‚Dies Volk ehrt mich mit seinen Lippen, aber ihr Herz ist fern von mir; vergeblich dienen sie mir, weil sie lehren solche Lehren, die nichts als Menschengebote sind.‘“ Matthäus 15,7-9. Christi Worte waren eine Anklage gegen das Pharisäertum. Er wies darauf hin, dass sich die Rabbiner über Gott erhoben hatten, indem sie ihre Gebote über die göttlichen Verordnungen setzten. Die Abgesandten von Jerusalem waren wütend. Sie konnten den Herrn nicht als einen Übertreter des mosaischen Gesetzes anklagen, denn Er sprach ja als dessen Verteidiger gegen ihre Traditionen. Die erhabenen Vorschriften des Gesetzes, die Er gelehrt hatte, standen in auffallendem Kontrast zu den kleinlichen Regeln, die sich Menschen ausgedacht hatten. DM.313.2 Teilen

Jesus erklärte der Menge und Seinen Jüngern, dass die Verunreinigung nicht von außen, sondern von innen heraus geschehe. Reinheit und Unreinheit betreffen die Seele. Die böse Tat, das böse Wort, der schlechte Gedanke — jede Übertretung des Gesetzes Gottes verunreinigt den Menschen, aber nicht die Vernachlässigung äußerlicher, von Menschen festgelegter Verordnungen. DM.313.3 Teilen

Die Jünger bemerkten den Zorn dieser Leute, als deren Falschheit aufgedeckt wurde. Sie sahen die feindseligen Blicke und hörten, wie sie unzufriedene und rachsüchtige Worte murmelten. Sie dachten nicht daran, wie oft ihr Herr schon bewiesen hatte, dass Er in den Herzen der Menschen wie in einem offenen Buch lesen konnte, und berichteten Ihm von der Wirkung Seiner Worte. Sie hofften, dass Er die wütenden Beamten Jerusalems versöhnlich stimmen könnte, und sagten: „Weißt du auch, dass die Pharisäer an dem Wort Anstoß nahmen, als sie es hörten?“ Matthäus 15,12. DM.313.4 Teilen

314

Jesus antwortete: „Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, die werden ausgerissen.“ Matthäus 15,13. Die von den Rabbinern so hoch geachteten Bräuche und Traditionen stammten von dieser Welt und kamen nicht vom Himmel. Wie hoch auch ihr Ansehen beim Volk war, im Urteil Gottes konnten sie nicht bestehen. Alles menschliche Gedankengut, das die Stelle der Gebote Gottes eingenommen hat, wird an jenem Tag als wertlos angesehen, denn „Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, alles, was verborgen ist, es sei gut oder böse.“ Prediger 12,14. DM.314.1 Teilen

Noch immer werden menschliche Weisungen an die Stelle der Gebote Gottes gesetzt. Selbst unter Christen gibt es Einrichtungen und Bräuche, die keine bessere Grundlage haben als die Traditionen der Väter. Solche Einrichtungen, die auf rein menschlicher Grundlage beruhen, haben die göttlichen Bestimmungen verdrängt. Die Menschen halten an ihren Überlieferungen fest, verehren ihre menschliche Gewohnheiten und hassen alle, die ihnen ihren Irrtum versuchen zu beweisen. In dieser Zeit, da wir angehalten sind, andere auf die Gebote Gottes und den Glauben an Jesus aufmerksam zu machen, erleben wir die gleiche Feindschaft, die sich zurzeit Christi offenbarte. Es steht geschrieben: „Der Drache, wurde zornig über die Frau und ging hin, zu kämpfen gegen die Übrigen von ihrem Geschlecht, die Gottes Gebote halten und haben das Zeugnis Jesu.“ Offenbarung 12,17. DM.314.2 Teilen

„Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, die werden ausgerissen.“ Matthäus 15,13. Gott gebietet uns, an Stelle der Autorität der sogenannten Kirchenväter das Wort des ewigen Vaters, des Herrn des Himmels und der Erde, anzunehmen. Hier nur finden wir die reine Wahrheit. Der Psalmist sagte: „Ich habe mehr Einsicht als alle meine Lehrer; denn über deine Mahnungen sinne ich nach. Ich bin klüger als die Alten; denn ich halte mich an deine Befehle.“ Psalm 119,99.100. DM.314.3 Teilen

Möchten doch alle, die sich unter die menschliche Autorität beugen — seien es die Bräuche der Kirche oder die Überlieferungen der Väter —, die Warnung beachten, die in Christi Worten liegt: „Vergeblich dienen sie mir, weil sie lehren solche Lehren, die nichts als Menschengebote sind.“ Matthäus 15,9. DM.314.4 Teilen

Kapitel 43: Schranken werden niedergerissen
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Auf der Grundlage von Matthäus 15,21-28; markus 7,24-30. DM.315 Teilen

Nach dem Zusammentreffen mit den Pharisäern zog sich Jesus von Kapernaum zurück, durchquerte Galiläa und kam zum Hügelland an der Grenze zu Phönizien. Richtung Westen konnte Er unten in der Ebene die alten Städte Tyrus und Sidon sehen mit ihren heidnischen Tempeln, ihren herrlichen Palästen, den Handelsmärkten und den vielen Schiffen im Hafen. Hinter dem Küstenstreifen dehnte sich die blaue Fläche des Mittelmeeres aus, über dessen Weite hinweg die Botschafter des Evangelium in die Zentren des Weltreiches tragen sollten. Aber die Zeit dazu war noch nicht gekommen. Zunächst musste Jesus die Jünger auf ihren Auftrag gut vorbereiten. Dort hoffte Er die dazu nötige Abgeschiedenheit zu finden, die Er in Bethsaida vergebens gesucht hatte. Doch das war nicht der einzige Grund Seiner Reise. DM.315.1 Teilen

„Siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.“ Matthäus 15,22. Die Menschen dort stammten aus dem alten Geschlecht der Kanaaniter. Sie waren Götzendiener und wurden von den Juden verachtet und gehasst. Zu diesen gehörte auch die Frau, die jetzt zu Jesus kam. Sie war eine Heidin und daher von den Vorzügen ausgeschlossen, deren sich die Juden täglich erfreuten. Damals lebten viele Juden unter den Phöniziern, und die Nachricht von Christi Wirken war bis in dieses Gebiet gedrungen. Einige Leute hatten Seinen Worten gelauscht und Seine wunderbaren Taten erlebt. Diese Frau hatte von dem Propheten gehört, von dem berichtet wurde, dass Er alle Krankheiten heile. Als sie von der großen Macht Jesu hörte, weckte das Hoffnung in ihrem Herzen. Von mütterlicher Liebe getrieben entschloss sie sich, dem Herrn die Angelegenheit ihrer Tochter vorzutragen. Sie war entschlossen, Ihm ihren Kummer zu bringen. Er musste ihr Kind heilen. Sie hatte bei den heidnischen Göttern Hilfe gesucht, aber ohne Erfolg. Manchmal war sie versucht zu denken: Was kann jener jüdische Lehrer schon für mich tun? Doch die Nachricht ging um, Er heile alle Krankheiten, ganz gleich, ob jene, die zu Ihm kamen, reich oder arm waren. Sie entschloss sich, ihre einzige Hoffnung nicht aufs Spiel zu setzen. Christus kannte die Situation dieser Frau. Er wusste auch von ihrem Verlangen, Ihn zu sehen, und stellte sich ihr in den Weg. Er tröstete die Frau und gab gleichzeitig eine lebendige Darstellung jener Lektion, die Er zu lehren beabsichtigte. Deshalb brachte Er Seine Jünger in diese Gegend. Jesus wollte, dass sie die große Unwissenheit sehen und erkennen, die in den Städten und Dörfern rings um Israel herrschte. Dieses Volk, dem jede Gelegenheit gegeben war, die Wahrheit zu verstehen, hatte keine Ahnung von den Nöten derer, die um sie herum lebten. Man bemühte sich auch nicht, diesen Menschen in ihrer Finsternis zu helfen. Die Trennwand, die jüdischer Stolz aufgerichtet hatte, hielt sogar das Mitleid der Jünger mit der heidnischen Welt zurück. Diese Hindernisse sollten niedergerissen werden. DM.315.2 Teilen

316

Jesus reagierte nicht sofort auf die Bitte der Frau. Er empfing die Vertreterin eines verachteten Volkes in der gleichen Weise, wie es auch die Juden getan hätten. So wollte er Seinen Jüngern die kalte und herzlose Art der Juden in einem solchen Fall vorführen, um dann durch Seine erbarmende Liebe zu zeigen, wie sie dagegen mit solchen Unglücklichen umgehen sollten. DM.316.1 Teilen

Obwohl Jesus ihr nicht antwortete, verlor die Frau dadurch nicht ihren Glauben. Und als Er weiterlief, als hörte Er sie nicht, folgte sie Ihm und wiederholte wieder ihre Bitte. Die Jünger waren über diese Zudringlichkeit verärgert und baten ihren Herrn, die Frau wegschicken zu dürfen. Sie sahen ja, dass ihr Meister sich nicht mit der Frau beschäftigen wollte und meinten, dass Er das Vorurteil der Juden gegen die Kanaaniter teilte. Doch es war ein barmherziger Heiland, dem die Frau ihr Anliegen vortrug, und sagte zu seinen Jüngern: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Matthäus 15,24. Obwohl diese Worte mit dem Vorurteil der Juden übereinzustimmen schienen, lag in ihnen in Wirklichkeit ein Tadel für die Jünger, den sie später auch verstanden, als sie sich daran erinnerten, was der Herr ihnen oft gesagt hatte: Er sei in die Welt gekommen, um alle zu erretten, die Ihn annehmen würden. DM.316.2 Teilen

Die Frau brachte ihre Bitte umso ernster vor, fiel zu Jesu Füßen nieder und rief: „Herr, hilf mir!“ Aber Jesus wandte sich offenbar abermals von ihren Bitten ab, wie es auch die gefühllosen Juden in ihrem Vorurteil getan haben würden, und antwortete: „Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“ Matthäus 15,25f. Dies kam im Grunde genommen der Behauptung gleich, dass es nicht richtig sei, die Segnungen, die Gottes auserwähltem Volk galten, an Fremde und Ausländer zu verschwenden. Diese Antwort hätte jeden weniger ernsthaft Suchenden sehr entmutigt. Aber die Frau sah, dass ihre Gelegenheit gekommen war. Auch in dieser scheinbar ablehnenden Antwort Jesu erkannte sie Sein Mitgefühl, das Er nicht verbergen konnte. „Da entgegnete sie: Ja, du hast recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ Matthäus 15,27 (EÜ). Während die Kinder der Familie an des Vaters Tisch essen, bleiben nicht einmal die Hunde ungesättigt, denn sie haben ein Anrecht auf die Brotreste, die von der reich gedeckten Tafel fallen. Wenn Israel nun so viele Segnungen empfing, sollte es für diese Frau keinen Segen geben? Sie wurde als „Hund“ betrachtet. Hatte sie nicht dadurch wenigstens den Anspruch eines Hundes auf die Brotreste der göttlichen Barmherzigkeit? DM.316.3 Teilen

317

Jesus hatte den Ort Seiner Tätigkeit gewechselt, weil die Schriftgelehrten und Pharisäer Ihm nach dem Leben trachteten. Sie hatten gemurrt und geklagt, hatten Unglauben und Bitterkeit bekundet und die ihnen so bereitwillig angebotene Erlösung verworfen. Hier trifft nun Christus eine Frau aus dem unglücklichen und verachteten Geschlecht der Kanaaniter, das nicht mit dem Licht aus Gottes Wort begünstigt ist. Dennoch überlässt sie sich gleich dem göttlichen Einfluss Christi und vertraut einfach Seiner Macht, ihre Bitte erfüllen zu können. Sie bettelt um die Brotreste, die vom Tisch des Herrn fallen! Wenn sie schon das Vorrecht eines Hundes haben darf, ist sie auch bereit, wie ein Hund angesehen zu werden. Sie kennt kein nationales oder religiöses Vorurteil, keinen Stolz, der ihr Handeln beeinflussen könnte. Sie anerkennt Jesus sofort als den Erlöser, der fähig ist, alles zu tun, worum sie Ihn bittet. DM.317.1 Teilen

Der Heiland ist zufrieden damit. Er hat ihren Glauben geprüft und durch Sein Verhalten ihr gegenüber gezeigt, dass sie, die man als eine Ausgestoßene betrachtete, nicht länger mehr ein Fremdling ist, sondern ein Kind in der Familie Gottes. Als Kind ist es ihr Vorrecht, an den Gaben des Vaters teilzuhaben. Christus erfüllt nun ihre Bitte und beendet damit die Belehrung der Jünger. Er blickt die Frau mitleids- und liebevoll an und sagt ihr: „Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!“ Matthäus 15,28. In dem Moment wurde ihre Tochter ganz gesund, und der Dämon plagte sie nicht mehr. Die Frau aber ging dankbar und frohen Herzens hinweg und bekannte Jesus als ihren Heiland. DM.317.2 Teilen

Dies war das einzige Wunder, das Jesus während dieser Reise wirkte. Nur um diese Tat ausführen zu können, war Er nach Tyrus und Sidon gegangen. Er wollte die betrübte Frau trösten und gleichzeitig ein Beispiel seiner Barmherzigkeit an einem Menschen eines verachteten Volkes zum Nutzen Seiner Jünger für die Zeit hinterlassen, wenn Er nicht mehr bei ihnen sein würde. Er wünschte, die Jünger aus ihrem jüdischen Exklusivitätsdenken herauszuführen und in ihnen die Freude am Dienst über die Grenzen des eigenen Volkes hinaus zu wecken. DM.317.3 Teilen

Jesus wollte gern die tiefen Geheimnisse der Wahrheit enthüllen, die jahrhundertelang verborgen geblieben waren, dass nämlich die Heiden mit den Juden Erben sein sollten, „Mitgenossen seiner Verheißung in Christus Jesus durch das Evangelium“. Epheser 3,6. Diese Wahrheit lernten die Jünger nur langsam, und der göttliche Lehrer gab ihnen eine Lektion nach der anderen. Als Er den Glauben des Hauptmanns von Kapernaum belohnte und den Bewohnern von Sychar das Evangelium predigte, hatte Er bereits gezeigt, dass Er die Intoleranz der Juden nicht teilte. Doch die Samariter hatten einige Gotteserkenntnis, und der Hauptmann war Israel freundlich gesonnen. Nun aber brachte Jesus die Jünger mit einer Heidin in Verbindung, die ihrer Meinung nach genauso wenig ein Recht habe, eine Gunst von Ihm zu erwarten, wie irgendjemand anders aus ihrem heidnischen Volk. Jesus wollte damit ein Beispiel geben, wie so ein Mensch zu behandeln sei. Die Jünger hatten gedacht, dass Er die Geschenke Seiner Gnade zu großzügig verteilte. Er wollte ihnen zeigen, dass Seine Liebe nicht auf eine Rasse oder Nation begrenzt sei. DM.317.4 Teilen

318

Als Christus sagte: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (Matthäus 15,24), erklärte Er die Wahrheit. In seinem Wirken für die Kanaanäterin erfüllte Er Seine Aufgabe. Diese Frau war eine dieser „verlorenen Schafe“, das von den Israeliten gerettet werden sollte, denn diese Aufgabe war ihnen aufgetragen worden — jenes Werk, das sie vernachlässigt haben und das Christus nun tat. Durch diese Tat erkannten die Jünger deutlicher als je die vor ihnen liegende Aufgabe an den Heiden. Sie erblickten ein weites Arbeitsfeld außerhalb Judäas. Sie sahen Menschen mit Sorgen beladen, die den mehr Bevorzugten unter ihnen unbekannt blieben. Unter denen, die zu verachten man sie gelehrt hatte, fanden sich Menschen, die sich nach der Hilfe des mächtigen Heilandes sehnten und nach dem Licht der Wahrheit hungerten, das den Juden so reichlich gegeben worden war. DM.318.1 Teilen

