Portrait von Ellen White
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Kapitel 10: Die Stimme in der Wüste
Kapitel 10: Die Stimme in der Wüste
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Auf der Grundlage von Lukas 1,5-23, 57-80; Lukas 3,1-18; Matthäus 3,1-12; Markus 1,1-8. DM.61 Teilen

Aus der Mitte der gläubigen Israeliten, die sehnsüchtig auf das Kommen des Messias warteten, erschien der Vorläufer Christi. Zacharias, ein betagter Priester, und seine Frau Elisabeth waren „beide fromm vor Gott“. Lukas 1,6. Ihr stilles und frommes Leben offenbarte das Licht des Glaubens. Wie ein Stern leuchtete es in der geistlichen Finsternis jener Zeit. Dieses gottesfürchtige Paar empfing die Verheißung eines Sohnes, der vor dem Herrn hergehen und Ihm den Weg bereiten sollte. DM.61.1 Teilen

Zacharias wohnte „auf dem ... Gebirge Judäas“ (Lukas 1,65), aber er war nach Jerusalem hinaufgegangen, um eine Woche lang im Tempel zu dienen. Die Priester jeder Ordnung waren verpflichtet, dies zweimal im Jahr zu tun. „Und es begab sich, als Zacharias den Priesterdienst vor Gott versah, da seine Ordnung an der Reihe war, dass ihn nach dem Brauch der Priesterschaft das Los traf, das Räucheropfer darzubringen; und er ging in den Tempel des Herrn.“ Lukas 1,8.9. DM.61.2 Teilen

Er stand vor dem goldenen Altar im Heiligen. 2. Mose 25,2-27 Die Weihrauchwolke mit den Gebeten Israels stieg zu Gott empor. Plötzlich wurde er sich der Gegenwart eines göttlichen Wesens bewusst. Ein Engel des Herrn „stand an der rechten Seite des Räucheraltars“. Lukas 1,11. Die Stellung des Engels war ein besonderes Zeichen, doch Zacharias beachtete es nicht. Schon viele Jahre hatte er um das Kommen des Erlösers gebetet; nun endlich sandte Gott einen Boten mit der Nachricht, dass seine Gebete Erhörung finden sollten. Aber diese Gnade erschien Zacharias zu groß, um an sie glauben zu können; Furcht und Selbstvorwürfe erfüllten ihn. DM.61.3 Teilen

Er wurde jedoch mit der frohen Zusicherung begrüßt: „Fürchte dich nicht, Zacharias, denn dein Gebet ist erhört, und deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Johannes geben“. Lukas 1,13.14. „Denn er wird groß sein vor dem Herrn; Wein und starkes Getränk wird er nicht trinken und wird ... erfüllt werden mit dem heiligen Geist. Und er wird vom Volk Israel viele zu dem Herrn, ihrem Gott, bekehren. Und er wird vor ihm hergehen im Geist und in der Kraft Elias, zu bekehren die Herzen der Väter zu den Kindern und die Ungehorsamen zu der Klugheit der Gerechten, zuzurichten dem Herrn ein Volk, das wohl vorbereitet ist. Und Zacharias sprach zu dem Engel: Woran soll ich das erkennen? Denn ich bin alt, und meine Frau ist betagt.“ Lukas 1,15-18. Zacharias wusste sehr gut, wie Abraham noch in hohem Alter ein Kind geschenkt wurde, weil dieser dem aufrichtig vertraute, der es verheißen hatte. Doch der betagte Priester denkt einen Augenblick über die Schwachheit des Menschengeschlechts nach. Er vergisst, dass Gott das, was Er verheißen hat, auch erfüllen kann. Welch ein Gegensatz zwischen diesem Unglauben und dem reinen kindlichen Glauben Marias, jenes Mädchens aus Nazareth, das dem Engel auf seine wunderbare Ankündigung antwortete: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Lukas 1,38. DM.61.4 Teilen

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Die Geburt des Sohnes von Zacharias soll, genauso wie die Geburt des Sohnes von Abraham und des Kindes von Maria, uns eine große geistliche Wahrheit vermitteln: eine Lehre, die wir nur langsam lernen und so schnell wieder vergessen. Wir sind unfähig, aus uns selbst etwas Gutes hervorzubringen; doch was wir nicht tun können, wird durch die Macht Gottes in jeder demütigen und gläubigen Seele bewirkt. Durch den Glauben wurde das Kind der Verheißung gegeben; durch den Glauben wird auch geistliches Leben geboren, und wir werden befähigt, Werke der Gerechtigkeit zu tun. DM.62.1 Teilen

Auf die Frage von Zacharias erwiderte der Engel: „Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und bin gesandt, um mit dir zu reden und dir diese frohe Botschaft zu bringen“. Lukas 1,19 (Zürcher). 500 Jahre zuvor hatte Gabriel Daniel den prophetischen Zeitabschnitt mitgeteilt, der sich bis zum Kommen Christi erstrecken sollte. Das Bewusstsein, dass das Ende dieses Zeitabschnitts bevorstand, hatte Zacharias veranlasst, um die Ankunft des Messias zu beten. Und jetzt gerade war der Bote, der die Prophezeiung ausgesprochen hatte, gekommen, um deren Erfüllung anzukündigen. DM.62.2 Teilen

Die Worte des Engels: „Ich bin Gabriel, der vor Gott steht“ (Lukas 1,19) weisen darauf hin, dass er in den himmlischen Höfen eine hohe Stellung einnimmt. Als er mit einer Botschaft zu Daniel kam, sagte er: „Es ist keiner, der mir hilft gegen jene, außer eurem Engelsfürsten Michael [Christus].“ Daniel 10,21. Von Gabriel spricht der Heiland in der Offenbarung, indem er sagt: „Er [Christus] hat sie durch seinen Engel gesandt und gedeutet seinem Knecht Johannes.“ Offenbarung 1,1. Und Johannes gegenüber erklärte der Engel: „Ich bin dein Mitknecht und deiner Brüder, der Propheten.“ Offenbarung 22,9. Welch ein wunderbarer Gedanke: Der Engel, der dem Sohn Gottes an Ansehen am nächsten steht, ist es, der berufen wurde, Gottes Absichten sündhaften Menschen zu offenbaren! DM.62.3 Teilen

Zacharias hatte hinsichtlich der Worte des Engels Zweifel geäußert. Er sollte deshalb schweigen, bis sie erfüllt würden. „Siehe“, sagte der Engel, „du wirst verstummen ... bis auf den Tag, da dies geschehen wird, darum, dass du meinen Worten nicht geglaubt hast, welche sollen erfüllt werden zu ihrer Zeit.“ Lukas 1,20. Es war die Pflicht der Priester, in ihrem Dienst um Vergebung für allgemeine und nationale Sünden und für die Ankunft des Messias zu beten; doch als Zacharias dies tun wollte, brachte er kein Wort heraus. DM.62.4 Teilen

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Er erschien, um das Volk zu segnen, „und er winkte ihnen und blieb stumm“. Lukas 1,22. Sie hatten lange gewartet und schon befürchtet, er sei von Gottes Gericht getroffen worden. Doch als er aus dem Heiligen heraustrat, leuchtete auf seinem Antlitz die Herrlichkeit Gottes, „und sie merkten, dass er eine Erscheinung gehabt hatte im Tempel“. Lukas 1,22. Zacharias übermittelte, was er gesehen und gehört hatte, und „da die Zeit seines Dienstes um war, ging er heim in sein Haus“. Lukas 1,23. DM.63.1 Teilen

Bald nach der Geburt des verheißenen Kindes konnte er wieder sprechen, „und er fing an, Gott zu loben. Ehrfürchtiges Staunen erfasste die Menschen in der ganzen Gegend. Die Nachricht von diesen Ereignissen verbreitete sich überall im Bergland von Judäa. Alle, die davon erfuhren, dachten darüber nach und fragten sich: ‚Was wohl aus diesem Kind werden wird?‘“ Lukas 1,64-66 (NL). Alles das lenkte die Aufmerksamkeit auf die Ankunft des Messias, für den Johannes den Weg bereiten sollte. DM.63.2 Teilen

Der Heilige Geist ruhte auf Zacharias, und in folgenden wunderschönen Worten weissagte er von der Bestimmung dessen Sohnes: „Du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unsres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsre Füße auf den Weg des Friedens“. Lukas 1,76-79. DM.63.3 Teilen

„Und das Kindlein wuchs und wurde stark im Geist. Und er war in der Wüste bis zu dem Tag, an dem er vor das Volk Israel treten sollte.“ Lukas 1,80. Vor der Geburt von Johannes hatte der Engel gesagt: „Er wird groß sein vor dem Herrn; Wein und starkes Getränk wird er nicht trinken und wird ... erfüllt werden mit dem heiligen Geist.“ Lukas 1,15. Gott hatte den Sohn von Zacharias zu einer großen Aufgabe berufen, zu der größten, die je einem Menschen anvertraut wurde. Damit Johannes diese Aufgabe ausführen konnte, musste der Herr mit ihm zusammenarbeiten. Und der Geist Gottes wollte bei ihm sein, wenn er den Anweisungen des Engels nachkäme. DM.63.4 Teilen

Johannes sollte als ein Bote Gottes hinausgehen und das göttliche Licht zu den Menschen bringen. Es galt, die Gedanken der Menschen in eine neue Richtung zu lenken und ihnen die Heiligkeit der Forderungen Gottes einzuprägen, sowie aufzuzeigen, dass sie Seine vollkommene Gerechtigkeit benötigen. Wer solch ein Botendienst ausführen wollte, musste selbst heilig sein — ein Tempel des Geistes Gottes. Um seine Aufgabe erfüllen zu können, brauchte er einen starken und gesunden Körper sowie große seelische und geistige Stärke. Deshalb war es für ihn nötig, seine Neigungen und Leidenschaften zu beherrschen. Er musste sich so in der Gewalt haben, dass er unter den Menschen genauso von den umgebenden Verhältnissen ungerührt bestehen könnte wie die Felsen und Berge in der Wildnis. DM.63.5 Teilen

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Zur Zeit von Johannes dem Täufer waren Habsucht und Liebe zu Luxus und Pomp weit verbreitet. Sinnliche Vergnügen, Schwelgereien und Trinkgelage lösten körperliche Krankheit und Entartung aus, schwächten das geistliche Wahrnehmungsvermögen und verminderten die Fähigkeit, die Sünde als sündhaft zu empfinden. Johannes sollte ein Reformator sein. Durch sein asketisches Leben und seine einfache Kleidung sollte er die Ausschweifungen seiner Zeit tadeln. Darum wurden den Eltern von Johannes durch einen Engel vom himmlischen Thron die entsprechenden Anweisungen gegeben und eine Lektion bezüglich der Mäßigkeit erteilt. DM.64.1 Teilen

