Portrait von Ellen White
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Kapitel 16: Ein Zufluchtsort
Kapitel 16: Ein Zufluchtsort
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Die englischen Reformatoren hatten, während sie den Lehren der römisch-katholischen Kirche entsagten, viele ihrer Formen beibehalten. Wenn auch der Anspruch und das Glaubensbekenntnis Roms verworfen war, wurden doch im Gottesdienst der anglikanischen Kirche viele seiner Sitten und Gebräuche geübt. Man behauptete, dass diese Dinge keine Gewissensfragen seien, weil sie in der Heiligen Schrift nicht geboten, deshalb auch nicht wesentlich, und weil sie nicht verboten, auch eigentlich nicht unrecht seien. Ihre Befolgung diene dazu, die Kluft, welche die protestantischen Kirchen von Rom trenne, zu verringern, und man betonte, dass sie die Annahme des protestantischen Glaubens durch die Anhänger Roms erleichtere. GK.293.1 Teilen

Den bewahrenden und ausgleichenden Kräften schienen diese Gründe überzeugend zu sein. Es gab jedoch noch eine andere Gruppe, die nicht so urteilte. Die Tatsache, dass diese Gebräuche „dahin zielten, die Kluft zwischen Rom und der Reformation zu überbrücken“, 1 war in ihren Augen ein endgültiges Argument gegen ihre Beibehaltung. Sie sahen sie als Zeichen der Sklaverei an, von der sie befreit worden waren und zu der sie nicht zurückkehren wollten. Sie waren der Ansicht, dass Gott die Verordnungen zu seiner Verehrung in seinem Wort niedergelegt habe, und dass es den Menschen nicht freistehe, etwas hinzuzufügen oder davon wegzunehmen. Der erste Beginn des großen Abfalls bestand darin, dass man die Autorität Gottes durch die Kirche zu ergänzen suchte. Rom machte zur Pflicht, was Gott nicht verboten hatte, und verbot schließlich das, was Gott ausdrücklich befohlen hatte. GK.293.2 Teilen

Viele wünschten ernstlich zu der Reinheit und Schlichtheit zurückzukehren, welche die erste Gemeinde ausgezeichnet hatten. Viele der in der anglikanischen Kirche eingeführten Gebräuche betrachteten sie als Denkmäler des Götzendienstes, und sie konnten sich nicht mit gutem Gewissen an ihrem Gottesdienst beteiligen. Die Kirche jedoch, vom Staat unterstützt, duldete keine Abweichung von ihren gottesdienstlichen Formen. Der Besuch ihrer Gottesdienste wurde vom Gesetz verlangt, und unerlaubte religiöse Versammlungen waren bei Androhung von Kerker, Verbannung und Todesstrafe untersagt. GK.293.3 Teilen

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Am Anfang des 17. Jahrhunderts erklärte der eben auf den Thron von England gelangte König seine Entschlossenheit, die Puritaner zu zwingen, sich „entweder den andern anzupassen, oder er würde sie aus dem Lande hinaushetzen oder ihnen noch Schlimmeres tun“. 1 Gejagt, verfolgt und eingekerkert, konnten sie in der Zukunft keine Hoffnung auf bessere Tage erspähen, und viele kamen zu der Überzeugung, dass für solche, die Gott nach ihrem eigenen Gewissen dienen wollten, „England für immer aufgehört habe, ein bewohnbares Land zu sein“. 1 Etliche entschlossen sich schließlich, in Holland Zuflucht zu suchen. Sie mussten Schwierigkeiten, Verluste und Gefängnis erleiden; ihre Absichten wurden durchkreuzt und sie selbst ihren Feinden verraten; aber ihre unerschütterliche Beharrlichkeit setzte sich endlich durch, und sie fanden Zuflucht an den freundschaftlichen Gestaden Hollands. GK.294.1 Teilen

Durch die Flucht hatten sie ihre Häuser, ihre Güter und ihren Lebensunterhalt verloren; sie waren Fremdlinge in einem fremden Land, unter einem Volk von anderer Sprache und anderen Sitten. Sie mussten neue und ungewohnte Beschäftigungen ergreifen, um ihr Brot zu verdienen. Männer von mittlerem Alter, die ihr Leben bisher mit Ackerbau zugebracht hatten, waren gezwungen, nun dies oder jenes Handwerk zu erlernen. Aber freudig fügten sie sich in jede Lage und verschwendeten keine Zeit mit Müßiggang oder Unzufriedenheit. Oft von Armut bedrängt, lobten sie Gott für die Segnungen, die er ihnen gewährte, und fanden ihre Freude in ungestörter geistlicher Gemeinschaft. „Sie wußten, dass sie Pilger waren, und sie schauten nicht viel auf irdische Dinge, sondern hoben ihre Augen auf gen Himmel, ihrem liebsten Heimatland, und beruhigten ihr Gemüt.“ 1 GK.294.2 Teilen

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In Verbannung und Ungemach erstarkten ihre Liebe und ihr Glaube. Sie vertrauten auf die Verheißungen Gottes, und er verließ sie in Zeiten der Not nicht. Seine Engel standen ihnen zur Seite, um sie zu ermutigen und zu unterstützen. Und als Gottes Hand sie übers Meer nach einem Lande zu weisen schien, in dem sie für sich selbst einen Staat gründen und ihren Kindern das kostbare Erbe religiöser Freiheit hinterlassen konnten, folgten sie ohne Zagen willig dem Pfad der Vorsehung. GK.295.1 Teilen

Gott hatte Prüfungen über sein Volk kommen lassen, um es auf die Erfüllung seiner Gnadenabsichten vorzubereiten. Die Gemeinde war erniedrigt worden, damit sie erhöht würde. Gott stand im Begriff, seine Macht zu ihren Gunsten zu entfalten und der Welt aufs neue einen Beweis zu geben, dass er die nicht verlassen will, die ihm vertrauen. Er hatte die Ereignisse so gelenkt, dass der Zorn Satans und die Anschläge böser Menschen seine Ehre fördern und sein Volk an einen Ort der Sicherheit bringen mussten. Verfolgung und Auswanderung bahnten den Weg in die Freiheit. GK.295.2 Teilen

Als sich die Puritaner zuerst gezwungen fühlten, sich von der anglikanischen Kirche zu trennen, schlossen sie untereinander einen feierlichen Bund, als freies Volk des Herrn in „allen seinen Wegen, die ihnen bekannt waren oder noch bekanntgemacht würden, gemeinsam zu wandeln“. 1 Dies war der wahre Geist der Freiheit, die lebendige Grundlage des Protestantismus. Mit diesem Vorsatz verließen die Pilger Holland um in der Neuen Welt eine Heimat zu suchen. John Robinson, ihr Prediger, der durch göttliche Vorsehung verhindert war, sie zu begleiten, sagte in seiner Abschiedsrede an die Auswanderer: GK.295.3 Teilen

„Geschwister, wir gehen nun voneinander, und der Herr weiß, ob ich euch, solange ich lebe, je wiedersehen werde. Wie der Herr es aber fügt, ich befehle euch vor Gott und seinen heiligen Engeln, mir nicht weiter zu folgen, als ich Christus gefolgt bin. Falls Gott euch durch ein anderes Werkzeug irgend etwas offenbaren sollte, so seid ebenso bereit es anzunehmen wie zu der Zeit, da ihr die Wahrheit durch meine Predigt annahmt; denn ich bin sehr zuversichtlich, dass der Herr noch mehr Wahrheit und Licht aus seinem heiligen Wort hervorbrechen lassen wird.“ 1 GK.295.4 Teilen

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„Was mich anbetrifft, so kann ich den Zustand der reformierten Kirche nicht genug beklagen, die in der Religion bis zu einer gewissen Stufe gelangt sind und nicht weitergehen wollen, als die Werkzeuge ihrer Erneuerungsbewegung gegangen sind. Die Lutheraner sind nicht zu veranlassen, über das hinauszugehen, was Luther sah ... Und die Calvinisten bleiben, wie ihr seht, da stehen, wo sie von jenem großen Gottesmann, der noch nicht alle Dinge sah, zurückgelassen wurden. Dies ist ein sehr beklagenswertes Elend; denn wenn jene Männer in ihrer Zeit auch brennende und leuchtende Lichter waren, so erkannten sie doch nicht alle Ratschläge Gottes; sie würden aber, lebten sie jetzt, ebenso bereit sein, weiteres Licht anzunehmen, wie sie damals bereit waren, das erste zu empfangen.“ 1 GK.296.1 Teilen

„Denkt an euer Gemeindegelöbnis, in dem ihr euch verpflichtet habt, in allen Wegen des Herrn zu wandeln, wie sie euch bekannt geworden sind oder noch bekannt werden. Denkt an euer Versprechen und an euren Bund mit Gott und miteinander, alles Licht und alle Wahrheit, so euch noch aus seinem geschriebenen Wort kundgetan werden soll, anzunehmen. Dennoch achtet darauf, darum bitte ich euch, was ihr als Wahrheit annehmt; vergleicht sie, wägt sie mit anderen Schriftstellen der Wahrheit, ehe ihr sie annehmt, denn es ist nicht möglich, dass die christliche Welt so plötzlich aus solch einer dichten antichristlichen Finsternis herauskomme und ihr dann auf einmal die vollkommene Erkenntnis aufgehe.“ 1 GK.296.2 Teilen

Es war das Verlangen nach Gewissensfreiheit, das die Pilger begeisterte, den Schwierigkeiten der langen Reise über das Meer mutig zu begegnen, die Beschwerden und die Gefahren der Wildnis zu erdulden und unter Gottes Segen an der Küste Amerikas den Grundstein zu einer mächtigen Nation zu legen. Doch so aufrichtig und gottesfürchtig die Pilger auch waren, den großen Grundsatz religiöser Freiheit begriffen sie noch nicht. Die Unabhängigkeit, die für sich zu erwerben sie soviel geopfert hatten, gewährten sie anderen nicht bereitwillig in gleichem Maße. „Sehr wenige selbst der hervorragendsten Denker und Sittenlehrer des 17. Jahrhunderts hatten einen richtigen Begriff von jenem herrlichen, dem Neuen Testament entstammenden Grundsatz, der Gott als den einzigen Richter des menschlichen Glaubens anerkennt.“ 1 Die Lehre, dass Gott der Gemeinde das Recht verliehen habe, die Gewissen zu beherrschen und eine bestimmte Haltung als Ketzerei zu bezeichnen und zu bestrafen, ist einer der tief eingewurzelten päpstlichen Irrtümer. Während die Reformatoren das Glaubensbekenntnis Roms verwarfen, waren sie doch nicht ganz frei von seinem unduldsamen Geist. Die dichte Finsternis, in die das Papsttum während der langen Zeit seiner Herrschaft die gesamte Christenheit eingehüllt hatte, war selbst jetzt noch nicht völlig gewichen. GK.296.3 Teilen

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Einer der leitenden Prediger in der Kolonistensiedlung in der Bucht von Massachusetts sagte: „Duldung machte die Welt antichristlich; und die Kirche hat sich durch die Bestrafung der Ketzer nie geschadet.“ 1 In den Kolonien wurde die Verordnung eingeführt, dass in der zivilen Regierung nur Kirchenglieder eine Stimme haben sollten. Es wurde eine Art Staatskirche gegründet; jeder musste zum Unterhalt der Geistlichkeit beitragen und die Behörden wurden beauftragt, die Ketzerei zu unterdrücken. Somit war die weltliche Macht in die Hände der Kirche gegeben. Es dauerte nicht lange, bis diese Maßnahmen das unvermeidliche Ergebnis nach sich zogen — Verfolgungen. GK.297.1 Teilen

Elf Jahre nach der Gründung der ersten Kolonie kam Rogger Williams nach der Neuen Welt. Gleich den früheren Pilgervätern kam er, um sich der Religionsfreiheit zu erfreuen; aber im Gegensatz zu ihnen sah er — was so wenige zu seiner Zeit sahen —, dass diese Freiheit das unveräußerliche Recht aller Menschen ist, wie ihr Glaubensbekenntnis auch lauten mag. Williams war ein ernster Forscher nach Wahrheit und hielt es, wie auch Robinson, für unmöglich, dass sie schon alles Licht aus dem Worte Gottes erhalten hätten. Er „war der erste Mann im neueren Christentum, der die zivile Verwaltung auf die Lehre von der Gewissensfreiheit und der Gleichberechtigung der Anschauungen vor dem Gesetz gründete“. 1 Er erklärte, dass es die Pflicht der Behörde sei, Verbrechen zu verhindern, dass sie aber nie das Gewissen beherrschen dürfe. „Das Volk oder die Behörden“, sagte er, „mögen entscheiden, was der Mensch dem Menschen schuldig ist; versuchen sie aber einem Menschen seine Pflicht gegen Gott vorzuschreiben, so tun sie, was nicht ihres Amtes ist, und man kann sich auf sie nicht mit Sicherheit verlassen; denn es ist klar, dass der Magistrat, wenn er die Macht hat, heute diese und morgen jene Meinungen oder Bekenntnisse vorschreiben mag, wie es in England von den verschiedenen Königen und Königinnen und in der römischen Kirche von etlichen Päpsten und Konzilien getan wurde, so dass der Glaube zu einem einzigen Chaos würde.“ 1 GK.297.2 Teilen

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Den Gottesdiensten der Staatskirche beizuwohnen, wurde unter Androhung von Geld- oder Gefängnisstrafe verlangt. „Williams mißbilligte dieses Gesetz; denn die schlimmste Satzung im englischen Gesetzbuch sei die, welche den Besuch der Landeskirche verlange. Leute zu zwingen, sich mit Andersgläubigen zu vereinen, betrachtete er als eine offene Verletzung ihrer natürlichen Rechte; Religionsverächter und Unwillige zum öffentlichen Gottesdienst zu schleppen, hieße Heuchelei verlangen ... ‚Niemand sollte zur Anbetung oder Unterstützung eines Gottesdienstes gezwungen werden‘, fügte er hinzu. — ‚Was!‘ riefen seine Gegner über seine Grundsätze erstaunt aus, ‚ist nicht der Arbeiter seines Lohnes wert?‘ — ‚Ja‘, erwiederte er, ‚von denen, die ihn dingen.’“ 1 GK.298.1 Teilen

Rogger Williams wurde als ein getreuer Prediger, als ein Mann von seltenen Gaben, von unbeugsamer Rechtschaffenheit und echter Güte geachtet und geliebt; doch konnte man es nicht vertragen, dass er den zivilen Behörden so entschieden das Recht absprach, über der Kirche zu stehen, und dass er religiöse Freiheit verlangte. Die Anwendung dieser neuen Lehre, behauptete man, „würde die Grundlage der Regierung des Landes untergraben“. 1 Er wurde aus den Kolonien verbannt und sah sich schließlich, um der Verhaftung zu entgehen, gezwungen, inmitten der Kälte und der Stürme des Winters in die noch dichten, unberührten Wälder zu fliehen. GK.298.2 Teilen

„Vierzehn Wochen lang“, so schrieb er, „musste ich mich in der bitteren Jahreszeit herumschlagen, und ich wußte nicht, was Brot oder Bett heißt. Die Raben speisten mich in der Wüste.“ 1 Ein hohler Baum diente ihm oft als Obdach. Auf diese Weise setzte er seine mühevolle Flucht durch Schnee und pfadlose Wälder fort, bis er bei einem Indianerstamm Zuflucht fand, dessen Vertrauen und Liebe er gewann, während er sich bemühte, ihnen die Wahrheiten des Evangeliums zu predigen. GK.298.3 Teilen

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Nach Monaten wechselvollen Wanderns kam er schließlich an die Küste der Narragansett-Bucht und legte dort den Grund zu dem ersten Staat der Neuzeit, der im vollsten Sinne das Recht auf religiöse Freiheit anerkannte. Der Grundsatz, auf dem die Kolonie Rogger Williams‘ beruhte, lautete, „dass jedermann das Recht haben sollte, Gott nach seinem eigenen Gewissen zu verehren.“ 1 Sein kleiner Staat, Rhode Island, wurde der Zufluchtsort der Unterdrückten und er wuchs und gedieh, bis seine Grundfesten — die bürgerliche und religiöse Freiheit — auch die Ecksteine der amerikanischen Republik wurden. GK.299.1 Teilen

In jenem bedeutenden alten Schriftstück, dass diese Männer als ihre Verfassung — Unabhängigkeitserklärung — aufstellten, sagten sie: „Wir halten diese Wahrheiten als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass ihnen der Schöpfer gewisse unveräußerliche Rechte verliehen hat; dass zu diesen Leben, Freiheit und die Erlangung des Glückes gehören.“ Und die Verfassung schützt in den deutlichsten Ausdrücken die Unverletzlichkeit des Gewissens: „Keine Religionsprüfung soll je erforderlich sein zur Bekleidung irgendeines öffentlichen Vertrauenspostens in den Vereinigten Staaten.“ — „Der Kongreß soll kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Religion bezweckt oder deren freie Ausübung verbietet.“ GK.299.2 Teilen

„Die Verfasser der Konstitution erkannten den ewigen Grundsatz an, dass die Beziehungen des Menschen zu seinem Gott über der menschlichen Gesetzgebung stehen, und dass sein Gewissensrecht unveräußerlich ist. Es waren zur Begründung dieser Wahrheit keine Vernunftschlüsse erforderlich; wir sind uns ihrer in unserem eigenen Herzen bewußt. Dies Bewußtsein ist es, das, den menschlichen Gesetzen Trotz bietend, so viele Märtyrer in Qualen und Flammen standhaft machte. Sie fühlten, dass ihre Pflicht gegen Gott über menschliche Verordnungen erhaben sei, und dass Menschen keine Autorität über ihr Gewissen ausüben könnten. Es ist dies ein angeborener Grundsatz, den nichts auszutilgen vermag.“ 1 GK.299.3 Teilen

Als sich die Kunde von einem Lande, in dem jeder die Frucht seiner eigenen Arbeit genießen und der Überzeugung seines eigenen Gewissens folgen könnte, in Europa verbreitete, wanderten Tausende nach Nordamerika aus. In schneller Folge wurde Kolonie auf Kolonie gegründet. „Massachusetts bot durch eine besondere Verordnung den Christen jeder Nation, die sich über den Atlantischen Ozean flüchteten, ‚um Kriegen, Hungersnot oder der Unterdrückung ihrer Verfolger zu entgehen‘, freundliche, unentgeltliche Aufnahme und Hilfe an. Somit wurden die Flüchtlinge und die Unterdrückten durch gesetzliche Verordnungen Gäste des Staates.“ 1 In den ersten zwanzig Jahren nach der Landung in Plymouth hatten sich ebenso viele tausend Pilger in Neuengland niedergelassen. GK.299.4 Teilen

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Um ihr Ziel zu erreichen, „waren sie zufrieden, sich durch ein enthaltsames und arbeitsames Leben einen kargen Unterhalt verdienen zu können. Sie verlangten von dem Boden nur einen leidlichen Ertrag ihrer Arbeit. Keine goldenen Aussichten warfen ihren trügerischen Schein auf ihren Pfad ... Sie waren mit dem langsamen aber beständigen Fortschritt ihres gesellschaftlichen Gemeinwesens zufrieden. Sie ertrugen geduldig die Entbehrungen der Wildnis, netzten den Baum der Freiheit mit ihren Tränen und mit dem Schweiß ihres Angesichts, bis er im Lande tief Wurzel geschlagen hatte“. GK.300.1 Teilen

Die Bibel galt ihnen als Grundlage des Glaubens, als Quelle der Weisheit und als Freiheitsbrief. Ihre Grundsätze wurden zu Hause, in der Schule und in der Kirche fleißig gelehrt, und ihre Früchte offenbarten sich in Wohlstand, Bildung, sittlicher Reinheit und Mäßigkeit. Man konnte jahrelang in den puritanischen Niederlassungen wohnen, ohne „einen Trunkenbold zu sehen, einen Fluch zu hören oder einem Bettler zu begegnen“. 1 Es wurde der Beweis erbracht, dass die Grundsätze der Heiligen Schrift der sicherste Schutz für nationale Größe sind. Die schwachen und isolierten Kolonien wuchsen zu einer Verbindung mächtiger Staaten heran, und die Welt nahm mit Bewunderung den Frieden und das Gedeihen „einer Kirche ohne Papst und eines Staates ohne König“ wahr. GK.300.2 Teilen

Doch ständig wachsende Scharen, angetrieben von Gründen, die sich von denen der ersten Pilgerväter stark unterschieden, zog es an die Küsten Amerikas. Obgleich der einfache Glaube und der lautere Wandel eine weitverbreitete und bildende Macht ausübten, wurde deren Einfluß doch immer schwächer, als die Zahl derer wuchs, die nur weltlichen Vorteil suchten. GK.300.3 Teilen

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Die von den ersten Kolonisten angenommene Verordnung, das Stimmrecht und die Besetzung von Staatsämtern nur Gemeindegliedern zu gestatten, wirkte sich äußerst schädlich aus. Diese Maßnahme war getroffen worden, um die Reinheit des Staates zu bewahren; aber sie wurde der Kirche zum Verderben. Das Stimmrecht zu erhalten und zu öffentlichen Ämtern zugelassen zu werden, setzte ein Religionsbekenntnis voraus, so dass sich viele einzig und allein aus weltlicher Klugheit der Kirche anschlossen, ohne eine Änderung ihres Herzens erfahren zu haben. So kam es, dass zur Kirche zum großen Teil nur unbekehrte Menschen zählten, und dass sich selbst unter den Predigern solche befanden, die nicht nur irrige Lehren aufstellten, sondern auch nichts von der erneuernden Kraft des Heiligen Geistes wußten. Auf diese Weise zeigte es sich abermals, wie schon oft in der Kirchengeschichte seit den Tagen Konstantins bis in unsere Zeit, dass es verderblich ist, die Kirche mit Hilfe des Staates aufbauen zu wollen und die weltliche Macht aufzufordern, das Evangelium Jesu Christi zu unterstützen, der erklärt hat: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Johannes 18,36. Die Verbindung zwischen Kirche und Staat, wäre sie noch so gering, führt, während sie die Welt der Kirche näherzubringen scheint, in Wirklichkeit die Kirche näher zur Welt. GK.301.1 Teilen