Später, als sich die Juden immer beharrlicher von den Jüngern abwandten, weil diese Jesus zum Retter der Welt erklärten, und als die trennende Wand zwischen Juden und Heiden durch den Tod Christi weggerissen war, übten diese und weitere ähnliche Lehren einen großen Einfluss auf die Nachfolger Christi aus, die auf das nicht durch Sitte und Zugehörigkeit zu einem Volk eingeschränkte Werk des Evangeliums hinwiesen und leiteten sie bei der Erfüllung ihrer Aufgabe. DM.318.2 Teilen

Der Besuch des Heilandes in Phönizien und das dort gewirkte Wunder, hatte noch einen weitreichenderen Zweck. Nicht allein für die betrübte Frau, und auch nicht nur für Seine Jünger und für alle, zu deren Wohl sie arbeiteten, hatte Er die Tat vollbracht, sondern auch, „damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen“. Johannes 20,31. Dieselben Mächte, die vor fast 2000 Jahren Menschen von Christus fernhielten, sind auch heute noch aktiv. Der Geist, der die trennende Wand zwischen Juden und Heiden aufrichtete, ist noch immer an der Arbeit. Stolz und Vorurteile haben starke Mauern zwischen den Menschen aufgerichtet. Christus und Seine Sendung missverstanden und viele empfinden, dass sie praktisch vom Dienst des Evangeliums ausgeschlossen sind. Lasst in ihnen aber nicht das Gefühl aufkommen, von Christus getrennt zu sein. Menschen oder Satan können keine Schranken aufrichten, die der Glaube nicht durchdringen kann. DM.318.3 Teilen

319

Im Glauben durchbrach die Frau aus Phönizien die Schranken, die zwischen Juden und Heiden aufgerichtet waren. Ungeachtet der Entmutigung aufgrund sichtbarer Umstände, die sie hätten zu zweifeln veranlassen können, vertraute sie der Liebe des Heilandes. Der Heiland möchte, dass auch wir Ihm so vertrauen, denn die Segnungen der Erlösung gelten jedem persönlich. Nichts als nur die eigene Entscheidung kann den Menschen daran hindern, der Verheißungen Christi durch das Evangelium teilhaftig zu werden. DM.319.1 Teilen

Gott hasst soziale Unterschiede. Er alle Einrichtungen solcher Art. Vor Ihm sind alle Menschen gleich viel wert. Denn „Er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, damit sie Gott suchen sollten, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns.“ Apostelgeschichte 17,26.27. DM.319.2 Teilen

Ohne Unterschied des Alters, der Stellung, der Nationalität oder religiöser Vorrechte sind alle eingeladen, zu Ihm zu kommen und zu leben. „Wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.“ Römer 9,33. „Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier“. Galater 3,28. „Reiche und Arme begegnen einander; der Herr hat sie alle gemacht.“ Sprüche 22,2. „Er ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. Denn, wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden.“ Römer 10,12.13. DM.319.3 Teilen

Kapitel 44: Das wahre Zeichen
320

Auf der Grundlage von Matthäus 15,29-39; Markus 7,31-37; Markus 8,1-21. DM.320 Teilen

„Da er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn-Städte.“ Markus 7,31. Hier hatte Jesus die Besessenen geheilt, hier hatte das Volk — durch die Vernichtung der Schweineherden verärgert — Ihn gedrängt, das Land zu verlassen. Doch in der Zwischenzeit hatten sie den Botschaften zugehört, die er zurückließ, so dass sie den Wunsch hatten, Ihn wiederzusehen. Als Jesus wieder in dieses Gebiet kam, scharte sich das Volk um Ihn. Man brachte „zu ihm einen, der taub und stumm war“. Jesus heilte diesen Mann nicht nur — wie Er es sonst tat — durch das Wort, sondern nahm ihn beiseite, legte Seine Finger in dessen Ohren und berührte dessen Zunge. Aufschauend zum Himmel klagte Er über die Ohren, die sich nicht der Wahrheit öffnen wollten und über die Zungen, die sich weigerten, den Erlöser anzuerkennen. Bei dem Wort „Tue dich auf!“ war das Sprachvermögen des Mannes wieder hergestellt und er konnte sprechen. Trotz der Aufforderung, niemandem davon zu erzählen, verbreitete er überall die Geschichte seiner Heilung. Vgl. Markus 7,32f. DM.320.1 Teilen

Jesus ging auf einen Berg, wohin Ihm auch die Menge folgte, um Ihm ihre Kranken und Lahmen zu Füßen zu legen. Er heilte sie alle, und die Menge — die aus Heiden bestand — pries den Gott Israels. Drei Tage lang versammelten sie sich um den Heiland, schliefen nachts unter freiem Himmel und drängten sich tagsüber in Christi Nähe, um Seine Worte zu hören und Seine Werke zu sehen. Nach drei Tagen hatten sie keine Nahrung mehr. Der Heiland aber wollte sie nicht hungrig wegschicken und forderte Seine Jünger auf, ihnen Speise zu geben. Erneut offenbarten diese ihren Unglauben. Schon in Bethsaida hatten sie erlebt, dass durch Jesu Segen ihr kleiner Vorrat ausreichte, um die vielen Menschen zu speisen, dennoch brachten sie jetzt nicht alles was sie besaßen, im Vertrauen auf Seine Macht, damit Er es für die hungrige Schar vervielfältigen konnte. Zudem waren die Menschen in Bethsaida Juden und diese hier nur Ungläubige und Heiden. Das jüdische Vorurteil war noch tief in den Herzen der Jünger verankert, und sie sagten zu Jesus: „Woher sollen wir so viel Brot nehmen in der Wüste, um eine so große Menge zu sättigen?“ Matthäus 15,33. Sie gehorchten schließlich doch Seinen Worten und brachten Ihm, was sie hatten: Sieben Brote und zwei Fische. Die Menge wurde gespeist, und sieben große Körbe mit Brocken blieben übrig. 4000 Männer, dazu Frauen und Kinder, wurden auf diese Weise gesättigt, und Jesus schickte sie alle mit frohem, dankbarem Herzen wieder nach Hause. DM.320.2 Teilen

321

Dann fuhr Jesus mit Seinen Jüngern im Boot über den See nach Magdala, am südlichen Ende der Ebene von Genezareth. An der Grenze von Tyrus und Sidon war Er durch das Vertrauen der kanaanäischen Frau erfrischt worden, und die heidnischen Bewohner des Zehn-Städte-Gebietes hatten Ihn freudig aufgenommen. Doch als Er nun wieder in Galiläa an Land ging, wo Seine Macht sich am stärksten manifestierte und Er die meisten Werke der Barmherzigkeit vollbracht und seine Lehren gepredigt hatte, da trat man Ihm mit verächtlichem Unglauben entgegen. DM.321.1 Teilen

Einige Vertreter der reichen und hochmütigen Sadduzäer — jener Partei der Priester, Zweifler und Großen des Volkes — hatten sich einer Abordnung der Pharisäer angeschlossen. Diese beiden Sekten standen miteinander in bitterer Feindschaft. Die Sadduzäer warben um die Gunst der regierenden Macht, um ihre eigene Stellung und Autorität aufrechtzuerhalten. Die Pharisäer dagegen pflegten den allgemeinen Hass gegen die Römer und sehnten sich nach der Zeit, in der sie das Joch der Unterdrücker abwerfen konnten. Nun aber verbanden sich Pharisäer und Sadduzäer gegen Christus. Wo es auch sein mag, verbindet sich das Böse mit dem Bösen, um das Gute zu zerstören. DM.321.2 Teilen

Jetzt kamen die Sadduzäer und Pharisäer zu Christus und verlangten ein Zeichen vom Himmel. Als zurzeit Josuas das Volk Israel zum Kampf gegen die Kanaaniter nach Beth-Horon zog, stand auf Befehl des Anführers die Sonne still, bis der Sieg erkämpft war. Und viele ähnliche Wunder finden sich in der Geschichte Israels. Jetzt verlangten die Juden ein solches Zeichen von Jesus. Doch solche Zeichen waren es nicht, die sie brauchten. Kein rein äußerliches Zeichen konnte ihnen etwas nützen. Was sie benötigten, war keine Erleuchtung ihres Verstandes, sondern eine Erneuerung ihres Herzens. DM.321.3 Teilen

Jesus sagte ihnen: „Über das Aussehen des Himmels könnt ihr urteilen; könnt ihr dann nicht auch über die Zeichen der Zeit urteilen?“ Matthäus 16,3. Die Worte Christi, gesprochen in der Kraft des Heiligen Geistes, der sie von der Sünde überzeugte, waren das Zeichen, das Gott ihnen zu ihrer Rettung gegeben hatte. Es waren ja noch andere himmlische Zeichen geschehen, die Christi Sendung bestätigten: Der Gesang der Engel bei den Hirten, der Stern, der die Weisen leitete, und die Stimme vom Himmel bei Seiner Taufe. „Und er seufzte in seinem Geist und sprach: Was fordert doch dieses Geschlecht ein Zeichen?“ Markus 8,12. „Und kein Zeichen wird ihm gegeben werden als nur das Zeichen Jonas, des Propheten. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte in dem Bauch des großen Fisches war, so wird der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein..“ Matthäus 12,39.40 (EB). Wie einst die Predigt von Jona den Niniviten ein Zeichen war, so sollte Jesu Predigt auch ein Zeichen für Seine Generation sein. Doch welch ein Unterschied gab es in der Aufnahme des Wortes! Die Bewohner der großen heidnischen Stadt zitterten, als sie die Warnung Gottes hörten. Könige und Fürsten demütigten sich, Reiche und Arme riefen gemeinsam zum Gott des Himmels und erlebten Seine Barmherzigkeit. „Die Leute von Ninive werden auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht“, sagte der Heiland, „und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona.“ Matthäus 12,41. DM.321.4 Teilen

322

Jedes Wunder, das Christus tat, war ein Zeichen Seiner Gottheit. Er erfüllte genau jene Aufgabe, die für den Messias vorausgesagt worden war, aber die Pharisäer empfanden diese Werke der Barmherzigkeit als ausgesprochenes Ärgernis. Die jüdischen Leiter standen dem menschlichen Leid herzlos und gleichgültig gegenüber. In vielen Fällen hatten ihre Selbstsucht und Unterdrückung die Leiden verursacht, die von Christus geheilt wurden. Deshalb waren Seine Wunder ein ständiger Vorwurf für sie. DM.322.1 Teilen

Gerade das, was die Juden dazu brachte, das Wirken des Heilandes zu verwerfen, war der größte Beweis für Seinen Charakter. Der größte Wert Seiner Wunder lag in der Tatsache, dass diese zum Segen der Menschen geschahen. Der beste Beweis, dass Er von Gott gesandt war, lag darin, dass Sein Leben den Charakter Gottes offenbarte. Er tat Gottes Werke und sprach dessen Worte. Ein solches Leben ist das größte aller Wunder. DM.322.2 Teilen

Wenn in unserer Zeit die Wahrheit verkündet wird, dann rufen viele wie damals die Juden: „Zeigt uns ein Zeichen! Wirkt ein Wunder!“ Christus tat kein Wunder auf Befehl der Pharisäer. Auch wirkte Er auf Satans Einflüsterungen in der Wüste kein Wunder. Er gibt auch uns keine Kraft, um uns zu rechtfertigen oder den Forderungen des Unglaubens und des Stolzes zu befriedigen. Dennoch ist das Evangelium nicht ohne Zeichen seines göttlichen Ursprungs. Ist es kein Wunder, dass wir die Knechtschaft Satans durchbrechen können? Feindschaft gegen Satan liegt nicht in der Natur des menschlichen Herzens, sie wird uns vielmehr durch die Gnade Gottes eingepflanzt. Wenn jemand, der von einem sturen und eigensinnigen Willen beherrscht wurde, nun frei wird und sich ganz dem göttlichen Einfluss hingibt, dann ist ein Wunder geschehen. Ebenso ist es, wenn ein Mensch, der starken Täuschungen erlegen war, zur Erkenntnis der geistlichen Wahrheit kommt! Jedes Mal, wenn ein Mensch sich bekehrt, Gott lieben lernt und seine Gebote hält, erfüllt sich die Verheißung Gottes. „Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben.“ Hesekiel 36,26. Die Veränderung im menschlichen Herzen, die Umwandlung des menschlichen Charakters ist ein Wunder, das einen lebendigen Heiland offenbart, der wirkt, um Menschen zu retten. Ein konsequentes Leben in Christus ist ein großes Wunder. Beim Predigen des Wortes Gottes sollte sich immer als Zeichen die Gegenwart des Heiligen Geistes offenbaren, um das Wort an denen, die es hören, zu einer belebenden Kraft zu machen. Das ist Gottes Zeugnis vor der Welt von der göttlichen Mission Seines Sohnes. DM.322.3 Teilen

323

Jene, die ein Zeichen von Jesus wünschten, waren durch Unglauben so verhärtet, dass sie in Seinem Charakters nicht das Ebenbild Gottes erkannten. Sie sahen nicht, dass Seine Sendung eine Erfüllung der Schrift war. Im Gleichnis vom reichen Mann und Lazarus sagte Jesus von den Pharisäern: „Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.“ Lukas 16,31. Kein Zeichen, das im Himmel oder auf Erden gegeben werden könnte, würde ihnen etwas nützen. DM.323.1 Teilen

Jesus „seufzte in seinem Geist“ (Markus 8,12), wandte sich von den Kritikern ab und betrat wieder das Boot mit Seinen Jüngern. In sorgenvollem Schweigen überquerten sie wieder den See. Sie kamen jedoch nicht dort an Land, wo sie abgefahren waren, sondern schifften in Richtung Bethsaida, in dessen Nähe die Speisung der 5000 stattgefunden hatte. Als sie das Ufer erreichten, sagte Jesus: „Seht zu und hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer!“ Matthäus 16,6. Seit den Tagen des Mose war es bei den Juden üblich, zum Passahfest allen Sauerteig aus dem Haus zu entfernen. Sie waren unterwiesen worden, im Sauerteig ein Sinnbild der Sünde zu sehen. Die Jünger jedoch verstanden Jesus nicht. Bei ihrem plötzlichen Aufbruch von Magdala hatten sie vergessen, Brot mitzunehmen und hatten nur einen einzigen Laib bei sich. Deshalb meinten sie nun, Jesus beziehe sich auf diesen Umstand und warne sie davor, Brot bei den Pharisäern oder Sadduzäern zu kaufen. Ihr Mangel an Glauben und geistlicher Einsicht hatte sie schon häufig dazu gebracht, Seine Worte in ähnlicher Weise misszuverstehen. Jetzt tadelte Jesus sie wegen des Gedankens, dass derjenige, der mit einigen Fischen und Gerstenbroten Tausende gespeist hatte, mit dieser ernsten Warnung nur vergängliche Nahrung meine. Es bestand die Gefahr, dass Seine Jünger durch das listige Denken der Pharisäer und Sadduzäer mit Unglauben durchtränkt und dadurch veranlasst würden, von den Werken Christi geringschätzig zu denken. DM.323.2 Teilen

Die Jünger neigten zu der Auffassung, dass ihr Meister der Forderung nach einem Zeichen vom Himmel hätte nachgeben sollen. Sie waren überzeugt, dass Er dazu absolut fähig war und dass ein solches Zeichen Seine Gegner zum Schweigen gebracht hätte. Sie konnten nicht die Heuchelei dieser Kritiker erkennen. Monate später „kamen einige tausend Menschen zusammen, sodass sie sich untereinander traten“. Da wiederholte Jesus Seine Warnung und „sagte zuerst zu seinen Jüngern: Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, das ist die Heuchelei.“ Lukas 12,1. DM.323.3 Teilen