In Kindheit und Jugend ist der Charakter am besten zu formen. Die Fähigkeit, sich zu beherrschen, sollte in jener Zeit erlernt werden. Im häuslichen Kreis und am Familientisch wird ein Einfluss ausgeübt, dessen Auswirkungen bis in die Ewigkeit reichen. Die Gewohnheiten, die in den frühen Kinderjahren angenommen werden, entscheiden mehr als irgendeine natürliche Begabung darüber, ob ein Mensch im Lebenskampf siegen oder unterliegen wird. Die Jugend ist die Zeit des Säens. Sie bestimmt darüber, welcher Art die Ernte sein wird, sowohl in diesem als auch im zukünftigen Leben. DM.64.2 Teilen

Als Prophet sollte Johannes „die Herzen der Väter zu den Kindern [bekehren] und die Ungehorsamen zu der Klugheit der Gerechten, zuzurichten dem Herrn ein Volk, das wohl vorbereitet ist“. Lukas 1,17. Indem er den Weg für Christi erstes Kommen bahnte, ist er allen jenen ein Vorbild, die ein Volk auf die Wiederkunft unseres Herrn vorbereiten sollen. Die Welt hat sich der Zügellosigkeit verschrieben. Es gibt jede Menge von Irrlehren und Unwahrheiten. Satans Tricks, um Menschenseelen zugrunde zu richten, haben sich vervielfacht. Alle Menschen, die in der Furcht Gottes heilig werden wollen, müssen Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung lernen. Die Lüste und Leidenschaften sollten den höheren Kräften des Geistes unterworfen bleiben. Diese Selbstdisziplin ist lebenswichtig, wenn wir die geistige Kraft und die geistliche Erkenntnis erhalten wollen, die uns befähigen, die geheiligten Wahrheiten des Wortes Gottes zu verstehen und in die Tat umzusetzen. Deshalb ist bei der Vorbereitung auf die Wiederkunft Christi die Mäßigkeit geboten. DM.64.3 Teilen

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Normalerweise wäre der Sohn des Zacharias als Priester ausgebildet worden. Aber die Ausbildung in den Schulen der Rabbiner hätte ihn für seine Aufgabe untauglich gemacht. Gott sandte ihn nicht zu den Lehrern der Theologie, um die Auslegung der Schrift zu lernen. Er rief ihn in die Wüste, damit er von der Natur und dem Gott der Natur lerne. DM.65.1 Teilen

Er fand seinen Wohnplatz in einer einsamen Gegend inmitten von kahlen Hügeln, wilden Schluchten und felsigen Höhlen. Er beschloss freiwillig, auf die Freuden und den Luxus des Lebens zugunsten der harten Schulung in der Wüste zu verzichten. Dort begünstigte die Umgebung das einfache Leben und die Selbstverleugnung. Da er vom Lärm der Welt nicht gestört wurde, konnte er dort die Lehren der Natur, der Offenbarung und der Vorsehung studieren. Seine gottesfürchtigen Eltern hatten ihm die an seinen Vater gerichteten Worte des Engels oft wiederholt. Schon von seiner Kindheit an war ihm seine Aufgabe erklärt worden, und er hatte den besonderen Auftrag angenommen. Für ihn war die Einsamkeit der Wüste eine willkommene Zuflucht vor einer Gesellschaft, die fast ganz von Misstrauen, Unglaube und Unanständigkeit beherrscht war. Er vertraute nicht auf seine eigene Kraft, um der Versuchung zu widerstehen. Er schreckte vor der anhaltenden Berührung mit der Sünde zurück, damit er nicht das Bewusstsein ihrer außerordentlichen Sündhaftigkeit verliere. DM.65.2 Teilen

Johannes war von Geburt an ein Nasiräer, ein Gottgeweihter. Er hatte sich selbst später für sein ganzes Leben dem Herrn geweiht. Seine Kleidung glich derjenigen der alten Propheten: ein Gewand aus Kamelhaaren, gehalten von einem ledernen Gürtel. Er aß Johannisbrot und wilden Honig (Matthäus 3,4) — das, was er in der Wüste fand. Dazu trank er das klare Wasser, das von den Hügeln herabfloss. DM.65.3 Teilen

Er verbrachte sein Leben nicht in Untätigkeit, in asketischem Trübsinn oder in selbstsüchtiger Abgeschiedenheit. Von Zeit zu Zeit ging er hinaus unter die Menschen, und beobachtete aufmerksam, was in der Welt vorging. Von seinem stillen Zufluchtsort aus verfolgte er, wie sich die Ereignisse entwickelten. Mit einem durch göttlichen Geist erleuchteten geistigen Sehvermögen studierte er die Charaktere der Menschen, um besser zu verstehen, wie er ihre Herzen mit der Botschaft des Himmels erreichen könnte. Er spürte die Last seines Auftrages und versuchte, sich in der Einsamkeit durch tiefes Nachdenken und durch das Gebet für sein vor ihm liegendes großes Lebenswerk innerlich vorzubereiten. DM.65.4 Teilen

Obwohl er in der Wüste lebte, blieb er nicht frei von Versuchungen. Soweit wie möglich verschloss er Satan jeden Zugang, ohne jedoch dessen Angriffe verhindern zu können. Sein geistliches Empfinden aber war rein; er hatte Charakterstärke und Entschiedenheit gelernt und war mit Hilfe des Heiligen Geistes in der Lage, die Schleichwege Satans aufzuspüren und der teuflischen Macht zu widerstehen. DM.65.5 Teilen

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In der Wüste fand Johannes seine Schule und seinen Tempel. Er war genauso von der Gegenwart Gottes eingeschlossen und von den Beweisen seiner Macht umgeben wie einst Mose von den Hügeln Midians. Es war ihm nicht vergönnt, sich wie Israels großer Führer mitten in der erhabenen Majestät der einsamen Bergwelt aufzuhalten; doch vor ihm, auf der anderen Seite des Jordans, lagen die Höhen Moabs. Sie sprachen zu ihm von dem, der die Berge gegründet hat mit Stärke. Was in seiner Wildnis düster und schrecklich aussah, veranschaulichte ihm auf lebendige Weise den Zustand Israels. Der fruchtbare Weinberg des Herrn war eine trostlose Einöde geworden. Aber über der Wüste strahlte das klare, schöne Firmament. Der Regenbogen der Verheißung wölbte sich über die finsteren Wolken, die sich zum Gewitter sammelten. Genauso strahlte über der Erniedrigung Israels die verheißene Herrlichkeit der Herrschaft des Messias. Die Wolken des Zorns waren umspannt von dem Regenbogen seiner verheißenen Gnade. DM.66.1 Teilen

In der Stille der Nacht las er die Verheißungen Gottes an Abraham, dessen Nachkommen zahllos sein sollten wie die Sterne. Und die ersten Lichtstrahlen der Morgendämmerung, die das Gebirge Moab vergoldeten, erinnerten ihn an den, von dem gesagt ist, dass Er sei „wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufgeht, am Morgen ohne Wolken“. 2. Samuel 23,4 DM.66.2 Teilen

Der helle Mittag verkündigte ihm den Glanz der Offenbarung Gottes; „denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen ...“. Jesaja 40,5. DM.66.3 Teilen

Ehrfürchtig und doch mit Begeisterung forschte er in den prophetischen Schriftrollen nach den Offenbarungen über das Kommen des Messias — des verheißenen Samens, der der Schlange den Kopf zertreten sollte; des Helden und Friedensbringers, der erscheinen sollte, ehe ein König aufhören würde, auf dem Thron Davids zu regieren. Jetzt war diese Zeit gekommen. Ein römischer Herrscher regierte im Palast auf dem Berg Zion. Nach dem zuverlässigen Wort des Herrn war der Christus bereits geboren. DM.66.4 Teilen

Jesajas glanzvolle Darstellung der Herrlichkeit des Messias war Tag und Nacht seine Lektüre. Immer wieder las er über den Zweig von der Wurzel Isais, von dem König, der in Gerechtigkeit regieren würde und ein „... rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande“ (Jesaja 11,4), der „... ein Schutz vor dem Platzregen, ... der Schatten eines großen Felsens im trockenen Lande“ (Jesaja 32,2) wäre. Israel sollte nicht länger „die Verlassene“ heißen noch sein Land „Einsame“, sondern es sollte vom Herrn genannt werden „meine Lust“ und sein Land „liebes Weib“. Jesaja 62,4. Das einsame Herz des Täufers war erfüllt von diesem großartigen Bild. Er sah den König in seiner Schönheit und vergaß sich dabei selbst. Er erblickte die Majestät der messianischen Heiligkeit und fühlte sich selbst kraftlos und unwürdig. Er war bereit, als Bote des Himmels hinauszugehen, ohne Scheu vor irdischen Dingen; denn er hatte das Göttliche geschaut. Er konnte aufrecht und ohne Furcht vor weltlichen Königen stehen; denn er hatte sich vor dem König aller Könige gebeugt. DM.66.5 Teilen

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Johannes verstand das Wesen des messianischen Reiches nicht völlig. Er erwartete, dass Israel als Staat von seinen Feinden befreit würde; das Kommen eines Königs, der gerecht regieren würde, und die Aufrichtung Israels als eine heilige Nation waren seine große Hoffnung. Er glaubte, dass auf diese Weise die bei seiner Geburt gegebene Prophezeiung erfüllt werden würde: „Und [er wird] gedenken an seinen heiligen Bund ..., dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit.“ Lukas 1,72-75. DM.67.1 Teilen

Er sah sein Volk betrogen, selbstzufrieden und in seinen Sünden eingeschlafen. Er sehnte sich danach, es zu einem heiligeren Leben aufzuwecken. Die Botschaft, die Gott ihm gegeben hatte, sollte die Israeliten aus ihrer Trägheit aufschrecken und sie dazu bewegen, wegen ihrer großen Bosheit zu zittern. Bevor der Same des Evangeliums Platz finden konnte, musste erst der Herzensboden aufgebrochen werden. Bevor sie bei Jesus Heilung suchten, mussten sie sich ihrer gefährlichen Lage durch die Wunden der Sünde bewusst werden. DM.67.2 Teilen