Den von Robinson und Rogger Williams auf so edle Weise verteidigten Grundsatz, dass die Wahrheit sich entfaltet, und dass die Christen bereit sein sollten, alles Licht anzunehmen, das aus Gottes heiligem Wort scheinen mag, verloren ihre Nachkommen aus den Augen. Die protestantischen Kirchen Amerikas und auch Europas, die so sehr begünstigt worden waren, indem sie die Segnungen der Reformation empfingen, drangen auf dem Pfad der Reform nicht weiter vor. Wenn auch von Zeit zu Zeit etliche treue Männer auftraten, um neue Wahrheiten zu verkündigen und lang gehegte Irrtümer bloßzustellen, so war doch die Mehrzahl, wie die Juden in den Tagen Christi oder die Päpstlichen zurzeit Luthers, damit zufrieden, zu glauben, was ihre Väter geglaubt, und zu leben, wie ihre Väter gelebt hatten. Deshalb artete ihre Religion abermals in Formenwesen aus, und Irrtümer und Aberglaube die man verworfen hätte, wäre die Gemeinde weiterhin im Lichte des Wortes Gottes gewandelt, wurden beibehalten und gepflegt. Auf diese Weise starb der von der Reformation eingeflößte Geist allmählich aus, bis sich in den protestantischen Kirchen ein beinahe ebenso großes Bedürfnis nach einer Reformation einstellte wie in der römischen Kirche zurzeit Luthers. Es herrschte die gleiche weltliche Gesinnung, die gleiche geistliche Abgestumpftheit, eine ähnliche Ehrfurcht vor den Ansichten der Menschen, und man ersetzte die Lehren des Wortes Gottes durch menschliche Theorien. GK.301.2 Teilen

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Der weiten Verbreitung der Bibel zu Anfang des 19. Jahrhunderts und dem vielen Licht, das auf diese Weise über die Welt gekommen war, folgte kein entsprechender Fortschritt in der Erkenntnis der offenbarten Wahrheit oder in der religiösen Erfahrung. Satan konnte nicht wie in früheren Zeiten dem Volke das Wort Gottes vorenthalten, weil es allen erreichbar war; um aber dennoch seine Absichten ausführen zu können, veranlaßte er viele, die Heilige Schrift geringzuachten. Die Menschen versäumten es, in der Heiligen Schrift zu forschen und nahmen dadurch ständig falsche Auslegungen an und pflegten Lehren, die mit den Aussagen der Heiligen Schrift nicht übereinstimmten. GK.302.1 Teilen

Als Satan bemerkte, dass seine Anstrengungen, die Wahrheit durch Verfolgung zu unterdrücken, fehlschlugen, nahm er seine Zuflucht wieder zu Zugeständnissen, wodurch einst der große Abfall und das Aufkommen der römischen Kirche veranlaßt wurden. Er verleitete die Christen, sich, wenn nicht mit Heiden, so doch mit denen zu verbinden, die sich durch die Verehrung der Dinge dieser Welt ebensosehr als wahre Götzendiener erwiesen hatten wie die Anbeter der Götzenbilder. Die Folgen dieser Verbindung waren jetzt nicht weniger verderblich als damals; unter dem Deckmantel der Religion pflegte man Stolz und Verschwendung, und dunkle Machenschaften herrschten in der Kirche. Satan fuhr fort, die Lehren der Bibel zu verdrehen, und die Überlieferungen, die Millionen zugrunde richten sollten, faßten tief Wurzel. Die Kirche hielt an diesen Überlieferungen fest und verteidigte sie, statt um den Glauben zu kämpfen, „der einmal den Heiligen übergeben ist“. Judas 3. So wurden die Grundsätze, um derentwillen die Reformatoren so viel getan und gelitten hatten, herabgewürdigt. GK.302.2 Teilen

Kapitel 17: Herolde des Morgens
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Eine der feierlichsten und zugleich köstlichsten aller in der Bibel offenbarten Wahrheiten ist die von der Wiederkunft Christi zur Vollendung des großen Erlösungswerkes. Dem Pilgervolk Gottes, das so lange „in Finsternis und Schatten des Todes“ (Lukas 1,79) wandern muss, bedeutet die Verheißung der Erscheinung Christi, der „die Auferstehung und das Leben“ (Johannes 11,25) ist, der die Verbannten wieder heimbringen wird, eine herrliche, beglückende Hoffnung. Die Lehre von der Wiederkunft Christi ist der eigentliche Grundton der Heiligen Schrift. Von dem Tage an, da das erste Menschenpaar traurigen Schrittes Eden verließ, haben die Glaubenskinder auf die Ankunft des Verheißenen geharrt, der die Macht des Zerstörers brechen und sie wiederum in das verlorene Paradies zurückbringen würde. Die heiligen Männer vor alters hatten auf das Kommen des Messias in Herrlichkeit als die Erfüllung ihrer Hoffnung gewartet. Schon Henoch, der siebente nach denen, die im Paradiese wohnten, und der drei Jahrhunderte lang auf Erden nach dem Willen Gottes gewandelt war, durfte von fern die Ankunft des Erlösers schauen. „Siehe“, sagte er, „der Herr kommt mit vielen tausend Heiligen, Gericht zu halten über alle.“ Judas 14-15. Der Patriarch Hiob rief in der Nacht seiner Leiden mit unerschütterlichem Vertrauen aus: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt; und als der letzte wird er über dem Staube sich erheben ... und werde (in meinem Fleisch) Gott sehen. Denselben werde ich mir sehen, und meine Augen werden ihn schauen, und kein Fremder.“ Hiob 19,25-27. GK.303.1 Teilen

Das Kommen Christi, um die Herrschaft der Gerechtigkeit aufzurichten, hat die heiligen Schreiber zu besonders erhabenen und begeisternden Aussprüchen veranlaßt. Die Dichter und Propheten der Heiligen Schrift haben darüber Worte gefunden, die von himmlischem Feuer durchglüht sind. Der Psalmist sang von der Macht und Majestät des Königs von Israel: „Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes. Unser Gott kommt und schweigt nicht ... Er ruft Himmel und Erde, dass er sein Volk richte.“ „Der Himmel freue sich, und die Erde sei fröhlich ... vor dem Herrn; denn er kommt, denn er kommt, zu richten das Erdreich. Er wird den Erdboden richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit.“ Psalm 50,2-4; Psalm 96,11,13. GK.303.2 Teilen

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Der Prophet Jesaja sagte: „Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn dein Tau ist ein Tau des grünen Feldes; aber das Land der Toten wirst du stürzen.“ „Aber deine Toten werden leben, meine Leichname werden auferstehen.“ „Er wird den Tod verschlingen ewiglich; und der Herr Herr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volkes in allen Landen; denn der Herr hat’s gesagt. Zu der Zeit wird man sagen: Siehe, das ist unser Gott, auf den wir harren, und er wird uns helfen; das ist der Herr, auf den wir harren, dass wir uns freuen und fröhlich seien in seinem Heil.“ Jesaja 26,19; Jesaja 25,8.9. GK.304.1 Teilen

In einem heiligen Gesicht entrückt, schaute auch Habakuk Christi Erscheinen: „Gott kam vom Mittag und der Heilige vom Gebirge Pharan. Seines Lobes war der Himmel voll, und seiner Ehre war die Erde voll. Sein Glanz war wie Licht ... Er stand und maß die Erde, er schaute und machte beben die Heiden, dass zerschmettert wurden die Berge, die von alters her sind, und sich bücken mussten die ewigen Hügel, da er wie vor alters einherzog, ... da du auf deinen Rossen rittest und deine Wagen den Sieg behielten? ... Die Berge sahen dich, und ihnen ward bange; ... die Tiefe ließ sich hören, die Höhe hob die Hände auf. Sonne und Mond standen still. Deine Pfeile fuhren mit Glänzen dahin und deine Speere mit Leuchten des Blitzes ... Du zogest aus, deinem Volk zu helfen, zu helfen deinem Gesalbten.“ Habakuk 3,3.4.6.8.10.13. GK.304.2 Teilen

Kurz bevor sich der Heiland von seinen Jüngern trennte, tröstete er sie in ihrem Leid mit der Versicherung, dass er wiederkommen wolle: „Euer Herz erschrecke nicht! ... In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen ... Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen.“ Johannes 14,1-3. „Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit, und werden vor ihm alle Völker versammelt werden.“ Matthäus 25,31.32. GK.304.3 Teilen

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Die Engel, die nach der Himmelfahrt Christi auf dem Ölberg weilten, wiederholten den Jüngern die Verheißung seiner Wiederkunft: „Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren.“ Apostelgeschichte 1,11. Der Apostel Paulus bezeugt unter Eingebung des Heiligen Geistes: „Denn er selbst, der Herr, wird mit einem Feldgeschrei und der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel.“ 1.Thessalonicher 4,16. Der Prophet von Patmos sagt: „Siehe, er kommt mit den Wolken, und es werden ihn sehen alle Augen.“ Offenbarung 1,7. GK.305.1 Teilen

Um sein Kommen reiht sich all die Herrlichkeit jener Zeit, „da herwiedergebracht werde alles, was Gott geredet hat durch den Mund aller seiner heiligen Propheten von der Welt an“. Apostelgeschichte 3,21. Dann wird die so lang bestandene Herrschaft des Bösen gebrochen werden; „es sind die Reiche der Welt unsers Herrn und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Offenbarung 11,15. „Denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen.“ „Gleichwie Gewächs aus der Erde wächst und Same im Garten aufgeht, also wird Gerechtigkeit und Lob vor allen Heiden aufgehen aus dem Herrn Herrn.“ „Zu der Zeit wird der Herr Zebaoth sein eine liebliche Krone und ein herrlicher Kranz den Übriggebliebenen seines Volks.“ Jesaja 40,5; Jesaja 61,11; Jesaja 28,5. GK.305.2 Teilen

Dann wird das friedevolle und lang ersehnte Reich des Messias unter dem ganzen Himmel aufgerichtet werden. „Denn der Herr tröstet Zion, er tröstet alle ihre Wüsten und macht ihre Wüste wie Eden und ihr dürres Land wie den Garten des Herrn.“ „Denn die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, der Schmuck Karmels und Sarons.“ „Man soll dich nicht mehr die Verlassene noch dein Land eine Wüstung heißen; sondern du sollst ‚Meine Lust an ihr‘ und dein Land ‚Liebes Weib‘ heißen; denn ... wie sich ein Bräutigam freut über die Braut, so wird sich dein Gott über dich freuen.“ Jesaja 51,3; Jesaja 35,2; Jesaja 62,4.5. GK.305.3 Teilen

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Die Wiederkunft des Herrn war in allen Zeiten die Hoffnung seiner wahren Nachfolger. Die Abschiedsverheißung des Heilandes auf dem Ölberg, dass er wiederkommen werde, erhellte den Jüngern die Zukunft und erfüllte ihre Herzen mit einer Freude und Hoffnung, die weder Sorgen dämpfen noch Prüfungen schwächen konnten. Inmitten von Leiden und Verfolgungen war die „Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes, Jesu Christi“, die selige Hoffnung. Titus 2,13. Als die Christen in Thessalonich bei der Bestattung ihrer Lieben, die gehofft hatten, das Kommen des Herrn zu erleben, von Leid erfüllt waren, verwies Paulus, ihr Lehrer, sie auf die Auferstehung, die bei der Wiederkunft Christi stattfinden würde. Dann sollen die Toten in Christus auferstehen und zusammen mit den Lebenden dem Herrn entgegengerückt werden. „Und werden also“, sagte er, „bei dem Herrn sein allezeit. So tröstet euch nun mit diesen Worten untereinander.“ 1.Thessalonicher 4,17.18. GK.306.1 Teilen

Auf dem felsigen Patmos hörte der geliebte Jünger die Verheißung: „Siehe, ich komme bald“, und seine sehnsuchtsvolle Antwort klingt in dem Gebet der Gemeinde auf der ganzen Pilgerreise: „Ja komm, Herr Jesu!“ Offenbarung 22,7.20. GK.306.2 Teilen

Aus dem Kerker, vom Scheiterhaufen und Schafott herunter, wo die Heiligen und Märtyrer für die Wahrheit zeugten, vernimmt man durch alle Jahrhunderte hindurch die Äußerungen ihres Glaubens und ihrer Hoffnung. Von der persönlichen Auferstehung Christi und damit auch von ihrer eigenen zurzeit seines Kommens überzeugt, verachteten diese Christen den Tod und fürchteten ihn nicht. Sie waren bereit, in das Grab hinabzusteigen, damit sie frei auferstünden. Sie warteten auf das „Erscheinen des Herrn in den Wolken in der Herrlichkeit des Vaters, der den Gerechten das Himmelreich bringen würde“. Die Waldenser hegten den gleichen Glauben. Wiklif erwartete in der Erscheinung des Heilandes die Hoffnung der Kirche. GK.306.3 Teilen

Luther erklärte: „Ich sage mir wahrlich, der Tag des Gerichtes könne keine volle dreihundert Jahre mehr ausbleiben. Gott will und kann diese gottlose Welt nicht länger dulden. Der große Tag naht, an dem das Reich der Greuel gestürzt werden wird.“ 1 GK.306.4 Teilen

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„Diese alte Welt ist nicht fern von ihrem Ende“, sagte Melanchthon. Calvin forderte die Christen auf, nicht unschlüssig zu sein, sondern eifrig nach dem Tag der Wiederkunft des Herrn als des heilsamsten aller Tage zu verlangen; er erklärte weiter, dass die ganze Familie der Getreuen diesen Tag vor Augen haben wird und sagt: „Wir müssen nach Christus hungern, ihn suchen, erforschen, bis zum Anbrechen jenes großen Tages, an dem unser Herr die Herrlichkeit seines Reiches völlig offenbaren wird.“ 1 GK.307.1 Teilen

„Ist nicht unser Herr Jesus leiblich gen Himmel gefahren, und wird er nicht wiederkommen?“ fragte Knox, der schottische Reformator. „Wir wissen, dass er wiederkommen wird, und das in Kürze.“ Ridley und Latimer, die beide ihr Leben für die Wahrheit ließen, sahen im Glauben der Wiederkunft des Herrn entgegen. Ridley schrieb: „Die Welt geht unzweifelhaft — dies glaube ich, und deshalb sage ich es — dem Ende entgegen. Laßt uns mit Johannes, dem Knecht Christi, rufen: Komme bald, Herr Jesus!“ 1 GK.307.2 Teilen

Baxter sagte: „Der Gedanke an das Kommen des Herrn ist mir überaus köstlich und freudevoll ... Seine Erscheinung liebzuhaben und der seligen Hoffnung entgegenzusehen, ist das Werk des Glaubens und kennzeichnet seine Heiligen ... Wenn der Tod der letzte Feind ist, der bei der Auferstehung vernichtet werden soll, so können wir begreifen, wie ernsthaft Gläubige nach der Wiederkunft Christi (wann dieser völlige und endgültige Sieg errungen werden wird) verlangen und dafür beten sollten.“ 1 „Dies ist der Tag, auf den alle Gläubigen harren, hoffen und warten sollten, da er das ganze Werk ihrer Erlösung und die Erfüllung aller ihrer Wünsche und Bestrebungen verwirklicht ... Beschleunige, o Herr, diesen segenbringenden Tag.“ 1 Das war die Hoffnung der apostolischen Kirche, der „Gemeinde der Wüste“, und der Reformatoren. GK.307.3 Teilen

Die Prophezeiungen sagen nicht nur das „Wie“ und das „Warum“ der Wiederkunft Christi voraus, sondern geben auch Zeichen an, die uns erkennen lassen, wann sie nahe ist. Jesus sagte: „Es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen.“ „Aber zu der Zeit, nach dieser Trübsal, werden Sonne und Mond ihren Schein verlieren, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden sich bewegen. Und dann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in den Wolken mit großer Kraft und Herrlichkeit.“ Lukas 21,25; Markus 13,24-26. Johannes schildert in der Offenbarung das erste der Zeichen, die der Wiederkunft Christi vorausgehen: „Die Sonne ward schwarz wie ein härener Sack, und der Mond ward wie Blut.“ Offenbarung 6,12. GK.307.4 Teilen

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Diese Zeichen wurden vor dem Anfang des 19. Jahrhunderts wahrgenommen. In Erfüllung dieser Weissagung fand im Jahre 1755 das allerschrecklichste Erdbeben (Siehe Anm. 043) statt, das je berichtet worden ist. Obgleich allgemein als das Erdbeben von Lissabon bekannt, dehnte es sich doch über den größeren Teil von Europa, Afrika und Amerika aus. Es wurde in Grönland, in West-Indien und auf der Insel Madeira, in Schweden und Norwegen, Großbritannien und Irland verspürt. Es erstreckte sich über einen Flächenraum von nicht weniger als 10.360.000 qkm. In Afrika war die Erschütterung beinahe ebenso heftig wie in Europa. Ein großer Teil von Algerien wurde zerstört, und in nur geringer Entfernung von Marokko wurde ein Dorf mit 8000-10.000 Einwohnern verschlungen. Eine ungeheure Woge, die Städte fortriß und große Zerstörung verursachte, fegte über die Küsten von Spanien und Afrika. GK.308.1 Teilen

In Spanien und Portugal zeigten sich äußerst heftige Erdstöße. In Cadiz soll die heranstürzende Flut 18m hoch gewesen sein. „Etliche der größten Berge in Portugal wurden stark, gewissermaßen vom Grunde aus, erschüttert. Die Gipfel einiger Berge öffneten sich und wurden auf erstaunliche Weise gespalten und zerrissen. Dabei flogen ungeheure Steinmassen in die umliegenden Täler. Man erzählt, dass diesen Bergen Flammen entstiegen.“ 1 GK.308.2 Teilen

In Lissabon wurde ein unterirdischer Donner vernommen, und unmittelbar darauf stürzte durch einen heftigen Stoß der größere Teil der Stadt ein. Im Zeitraum von etwa sechs Minuten kamen 60.000 Menschen ums Leben. Die Wogen gingen anfangs zurück und gaben die Sandbank frei, dann fluteten sie herein und hoben sich mehr als 15m über ihre normale Höhe. „Zu anderen außerordentlichen Ereignissen, die sich während der Katastrophe in Lissabon zutrugen, zählt das Versinken des neuen Kais, der mit einem ungeheuren Kostenaufwand ganz aus Marmor hergestellt war. Eine große Menschenmenge hatte sich hier sicherheitshalber gesammelt, weil sie glaubte, außerhalb des Bereiches der fallenden Trümmer zu sein; doch plötzlich versank der Kai mit der ganzen Menschenmenge, und nicht einer der Leichname kam je wieder an die Oberfläche.“ 1 GK.308.3 Teilen

309

„Dem Stoß“ des Erdbebens „folgte unmittelbar der Einsturz sämtlicher Kirchen und Klöster, fast aller großen öffentlichen Bauten und mehr als eines Viertels der Häuser. Ungefähr zwei Stunden nach dem Erdstoß brach in den verschiedenen Stadtvierteln Feuer aus und wütete beinahe drei Tage lang mit solcher Gewalt, dass die Stadt völlig verwüstet wurde. Das Erdbeben geschah an einem Feiertag, als die Kirchen und Klöster voller Menschen waren, von denen nur sehr wenige entkamen“. 1 „Der Schrecken des Volkes überstieg alle Beschreibung. Niemand weinte; das Unglück war zu groß. Die Menschen liefen hin und her, wahnsinnig vor Schrecken und Entsetzen, schlugen sich ins Gesicht und an die Brust und riefen: ‚Erbarmen! Die Welt geht unter!‘ Mütter vergaßen ihre Kinder und rannten mit Kruzifixen umher. Unglücklicherweise liefen viele in die Kirchen, um Schutz zu suchen; aber vergebens wurde ununterbrochen die Messe gelesen und die Hostie enthüllt; vergebens klammerten sich die armen Geschöpfe an die Altäre. Kruzifixe, Priester und Volk, alle wurden bei dem allgemeinen Untergang verschlungen.“ Man hat geschätzt, dass an jenem verhängnisvollen Tag 90.000 Menschen ums Leben gekommen sind. GK.309.1 Teilen

Fünfundzwanzig Jahre später erschien das nächste in der Weissagung erwähnte Zeichen — die Verfinsterung der Sonne und des Mondes, und zwar war dies um so auffallender, da die Zeit seiner Erfüllung genau und bestimmt angegeben worden war. Der Heiland erwähnte in seiner Unterredung mit den Jüngern auf dem Ölberg nach der Schilderung der langen Trübsalszeit der Gemeinde — den 1260 Jahren der päpstlichen Verfolgung, derentwegen er verheißen hatte, die Tage der Trübsal zu verkürzen — gewisse Ergebnisse, die seinem Kommen vorausgingen. Dabei nannte er die Zeit, wann das erste dieser Zeichen gesehen werden sollte. „Aber zu der Zeit, nach dieser Trübsal, werden Sonne und Mond ihren Schein verlieren.“ Markus 13,24. Die 1260 Tage oder Jahre liefen mit dem Jahre 1798 ab. Ein Vierteljahrhundert vorher hatten die Verfolgungen beinahe gänzlich aufgehört. Nach diesen Verfolgungen sollte nach den Worten Christi die Sonne verdunkelt werden. Am 19. Mai 1780 ging diese Weissagung in Erfüllung. GK.309.2 Teilen

310

„Als die geheimnisvollste und bis dahin unerklärbare, wenn nicht gänzlich ohne Beispiel dastehende Naturerscheinung ... erwies sich der finstere Tag vom 19. Mai 1780 — eine höchst sonderbare Verfinsterung des ganzen sichtbaren Himmels Neuenglands.“ 1 GK.310.1 Teilen

Ein in Massachusetts lebender Augenzeuge beschreibt das Ereignis wie folgt: „Am Morgen ging die Sonne klar auf, bald aber bezog sich der Himmel. Die Wolken sanken immer tiefer, und während sie dunkler und unheildrohender wurden, zuckten die Blitze, und der Donner rollte, und etwas Regen fiel. Gegen neun Uhr lichtete sich die Wolkendecke und nahm ein messing- oder kupferfarbenes Aussehen an, so dass Erde, Felsen, Bäume, Gebäude, das Wasser und die Menschen in diesem seltsamen, unheimlichen Licht ganz verändert erschienen. Wenige Minuten später breitete sich eine schwere, schwarze Wolke über das ganze Himmelsgewölbe aus, mit Ausnahme eines schmalen Streifens am Horizont, und es war so dunkel, wie es gewöhnlich im Sommer um neun Uhr abends ist ... GK.310.2 Teilen