324

Der Sauerteig im Mehl arbeitet unmerklich und durchsetzt den ganzen Teig. So durchdringt auch die Heuchelei, wenn sie im Herzen gehegt wird, den Charakter und das Leben. Ein treffendes Beispiel der Heuchelei der Pharisäer hatte Christus bereits verurteilt: die Korban-Sitte, durch welche die Vernachlässigung der Kindespflicht mit einem Anschein von Großzügigkeit gegenüber dem Tempel bemäntelt wurde. Die Schriftgelehrten und Pharisäer führten trügerische Grundsätze ein. Sie verbargen so die wahre Absicht ihrer Lehren und nutzten jede Gelegenheit, sie unterschwellig den Gemütern ihrer Zuhörer einzupflanzen. Diese falschen Prinzipien, wenn erst angenommen, wirkten wie Sauerteig im Mehl und durchdrangen und verwandelten den ganzen Charakter. Diese trügerischen Lehren waren es, die es den Menschen so schwer machten, die Worte Christi aufzunehmen. DM.324.1 Teilen

Der gleiche Einfluss geht heute von jenen aus, die das Gesetz Gottes in einer Weise zu erklären versuchen, dass es mit ihren Lebensgewohnheiten übereinstimmt. Diese Menschen greifen das Gesetz nicht offen an, sondern vertreten spekulative Theorien, die dessen Grundsätze untergraben. Sie erklären es so, dass sie die Macht des Gesetzes zerstören. DM.324.2 Teilen

Die Heuchelei der Pharisäer war das Ergebnis ihrer Selbstsucht und die Selbstverherrlichung das Ziel ihres Lebens. Diese führte sie dazu, die Schrift zu verfälschen und falsch anzuwenden und machte sie blind für die Absicht der Mission Christi. Sogar die Jünger Christi standen in Gefahr, sich mit diesem geheimen Übel zu identifizieren. Jene, die sich als Nachfolger Jesu ausgaben, aber nicht alles aufgegeben hatten, um wirklich Seine Jünger zu sein, wurden weitgehend vom Denken der Pharisäer beeinflusst. Oft schwankten sie zwischen Glauben und Unglauben, und sie erkannten nicht die Schätze der Weisheit, die in Christus verborgen waren. Sogar die Jünger hatten in ihrem Herzen nicht aufgegeben, für sich selbst Großes zu erstreben, obwohl sie äußerlich alles für Jesu Sache verlassen hatten. Diese Gesinnung war es, die schließlich den Streit auslöste, wer unter ihnen der Größte sei. Sie war es auch, die zwischen ihnen und Christus stand, die in ihnen so wenig Anteilnahme mit Ihm bei Seinem selbstlosen Opfer hervorrief und die es ihnen so schwer machte, das Geheimnis der Erlösung zu begreifen. Wie der Sauerteig, wenn man ihn arbeiten lässt, zu Verderbnis und Verfall führt, so zieht eine gehegte selbstsüchtige Gesinnung die Verunreinigung und den Untergang der Seele nach sich. Wie weit verbreitet ist unter den Nachfolgern unseres Herrn — wie damals schon — diese feine, trügerische Sünde! Wie oft sind unser Dienst für Christus und unsere Gemeinschaft untereinander getrübt durch den geheimen Wunsch nach Selbsterhöhung! Wie rasch stellt sich das Verlangen nach Eigenlob und menschlichem Beifall ein! Eigenliebe und der Wunsch nach einem bequemeren als dem von Gott verordneten Weg führen dazu, die göttlichen Weisungen durch menschliche Theorien und Traditionen zu ersetzen. Zu Seinen eigenen Jüngern sprach Christus die mahnenden Worte: „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer!“ DM.324.3 Teilen

325

Die Religion Christi ist Aufrichtigkeit. Und Eifer um die Ehre Gottes ist der Beweggrund, den der Heilige Geist ins Herz pflanzt und nur das durchdringende Wirken des Geistes kann das bewirken. Allein Gottes Macht kann Selbstsucht und Heuchelei verbannen. Diese Veränderung ist das Zeichen Seines Wirkens. Wenn der Glaube, den wir angenommen haben, die Selbstsucht auf allen äußeren Schein vernichtet, wenn er uns dahin führt, die Herrlichkeit Gottes und nicht unsere eigene zu suchen, dann können wir sicher sein, dass unser Glaube von rechter Art ist. „Vater, verherrliche deinen Namen!“ Johannes 12,28. Das war das Schlüsselwort des Lebens Christi, und wenn wir Ihm folgen, wird es auch die Leitlinie unseres Lebens sein. Er ermahnt uns, zu leben, „wie er gelebt hat“. 1.Johannes 2,6. „Daran merken wir, dass wir ihn kennen, wenn wir seine Gebote halten.“ 1.Johannes 2,3. DM.325.1 Teilen

Kapitel 45: Im Schatten des Kreuzes
326

Auf der Grundlage von Matthäus 16,13-28; markus 8,27-38; Lukas 9,16-27. DM.326 Teilen

Das Werk Christi auf Erden eilte ihrem Ende zu. Klar umrissen lagen die Szenen der nächsten Zukunft vor Jesus. Schon bevor er die menschliche Natur annahm, sah Er den ganzen Weg vor sich, den Er gehen musste, um die Verlorenen zu retten. Jeder Schmerz, der Ihn wie ein Schwert durchdringen und jede Beleidigung, die auf Ihn gehäuft würde, jede Entbehrung, die Er zu tragen hatte, lagen offen vor Ihm, noch ehe Er Seine Krone und das königliche Gewand abgelegt und den himmlischen Thron verlassen hatte, um Seine Göttlichkeit mit der menschlichen Natur zu bekleiden. Er konnte den Weg von der Krippe bis nach Golgatha überblicken, und im Bewusstsein aller kommenden Leiden sagte Er: „Siehe, ich komme; im Buch ist von mir geschrieben: Deinen Willen, mein Gott, tue ich gern, und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen.“ Psalm 40,8.9. DM.326.1 Teilen

Jesus hatte den Zweck Seiner Mission stets vor Augen, und Sein irdisches Leben, voll von Arbeit und Selbstaufopferung, wurde durch die Aussicht erhellt, dass all diese Mühen nicht vergeblich sein würden. Indem Er sein Leben für das Leben der Menschen gab, würde Er die Welt zur Treue gegenüber Gott zurückgewinnen. Obwohl Er zuerst die Bluttaufe empfangen musste und die Sünden der Welt schwer auf Seiner unschuldigen Seele lasten sollten, obwohl der Schatten unsagbaren Schmerzes auf Ihn fiel, wählte Er dennoch um der Freude willen, die vor Ihm lag, das Kreuz und achtete der Schande nicht. DM.326.2 Teilen

Seinen Jüngern waren die kommenden Ereignisse noch verborgen; aber die Zeit war nahe, in der sie Zeugen Seines letzten Ringens werden sollten. Sie mussten sehen, wie der, den sie geliebt und dem sie vertraut hatten, in die Hände Seiner Feinde überantwortet und ans Kreuz von Golgatha geschlagen würde. Bald musste Er sie verlassen und sie würden der Welt allein gegenübertreten — ohne den Trost Seiner sichtbaren Gegenwart. Er wusste, wie sehr bitterer Hass und Unglaube sie verfolgen würden, und Er wollte sie auf diese Prüfungen vorbereiten. Jesus war mit Seinen Jüngern in eine Stadt in der Nähe von Cäsarea Philippi gekommen. Diese Stadt lag außerhalb von Galiläa, in einer Gegend, in der Götzendienst herrschte. Die Jünger waren hier weg vom Einfluss der Juden und kamen nun mit den heidnischen Anbetungsformen in engere Berührung. Sie waren umgeben von Zeichen und Merkmalen heidnischen Aberglaubens, den es in allen Teilen der Welt gab. Jesus wünschte, dass der Anblick dieser Dinge sie dazu bringen möge, sich ihrer Verantwortung gegenüber den Heiden bewusst zu sein. Darum zog Er sich während Seines Aufenthalts in diesem Gebiet von der öffentlichen Lehrtätigkeit am Volk zurück und widmete sich mehr Seinen Jüngern. Ehe Er ihnen von Seinen bevorstehenden Leiden erzählte, ging Er ein wenig abseits und betete, dass ihre Herzen bereit sein mögen, Seine Worte aufzunehmen. Als Er wieder zu ihnen zurückkehrte, sagte Er ihnen nicht sofort, was Er zu sagen hatte, sondern gab ihnen erst Gelegenheit, ihren Glauben an Ihn zu bekennen, damit sie dadurch für die kommenden Prüfungen gestärkt würden. Er fragte sie: „Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?“ Matthäus 16,13. DM.326.3 Teilen

327

Die Jünger mussten traurig zugeben, dass das Volk Israel Seinen Messias nicht erkannt hätte. Wohl hatten einige, die Augenzeugen Seiner Wunder gewesen waren, Ihn als Sohn Davids erkannt. Die Menge, die in der Nähe von Bethsaida gespeist worden war, hatte Ihn zum König über Israel ausrufen wollen. Viele waren bereit, Ihn sogar als Propheten zu akzeptieren — aber sie glaubten nicht an Ihn als den Messias. Jesus stellte nun eine weitere Frage an sie als Jünger: „‚Wer sagt denn ihr, dass ich sei?‘ Da antwortete Simon Petrus und sprach: ‚Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!‘“ Matthäus 16,15.16. DM.327.1 Teilen

Schon von Anfang an hatte Petrus geglaubt, dass Jesus der Messias sei. Viele andere, die durch die Predigt von Johannes dem Täufer Christus angenommen hatten, fingen an, über Seine Mission zu zweifeln, als Johannes der Täufer gefangen genommen und getötet wurde. Sie stellten jetzt auch in Frage, dass Jesus wirklich der Messias wäre, auf den sie so lange gewartet hatten. Viele der Jünger, die zuversichtlich erwartet hatten, dass ihr Herr Seinen Platz auf Davids Thron einnehmen werde, verließen Ihn, als sie erfuhren, dass dies nicht Seine Absicht war. Nur Petrus und seine Gefährten blieben Ihm treu. Der Wankelmut all derer, die Ihn gestern priesen und heute verdammten, konnte den Glauben des wahren Nachfolgers Jesu nicht vernichten. Petrus erklärte: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ Er wartete nicht auf königliche Ehren, um Seinen Herrn krönen zu können, sondern nahm Ihn in Seiner Niedrigkeit an. Petrus hatte den Glauben der Zwölf in Worte gefasst. Dennoch waren die Jünger noch weit davon entfernt, die Aufgabe Christi auf Erden zu verstehen. Der Widerstand und die falschen Darstellungen der Priester und Ältesten bereiteten ihnen viel Unruhe, obwohl sie sich dadurch nicht von Christus trennen ließen. Sie konnten ihren Weg nicht klar erkennen, denn der Einfluss aus ihrer früheren Erziehung, die Lehren der Rabbiner und die Macht der Traditionen trübten noch immer ihre Erkenntnis der Wahrheit. Von Zeit zu Zeit schienen die hellen Lichtstrahlen auf sie, die von Jesus ausgingen. Doch oft waren sie wie Menschen, die im Dunkeln umhertasten. An diesem Tag aber, bevor sie mit der großen Prüfung ihres Glaubens konfrontiert wurden, ruhte die Kraft des Heiligen Geistes auf ihnen. Ihre Augen waren kurz vom Sichtbaren abgewandt, um das Unsichtbare zu sehen. vgl. 2. Korinther 4,18 Und sie erkannten hinter Seiner menschlichen Gestalt die Herrlichkeit des Sohnes Gottes. DM.327.2 Teilen

328

Jesus antwortete Petrus und sprach: „Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“ Matthäus 16,17. DM.328.1 Teilen

Die Wahrheit, die Petrus hier aussprach, ist die Glaubensgrundlage des Gläubigen. Sie ist das, was Jesus selbst als ewiges Leben bezeichnet hat. Diese Erkenntnis zu besitzen, war jedoch kein Grund zur Selbstverherrlichung. Weder durch eigene Weisheit noch durch eigene Leistung war Petrus diese Erkenntnis offenbart worden. Nie kann ein Mensch aus sich selbst heraus zur Erkenntnis des Göttlichen gelangen. Sie „ist höher als der Himmel: Was willst du tun?; tiefer als die Hölle: Was kannst du wissen?“ Hiob 11,8. Nur der Geist, der uns annimmt, kann uns die Tiefen Gottes offenbaren, die „kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist“. 1.Korinther 2,9. Gott hat sie „uns offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit“. 1.Kor. 2,10 „Der Herr ist denen Freund, die ihn fürchten; und seinen Bund lässt er sie wissen.“ Psalm 25,14. Die Tatsache, dass Petrus die Herrlichkeit Christi erkannte, war ein Beweis, dass er „von Gott gelehrt“ (Johannes 6,45) war. Ja, in der Tat, „selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart“! Matthäus 16,17. Jesus sprach weiter: „Ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.“ Matthäus 16,18. Das Wort Petrus bedeutet ein Stein — ein rollender Stein. Petrus war nicht der Fels, auf den die Gemeinde gegründet wurde. Die Pforten der Hölle überwältigten ihn, als er Seinen Herrn unter Fluchen und Schwören verleugnete. Die Gemeinde aber wurde auf Einen gebaut, den die Pforten der Hölle nicht überwältigen konnten. DM.328.2 Teilen

Mose hatte Jahrhunderte vor dem Kommen Christi auf den Fels des Heils für Israel hingewiesen. Der Psalmist hatte vom „Fels meiner Stärke“ gesungen. Und bei Jesaja steht geschrieben: „Darum spricht Gott der Herr: Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, der fest gegründet ist.“ 5.Mose 32,4; Psalm 62,7; Jesaja 28,16. Petrus selbst, getrieben durch den Heiligen Geist, wendet diese Weissagung auf Jesus an. Er sagt: „... da ihr ja geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist. Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar. Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft.“ 1.Petrus 2,3-5. DM.328.3 Teilen

329

„Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ 1.Korinther 3,11. „Auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen“ (Matthäus 16,18), sagte der Herr. In der Gegenwart Gottes und aller himmlischen Wesen, in der Gegenwart der unsichtbaren Armee der Hölle gründete Christus Seine Gemeinde auf den lebendigen Felsen. Er selbst ist dieser Felsen — sein Leib, der für uns verwundet und zerschlagen wurde. Die Pforten der Hölle werden die auf diesem Grund erbaute Gemeinde nicht überwältigen. DM.329.1 Teilen

Wie schwach erschien die Gemeinde, als Christus diese Worte sprach! Es gab nur eine Handvoll Gläubige, gegen die sich die ganze Macht der bösen Kräfte richten würde — doch die Nachfolger Christi sollten sich nicht fürchten! Auf den Fels ihrer Stärke gegründet, konnten sie nicht überwunden werden. DM.329.2 Teilen

6000 Jahre lang hat der Glaube auf Christus gebaut, und so viele Jahre lang haben die Fluten und Stürme satanischer Wut gegen den Fels unseres Heils gewütet, aber er steht unerschüttert. DM.329.3 Teilen

Petrus hatte die Wahrheit ausgesprochen, die die Grundlage für den Glauben der Gemeinde ist, und Jesus ehrte ihn nun als den Vertreter aller Gläubigen. Er sagte ihm: „Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“ Matthäus 16,19. DM.329.4 Teilen

„Die Schlüssel des Himmelreichs“ sind die Worte Christi. Alle Worte der Heiligen Schrift sind Seine Worte und darin eingeschlossen. Diese Worte haben Macht, den Himmel zu öffnen und auch zu schließen. Sie erklären die Bedingungen, unter denen Menschen angenommen oder verworfen werden. So ist das Werk derer, die Gottes Wort verkünden, ein Geruch des Lebens zum Leben oder des Todes zum Tode. Ihre Mission hat ewige Folgen. DM.329.5 Teilen