Gott schickt Seine Boten nicht aus, um dem Sünder zu schmeicheln. Er sendet keine Friedensbotschaft, um die Ungeheiligten in tödliche Sicherheit zu wiegen. Er legt schwere Lasten auf das Gewissen des Missetäters und durchdringt die Seele mit Pfeilen, die ihm die Sünde bewusst machen. Die Engel weisen ihn auf die schrecklichen Gottesgerichte hin, um ihn erkennen zu lassen, dass er Hilfe braucht und ihn zu dem Ausruf zu bewegen: „Was muss ich tun, um gerettet zu werden?“ Dann wird dieselbe Hand, die bis in den Staub demütigte, den Bußfertigen erhöhen. Die Stimme, die die Sünde tadelte und den Stolz und das selbstsüchtige Streben als unwürdig verurteilte, fragt nun mit liebevollster Anteilnahme: „Was willst du, dass ich dir tue?“ DM.67.3 Teilen

Als Johannes mit seiner Aufgabe begann, befand sich das ganze Volk in einem Zustand der Aufregung und der Unzufriedenheit, der an Aufruhr grenzte. Mit der Amtsenthebung von Archelaus war Judäa unmittelbar unter die Herrschaft Roms gekommen. Die Tyrannei und Erpressung der römischen Statthalter und ihre entschlossenen Anstrengungen, heidnische Symbole und Sitten einzuführen, hatten Aufstände ausgelöst, die im Blut von Tausenden der Mutigsten in Israel erstickt worden waren. All dies verstärkte den nationalen Hass gegen Rom und erhöhte die Sehnsucht, von der Gewalt der Römer frei zu werden. Inmitten von Uneinigkeit und Streit hörte man eine Stimme aus der Wüste, erschreckend und ernst, aber voller Hoffnung: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ Matthäus 3,2. Diese Stimme bewegte das Volk mit einer neuen, erstaunlichen Kraft. Die Propheten hatten die Ankunft des Messias als ein Ereignis vorhergesagt, das noch in weiter Ferne läge; nun aber wurde angekündigt, dass das große Ereignis nahe bevorstehe. Die eigenartige Erscheinung des Täufers lenkte die Gedanken der Zuhörer zu den alten Sehern. Er ähnelte in seinem Auftreten und in seiner Kleidung dem Propheten Elia, in dessen Geist und Kraft er auch das allgemeine Verderben ankündigte und die vorherrschenden Sünden verdammte. Seine Worte waren klar, treffend und überzeugend. Viele meinten, er sei einer der alten Propheten und auferstanden von den Toten. Das Volk war aufgerüttelt; scharenweise zog es hinaus in die Wüste. DM.67.4 Teilen

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Johannes verkündete das Kommen des Messias und rief die Menschen zur Umkehr auf. Als Symbol der Reinigung von Sünde taufte er die Gläubigen im Jordan. So erklärte er anschaulich, dass jene, die sich Gottes auserwähltes Volk nannten, mit Sünde beschmutzt waren und ohne Reinigung des Herzens keinen Anteil am Reich des Messias haben können. DM.68.1 Teilen

Fürsten und Rabbiner, Soldaten, Zöllner und Bauern kamen, um den Propheten zu hören. Vorübergehend beunruhigte sie die ernste Warnungsbotschaft Gottes. Viele bereuten ihre Sünden und ließen sich taufen. Menschen aus allen Schichten unterwarfen sich den Forderungen des Täufers, um an dem Königreich teilzuhaben, das er ankündigte. DM.68.2 Teilen

Viele Schriftgelehrte und Pharisäer kamen, bekannten ihre Sünden und baten um die Taufe. Sie hatten sich für besser gehalten als andere Menschen und das Volk dazu gebracht, von ihrer Frömmigkeit eine hohe Meinung zu haben; jetzt aber wurde die geheime Schuld ihres Lebens aufgedeckt. Doch Johannes wurde durch den Heiligen Geist gezeigt, dass viele von diesen Männern sich ihrer Sünde nicht wirklich bewusst waren. Sie waren nur Opportunisten. Sie hofften, dass sie als Freunde des Propheten Vorteile beim Kommen des Fürsten haben würden. Und durch die Taufe dieses beliebten, jungen Lehrers würde sich ihr Einfluss auf das Volk vergrößern. DM.68.3 Teilen

Johannes konfrontierte sie mit der alles durchdringenden Frage: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gewarnt, vor dem kommenden Zorn zu fliehen? Seht zu, bringt rechtschaffene Frucht der Buße! Denkt nur nicht, dass ihr bei euch sagen könntet: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken.“ Matthäus 3,7-9. Gott hatte Israel verheißen: „So spricht der Herr, der die Sonne dem Tage zum Licht gibt und den Mond und die Sterne der Nacht zum Licht bestellt; der das Meer bewegt, dass seine Wellen brausen — Herr Zebaoth ist sein Name: Wenn jemals diese Ordnungen vor mir ins Wanken kämen, spricht der Herr, so müsste auch das Geschlecht Israels aufhören, ein Volk zu sein vor mir ewiglich. So spricht der Herr: Wenn man den Himmel oben messen könnte und den Grund der Erde unten erforschen, dann würde ich auch verwerfen das ganze Geschlecht Israels für all das, was sie getan haben, spricht der Herr.“ Jeremia 31,35-37. Diese Verheißung ewiger Gunst hatten die Juden falsch ausgelegt. Sie betrachteten ihre natürliche Herkunft von Abraham als Anspruch auf diese Verheißung. Doch sie übersahen die Bedingungen, die Gott gestellt hatte. Bevor Er ihnen die Verheißung gab, hatte Er gesagt: „... Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein, ... denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“ Jeremia 31,33.34. DM.68.4 Teilen

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Einem Volk, in dessen Herzen Gottes Gesetz geschrieben steht, ist sein Wohlwollen sicher. Es ist eins mit Ihm. Aber die Juden hatten sich von Gott getrennt. Wegen ihrer Sünden litten sie unter den Strafgerichten Gottes. Deshalb gerieten sie auch unter die Knechtschaft einer heidnischen Nation. Ihre Sinne wurden durch Übertretung verdunkelt, und weil der Herr ihnen in der Vergangenheit solch große Gunst erwiesen hatte, entschuldigten sie ihre Sünden damit. Sie bildeten sich ein, dass sie besser seien als andere Menschen und so Gottes Segnungen verdienten. DM.69.1 Teilen

„Es ist aber geschrieben uns zur Warnung, auf die das Ende der Zeiten gekommen ist.“ 1.Korinther 10,11. Wie oft interpretieren wir die Segnungen Gottes falsch und bilden uns ein, dass wir auf Grund unserer inneren Güte begünstigt werden! Gott kann für uns nicht das tun, was Er gerne tun möchte. Seine Gaben werden dazu benutzt, unsere Selbstzufriedenheit zu vergrößern und auch unsere Herzen in Unglaube und Sünde zu verhärten. DM.69.2 Teilen

So erklärte Johannes den Lehrern Israels, dass sie sich durch ihren Stolz, ihre Selbstsucht und Grausamkeit als Schlangenbrut ausgewiesen hätten — als tödlichen Fluch für das Volk, statt Kinder des gerechten und gehorsamen Abraham zu sein. Angesichts des Lichtes, das sie von Gott erhalten hatten, waren sie noch schlimmer als die Heiden, über die sie sich so erhaben fühlten. Sie hatten den Felsen vergessen, aus dem sie gehauen, und der Grube, aus der sie ausgegraben worden waren. Gott war nicht auf sie angewiesen, um Seine Absicht zu verwirklichen. Wie er Abraham aus einem heidnischen Volk herausgerufen hatte, so konnte Er auch andere zu Seinem Dienst berufen. Ihre Herzen mochten jetzt so leblos erscheinen wie die Steine in der Wüste, aber Sein Geist wäre imstande, sie neu zu beleben, dass sie nach Seinem Willen handelten und die Erfüllung Seiner Verheißung erlebten. DM.69.3 Teilen

70

„Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt“, sagte der Prophet. „Darum, welcher Baum nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ Matthäus 3,10. Der Wert eines Baumes wird nicht nach seinem Namen bestimmt, sondern nach seinen Früchten. Wenn die Früchte nichts wert sind, dann kann der Name den Baum nicht davor bewahren, umgehauen zu werden. Johannes verkündete den Juden, dass ihr Ansehen vor Gott durch ihren Charakter und ihr Leben bestimmt würde. Ein Bekenntnis allein war wertlos. Wenn ihr Leben und ihr Charakter nicht mit Gottes Gesetz übereinstimmten, dann waren sie auch nicht Sein Volk. DM.70.1 Teilen

Durch seine Herz durchdringenden Worte wurden seine Zuhörer überführt. Sie kamen zu ihm und fragten: „Was sollen wir denn tun?“ Lukas 3,10. Er antwortete: „Wer zwei Röcke hat, der gebe einen davon dem ab, der keinen hat; und wer zu essen hat, mache es ebenso.“ Lukas 3,11. Und er warnte die Zöllner, ungerecht zu handeln, und die Soldaten, gewalttätig zu sein. DM.70.2 Teilen

Er sagte, dass alle, die im Reich Christi leben wollten, dies durch Glauben und Buße bekunden müssten. In ihrem Lebenswandel müssten Güte, Rechtschaffenheit und Treue erkennbar werden. Solche Gläubigen würden sich um Bedürftige kümmern und Gott ihre Gaben darbringen. Sie würden die Wehrlosen beschützen und ihrer Umgebung ein Beispiel praktischer Nächstenliebe sein. So werden auch die wahren Nachfolger Jesu von der verändernden Macht des Heiligen Geistes Zeugnis geben. In ihrem täglichen Leben kann man Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und göttliche Liebe erkennen; andernfalls glichen sie der Spreu, die dem Feuer übergeben werden wird. DM.70.3 Teilen

Johannes sagte: „Ich taufe euch mit Wasser zur Buße; der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin nicht genug, ihm die Schuhe abzunehmen; der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen.“ Matthäus 3,11. Der Prophet Jesaja hatte erklärt, der Herr werde sein Volk „durch den Geist, der richten und ein Feuer anzünden wird“, von seinen Übertretungen reinigen. DM.70.4 Teilen