Furcht, Angst und heilige Scheu bemächtigten sich der Menschen. Frauen standen vor den Türen und schauten in die dunkle Landschaft, die Männer kehrten von ihrer Feldarbeit zurück, der Zimmermann verließ sein Werkzeug, der Schmied seine Werkstatt, der Kaufmann den Laden. Die Schulen wurden geschlossen, und die zitternden Kinder rannten heim. Reisende suchten Unterkunft in den nächsten Bauernhäusern. ‚Was soll das werden?‘ fragten bebende Lippen und Herzen. Es schien, als ob ein großer Sturm über das Land hereinbrechen wollte, oder als ob das Ende aller Dinge gekommen sei. GK.310.3 Teilen

Lichter wurden angezündet, und das Feuer im offenen Kamin brannte so hell wie an einem Herbstabend ohne Mondlicht ... Die Hühner erklommen ihre Ruhestangen und schliefen ein, das Vieh ging an die Wiesenpforten und brüllte, die Frösche quakten, die Vögel sangen ihr Abendlied, und die Fledermäuse begannen ihren nächtlichen Flug. Aber die Menschen wußten, dass die Nacht nicht hereingebrochen war ... GK.310.4 Teilen

311

Dr. Nathanael Whittaker, Geistlicher in Salem, hielt Gottesdienst im Versammlungssaal und behauptete in seiner Predigt, dass die Dunkelheit übernatürlich sei. An vielen Orten wurden Versammlungen durchgeführt, und die Bibeltexte für die unvorbereiteten Predigten waren ausschließlich solche, die andeuteten, dass die Finsternis in Übereinstimmung mit der biblischen Weissagung war ... Etwas nach elf Uhr war die Dunkelheit am stärksten.“ 1 „An den meisten Orten war die Finsternis so dicht, dass man weder nach der Uhr sehen noch die häuslichen Arbeiten ohne Kerzenlicht ausführen konnte ... GK.311.1 Teilen

Die Finsternis dehnte sich außergewöhnlich weit aus. Nach Osten erstreckte sie sich bis Falmouth, nach Westen erreichte sie den äußersten Teil von Connecticut und Albany, nach Süden hin wurde sie an der ganzen Seeküste entlang beobachtet, und nach Norden reichte sie, so weit sich die amerikanischen Niederlassungen ausdehnten.“ 1 GK.311.2 Teilen

Der dichten Finsternis dieses Tages folgte eine oder zwei Stunden vor Sonnenuntergang ein teilweise klarer Himmel; die Sonne brach wieder hervor, obgleich ihr Schein noch von einem schwarzen, schweren Schleier getrübt wurde. „Die Dunkelheit der Nacht war ebenso ungewöhnlich und erschreckend wir die des Tages, denn obgleich es fast Vollmond war, ließ sich doch kein Gegenstand ohne künstliches Licht unterscheiden, und dieses nahm sich von den Nachbarhäusern und andern Orten aus, als ob es durch eine ägyptische Finsternis schien, die für die Strahlen nahezu undurchdringlich war.“ 1 Ein Augenzeuge dieses Ereignisses sagte: „Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, dass, wenn alle leuchtenden Himmelskörper in solch undurchdringliche Finsternis gehüllt oder gänzlich verschwunden wären, die Finsternis nicht vollständiger sein könnte.“ Obgleich neun Uhr abends der Mond voll aufging; „vermochte er nicht im geringsten den todesähnlichen Schatten zu zerteilen“. 1 Nach Mitternacht verzog sich die Finsternis, und als der Mond sichtbar wurde, sah er zuerst aus wie Blut. GK.311.3 Teilen

Der 19. Mai 1780 steht als „der finstere Tag“ in der Geschichte verzeichnet. Seit Moses Zeit ist keine Finsternis von gleicher Dichte, Ausdehnung und Dauer je berichtet worden. Die Beschreibung dieses Ereignisses, wie sie von Augenzeugen gegeben wurde, ist nur ein Widerhall der Worte des Herrn, die der Prophet Joel 2500 Jahre vor ihrer Erfüllung kundtat: „Die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der große und schreckliche Tag des Herrn kommt.“ Joel 3,4. GK.311.4 Teilen

312

Christus hatte seinem Volk geboten, auf die Zeichen seiner Wiederkunft zu achten und sich zu freuen, wenn es die Vorläufer seines zukünftigen Königs erkennen würde. Seine Worte lauteten: „Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so sehet auf und erhebet eure Häupter, darum dass sich eure Erlösung naht.“ Er machte seine Nachfolger auf die knospenden Bäume des Frühlings aufmerksam und sagte: „Wenn sie jetzt ausschlagen, so sehet ihr’s an ihnen und merket, dass jetzt der Sommer nahe ist. Also auch ihr: wenn ihr dies alles sehet angehen, so wisset, dass das Reich Gottes nahe ist.“ Lukas 21,28.30.31. GK.312.1 Teilen

Doch als der Geist der Demut und Frömmigkeit in der Kirche von dem Stolz und dem Formenwesen verdrängt wurde, war die Liebe zu Christus und der Glaube an seine Wiederkunft erkaltet. Das bekennende Volk Gottes war ganz in Weltlichkeit und Vergnügungssucht aufgegangen und dadurch blind geworden für die Lehren des Heilandes hinsichtlich der Zeichen vor seinem Kommen. Die Lehre von der Wiederkunft Christi hatte man vernachlässigt, die sich darauf beziehenden Schriftstellen waren durch falsche Auslegung verdunkelt worden, bis man sie in hohem Maße einfach übersah und vergaß. Ganz besonders war dies mit den Kirchen Amerikas der Fall. Die Freiheit und Bequemlichkeit, deren sich alle Gesellschaftsklassen erfreuten, das ehrgeizige Verlangen nach Reichtum und Überfluß, das eine verzehrende Sucht nach Gelderwerb hervorrief, das begierige Streben nach Volkstümlichkeit und Macht, die allen erreichbar schienen, verleiteten die Menschen, sich den Dingen des Lebens zuzuneigen und auf sie zu hoffen und jenen ernsten Tag, an dem der gegenwärtige Lauf der Dinge ein Ende haben wird, weit von sich zu weisen. GK.312.2 Teilen

Als der Heiland seine Nachfolger auf die Zeichen seiner Wiederkunft hinwies, weissagte er ihnen den Zustand des Abfalls, wie er unmittelbar vor seiner Wiederkunft bestehen würde. Da zeigte sich, gleichwie in den Tagen Noahs, rege Tätigkeit in weltlichen Unternehmungen und Vergnügungssucht — Kaufen, Verkaufen, Pflanzen, Bauen, Freien und sich freien lassen —, wobei Gott und das zukünftige Leben vergessen würden. Denen, die zu dieser Zeit leben werden, galt Christi Ermahnung: „Hütet euch aber, dass eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung und komme dieser Tag schnell über euch; denn wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen. So seid nun wach allezeit und betet, dass ihr würdig werden möget, zu entfliehen diesem allem, das geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn.“ Lukas 21,34,36. GK.312.3 Teilen

313

Den Zustand der Kirche zu dieser Zeit schildern die Worte des Heilandes in der Offenbarung. „Du hast den Namen, dass du lebest, und bist tot.“ Und an jene, die sich weigern, aus ihrer gleichgültigen Sorglosigkeit herauszutreten, ergeht die ernste Warnung. „So du nicht wirst wachen, werde ich über dich kommen wie ein Dieb, und wirst nicht wissen, welche Stunde ich über dich kommen werde.“ Offenbarung 3,1.3. GK.313.1 Teilen

Die Menschen mussten auf die Gefahr, in der sie schwebten, aufmerksam gemacht werden, sie mussten aufgeweckt werden, damit sie sich auf die ernsten, mit dem Ablauf der Gnadenzeit in Verbindung stehenden Ereignisse vorbereiten könnten. Der Prophet Gottes erklärt: „Der Tag des Herrn ist groß und sehr erschrecklich: wer kann ihn leiden?“ Joel, 2,11. Ja, wer wird bestehen, wenn der erscheint, von dem es heißt: „Deine Augen sind rein, dass du Übles nicht sehen magst, und dem Jammer kannst du nicht zusehen.“ Habakuk 1,13. Denen, die rufen: „Du bist mein Gott; wir ... kennen dich“, und die seinen Bund übertreten und einem andern Gott nacheilen, die lasterhaft sind und die Pfade der Ungerechtigkeit lieben, wird des Herrn Tag „finster und nicht licht sein, dunkel und nicht hell“. Hosea 8,2; Psalm 16,4; Amos 5,20. „Zur selben Zeit“, spricht der Herr, „will ich Jerusalem mit der Lampe durchsuchen und aufschrecken die Leute, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen und sprechen in ihrem Herzen: Der Herr wird weder Gutes noch Böses tun.“ Zephanja. 1,12. „Ich will den Erdboden heimsuchen um seiner Bosheit willen und die Gottlosen um ihrer Untugend willen und will dem Hochmut der Stolzen ein Ende machen und die Hoffart der Gewaltigen demütigen.“ „Es wird sie ihr Silber und Gold nicht erretten können am Tage des Zorns des Herrn“, „und ihre Güter sollen zum Raub werden und ihre Häuser zur Wüste“. Jesaja 13,11; Zephanja 1,18.13. GK.313.2 Teilen

314

Der Prophet Jeremia ruft im Hinblick auf diese schreckliche Zeit: „Wie ist mir so herzlich weh! ... und habe keine Ruhe; denn meine Seele hört der Posaune Hall und eine Feldschlacht und einen Mordschrei über den andern.“ Jeremia 4,19.20. GK.314.1 Teilen

„Dieser Tag ist ein Tag des Grimmes, ein Tag der Trübsal und Angst, ein Tag des Wetters und Ungestüms, ein Tag der Finsternis und Dunkels, ein Tag der Wolken und Nebel, ein Tag der Posaune und Drommete.“ „Denn siehe, des Herrn Tag kommt ... das Land zu verstören und die Sünder darauf zu vertilgen.“ Zephanja 1,15.16; Jesaja 13,9. GK.314.2 Teilen

Im Hinblick auf jenen großen Tag fordert Gottes Wort in nachdrücklichster und feierlichster Sprache sein Volk auf, die geistliche Trägheit abzuschütteln und reuig und demütig des Herrn Angesicht zu suchen: „Blaset mit der Posaune zu Zion, rufet auf meinem heiligen Berge; erzittert, alle Einwohner im Lande! denn der Tag des Herrn kommt und ist nahe; ... heiliget ein Fasten, rufet die Gemeinde zusammen! Versammelt das Volk, heiliget die Gemeinde, sammelt die Ältesten, bringet zuhauf die jungen Kinder ... Der Bräutigam gehe aus seiner Kammer und die Braut aus ihrem Gemach. Laßt die Priester, des Herrn Diener, weinen zwischen Halle und Altar.“ „Bekehret euch zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, mit Weinen, mit Klagen! Zerreißet eure Herzen und nicht eure Kleider, und bekehret euch zu dem Herrn, eurem Gott! denn er ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte.“ Joel 2,1.15-17.12.13. GK.314.3 Teilen

Um ein Volk vorzubereiten, am Tage des Herrn bestehen zu können, musste eine große Aufgabe der Erneuerung erfüllt werden. Gott sah, dass viele Glieder seines erklärten Volkes nicht für die Ewigkeit lebten. So wollte er ihnen in seiner Barmherzigkeit eine Warnungsbotschaft senden, um sie aus ihrer Erstarrung aufzurütteln und sie zu veranlassen, sich auf die Zukunft des Herrn vorzubereiten. GK.314.4 Teilen

Diese Warnung ist in Offenbarung 14 aufgezeichnet. Hier wird die dreifache Botschaft, von himmlischen Wesen verkündigt, dargestellt, der unmittelbar das Kommen des Menschensohnes folgt, um die Ernte der Erde einzuholen. Die erste dieser Warnungen kündigt das nahende Gericht an. Der Prophet „sah einen Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evangelium zu verkündigen denen, die auf Erden wohnen, und allen Heiden und Geschlechtern und Sprachen und Völkern, und sprach mit großer Stimme: Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre, denn die Zeit seines Gerichts ist gekommen! Und betet an den, der gemacht hat Himmel und Erde und Meer und die Wasserbrunnen.“ Offenbarung 14,6.7. GK.314.5 Teilen

315

Diese Botschaft wird ein Teil des „ewigen Evangeliums“ genannt. Die Verkündigung des Evangeliums ist nicht Engeln sondern Menschen anvertraut worden. Wohl sind heilige Engel beauftragt, dies Werk zu leiten; sie lenken die großen Maßnahmen zum Heil der Menschen; aber die tatsächliche Verkündigung des Evangeliums wird von den Dienern Christi auf Erden durchgeführt. GK.315.1 Teilen

Treue Männer, die den Eingebungen des Geistes Gottes und den Lehren seines Wortes gehorsam waren, sollten der Welt diese Warnung verkünden. Sie hatten auf das feste prophetische Wort geachtet, auf jenes „Licht, das da scheint in einem dunkeln Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe“. 2.Petrus 1,19. Sie hatten die Erkenntnis Gottes mehr gesucht als alle verborgenen Reichtümer und schätzten sie höher als Silber. Ihr Ertrag ist besser als Gold. Sprüche 3,14. Der Herr offenbarte ihnen die großen Dinge seines Reiches. „Das Geheimnis des Herrn ist unter denen, die ihn fürchten; und seinen Bund läßt er sie wissen.“ Psalm 25,14. GK.315.2 Teilen

Es waren nicht die gelehrten Theologen, die für diese Wahrheit Verständnis hatten und sich mit ihrer Verkündigung befaßten. Wären sie treue Wächter gewesen, die die Schrift fleißig und unter Gebet erforscht hätten, so würden sie die Zeit der Nacht erkannt haben, und die Weissagungen hätten ihnen die Ereignisse erschlossen, die unmittelbar bevorstanden. Sie nahmen jedoch nicht diese Haltung ein, und die Botschaft wurde einfacheren Männern übertragen. Jesus sagte: „Wandelt, dieweil ihr das Licht habt, dass euch die Finsternis nicht überfalle.“ Johannes 12,35. Wer sich von dem von Gott verliehenen Licht abwendet, oder es versäumt, danach zu trachten, wenn es in seinem Bereich ist, bleibt in der Finsternis. Aber der Heiland erklärt: „Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Johannes 8,12. Wer beharrlich das Ziel verfolgt, nach Gottes Willen zu handeln, und ernstlich auf das bereits empfangene Licht achtet, wird mehr Licht empfangen; ihm wird ein Stern von himmlischem Glanz gesandt werden, um ihn in alle Wahrheit zu leiten. GK.315.3 Teilen

316

Zur Zeit des ersten Kommens Christi hätten die Priester und die Schriftgelehrten der heiligen Stadt, denen das lebendige Wort Gottes anvertraut worden war, die Zeichen der Zeit erkennen und die Ankunft des Verheißenen verkündigen können. Die Weissagung Michas nannte den Geburtsort; Daniel gab die Zeit seines Kommens an. Micha 5,1; Daniel 9,25. Gott hatte diese Weissagungen den Ältesten der Juden anvertraut; es gab für sie keine Entschuldigung, wenn sie es nicht wußten und dem Volke nicht verkündigten, dass die Ankunft des Messias unmittelbar bevorstand. Ihre Unwissenheit war die Folge sündhafter Vernachlässigung. Die Juden bauten Denkmäler für die erschlagenen Propheten Gottes, während sie durch ihre Nachgiebigkeit gegenüber den Großen der Erde den Knechten Satans huldigten. Von ihrem ehrgeizigen Streben nach Ansehen und Macht unter den Menschen völlig in Anspruch genommen, hatten sie die ihnen von dem König des Himmels angebotenen göttlichen Ehren aus den Augen verloren. GK.316.1 Teilen

Mit tiefer und ehrfurchtsvoller Hingabe hätten die Ältesten Israels Ort, Zeit und Umstände des größten Ereignisses in der Weltgeschichte — der Ankunft des Sohnes Gottes zur Erlösung der Menschen — erforschen sollen. Alle Juden hätten wachen und harren sollen, um unter den ersten zu sein, die den Erlöser der Welt begrüßten. Doch siehe, in Bethlehem wanderten zwei müde Reisende von den Hügeln Nazareths die ganze Länge der engen Straße bis zum östlichen Ende der Stadt entlang und spähten vergebens nach einer Rast- und Ruhestätte für die Nacht. Keine Tür stand ihnen offen. In einem elenden Schuppen, der für das Vieh hergerichtet war, fanden sie schließlich Unterkommen, und hier wurde der Heiland der Welt geboren. GK.316.2 Teilen

Die Engel hatten die Herrlichkeit gesehen, die der Sohn Gottes mit dem Vater teilte, ehe die Welt war, und sie hatten mit lebhaftem Anteil seinem Erscheinen auf Erden als dem freudvollsten Ereignis für alle Völker entgegengesehen. Es wurden Engel bestimmt, die frohe Botschaft denen zu bringen, die auf ihren Empfang vorbereitet waren, und die sie mit Freuden den Bewohnern der Erde bekanntmachen würden. Christus hatte sich erniedrigt, menschliche Natur anzunehmen; er trug unendlich viel Leid, als er sein Leben als Opfer für die Sünde darbringen sollte; und doch wünschten die Engel, dass der Sohn des Allerhöchsten selbst in seiner Erniedrigung mit einer seinem Charakter entsprechenden Würde und Herrlichkeit vor den Menschen erscheinen möchte. Würden die großen der Erde sich in der Hauptstadt Israels versammeln, um sein Kommen zu begrüßen? Würden Legionen Engel ihn vor die harrende Menge führen? GK.316.3 Teilen

317

Ein Engel besuchte die Erde, um zu sehen, wer vorbereitet war, Jesus willkommen zu heißen. Aber er konnte kein Zeichen der Erwartung erkennen. Er hörte weder Lob noch Jubel darüber, dass die Zeit der Ankunft des Messias da war. Der Engel schwebte eine Zeitlang über der auserwählten Stadt und dem Tempel, wo Jahrhunderte hindurch die göttliche Gegenwart offenbar geworden war; doch auch hier herrschte dieselbe Gleichgültigkeit. Die Priester in ihrem Gepränge und Stolz und brachten unreine Opfer im Tempel dar. Die Pharisäer redeten mit lauter Stimme zum Volk oder beteten in prahlerischer Weise an den Ecken der Straßen. In den Palästen der Könige, in den Versammlungen der Philosophen, in den Schulen der Rabbiner achtete niemand auf die wunderbare Tatsache, die den ganzen Himmel mit Lob und Freude erfüllte: dass der Erlöser der Menschen sich anschickte, auf Erden zu erscheinen. GK.317.1 Teilen

Nirgends zeigte sich ein Beweis, dass Christus erwartet wurde, dass Vorbereitungen für den Fürsten des Lebens getroffen waren. Erstaunt wollte der himmlische Bote mit der schmählichen Kunde wieder gen Himmel zurückkehren, als er einige Hirten entdeckte, die ihre Herden nachts bewachten und, zum sternenbesäten Himmel aufblickend, über die Weissagung von einem Messias, der auf Erden erscheinen sollte, nachdachten und sich nach der Ankunft des Welterlösers sehnten. Hier waren Menschen, die sich auf den Empfang der himmlischen Botschaft vorbereitet hatten. Und plötzlich erschien der Engel des Herrn und verkündigte die frohe Botschaft. Himmlische Herrlichkeit überflutete die ganze Ebene, eine große Schar Engel wurde sichtbar, und als ob die Freude zu groß wäre, um nur von einem himmlischen Boten offenbart zu werden, hob ein stimmgewaltiger Chor den Gesang an, den einst alle Erlösten singen werden: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Lukas 2,14. GK.317.2 Teilen

318

Oh, welch eine Lehre birgt diese wunderbare Geschichte von Bethlehem! Wie straft sie unseren Unglauben, unsern Stolz und Eigendünkel! Wie warnt sie uns, auf der Hut zu sein, damit wir durch unsere Gleichgültigkeit nicht auch verfehlen, die Zeichen der Zeit zu verstehen und dadurch den Tag unserer Heimsuchung zu erkennen! GK.318.1 Teilen

Nicht nur auf den Höhen Judäas, nicht allein unter den einfachen Hirten fanden die Engel Menschen, die die Ankunft des Messias erwarteten. Im Heidenlande waren ebenfalls etliche, die seiner harrten. Es waren weise, reiche und edle Männer — Philosophen des Ostens. Naturforscher und Weise hatten Gott in seiner Schöpfung erkannt. Aus den hebräischen Schriften hatten sie von dem Stern erfahren, der aus Jakob aufgehen sollte, und mit begierigem Verlangen warteten sie auf sein Erscheinen, der nicht nur der „Trost Israels“, sondern auch ein Licht zu erleuchten die Heiden, das Heil bis an das Ende der Erde sein sollte. Lukas 2,25.32; Apostelgeschichte 13,47. Sie suchten nach Licht, und Licht vom Throne Gottes erleuchtete den Pfad vor ihren Füßen. Während die Priester und Schriftgelehrten Jerusalems die verordneten Hüter und Erklärer der Wahrheit, in Finsternis gehüllt waren, leitete der vom Himmel gesandte Stern diese heidnischen Fremdlinge zur Geburtsstätte des neugeborenen Königs. GK.318.2 Teilen

„Denen, die auf ihn warten“, wird Christus „zum andernmal ... ohne Sünde erscheinen ... zur Seligkeit“. Hebräer 9,28. Gleich der Kunde von der Geburt des Heilandes wurde auch die Botschaft von seiner Wiederkunft nicht den religiösen Führern des Volkes anvertraut. Sie hatten es versäumt, ihre Verbindung mit Gott zu bewahren, und hatten das Licht vom Himmel von sich gewiesen. Darum gehörten sie nicht zu den Menschen, denen der Apostel Paulus sagt: „Ihr aber, liebe Brüder, seid nicht in der Finsternis, dass euch der Tag wie ein Dieb ergreife. Ihr seid allzumal Kinder des Lichtes und Kinder des Tages; wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis.“ 1.Timotheus 5,4.5. GK.318.3 Teilen