Der Heiland übertrug die Evangeliumsarbeit nicht Petrus persönlich. Später, als Er die Worte wiederholte, die hier zu Petrus gesprochen wurden, bezog Er sie direkt auf die Gemeinde. Sie wurden ihrem Inhalt nach auch zu den Zwölf als den Vertretern aller Gläubigen gesprochen. Hätte Jesus einem der Jünger eine besondere Autorität verliehen, dann würden wir sie nicht so oft darüber streiten sehen, wer der größte unter ihnen wäre. Sie hätten sich dem Wunsch ihres Meisters untergeordnet und den geehrt, den Er erwählt hatte. Statt einen zu berufen, um ihr Haupt zu sein, sagte Jesus den Jüngern: „Ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen ... Und ihr sollt euch nicht Meister nennen lassen; denn einer ist euer Meister: Christus.“ Matthäus 23,8.10. „Christus [ist] das Haupt eines jeden Mannes.“ 1.Korinther 11,3. Gott hat alle Dinge unter seine Füße getan und „hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“. Epheser 1,22.23. Die Gemeinde ist auf Christus als ihr Fundament gebaut. Sie soll Christus als ihrem Haupt gehorchen und sich auch nicht auf Menschen verlassen oder von Menschen beherrscht werden. Viele behaupten, dass eine Vertrauensstellung in der Gemeinde ihnen die Autorität gibt, anderen vorzuschreiben, was sie glauben und was sie tun sollen. Diesen Anspruch erkennt Gott aber nicht an. Der Heiland erklärt: „Ihr aber seid alle Brüder.“ Matthäus 23,8. Alle sind der Versuchung ausgesetzt und dem Irrtum unterworfen. Wir können uns auf kein sterbliches Wesen als Führer verlassen. Der Fels des Glaubens ist die lebendige Gegenwart Christi in der Gemeinde. Darauf kann sich auch der Schwächste verlassen, und die sich für die Stärksten halten, werden sich als die Schwächsten erweisen, wenn sie Christus nicht zu ihrer Stärke machen. „Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verlässt und hält Fleisch für seinen Arm.“ Jeremia 17,5. Der Herr „ist der Fels; seine Werke sind vollkommen“. 5.Mose 32,4. „Wohl allen, die auf ihn trauen!“ Psalm 2,12. DM.329.6 Teilen

330

Nach dem Bekenntnis von Petrus gebot Jesus den Jüngern, keinem zu sagen, dass Er Christus sei. Diese Anweisung gab Er ihnen wegen des entschlossenen Widerstandes der Schriftgelehrten und Pharisäer. Außerdem hatten das Volk und selbst die Jünger eine so falsche Vorstellung von dem Messias, dass eine öffentliche Ankündigung ihnen nicht den richtigen Begriff von Seinem Wesen und Seiner Aufgabe geben würde. Aber Tag für Tag offenbarte Er sich ihnen als Heiland. So wollte Er ihnen ein richtiges Verständnis von sich als Messias geben. DM.330.1 Teilen

Noch immer erwarteten die Jünger, Christus als weltlichen Fürsten herrschen zu sehen. Obwohl Er so lange Sein Vorhaben verborgen hatte, glaubten sie, dass Er nicht immer in Armut und Verborgenheit bliebe und die Zeit nahe war, in der Er Sein Reich aufrichten würde. Dass der Hass der Priester und Rabbiner niemals überwunden, Christus von Seinem eigenen Volk verworfen, als Betrüger verurteilt und als Verbrecher gekreuzigt werden würde, — mit den Gedanken hatten sich die Jünger nie beschäftigt. Aber die Stunde der finsteren Mächte kam immer näher und Jesus musste Seine Jünger mit dem ihnen bevorstehenden Kampf vertraut machen. Er war traurig, als Er ihre kommenden Nöte und Ängste voraussah. DM.330.2 Teilen

Bisher hatte Jesus noch nicht über Seine Leiden und Seinen Tod gesprochen. Zwar hatte Er in Seiner Unterredung mit Nikodemus gesagt: „Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben“ (Johannes 3,14.15), aber die Jünger hatten diese Worte nicht gehört und würden sie dann auch gar nicht verstanden haben. Jetzt aber waren sie bei ihrem Meister, lauschten Seinen Worten, sahen Seine Werke und stimmten trotz aller Bescheidenheit Seiner Umgebung, trotz des Widerstandes der Priester und des Volkes dem Zeugnis von Petrus über Ihn zu: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn.“ Jetzt war die Zeit gekommen, den Schleier der Zukunft beiseite zu schieben. „Seit der Zeit fing Jesus Christus an, seinen Jüngern zu zeigen, wie er nach Jerusalem gehen und viel leiden müsse ... und getötet werden und am dritten Tage auferstehen.“ Matthäus 16,21. Sprachlos vor Erstaunen und Kummer hörten Ihm die Jünger zu. Der Heiland hatte das Bekenntnis des Petrus von Ihm als dem Sohn Gottes angenommen. Nun schienen Seine Worte von Leiden, Not und Tod unbegreiflich. Petrus konnte nicht länger schweigen. Er und fasste seinen Meister fest bei der Hand, als wollte er Ihn vor dem ihm drohenden Unheil bewahren und rief: „Gott bewahre dich, Herr! Das widerfahre dir nur nicht!“ Matthäus 16,22. DM.330.3 Teilen

331

Petrus liebte seinen Herrn. Und dennoch lobte ihn Jesus nicht, als er so den Wunsch äußerte, seinen Herrn zu schützen. Die Worte von Petrus konnten dem Herrn in der großen Prüfung, die auf Ihn wartete, weder Trost noch Hilfe sein. Sie standen nicht in Übereinstimmung mit der Gnadenabsicht Gottes gegenüber einer verlorenen Welt, noch stimmten sie auch nicht mit den Lehren der Selbstverleugnung überein, die Jesus durch Sein Beispiel geben wollte. Petrus wollte das Kreuz in dem Werk Christi nicht sehen. Der Eindruck, den seine Worte machten, widersprach völlig dem Einfluss, den Jesus auf die Gemüter Seiner Nachfolger ausüben wollte. Das veranlasste den Herrn auch zu dem strengsten Verweis, der je über seine Lippen kam: „Geh hinter mich, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“ Markus 8,33. DM.331.1 Teilen

Satan wollte Jesus entmutigen und ihn von Seinem Auftrag ablenken, und Petrus in seiner blinden Liebe lieh dieser Versuchung seine Stimme. Der Fürst des Bösen war der Urheber dieses Gedankens. Seine Einflüsterung stand hinter jenem impulsiven Aufruf. In der Wüste hatte Satan dem Heiland die Herrschaft der Welt unter der Bedingung angeboten, dass Er den Pfad der Erniedrigung und Aufopferung verlasse. Nun kam er mit der gleichen Versuchung zu dem Jünger, um dessen Blick auf die irdische Herrlichkeit zu lenken, damit er das Kreuz, auf das der Herr die Augen der Jünger richten wollte, nicht wahrnehme. Durch Petrus trat Satan nun erneut mit der Versuchung an Jesus heran, aber der Heiland beachtete sie diesmal nicht. Seine Gedanken waren bei Seinen Jüngern. Satan war zwischen Petrus und seien Meister getreten, damit das Herz des Jüngers nicht ergriffen würde von jener Zukunftsschau, die Christi Erniedrigung um seinetwillen zeigte. Christi Worte waren nicht an Petrus gerichtet, sondern an den, der Petrus von seinem Erlöser trennen wollte. „Geh hinter mich, Satan!“ Dränge dich nicht länger zwischen mich und meinen irrenden Diener. Lass mich Petrus von Angesicht zu Angesicht sehen, damit ich ihm das Geheimnis meiner Liebe zeigen kann! Es war eine bittere Lektion für Petrus, die er nur langsam lernte, nämlich dass Christi Erdenweg durch Leiden und Erniedrigung gehen müsse. Der Jünger schreckte unwillkürlich zurück vor einer Gemeinschaft des Leidens mit seinem Herrn. In der Hitze des Feuerofens jedoch musste er den Segen einer solchen Gemeinschaft erfahren. Nach langer Zeit, als seine Gestalt durch die Last der Jahre und der Arbeit gebeugt war, schrieb er: „Ihr Lieben, lasst euch die Hitze nicht befremden, die euch widerfährt zu eurer Versuchung, als widerführe euch etwas Seltsames, sondern freut euch, dass ihr mit Christus leidet, damit ihr auch zurzeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben mögt.“ 1.Petrus 4,12. DM.331.2 Teilen

332

Jesus erklärte nun Seinen Jüngern, dass Sein Leben der Selbstverleugnung für sie ein Beispiel sein sollte. Dann rief Er das Volk, das sich mit den Jüngern in der Nähe aufhielt, zu sich und sagte: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.“ Matthäus 16,24. DM.332.1 Teilen

Das Kreuz war ein Partner der Macht Roms. Es war das Mittel der demütigendsten und grausamsten Todesart. Die schlimmsten Verbrecher mussten das Kreuz selbst zum Ort der Hinrichtung tragen, und oft, wenn man dabei war, es auf ihre Schultern zu laden, sträubten sie sich mit verzweifelter Heftigkeit dagegen, bis sie überwältigt wurden und man ihnen das Folterwerkzeug auf ihren Schultern festband. Jesus aber gebot Seinen Nachfolgern, das Kreuz freiwillig auf sich zu nehmen und es Ihm nachzutragen. Seine Worte, welche die Jünger nur unklar verstanden, wiesen sie auf die Notwendigkeit hin, sich den bittersten Demütigungen zu unterwerfen — ja sogar den Tod um Christi willen auf sich zu nehmen. Eine größere Hingabe konnten die Worte des Heilandes nicht ausdrücken. Er selbst hatte dies alles auch um ihretwillen auf sich genommen. Ihn verlangte nicht nach dem Himmel, solange wir Sünder verloren waren. Er tauschte die himmlischen Höfe gegen ein Leben der Schmach und tiefsten Beleidigungen und für einen Tod der Schande. Er, der reich war an den unschätzbaren Gütern des Himmels, wurde arm, damit wir durch Seine Armut reich würden. Wir sollen den Weg gehen, den auch Er ging. DM.332.2 Teilen

Menschen zu lieben, für die Jesus gestorben ist, heißt das eigene Ich zu kreuzigen. Wer ein Kind Gottes ist, sollte sich als Glied einer Kette fühlen, die vom Himmel bis auf die Erde herab reicht, um die Welt zu retten. Er sollte eins sein mit Christus in Seinem Gnadenplan und mit Ihm vorangehen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Der Christ muss stets erkennen, dass er sich Gott geweiht hat und nun durch seinen Charakter das Wesen Gottes der Welt offenbaren soll. Die opferbereite Hingabe, die Teilnahme und Liebe, die das Leben Christi kennzeichneten, müssen sich auch im Leben der Nachfolger Christi zeigen. DM.332.3 Teilen

„Wer sein Leben erhalten will, der wird‘s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird‘s finden.“ Matthäus 16,25. Selbstsucht bedeutet Tod! Kein Organ des Körpers könnte leben, wenn es seine Wirksamkeit nur auf sich selbst beschränken wollte. Würde das Herz sein Lebensblut nicht in Hand und Kopf leiten, verlöre es bald seine Kraft. Wie unser Blut, so durchdringt die Liebe Christi alle Teile Seines geheimnisvollen Leibes. Wir sind untereinander Glieder und jeder, der sich weigert, weiterzugeben, wird umkommen. Jesus sagte: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?“ Matthäus 16,26. DM.332.4 Teilen

333

Über Seine gegenwärtige Armut und Demütigung hinaus verwies Jesus die Jünger auf Sein Kommen in Herrlichkeit — nicht in der Pracht einer irdischen Krone, sondern mit göttlicher Herrlichkeit und inmitten der himmlischen Heerscharen und sagte: „Dann wird er einem jeden vergelten nach seinem Tun.“ Matthäus 16,27. Zu ihrer Ermutigung gab Er ihnen noch die Verheißung: „Wahrlich, ich sage euch: Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie den Menschensohn kommen sehen in seinem Reich.“ Matthäus 16,28. Doch die Jünger verstanden Seine Worte nicht. Die Herrlichkeit schien ihnen weit entfernt. Ihre Augen waren auf Näherliegendes gerichtet, auf das irdische Leben in Armut, Erniedrigung und unter Leiden. Mussten sie ihre glühenden Erwartungen vom messianischen Reich aufgeben? Sollten sie ihren Herrn nicht auf dem Thron Davids sehen? Konnte es sein, dass Christus als einfacher, heimatloser Wanderer leben musste, um schließlich verachtet, verworfen und getötet zu werden? Traurigkeit erfüllte ihre Herzen, denn sie liebten ihren Meister. Zweifel beunruhigten ihr Gemüt — es erschien ihnen unbegreiflich, dass der Sohn Gottes solch grausamen Demütigungen ausgesetzt werden sollte. Sie fragten sich, warum Er freiwillig nach Jerusalem ginge, um das Schicksal zu erleiden, das Ihn dort, wie Er ihnen gesagt hatte, erwartete. Wie konnte Er sich damit abfinden und sie in noch größerer Finsternis zurücklassen, als jene gewesen ist, in der sie umherirrten, ehe Er sich ihnen bekannt gemacht hatte? Die Jünger meinten, dass Jesus für Herodes und Kaiphas in der Gegend von Cäsarea Philippi unerreichbar wäre. Dort hätte Er weder den Hass der Juden noch die Macht der Römer zu fürchten. Warum konnte Er nicht dort, weit entfernt von den Pharisäern, wirken? Warum sollte Er sich selbst dem Tod überantworten? Wenn Er sterben musste, wie konnte dann Sein Reich so fest gegründet werden, dass die Pforten der Hölle es nicht überwältigen würden? Das alles war ihnen sehr rätselhaft. Gerade jetzt fuhren sie an den Ufern des Sees Genezareth entlang auf die Stadt zu, in der alle ihre Hoffnungen zerschlagen werden sollten. Sie wagten es nicht, dem Herrn gegenüber etwas einzuwenden, aber untereinander sprachen sie leise und tief betrübt über die Zukunft. In all ihren Zweifeln klammerten sie sich dennoch an den Gedanken, dass irgendein unvorhergesehenes Ereignis das Schicksal abwenden möge, das ihren Herrn erwartete. So trauerten, zweifelten, hofften und fürchteten sie sechs lange, trübselige Tage hindurch. DM.333.1 Teilen

Kapitel 46: Die Verklärung Jesu
334

Auf der Grundlage von Matthäus 17,1-8; Markus 9,2-8; Lukas 9,28-36. DM.334 Teilen

Der Abend nähert sich, als Jesus drei Seiner Jünger zu sich ruft — Petrus, .Jakobus und Johannes. Er führt sie durch die Felder und über unwegsames Gelände auf einen einsamen Berg. Der Heiland und die Jünger haben den Tag mit Reisen und Lehren verbracht. Nun ermüdet sie der ziemlich beschwerliche Weg merklich. Christus, der seelische und körperliche Lasten von den Leidenden genommen. Er hatte neues Leben in schwache Körper strömen lassen, doch weil Er auch die Begrenzungen der menschlichen Natur unterliegt, ist Er wie die Jünger vom Aufstieg ermüdet. Die Strahlen der untergehenden Sonne liegen noch auf dem Berggipfel und vergolden den Pfad der vier Wanderer. Doch bald ist dieses letzte Licht verschwunden, das noch über den Hügeln und Tälern lag. Das Dunkel der Nacht umhüllt auch die einsamen Wanderer. Die Düsternis ihrer Umgebung scheint in Einklang zu stehen mit ihrem kummervollen Leben, um dass sich immer dichtere Wolken zusammenballen. DM.334.1 Teilen