Das Wort Gottes an Israel lautete: „Und will meine Hand wider dich kehren und wie mit Lauge ausschmelzen, was Schlacke ist, und all dein Zinn ausscheiden.“ Jesaja 4,4; 1,25. Für die Sünde ist „unser Gott ... ein verzehrend Feuer“ (Hebräer 12,29), ganz gleich, wo sie vorgefunden wird. In allen, die sich ihm unterwerfen, wird der Geist Gottes die Sünde verzehren. Aber wenn Menschen an der Sünde festhalten, identifizieren sie sich mit ihr. Dann wird die Herrlichkeit Gottes, welche die Sünde vernichtet, sie selbst vernichten. Jakob rief nach der Nacht des Ringens mit dem Engel: „Ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.“ 1.Mose 32,31. Jakob hatte sich an Esau schwer versündigt; doch er hatte es bereut. Seine Übertretung war vergeben und seine Sünde gesühnt; deshalb konnte er die Offenbarung der Gegenwart Gottes ertragen. Überall wo Menschen vor Gott traten, während sie absichtlich an Bösem festhielten, mussten sie sterben. Beim zweiten Kommen Christi werden die sündigen Menschen verzehrt werden „mit dem Hauch seines Mundes“, und er wird mit ihnen „ein Ende machen durch seine Erscheinung, wenn er kommt“. 2.Thessalonicher 2,8. Das Licht der göttlichen Herrlichkeit, das dem Gerechten Leben gibt, wird die Sünder töten. DM.70.5 Teilen

71

Zur Zeit Johannes‘ des Täufers sollte Jesus als jemand erscheinen, der das Wesen Gottes offenbart. Schon durch Seine Gegenwart würden die Menschen ihrer Sünden bewusst werden. Aber nur, wer auch bereit war, sich von seiner Sündhaftigkeit reinigen zu lassen, konnte in Seine Gemeinschaft aufgenommen werden. Nur wer reinen Herzens war, vermochte in Seiner Gegenwart zu bestehen. DM.71.1 Teilen

So erklärte der Täufer die Botschaft Gottes an Israel. Viele achteten auf seine Lehre. Sie opferten alles, um der Botschaft gehorsam zu sein. Viele Menschen folgten Johannes von Ort zu Ort; es waren sogar einige unter ihnen, die hofften, dass er der Messias sei. Als Johannes bemerkte, dass sich die Herzen seiner Zuhörer ihm zuwandten, nutzte er jede Gelegenheit, ihren Glauben auf den hin zu lenken, der noch kommen sollte. DM.71.2 Teilen

Kapitel 11: Die Taufe
72

Auf der Grundlage von Matthäus 3,13-17; Markus 1,9-11; Lukas 3,21-22. DM.72 Teilen

Die Nachricht von dem Propheten in der Wüste und seiner wunderbaren Botschaft verbreitete sich über ganz Galiläa. Sie erreichte die Bauern in den entlegensten Gebirgsorten, drang zu den Fischern am See und fand in diesen einfachen, ernsten Herzen aufrichtigste Reaktionen. Auch in Nazareth wurde in der Werkstatt Josephs davon gesprochen, und einer erkannte den Ruf. Seine Zeit war gekommen. Jesus verließ Seine tägliche Arbeit, nahm Abschied von Seiner Mutter und folgte Seinen Landsleuten, die zum Jordan hin strömten. Jesus und Johannes der Täufer waren verwandt und durch die Umstände ihrer Geburt eng miteinander verbunden; dennoch kannten sie sich nicht persönlich. Jesus hatte sich bisher in Nazareth aufgehalten, Johannes dagegen in der Wüste von Judäa. Beide hatten, obwohl in völlig verschiedener Umgebung, in größter Zurückgezogenheit gelebt und keinen Kontakt miteinander gehabt. Die Vorsehung hatte es so bestimmt. Es sollte nicht der Verdacht aufkommen, beide hätten sich verschworen, um einander ihren Anspruch zu stützen und sich gegenseitig zu bestätigen. DM.72.1 Teilen

Johannes kannte die Ereignisse, die mit der Geburt Jesu verbunden waren. Er hatte auch von Jesu Besuch als Knabe in Jerusalem gehört und von dem, was in der Schule der Rabbiner vorgegangen war. Er wusste von Seinem sündlosen Leben und glaubte, dass Jesus der Messias sei, wenn ihm auch keine ausdrückliche Gewissheit darüber gegeben war. Die Tatsache, dass Jesus so viele Jahre zurückgezogen gelebt hatte, ohne einen Hinweis auf seine Bestimmung zu geben, hätte Zweifel hervorrufen können, ob Er der Verheißene sei. Der Täufer aber wartete voller Glauben, dass Gott zu seiner Zeit alles klärte. Es war ihm offenbart worden, dass der Messias darum bitten würde, von ihm getauft zu werden, und dass dabei ein Zeichen seines göttlichen Wesens gegeben werden sollte. Dadurch würde es ihm möglich, Ihn den Menschen vorzustellen. DM.72.2 Teilen

Als Jesus kam, um getauft zu werden, erkannte Johannes in Ihm eine Reinheit des Charakters, wie er sie bisher noch bei keinem Menschen wahrgenommen hatte. Etwas Heiliges umgab Ihn und flößte Ehrfurcht ein. Viele, die zu Johannes an den Jordan gekommen waren, hatten schwere Schuld auf sich geladen und erschienen niedergedrückt von der Last ihrer zahllosen Sünden. Es war aber noch keiner bei ihm gewesen, von dem solch göttlicher Einfluss ausging wie von Jesus. Dies stimmte damit überein, was ihm über den Messias geweissagt worden war. Und dennoch zögerte er, die Bitte Jesu zu erfüllen. Wie konnte er, ein Sünder, den Sündlosen taufen! Und warum sollte dieser, der keine Buße nötig hatte, sich einer Handlung unterziehen, die als Sinnbild dafür galt, dass eine Schuld abzuwaschen war? DM.72.3 Teilen

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Als Jesus um die Taufe bat, wehrte Ihm Johannes, indem er ausrief: „Ich habe es nötig, von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?“ Jesus antwortete: „Lass es so geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Da gab Johannes nach, führte Jesus hinein in den Jordan und tauchte Ihn unter. Als Jesus heraufstieg „aus dem Wasser ... siehe, da tat sich der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen“. Matthäus 3,14-16. Jesus empfing die Taufe nicht im Sinne eines Schuldbekenntnisses. Er identifizierte sich aber mit den Sündern und tat alles, was auch wir tun müssen. Sein Leben des Leidens und des geduldigen Ausharrens nach Seiner Taufe ist ein Beispiel für uns. DM.73.1 Teilen

Nachdem Jesus aus dem Wasser gestiegen war, kniete er am Ufer im Gebet. Ein neuer und bedeutender Lebensabschnitt begann für Ihn. Er ging jetzt auf einer höheren Ebene Seinem Lebenskampf entgegen. Obwohl Er der Fürst des Friedens war, glich Sein Kommen eher einer Kampfansage. Denn das Reich, das Er aufrichten wollte, war das Gegenteil von dem, was sich die Juden wünschten. Er, der die Grundlage aller gottesdienstlichen Handlungen Israels war, würde als deren Feind und Zerstörer angesehen werden. Er, der auf Sinai das Gesetz verkündigt hatte, würde als Gesetzesübertreter verdammt werden. Er, der gekommen war, die Macht Satans zu brechen, würde als Beelzebub angeklagt werden. Keiner auf Erden hatte Ihn verstanden; während Seines Dienstes musste Er Seinen Weg allein gehen. Sein Leben lang hatten seine Mutter und Seine Brüder Seine Mission nicht verstanden. Selbst Seine Jünger begriffen Ihn nicht. Er hatte im ewigen Licht gewohnt, eins mit Gott; in Seinem irdischen Leben jedoch wandelte Er einsam und allein. DM.73.2 Teilen

Als einer von uns hatte Er die Last unserer Schuld und des Elends mit zu tragen. Der Sündlose musste die ganze Schmach der Sünde fühlen, der Friedfertige unter Zank und Streit leben. Und die Wahrheit musste bei der Falschheit, die Reinheit bei dem Laster wohnen. Jede Sünde, jede Uneinigkeit, jedes verderbliche Verlangen, das die Übertretung mit sich brachte, quälte Ihn. DM.73.3 Teilen

Der Heiland musste Seinen Weg allein gehen — und allein die schwere Last tragen. Auf Ihm, der Seine göttliche Herrlichkeit abgelegt und die schwache menschliche Natur angenommen hatte, lag die Erlösung der Welt. Er sah und empfand alles und blieb doch Seiner Aufgabe treu. Von Ihm hing das Heil des gefallenen Menschengeschlechts ab, und Er streckte die Hand aus, um die allmächtige Liebe Gottes zu ergreifen. DM.73.4 Teilen

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Jesu Blick schien den Himmel zu durchdringen, während Er inniglich betete. Er wusste, wie sehr die Sünde die Herzen der Menschen verhärtet hat und wie schwer es für sie sein würde, Seinen Dienst zu erkennen und das Geschenk der Rettung anzunehmen. Er bat den Vater um Kraft, ihren Unglauben zu überwinden, die Fesseln zu sprengen, die Satan um sie gelegt hat, und um ihretwillen den Bösen zu besiegen. Er bat um einen Beweis, dass Gott die Menschen durch den Sohn Gottes wieder in Gnaden annehmen wolle. DM.74.1 Teilen

Nie zuvor hatten die Engel solch ein Gebet gehört. Sie sind ganz ungeduldig, Ihrem Herrn eine Botschaft tröstlicher Gewissheit zu bringen. Aber der Vater selbst wollte die Bitte Seines Sohnes beantworten. Vom Thron Gottes her leuchtete strahlend Seine Herrlichkeit. Der Himmel öffnete sich, und eine Lichtgestalt „wie eine Taube“ ließ sich auf des Heilandes Haupt herab als ein Sinnbild für Ihn, den Sanftmütigen und Demütigen. DM.74.2 Teilen

Außer Johannes sahen nur wenige aus der riesigen Menschenmenge am Jordan die himmlische Erscheinung. Dennoch ruhte der feierliche Ernst der Gegenwart Gottes auf den Versammelten. Alle starrten schweigend auf Christus. Seine Gestalt war in Licht gehüllt, wie es stets den Thron Gottes umgibt. Sein nach oben gewandtes Angesicht war verklärt, wie sie vor ihm noch keines Menschen Antlitz gesehen hatten. Vom geöffneten Himmel herab sprach eine Stimme: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Matthäus 3,17. DM.74.3 Teilen

Diese Worte wurden als Bestätigung gegeben, um den Glauben derer anzufachen, die dieses Ereignis miterlebt hatten, und um den Heiland für seine Aufgabe zu stärken. Trotz dessen, dass die Sünden einer schuldigen Welt auf Christus gelegt wurden, ungeachtet auch der Erniedrigung, die sündige, menschliche Natur angenommen zu haben, nannte die Stimme vom Himmel Ihn den Sohn des Ewigen. DM.74.4 Teilen