Die Wächter auf den Mauern Zions hätten die ersten sein sollen, die Botschaft von der Ankunft des Heilandes zu vernehmen; die ersten, ihre Stimme zu erheben, um seine Nähe zu verkündigen; die ersten, das Volk zu warnen, sich auf sein Kommen vorzubereiten. Aber sie ließen sich’s wohl sein und träumten von Frieden und Sicherheit, während das Volk in seinen Sünden schlief. Jesus sah seine Gemeinde, dem unfruchtbaren Feigenbaum gleich, im Schmuck der Blätter prangen, doch ohne köstliche Frucht. Prahlerisch hielt man auf religiöse Formen, während der Geist wahrer Demut, der Reue und des Glaubens fehlten, die allein den Dienst für Gott hätten annehmbar machen können. Statt der Früchte des Geistes bekundeten sich Stolz, Formenwesen, Prahlerei, Selbstsucht, Unterdrückung. Eine von Gott abgewichene Gemeinde verschloß ihre Augen vor den Zeichen der Zeit. Gott verließ sie nicht, er ließ es auch nicht an seiner Treue fehlen; aber seine Gemeinde fiel von ihm ab und trennte sich von seiner Liebe. Da sie sich weigerte, den Forderungen Gottes nachzukommen, wurden auch seine Verheißungen an ihnen nicht erfüllt. GK.318.4 Teilen

319

Das sind die sicheren Folgen, wenn man versäumt, das Licht und die Gnadengaben, die Gott schenkt, anzuerkennen und auszunutzen. Wenn die Gemeinde nicht den Weg verfolgt, den Gottes Vorsehung vor ihr auftut, nicht jeden Lichtstrahl annimmt und jede ihr gezeigte Pflicht erfüllt, wird die Religion unausbleiblich in einen Formendienst ausarten, und der Geist der lebendigen Gottseligkeit wird verschwinden. Diese Wahrheit hat die Geschichte der Kirche wiederholt veranschaulicht. Gott verlangt von seinem Volk Werke des Glaubens und des Gehorsams, den verliehenen Segnungen und Gaben entsprechend. Der Gehorsam verlangt ein Opfer und schließt Leiden ein, deshalb weigern sich auch so viele erklärte Nachfolger Christi, das Licht vom Himmel anzunehmen, und sie erkennen gleich den Juden vor alters nicht die Zeit, darin sie heimgesucht werden. Lukas 19,44. Weil sie stolz und ungläubig waren, ging der Herr an ihnen vorüber und offenbarte seine Wahrheit denen, die wie die Hirten von Bethlehem und die Weisen aus dem Morgenlande alles Licht, das ihnen gegeben worden war, beachtet hatten. GK.319.1 Teilen

Kapitel 18: Ein Glaubensmann der letzten Zeit
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Ein biederer und schlichter Landmann, der verleitet worden war, die Autorität der Heiligen Schrift zu bezweifeln, aber dennoch aufrichtig danach verlangte, die Wahrheit zu erkennen, wurde von Gott in besonderer Weise auserwählt, bei der Verkündigung der Wiederkunft Christi eine führende Stellung einzunehmen. Gleich vielen andern Glaubensmännern hatte William Miller (Siehe Anm. 044) in seiner Jugend mit Armut zu kämpfen gehabt und auf diese Weise Strebsamkeit und Selbstverleugnung gelernt. Die Glieder seiner Familie zeichneten sich durch einen unabhängigen, freiheitsliebenden Geist, durch Ausdauer und glühende Vaterlandsliebe aus — Eigenschaften, die auch seinen Charakter bestimmten. Sein Vater war Hauptmann bei der amerikanischen Revolutionsarmee gewesen, und die Opfer, die er in den Kämpfen und Leiden jener stürmischen Zeit gebracht hatte, werden wohl die drückenden Verhältnisse in Millers ersten Lebensjahren verursacht haben. GK.320.1 Teilen

Er war von gesundem, kräftigem Körperbau und zeigte schon in der Kindheit eine ungewöhnliche Verstandeskraft. Als er älter wurde, trat dies noch mehr hervor. Sein Geist war tätig und gut entwickelt, und ihn dürstete nach größerem Wissen. Obwohl er sich nicht der Vorteile einer akademischen Bildung erfreuen konnte, machten ihn doch seine Liebe zum Studium und die Gewohnheit sorgfältigen Denkens und scharfer Unterscheidung zu einem Mann von gesundem Urteil und umfassender Anschauung. Er besaß einen untadeligen sittlichen Charakter, einen beneidenswerten Ruf und war allgemein wegen seiner Rechtschaffenheit, Sparsamkeit und Wohltätigkeit geachtet. Durch seine Tatkraft und seinen Fleiß erwarb er sich schon früh sein Auskommen, obgleich er an seiner Gewohnheit, zu studieren, noch immer festhielt. Er bekleidete mit Erfolg verschiedene zivile und militärische Ämter, und der Weg zu Reichtum und Ansehen schien ihm offen zu stehen. GK.320.2 Teilen

321

Seine Mutter war eine Frau von echter Frömmigkeit, und er selbst war in seiner Kindheit für religiöse Eindrücke empfänglich. Im frühen Mannesalter jedoch geriet er in die Gesellschaft von Deisten, die um so größeren Einfluß auf ihn ausübten, da die meisten gute Bürger, menschenfreundliche und wohltätige Leute waren, deren Charakter, da sie inmitten christlicher Einrichtungen wohnten, teilweise das Gepräge ihrer Umgebung angenommen hatte. Die Vorzüge, die ihnen Achtung und Vertrauen gewannen, hatten sie der Bibel zu verdanken; und doch waren diese guten Gaben so verfälscht worden, dass sie einen dem Worte Gottes zuwiderlaufenden Einfluß ausübten. Der Umgang mit ihnen ließ Miller ihre Anschauungen teilen. Die allgemein übliche Auslegung der Schrift schien ihm unüberwindliche Schwierigkeiten zu bieten, doch auch seine neue Glaubensüberzeugung, die die Bibel beiseitesetzte, hatte nichts Besseres zu geben, das ihre Stelle hätte einnehmen können, und er fühlte sich keineswegs befriedigt. Immerhin bekannte er sich ungefähr zwölf Jahre zu diesen Auffassungen. Als er vierunddreißig Jahre alt war, bewirkte der Heilige Geist in ihm die Überzeugung, dass er ein Sünder sei. Er fand in seinem früheren Glauben nicht die Gewißheit einer Glückseligkeit jenseits des Grabes. Die Zukunft war düster und unheimlich. Von seinen Gefühlen zu jener Zeit sagte er später: GK.321.1 Teilen

„Vernichtet zu werden, das war ein kalter, schauriger Gedanke, und Rechenschaft ablegen zu müssen, wäre der sichere Untergang aller gewesen. Der Himmel über meinem Haupte war wie Erz, und die Erde unter meinen Füßen wie Eisen. Die Ewigkeit — was war sie? Und der Tod — warum war er? Je mehr ich diese Dinge zu ergründen suchte, desto weiter entfernte ich mich von der Beweisführung. Je mehr ich darüber nachdachte, desto zerfahrener wurden meine Schlüsse. Ich versuchte, dem Denken Einhalt zu gebieten, aber meine Gedanken ließen sich nicht beherrschen. Ich fühlte mich wahrhaft elend, wußte jedoch nicht warum. Ich murrte und klagte, ohne zu wissen über wen. Ich war überzeugt, dass irgendwo ein Fehler lag, wußte aber nicht, wo oder wie das Richtige zu finden sei. Ich trauerte, jedoch ohne Hoffnung.“ GK.321.2 Teilen

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In diesem Zustand verharrte Miller mehrere Monate. „Plötzlich“, sagte er, „prägte sich meinem Gemüt lebhaft der Charakter eines Heilandes ein. Es schien mir, als gebe es ein Wesen, so gut und barmherzig, dass es sich selbst für unsere Übertretungen als Sühne anbietet und uns dadurch vor der Strafe für die Sünde rettet. Unmittelbar fühlte ich, wie liebreich ein solches Wesen sein müsse und stellte mir vor, dass ich mich in seine Arme werfen und seiner Gnade vertrauen könnte. Aber es erhob sich die Frage: Wie kann bewiesen werden, dass es ein solches Wesen gibt? Ich fand, dass ich außerhalb der Bibel keinen Beweis für das Vorhandensein eines solchen Heilandes oder gar eines zukünftigen Daseins entdecken konnte ... GK.322.1 Teilen

Ich sah, dass die Bibel gerade von einem solchen Heiland berichtete, wie ich nötig hatte, und ich wunderte mich, wie ein nicht inspiriertes Buch Grundsätze entwickeln konnte, die den Bedürfnissen einer gefallenen Welt so vollkommen angepaßt waren. Ich sah mich gezwungen, zuzugeben, dass die Heilige Schrift eine Offenbarung Gottes sein müsse. Sie wurde mein Entzücken, und in Jesus fand ich einen Freund. Der Heiland wurde für mich der Auserkorene unter vielen Tausenden, und die Heilige Schrift, die zuvor dunkel und voller Widersprüche schien, erwies sich als meines Fußes Leuchte und als ein Licht auf meinem Wege. Ruhe und Zufriedenheit zogen in mein Gemüt ein. Ich erkannte Gott den Herrn als einen Fels inmitten der Fülle des Lebens. Der Bibel widmete ich nun mein Hauptstudium, und ich kann wahrlich sagen, dass ich sie mit großer Freude durchforschte. Ich fand, dass mir nie die Hälfte gesagt worden war. Es wunderte mich, dass ich ihre Zierde und Herrlichkeit nicht eher gesehen hatte, und ich war erstaunt darüber, wie ich sie je hatte verwerfen können. Mir wurde alles offenbart, was mein Herz sich wünschen konnte; ich fand ein Heilmittel für jeden Schaden meiner Seele. Ich verlor den Gefallen an anderem Lesestoff und ließ es mir angelegen sein, Weisheit von Gott zu erlangen.“ 1 GK.322.2 Teilen

Miller bekannte sich nun öffentlich zu der Glaubensüberzeugung, die er ehedem verachtet hatte. Aber seine ungläubigen Gefährten waren nicht müßig, jene Beweisführungen vorzubringen, die er selbst oft gegen die göttliche Autorität der Heiligen Schrift angewandt hatte. Er war damals nicht vorbereitet, sie zu beantworten, folgerte aber, dass die Bibel, wäre sie eine Offenbarung Gottes, mit sich selbst übereinstimmen müsse. Was zur Belehrung des Menschen gegeben war, musste auch seinem Verständnis angepaßt sein. Er entschloß sich, die Heilige Schrift selbst zu durchforschen und sich zu vergewissern, ob nicht die scheinbaren Widersprüche in Einklang gebracht werden könnten. GK.322.3 Teilen

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Er bemühte sich, alle vorurteilsvollen Auffassungen beiseitezusetzen und verglich ohne irgendwelche Kommentare Bibelstelle mit Bibelstelle, wobei er sich der angegebenen Parallelstellen und der Konkordanz bediente. Regelmäßig und planvoll verfolgte er sein Studium, fing mit dem ersten Buch Mose an, las Vers für Vers und ging nur so schnell voran, wie sich ihm die Bedeutung der verschiedenen Stellen erschloß, so dass ihm nichts unklar blieb. War ihm eine Stelle unverständlich, verglich er sie mit allen andern Texten, die irgendwelche Beziehung zu dem betrachteten Thema zu haben schienen. Jedes Wort prüfte er bezüglich seiner Stellung zum Inhalt der Bibelstelle, und wenn seine Ansicht dann mit jedem gleichlaufenden Text übereinstimmte, so war die Schwierigkeit überwunden. Auf diese Weise fand er immer in irgendeinem andern Teil der Heiligen Schrift eine Erklärung für eine schwerverständliche Stelle. Da er unter ernstem Gebet um göttliche Erleuchtung forschte, wurde das, was ihm vorher dunkel erschienen war, nun seinem Verständnis klar. Er erfuhr die Wahrheit der Worte des Psalmisten: „Wenn dein Wort offenbar wird, so erfreut es und macht klug die Einfältigen.“ Psalm 119,130. GK.323.1 Teilen

Mit ungemeiner Wißbegier studierte er das Buch Daniel und die Offenbarung, wobei er, um diese Bücher zu verstehen, dasselbe Verfahren anwandte wie bei den andern Teilen der Heiligen Schrift. Zu seiner großen Freude fand er, dass die prophetischen Sinnbilder verstanden werden können. Er sah, dass die Weissagungen, sofern sie schon eingetroffen waren, sich buchstäblich erfüllt hatten; dass all die verschiedenen Darstellungen, Bilder, Gleichnisse, Ausdrücke usw. entweder in ihrem unmittelbaren Zusammenhang erklärt waren, oder dass die Worte, die dieses ausdrückten, an andern Stellen näher bestimmt wurden, so dass sie, auf diese Weise erklärt, buchstäblich verstanden werden konnten. Er sagt: „So wurde ich überzeugt, dass die Bibel eine Kette offenbarter Wahrheiten ist, so deutlich und einfach mitgeteilt, dass selbst der einfache Mann nicht zu irren braucht.“ 1 Seine Anstrengungen wurden belohnt: Glied um Glied der Kette der Wahrheit öffnete sich seinem Verständnis, als er Schritt für Schritt die großen Umrisse der Weissagungen erkannte. Engel des Himmels lenkten seine Gedanken und führten ihn zum Verständnis des Wortes Gottes. GK.323.2 Teilen

324

Indem er die Weissagungen, die sich noch erfüllen sollten, danach beurteilte, wie sich die Prophezeiungen in der Vergangenheit erfüllt hatten, wurde er überzeugt, dass die volkstümliche Ansicht von der geistigen Regierung Christi — einem irdischen tausendjährigen Reich vor dem Ende der Welt — im Worte Gottes keine Unterstützung findet. Diese Lehre, die auf ein Jahrtausend der Gerechtigkeit und des Friedens vor der persönlichen Wiederkunft des Herrn hinwies, schob die Schrecken des Tages Jesu Christi weit hinaus in die Zukunft. Wenn dies auch vielen sehr angenehm gewesen sein dürfte, so ist es doch den Lehren Christi und seiner Apostel völlig entgegen; denn sie erklärten, dass der Weizen und das Unkraut zusammen wachsen müssen bis zurzeit der Ernte, dem Ende der Welt; dass es „mit den bösen Menschen aber und verführerischen wird’s je länger, je ärger“, „dass in den letzten Tagen werden greuliche Zeiten kommen“ und dass das Reich der Finsternis fortbestehen müsse bis zur Ankunft des Herrn, wenn es verzehrt werden soll „mit dem Geist seines Mundes“ und ihm ein Ende gemacht werde „durch die Erscheinung seiner Zukunft“. Matthäus 13,30.38-41; 2.Timotheus 3,1.13; 2.Thessalonicher 2,8. GK.324.1 Teilen

Die apostolische Kirche glaubte nicht an die Lehre von der Bekehrung der Welt und der geistlichen Herrschaft Christi. Erst ungefähr zu Anfang des 18. Jahrhunderts bürgerte sie sich ein. Wie jeder andere Irrtum hatte auch dieser schlimme Folgen. Er lehrte die Menschen, die Wiederkunft des Herrn erst in ferner Zukunft zu erwarten und hielt sie davon ab, die Zeichen seiner nahenden Wiederkunft zu beachten. Er erzeugte ein Gefühl der Sorglosigkeit und Sicherheit, das keineswegs begründet war, aber viele veranlaßte, die notwendige Vorbereitung zu versäumen, um ihrem Herrn begegnen zu können. GK.324.2 Teilen

Miller fand, dass die Heilige Schrift deutlich das buchstäbliche, persönliche Kommen Christi lehrt. Paulus sagt: „Er selbst, der Herr, wird mit einem Feldgeschrei und der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel.“ 1.Thessalonicher 4,16. Und der Heiland erklärt, das letzte Geschlecht werde „sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit“. „Denn gleichwie der Blitz ausgeht vom Aufgang und scheint bis zum Niedergang, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes.“ Matthäus 24,30.27. Er wird von all den Scharen des Himmels begleitet werden. Des Menschen Sohn wird kommen „in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm“. Matthäus 25,31. GK.324.3 Teilen

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Bei seinem Kommen werden die gerechten Toten auferweckt und die gerechten Lebenden verwandelt werden. Paulus sagte: „Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbe plötzlich, in einem Augenblick, zurzeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit.“ 1.Korinther 15,51-53. Und in seinem Brief an die Thessalonicher schrieb er, nachdem er ihnen das Kommen des Herrn vor Augen gestellt hatte: „Die Toten in Christo werden auferstehen zuerst. Darnach wir, die wir leben und übrig bleiben, werden zugleich mit ihnen hingerückt werden in den Wolken, dem Herrn entgegen in der Luft, und werden also bei dem Herrn sein allezeit.“ 1.Thessalonicher 4,16.17. GK.325.1 Teilen

Erst zurzeit der persönlichen Ankunft Christi kann sein Volk das Reich ererben. Der Heiland sagte: „Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit, und werden vor ihm alle Völker versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!“ Matthäus 25,31-34. Wir haben aus den angeführten Schriftworten gesehen, dass bei der Wiederkunft des Menschensohns die Toten unverweslich auferweckt und die Lebenden verwandelt werden. Durch die große Verwandlung werden sie zubereitet, in das Reich Gottes einzugehen; denn Paulus sagte, „dass Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben; auch wird das Verwesliche nicht erben das Unverwesliche“. 1.Korinther 15,50. Der Mensch in seinem gegenwärtigen Zustand ist sterblich, verweslich; das Reich Gottes hingegen wird unverweslich, ewig sein. Deshalb kann der Mensch in seinem gegenwärtigen Zustand nicht das Reich ererben. Kommt aber Jesus, so wird er seinem Volk die Unsterblichkeit verleihen; dann ruft er sie, das Reich einzunehmen, dessen Erben sie bisher nur waren. GK.325.2 Teilen

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Diese und andere Bibelstellen waren für Miller deutliche Beweise, dass die Ereignisse, von denen man allgemein annahm, dass sie vor der Wiederkunft Christi stattfinden würden, wie die allgemeine Friedensherrschaft und die Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden, der Wiederkunft Christi nachfolgen müßten. Ferner fand er, dass alle Zeichen der Zeit und der Zustand der Welt der prophetischen Beschreibung der letzten Tage entsprachen. Nur durch das Studium der Bibel kam er zu dem Schluß, dass die Zeit, die für das Fortbestehen der Erde in ihrem jetzigen Zustand bestimmt war, dem Ende nahe sei. GK.326.1 Teilen

„Ein anderer Beweis, der mich wesentlich beeinflußte“, sagte er, „war die Zeitrechnung der Heiligen Schrift ... Ich fand, dass sich vorhergesagte Ereignisse, die sich in der Vergangenheit erfüllt hatten, oft innerhalb einer bestimmten Zeit zutrugen. Die hundertzwanzig Jahre bis zur Sintflut (1.Mose 6,3), die sieben Tage, die ihr vorhergehen sollten, mit vierzig Tagen vorhergesagten Regens (1.Mose 7,4); der vierhundertjährige Aufenthalt der Kinder Abrahams im fremden Land (1.Mose 15,13); die drei Tage in den Träumen des Mundschenken und des Bäckers (1.Mose 40,12-20); Pharaos sieben Jahre (1.Mose 41,28-54); die vierzig Jahre in der Wüste (4.Mose 14,34); die dreieinhalb Jahre der Hungersnot (1.Könige 17,1; Jakobus 5,17) (Vgl. Lukas 4,25); ... die siebzig Jahre der Gefangenschaft (Jeremia 25,11); Nebukadnezars sieben Zeiten (Daniel 4,13-16) und die sieben Wochen, die 62 Wochen und eine Woche, welche zusammen 70 Wochen ergeben, die für die Juden bestimmt waren (Daniel 9,24-27). Die durch diese Zeiten begrenzten Ereignisse waren alle einst nur Sache der Weissagung und erfüllten sich in Übereinstimmung mit den Prophezeiungen.“ 1 GK.326.2 Teilen

327

Als er deshalb beim Bibelstudium verschiedene Zeitabschnitte fand, die sich, wie er sie verstand, bis auf die Wiederkunft Christi erstreckten, konnte er sie nur als „vorher bestimmte Zeiten“ ansehen, die Gott seinen Knechten enthüllt hatte. Mose sagt: „Das Geheimnis (Verborgene) ist des Herrn, unsers Gottes; was aber offenbart ist, das ist unser und unserer Kinder ewiglich.“ Und der Herr erklärt durch den Propheten Amos, er „tut nichts, er offenbare denn sein Geheimnis den Propheten, seinen Knechten“. 5.Mose 29,28; Amos 3,7. Die Forscher im Worte Gottes dürfen deshalb zuversichtlich erwarten, die gewaltigsten Ereignisse, die in der menschlichen Geschichte stattfinden werden, in den Schriften der Wahrheit deutlich angegeben zu finden. GK.327.1 Teilen

Miller sagte: „Da ich völlig überzeugt war, dass ‚alle Schrift, von Gott eingegeben‘, nützlich ist, dass sie ‚nie ... aus menschlichem Willen hervorgebracht‘ wurde, sondern dass ‚die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem heiligen Geist‘, und sie ‚uns zur Lehre geschrieben‘ ist, ‚auf dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben‘ (2.Timotheus 3,16; 2.Petrus 1,21; Römer 5,4), konnte ich die chronologischen Teile der Bibel unserer ernsten Aufmerksamkeit ebenso wert erachten wie irgendeinen andern Teil der Heiligen Schrift. Ich dachte deshalb, dass ich bei meinen Bemühungen, das zu verstehen, was Gott in seiner Barmherzigkeit für gut gefunden hatte, uns zu offenbaren, keineswegs die prophetischen Zeitangaben zu übergehen berechtigt war.“ Bliß 751 GK.327.2 Teilen

Die Weissagung, welche die Zeit der Wiederkunft Christi am deutlichsten zu enthüllen schien, war die in Daniel 8,14: „Bis zweitausenddreihundert Abende und Morgen um sind; dann wird das Heiligtum wieder geweiht werden.“ Seinem Grundsatz folgend, das Wort Gottes sich selbst auslegen zu lassen, entdeckte Miller, dass in der sinnbildlichen Weissagung ein Tag ein Jahr bedeutet. 4.Mose 14,34; Hesekiel 4,6. Er sah, dass der Zeitraum von zweitausenddreihundert prophetischen Tagen oder buchstäblichen Jahren sich weit über den des Alten Bundes hinaus erstreckte und sich somit nicht auf das Heiligtum jenes Bundes beziehen konnte. Miller teilte die allgemeine Ansicht, dass im christlichen Zeitalter die Erde das Heiligtum sei, und nahm deshalb an, dass die Reinigung des Heiligtums, wovon in Daniel 8,14 gesprochen wird, die Reinigung der Erde durch Feuer bei der Wiederkunft Christi darstelle. Wenn also der richtige Ausgangspunkt für die zweitausenddreihundert Tage gefunden werden könnte, wäre man auch leicht in der Lage, meinte er, die Zeit der Wiederkunft Christi festzustellen. Auf diese Weise würde die Zeit jener großen Vollendung offenbar werden, die Zeit, da der gegenwärtige Zustand mit „all seinem Stolz und seiner Macht, seinem Gepränge und seiner Eitelkeit, seiner Gottlosigkeit und Unterdrückung ein Ende hat“; da der Fluch „von der Erde hinweggenommen, der Tod vernichtet, die Knechte Gottes, die Propheten, die Heiligen und alle, die seinen Namen fürchten, belohnt, und diejenigen, die die Erde verderben, vernichtet werden“. 1 GK.327.3 Teilen