Die Jünger wagen nicht, den Herrn nach Ziel und Zweck der Wanderung zu fragen. Zu oft schon hat Er ganze Nächte in den Bergen im Gebet zugebracht. Er, der Schöpfer der Berge und Täler, fühlt sich in der freien Natur zuhause und genießt deren Stille. Die Jünger folgen, wohin Christus sie führt. Dennoch wundern sie sich, warum ihr Meister diesen beschwerlichen Aufstieg mit ihnen unternimmt, da sie ja müde sind und Er ebenfalls Ruhe braucht. DM.334.2 Teilen

Endlich macht Jesus halt. Allein geht Er jetzt ein wenig seitwärts und bringt Sein Flehen unter Tränen vor Gott. Er bittet um Kraft, die Prüfung um der Menschen willen zu ertragen. Er muss einen neuen Halt an dem Allmächtigen gewinnen, denn nur so kann Er über die Zukunft nachdenken. Er legt Seinem Vater auch Seine Herzenswünsche für Seine Jünger vor, damit in der Stunde der Finsternis ihr Glaube nicht wanken möge. Der Tau fällt auf Ihn; Er merkt es nicht. Er achtet auch nicht auf die immer tiefer werdende Dunkelheit. Die Stunden verstreichen langsam. Zuerst vereinten die Jünger ihre Gebete mit dem Gebet des Herrn in aufrichtiger Hingabe, aber bald waren sie von der Müdigkeit überwältigt und sie schlafen ein, obwohl sie versuchen, an dem Geschehen weiterhin Anteil zu nehmen. Jesus hat ihnen von Seinem Leiden erzählt und sie mitgenommen, um mit ihnen im Gebet vereint zu sein — gerade für sie betet Er. Der Heiland hat die Traurigkeit der Jünger gesehen und sehnt sich danach, ihren Kummer durch die Zusicherung zu erleichtern, dass ihr Glaube nicht vergeblich sei. Doch nicht alle Zwölf können die Offenbarung aufnehmen, die Er geben will. Nur die drei, die Zeugen Seiner Seelenangst in Gethsemane sein sollen, hat Er erwählt, mit Ihm auf dem Berg zu sein. Er bittet Seinen Vater, ihnen doch die Herrlichkeit zu zeigen, die Er bei Ihm hatte, ehe die Welt erschaffen war, dass Sein Reich den menschlichen Augen sichtbar wird und Seine Jünger dadurch gestärkt werden möchten, das zu sehen. Er fleht um eine Offenbarung Seiner Göttlichkeit, damit sie in der Stunde Seines tiefsten Seelenschmerzes getröstet sind durch die Erkenntnis, dass Er wahrhaftig Gottes Sohn ist und Sein schmählicher Tod ein Teil des Erlösungsplanes ist. Sein Gebet wird erhört. DM.334.3 Teilen

335

Während Jesus sich demütig auf dem steinigen Untergrund beugt, öffnet sich plötzlich der Himmel, die goldenen Tore der Stadt Gottes gehen weit auf, Lichtstrahlen fluten auf den Berg herab und umhüllen Jesus. Das Göttliche in Ihm leuchtet durch das Menschliche und begegnet der von oben kommenden Herrlichkeit. Er erhebt sich und steht in göttlicher Majestät auf dem Gipfel des Berges. Die Seelenqual ist von Ihm gewichen und Sein Angesicht leuchtet „wie die Sonne“, und Seine Kleider sind „weiß wie das Licht“. Matthäus 17,2. DM.335.1 Teilen

Die Jünger erwachen und sehen die flutende Herrlichkeit, die den Berg erleuchtet. Sie starren ängstlich und verwundert auf die glänzende Gestalt ihres Meisters. Als ihre Augen sich an das blendende Licht gewöhnt haben, sehen sie, dass Jesus nicht allein ist. Zwei himmlische Wesen unterhalten sich mit Ihm. Es ist zum einen Mose, der auf dem Sinai mit Gott geredet hatte, und Elia, dem das hohe Vorrecht gegeben wurde, das außer ihm nur einem anderen der Söhne Adams gewährt wurde, nämlich das Vorrecht, niemals unter die Macht des Todes zu kommen. DM.335.2 Teilen

Auf dem Berg Pisga hatte 1500 Jahre zuvor Mose gestanden und das verheißene Land von ferne gesehen. Doch wegen seiner bei Meriba begangenen Sünde durfte er es nicht betreten. Er erlebte nicht die Freude, die Scharen Israels in das Erbe ihrer Väter zu führen. Seine schmerzliche Bitte: „Lass mich hinübergehen und sehen das gute Land jenseits des Jordan“ (5.Mose 3,25) wurde nicht erhört. Seine Hoffnung, die 40 Jahre lang die Dunkelheit der Wüstenwanderung erhellt hatte, wurde nicht erfüllt. Ein Grab in der Wüste war das Ziel jener Jahre der Last und drückenden Sorge. Und doch hatte der, der „überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen“ (Epheser 3,20), auch in diesem Fall das Gebet Seines Dieners erhört. Mose kam unter die Macht des Todes, aber er blieb nicht in der Gruft. Christus selbst rief ihn heraus zu neuem Leben. Satan, der Betrüger, hatte den Leib Moses seiner Sünde wegen beansprucht; aber Christus, der Heiland, nahm ihn aus dem Grab zu sich. Vgl. Judas 9. DM.335.3 Teilen

336

Mose war auf dem Verklärungsberg Zeuge von Christi Sieg über Sünde und Tod. Er stellte jene dar, die bei der Auferstehung der Gerechten aus den Gräbern hervorgehen werden. Elia, der in den Himmel auffuhr, ohne den Tod gesehen zu haben, war der Repräsentant derer, die bei Christi Wiederkunft auf Erden leben und „verwandelt werden; und dasselbe plötzlich, in einem Augenblick, zurzeit der letzten Posaune“ (1.Korinther 15,51.52), wenn „dies Verwesliche wird anziehen die Unverweslichkeit und dies Sterbliche wird anziehen die Unsterblichkeit“. 1.Korinther 15,54. Jesus war mit dem Licht des Himmels bekleidet; mit dem Er auch erscheinen wird, wenn Er kommt „zum zweiten Mal nicht wegen der Sünde ..., sondern zum Heil“. Hebräer 9,28. Denn Er wird kommen „in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln“. Markus 8,38. DM.336.1 Teilen

Nun war das Versprechen erfüllt, das Jesus Seinen Jüngern gegeben hatte. Auf dem Berg wurde ihnen das zukünftige Reich der Herrlichkeit in kleiner Form gezeigt: Christus, der König, Mose, der Vertreter der auferstandenen Gläubigen, und Elia, der Vertreter derer, die „in einem Augenblick“ verwandelt werden. DM.336.2 Teilen

Die Jünger verstehen die Szene zwar noch nicht, aber sie freuen sich, dass der geduldige Lehrer, der Sanftmütige und Demütige, der als schutzloser Fremdling hin und her gewandert ist, von den Begnadeten des Himmels geehrt wird. Sie glauben, dass Elia gekommen sei, die Regierung des Messias zu verkünden, und dass das Reich Christi jetzt auf Erden aufgerichtet werden soll. Ihre Angst und Enttäuschung wollen sie für immer hinter sich lassen. Hier, wo die Herrlichkeit Gottes sichtbar wird, möchten sie bleiben. Petrus ruft begeistert aus: „Herr, es ist gut, dass wir hier sind! Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten machen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“ Matthäus 17,4 (EB). DM.336.3 Teilen

Die Jünger sind sicher, dass Mose und Elia gesandt wurden, um ihren Meister zu schützen und Sein Königreich auf Erden aufzurichten. Aber das Kreuz muss vor der Krone kommen! Nicht die Krönung Jesu zum König ist das Thema ihrer Unterhaltung, sondern Sein Tod, der Ihn in Jerusalem erwartet. In menschlicher Schwachheit, beladen mit Kummer und den Sünden der Menschen, ging Christus Seinen Weg allein unter den Menschen. Als die Finsternis der nahenden Prüfung auf Ihn eindrang, war Er einsam und allein in einer Welt, die Ihn nicht kannte. Selbst Seine geliebten Jünger, die völlig in ihren Zweifeln und Sorgen und ehrgeizigen Hoffnungen aufgingen, hatten das Geheimnis Seiner Sendung nicht begriffen. Er hatte inmitten der Liebe und Gemeinschaft des Himmels gelebt, aber in dieser Welt, die Er geschaffen hatte, war Er einsam. Nun wurden Boten zu Ihm gesandt. Keine Engel, sondern Menschen, die auch Kummer und Leid ertragen hatten, die auch mit dem Heiland mitfühlen konnten in den Nöten des irdischen Lebens. Mose und Elia waren Christi Mitarbeiter gewesen und hatten Sein Verlangen nach der Erlösung der Menschheit mit Ihm geteilt. Mose hatte sich für Israel eingesetzt, indem er sagte: „Vergib ihnen doch ihre Sünde; wenn nicht, dann tilge mich aus deinem Buch, das du geschrieben hast.“ 2.Mose 32,32. Elia hatte die Einsamkeit kennengelernt, als er dreieinhalb Jahre lang während der Hungersnot den Hass und das Unglück des Volkes ertragen hatte. Allein hatte er auf dem Karmel für Gott gestanden, allein war er in Angst und Verzweiflung in die Wüste geflohen. Diese Männer, die Gott vor den Engeln erwählte, die den Thron umstanden, waren erschienen, um mit Jesus über die Szenen Seiner Leiden zu reden und Ihn mit der Zusicherung zu trösten, dass der ganze Himmel an Seinem Leben und Sterben Anteil nähme. Die Hoffnung der Welt, die Rettung jedes einzelnen Menschen — das war das Thema ihres Gesprächs. DM.336.4 Teilen

337

Die vom Schlaf überwältigten Jünger bemerkten nur wenig von dem, was zwischen Christus und den himmlischen Boten vorging. Weil sie nicht wachten und beteten, entging ihnen auch das, was Gott ihnen mitteilen wollte: das Verständnis für die Leiden Christi und die Herrlichkeit, die darauf folgen sollte. Sie verloren den Segen, den sie empfangen hätten, würden sie Jesu Selbstaufopferung mit Ihm geteilt haben. Diese Jünger waren zu träge, um zu glauben, und sie erkannten kaum, mit was der Himmel sie beschenken wollte. DM.337.1 Teilen

Dennoch erhielten sie großes Licht. Sie bekamen die Gewissheit, dass der Himmel die Sünde des jüdischen Volkes kannte, die in der Verwerfung Christi bestand. Ihnen wurde ein besseres Verständnis von der Aufgabe des Erlösers gegeben. Sie sahen mit ihren Augen und hörten mit ihren Ohren Dinge, die über das menschliche Verstehen hinausgingen. Sie waren „Augenzeugen seiner herrlichen Majestät“ (2.Petrus 1,16) und erkannten, dass Jesus wirklich der Messias war, von dem die Patriarchen und Propheten geweissagt hatten, und dass Er als der vom himmlischen Universum anerkannt wurde. Während sie noch das herrliche Schauspiel betrachteten, „überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören“. Matthäus 17,5. DM.337.2 Teilen

Als die Jünger die Wolke der Herrlichkeit sahen, die heller war als jene, die damals vor dem Volk Israel in der Wüste herzog und sie Gottes Stimme hörten, die damals in gebietender Majestät den Berg erzittern ließ, da fielen sie erschreckt zu Boden. Sie blieben mit verhüllten Angesichtern auf der Erde liegen, bis Jesus zu ihnen trat, sie berührte und alle Furcht durch Seine ihnen gut vertraute Stimme vertrieb. Seine Worte: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ (Matthäus 17,7) beruhigten sie. Als sie es wagten, ihre Augen wieder zu öffnen, sahen sie, wie die himmlische Herrlichkeit vergangen war. Mose und Elia waren verschwunden. Sie waren allein auf dem Berg mit Jesus. DM.337.3 Teilen

Kapitel 47: Der Dienst
338

Auf der Grundlage von Matthäus 17,9-21; markus 9,9-29; Lukas 9,37-45. DM.338 Teilen

Christus hatte die ganze Nacht mit den Jüngern auf dem Berg verbracht. Und als die Sonne aufging, stiegen sie wieder in die Ebene hinab. In Gedanken versunken, waren die Jünger ehrfürchtig und schweigsam. Selbst Petrus sprach kein Wort. Gern hätten sie noch länger an jener heiligen Stätte verweilt, die von himmlischem Licht berührt worden war und wo der Sohn Gottes Seine Herrlichkeit gezeigt hatte. Es gab jedoch noch viel für das Volk zu tun, das von nah und fern herbeigekommen war und schon nach Jesus suchte. DM.338.1 Teilen

Am Fuß des Berges hatte sich eine große Volksmenge unter Leitung der zurückgebliebenen Jünger versammelt, aber niemand wusste, wohin Jesus sich begeben hatte. Als der Heiland sich nun näherte, befahl Er Seinen Begleitern, über das Geschehene zu Schweigen: „Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“ Matthäus 17,9. Sie sollten diese Offenbarung in ihrem Herzen bewegen, sie aber nicht öffentlich mitteilen, denn die Menschen würden sie verächtlich und lächerlich machen. Und auch die neun Apostel sollten davon nichts erfahren, da auch sie jenes Ereignis nicht begreifen würden, bis Jesus von den Toten auferstanden wäre. Wie schwer sogar die drei von Jesus bevorzugten Jünger das Geschehen auf dem Berg verstehen konnten, ist in der Tatsache zu sehen, dass sie sich — ungeachtet alles dessen, was Jesus ihnen von dem Ihm bevorstehenden Leidensweg gesagt hatte — untereinander fragten, was denn die Auferstehung der Toten zu bedeuten habe. Trotzdem baten sie Jesus nicht um eine Erklärung Seiner Worte. Seine Worte über die nächste Zukunft hatte sie so traurig gemacht, dass sie keine weitere Aufklärung wünschten. Sie hofften sogar, dass alle diese Ereignisse niemals eintreten möchten. DM.338.2 Teilen

Als die Leute in der Ebene den Heiland kommen sahen, liefen sie Ihm entgegen und begrüßten Ihn mit größter Ehrfurcht und Freude. Jesus bemerkte jedoch gleich, dass die Leute sehr verlegen und unruhig waren. Auch die Jünger sahen niedergeschlagen aus. Gerade hatte sich ein Ereignis zugetragen, das sich soeben zugetragen, das ihnen bittere Enttäuschung und Demütigung bereitet hatte. DM.338.3 Teilen

339

Während sie unten am Berg warteten, hatte ein Vater seinen Sohn zu ihnen gebracht, damit sie diesen von einem bösen Geist befreiten, der ihn sehr quälte. Jesus hatte den Jüngern Macht über unreine Geister verliehen, als Er die Zwölf aussandte, in Galiläa zu predigen. Solange sie voller Glauben vorangingen, gehorchten die bösen Geister ihrem Wort. Auch jetzt geboten sie dem quälenden Geist in Jesu Namen, sein Opfer zu verlassen; aber der Dämon verspottete sie nur durch eine erneute Demonstration seiner Macht. Die Jünger konnten sich ihre Niederlage nicht erklären und erkannten, dass sie sich und ihrem Meister einen schlechten Dienst erwiesen hatten. Unter den Menschen befanden sich Schriftgelehrte, die diese Gelegenheit nutzten, um die Jünger zu demütigen. Sie drängten sich an die Jünger heran, verwickelten sie in schwierige Fragen und versuchten zu beweisen, dass sie und ihr Meister Betrüger seien. Hier sei ein böser Geist, erklärten die Rabbiner triumphierend, den weder die Jünger noch Christus selbst besiegen könnten. Die Leute waren nun mehr geneigt, sich auf die Seite der Schriftgelehrten zu stellen und eine Stimmung der Verachtung und des Spottes bemächtigte sich der Menge. DM.339.1 Teilen