Johannes war tief bewegt, als er sah, wie Jesus sich als Bittender beugte und unter Tränen Seinen Vater um ein Zeichen der Übereinstimmung mit Seinem Willen anflehte. Als die Herrlichkeit Gottes Ihn umgab und die Stimme vom Himmel zu hören war, da erkannte Johannes das von Gott verheißene Zeichen. Jetzt war er sich sicher, dass er den Erlöser der Welt getauft hatte. Der Heilige Geist ruhte auf ihm, und mit ausgestreckter Hand auf Jesus weisend, rief er: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt!“ Johannes 1,29. DM.74.5 Teilen

Keiner der Zuhörer — selbst Johannes — verstand die wahre Bedeutung der Worte „das Lamm Gottes“. Auf dem Berg Morija hatte Abraham die Frage seines Sohnes gehört: „Mein Vater, ... wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?“ Der Vater hatte geantwortet: „Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.“ 1.Mose 22,7.8. Und in dem Widder, den Gott anstelle Isaaks sandte, sah Abraham ein Hinweis auf den, der für die Sünden der Menschen sterben sollte. In diesem Bild sprach auch Jesaja durch den Heiligen Geist von Christus: „Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer ... der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.“ Jesaja 53,7.6. Aber das Volk Israel hatte diese Lehre nicht verstanden. Viele betrachteten die Sühnopfer nicht anders als die Heiden ihre Opfer; nämlich als Gaben, durch die sie selbst die Gottheit besänftigen könnten. Doch der Herr wollte die Israeliten lehren, dass nur seine eigene Liebe es ist, die sie mit Ihm versöhnen kann. DM.74.6 Teilen

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Die Worte, die zu Jesus am Jordan gesprochen wurden: „Siehe, das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“, binden das ganze Menschengeschlecht mit ein. Gott sprach zu Jesus, den Er als unseren Stellvertreter ansah. Wir werden trotz unserer Sünden und Schwächen nicht von Gott als Unwürdige verworfen; denn Er hat uns „begnadet ... in dem Geliebten“. Epheser 1,6. Die Herrlichkeit, die auf Christus ruhte, ist ein Pfand der Liebe Gottes für uns. Sie weist uns auch auf die Macht des Gebets hin und zeigt uns, wie unsere Stimme das Ohr Gottes erreichen kann und wie unsere Bitten in den himmlischen Höfen gehört werden können. Durch die Sünde wurde die Verbindung des Himmels mit der Erde unterbrochen, und die Menschen wurden dem Himmel entfremdet. Nun hatte Jesus sie wieder mit dem Reich der Herrlichkeit verbunden. Seine Liebe umschloss alle Menschen und reichte bis an den höchsten Himmel. Das Licht, das aus dem geöffneten Himmel auf das Haupt des Heilandes fiel, wird auch uns scheinen, wenn wir ernstlich um Hilfe bitten, der Versuchung zu widerstehen. Die gleiche göttliche Stimme spricht zu jedem Gläubigen: Du bist mein Kind, an dem ich Wohlgefallen habe! DM.75.1 Teilen

„Wir sind nun Gottes Kinder; und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, dass wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ 1.Johannes 3,2. DM.75.2 Teilen

Der Heiland hat den Weg geöffnet, damit auch der Sündhafteste und Bedürftigste, der Unterdrückteste und Allerverachtetste Zutritt zum Vater erhalten kann. Jeder kann eine Heimat in den herrlichen Wohnungen bekommen, die Jesus vorbereitet. „Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf: ... Siehe, ich habe vor dir gegeben eine offene Tür, und niemand kann sie zuschließen.“ Offenbarung 3,7.8. DM.75.3 Teilen

Kapitel 12: Die Versuchung
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Auf der Grundlage von Matthäus 4,1-11; Markus 1,12-13; Lukas 4,1-13. DM.76 Teilen

Der Heiland, „voll heiligen Geistes, kam wieder von dem Jordan und ward vom Geist in die Wüste geführt.“ Lukas 4,1. Die Worte im Markusevangelium sind noch deutlicher; es heißt dort: „Und alsbald trieb ihn der Geist in die Wüste; und er war in der Wüste vierzig Tage und wurde versucht von dem Satan und war bei den wilden Tieren“. Markus 1,12.13. „Und er aß nichts in diesen Tagen.“ Lukas 4,2. Der Geist Gottes leitete den Heiland, als Er in die Wüste geführt wurde, um versucht zu werden. Jesus hatte die Versuchung nicht herausgefordert, sondern ging in die Wüste, um allein zu sein, um über Seine Arbeit und Seine Mission nachzudenken und um sich für den Dornenweg, der vor Ihm lag, durch Beten und Fasten Kraft und Stärke zu holen. Satan aber wusste, dass Jesus in die Wüste gegangen war, und so hielt er die Zeit für günstig, sich Ihm zu nähern. DM.76.1 Teilen

In diesem Kampf zwischen dem Fürsten des Lebens und dem Beherrscher dieser Welt stand Gewaltiges auf dem Spiel. Nachdem Satan die Menschen zur Sünde verleitet hatte, beanspruchte er die Erde als sein Eigentum und nannte sich ihr Herrscher. Da er das erste Elternpaar nach seinem eigenen Wesen beeinflusst und umgewandelt hatte, wollte er hier sein Reich gründen. Er behauptete, die Menschen hätten ihn zu ihrem Oberhaupt gewählt. Durch seine Macht über die Menschheit behielt er die Herrschaft über die Welt. Christus aber war gekommen, um Satans Anspruch zu widerlegen. Als Menschensohn würde Er Gott treu bleiben und dadurch beweisen, dass der Teufel nicht die vollständige Herrschaft über das Menschengeschlecht gewonnen hat und dass dessen Ansprüche auf die Welt gelogen waren. Alle sollten frei werden, die von Satans Einfluss loskommen wollten. Die Herrschaft, die Adam verloren hatte, sollte wiederhergestellt werden. DM.76.2 Teilen

Seit der Ankündigung an die Schlange: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen ...“ 1.Mose 3,15. wusste Satan, dass er keine absolute Gewalt über die Welt hatte. Im Menschen war das Wirken einer Kraft spürbar, die seiner Herrschaft widerstand. Mit größtem Interesse beobachtete er die von Adam und seinen Söhnen dargebrachten Opfer. Er erkannte in diesen Handlungen ein Symbol der Verbindung zwischen Himmel und Erde und nahm sich vor, diese Gemeinschaft zu stören. Er stellte Gott falsch dar und missdeutete die gottesdienstlichen Handlungen, die auf Christus hinwiesen. Die Menschen wurden dahin gebracht, Gott als ein Wesen zu fürchten, das sich an ihrem Verderben erfreut. Die Opfer, die Gottes Liebe hätten offenbaren sollen, wurden gebracht, um seinen Zorn zu besänftigen. Satan erregte die bösen Leidenschaften der Menschen, um seine Herrschaft über sie zu festigen. DM.76.3 Teilen

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Als das geschriebene Wort Gottes gegeben wurde, studierte Satan die Prophezeiungen vom Kommen des Heilandes. Generationen hindurch bemühte er sich, die Menschen gegen diese Weissagungen blind zu machen, damit sie den Messias ablehnten, wenn er käme. DM.77.1 Teilen

Als Jesus geboren wurde, wusste Satan, dass Einer mit dem göttlichen Auftrag gekommen war, seinen Herrschaftsanspruch streitig zu machen. Er zitterte bei der Botschaft des Engels, der die Autorität des neugeborenen Königs bezeugte. Ihm war gut bekannt, welch eine bevorzugte Stellung Jesus als Geliebter des Vaters im Himmel hatte. Dass dieser Sohn Gottes als Mensch auf die Erde kommen sollte, erfüllte ihn mit Bestürzung und ängstlicher Erwartung. Er konnte das Geheimnis dieses großen Opfers nicht fassen. Seine selbstsüchtige Seele konnte eine solche Liebe zu den irregeleiteten Menschen nicht verstehen. Die Menschen begriffen die Herrlichkeit und den Frieden des Himmels und die Freude der Gemeinschaft mit Gott nur undeutlich; Luzifer, dem schirmenden Cherub, waren diese Segnungen dagegen gut bekannt. Seitdem er den Himmel verloren hatte, war er fest entschlossen, sich zu rächen. Er veranlasste andere, seinen Sturz mit ihm zu teilen. Dies sollte er dadurch erreichen, dass er die Menschen dazu bewegt, den Wert der himmlischen Dinge zu unterschätzen und ihre Herzen an irdische Dinge zu hängen. Nur sehr schwer konnte der Herr des Himmels Menschenseelen für sein Reich gewinnen. Von der Zeit seiner Geburt in Bethlehem an wurde Er ständig von Satan angegriffen. Das Bild Gottes wurde durch Jesus sichtbar, und Satan hatte beschlossen, den Heiland zu überwältigen. Noch kein menschliches Wesen war auf Erden der Macht des Betrügers entkommen. Alle Mächte des Bösen vereinten sich, um einen Krieg gegen Jesus zu führen und Ihn auch möglichst zu besiegen. DM.77.2 Teilen

Bei der Taufe des Heilandes war auch der Teufel unter den Augenzeugen. Er sah, wie die Herrlichkeit Gottes den Sohn umhüllte. Er hörte auch, wie die Stimme des Herrn die Gottheit Jesu bezeugte. Seit dem Fall Adams wurde die persönliche Verbindung der Menschen mit Gott abgeschnitten; die Gemeinschaft zwischen Himmel und Erde war durch Christus wiederhergestellt worden. Aber nun, da Jesus „in der Gestalt des sündlichen Fleisches“ (Römer 8,3) gekommen war, sprach der Vater wieder selbst. Einst hatte Er durch Christus mit den Menschen geredet, jetzt verkehrte Er mit ihnen durch Christus. Satan hatte gehofft, dass die Abneigung Gottes gegen das Böse zur ewigen Trennung zwischen Himmel und Erde führen würde. Aber jetzt wurde es offenbar, dass durch den Mittler Jesus Christus wieder eine Verbindung zwischen Gott und den Menschen hergestellt war. DM.77.3 Teilen

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Satan erkannte, dass er entweder siegen oder selbst besiegt werden sollte. Vom Ausgang des Kampfes hing zu viel ab, um ihn seinen Verbündeten, den Geistern in der Luft, zu überlassen; er musste selbst die Führung in diesem Krieg übernehmen. Alle Mächte des Abfalls wurden gegen den Sohn Gottes aufgeboten. Christus wurde zur Zielscheibe aller teuflischen Waffen. DM.78.1 Teilen