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Mit neuem und größerem Ernst setzte Miller die Prüfung der Weissagungen fort und widmete Tag und Nacht dem Studium der Dinge, die ihm so überragend wichtig und außerordentlich bedeutungsvoll zu sein schienen. In Daniel 8 konnte er keinen Anhalt für den Ausgangspunkt der zweitausenddreihundert Tage finden. Obgleich der Engel Gabriel beauftragt war, Daniel das Gesicht zu erklären, gab er ihm nur eine teilweise Auslegung. Als der Prophet die schreckliche Verfolgung schaute, die über die Gemeinde kommen sollte, schwanden seine Kräfte. Er konnte nicht mehr ertragen, und der Engel verließ ihn einstweilen. Daniel „ward schwach und lag etliche Tage krank ... Und (ich) verwunderte mich des Gesichts“, sagt er, „und niemand war, der mir’s auslegte“. Daniel 8,27. GK.328.1 Teilen

Doch Gott hatte seinem Boten befohlen: „Lege diesem das Gesicht aus, dass er’s verstehe!“ Daniel 8,16. Dieser Auftrag musste erfüllt werden, und deshalb kehrte der Engel später zu Daniel zurück und sagte: „Jetzt bin ich ausgegangen, dich zu unterrichten ... So merke nun darauf, dass du das Gesicht verstehest.“ Daniel 9,22-27. In dem in Kapitel 8 berichteten Gesicht war eine wichtige Frage nicht erklärt worden: der Zeitraum der zweitausenddreihundert Tage; deshalb verweilte der Engel, nachdem er die Erläuterung des Gesichtes wiederaufgenommen hatte, hauptsächlich bei diesem Thema. GK.328.2 Teilen

„Siebzig Wochen sind bestimmt über dein Volk und über deine heilige Stadt ... So wisse nun und merke: von der Zeit an, da ausgeht der Befehl, dass Jerusalem soll wiederum gebaut werden, bis auf den Gesalbten, den Fürsten, sind sieben Wochen; und zweiundsechszig Wochen, so werden die Gassen und Mauern wieder gebaut werden, wiewohl in kümmerlicher Zeit. Und nach den zweiundsechszig Wochen wird der Gesalbte ausgerottet werden und nichts mehr sein ... Er wird aber vielen den Bund stärken eine Woche lang. Und mitten in der Woche wird das Opfer und Speisopfer aufhören.“ Daniel 9,22-27. GK.328.3 Teilen

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Der Engel war mit der besonderen Absicht zu Daniel gesandt worden, ihm zu erklären, was er in dem Gesicht in Kapitel 8 nicht verstanden hatte, nämlich die Zeitbestimmung: „Bis zweitausenddreihundert Abende und Morgen um sind, dann wird das Heiligtum wieder geweiht werden.“ Nachdem der Engel Daniel aufgefordert hatte: „So merke nun darauf, dass du das Gesicht verstehest“, sagte er weiter: „Siebzig Wochen sind bestimmt über dein Volk und über deine heilige Stadt.“ GK.329.1 Teilen

Das hier mit „bestimmt“ übersetzte Wort heißt wörtlich „abgeschnitten“. Der Engel erklärte, dass siebzig Wochen, also vierhundertneunzig Jahre, als besonders den Juden gehörig abgeschnitten seien. Wovon aber waren sie abgeschnitten? Da die zweitausenddreihundert Tage die einzige in Kapitel 8 erwähnte Zeitspanne sind, so müssen die siebzig Wochen von diesem Zeitraum abgeschnitten sein, also zu den zweitausenddreihundert Tagen gehören, und zwar müssen diese beiden Abschnitte denselben Ausgangspunkt haben. Der Beginn der siebzig Wochen sollte nach der Erklärung des Engels mit dem Ausgang des Befehls zum Wiederaufbau Jerusalems zusammenfallen. Ließe sich das Datum dieses Befehls finden, so wäre auch der Ausgangspunkt der großen Periode von zweitausenddreihundert Tagen festgestellt. GK.329.2 Teilen

Im Buch Esra steht dieser Befehl verzeichnet. Esra 7,12-16. Er wurde in seiner vollständigen Form von Artaxerxes, dem König von Persien, im Jahre 457 v. Chr. erlassen. In Esra 6,14 heißt es jedoch, dass das Haus des Herrn zu Jerusalem gebaut worden sei „nach dem Befehl des Kores (Cyrus), Darius und Arthahsastha (Artaxerxes), der Könige in Persien“. Diese drei Könige verfaßten, bestätigten und vervollständigten den Erlaß, der dann die für die Weissagung notwendige Vollkommenheit hatte, um den Ausgangspunkt der zweitausenddreihundert Tage zu bezeichnen. Man nahm das Jahr 457 v. Chr., in dem der Erlaß vollendet wurde, als die Zeit an, da der Befehl ausging, und es zeigte sich, dass jede Einzelheit der Weissagung hinsichtlich der siebzig Wochen erfüllt war. GK.329.3 Teilen

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„Von der Zeit an, da ausgeht der Befehl, dass Jerusalem soll wiederum gebaut werden, bis auf den Gesalbten, den Fürsten, sind sieben Wochen; und zweiunsechzig Wochen“ — also neunundsechzig Wochen oder vierhundertdreiundachtzig Jahre. Der Erlaß des Artaxerxes trat im Herbst des Jahres 457 v. Chr. in Kraft. Von diesem Zeitpunkt an gerechnet erstreckten sich die vierhundertdreiundachtzig Jahre bis in den Herbst des Jahres 27 n. Chr. (Siehe Anm. 045) Zu jener Zeit ging die Weissagung in Erfüllung. Im Herbst des Jahres 27 n. Chr. wurde Christus von Johannes getauft und empfing die Salbung des Heiligen Geistes. Der Apostel Petrus legte Zeugnis ab, dass „Gott diesen Jesus von Nazareth gesalbt hat mit dem heiligen Geist und Kraft“. Apostelgeschichte 10,38. Und der Heiland selbst erklärte: „Der Geist des Herrn ist bei mir, darum dass er mich gesalbt hat; er hat mich gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen.“ Lukas 4,18. Nach seiner Taufe im Jordan durch Johannes den Täufer „kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium vom Reich Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllet“. Markus 1,14.15. GK.330.1 Teilen

„Er wird aber vielen den Bund stärken eine Woche lang.“ Die hier erwähnte Woche ist die letzte der siebzig; es sind die letzten sieben Jahre der den Juden besonders zugemessenen Zeitspanne. Während dieser Zeit, die sich von 27 bis 34 n. Chr. erstreckte, verkündigte Jesus ganz besonders den Juden das Evangelium, erst persönlich, dann durch seine Jünger. Als die Apostel mit der frohen Botschaft vom Reiche Gottes hinausgingen, lautete die Anweisung des Heilandes: „Gehet nicht auf der Heiden Straße und ziehet nicht in der Samariter Städte, sondern gehet hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel.“ Matthäus 10,5.6. GK.330.2 Teilen

„Mitten in der Woche wird das Opfer und Speisopfer aufhören.“ Im Jahre 31.n. Chr., dreieinhalb Jahre nach seiner Taufe, wurde der Herr gekreuzigt. Mit diesem großen, auf Golgatha dargebrachten Opfer hörten die Opferordnungen auf, die vier Jahrtausende lang in die Zukunft, auf das Lamm Gottes, gewiesen hatten. Der Schatten war im Wesen aufgegangen, und alle Opfer und Gaben des Zeremonialgesetzes hatten ihre Erfüllung gefunden. GK.330.3 Teilen

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Die besonders für die Juden bestimmten siebzig Wochen oder vierhundertneunzig Jahre liefen, wie wir gesehen haben, im Jahre 34 n. Chr. ab. Zu jener Zeit besiegelte das jüdische Volk durch den Beschluß des Hohen Rates die Verwerfung des Evangeliums, indem es Stephanus steinigte und die Nachfolger Christi verfolgte. Dann wurde der Welt die Heilsbotschaft verkündigt, die hinfort nicht länger auf das auserwählte Volk beschränkt blieb. Die Jünger, durch Verfolgungen gezwungen, Jerusalem zu verlassen, „gingen um und predigten das Wort. Philippus aber kam hinab in eine Stadt in Samarien und predigte ihnen von Christo“. Apostelgeschichte 8,4.5. Petrus, von Gott geleitet, erschloß dem Hauptmann von Cäsarea, dem gottesfürchtigen Kornelius, das Evangelium, und der für den Glauben an Jesus gewonnene eifrige Paulus wurde beauftragt, die frohe Botschaft „ferne unter die Heiden“ zu tragen. Apostelgeschichte 22,21. GK.331.1 Teilen

Soweit ist jede Angabe der Weissagung auffallend erfüllt und der Anfang der siebzig Wochen ohne irgendwelchen Zweifel auf 457 v. Chr., ihr Ende auf 34 n. Chr. festgestellt worden. Durch diese Angaben ist es nicht schwer, das Ende der zweitausenddreihundert Tage zu ermitteln. Da die siebzig Wochen oder vierhundertneunzig Tage von den zweitausenddreihundert abgeschnitten sind, bleiben noch achtzehnhundertzehn Tage übrig. Nach Ablauf der vierhundertneunzig Tage hatten sich noch die achtzehnhundertzehn Tage zu erfüllen. Vom Jahre 34 n. Chr. reichen weitere achtzehnhundertzehn Jahre bis 1844. Folglich enden die zweitausenddreihundert Tage von Daniel 8,14 im Jahre 1844. Nach dem Ablauf dieser großen prophetischen Zeitspanne sollte nach dem Zeugnis des Engels Gottes „das Heiligtum wieder geweiht (gereinigt) werden“. Somit war die Zeit der (Weihe oder) Reinigung des Heiligtums, die, wie man nahezu allgemein glaubte, zurzeit der Wiederkunft stattfinden sollte, genau und bestimmt angegeben. GK.331.2 Teilen

Miller und seine Mitarbeiter glaubten anfangs, die zweitausenddreihundert Tage würden im Frühjahr 1844 ablaufen, wohingegen die Weissagung auf den Herbst jenes Jahres verweist. Dieses Mißverständnis brachte denen, die das frühere Datum als die Zeit der Wiederkunft des Herrn angenommen hatten, Enttäuschung und Unruhe. Aber dies beeinträchtigte durchaus nicht die Kraft der Beweisführung, dass die zweitausenddreihundert Tage im Jahre 1844 zu Ende gingen und dass das große, als Reinigung des Heiligtums bezeichnete Ereignis dann stattfinden musste. GK.331.3 Teilen

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Als Miller sich an das Studium der Heiligen Schrift begeben hatte, um zu beweisen, dass sie eine Offenbarung Gottes ist, hatte er nicht die geringste Ahnung, dass er zu dem Schuß kommen würde, zu dem er dann gelangt ist. Er konnte die Ergebnisse seiner Forschungen selbst kaum glauben; aber der schriftgemäße Beweis war zu klar und zu stark, als dass er ihn hätte unbeachtet lassen können. GK.332.1 Teilen

Er hatte zwei Jahre auf das Studium der Bibel verwandt, als er im Jahre 1818 zu der ernsten Überzeugung kam, dass Christus in ungefähr fünfundzwanzig Jahren zur Erlösung seines Volkes erscheinen würde. „Ich brauche“, sagte Miller, „nicht von der Freude zu reden, die im Hinblick auf die entzückende Aussicht mein Herz erfüllte, oder von dem heißen Sehnen meiner Seele nach einem Anteil an den Freuden der Erlösten. Die Bibel galt mir nun als ein neues Buch. Sie bedeutete mir in der Tat ein angenehmes, geistreiches Gespräch; alles, was mir finster, geheimnisvoll oder dunkel erschien in ihren Lehren, war durch das helle Licht, das nun aus ihren heiligen Blättern hervorbrach, zerstreut worden. Oh, wie glänzend und herrlich zeigte sich die Wahrheit! Alle Widersprüche und Ungereimtheiten, die ich vorher in dem Worte gefunden hatte, waren verschwunden; und wenn es auch noch viele Stellen gab, die ich, wie ich überzeugt war, nicht völlig verstand, so war doch so viel Licht zur Erleuchtung meines vorher finsteren Gemütes daraus hervorgegangen, dass ich beim Studium der Heiligen Schrift ein Entzücken empfand, das ich nie geglaubt hätte durch ihre Lehren erlangen zu können.“ 1 GK.332.2 Teilen

„Bei der ernsten Überzeugung, dass so überwältigende Ereignisse, wie sie in der Heiligen Schrift vorhergesagt waren, sich in einem kurzen Zeitraum erfüllen sollten, trat mit gewaltiger Macht die Frage an mich heran, welche Pflicht ich angesichts der Beweise, die mein eigenes Gemüt ergriffen hatten, der Welt gegenüber hätte.“ 1 Miller fühlte, dass es seine Pflicht sei, das Licht, das er empfangen hatte, andern mitzuteilen. Er erwartete von seiten der Gottlosen Widerspruch, war aber voll Zuversicht, dass sich alle Christen der Hoffnung freuen würden, dem Heiland, den sie liebten, zu begegnen. Seine einzige Befürchtung ging dahin, dass viele in der großen Freude auf die herrliche Erlösung, die sich so bald erfüllen sollte, die Lehre annehmen könnten, ohne hinreichend die Schriftstellen geprüft zu haben, die diese Wahrheit enthielten. Er zögerte noch sie vorzutragen, damit er nicht, falls er selber irrte, andere verführte. Das veranlaßte ihn, die Beweise seiner Schlußfolgerungen nochmals zu prüfen und jede Schwierigkeit, die sich ihm entgegenstellte, sorgfältig zu untersuchen. Er fand, dass die Einwände vor dem Licht des Wortes Gottes verschwanden wie der Nebel vor den Strahlen der Sonne. Nach fünf Jahren, die er in dieser Weise zugebracht hatte, war er von der Richtigkeit seiner Auslegung vollständig überzeugt. GK.332.3 Teilen

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Jetzt drängte sich ihm mit neuer Kraft die Pflicht auf, andern das nahezubringen, was, wie er glaubte, die Heilige Schrift klar lehrte. Er sagte: „Wenn ich meinen Geschäften nachging, tönte es beständig in meinen Ohren: ‚Geh und erzähle der Welt von ihrer Gefahr.‘ Folgende Bibelstelle kam mir immer wieder in den Sinn: ‚Wenn ich nun dem Gottlosen sage: Du Gottloser musst des Todes sterben! und du sagst ihm solches nicht, dass sich der Gottlose warnen lasse vor seinem Wesen, so wird wohl der Gottlose um seines gottlosen Wesens willen sterben; aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern. Warnest du aber den Gottlosen von seinem Wesen, dass er sich davon bekehre, und er will sich nicht von seinem Wesen bekehren, so wird er um seiner Sünde willen sterben, und du hast deine Seele errettet.‘ Hesekiel 33,8.9. Ich fühlte, dass sehr viele Gottlose, falls sie nachdrücklich gewarnt werden könnten, Buße täten; dass aber, wenn das nicht geschähe, ihr Blut von meiner Hand gefordert würde.“ 1 GK.333.1 Teilen

Miller begann seine Ansichten im stillen zu verbreiten, wie sich ihm Gelegenheit bot. Er betete darum, dass irgendein Prediger ihre Kraft erkennen und sich ihrer Ausbreitung widmen möchte. Aber er konnte die Überzeugung nicht aus seinem Herzen bannen, dass er bei der Verkündigung der Warnungsbotschaft eine persönliche Pflicht zu erfüllen habe. Beständig standen ihm die Worte vor Augen: Geh und sage es der Welt; ihr Blut werde ich von deiner Hand fordern. — Neun Jahre wartete er, und immer noch lastete die Bürde auf seiner Seele, bis er im Jahre 1831 zum erstenmal öffentlich die Gründe seines Glaubens darlegte. GK.333.2 Teilen

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Wie Elisa von seinen Ochsen auf dem Felde weggerufen wurde, um den Mantel zu empfangen, der ihn zum Prophetenamt weihte, so wurde William Miller aufgefordert, seinen Pflug zu verlassen und dem Volk die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verkünden. Mit Zittern begann er seine Aufgabe und führte seine Zuhörer Schritt für Schritt durch die prophetischen Abschnitte hindurch bis in die Zeit der Wiederkunft Christi. Mit jeder Anstrengung gewann er Kraft und Mut, denn er bemerkte das weitverbreitete Aufsehen, das seine Worte hervorriefen. GK.334.1 Teilen

Nur dadurch, dass seine Glaubensbrüder, in deren Worten er den Ruf Gottes vernahm, ihn dazu aufforderten, ließ sich Miller bewegen, seine Auffassungen öffentlich vorzutragen. Er war nun fünfzig Jahre alt und des öffentlichen Auftretens ungewohnt. Er hatte das Gefühl, der vor ihm liegenden Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Aber von Anfang an wurden seine Bemühungen zur Rettung von Seelen in bemerkenswerter Weise gesegnet. Seinem ersten Vortrag folgte eine religiöse Erweckung, bei der dreizehn Familien mit Ausnahme von zwei Personen bekehrt wurden. Man bat ihn sofort, auch an andern Orten zu sprechen, und fast überall zeigte sich eine Wiederbelebung der Sache Gottes. Sünder wurden bekehrt, Christen zu größerer Hingabe angeregt und Deisten und Ungläubige zur Anerkennung der Bibelwahrheiten und der christlichen Religion gebracht. Diejenigen, unter denen er arbeitete, bezeugten: „Er erreicht eine Klasse von Menschen, die sich von andern Männern nicht beeinflussen lassen.“ 1 Seine Predigt war darauf abgestellt, allgemeines Verständnis für die religiösen Grundlinien zu erwecken und die überhandnehmende Weltlichkeit und Sinnlichkeit der Zeit im Zaum zu halten. GK.334.2 Teilen

Nahezu in jeder Stadt wurden durch seine Predigt viele, an etlichen Orten Hunderte, bekehrt. In vielen Orten öffnete man ihm die protestantischen Kirchen fast aller Bekenntnisse. Die Einladungen an Miller kamen gewöhnlich von den Predigern der verschiedenen Gemeinden. Es war sein unabänderlicher Grundsatz, nur an den Orten zu wirken, wohin er eingeladen wurde; doch er sah sich bald außerstande, auch nur der Hälfte dieser Aufforderungen, mit denen man ihn überhäufte, nachzukommen. GK.334.3 Teilen

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Viele, die seine Ansichten hinsichtlich der genauen Zeit der zweiten Erscheinung Christi nicht annahmen, wurden doch von der Gewißheit und Nähe seines Kommens und der Notwendigkeit einer Vorbereitung überzeugt. In einigen großen Städten machte Millers Wirken sichtbaren Eindruck. Schankwirte gaben ihren Handel auf und verwandelten ihre Trinkstuben in Versammlungssäle; Spielhöllen schlossen; Ungläubige, Deisten, Universalisten und selbst die verkommensten Bösewichte, von denen etliche jahrelang kein Gotteshaus betreten hatten, änderten ihre Gesinnung. Die verschiedenen Gemeinschaften führten in den einzelnen Stadtteilen zu fast jeder Tagesstunde Gebetsversammlungen ein. Geschäftsleute versammelten sich mittags zu Gebet und Lobgesang. Es herrschte keine schwärmerische Erregung, sondern ein allgemeiner feierlicher Ernst hatte die Gemüter des Volkes ergriffen. Millers Wirken überzeugte gleich dem der Reformatoren weit mehr den Verstand und erweckte eher das Gewissen, als es die Gefühle erregte. GK.335.1 Teilen

Im Jahre 1833 erhielt Miller von der Baptistenkirche, der er angehörte, die Erlaubnis zu predigen. Viele Prediger seiner Gemeinschaft billigten seine Tätigkeit und bestätigten sie formell, so dass er sein Wirken fortsetzte. Er reiste und predigte unaufhörlich, wenn auch sein persönliches Wirken hauptsächlich auf Neuengland und die mittleren Staaten beschränkt blieb. Jahrelang bestritt er sämtliche Auslagen aus seiner eigenen Kasse und erhielt auch später nicht genug, um die Reisekosten nach den verschiedenen Orten, wohin er geladen wurde, zu decken. So belastete seine öffentliche Arbeit, statt ihm finanziellen Gewinn zu bringen, sein Eigentum, das während dieses Abschnitts seines Lebens immer weniger wurde. Er war Vater einer großen Familie; da sich aber alle genügsam und fleißig zeigten, reichte sein Landgut sowohl für ihren als auch für seinen eigenen Unterhalt aus. GK.335.2 Teilen

Im Jahre 1833, zwei Jahre, nachdem Miller angefangen hatte, die Beweise der baldigen Wiederkunft Christi öffentlich zu verkündigen, erschien das letzte der von Christus erwähnten Zeichen, die er als Vorläufer seiner Wiederkunft angekündigt hatte. Jesus sagte: „Die Sterne werden vom Himmel fallen“, und Johannes erklärte in der Offenbarung, als er im Gesicht die Vorgänge erblickte, die den Tag Gottes ankündigen sollten: „Die Sterne des Himmels fielen auf die Erde, gleichwie ein Feigenbaum seine Feigen abwirft, wenn er von großem Wind bewegt wird.“ Matthäus 24,29; Offenbarung 6,13. Diese Weissagung erfüllte sich treffend und nachdrücklich durch den großen Meteorregen vom 13. November 1833. Es war das ausgedehnteste und wunderbarste Schauspiel fallender Sterne, von dem je berichtet worden ist. „Das ganze Himmelsgewölbe über den gesamten Vereinigten Staaten war damals stundenlang in feuriger Bewegung. Noch nie hatte sich von der ersten Ansiedlung an in jenem Lande eine Naturerscheinung gezeigt, die von dem einen Teil der Bevölkerung mit so großer Bewunderung und von dem andern mit so viel Schaudern und Bestürzung betrachtet wurde.“ „Die Erhabenheit und feierliche Pracht lebt noch heute in manchem Gedächtnis ... Niemals ist Regen dichter zur Erde gefallen als jene Meteore; und in allen Himmelsrichtungen die gleiche Erscheinung. Mit einem Wort, das ganze Himmelsgewölbe schien in Bewegung zu sein ... Das Schauspiel, wie Prof. Sillimans Journal es schildert, war in ganz Nordamerika sichtbar ... Bei vollkommen klarem und heiterem Himmel dauerte das unaufhörliche Spiel blendend glänzender Lichtkörper am ganzen Himmel von zwei Uhr bis zum Tagesanbruch.“ 1 GK.335.3 Teilen