Aber plötzlich verstummten die Anklagen. Jesus und Seine drei Jünger hatten sich dem Volk genähert, und nun ging die Menge Ihm in überraschend schnellem Gefühlsumschwung entgegen. Die letzte Nacht der Gemeinschaft mit der himmlischen Herrlichkeit hatte bei dem Heiland und Seinen Begleitern ihre Spuren hinterlassen. Auf ihren Angesichtern ruhte ein Glanz, der den Beobachtern Ehrfurcht abnötigte. Die Schriftgelehrten zogen sich furchtsam zurück, während das Volk den Herrn willkommen hieß. DM.339.2 Teilen

Jesus ging zuerst direkt auf den Besessenen zu, als hätte Er die Szene selbst miterlebt. Er blickte dann auf die Schriftgelehrten und sagte: „Was streitet ihr mit ihnen?“ Markus 9,16. Die vorher so lauten und kühnen Reden verstummten jetzt. Eine drückende Stille lag über der ganzen Versammlung. Da bahnte sich der leidgeprüfte Vater einen Weg durch die Menge, fiel Jesus zu Füßen und klagte Ihm seinen ganzen Kummer und seine Enttäuschung. „Meister“, sagte er, „ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist. Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn ... Ich habe mit deinen Jünger geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten‘ s nicht.“ Markus 9,17f. DM.339.3 Teilen

Jesus schaute auf die ehrfürchtig schweigende Menge und auf die heuchlerischen Schriftgelehrten und die verwirrten Jünger. Er las Unglauben in jedem Herzen und sagte sehr traurig: „O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen?“ Er gebot dem betrübten Vater: „Bringt ihn her zu mir!“ Markus 9,19. DM.339.4 Teilen

340

Der Junge wurde gebracht. Sobald der Blick des Heilandes auf ihn fiel, warf der böse Geist den Jungen in schmerzhaften Krämpfen zu Boden. Der wälzte sich, schäumte und erfüllte die Luft mit grässlichen Schreckenslauten. DM.340.1 Teilen

Wieder standen sich der Fürst des Lebens und der Anführer der Mächte der Finsternis gegenüber — Christus bei der Erfüllung Seines Dienstes, „zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen“ (Lukas 4,18), und Satan, der versuchte, seine Beute in seiner Gewalt zu behalten. Engel des Lichts und Scharen böser Geister drängten sich ungesehen heran, um dem Kampf zuzuschauen. Für einen Moment erlaubte Jesus dem bösen Geist, seine Macht zu entfalten, damit die anwesende Menge das Werk der Befreiung besser erfassen konnte. Die Menge schaute mit angehaltenem Atem diesem Schauspiel zu, und im Herzen des Vaters wechselten Furcht mit Hoffnung. Jesus fragte: „Wie lange ist‘s, dass ihm das widerfährt?“ Der Vater berichtete von vielen Jahren des Leidens und der Not. Dann rief er in höchster Verzweiflung: „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“ Markus 9,21f. Durch die Worte „Wenn du glauben kannst“ zeigte auch der Vater, dass er an der Macht Christi zweifelte. Jesus antwortete: „Du sagst: wenn du glauben kannst — alles ist möglich dem, der glaubt!“ Markus 9,23. Christus fehlte es nicht an Macht. Die Gesundheit des Sohnes hängt allein vom Glauben des Vaters ab. Er erkennt das und bricht über seine eigene Schwäche in Tränen aus. Mit dem Ruf: „Ich glaube, Herr; hilf meinem Unglauben!“ (Markus 9,24) klammert er sich zuversichtlich an Jesu Barmherzigkeit. DM.340.2 Teilen

Nun wendet sich der Heiland dem Besessenen zu und sagt: „Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein!“ Markus 9,25. Man hört einen Schrei und erlebt einen qualvollen Kampf. Es scheint, als ob der Dämon beim Verlassen seines Opfers das Leben entreißt. Der Knabe liegt unbeweglich und anscheinend leblos da. In der Menge flüstert man sich zu: „Er ist tot.“ Doch Jesus ergreift seine Hand, richtet ihn auf und übergibt ihn seinem Vater — vollkommen gesund an Körper und Geist! Vater und Sohn loben den Namen ihres Erlösers. Die Menge ist erstaunt über die „Herrlichkeit Gottes“, während sich die Schriftgelehrten, besiegt und verstimmt, mürrisch abwenden. „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“ Markus 9,21f. Wie viele von Sünden beladene Herzen haben jenes Gebet schon an Gott gerichtet! Und allen antwortet der mitleidvolle Heiland: „Wenn du glauben kannst — alles ist möglich dem, der glaubt!“ Markus 9,23. Es ist der Glaube, der uns mit dem Himmel verbindet. Er verleiht uns auch die Kraft, den Mächten der Finsternis gewachsen zu sein. In Jesus Christus hat der Vater die Möglichkeit gegeben, jede sündhafte Neigung zu überwinden und jeder Versuchung, wie stark sie auch sein mag, zu widerstehen. Viele jedoch bemerken, dass ihnen der Glaube fehlt, und deshalb halten sie sich von Christus fern. Wenn sich doch solche Seelen in ihrer Hilflosigkeit an die Barmherzigkeit ihres mitfühlenden Heilandes klammerten und nicht auf sich, sondern auf Christus blickten! Er, der die Kranken heilte und Dämonen austrieb, als Er unter den Menschen lebte, ist auch heute noch derselbe mächtige Erlöser. Der Glaube kommt durch das Wort Gottes, darum ergreife die Verheißung: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ Johannes 6,37. Wirf dich Jesus zu Füßen mit dem Ruf: „Ich glaube, Herr; hilf meinem Unglauben!“ Markus 9,24. Du kannst niemals verloren gehen, wenn du so handelst — niemals! DM.340.3 Teilen

341

In kurzer Zeit haben die drei Jünger die höchste Herrlichkeit, aber auch die tiefste Erniedrigung gesehen. Sie sahen den Menschen, verklärt in Gottes Ebenbild und entartet zur Ähnlichkeit Satans. Sie haben Jesus von dem Berg herabsteigen sehen, wo Er mit den himmlischen Boten gesprochen hat und von der Stimme aus der strahlenden Herrlichkeit als Sohn Gottes anerkannt worden ist, um jenem schmerzlichen und abstoßenden Schauspiel zu begegnen — jenem besessenen Jungen mit den verzerrten Gesichtszügen und den in krampfartigem Schmerz knirschenden Zähnen, den keine menschliche Macht befreien konnte. Und nun beugt sich dieser mächtige Erlöser, der noch vor kurzer Zeit verklärt vor den verwunderten Jüngern stand, zu dem Opfer Satans herab, das sich in Krämpfen vor Ihm windet, um es aufzurichten und an Körper und Seele gesund seiner Familie zurückzugeben. DM.341.1 Teilen

An diesem Beispiel wird das Erlösungsgeschehen deutlich: Der Ewige, der noch von der Herrlichkeit Seines himmlischen Vaters erfüllt ist, beugt sich herab, um das Verlorene zu retten. Es stellt auch die Aufgabe der Jünger dar. Ihr Leben sollte sich nicht nur in der Gemeinschaft Jesu auf dem Berggipfel, nicht nur in Stunden geistlicher Erleuchtung, sondern auch in der Arbeit für die verlorenen Seelen erfüllen. Die Jünger mussten lernen, dass Menschen, die unter der Gewalt Satans stehen, auf das Evangelium und auf ihre Fürbitte warten, um wieder frei zu werden. DM.341.2 Teilen

Die neun Jünger dachten immer noch an ihre bittere Niederlage. Sobald sie später mit ihrem Herrn alleine waren, „traten die Jünger ... zu Jesus und sprachen: Warum konnten wir ihn nicht austreiben? Jesus aber sprach zu ihnen: Um eures Unglaubens willen! Denn wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, so würdet ihr zu diesem Berg sprechen: Hebe dich weg von hier dorthin! und er würde sich hinwegheben; und nichts würde euch unmöglich sein..“ Matthäus 17,19-20. DM.341.3 Teilen

Ihr Unglaube, der ihnen ein tieferes Mitgefühl mit Jesus verwehrte, und die Nachlässigkeit, mit der sie die ihnen anvertraute heilige Aufgabe betrachteten, verursachten ihre Niederlage im Kampf mit den Mächten der Finsternis. DM.341.4 Teilen

342

Jesu Worte über Sein Sterben hatten Trauer und Zweifel geweckt. Und die Erwählung der drei Jünger, die Jesus auf den Berg begleiten durften, hatte die Eifersucht der anderen neun entfacht. Statt ihren Glauben durch Gebet und Nachdenken über Jesu Worte zu stärken, verweilten sie in ihrer Entmutigung und ihrem persönlichen Kummer. In diesem Zustand hatten sie den Kampf mit Satan aufgenommen. DM.342.1 Teilen

Um einen solchen Kampf siegreich führen zu können, mussten sie bei ihrer Aufgabe eine andere Gesinnung offenbaren. Ihr Glaube musste durch ernstes Gebet, durch Fasten und tiefe Herzensdemut gestärkt werden. Sie mussten vom eigenen Ich entleert und mit dem Geist und der Kraft Gottes gefüllt werden. Nur ernstes, anhaltendes Gebet zu Gott im Glauben — in einem Glauben, der zu völliger Abhängigkeit von Gott und zu rückhaltloser Hingabe an Sein Werk führt, — kann uns die Hilfe des Heiligen Geistes im Kampf gegen Fürsten und Mächte, die Herrscher der Finsternis dieser Welt, und gegen die bösen Geister unter dem Himmel bringen. DM.342.2 Teilen

„Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn“, sagte Jesus, „so würdet ihr zu diesem Berg sprechen: Hebe dich von hier dorthin!, und er würde sich hinweg heben.“ Obwohl ein Senfkorn winzig klein ist, enthält es doch den gleichen geheimnisvollen Lebensgrundsatz, der das Wachstum des größten Baumes erzeugt. Wenn das Senfkorn in den Erdboden kommt, vereint es sich mit dem, was Gott zu seiner Nahrung vorgesehen hat. So entwickelt es schnell ein kräftiges Wachstum. Wenn unser Glaube diesem Senfkorn gleicht, werden wir das Wort Gottes und alle von dem Schöpfer bestimmten Hilfsmittel ergreifen. Dadurch wird unser Glaube erstarken und uns mit himmlischer Kraft ausstatten. Die Hindernisse, die Satan auf unseren Weg legt und die sich so oft scheinbar unüberwindlich vor uns auftürmen, werden der Forderung des Glaubens weichen. „Nichts wird euch unmöglich sein.“ DM.342.3 Teilen

Kapitel 48: Wer ist der Größte?
343

Auf der Grundlage von Matthäus 17,22-27; Matthäus 18,1-20; Markus 9,30-50; Lukas 9,43-45. DM.343 Teilen

Als Jesus nach Kapernaum zurückkehrte, begab Er sich nicht zu den schon bekannten Orten, wo Er das Volk gelehrt hatte, sondern suchte mit Seinen Jüngern unauffällig das Haus auf, das vorübergehend Sein Heim werden sollte. Während Seines restlichen Aufenthalts in Galiläa war es Sein Ziel, lieber Seine Jünger zu unterweisen, statt unter der Menge zu wirken. Auf Seiner Reise durch Galiläa hatte Jesus erneut versucht, Seine Jünger auf die Ereignisse, die Ihm bevorstanden, seelisch vorzubereiten. Er erzählte ihnen, dass Er nach Jerusalem gehen müsse, um dort zu sterben und aufzuerstehen. Dann fügte Er seltsam und ernst hinzu, dass Er an Seine Feinde verraten werden sollte. Die Jünger verstanden Seine Worte auch jetzt noch nicht. Obwohl große Sorge sie überschattete, waren ihre Herzen mehr mit Rivalitäten erfüllt. Sie stritten sich untereinander, wer im künftigen Reich als der Größte gelten solle. Diesen Streit aber versuchten sie vor Jesus zu verbergen. Deshalb gingen sie nicht wie gewöhnlich dicht an Seiner Seite, sondern schlenderten hinter Ihm her, so dass Er ihnen voraus ging, als sie in Kapernaum eintrafen. Jesus durchschaute ihre Gedanken und wollte ihnen Rat und Belehrung erteilen. Dazu wartete Er aber eine stille Stunde ab, bis ihre Herzen für Seine Worte aufgeschlossen sein würden. DM.343.1 Teilen

Bald nachdem sie die Stadt erreicht hatten, kam der Steuerbeamte, der die Tempelabgaben einsammelte, zu Petrus und fragte: „Pflegt euer Meister nicht den Tempelgroschen zu geben?“ Matthäus 17,24. Es handelte sich dabei nicht um eine bürgerliche Steuer, sondern um einen Betrag, den jeder Jude jährlich für den Unterhalt des Tempels zu zahlen hatte. Die Weigerung, diesen Beitrag zu entrichten, galt als Untreue dem Tempel gegenüber, und das war in den Augen der Rabbiner eine besonders schwere Sünde. Die Einstellung des Heilandes zu den Gesetzen der Rabbiner und Seine deutlichen Tadel an die Verteidiger der Tradition lieferte einen Vorwand für die Anschuldigung, Er trachte danach, den Tempeldienst zu stürzen. Nun sahen Seine Feinde eine günstige Gelegenheit, Ihn beschuldigen zu können. In dem Mann, der die Tempelsteuer einsammelte, fanden sie einen bereitwilligen Verbündeten. DM.343.2 Teilen

344

Petrus hielt die Frage des Steuereinnehmers für eine Unterstellung, die Christi Treue zum Tempel berührte. Eifrig auf die Ehre seines Meisters bedacht, antwortete er rasch, ohne erst zu fragen, dass Jesus die Steuer bezahlen werde. DM.344.1 Teilen

Petrus begriff jedoch nur teilweise die Absicht des Fragestellers. Es gab nämlich einige im Volk, die von der Tempelsteuer befreit waren. Als zurzeit Moses die Leviten zum Dienst am Heiligtum ausgesondert wurden, erhielten sie unter dem Volk kein Erbteil. Der Herr sagte: „Darum werden die Leviten weder Anteil noch Erbe haben mit ihren Brüdern. Denn der Herr ist ihr Erbteil.“ 5.Mose 10,9. Zur Zeit Christi galten die Priester und Leviten immer noch als besonders geweiht für den Tempeldienst und brauchten deshalb keinen Jahresbeitrag für den Unterhalt des Tempels zu entrichten. Auch die Propheten waren davon befreit. Indem die Rabbiner nun den Tempelgroschen von Jesus forderten, übergingen sie Seinen Anspruch, ein Prophet oder Lehrer zu sein und behandelten Ihn wie jeden anderen Menschen auch. Hätte Er sich geweigert, die Steuer zu entrichten, so hätte man das als Untreue dem Tempel gegenüber ausgelegt, während andererseits die Bezahlung der Steuer als Rechtfertigung dafür gegolten hätte, dass sie Jesus als Prophet ablehnten. DM.344.2 Teilen

Erst kurz zuvor war Jesus von Petrus als Sohn Gottes anerkannt worden, nun aber hatte dieser eine günstige Gelegenheit verpasst, das Wesen Seines Meisters darzustellen. Durch seine Antwort an den Steuerbeamten, dass Jesus den Beitrag bezahlen werde, hatte er in der Tat die falsche Vorstellung von Ihm bekräftigt, die Priester und Oberste in Umlauf setzen wollten. DM.344.3 Teilen