Viele betrachten den Kampf zwischen Christus und Satan so, als hätte er keine besondere Bedeutung für ihr eigenes Leben — deshalb interessiert sie das wenig. Und doch wiederholt sich dieser Kampf in jedem Menschenherzen. Keiner verlässt die Reihen Satans, um in den Dienst Gottes zu treten, ohne dass er den schärfsten Angriffen des Bösen ausgesetzt wäre. Die Verlockungen, denen Christus widerstand, waren jene, die wir als so schwer überwindbar empfinden. Sie wurden Ihm in so viel stärkerem Maße aufgezwungen, wie Sein Charakter erhabener ist als der unsere. Mit der furchtbaren Sündenlast der Welt, die auf Ihm lag, widerstand der Heiland fleischlichen Lüsten, Welt- und Eigenliebe, die nur zu Vermessenheit führt. Von diesen Versuchungen wurden Adam und Eva besiegt — und auch wir werden leicht davon überwunden. DM.78.2 Teilen

Satan wies auf die Sünde Adams hin, um zu beweisen, dass Gottes Gesetz ungerecht sei und nicht gehalten werden könne. Umhüllt von unserer menschlichen Natur, sollte Christus Adams Übertretungen wiedergutmachen. Doch hatte die Sünde noch keine Wirkung auf Adam gehabt, als er von dem Versucher angegriffen wurde. Er war ein kräftiger, vollkommener Mann und körperlich und geistig mit voller Lebenskraft ausgestattet. Umgeben von der Herrlichkeit des Gartens Eden, genoss er zudem noch den täglichen Umgang mit himmlischen Wesen. Ganz anders war die Situation, der Jesus in der Wüste begegnen musste, um Satan zu bewältigen. Schon viertausend Jahre lang hatte das Menschengeschlecht an Körperkraft, Seelenstärke und sittlicher Tugend abgenommen; dennoch nahm der Heiland alle Schwachheiten der entarteten Menschheit auf sich. Nur so war es Ihm möglich, die Menschen aus der tiefsten Erniedrigung zu erretten. DM.78.3 Teilen

Viele behaupten, dass es für den Heiland unmöglich war, der Versuchung nachzugeben. Wie hätte Jesus jedoch sonst anstelle des sündigen Menschen stehen können! Er hätte dann auch nicht den Sieg erkämpfen können, den Adam nicht errang, erkämpfen können. Würden wir in irgendeiner Weise einen schwierigeren Kampf zu bestehen haben als Christus, dann könnte Er nicht in der Lage sein, uns zu helfen. Der Heiland nahm die menschliche Natur mit all ihren schuldhaften Verstrickungen an, selbst mit der Möglichkeit, der Versuchung nachzugeben. Wir haben nichts zu tragen, was nicht auch Er erduldet hat. DM.78.4 Teilen

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Bei Christus wie auch bei dem ersten Menschenpaar war die Esslust der Grund zur ersten großen Versuchung. Gerade da, wo das Verderben seinen Anfang genommen hatte, musste auch das Erlösungswerk beginnen. Wie Adam durch die Befriedigung der Esslust in Sünde fiel, so musste Christus durch die Verleugnung der Esslust überwinden. „Da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Und er antwortete und sprach: Es steht geschrieben: ‚Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht‘“. Matthäus 4,2-4. DM.79.1 Teilen

Von Adams Zeit an bis in die Tage Jesu hatte Genusssucht die Macht der Esslust und der Leidenschaften so gestärkt, dass sie fast unbeschränkt herrschten. Dadurch waren die Menschen verderbt und krank geworden. Es war ihnen daher auch unmöglich, sich selbst zu überwinden. Ihretwegen bestand der Heiland die härteste Prüfung. Wegen uns übte Er eine Selbstbeherrschung, die noch stärker war als Hunger und Tod. Dieser erste Sieg schloss noch manches mit ein, was in unseren Kämpfen gegen die Mächte der Finsternis von Bedeutung ist. DM.79.2 Teilen

Als Jesus die Wüste betrat, umhüllte Ihn die Herrlichkeit Seines Vaters. Er pflegte so innige Zwiesprache mit Gott, dass Er über der menschlichen Schwäche stand. Doch die Herrlichkeit des Vaters wich von Ihm. Er war dem Kampf mit der Versuchung ausgesetzt. Sie bedrängte Ihn jeden Augenblick. Seine menschliche Natur schreckte vor dem Kampf zurück, der Ihn erwartete. 40 Tage lang fastete und betete Er. Schwach und abgezehrt vor Hunger, erschöpft und ausgezehrt durch größte Seelenpein, war „seine Gestalt hässlicher ... als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder“. Jesaja 52,14. Jetzt bot sich Satan die ersehnte Gelegenheit. Jetzt glaubte er, Christus überwinden zu können. DM.79.3 Teilen

Es erschien dem Heiland jemand wie in Gestalt eines Himmelsboten und gab vor, auf Seine Gebete hin von Gott gesandt zu sein, um Ihm das Ende Seines Fastens mitzuteilen. Wie damals Abrahams Hand durch einen Engel von der Opferung seines Sohnes Isaak zurückgehalten worden war, so sei er jetzt zu Seiner Befreiung gesandt; denn der Vater habe sich schon mit Seiner Bereitschaft zufrieden gegeben, den blutgetränkten Leidensweg zu beschreiten. Diese Botschaft brachte er Jesus. Christus war durch das lange Fasten körperlich geschwächt und sehnte sich nach Nahrung, als Satan Ihn plötzlich überfiel. Der Versucher zeigte auf die zerstreut umherliegenden Steine — die aussahen wie Brotlaibe — und sagte zu Ihm: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden“. Matthäus 4,3. DM.79.4 Teilen

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Obwohl der Versucher als Engel des Lichts erschien, verriet er mit den Worten „bist du Gottes Sohn“ seinen wahren Charakter. Hier sehen wir das versteckte Misstrauen. Hätte Jesus dem Versucher nachgegeben, wäre Sein Herz von Zweifel erfüllt worden. Der Teufel hatte vor, den Heiland durch dasselbe Mittel zu überwinden, wodurch er schon von Anfang an bei den Menschen erfolgreich war. Wie schlau hatte Satan sich einst Eva im Paradies genähert! „Hat Gott wirklich gesagt: Von allen Bäumen des Gartens dürft ihr nicht essen?“ 1.Mose 3,1 (EB). So weit waren die Worte schon richtig; doch der Tonfall seiner Stimme verriet seine heimliche Verachtung gegenüber Gottes Worten. Darin lag eine versteckte Verneinung, ein Zweifeln an der göttlichen Wahrheit. Satan war bemüht, Eva den Gedanken einzuflößen, Gott werde nicht handeln, wie er es gesagt hat. Zudem versuchte er ihr klar zu machen, dass es unmöglich der Liebe und Güte Gottes entsprechen könne, die schönen Früchte des Baumes der Erkenntnis den Menschen vorzuenthalten. Auch jetzt versuchte Satan dem Heiland seine eigenen bösen Gedanken einzuflüstern. Aus der Bitterkeit seines Herzens kamen die Worte: „Bist du Gottes Sohn...“ Diese Worte waren aber in Gedanken voll von Bitterkeit. Die Betonung seiner Stimme enthüllte seine völlige Ungläubigkeit. Würde Gott Seinen eigenen Sohn so behandeln? Würde er Ihn in der Wüste unter wilden Tieren, ohne Nahrung, ohne Gesellschaft und ohne Trost lassen? Satan gab zu verstehen, dass Gott niemals Seinen Sohn in einer solchen Lage ließe. „Bist du Gottes Sohn“, dann befreie dich durch Deine göttliche Macht von dem quälenden Hunger. Gebiete, dass die Steine Brot werden! DM.80.1 Teilen

Die Worte vom Himmel „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ (Matthäus 3,17) hatte auch Satan gut im Gedächtnis behalten. Doch er wollte den Heiland dahin bringen, diesen Worten zu misstrauen. Gottes Wort war für Christus die Zusicherung seiner geheiligten Mission. Er war gekommen, als Mensch unter Menschen zu leben, und es war Gottes Wort, das Seine Verbindung mit dem Himmel bezeugte. Satan wollte Ihn mit Zweifel gegen das Wort seines Vaters erfüllen. Er wusste, dass der Sieg in dem großen Streit ihm gehören würde, gelänge es ihm, Jesu Vertrauen zu Gott zu erschüttern. Dadurch könnte er Jesus überwinden. So hoffte er, dass Jesus aufgrund von Verzagtheit und quälendem Hunger den Glauben an Seinen Vater verlöre und ein Wunder zu Seinen Gunsten wirkte. Hätte Jesus dem Versucher nachgegeben, wäre der ganze Erlösungsplan vereitelt worden. Als sich Satan und der Sohn Gottes zum ersten Mal als Gegner gegenüberstanden, war Christus noch der Herr der himmlischen Heerscharen; Satan dagegen wurde wegen seiner Empörung aus dem Himmel ausgestoßen. Jetzt schien die Lage umgekehrt zu sein, und Satan wollte seinen scheinbaren Vorteil gut ausnutzen. Einer der mächtigsten Engel, sagte er, sei aus dem Himmel verbannt worden, und Seine [Jesu] Lage deute an, dass er dieser gefallene Engel sei — von Gott vergessen und von den Menschen verlassen. Ein göttliches Wesen aber wäre in der Lage, sein Anrecht durch ein Wunder zu beweisen. „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Matthäus 4,3. Solch eine schöpferische Tat, drängte der Versucher, wäre doch ein unumstößlicher Beweis der Göttlichkeit und würde den Streit beenden. DM.80.2 Teilen

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Nicht ohne inneren Kampf vermochte Jesus dem Erzverführer zuzuhören. Er wollte aber trotzdem Satan keinen Beweis Seiner Gottheit geben oder den Grund Seiner Erniedrigung erklären. Er wusste, dass es weder zur Ehre Gottes noch zum Besten der Menschen gewesen wäre, hätte Er den Wunsch des Verführers erfüllt. Wäre Er auf die Einflüsterungen Satans eingegangen, so hätte dieser erneut sagen können: Gib mir ein Zeichen, damit ich glauben kann, dass du der Sohn Gottes bist. Jeder Beweis aber wäre zu kraftlos gewesen, die rebellische Macht in Satans Herzen zu brechen. Und Christus durfte ja Seine göttliche Kraft nicht zu Seinem eigenen Vorteil verwenden. Er war gekommen, um Prüfungen standzuhalten, wie auch wir Prüfungen bestehen müssen; Er wollte uns durch Sein Leben ein Beispiel des Glaubens und der Ergebenheit hinterlassen. Weder jetzt noch später wirkte der Heiland in Seinem irdischen Leben Wunder für Sich selbst. Seine gewaltigen Werke und Wundertaten geschahen ausschließlich zum Besten anderer. Obwohl Jesus von Anfang an Satan erkannte, ließ Er sich doch nicht zu einem Streit herausfordern. Gestärkt durch die Erinnerung an die Stimme vom Himmel, fand Er inneren Frieden in der Liebe Seines Vaters. Er verhandelte nicht mit der Versuchung. DM.81.1 Teilen