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„Keine Sprache kann der Pracht jenes herrlichen Schauspiels gerecht werden; ... niemand, der es nicht selbst gesehen hat, kann sich eine entsprechende Vorstellung von seiner Herrlichkeit machen. Es schien, als ob der ganze Sternenhimmel sich ... in einem Punkt gesammelt hätte und mit Blitzesschnelle gleichzeitig nach allen Richtungen des Horizontes hin seine Sterne hervorschösse; und doch hörte es nicht auf: Tausende folgten schnell der Bahn, die Tausende schon durcheilt hatten, als seien sie für diese Gelegenheit erschaffen gewesen.“ 1 „Ein genaueres Bild von einem Feigenbaum, der seine Feigen abwirft, wenn ein heftiger Wind durch ihn hindurchfährt, hätte man nicht sehen können.“ 1 GK.336.1 Teilen

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Im Neuyorker „Journal of Commerce“ vom 14.November 1833 erschien ein ausführlicher Artikel über diese wundersame Naturerscheinung, in dem es heißt: „Kein Weiser oder Gelehrter hat je, wie ich annehme, eine Erscheinung wie die von gestern morgen mündlich oder schriftlich berichtet. Vor achtzehnhundert Jahren hat ein Prophet sie genau vorausgesagt, so wir uns nur die Mühe nehmen wollen, unter einem Sternenfall fallende Sterne ... in dem allein möglichen Sinne, in dem es buchstäblich wahr sein kann, zu verstehen.“ GK.337.1 Teilen

So erschien das letzte jener Zeichen seines Kommens, worüber Jesus seinen Jüngern sagte: „Also auch wenn ihr das alles sehet, so wisset, dass es nahe vor der Tür ist.“ Matthäus 24,33. Als das nächste große Ereignis, das nach diesen Zeichen geschah, sah Johannes, dass „der Himmel entwich wie ein zusammengerolltes Buch“, während die Erde erbebte, die Berge und Inseln bewegt wurden und die Gottlosen vor der Gegenwart des Menschensohnes entsetzt zu fliehen suchten. Offenbarung 6,12-17. Womit dann aber die Wiederkunft Christi bereits beginnt. GK.337.2 Teilen

Viele Augenzeugen sahen den Sternenfall als den Vorboten des kommenden Gerichts an, „als ein schreckliches Vorbild, einen sicheren Vorläufer, ein barmherziges Zeichen jenes großen und schrecklichen Tages“. 1 Auf diese Weise wurde die Aufmerksamkeit auf die Erfüllung der Weissagung gerichtet und viele dadurch veranlaßt, die Botschaft von der Wiederkunft Christi zu beachten. GK.337.3 Teilen

Im Jahre 1840 erregte eine andere merkwürdige Erfüllung der Weissagung große Aufmerksamkeit. Zwei Jahre vorher hatte Josia Litch, einer der leitenden Prediger, welche die Wiederkunft Christi verkündigten, eine Auslegung von Offenbarung 9 veröffentlicht, in welcher der Fall des Osmanischen Reiches (Siehe Anm. 046) vorhergesagt wurde. Seiner Berechnung gemäß sollte diese Macht im Monat August des Jahres 1840 gestürzt werden, und nur wenige Tage vor ihrer Erfüllung schrieb Josia Litch: GK.337.4 Teilen

„Wenn wir zugeben, dass der erste Zeitabschnitt von 150 Jahren sich genau erfüllt hatte, ehe Konstantin XI. mit der Erlaubnis der Türken den Thron bestieg, und dass die dreihunderteinundneunzig Jahre und fünfzehn Tage am Schluß des ersten Zeitabschnittes anfingen, so müssen sie am 11. August enden, wenn man erwarten darf, dass die osmanische Macht in Konstantinopel gebrochen werden wird. Und ich glaube gewiß, dass dies eintreten wird.“ 1 GK.337.5 Teilen

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Genau zur bezeichneten Zeit nahm die Türkei durch ihre Gesandten den Schutz der vereinigten Großmächte Europas an und stellte sich auf diese Weise unter die Aufsicht der christlichen Nationen. Dieses Ereignis erfüllte genau die Weissagung. Als dies bekannt wurde, gewannen viele die Überzeugung, dass die Grundsätze der prophetischen Auslegung, wie Miller und seine Gefährten sie angenommen hatten, richtig seien, und so erhielt die Adventbewegung einen wunderbaren Antrieb. Gelehrte und angesehene Männer vereinigten sich mit Miller, um seine Auffassungen zu predigen und zu veröffentlichen. Das Werk dehnte sich von 1840 bis 1844 rasch aus. GK.338.1 Teilen

William Miller besaß große geistige Gaben, geschult durch Denken und Studium. Ihnen fügte er die Weisheit des Himmels hinzu, imdem er sich mit der Quelle der Weisheit verband. Er war ein Mann von echtem Ansehen, der Achtung und Wertschätzung einflößen musste, wo Rechtschaffenheit des Charakters und sittliche Vorzüge geschätzt wurden. Er besaß wahre Herzensgüte und zeigte sich demütig und beherrscht, war aufmerksam und liebenswürdig gegen alle und bereit, auf die Meinungen anderer zu hören und ihre Beweisgründe zu prüfen. Sachlich und leidenschaftslos verglich er alle Theorien und Lehren mit dem Worte Gottes; und sein gesundes Denken sowie seine gründliche Kenntnis der Heiligen Schrift befähigten ihn, Irrtum zu widerlegen und Lügen bloßzustellen. GK.338.2 Teilen

Dennoch konnte er seiner Aufgabe nicht ohne schweren Widerstand folgen. Es erging ihm wie den Reformatoren vor ihm; die Wahrheiten, die er verkündigte, wurden von den beim Volk beliebten religiösen Lehrern ungünstig aufgenommen. Da diese ihre Stellung nicht durch die Heilige Schrift aufrechterhalten konnten, waren sie gezwungen, ihre Zuflucht zu den Aussprüchen und Lehren der Menschen, den Überlieferungen der Väter zu nehmen. Doch Gottes Wort war das einzige von den Predigern der Adventwahrheit angenommene Zeugnis. „Die Bibel, und nur die Bibel!“ hieß ihre Losung. Der Mangel an biblischen Beweisen seitens ihrer Gegner wurde durch Hohn und Spott ersetzt. Zeit, Geld und Fähigkeiten wurden angewandt, um die zu verunglimpfen, welche nur dadurch Anstoß gaben, dass sie mit Freuden die Wiederkehr ihres Herrn erwarteten und danach strebten, ein heiliges Leben zu führen und andere zu ermahnen, sich auf sein Erscheinen vorzubereiten. GK.338.3 Teilen

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Es wurden ernsthafte Anstrengungen unternommen, die Gemüter des Volkes von der Wiederkunft Christi abzulenken. Die Weissagungen zu erforschen, die sich auf das Kommen Christi und das Ende der Welt beziehen, wurde als Sünde hingestellt, als etwas, dessen sich die Menschen schämen müßten. Auf diese Weise untergruben die beim Volk beliebten Prediger den Glauben an das Wort Gottes. Ihre Lehren machten die Menschen zu Ungläubigen, und viele fühlten sich berechtigt, nach ihren eigenen, gottlosen Lüsten zu wandeln. Die Urheber des Übels aber legten alles den Adventisten zur Last. GK.339.1 Teilen

Während Millers Name Scharen verständiger und aufmerksamer Zuhörer anzog, wurde er in der religiösen Presse selten genannt, es sei denn, man zog ihn ins Lächerliche oder beschuldigte ihn. Die Gleichgültigen und Gottlosen, die durch die Stellungnahme mancher religiösen Lehrer kühn geworden waren, griffen in ihren Bemühungen, ihn und sein Werk zu schmähen, zu schimpflichen Ausdrücken, zu gemeinen und gotteslästerlichen Witzeleien. Der altersgraue Mann, der die Bequemlichkeiten seines häuslichen Herdes verlassen hatte, um auf eigene Kosten von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf zu reisen, der sich unaufhörlich abmühte, der Welt die ernste Warnung von dem bevorstehenden Gericht zu verkündigen, wurde höhnisch als Schwärmer, Lügner und vorwitziger Bube verschrien. GK.339.2 Teilen

Der auf ihn gehäufte Spott, die Verleumdungen und Schmähungen riefen sogar bei der weltlichen Presse entrüsteten Widerstand hervor. „Eine Sache von so überwältigender Hoheit und furchtbaren Folgen leichtfertig und mit unzüchtigen Reden zu behandeln, so erklärten weltlich gesinnte Männer, hieße nicht nur sich über die Gefühle ihrer Vertreter und Verteidiger zu belustigen, sondern auch den Tag des Gerichts ins Lächerliche zu ziehen, die Gottheit selbst zu verhöhnen und die Schrecken jenes Gerichts geringschätzig zu betrachten.“ 1 GK.339.3 Teilen

Der Anstifter alles Übels versuchte nicht nur der Wirkung der Adventbotschaft entgegenzuarbeiten, sondern auch den Botschafter selbst zu vernichten. Miller wandte die biblische Wahrheit praktisch auf die Herzen seiner Zuhörer an, rügte ihre Sünden und beunruhigte ihre Selbstzufriedenheit; seine einfachen, treffenden Worte erregten ihre Feindschaft. Durch den offenen Widerstand der Kirchenglieder wurden die unteren Volksschichten ermutigt, noch weiterzugehen. Feinde schmiedeten Pläne, um ihn beim Verlassen der Versammlung zu töten. Doch heilige Engel befanden sich unter der Menge, und einer von ihnen nahm in Gestalt eines Mannes diesen Knecht Gottes beim Arm und geleitete ihn durch den zornigen Pöbel hindurch in Sicherheit. Sein Werk war noch nicht beendet; Satan und seine Sendboten fanden sich in ihren Absichten getäuscht. Ungeachtet des Widerstandes hatte die Anteilnahme an der Adventbewegung zugenommen. Von Dutzenden und Hunderten von Zuhörern waren die Versammlungen auf viele Tausende angewachsen. Die verschiedenen Gemeinschaften hatten großen Zuwachs erfahren. Nach etlicher Zeit offenbarte sich der Geist des Widerstandes auch gegen diese Bekehrten, und die Gemeinden begannen die Menschen zu maßregeln, die Millers Ansichten teilten. Dieses Vorgehen veranlaßte ihn zu einer Erwiderung in Form einer Denkschrift an die Christen aller Gemeinschaften, in der er nachdrücklich darauf bestand, dass man ihm seinen Irrtum aus der Bibel beweisen solle, falls seine Lehren falsch seien. GK.339.4 Teilen

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„Was haben wir geglaubt“, sagte er, „das zu glauben uns nicht durch das Wort Gottes geboten ist, das, wie ihr selbst zugebt, die Regel, und zwar die einzige unseres Glaubens und Wandels ist? Was haben wir getan, das solche giftigen Anschuldigungen von der Kanzel und in der Presse gegen uns herausfordern und euch eine gerechte Ursache geben konnte, uns (Adventisten) aus euren Kirchen und eurer Gemeinschaft auszuschließen?“ „Haben wir unrecht, so zeigt uns, worin unser Unrecht besteht; zeigt uns aus dem Worte Gottes, dass wir im Irrtum sind. Verspottet wurden wir genug; das kann uns nie überzeugen, dass wir unrecht haben; das Wort Gottes allein kann unsere Ansichten ändern. Unsere Schlüsse wurden überlegt und unter Gebet gezogen, da wir die Beweise in der Heiligen Schrift fanden.“ 1 GK.340.1 Teilen

Von Jahrhundert zu Jahrhundert sind den Warnungen, die Gott durch seine Diener der Welt gesandt hat, der gleiche Zweifel und Unglaube entgegengebracht worden. Als die Gottlosigkeit der vorsintflutlichen Menschen Gott veranlaßte, eine Wasserflut über die Erde zu bringen, gab er ihnen erst seine Absicht kund, damit sie Gelegenheit hätten, sich von ihren bösen Wegen abzuwenden. Hundertundzwanzig Jahre lang tönte der Warnungsruf an ihre Ohren, Buße zu tun, damit sich der Zorn Gottes nicht in ihrem Untergang offenbare. Aber die Botschaft schien ihnen wie eine eitle Mär, und sie glaubten ihr nicht. In ihrer Gottlosigkeit bestärkt, verspotteten sie den Boten Gottes, verschmähten seine Bitten und klagten ihn sogar der Vermessenheit an. Wie darf es ein Mann wagen, gegen alle Großen der Erde aufzutreten? Wäre Noahs Botschaft wahr, warum würde dann nicht alle Welt sie erkennen und glauben? Was ist die Behauptung eines Mannes gegenüber der Weisheit von Tausenden! — Sie wollten weder der Warnung Glauben schenken noch in der Arche Zuflucht suchen. GK.340.2 Teilen

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Spötter wiesen auf die Vorgänge in der Natur hin, auf die unveränderliche Reihenfolge der Jahreszeiten, auf den blauen Himmel, der noch nie Regen herabgesandt hatte, auf die grünen Gefilde, erfrischt von morgendlichem Tau, und riefen aus: Redet er nicht in Gleichnissen? — Geringschätzig erklärten sie den Prediger der Gerechtigkeit für einen wilden Schwärmer, jagten eifriger ihren Vergnügungen nach und beharrten mehr denn je auf ihren bösen Wegen. Doch ihr Unglaube verhinderte nicht das vorhergesagte Ereignis. Gott duldete ihre Gottlosigkeit lange und gab ihnen reichlich Gelegenheit zur Buße; aber seine Gerichte kamen zur bestimmten Zeit über die, die seine Gnade verwarfen. GK.341.1 Teilen

Christus erklärte, dass bei seiner Wiederkunft ein ähnlicher Unglaube herrschen werde. Die Menschen zu Noahs Zeiten „achteten’s nicht, bis die Sintflut kam und nahm sie alle dahin —, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes“, wie der Heiland selbst sagte. Matthäus 24,39. Wenn sich das bekennende Volk Gottes mit der Welt vereint und wandelt, wie sie wandelt, und mit ihr teilnimmt an ihren verbotenen Vergnügungen; wenn die Üppigkeit der Welt zur Üppigkeit der Gemeinde wird; wenn die Hochzeitsglocken klingen und alle Menschen vielen Jahren weltlichen Gedeihens entgegensehen — dann wird so plötzlich, wie der Blitz vom Himmel herabfährt, das Ende ihrer glänzenden Vorspiegelungen und trügerischen Hoffnungen kommen. GK.341.2 Teilen

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Wie Gott seinen Diener sandte, um die Welt vor der kommenden Sintflut zu warnen, so sandte er auserwählte Boten, um das Nahen des Jüngsten Gerichts zu verkünden. Und wie Noahs Zeitgenossen die Vorhersagen des Predigers der Gerechtigkeit höhnend verlachten, so spotteten auch zurzeit Millers viele über diese Warnung, ja sogar solche, die sich zum Volk Gottes bekannten. GK.342.1 Teilen

Warum war den Kirchen die Lehre und die Predigt von der Wiederkunft Christi so unwillkommen? Während die Ankunft des Herrn den Gottlosen Wehe und Verderben bringt, ist sie für die Gerechten voller Freude und Hoffnung. Diese große Wahrheit gereichte den Gottgetreuen aller Zeitalter zum Trost. Warum war sie jetzt wie ihr Urheber seinem sich zu ihm bekennenden Volk zu einem Stein des Anstoßes und einem Fels des Ärgernisses geworden? Hatte doch unser Heiland selbst seinen Jüngern die Verheißung gegeben: „Wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen.“ Johannes 14,3. Als der mitleidsvolle Erlöser die Verlassenheit und den Kummer seiner Nachfolger voraussah, beauftragte er Engel, sie mit der Versicherung zu trösten, dass er persönlich wiederkäme, und zwar ebenso, wie er gen Himmel gefahren war. Als die Jünger standen und zum Himmel aufschauten, um einen letzten Blick auf den zu werfen, den sie liebten, wurde ihre Aufmerksamkeit von den Worten in Anspruch genommen: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr und sehet gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren.“ Apostelgeschichte 1,11. Durch die Botschaft des Engels wurde ihre Hoffnung neu angefacht. Die Jünger „kehrten wieder gen Jerusalem mit großer Freude und waren allewege im Tempel, priesen und lobten Gott“. Lukas 24,52.53. Sie freuten sich nicht, weil Jesus von ihnen getrennt war und sie im Kampf mit den Prüfungen und Versuchungen der Welt alleinstanden, sondern sie frohlockten über die Versicherung des Engels, dass Jesus wiederkommen würde. GK.342.2 Teilen

Die Verkündigung des Kommens Christi sollte wie damals, als sie durch die Engel den Hirten von Bethlehem gebracht wurde, eine Botschaft großer Freude sein. Alle, die den Heiland wahrhaft liebhaben, können die auf Gottes Wort gegründete Botschaft nur freudig begrüßen, jene Botschaft, dass der, welcher der Mittelpunkt ihrer Hoffnung auf ein ewiges Leben ist, wiederkommen soll — nicht, um wie bei seinem ersten Kommen geschmäht, verachtet und verworfen zu werden, sondern in Macht und Herrlichkeit, um sein Volk zu erlösen. Alle, die den Heiland nicht lieben, wünschen, dass er wegbleiben möge, und es kann keinen überzeugenderen Beweis für den Abfall der Kirchen von Gott geben, als die Erbitterung und die Feindseligkeit, die diese von Gott gesandte Botschaft auslöst. GK.342.3 Teilen

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Wer die Botschaft von der Wiederkunft Christi annahm, erkannte die Notwendigkeit der Reue und Demütigung vor Gott. Viele hatten lange zwischen Christus und der Welt hin und her geschwankt, fühlten aber nun, dass es Zeit sei, einen festen Standpunkt einzunehmen. „Alles, was die Ewigkeit angeht, nahm für sie eine ungewöhnliche Wirklichkeit an. Der Himmel wurde ihnen nahegebracht, und sie fühlten sich vor Gott schuldig.“ 1 Christen erwachten zu neuem geistlichen Leben. Sie erfaßten, dass die Zeit kurz sei und dass bald getan werden müsse, was sie für ihre Mitmenschen tun wollten. Das Irdische trat in den Hintergrund, die Ewigkeit schien frei vor ihnen zu liegen, und die das ewige Wohl und Wehe der Seele betreffenden Dinge stellten alle zeitlichen Fragen in den Schatten. Der Geist Gottes ruhte auf ihnen und verlieh ihrem ernsten Aufruf an ihre Brüder und an die Sünder, sich auf den Tag Gottes vorzubereiten, besondere Kraft. Das stille Zeugnis ihres täglichen Wandels war für die scheinheiligen und unbekehrten Kirchenglieder ein beständiger Vorwurf. Sie wünschten in ihrer Jagd nach Vergnügungen, Gelderwerb und weltlicher Ehre nicht gestört zu werden. Auf diese Weise entstand Feindschaft und Widerstreit gegen die Adventwahrheit und ihre Verkünder. GK.343.1 Teilen

Da die Beweisführungen aus den prophetischen Zeitabschnitten nicht erschüttert werden konnten, bemühten sich die Gegner, von der Untersuchung dieses Themas abzuraten, indem sie lehrten, die Weissagungen seien versiegelt. Also folgten die Protestanten den Fußtapfen der römisch-katholischen Kirche. Während die päpstliche Kirche den Laien die Bibel vorenthielt, (Siehe Anm. 047) behaupteten die protestantischen Kirchen, dass ein wichtiger Teil des heiligen Wortes nicht verstanden werden könne, und zwar jener Teil, der vor allem Wahrheiten enthält, die auf unsere Zeit verweisen. GK.343.2 Teilen

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Prediger und Volk erklärten, die Weissagungen Daniels und der Offenbarung seien unverständliche Geheimnisse. Aber Christus hatte seine Jünger hinsichtlich der Ereignisse, die in ihrer Zeit stattfinden sollten, auf die Worte des Propheten Daniel verwiesen und gesagt: „Wer das liest, der merke darauf!“ Matthäus 24,15. Der Behauptung, dass die Offenbarung ein Geheimnis sei, das nicht verstanden werden könne, widerspricht schon der Titel dieses Buches: „Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in der Kürze geschehen soll ... Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe.“ Offenbarung 1,1-3. GK.344.1 Teilen

Der Prophet sagt: „Selig ist, der da liest.“ Es gibt solche, die nicht lesen wollen; so gilt ihnen auch der Segen nicht. „Und die da hören“: Es gibt auch etliche, dich sich weigern, etwas von den Weissagungen anzuhören; auch dieser Gruppe von Menschen gilt der Segen nicht. „Und behalten, was darin geschrieben ist“: Viele weigern sich, auf die in der Offenbarung enthaltenen Warnungen und Unterweisungen achtzugeben; auch sie können den verheißenen Segen nicht beanspruchen. Alle, welche die Weissagungen ins Lächerliche ziehen und über ihre feierlich gegebenen Sinnbilder spotten; alle, die sich weigern, ihr Leben umzugestalten und sich auf die Zukunft des Menschensohnes vorzubereiten, werden ohne Segen bleiben. GK.344.2 Teilen

Wie können Menschen es angesichts des Zeugnisses der göttlichen Eingebung wagen, zu lehren, dass die Offenbarung ein Geheimnis sei, das über den Bereich des menschlichen Verständnisses hinausgeht? Sie ist ein offenbartes Geheimnis, ein geöffnetes Buch. Das Studium der Offenbarung lenkt die Gedanken auf die Weissagungen Daniels, und beide enthalten außerordentlich wichtige Unterweisungen, die Gott den Menschen über die am Ende der Weltgeschichte stattfindenden Ereignisse gegeben hat. GK.344.3 Teilen