Als Petrus zurück kam, spielte der Heiland nicht auf das an, was vorgefallen war, sondern fragte ihn: „Was meinst du, Simon? Von wem nehmen die Könige auf Erden Zoll oder Steuer: von ihren Kindern oder von den Fremden?“ Petrus antwortete: „Von den Fremden.“ Jesus entgegnete ihm: „So sind die Kinder frei.“ Matthäus 17,25f. Während die Bürger eines Landes für den Lebensunterhalt ihres Königs Steuern zahlen müssen, sind die Kinder des Monarchen davon befreit. Genauso sollte Israel, das bekenntliche Volk Gottes, seinen Dienst unterhalten. Jesus aber war als Sohn Gottes dazu nicht verpflichtet. Wenn Priester und Leviten wegen ihrer Bindung an den Tempel von der Zahlung befreit waren, wie viel mehr erst Jesus, für den der Tempel das Haus Seines Vaters war. DM.344.4 Teilen

Hätte Jesus die Steuer widerspruchslos gezahlt, dann würde Er die Richtigkeit der Forderung anerkannt und dadurch seine Göttlichkeit geleugnet haben. Obwohl Er es für richtig hielt, dieser Forderung nachzukommen, leugnete Er die Behauptung, auf der sie basierte. Dadurch, wie Er mit der Zahlung umging, wies Er auf Seine Göttlichkeit hin. Er machte deutlich, dass Er mit Gott eins war. Da Er somit kein Untertan des Reiches war, brauchte Er auch nichts zu zahlen. „Geh hin an den See“, wies Jesus Petrus an, „und wirf die Angel aus, und den ersten Fisch, der heraufkommt, den nimm; und wenn du sein Maul aufmachst, wirst du ein Zweigroschenstück finden; das nimm und gib‘s ihnen für mich und dich.“ Matthäus 17,27. DM.344.5 Teilen

345

Obwohl Christus Seine Gottheit in ein menschliches Gewand gehüllt hatte, offenbarte Er durch dieses Wunder Seine Herrlichkeit. Es war deutlich, dass Er es war, der durch David erklärt hatte: „Alles Wild im Walde ist mein und die Tiere auf den Bergen zu Tausenden. Ich kenne alle Vögel auf den Bergen; und was sich regt auf dem Felde, ist mein. Wenn mich hungerte, wollte ich dir nicht davon sagen; denn der Erdkreis ist mein und alles, was darauf ist.“ Psalm 50,10-12. DM.345.1 Teilen

Als Jesus deutlich machte, dass Er nicht verpflichtet war, die Steuer zu bezahlen, ließ Er sich deswegen nicht auf einen Streit mit den Juden ein. Sie hätten doch nur Seine Worte falsch ausgelegt und gegen Ihn gerichtet. Um dadurch, dass Er nicht zahlte, keinen Anstoß zu erregen, tat Er das, was von Rechts wegen nicht von Ihm verlangt werden konnte. Diese Lektion sollte für Seine Jünger von großem Wert sein. Bald würde ein deutlicher Wandel in ihrer Beziehung zum Tempeldienst eintreten und Christus lehrte sie, sich nicht unnötig gegen die bestehende Ordnung zu wenden. Soweit wie möglich sollten sie keinerlei Anlass bieten, ihren Glauben zu missdeuten. Obwohl Christen keinen einzigen Grundsatz der Wahrheit aufgeben dürfen, sollten sie jedoch möglichst jedem Streit aus dem Weg gehen. Während Petrus zum See ging, blieb Christus mit den übrigen Jüngern allein im Haus. Er rief sie zusammen und fragte: „Worüber habt ihr denn auf dem Weg gesprochen?“ Markus 9,33 (NL). Die Anwesenheit Jesu und Seine Frage ließen die Angelegenheit, über die sie sich auf dem Weg gestritten hatten, in einem völlig anderen Licht erscheinen als zuvor. So schwiegen sie aus Scham und Schuldgefühl. Jesus hatte ihnen mitgeteilt, dass Er ihretwegen sterben müsste. Ihr selbstsüchtiger Ehrgeiz stand jetzt in schmerzlichem Gegensatz zu Seiner selbstlosen Liebe. DM.345.2 Teilen

Als Jesus ihnen sagte, dass Er sterben und wieder auferstehen werde, versuchte Er dadurch, mit ihnen ein Gespräch über die bevorstehende große Glaubensprüfung anzuknüpfen. Wären sie bereit gewesen, das anzunehmen, was Er ihnen mitteilen wollte, so wären ihnen bittere Not und Verzweiflung erspart geblieben. Seine Worte hätten sie in der Stunde der Verlassenheit und Enttäuschung getröstet. Obwohl Er so deutlich über das gesprochen hatte, was Ihn erwartete, entfachte die Erwähnung darüber, dass Er bald nach Jerusalem ziehen müsse, in den Jüngern erneut die Hoffnung, dass die Aufrichtung des Reiches unmittelbar bevorstehe. Dies hatte zu der Frage geführt, wer dann die höchsten Ämter einnehmen sollte. Als Petrus vom See zurückgekehrt war, erzählten ihm die Jünger, was der Heiland sie gefragt hatte. Schließlich wagte es einer, Jesus zu fragen: „Wer ist doch der Größte im Himmelreich?“ Matthäus 18,1. Der Heiland scharte die Jünger um sich und sagte: „Wenn jemand will der Erste sein, der soll der Letzte sein von allen und aller Diener.“ Markus 9,35. In diesen Worten lagen ein Ernst und ein Nachdruck, die den Jüngern unverständlich waren. Von dem, was Christus wahrnahm, konnten sie nichts sehen. Sie verstanden auch das Wesen des Reiches Christi nicht, und diese Unkenntnis war die offensichtliche Ursache ihres Streites. Der wahre Grund lag jedoch noch tiefer. Indem Er die Art des Reiches erklärte, konnte Christus ihren Streit vorübergehend schlichten, doch dessen eigentliche Ursache aber wurde nicht berührt. Selbst nachdem sie über alles Bescheid wussten, hätte jede Rangfrage den Streit wieder aufleben lassen können. Nach Christi Weggang wäre dadurch Unheil über die Gemeinde hereingebrochen. Im Streit um den ersten Platz bekundete sich der gleiche Geist, mit dem der große Kampf im Himmel begonnen hatte und der auch Christus vom Himmel auf die Erde gebracht hatte, um dort zu sterben. Vor Jesus erstand das Bild Luzifers, der „Sohn der Morgenröte“, der an Herrlichkeit alle Engel überstrahlte, die den Thron Gottes umgaben, und der durch die engsten Bande mit dem Sohn Gottes verbunden war. Luzifer hatte gesagt: „Ich will ... gleich sein dem Allerhöchsten.“ Jesaja 14,14. Dieser Wunsch nach Selbsterhöhung hatte Streit in die himmlischen Höfe gebracht und viele der Heerscharen Gottes aus seiner Gegenwart verbannt. Hätte Luzifer dem Allerhöchsten wirklich gleich sein wollen, dann würde er nie den ihm zugewiesenen Platz verlassen haben, denn die Gesinnung des Allerhöchsten zeigt sich in selbstlosem Dienen. Luzifer wollte zwar die Macht Gottes, aber nicht dessen Charakter. Für sich erstrebte er den höchsten Platz, und jeder, der von dem gleichen Geist beseelt ist, wird sich wie Luzifer verhalten. Auf diese Weise werden Entfremdung, Uneinigkeit und Streit unvermeidlich sein. Die Herrschaft fällt dem Stärksten zu. Das Reich Satans ist ein Reich der Machtentfaltung. Jeder sieht im andern ein Hindernis für das eigene Vorwärtskommen oder eine Stufenleiter, auf der er eine höhere Position ergattern kann. DM.345.3 Teilen

346

Während Luzifer es für ein erstrebenswertes Ziel hielt, Gott gleich zu sein, wurde Christus, der Erhöhte „sondern er entäußerte sich selbst, nahm die Gestalt eines Knechtes an und wurde wie die Menschen; und in seiner äußeren Erscheinung als ein Mensch erfunden, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz.“ Phil. 2,7f Jetzt stand Ihm das Kreuz unmittelbar bevor, Seine Jünger aber waren so voller Selbstsucht — dem eigentlichen Prinzip des Reiches Satans —, dass sie mit ihrem Herrn weder übereinstimmten noch Ihn verstanden, als Er zu ihnen von Seiner Erniedrigung sprach. DM.346.1 Teilen

Sehr sanft und dennoch mit ernstem Nachdruck versuchte Jesus dieses Übel zu korrigieren. Er zeigte auf, welches Prinzip im Himmel herrscht und worin nach dem Maßstab des Himmels wahre Größe besteht. Wen Stolz und Ehrsucht antreiben, der denkt nur an sich selbst und an den Lohn, der ihm zustünde, nicht aber daran, wie er Gott die empfangenen Gaben zurückgeben könne. Ins Himmelreich kämen solche Menschen nicht, da man sie den Reihen Satans zuordnen würde. DM.346.2 Teilen

347

Der Ehre geht die Erniedrigung voraus. Um vor den Menschen eine hohe Stellung einzunehmen, wählt der Himmel denjenigen aus, der sich — wie Johannes der Täufer — vor Gott demütigt. Der Jünger, der einem Kind am ähnlichsten ist, leistet für Gott die beste Arbeit. Die himmlischen Wesen können mit denen zusammenwirken, der sich nicht selbst erhöht, sondern Menschenseelen retten will. Wem am meisten bewusst ist, wie dringend er Gottes Hilfe benötigt, der wird darum beten, und der Heilige Geist wird seinen Blick auf Jesus lenken. Das wird ihn stärken und wieder aufrichten. So eins geworden mit Christus wird er alles tun, Menschen für Ihn zu gewinnen, die sonst in ihren Sünden umkommen müssten. Er ist zu seinem Dienst berufen und hat selbst dort noch Erfolg, wo viele gelehrte und weise Männer scheitern. DM.347.1 Teilen

Wenn sich Menschen aber selbst erhöhen und meinen, für den Erfolg des großen Planes Gottes unersetzlich zu sein, dann sorgt der Herr dafür, dass sie beiseite gesetzt werden. Dadurch wird deutlich, dass der Herr von ihnen nicht abhängig ist. Das Werk kommt deswegen nicht zum Stillstand, weil sie davon ausgeschlossen sind, sondern es geht sogar mit größerer Kraft voran. DM.347.2 Teilen

Es genügte nicht, dass die Jünger Jesu über das Wesen seines Reiches unterrichtet wurden. Was sie brauchten, war eine Herzensänderung, damit sie mit den in diesem Reich herrschenden Prinzipien übereinstimmten. Jesus rief deshalb ein kleines Kind zu sich, stellte es mitten unter sie, nahm es liebevoll in Seine Arme und sagte: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Matthäus 18,2f. Die Schlichtheit, Selbstvergessenheit und vertrauende Liebe eines kleinen Kindes sind jene Eigenschaften, die der Himmel schätzt. Es sind Merkmale wahrer Größe. DM.347.3 Teilen

Wieder erklärte Jesus den Jüngern, dass die Eckpunkte Seines Reiches nicht irdische Würde und Prachtentfaltung sind. Zu Seinen Füßen sind alle diese Unterschiede vergessen. Reiche und Arme, Gelehrte und Unwissende sind dann vereint und denken nicht mehr an Standesunterschiede oder weltliche Rangstellungen. Alle sind als bluterkaufte Seelen versammelt und hängen in gleicher Weise von dem Einen ab, der sie mit Gott versöhnt hat. Ein aufrichtiges und reumütiges Herz ist in Gottes Augen kostbar. Er drückt den Menschen Sein Siegel auf, nicht auf Grund ihres Ranges, ihres Reichtums oder ihrer geistigen Größe, sondern wegen ihres Einsseins mit Christus. Der Herr der Herrlichkeit ist mit jenen zufrieden, die von Herzen sanftmütig und bescheiden sind. Schon David sagte: „Du gibst mir den Schild deines Heils ..., und deine Huld macht mich groß.“ Psalm 18,36. „Wer dies Kind aufnimmt in meinem Namen“, sagte Jesus, „der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat.“ Lukas 9,48. „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße! ... Ich will aber den ansehen, der demütig und zerbrochenen Geistes ist und der zittert vor meinem Wort.“ Jesaja 66,1.2. DM.347.4 Teilen

348

Die Worte des Heilands riefen in den Jüngern ein Gefühl des Misstrauens sich selbst gegenüber hervor. Auf keinen von ihnen zielte Jesu Antwort. Dennoch veranlasste sie Johannes zu der Frage, ob er in einem besonderen Fall richtig gehandelt habe. In kindlichem Geist trug er Jesus die Angelegenheit vor: „Meister, wir sahen einen, der uns nicht nachfolgt, in deinem Namen Dämonen austreiben, und wir wehrten es ihm, weil er uns nicht nachfolgt.“ Markus 9,38. DM.348.1 Teilen

Jakobus und Johannes meinten für die Ehre ihres Herrn einzutreten, als sie diesem Mann dies verwehrten. Doch nun wurde ihnen bewusst, dass sie auf ihre eigene Ehre bedacht gewesen waren. Sie erkannten ihren Fehler und nahmen Jesu Tadel hin: „Ihr sollt‘s ihm nicht verbieten. Denn niemand, der ein Wunder tut in meinem Namen, kann so bald übel von mir reden.“ Markus 9,39. Niemand, der in irgendeiner Weise Jesus freundlich begegnete, sollte einfach abgewiesen werden. Es gab viele, die durch das Wesen und Wirken Christi tief berührt waren und deren Herzen sich Ihm im Glauben auftaten. Die Jünger, die die Motive der Menschen nicht kannten, sollten sich daher hüten, diese Menschen zu entmutigen. Wenn Jesus nicht mehr persönlich unter ihnen weilte und das Werk ihren Händen anvertraut wäre, dann sollten sie sich nicht engherzig verhalten und andere ausschließen, sondern dasselbe umfassende Mitgefühl bekunden, das sie bei ihrem Meister gesehen hatten. DM.348.2 Teilen

Die Tatsache, dass jemand nicht auf allen Gebieten mit unseren persönlichen Vorstellungen oder Meinungen übereinstimmt, berechtigt uns noch lange nicht dazu, ihm die Arbeit für Gott zu verbieten. Christus ist der große Lehrer. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu richten oder zu befehlen, sondern demütig sollte jeder von uns zu Jesu Füßen sitzen und von Ihm lernen. Jedes Menschenherz, das von Gott willig gemacht wurde, ist ein Kanal, durch das Christus Seine vergebende Liebe weitergeben will. Wie vorsichtig sollten wir deshalb sein, um ja keine Lichtträger Gottes zu entmutigen und dadurch die Strahlen zu unterbrechen, mit denen Er die Welt erleuchten möchte! Die Härte oder Kälte, mit der ein Jünger Jesu jemandem gegenübertritt, den Christus zu sich zieht, entspricht dem Verhalten des Johannes, der einen Mann daran hinderte, Wunder im Namen Christi zu tun. Das kann dazu führen, dass der Zurückgewiesene den Weg des Feindes einschlägt und verloren geht. Ehe jemand so etwas täte, „dem wäre es besser, dass ihm ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde“, sagte Jesus. Er fügte noch hinzu: „Wenn dich aber deine Hand zum Abfall verführt, so haue sie ab! Es ist besser für dich, dass du verkrüppelt zum Leben eingehst, als dass du zwei Hände hast und fährst in die Hölle, in das Feuer, das nie verlöscht. Wenn dich dein Fuß zum Abfall verführt, so haue ihn ab! Es ist besser für dich, dass du lahm zum Leben eingehst, als dass du zwei Füße hast und wirst in die Hölle geworfen.“ Markus 9,42-45. DM.348.3 Teilen