Jesus begegnete Satan mit den Worten der Heiligen Schrift: „Es steht geschrieben ...“. Matthäus 4,4. In jeder Versuchung war Seine Kriegswaffe das Wort Gottes. Satan forderte von Christus ein Wunder als Zeichen Seiner Göttlichkeit. Größer aber als jedes Wunder ist das feste Vertrauen auf ein „So spricht der Herr“. Das ist ein Zeichen, das nicht angefochten werden kann. Solange Christus diese Haltung einnahm, konnte der Versucher Ihn nicht übervorteilen. DM.81.2 Teilen

In der Zeit größter menschlicher Schwäche wurde der Heiland von heftigsten Versuchungen geplagt. So hoffte Satan, den Herrn zu überwinden; denn es war doch die gleiche Art, durch die er die Menschen unter seinen Einfluss gebracht hatte. Wenn die Kräfte versagten, der Wille geschwächt war und der Glaube aufhörte, in Gott zu ruhen, dann wurden selbst diejenigen besiegt, die lange und mutig um das Recht gekämpft hatten. Mose war ermüdet von der vierzigjährigen Wanderschaft mit Israel durch die Wüste, als sein Glaube für einen Augenblick an der unendlichen Macht des Herrn zweifelte. Er scheiterte unmittelbar an der Grenze des verheißenen Landes. So erging es auch Elia, der unerschrocken vor dem König Ahab gestanden hatte und dem ganzen Volk Israel, mit seinen 450 Baalspropheten an der Spitze, entgegengetreten war. Nach diesem schrecklichen Tag auf dem Karmel, als die falschen Propheten getötet worden waren und das Volk seinen Bund mit Gott erneuert hatte, floh Elia um sein Leben vor den Drohungen der abgöttischen Königin Isebel. So hat Satan stets aus der menschlichen Schwäche Vorteil gezogen, und er wirkt auch weiterhin in der gleichen Art. Immer, wenn sich uns dunkle Wolken in den Weg stellen, verwirrt durch Umstände, Krankheit oder sonstige Schwierigkeiten, so ist Satan sofort zur Stelle, um zu versuchen und zu reizen. Er zielt mit seinen Angriffen auf unsere Charakterschwächen. Er möchte unser Vertrauen zu Gott mit der Frage erschüttern, warum ein guter Gott derartiges überhaupt zulasse. Wir sind geneigt, Gott zu misstrauen und seine Liebe zu uns anzuzweifeln. Oft tritt der Versucher an uns heran — wie er auch an Jesus herangetreten war — und hält uns unsere Schwächen und Unzulänglichkeiten vor Augen. So hofft er, die Seele zu entmutigen und unseren Halt an Gott zu brechen. Dann hat er sein Opfer fest im Griff. Träten wir ihm aber entgegen wie Christus, würden wir mancher Niederlage entkommen. Indem wir uns jedoch mit dem Feind auf eine Unterhaltung einlassen, verschaffen wir ihm dadurch einen Vorteil. DM.81.3 Teilen

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Als Christus aber dem Versucher sagte: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht“ (Matthäus 4,4), wiederholte er die Worte, die er mehr als 1400 Jahre zuvor zu den Israeliten gesprochen hatte. „Und du sollst an den ganzen Weg gedenken, durch den der HERR, dein Gott, dich geführt hat diese 40 Jahre lang in der Wüste ... Und er demütigte dich und ließ dich hungern und speiste dich mit dem Manna, das weder du noch deine Väter gekannt hatten, um dich erkennen zu lassen, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern dass er von all dem lebt, was aus dem Mund des HERRN hervorgeht.“ 5.Mose 8,2.3. Als die Israeliten in der Wüste waren, sandte ihnen Gott Manna vom Himmel. Er speiste sein Volk gerade zu der Zeit reichlich, als alle Nahrungsmittel fehlten. Aus dieser Erfahrung sollte Israel erkennen, dass der Herr sich in jeder Lebenslage zu dem bekennt, der Ihm vertraut und in Seinen Wegen wandelt. Der Heiland zeigte jetzt ganz praktisch, wie sich göttliche Verheißungen erfüllen. Durch das Wort Gottes wurde den Israeliten geholfen, und durch dasselbe Wort sollte Jesus Beistand geleistet werden. Er wartete auf den Moment, wo Er die Hilfe des Vaters erleben würde. Aus Gehorsam gegen den Willen Seines Vaters befand Er sich in der Wüste, und Er wollte keine Nahrung annehmen, die Er den Einflüsterungen Satans zu verdanken gehabt hätte. Vor dem ganzen Weltall bezeugte Er, dass es ein weniger großes Unglück sei, in irgendeiner Form zu leiden, als auch nur im Geringsten von den Wegen und dem Willen Gottes abzuweichen. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort Gottes.“ Oft kommt der Gläubige in Situationen, wo er nicht gleichzeitig Gott dienen und seine irdischen Belange wahrnehmen kann. Dann scheint es so, als nähme der Gehorsam gegen manche klaren Forderungen Gottes ihm jeglichen Lebensunterhalt. Satan versucht ihm einzureden, dass es nötig sei, seiner Überzeugung ein Opfer zu bringen. Doch das Einzige, auf das wir uns in dieser Welt allein verlassen können ist das Wort Gottes. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.“ Matthäus 6,33. Schon für das irdische Leben ist es das Beste, niemals von dem Willen unseres himmlischen Vaters abzuweichen. Wenn wir die Kraft Seines Wortes kennen, werden wir nicht den Einflüsterungen Satans erliegen, um Speise zu erhalten oder unser Leben zu retten. Unsere einzige Frage wird sein: Was ist Gottes Wille? Was verheißt er uns? Mit diesem Wissen werden wir Ihm gehorchen und uns auf Seine Verheißung verlassen. DM.82.1 Teilen

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In der letzten großen Auseinandersetzung des Kampfes mit Satan werden die Menschen, die Gott treu sind, es erleben, dass sie von jeder irdischen Hilfe abgeschnitten werden. Weil sie sich weigern, Gottes Gesetz zu übertreten, um irdischen Mächten zu gehorchen, wird es ihnen verboten werden, zu kaufen oder zu verkaufen. Zuletzt wird beschlossen, dass sie getötet werden sollen. Vgl. Offenbarung 13,11-17. Doch den Gehorsamen ist die Verheißung gegeben: „Der wird in der Höhe wohnen, und Felsen werden seine Feste und Schutz sein. Sein Brot wird ihm gegeben, sein Wasser hat er gewiss“. Jesaja 33,16. Durch diese Verheißung werden die Kinder Gottes leben. Wenn die Erde von Hungersnöten heimgesucht wird und verödet, werden sie gespeist werden. „Sie werden nicht zuschanden in böser Zeit, und in der Hungersnot werden sie genug haben.“ Psalm 37,19. Auf jene Zeit der Not blickte der Prophet Habakuk voraus, und seine Worte drücken den Glauben der Gemeinde aus: „Da wird der Feigenbaum nicht grünen, und es wird kein Gewächs sein an den Weinstöcken. Der Ertrag des Ölbaums bleibt aus, und die Äcker bringen keine Nahrung; Schafe werden aus den Hürden gerissen, und in den Ställen werden keine Rinder sein. Aber ich will mich freuen des Herrn und fröhlich sein in Gott, meinem Heil“. Habakuk 3,17.18. DM.83.1 Teilen

Das Wichtigste, was uns die Heilige Schrift aus der Versuchungsgeschichte Jesu vermittelt, ist Sein Sieg über die menschlichen Triebe und Begierden. Zu allen Zeiten haben gerade die Versuchungen auf körperlicher Ebene das Menschengeschlecht am meisten verdorben und herabgewürdigt. Durch Unmäßigkeit ist Satan bemüht, die geistlichen und sittlichen Kräfte zu zerstören, die Gott den Menschen als unschätzbare Gabe anvertraut hat. Denn deshalb ist es dem Menschen nicht möglich, geistliche Dinge zu würdigen. Durch Befriedigung fleischlicher Lüste versucht Satan, das Ebenbild Gottes in der Seele des Menschen auszulöschen. DM.83.2 Teilen

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Unbeherrschte Genusssucht und die dadurch entstehenden Krankheiten und Entartung, die bei Christi erstem Kommen vorhanden waren, werden vermehrt auch bei seiner Wiederkunft festzustellen sein. Der Heiland wies darauf hin, dass der Zustand der Welt dann sein wird wie in den Tagen der Sintflut und zurzeit Sodoms und Gomorras. Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens wird beständig böse sein. Wir leben heute in dieser gefahrvollen Zeit und sollten die große Lehre des Heilandes beherzigen, die Er uns durch sein Fasten gab. Nur nach der unbeschreiblichen Qual, die der Heiland erlitt, können wir das Sündhafte unbeherrschter Genusssucht bewerten. Sein Beispiel zeigt uns, dass wir nur dann Hoffnung auf ein ewiges Leben haben können, wenn wir unsere Begierden und Leidenschaften dem Willen Gottes unterwerfen. DM.84.1 Teilen

Aus eigener Kraft können wir den Begierden des Fleisches nicht widerstehen. Satan wird gerade diese Schwächen nutzen, um uns in Versuchung zu führen. Christus wusste, dass der Feind sich jedem Menschen nähern würde, um aus dessen ererbten Schwächen Vorteile zu ziehen und alle, die kein Gottvertrauen besitzen, durch seine Einflüsterungen zu umgarnen. Unser Herr hat dadurch, dass Er uns auf unserem Lebensweg vorangegangen ist, den Weg der Überwindung gebahnt. Er will nicht, dass wir im Kampf mit Satan irgendwie benachteiligt sein sollten. Durch die Angriffe der Schlange sollen wir uns nicht einschüchtern oder entmutigen lassen. „... Seid getrost“, sagt er, „ich habe die Welt überwunden.“ Johannes 16,33. DM.84.2 Teilen

Wer gegen die Macht der Esslust anzukämpfen hat, schaue auf den Heiland in der Wüste der Versuchung. Er blicke auf Ihn, wie Er am Kreuz Todesqualen litt und ausrief: „Mich dürstet!“ Jesus hat alles ertragen, was Menschen je auferlegt werden könnte. Sein Sieg ist auch unser Sieg. DM.84.3 Teilen