Johannes wurde ein tiefer und durchdringender Einblick in die Erfahrungen der Gemeinde gewährt. Er schaute die Stellung, die Gefahren, die Kämpfe und die endliche Befreiung des Volkes Gottes. Er vernahm die Schlußbotschaften, welche die Ernte der Erde zur Reife bringen werden, entweder als Garben für die himmlischen Scheunen oder als Reisigbündel für das Feuer der Vernichtung. Besonders wichtige Dinge wurden ihm vor allem für die Gemeinde offenbart, damit die, welche sich vom Irrtum zur Wahrheit wenden sollten, über die ihnen bevorstehenden Gefahren und Kämpfe unterrichtet wären. Niemand braucht über das zukünftige Geschehen auf Erden im unklaren zu sein. GK.344.4 Teilen

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Warum denn diese weitverbreitete Unkenntnis über einen wichtigen Teil der Schrift? Woher diese allgemeine Abneigung, ihre Lehren zu untersuchen? Es ist die Folge eines wohlberechneten Planes Satans, des Fürsten der Finsternis, vor den Menschen das zu verbergen, was seine Täuschungen offenbar werden läßt. Aus diesem Grunde segnete Christus, der Offenbarer, indem er den Kampf gegen das Studium der Offenbarung voraussah, alle Menschen, die die Worte der Weissagung lesen, hören und beachten. GK.345.1 Teilen

Kapitel 19: Licht durch Finsternis
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Das Werk Gottes auf Erden zeigt durch alle Jahrhunderte hindurch in jeder großen Reformation oder religiösen Bewegung eine auffallende Gleichartigkeit. Die Grundzüge des Handelns Gottes mit den Menschen sind stets die gleichen. Die wichtigsten Bewegungen der Gegenwart haben ihre Parallelen in denen der Vergangenheit, und die Erfahrungen der Gemeinde früherer Zeiten bieten wertvolle Lehren für unsere heutige Zeit. GK.346.1 Teilen

Dass Gott durch seinen Heiligen Geist seine Diener auf Erden in ganz besonderer Weise in den großen Bewegungen zur Weiterführung des Heilswerkes lenkt, lehrt die Bibel mit aller Deutlichkeit. Menschen sind Werkzeuge in Gottes Hand; er bedient sich ihrer, um seine Absichten der Gnade und der Barmherzigkeit auszuführen. Jeder hat seine Aufgabe; jedem ist ein Maß an Erkenntnis verliehen, das den Erfordernissen seiner Zeit entspricht und hinreicht, ihn zur Durchführung des Werkes zu befähigen, das Gott ihm auferlegt hat. Aber kein Mensch, wie sehr er auch vom Himmel geehrt werden mag, hat den großen Erlösungsplan völlig verstanden oder auch nur die göttliche Absicht in dem Werk für seine Zeit erkannt. Die Menschen verstehen nicht restlos, was Gott durch die Aufgabe, die er ihnen auferlegt, ausführen möchte; sie begreifen die Botschaft, die sie in seinem Namen verkündigen, nicht in ihrer ganzen Tragweite. GK.346.2 Teilen

„Meinst du, dass du wissest, was Gott weiß, und wollest es so vollkommen treffen wie der Allmächtige?“ „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr; sondern soviel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege und meine Gedanken denn eure Gedanken.“ „Ich bin Gott, und keiner mehr, ein Gott, desgleichen nirgend ist, der ich verkündige zuvor, was hernach kommen soll, und vorlängst, ehe denn es geschieht.“ Hiob 11,7; Jesaja 55,8.9; Jesaja 46,9.10. GK.346.3 Teilen

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Selbst die Propheten, die durch die besondere Erleuchtung des Geistes begünstigt worden waren, erfaßten die Bedeutung der ihnen anvertrauten Offenbarungen nur zum Teil. Der Sinn sollte nach und nach entfaltet werden, je nachdem das Volk Gottes die darin enthaltenen Belehrungen benötigen würde. GK.347.1 Teilen

Petrus schrieb von der durch das Evangelium offenbarten Erlösung und sagte: „Nach dieser Seligkeit haben gesucht und geforscht die Propheten, die von der Gnade geweissagt haben, so auf euch kommen sollte, und haben geforscht, auf welche und welcherlei Zeit deutete der Geist Christi, der in ihnen war und zuvor bezeugt hat die Leiden, die über Christum kommen sollten, und die Herrlichkeit darnach; welchen es offenbart ist. Denn sie haben’s nicht sich selbst, sondern uns dargetan.“ 1.Petrus 1,10-12. GK.347.2 Teilen

Obgleich es den Propheten nicht gegeben war, die ihnen offenbarten Dinge völlig zu verstehen, suchten sie doch ernsthaft alle Erkenntnis zu gewinnen, die ihnen zu gewähren Gott für gut befand. Sie suchten und forschten, auf welche und welcherlei Zeit der Geist Christi deutete, der in ihnen war. Welch eine Lehre für die Kinder Gottes im christlichen Zeitalter, zu deren Nutzen diese Weissagungen den Dienern Gottes gegeben wurden! Nicht für sie selbst, sondern für uns wurden sie gegeben. Schaut diese heiligen Männer Gottes an, die in den ihnen gegebenen Offenbarungen für die noch nicht geborenen Geschlechter gesucht und geforscht haben. Stellt ihren heiligen Eifer der sorgenlosen Gleichgültigkeit gegenüber, mit der die Bevorzugten späterer Jahrhunderte diese Gabe des Himmels behandelten. Welch ein Vorwurf für die bequeme, weltliebende Gleichgültigkeit, die sich mit der Erklärung zufrieden gibt, die Weissagungen seien nicht zu verstehen! GK.347.3 Teilen

Obwohl der beschränkte menschliche Verstand unzulänglich ist, den Rat des Ewigen zu erforschen oder das Ende seiner Absichten völlig zu verstehen, so liegt es doch häufig an einem Irrtum oder einer Vernachlässigung seitens der Menschen, dass sie die Botschaften vom Himmel so unklar erfassen. Häufig sind die Gemüter, sogar die der Knechte Gottes, durch menschliche Anschauungen, Satzungen und falsche Lehren so verblendet, dass sie die großen Gedanken, die er in seinem Wort offenbart hat, nur teilweise begreifen können. So verhielt es sich mit den Jüngern Christi, selbst als der Heiland bei ihnen war. Ihr Verständnis war durchdrungen von den volkstümlichen Begriffen vom Messias, die in ihm einen weltlichen Fürsten sahen, der Israel zu einer weltumspannenden Großmacht emporbringen sollte, und sie konnten die Bedeutung seiner Worte, die seine Leiden und seinen Tod voraussagten, nicht begreifen. GK.347.4 Teilen

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Christus selbst hatte sie mit der Botschaft hinausgesandt: „Die Zeit ist erfüllet, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ Markus 1,15. Diese Botschaft gründete sich auf Daniel 9. Der Engel hatte einst erklärt, dass die neunundsechzig Wochen bis auf Christus, den Fürsten, reichen sollten; und mit großen Hoffnungen und freudigen Erwartungen blickten die Jünger vorwärts auf die Errichtung des messianischen Reiches in Jerusalem, das die ganze Erde beherrschen sollte. GK.348.1 Teilen

Sie predigten die ihnen von Christus anvertraute Botschaft, obgleich sie ihren Sinn mißverstanden. Während sich ihre Verkündigung auf Daniel 9,25 stützte, übersahen sie, dass — nach dem nächsten Vers des gleichen Kapitels — der Gesalbte ausgerottet werden sollte. Von ihrer frühesten Jugend an hing ihr Herz an der vorausempfundenen Herrlichkeit eines irdischen Reiches. Dadurch befanden sie sich, was sowohl die prophetischen Angaben als auch die Worte Christi betrifft, in einem Zustand geistiger Blindheit. GK.348.2 Teilen

Sie erfüllten ihre Pflicht, indem sie der jüdischen Nation die Einladung der Barmherzigkeit anboten, und dann, gerade zu der Zeit, als sie erwarteten, dass ihr Herr den Thron Davids einnehmen werde, sahen sie ihn wie einen Übeltäter ergriffen, gegeißelt, verspottet, verurteilt und an das Kreuz von Golgatha geschlagen. Welche Verzweiflung und seelischen Qualen marterte die Herzen der Jünger während der Tage, da ihr Herr im Grabe schlief! GK.348.3 Teilen

Christus war zur vorhergesagten Zeit und auf die in der Weissagung angedeutete Art und Weise gekommen. Das Zeugnis der Schrift war in jeder Einzelheit seines Lehramtes erfüllt worden. Er hatte die Botschaft des Heils verkündigt, und „seine Rede war gewaltig“ gewesen. Lukas 4,32. Seine Zuhörer hatten es an ihren Herzen erfahren, dass sie göttlichem Geist entstammte. Das Wort und der Geist Gottes bestätigten die göttliche Sendung seines Sohnes. GK.348.4 Teilen

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Die Jünger hingen noch immer mit unveränderter Hingabe an ihrem geliebten Meister; und doch waren ihre Gemüter in Ungewißheit und Zweifel gehüllt. In ihrer Seelenangst dachten sie nicht an die Worte Christi, die auf seine Leiden und auf seinen Tod hinwiesen. Wäre Jesus von Nazareth der wahre Messias gewesen, würden sie dann auf solche Weise in Täuschung und Schmerz gestürzt worden sein? Diese Frage quälte ihre Seelen, als der Heiland während der hoffnungslosen Stunden jenes Sabbats, der zwischen seinem Tode und seiner Auferstehung lag, im Grabe ruhte. GK.349.1 Teilen

Obgleich die Nacht der Sorgen finster über diese Nachfolger Christi hereinbrach, waren sie doch nicht verlassen. Der Prophet sagte: „So ich im Finstern sitze, so ist doch der Herr mein Licht ... er wird mich ans Licht bringen, dass ich meine Lust an seiner Gnade sehe.“ „Denn auch Finsternis nicht finster ist bei dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag, Finsternis ist wie das Licht.“ Gott hatte gesagt: „Den Frommen geht das Licht auf in der Finsternis.“ „Aber die Blinden will ich auf dem Wege leiten, den sie nicht wissen; ich will sie führen auf den Steigen, die sie nicht kennen; ich will die Finsternis vor ihnen her zum Licht machen und das Höckerichte zur Ebene. Solches will ich ihnen tun und sie nicht verlassen.“ Micha 7,8.9; Psalm 139,12; Psalm 112,4; Jesaja 42,16. GK.349.2 Teilen

Die Verkündigung, die die Jünger im Namen des Herrn hinausgetragen hatten, war in jeder Hinsicht richtig, und die Ereignisse, auf die sie verwiesen, spielten sich gerade zu der Zeit ab. „Die Zeit ist erfüllet, und das Reich Gottes ist herbeigekommen!“ Markus 1,15. war ihre Botschaft gewesen. Beim Ablauf der Zeit — der neunundsechzig Wochen aus Daniel 9, die bis auf den Messias, den Gesalbten, reichen sollten — hatte Christus nach seiner Taufe durch Johannes im Jordan die Salbung des Heiligen Geistes empfangen. Und das Himmelreich, das sie als herbeigekommen erklärt hatten, wurde beim Tode Christi aufgerichtet. Dies Reich war nicht, wie man sie gelehrt hatte, ein irdisches Reich; auch war es nicht das zukünftige unvergängliche Reich, das erst aufgerichtet werden wird, wenn „das Reich, Gewalt und Macht unter dem ganzen Himmel wird dem heiligen Volk des Höchsten gegeben werden, des Reich ewig ist“, und alle Gewalt ihm dienen und gehorchen wird. Daniel 7,27. In der Bibel werden mit dem Ausdruck „Himmelreich“ sowohl das Reich der Gnade wie das Reich der Herrlichkeit bezeichnet. Das Reich der Gnade wird uns von Paulus im Hebräerbrief vor Augen geführt. Nach dem Hinweis auf Christus, den barmherzigen Fürsprecher, der sich unserer Schwachheit annimmt, fährt der Apostel fort: „Darum lasset uns hinzutreten mit Freudigkeit zu dem Gnadenstuhl, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden.“ Hebräer 4,16. Der Gnadenstuhl oder Gnadenthron vergegenwärtigt das Gnadenreich, denn das Vorhandensein eines Thrones setzt das Bestehen eines Reiches voraus. In vielen seiner Gleichnisse wendet Christus den Ausdruck „das Himmelreich“ an, um das Werk der göttlichen Gnade an den Herzen der Menschen zu bezeichnen. GK.349.3 Teilen

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So vergegenwärtigt der Stuhl der Herrlichkeit das Reich der Herrlichkeit; und auf dieses Reich beziehen sich die Worte des Heilandes: „Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit, und werden vor ihm alle Völker versammelt werden.“ Matthäus 25,31.32. Dieses Reich liegt noch in der Zukunft, es wird erst bei der Wiederkunft Christi aufgerichtet werden. GK.350.1 Teilen

Das Reich der Gnade wurde unmittelbar nach dem Sündenfall eingesetzt, als ein Plan zur Erlösung des schuldigen Menschengeschlechts entstand. Es offenbarte sich damals in der Absicht und in der Verheißung Gottes, und durch den Glauben konnten die Menschen seine Untertanen werden. Tatsächlich wurde es jedoch erst beim Tode Christi aufgerichtet. Noch nach dem Antritt seiner irdischen Mission hätte sich der Heiland, ermattet von der Hartnäckigkeit und Undankbarkeit der Menschen, dem auf Golgatha darzubringenden Opfer entziehen können. In Gethsemane zitterte der Leidenskelch in seiner Hand. Selbst da noch hätte er den Blutschweiß von seiner Stirn wischen und das schuldige Geschlecht in seiner Sünde zugrunde gehen lassen können. Dann aber wäre die Erlösung für den gefallenen Menschen unmöglich geworden. Doch als der Heiland sein Leben hingab und mit seinem letzten Atemzug ausrief: „Es ist vollbracht!“ (Johannes 19,30), da war die Durchführung des Erlösungsplanes gesichert. Die dem sündigen Paar in Eden gegebene Verheißung des Heils war bestätigt. Das Reich der Gnade, das zuvor in der Verheißung Gottes bestanden hatte, war nun aufgerichtet. GK.350.2 Teilen

351

Somit gereichte der Tod Christi — gerade das Ereignis, das die Jünger als den gänzlichen Untergang ihrer Hoffnung betrachtet hatten — dazu, diese für ewig zu gründen. Während der Tod Jesu sie grausam enttäuscht hatte, bedeutete er doch den höchsten Beweis, dass ihr Glaube richtig gewesen war. Das Ereignis, das sie mit Trauer und Verzweiflung erfüllt hatte, öffnete jedem Kind Adams die Tür der Hoffnung. Im Tode Jesu gipfelt das zukünftige Leben und die ewige Glückseligkeit der Gottgetreuen aller Zeitalter. GK.351.1 Teilen

Absichten voll unendlicher Barmherzigkeit gingen gerade durch die Enttäuschung der Jünger in Erfüllung. Während ihre Herzen von der göttlichen Anmut und von der Macht der Lehre dessen, der da redete, wie noch nie ein Mensch geredet (Johannes 7,46) hatte, gewonnen worden waren, zeigte es sich, dass mit dem reinen Gold ihrer Liebe zu Jesus doch noch die wertlose Schlacke weltlichen Stolzes und selbstsüchtigen Ehrgeizes vermengt war. Noch im oberen Saal, wo alles für das Essen des Passahlammes vorbereitet stand, in jener feierlichen Stunde, da der Meister schon in den Schatten Gethsemanes trat, „erhob sich ... ein Zank unter ihnen, welcher unter ihnen sollte für den Größten gehalten werden“. Lukas 22,24. Ihnen schwebte das Bild des Thrones, der Krone und der Herrlichkeit vor Augen, während doch die Schmach und Seelenangst im Garten Gethsemane, das Richthaus und das Kreuz auf Golgatha vor ihnen lagen. Der Stolz ihres Herzens, ihr Verlangen nach weltlichem Ruhm verleitete sie, hartnäckig an den falschen Lehren ihrer Zeit festzuhalten und die Worte des Heilandes, welche die wahre Beschaffenheit seines Reiches beschrieben und auf seine Leiden und seinen Tod hinwiesen, unbeachtet zu lassen. Und diese Irrtümer führten zu der schweren aber notwendigen Prüfung, die zu ihrer Besserung zugelassen wurde. Obgleich die Jünger den Sinn ihrer Botschaft verkehrt aufgefaßt hatten und sie ihre Erwartungen nicht verwirklicht sahen, so hatten sie doch die ihnen von Gott aufgetragene Warnung verkündigt, und der Herr wollte ihren Glauben belohnen und ihren Gehorsam ehren. Ihnen sollte das Werk anvertraut werden, das herrliche Evangelium von ihrem auferstandenen Herrn unter allen Völkern zu verbreiten. Um sie darauf vorzubereiten, mussten sie durch die ihnen so bitter erscheinende Erfahrung hindurchgehen. GK.351.2 Teilen

352

Nach seiner Auferstehung erschien Jesus seinen Jüngern auf dem Wege nach Emmaus und „fing an von Mose und allen Propheten und legte ihnen alle Schriften aus, die von ihm gesagt waren“. Lukas 24,27. Die Herzen der Jünger wurden bewegt. Ihr Glaube entbrannte. Sie wurden „wiedergeboren ... zu einer lebendigen Hoffnung“ (1.Petrus 1,3), noch ehe sich Jesus ihnen zu erkennen gab. Es lag in seiner Absicht, ihren Verstand zu erleuchten und ihren Glauben auf das feste prophetische Wort zu gründen. Er wünschte, dass die Wahrheit in ihren Herzen fest Wurzel faßte, nicht nur weil sie von seinem persönlichen Zeugnis unterstützt war, sondern auch um des untrüglichen Beweises willen, der in den Symbolen und Schattenbildern des Zeremonialgesetzes sowie in den Weissagungen des Alten Testaments lag. Es war für die Nachfolger Christi notwendig, einen verständigen Glauben zu haben, nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch, um der Welt die Erkenntnis Christi verkündigen zu können. Für den allerersten Schritt im Weitergeben dieser Erkenntnis verwies Jesus die Jünger auf Mose und die Propheten. In der Weise zeugte der auferstandene Heiland von dem Wert und der Wichtigkeit der alttestamentlichen Schriften. GK.352.1 Teilen

Welch eine Veränderung ging in den Herzen der Jünger vor, als sie noch einmal in das geliebte Antlitz ihres Meisters blickten! Lukas 24,32. In einem vollkommeneren und vollständigeren Sinn als je zuvor hatten sie den „gefunden, von welchem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben“. Johannes 1,45. Ungewißheit, Angst und Verzweiflung wichen vollkommener Zuversicht und felsenfestem Glauben. So war es nicht verwunderlich, dass sie nach seiner Auferstehung „waren allewege im Tempel, priesen und lobten Gott“. Lukas 24,53. Das Volk, das nur von des Heilandes schmachvollem Tode wußte, erwartete in ihren Mienen einen Ausdruck von Trauer, Verwirrung und Enttäuschung zu finden; statt dessen sah es Freude und Siegesgefühl. Welch eine Vorbereitung hatten diese Jünger für die ihnen bevorstehende Aufgabe empfangen! Sie waren durch die schwerste Prüfung hindurchgegangen, die sie treffen konnte, und hatten gesehen, dass das Wort Gottes sieghaft in Erfüllung ging, als nach menschlichem Urteil alles verloren war. Was vermochte ihren Glauben hinfort zu erschüttern oder ihre glühende Liebe zu dämpfen? In ihren bittersten Ängsten hatten sie „einen starken Trost“, eine Hoffnung, „einen sichern und festen Anker“ der Seele. Hebräer 6,18.19. Sie waren Zeugen der Weisheit und Macht Gottes gewesen und wußten „gewiß, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur“ sie zu scheiden vermochte „von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn“. „In dem allem“, sagten sie, „überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat.“ Römer 8,38.39.37. „Aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit.“ „Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferwecket ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.“ 1.Petrus 1,25; Römer 8,34. GK.352.2 Teilen

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Der Herr sagt: „Mein Volk soll nicht mehr zu Schanden werden.“ „Den Abend lang währt das Weinen, aber des Morgens ist Freude.“ Joel 2,26; Psalm 30,6. Hätten die Jünger ihre gegenwärtige Hoffnung wohl gegen die Hoffnung ihrer früheren Jüngerschaft tauschen mögen, als sie den Heiland an seinem Auferstehungstag trafen und ihre Herzen brannten, während sie seinen Worten lauschten? Was ging in ihnen vor, als sie auf Haupt, Hände und Füße blickten, die um ihretwillen verwundet worden waren? Welche Gedanken erfüllten sie, als Jesus sie vor seiner Himmelfahrt gen Bethanien führte, segnend seine Hände erhob und ihnen gebot: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur“, und dann hinzusetzte, „denn siehe, ich bin bei euch alle Tage“? Markus 16,15; Matthäus 28,20. Wo war nur ihre Angst vor dem Weg, der sie durch Opfer und Martertod führen sollte, als am Tage der Pfingsten der verheißene Tröster herabkam, ihnen die Kraft aus der Höhe vermittelte und die Gläubigen sich der Gegenwart ihres aufgefahrenen Herrn bewußt wurden? Ob die Jünger angesichts aller dieser Erfahrungen wohl das Amt des Evangeliums seiner Gnade und „die Krone der Gerechtigkeit“ (2.Timotheus 4,8), die sie bei seinem Erscheinen empfangen sollten, gegen die Herrlichkeit eines irdischen Thrones hätten vertauschen wollen? Der „aber, der überschwenglich tun kann über alles, das wir bitten oder verstehen“, hatte ihnen mit der Gemeinschaft seiner Leiden auch die Gemeinschaft seiner Freude verliehen, — der Freude, „viel Kinder ... zur Herrlichkeit“ zu führen; es ist eine unaussprechliche Freude, „eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit“, und „unsre Trübsal, die zeitlich und leicht“, ist ihr gegenüber, wie Paulus sagt, „nicht wert“. Epheser 3,20; Hebräer 2,10; 2.Korinther 4,17; Römer 8,18. GK.353.1 Teilen