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Weshalb diese ernste Sprache, die deutlicher nicht sein kann? Weil „der Menschensohn ... gekommen [ist], selig zu machen, was verloren ist“. Matthäus 18,11. Sollen sich Seine Jünger weniger um ihre Mitmenschen kümmern als die Majestät des Himmels? Jede Seele hat einen unendlichen Preis gekostet. Wie schlimm ist somit die Sünde, einen Menschen zur Abkehr von Christus zu bewegen und damit für sie die Liebe, die Erniedrigung und den Todeskampf des Erlösers vergeblich zu machen! DM.349.1 Teilen

„Weh der Welt der Verführungen wegen! Es müssen ja Verführungen kommen.“ Matthäus 18,7. Die Welt wird sich unter Satans Einfluss ganz sicher den Nachfolgern Christi entgegenstellen und versuchen, deren Glauben zu zerstören. Wehe aber demjenigen, der Christi Namen angenommen hat und dennoch Satans Werk ausführt! Unserem Herrn wird von denen Schmach zugefügt, die Ihm zu dienen behaupten, dabei aber Sein Wesen entstellen, so dass Tausende getäuscht und auf den falschen Weg geführt werden. DM.349.2 Teilen

Jede Gewohnheit oder Handlung, die zur Sünde führt und Schande über Christus bringt, sollten wir unbedingt ablegen, wie groß das Opfer auch sein mag. Was Gott entehrt, kann dem Menschen nicht zum Segen sein. Der Segen des Herrn kann auf niemandem ruhen, der die ewigen Grundsätze des Rechts verletzt. Schon eine einzige gehegte Lieblingssünde reicht aus, den Charakter zu verderben und andere Menschen in die Irre zu führen. Wenn man die Hand oder den Fuß abhacken oder das Auge ausreißen sollte, um den Körper vor dem Tod zu bewahren, wie viel mehr sollte man da eine Sünde ablegen, deren Folge der ewige Tod ist! DM.349.3 Teilen

Beim alttestamentlichen Gottesdienst wurde jedem Opfer Salz hinzugefügt. Dieser Brauch, wie auch das Darbringen von Weihrauch bedeutete, dass nur die Gerechtigkeit Christi diesen Dienst für Gott annehmbar machen konnte. Auf diesen Brauch bezog sich Christus: „Jedes Opfer [wird] mit Salz gesalzen ... Habt Salz in euch und haltet Frieden untereinander!“ Markus 9,49.50. Alle, die sich selbst darbringen wollen als ein „Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist“ (Römer 12,1), müssen das rettende Salz erhalten, nämlich die Gerechtigkeit unseres Heilandes. Dann erst werden sie zum „Salz der Erde“ und halten das Übel von den Menschen fern, so wie auch das Salz vor dem Verderben schützt. Wenn aber „das Salz nicht mehr salzt“ (Matthäus 5,13), wenn die Frömmigkeit nur Formsache ist und die Liebe Christi fehlt, dann fehlt es an Kraft zum Guten. So ein Leben kann auf die Welt keinen rettenden Einfluss mehr ausüben. Eure Kraft und Tüchtigkeit beim Aufbau meines Reiches, sagt Jesus, hängen davon ab, dass ihr von meinem Geist erfüllt werdet. Ihr müsst an meiner Gnade teilhaben, um ein „Geruch des Lebens zum Leben“ zu sein. 2.Korinther 2,16. Dann wird es keine Rivalität, keine Selbstsucht und kein Streben nach der höchsten Stelle mehr geben. Ihr werden dann von der Liebe erfüllt sein, die nicht das ihre sucht, sondern das Wohl des andern. DM.349.4 Teilen

350

Möchte doch der reumütige Sünder aufschauen zu „Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt“! Johannes 1,29. Durch Anschauen wird er verwandelt werden. Seine Furcht wird sich in Freude, seine Zweifel in Hoffnung wandeln, und Dankbarkeit wird in ihm aufblühen. Sein steinernes Herz wird zerbrechen. Eine Flut der Liebe ergießt sich in seine Seele. Christus wird in ihm zu einem Brunnen des Wassers, der „in das ewige Leben quillt“. Johannes 4,14. Wenn wir Jesus sehen: einen Mann, der mit Leiden und Kummer beladenen der für die Rettung der Verlorenen wirkt — verschmäht, verachtet, verhöhnt, getrieben von Stadt zu Stadt, bis Seinen Auftrag erfüllt war, wenn wir Ihn in Gethsemane erblicken, wo Sein Schweiß in großen Blutstropfen herabfällt, und am Kreuz, wo Er im Todeskampf stirbt, — wenn wir das sehen, wird unser Ich nicht mehr nach Anerkennung schreien. Ein Blick auf Jesus beschämt uns wegen unserer Gemütskälte, Trägheit und Selbstsucht. Wir sind dann bereit, alles oder nichts zu sein, damit wir unserem Meister von ganzem Herzen dienen können. Freudig werden wir Jesus unser Kreuz nachtragen und Versuchung, Schande oder Verfolgung um Seinetwillen ertragen. DM.350.1 Teilen

„Wir aber, die wir stark sind, sollen das Unvermögen der Schwachen tragen und nicht Gefallen an uns selber haben.“ Römer 15,1. Niemand, der an Christus glaubt, sollte gering geschätzt werden, mag sein Glaube auch schwach sein und seine Schritte unsicher wie die eines kleinen Kindes. Durch all das, wodurch wir anderen gegenüber im Vorteil sind — sei es Erziehung, Bildung, Charaktergröße, christliches Verhalten oder religiöse Erfahrung —, sind wir Schuldner der weniger Begünstigten. Soweit es in unserer Macht steht, sollen wir ihnen dienen. Sind wir stark, dann sollen wir die Hände der Schwachen stützen. Engel der Herrlichkeit, die jederzeit das Antlitz des Vaters im Himmel schauen, freuen sich, diesen „Kleinen“ dienen zu dürfen. Ängstliche Menschen, die noch unangenehme Wesenszüge an sich haben, sind ihnen besonders anvertraut worden. Die Engel sind immer dort, wo sie am meisten gebraucht werden, bei denen, die am härtesten gegen das eigene Ich kämpfen müssen und deren Umgebung am trostlosesten ist. An diesem Dienst sollen wahre Nachfolger Christi teilhaben. DM.350.2 Teilen

Falls sich einer dieser Kleinen dazu hinreißen lässt, dir Unrecht zuzufügen, dann ist es deine Aufgabe, ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen. Warte nicht, bis er den ersten Versuch zur Versöhnung unternimmt. „Was meint ihr“, fragt Jesus, „wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und eins unter ihnen sich verirrte: lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen, geht hin und sucht das verirrte? Und wenn es geschieht, dass er‘s findet, wahrlich, ich sage euch: Er freut sich darüber mehr als über die neunundneunzig, die sich nicht verirrt haben. So ist‘s auch nicht der Wille bei eurem Vater im Himmel, dass auch nur eines von diesen Kleinen verloren werde.“ Matthäus 18,12-14. DM.350.3 Teilen

351

Im Geist der Sanftmut, darauf achtend, „dass du nicht auch versucht werdest“ (Galater 6,1), geh zu dem Irrenden und „weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein“. Matthäus 18,15. Setze ihn nicht dadurch der Schande aus, dass du anderen seine Fehler ausbreitest. Verunehre Christus nicht dadurch, dass du die Sünde oder den Irrtum eines Menschen, der den Namen Christi trägt, öffentlich mitteilst. Oft muss man dem Irrenden deutlich die Wahrheit sagen und er muss dahin geführt werden, seinen Fehler einzusehen, damit er sich ändern kann. Du bist aber nicht dazu berufen, ihn zu richten oder zu verdammen. Versuche auch nicht, dich selbst zu rechtfertigen, sondern setze dich für seine Wiederherstellung ein. Seelische Wunden müssen besonders rücksichtsvoll und äußerst sensibel behandelt werden. Nur eine Liebe, wie sie von dem Leidensmann auf Golgatha ausstrahlt, kann hier helfen. Voller Mitleid soll der Bruder mit dem Bruder umgehen, und er darf wissen, dass er im Falle des Erfolges eine „Seele vom Tode erretten und ... die Menge der Sünden“ (Jakobus 5,20) bedecken konnte. DM.351.1 Teilen

Doch auch diese Mühe mag nutzlos sein. In solchem Fall, sagte Jesus, „nimm noch einen oder zwei zu dir“. Matthäus 18,16. Möglicherweise haben sie gemeinsam dort Erfolg, wo der Einzelne erfolglos geblieben war. Da sie in der Auseinandersetzung neutral sind, werden sie wahrscheinlich auch unparteiisch entscheiden. Dadurch erhält ihr Rat bei dem Irrenden größeres Gewicht. DM.351.2 Teilen

Will er jedoch auch auf sie nicht hören, dann, aber auch erst dann, soll die Angelegenheit der Gesamtheit der Gläubigen vorgelegt werden. Die Gemeindeglieder, als Beauftragte Christi, sollen sich im Gebet vereinen und in aller Liebe darum bitten, dass der Missetäter umkehren möge. Der Heilige Geist wird durch Seine Diener reden und den Irrenden bitten, zu Gott zurückzukehren. Der Apostel Paulus sagt im Auftrag Gottes: „Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ 2.Korinther 5,20. DM.351.3 Teilen

Wer diese gemeinsamen Einigungsversuche ablehnt, der hat das Band zerrissen, das ihn mit Christus verknüpfte, und sich von der Gemeinde losgesagt. Christus sagt: „So sei er für dich wie ein Heide und Zöllner“. Matthäus 18,17. Man soll ihn aber damit nicht als von der Gnade Gottes abgeschnitten betrachten. Seine bisherigen Brüder sollen ihn nicht verachten oder vernachlässigen, sondern ihn mit Sanftmut und echtem Mitgefühl behandeln — wie eins von den verlorenen Schafen, die Christus immer noch versucht, zu Seiner Herde zurückzuführen. Christi Anweisungen, wie man Irrende behandeln soll, wiederholt in besonderer Form die Unterweisung, die Israel durch Mose erteilt wurde: „Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen, sondern du sollst deinen Nächsten zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld auf dich lädst.“ 3.Mose 19,17. Das heißt, dass jemand, der die von Christus eingeschärfte Pflicht vernachlässigt, Irrende und Sünder auf den rechten Weg zu bringen, an ihrer Sünde teilhat. An Übeltaten, die wir hätten verhindern können, sind wir genauso mitschuldig, als hätten wir sie selbst begangen. DM.351.4 Teilen

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Nur dem Übeltäter selbst sollen wir sein Unrecht klar machen. Wir dürfen es nicht zu einem Thema der Diskussion und des Tadels machen. Selbst dann, wenn die Angelegenheit bereits der Gemeinde unterbreitet wurde, ist es uns nicht erlaubt, sie andern gegenüber zu wiederholen. Erfahren ungläubige Menschen von den Fehlern der Christen, dann geraten sie dadurch lediglich ins Straucheln, und wenn wir uns immer wieder bei diesen Vorfälle aufhalten, so werden sie uns nur schaden, denn durch Anschauen werden wir verwandelt. Versuchen wir, das Fehlverhalten eines Bruders zu bessern, so wird uns Christi Geist dazu führen, ihn möglichst vor der Kritik seiner Mitbrüder und noch weit mehr vor dem Urteil der Ungläubigen zu schützen. Auch wir sind fehlerhaft und benötigen Christi Barmherzigkeit und Vergebung. Wie wir von Ihm behandelt werden wollen, so sollen wir nach Seinem Wunsch auch miteinander umgehen. DM.352.1 Teilen

„Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.“ Matthäus 18,18. Ihr handelt als Botschafter des Himmels, und die Folgen eures Handelns reichen in die Ewigkeit hinein. Doch wir brauchen diese große Verantwortung nicht allein zu tragen. Christus weilt überall dort, wo Menschen Seinem Wort mit aufrichtigem Herzen gehorchen. Er ist nicht nur in den Versammlungen der Gemeinde gegenwärtig, sondern wo immer sich Seine Jünger in Seinem Namen versammeln, wie wenige es auch sein mögen, da wird Er ebenfalls sein. Er sagt: „Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel.“ Matthäus 18,19. DM.352.2 Teilen

Jesus spricht von Seinem Vater im Himmel, weil Er Seine Jünger daran erinnern möchte, dass Er durch sein Menschsein mit ihnen verbunden ist, an ihren Versuchungen teilhat und mit ihren Leiden mitempfindet, während er durch Seine Göttlichkeit mit dem Thron des Unendlichen verbunden ist. DM.352.3 Teilen

Welch herrliche Verheißung! Die himmlischen Wesen vereinen sich voller Mitgefühl mit den Menschen und arbeiten für die Errettung der Verlorenen. Die ganze Macht des Himmels vereint sich mit den Fähigkeiten der Menschen, um Menschenseelen zu Christus zu ziehen. DM.352.4 Teilen

Kapitel 49: Auf dem Laubhüttenfest
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Auf der Grundlage von Johannes 7,1-15; Johannes 7,37-39. DM.353 Teilen

Dreimal jährlich sollten sich die Juden in Jerusalem versammeln, um den anzubeten, der ihnen aus der Wolkensäule heraus diese Weisung gegeben hatte. Während der babylonischen Gefangenschaft konnten sie diesem göttlichen Gebot nicht nachkommen. Seit sie aber wieder in ihrem Heimatland wohnten, nahmen sie die ihnen verordneten Gedächtnistage sehr ernst. Gott wollte, dass diese jährlich wiederkehrenden Feste das Volk Israel an Ihn erinnerten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hatten die Priester und Führer des Volkes diesen Zweck jedoch aus den Augen verloren. Christus, der diese Zusammenkünfte des ganzen Volkes angeordnet hatte und auch deren Bedeutung verstand, bezeugte nun, dass sie deren Sinn verloren hatten. DM.353.1 Teilen

Mit dem Laubhüttenfest endete die Reihe der jährlichen Feste. Gottes Wunsch war es gewesen, dass Israel in dieser Zeit über Seine Güte und Gnade nachdenken sollte. Das ganze Land hatte Seinen Schutz und Segen genossen. Tag und Nacht war Seine fürsorgliche Hand spürbar gewesen, und stets hatte Er Sonnenschein und Regen für Saat und Ernte gegeben. In den Tälern und Ebenen Judas war die Ernte eingebracht worden. Die Oliven waren gepflückt und das kostbare Öl in Schläuche gefüllt. Die Palme hatte ihre Frucht geliefert, und die roten Weintrauben waren in der Kelter getreten worden. DM.353.2 Teilen

Sieben Tage dauerte das Laubhüttenfest, zu dessen Feier die Bewohner des ganzen Landes, ja sogar viele aus anderen Ländern, nach Jerusalem kamen. Alle erschienen sie, von nah und fern, und trugen Zeichen der Freude in den Händen. Alt und Jung, Reich und Arm — jeder kam mit einer Gabe des Dankes als Opfer für den, der das Jahr mit seiner Güte gekrönt hatte und der das Land ließ „triefen von Fett“. Psalm 65,12 (Menge). DM.353.3 Teilen

Alles, was Auge und Herz erfreuen konnte, wurde in die Stadt gebracht, so dass Jerusalem aussah wie ein schöner Garten. Es war nicht nur ein Erntedankfest, sondern sollte vor allem eine Gedächtnisfeier sein für Gottes schützende Fürsorge in der Wüste. Zum Andenken an das Leben in Zelten wohnten die Juden während der sieben Tage in Lauben oder Hütten aus grünen Zweigen, die auf den Straßen, in den Tempelhöfen und auf den Dächern errichtet wurden. Sogar die Hügel und Täler rings um Jerusalem waren mit diesen „Laubhütten“ bedeckt und schienen von Menschen zu wimmeln. DM.353.4 Teilen

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