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Die Erfahrung der Jünger, die beim ersten Kommen Christi „das Evangelium vom Reich“ verkündigten, hat ihr Gegenstück in der Erfahrung derer, die die Botschaft seiner Wiederkunft verbreiteten. Gleichwie die Jünger hinausgingen und predigten: „Die Zeit ist erfüllet, das Reich Gottes ist herbeigekommen“, so verkündigten Miller und seine Mitarbeiter, dass der längste und letzte prophetische Zeitabschnitt, den die Bibel erwähnt, fast abgelaufen sei, dass das Gericht unmittelbar bevorstände und das ewige Reich bald anbrechen würde. Die Predigt der Jünger gründete sich hinsichtlich der Zeit auf die siebzig Wochen in Daniel 9. Die von Miller und seinen Gefährten verbreitete Botschaft kündete den Ablauf der zweitausenddreihundert Tage an, von denen die siebzig Wochen einen Teil bilden. Mithin hatte die Predigt sowohl der Jünger als auch Millers die Erfüllung je eines Teiles derselben prophetischen Zeitspanne zu ihrer festen Grundlage. GK.354.1 Teilen

Gleich den ersten Jüngern verstanden William Miller und seine Freunde selbst nicht völlig die Tragweite der Botschaft, die sie verkündigten. Lange in der Kirche genährte Irrtümer hinderten sie, zur richtigen Auslegung einer wichtigen Seite der Weissagung zu gelangen. Obgleich sie die Botschaft predigten, die Gott ihnen zur Verkündigung an die Welt anvertraut hatte, wurden sie dennoch durch eine falsche Auffassung ihrer Bedeutung enttäuscht. GK.354.2 Teilen

Bei der Erklärung von Daniel 8,14: „Bis zweitausenddreihundert Abende und Morgen um sind, dann wird das Heiligtum wieder geweiht werden“, teilte Miller die allgemein herrschende Ansicht, dass die Erde das Heiligtum sei. Er glaubte, dass die Weihe des Heiligtums, die Läuterung der Erde durch Feuer, am Tage der Wiederkunft des Herrn stattfände. Als er fand, dass der Ablauf der zweitausenddreihundert Tage bestimmt angegeben worden war, schloß er daraus, dass dies die Zeit der Wiederkunft offenbare. Sein Irrtum entstand dadurch, dass er bezüglich des Heiligtums die volkstümliche Ansicht annahm. GK.354.3 Teilen

355

Im Schattendienst, der ein Hinweis auf das Opfer und die Priesterschaft war, bildete die Reinigung (Weihe) des Heiligtums den letzten Dienst, der vom Hohenpriester in der jährlichen Amtsführung ausgeübt wurde. Es war dies das abschließende Werk der Versöhnung, ein Wegschaffen oder Abtun der Sünde von Israel, und versinnbildete das Schlußwerk im Amte unseres Hohenpriesters im Himmel, wobei er die Sünden seines Volkes, die in den himmlischen Büchern verzeichnet stehen, hinwegnimmt oder austilgt. Dieser Dienst schließt eine Untersuchung, einen Gerichtsprozeß ein, der der Wiederkunft Christi in den Wolken des Himmels mit großer Macht und Herrlichkeit unmittelbar voraufgeht; denn wenn er erscheint, ist jeder Fall schon entschieden worden. Jesus sagt: „Siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, zu geben einem jeglichen, wie seine Werke sein werden.“ Offenbarung 22,12. Dieses Gericht vor der Wiederkunft wird in der ersten Engelsbotschaft von Offenbarung 14,7 angekündigt: „Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre; denn die Zeit seines Gerichts ist gekommen!“ GK.355.1 Teilen

Alle, die diese Warnung verkündigten, gaben die richtige Botschaft zur rechten Zeit. Doch wie die ersten Jünger auf Grund der Weissagung in Daniel 9 erklärten: „Die Zeit ist erfüllet, und das Reich Gottes ist herbeigekommen“ und dennoch nicht erkannten, dass der Tod des Messias in der gleichen Schriftstelle angekündigt wurde, so predigten auch Miller und seine Mitarbeiter die auf Daniel 8,14 und Offenbarung 14,7 beruhende Botschaft, ohne zu erkennen, dass in Offenbarung 14 noch andere Botschaften dargelegt waren, die ebenfalls vor der Wiederkunft Christi verkündigt werden sollten. Wie sich die Jünger über das Reich getäuscht hatten, das am Ende der siebzig Wochen aufgerichtet werden sollte, so befanden sich die Adventisten bezüglich des Ereignisses, das für das Ende der zweitausenddreihundert Tage verheißen war, im Irrtum. Beide Male war es eine Annahme oder vielmehr ein Festhalten an den volkstümlichen Irrtümern, das den Sinn für die Wahrheit verdunkelte. Jünger wie Adventisten erfüllten den Willen Gottes indem sie die Botschaft predigten, die verkündigt werden sollte; beide Gruppen wurden infolge ihrer verkehrten Auffassung von der Botschaft Gottes enttäuscht. GK.355.2 Teilen

356

Dennoch erreichte Gott seine wohltätige Absicht, und er ließ es zu, dass die Gerichtswarnung auf die erwähnte Weise verkündigt wurde. Der große Tag stand nahe bevor, und in Gottes Vorsehung wurden die Menschen bezüglich einer bestimmten Zeit geprüft, um ihnen zu offenbaren, was in ihren Herzen war. Die Botschaft war zur Prüfung und Reinigung der Gemeinden bestimmt. Diese sollten dahin gebracht werden, zu erkennen, ob ihre Herzen auf diese Welt oder auf Christus und den Himmel gerichtet waren. Sie gaben vor, den Heiland zu lieben; nun sollten sie ihre Liebe beweisen. Waren sie bereit, ihre weltlichen Hoffnungen und ehrgeizigen Pläne fahren zu lassen und mit Freuden die Ankunft ihres Herrn zu erwarten? Die Botschaft sollte sie befähigen, ihren wahren geistlichen Zustand zu erkennen; sie war in Gnaden gesandt worden, um sie anzuspornen, den Herrn reuig und demütig zu suchen. GK.356.1 Teilen

Auch die Fehlrechnung, die sie verkündigten — obgleich sie die Folge ihrer eigenen verkehrten Auffassung der Botschaft war —, sollte zum Besten gewendet werden. Sie stellte die Herzen derer, die vorgegeben hatten, die Warnung anzunehmen, auf die Probe. Würden sie angesichts ihrer Enttäuschung ihre Erfahrung aufgeben und ihr Vertrauen auf das Wort Gottes wegwerfen? Oder würden sie demütig und unter Gebet zu entdecken suchen, wo sie die Weissagung falsch verstanden hatten? Wie viele hatten aus Furcht, aus blindem Antrieb und in Erregung gehandelt? Wie viele waren halbherzig und ungläubig? Tausende bekannten, die Erscheinung des Herrn liebzuhaben. Würden sie unter dem Spott und der Schmach der Welt, unter der Verzögerung und Enttäuschung den Glauben verleugnen? Würden sie, weil sie Gottes Handlungsweise mit ihnen nicht gleich verstehen konnten, Wahrheiten beiseitesetzen, die auf den sehr klaren Aussagen seines Wortes beruhten? GK.356.2 Teilen

Diese Probe sollte die Standhaftigkeit derer offenbaren, die im Glauben gehorsam gewesen waren gegen das, was sie als Lehre des Wortes Gottes angenommen hatten. Diese Erfahrung war wie keine andere bestimmt, ihnen die Gefahren zu zeigen, die damit verknüpft sind, wenn Theorien und Auslegungen der Menschen angenommen werden, statt die Bibel sich selbst erklären zu lassen. In den Kindern des Glaubens würden die aus ihrem Irrtum hervorgehenden Schwierigkeiten und Sorgen die nötige Besserung wirken; sie würden zu einem gründlicheren Studium des prophetischen Wortes veranlaßt werden und lernen, die Grundlagen ihres Glaubens sorgfältiger zu prüfen und alles Unbiblische, wie verbreitet es auch in der Christenheit sein mochte, zu verwerfen. GK.356.3 Teilen

357

Diese Gläubigen sollten wie die ersten Jünger über das, was sie in der Stunde der Prüfung nicht verstanden, später aufgeklärt werden. Sähen sie „das Ende des Herrn“ (Jakobus 5,11), dann wüßten sie, dass sich seine Liebesabsichten ihnen gegenüber trotz der Schwierigkeiten, die sich aus ihren Irrtümern ergaben, erfüllt hatten. Sie erkennten durch eine segenbringende Erfahrung, dass der Herr „barmherzig und ein Erbarmer“ ist; dass alle seine Wege „sind eitel Güte und Wahrheit denen, die seinen Bund und seine Zeugnisse halten“. Psalm 25,10. GK.357.1 Teilen

Kapitel 20: Eine große religiöse Erweckung
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In der Weissagung über die erste Engelsbotschaft in Offenbarung 14 wird unter der Verkündigung der baldigen Ankunft Christi eine große religiöse Erweckung vorhergesagt. Johannes sieht „einen Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evangelium zu verkündigen denen, die auf Erden wohnen, und allen Heiden und Geschlechtern und Sprachen und Völkern“. Mit großer Stimme verkündete er die Botschaft: „Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre; denn die Zeit seines Gerichts ist gekommen! Und betet an den, der gemacht hat Himmel und Erde und Meer und die Wasserbrunnen.“ Offenbarung 14,6.7. GK.358.1 Teilen

Die Tatsache, dass ein Engel als Herold dieser Warnung bezeichnet wird, ist bedeutungsvoll. Es hat der göttlichen Weisheit gefallen, durch die Reinheit, Herrlichkeit und Macht des himmlischen Boten die Erhabenheit des durch die Botschaft auszuführenden Werkes sowie die Macht und Herrlichkeit, die sie begleiten sollten, darzustellen. Der „mitten durch den Himmel“ fliegende Engel, die „große Stimme“, mit der die Botschaft verkündigt wird, und ihre Verbreitung unter allen, „die auf Erden wohnen“ — „allen Heiden und Geschlechtern und Sprachen und Völkern“ —, bekunden die Schnelligkeit und die weltweite Ausdehnung der Bewegung. GK.358.2 Teilen

Die Botschaft erhellt die Zeit, wann diese Bewegung stattfinden soll. Es heißt, dass sie ein Teil des „ewigen Evangeliums“ sei, und sie kündigt den Beginn des Gerichts an. Die Heilsbotschaft ist zu allen Zeiten verkündigt worden; aber diese Botschaft hier ist ein Teil des Evangeliums, das nur in den letzten Tagen verkündigt werden kann, denn nur dann würde es wahr sein, dass die Stunde des Gerichts gekommen ist. Die Weissagungen zeigen eine Reihe von Ereignissen, die bis zum Beginn des Gerichts reichen. Dies ist besonders bei dem Buche Daniel der Fall. Jenen Teil seiner Weissagungen aber, der sich auf die letzten Tage bezieht, sollte Daniel verbergen und versiegeln „bis auf die letzte Zeit“. Erst dann, als diese Zeit erreicht war, konnte die Botschaft des Gerichts, die sich auf die Erfüllung dieser Weissagung gründet, verkündigt werden. Aber in der letzten Zeit, sagt der Prophet, „werden viele darüberkommen und großen Verstand finden“. Daniel 12,4. GK.358.3 Teilen

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Der Apostel Paulus warnte die Gemeinde, die Wiederkunft Christi in seinen Tagen zu erwarten: „Denn er (der Tag Christi) kommt nicht, es sei denn, dass zuvor der Abfall komme und offenbart werde der Mensch der Sünde.“ 2.Thessalonicher 2,3. Erst nach dem großen Abfall und der langen Regierungszeit des „Menschen der Sünde“ dürfen wir die Ankunft unseres Herrn erwarten. Diese Zeit endete im Jahre 1798. Das Kommen Christi konnte nicht vor jener Zeit stattfinden. Die Warnung des Paulus erstreckt sich über die lange christliche Bundeszeit bis zum Jahre 1798. Erst danach sollte die Botschaft von der Wiederkunft Christi verkündigt werden. GK.359.1 Teilen

Eine solche Botschaft wurde in den vergangenen Zeiten nie gepredigt. Paulus verkündigte sie, wie wir gesehen haben, nicht, er verwies seine Brüder in der Frage der Wiederkunft des Herrn in die damals weit entfernte Zukunft. Die Reformatoren verkündigten sie nicht. Martin Luther erwartete das Gericht ungefähr dreihundert Jahre nach seiner Zeit. Aber seit dem Jahre 1798 ist das Buch Daniel entsiegelt worden, das Verständnis der Weissagungen hat zugenommen, und viele haben die feierliche Botschaft von dem nahen Gericht verkündigt. GK.359.2 Teilen

Wie die große Reformation im 16. Jahrhundert, so kam die Adventbewegung gleichzeitig in verschiedenen Ländern der Christenheit auf. Sowohl in Europa als auch in Amerika studierten Männer des Glaubens und des Gebets die Weissagungen, verfolgten die von Gott eingegebenen Berichte und fanden überzeugende Beweise, dass das Ende aller Dinge nahe war. In verschiedenen Ländern entstanden vereinzelte Gruppen von Christen, die allein durch das Studium der Heiligen Schrift zu der Überzeugung gelangten, dass die Ankunft des Heilandes bevorstand. GK.359.3 Teilen

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Im Jahre 1821, drei Jahre nachdem Miller das Verständnis der Weissagungen aufgegangen war, die auf die Zeit des Gerichts hinwiesen, begann Dr. Joseph Wolff, „der Missionar für die ganze Welt“, das baldige Kommen des Herrn zu verkündigen. Wolff war Jude, aus Deutschland gebürtig; sein Vater war Rabbiner. Schon sehr früh wurde Wolff von der Wahrheit der christlichen Religion überzeugt. Von tätigem und forschendem Verstand, hatte er aufmerksam den im elterlichen Hause stattfindenden Gesprächen gelauscht, wenn sich dort täglich fromme Juden einfanden, um die Hoffnungen und Erwartungen ihres Volkes, die Herrlichkeit des kommenden Messias und die Wiederaufrichtung Israels zu besprechen. Als der Knabe eines Tages den Namen Jesus von Nazareth hörte, fragte er, wer das sei. Die Antwort lautete: „Ein höchst begabter Jude; weil er aber vorgab, der Messias zu sein, verurteilte ihn das jüdische Gericht zum Tode.“ — „Warum ist Jerusalem zerstört“, fuhr der Fragesteller fort, „und warum sind wir in Gefangenschaft?“ — „Ach“, antwortete der Vater, „weil die Juden die Propheten umbrachten.“ Dem Kind kam sofort der Gedanke: „Vielleicht war auch Jesus von Nazareth ein Prophet, und die Juden haben ihn getötet, obgleich er unschuldig war.“ 1 Dies Gefühl war so stark, dass er, obwohl es ihm untersagt war, eine christliche Kirche zu betreten, doch oft draußen stehenblieb, um der Predigt zuzuhören. GK.360.1 Teilen

Als er erst sieben Jahre alt war, prahlte er vor einem betagtem christlichen Nachbar von dem zukünftigen Triumph Israels beim Kommen des Messias, worauf der alte Mann freundlich sagte: „Mein Junge, ich will dir sagen, wer der wirkliche Messias war: Es war Jesus von Nazareth, ... den deine Vorfahren kreuzigten, wie sie vorzeiten auch die Propheten umbrachten. Geh heim und lies das 53. Kapitel des Jesaja, und du wirst überzeugt werden, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist.“ GK.360.2 Teilen

Wolff war sofort davon überzeugt, ging nach Hause, las den betreffenden Abschnitt und gewahrte mit Verwunderung, wie vollkommen dieser in Jesus von Nazareth erfüllt worden war. Konnten die Worte des Christen wahr sein? Der Knabe bat seinen Vater um eine Erklärung der Weissagung; dieser aber trat ihm mit einem so finsteren Schweigen entgegen, dass er es nie wieder wagte, darauf zurückzukommen. Immerhin verstärkte sich hierdurch sein Verlangen, mehr von der christlichen Religion zu erfahren. GK.360.3 Teilen

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Die Erkenntnis, die er suchte, wurde in seinem jüdischen Familienkreis sorgfältig von ihm ferngehalten; aber als er elf Jahre alt war, verließ er seines Vaters Haus, um in die Welt hinauszugehen, sich eine Ausbildung zu verschaffen und Religion und Beruf zu wählen. Er fand eine Zeitlang bei Verwandten Unterkunft, wurde aber bald als Abtrünniger von ihnen vertrieben und musste sich allein und mittellos seinen Weg unter Fremden bahnen. Er zog von Ort zu Ort, studierte fleißig und verdiente sich seinen Unterhalt durch hebräischen Sprachunterricht. Durch den Einfluß eines katholischen Lehrers wurde er zum päpstlichen Glauben geführt, und er faßte den Entschluß, Missionar unter seinem eigenen Volk zu werden. In dieser Absicht ging er wenige Jahre später an das katholische Missionsinstitut 1 nach Rom, um dort seine Studien fortzusetzen. Hier trug ihm seine Gewohnheit, unabhängig zu denken und offen zu reden, den Vorwurf der Ketzerei ein. Er griff vorbehaltlos die Mißbräuche der Kirche an und betonte die Notwendigkeit einer Umgestaltung. Obgleich er zuerst von den päpstlichen Würdenträgern mit besonderer Gunst behandelt worden war, musste er doch nach einiger Zeit Rom verlassen. Unter der Aufsicht der Kirche ging er von Ort zu Ort, bis man sich überzeugt hatte, dass er sich niemals dem Joch der römischen Kirche unterwerfen würde. Man nannte ihn unverbesserlich und ließ ihn gehen, wohin er wollte. Er schlug nun den Weg nach England ein und trat, indem er den protestantischen Glauben annahm, zur anglikanischen Kirche über. Nach zweijährigem intensivem Studium begann er im Jahre 1821 sein Lebenswerk. GK.361.1 Teilen

Während Wolff die große Wahrheit von der ersten Ankunft Christi als „des Allerverachtetsten und Unwertesten, voller Schmerzen und Krankheit“ annahm, erkannte er, dass die Weissagungen mit gleicher Deutlichkeit seine Wiederkunft in Macht und Herrlichkeit vor Augen führten. Und während er sein Volk zu Jesus von Nazareth, dem Verheißenen, führen und dessen Erscheinen in Niedrigkeit als ein Opfer für die Sünden der Menschen zeigen wollte, wies er sie gleichzeitig auf Christi Wiederkunft als König und Erlöser hin. GK.361.2 Teilen

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Er sagte: „Jesus von Nazareth, der wahre Messias, dessen Hände und Füße durchbohrt wurden, der wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wurde, der ein Mann der Schmerzen und Leiden war, der zum erstenmal kam, nachdem das Zepter von Juda und der Herrscherstab von seinen (Judas) Füßen gewichen war, wird zum zweiten Male kommen in den Wolken des Himmels mit der Posaune des Erzengels.“ 1 Er wird „auf dem Ölberge stehen; und jene Herrschaft über die Schöpfung, die einst Adam zugewiesen war und von ihm verwirkt wurde (1.Mose 1,26; 1.Mose 3,17), wird Jesus gegeben werden. Er wird König sein über die ganze Erde. Das Seufzen und Klagen der Schöpfung wird aufhören, und Lob- und Danklieder werden erschallen ... Wenn Jesus in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen heiligen Engeln kommt ... werden die ‚Toten in Christo‘ zuerst auferstehen (1.Thessalonicher 4,16; 1.Korinther 15,23). Dies nennen wir Christen die erste Auferstehung. Danach wird die Tierwelt ihren Charakter ändern (Jesaja 11,6-9) und Jesus untertan werden. Psalm 8. Allgemeiner Friede wird herrschen“. „Der Herr wird wiederum auf die Erde niederschauen und sagen: Siehe, es ist sehr gut.“ 1 GK.362.1 Teilen

Wolff glaubte, dass das Kommen des Herrn nahe sei. Seine Auslegung der prophetischen Zeitangaben wich nur um wenige Jahre von der Zeit ab, in der Miller die große Vollendung erwartete. Denen, die auf Grund des Textes: „Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand“ (Matthäus 24,36) geltend zu machen suchten, dass den Menschen die Nähe der Wiederkunft Christi unbekannt bleiben sollte, antwortete Wolff: „Sagte unser Herr, dass der Tag und die Stunde nie bekannt werden sollten? Hat er uns nicht Zeichen der Zeit gegeben, damit wir wenigstens das Herannahen seiner Wiederkunft erkennen könnten, so wie man an dem Feigenbaum, wenn er Blätter treibt, weiß, dass der Sommer nahe ist? Matthäus 24,32. Sollen wir jene Zeit nie erkennen können, obgleich er selbst uns ermahnt, den Propheten Daniel nicht nur zu lesen, sondern auch zu verstehen? Gerade in Daniel heißt es, dass diese Worte bis auf die Zeit des Endes verborgen bleiben sollten (was zu seiner Zeit der Fall war), und dass, viele darüberkommen (hebräischer Ausdruck für betrachten und nachdenken über die Zeit) und ‚großen Verstand‘ (hinsichtlich der Zeit) finden würden. Daniel 12,4. Überdies will unser Herr damit nicht sagen, dass das Herannahen der Zeit unbekannt bleiben soll, sondern nur, dass niemand den bestimmten Tag und die genaue Stunde weiß. Er sagt, es soll genügend durch die Zeichen der Zeit bekannt werden, um uns anzutreiben, uns auf seine Wiederkunft vorzubereiten, gleichwie Noah die Arche baute.“ 1 Soweit Wolff zu den Einwänden, dass niemand Zeit und Stunde wisse. GK.362.2 Teilen

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Hinsichtlich der volkstümlichen Auslegung oder Mißdeutung der Heiligen Schrift schrieb Wolff: „Der größere Teil der christlichen Kirche ist von dem klaren Sinn der Heiligen Schrift abgewichen und hat sich der trügerischen Lehre des Buddhismus zugewandt, die vorgibt, dass das zukünftige Glück der Menschen in einem Hin- und Herschweben in der Luft bestehe; sie nimmt an, dass Heiden darunter zu verstehen seien, wenn sie Juden lesen; dass die Kirche gemeint sei, wenn sie Jerusalem lesen; dass es Himmel bedeute, wenn es heißt Erde; dass an den Fortschritt der Missionsgesellschaften zu denken sei, wenn vom Kommen des Herrn die Rede ist; und dass unter dem Ausdruck ‚auf den Berg des Hauses Gottes gehen‘ eine große Versammlung der Methodisten zu verstehen sei.“ 1 GK.363.1 Teilen

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