Christus verließ sich auf die Weisheit und Kraft Seines himmlischen Vaters. Er sagte: „Gott der Herr hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde. Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? ... Siehe, Gott der Herr hilft mir.“ Jesaja 50,7-9. Auf Sein eigenes Beispiel weisend, fragt er uns: „Wer ist unter euch, der den Herrn fürchtet, ... der im Finstern wandelt und dem kein Licht scheint: Der hoffe auf den Namen des Herrn und verlasse sich auf seinen Gott!“ Jesaja 50,10. DM.84.4 Teilen

Jesus sagte: „Es kommt der Fürst der Welt. Er hat keine Macht über mich.“ Johannes 14,30. Nichts konnte Satan mit seinen Spitzfindigkeiten bei Ihm ausrichten. Jesus gab der Sünde nicht nach. Mit keinem Gedanken überließ Er sich der Versuchung. So soll es auch bei uns sein. Das Menschliche in Christus war mit dem Göttlichen verbunden; der Ihm innewohnende Heilige Geist hatte Ihn für den Kampf ausgerüstet. Und Jesus kam, um uns zu Teilhabern der göttlichen Natur zu machen. Solange wir durch den Glauben mit Ihm verbunden sind, kann die Sünde nicht über uns herrschen. Gott fasst unsere Hand des Glaubens und will uns leiten, damit wir einen festen Halt an der Gottheit Christi haben und einen vollkommenen Charakter entfalten können. DM.84.5 Teilen

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Christus hat uns gezeigt, wie dies zu erreichen ist. Wodurch blieb Er im Streit gegen Satan siegreich? Durch das Wort Gottes! Nur dadurch konnte Er der Versuchung widerstehen. „Es steht geschrieben“, sagte Er. Und uns sind „die teuren und allergrößten Verheißungen geschenkt, ... dass ihr dadurch teilhaftig werdet der göttlichen Natur, die ihr entronnen seid der verderblichen Lust in der Welt“. 2.Petrus 1,4. Jede Verheißung in Gottes Wort gehört uns. „Von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht“ (Matthäus 4,4), sollen wir leben. Wenn Versuchungen uns bestürmen, sollen wir nicht auf die äußeren Umstände oder auf unsere Schwächen blicken, sondern auf die Macht des Wortes, dessen ganze Kraft uns gehört. Der Psalmist sagt: „Ich behalte dein Wort in meinem Herzen, damit ich nicht wider dich sündige. Gelobt seist du, Herr! Lehre mich deine Gebote! Ich will mit meinen Lippen erzählen alle Weisungen deines Mundes. Ich freue mich über den Weg, den deine Mahnungen zeigen, wie über großen Reichtum. Ich rede von dem, was du befohlen hast, und schaue auf deine Wege. Ich habe Freude an deinen Satzungen und vergesse deine Worte nicht.“ Psalm 119,11-16. „Im Treiben der Menschen bewahre ich mich vor gewaltsamen Wegen durch das Wort deiner Lippen.“ Psalm 17,4. DM.85.1 Teilen

Kapitel 13: Jesu Sieg
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Auf der Grundlage von Matthäus 4,5-11; Markus 1,12-13; Lukas 4,5-13. DM.86 Teilen

„Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: ‚Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.‘“ Matthäus 4,5.6. DM.86.1 Teilen

Satan meinte nun, den Herrn in seinem eigenen Bereich getroffen zu haben. Der gerissene Feind benutzte Worte, die aus Gottes Mund kamen. Immer noch erscheint er als Engel des Lichts und beweist, dass er mit der Schrift vertraut ist und die Wichtigkeit des Geschriebenen versteht. Wie Jesus zuvor das biblische Wort nahm, um Seinen Glauben zu begründen, so verwendete der Versucher es jetzt, um seinen Betrug zu stützen. Er behauptet, er habe nur Jesu Treue testen wollen, und lobt dessen Standhaftigkeit. Weil der Heiland Gottvertrauen bekundet hat, drängte Satan Ihn zu einem weiteren Beweis Seines Glaubens. DM.86.2 Teilen

Doch wiederum leitet er die Versuchung mit einer Andeutung des Misstrauens ein: „Wenn du Gottes Sohn bist ...“ Christus wurde versucht, auf dieses „Wenn“ einzugehen, aber Er unterließ es, sich des geringsten Zweifels hinzugeben. Er wollte Sein Leben nicht gefährden, um Satan einen Beweis Seiner Göttlichkeit zu geben. DM.86.3 Teilen

Der Versucher wollte aus dem Menschsein Christi einen Vorteil ziehen und nötigte Ihn zur Anmaßung. Wenn Satan auch zur Sünde reizen kann, so ist es ihm nicht möglich, jemanden zum Sündigen zu zwingen. Er sagte zu Jesus: „Wirf dich hinab“, wohl wissend, dass er Ihn nicht hinab stürzen konnte, denn Gott würde dazwischentreten, um Ihn zu bewahren. Auch konnte Satan Jesus nicht zwingen, sich selbst hinab zu stürzen. Nur wenn Christus der Versuchung nachgegeben hätte, wäre Er überwunden worden. Alle Mächte der Erde und der Hölle konnten Ihn nicht dazu veranlassen, auch nur im Geringsten vom Willen Seines Vaters abzuweichen. DM.86.4 Teilen

Der Versucher kann uns also nie dazu zwingen, etwas Böses zu tun. Er kann die Gemüter nicht beherrschen, wenn sie sich nicht selbst seiner Herrschaft ausliefern. Der Wille muss zustimmen, und der Glaube erst seinen Halt an Christus loslassen, bevor Satan seine Macht über uns ausüben kann. Doch mit jedem sündhaften Verlangen, an dem wir festhalten, bieten wir ihm einen Angriffspunkt. Immer wenn wir es versäumen, den göttlichen Standard zu erreichen, öffnen wir ihm eine Tür, durch die er eintreten kann, um uns zu versuchen und zu zerstören. Und jede Niederlage oder jedes Versagen unsererseits gibt ihm Gelegenheit, Christus mit Vorwürfen zu überschütten. DM.86.5 Teilen

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Als Satan die Verheißung anführte: „Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf den Händen tragen“ (Matthäus 4,6), ließ er folgende Worte weg: „dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen“ das heißt auf Wegen, die Gott erwählt hat. Jesus weigerte sich, den Pfad des Gehorsams zu verlassen. Während Er völliges Vertrauen in Seinen himmlischen Vater bekundete, wollte Er sich nicht unaufgefordert in eine Situation bringen, die das Eingreifen Seines Vaters erfordert hätte, um Ihn vor dem Tod zu bewahren. Er wollte die Vorsehung nicht zwingen, Ihn zu retten, und dadurch versäumen, den Menschen ein Beispiel des Vertrauens und der Unterordnung zu geben. DM.87.1 Teilen

Jesus erklärte Satan: „Wiederum steht auch geschrieben: ‚Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen.‘“ Matthäus 4,7. Diese Worte sprach Mose zu den Kindern Israels, als sie in der Wüste Durst litten und forderten, dass Mose ihnen Wasser gäbe, indem sie riefen: „Ist der Herr unter uns oder nicht?“ 2.Mose 17,7. Gott hatte wunderbar für sie gewirkt; doch in Schwierigkeiten zweifelten sie an Ihm und verlangten einen Beweis, dass Er mit ihnen war. In ihrem Unglauben wollten sie Ihn auf die Probe stellen, und Satan drängte den Heiland, genau dasselbe zu tun. Gott hatte bereits bezeugt, dass Jesus Sein Sohn sei, und nun nochmals einen Beweis zu fordern, dass Christus der Sohn Gottes war, hieße, Gottes Wort einer Prüfung zu unterziehen — das heißt, Ihn zu versuchen. DM.87.2 Teilen

Und dasselbe findet statt, wenn wir um etwas beten, das Gott nicht verheißen hat. So etwas würde Misstrauen zeigen und Ihn wirklich auf die Probe stellen oder Ihn versuchen. Wir sollten niemals unsere Bitten vor Gott bringen, um auszuprobieren, ob Er sein Wort erfüllen wird, sondern weil Er es erfüllen wird. Ebenso sollen wir nicht beten, um zu prüfen, ob Er uns liebt, sondern deshalb, weil Er uns liebt. „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen; denn wer zu Gott kommen will, der muss glauben, dass er sei und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde.“ Hebräer 11,6. DM.87.3 Teilen

Der Glaube hat jedoch nichts mit Vermessenheit zu tun. Nur wer echten Glauben hat, ist davor sicher. Denn Vermessenheit ist eine satanische Verfälschung des Glaubens. Der Glaube ergreift Gottes Verheißungen und bringt Frucht im Gehorsam. Die Vermessenheit beansprucht auch die Verheißungen, benutzt sie aber, wie Satan es tat, um Übertretungen zu entschuldigen. Der wahre Glaube hätte unsere ersten Eltern in Eden dazu veranlasst, der Liebe Gottes zu vertrauen und Seinen Geboten zu gehorchen — doch die Vermessenheit verleitete sie dazu, Sein Gesetz zu übertreten und zu meinen, dass Seine große Liebe sie vor den Folgen ihrer Sünde bewahren würde. Das ist kein Glaube, der die Gunst des Himmels beansprucht, ohne die Bedingungen zu erfüllen, unter denen Gnade gewährt wird. Echter Glaube gründet sich auf Verheißungen und Verordnungen der Heiligen Schrift. DM.87.4 Teilen

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Wenn es Satan schon nicht gelang, Misstrauen zu erregen, dann gelingt es ihm oft, dass er uns zur Vermessenheit verleitet. Wenn er uns veranlassen kann, dass wir uns ohne Grund auf den Weg der Versuchung begeben, dann weiß er, dass ihm der Sieg sicher ist. Gott wird alle bewahren, die auf dem Pfad des Gehorsams gehen — davon abzuweichen, heißt, sich auf Satans Boden zu wagen. Dort werden wir gewiss untergehen. Der Heiland hat uns geboten: „Wacht und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallt!“ Markus 14,38. Andacht und Gebet bewahren uns davor, uns unaufgefordert auf den Weg der Gefahr zu stürzen, wodurch wir mancher Niederlage entgehen. DM.88.1 Teilen

Dennoch sollen wir nicht den Mut verlieren, wenn uns Versuchungen überfallen. Kommen wir in eine schwierige Situation, bezweifeln wir oft, dass wir vom Geist Gottes geführt werden. Aber es war die Leitung des Geistes, die Jesus in die Wüste führte, um von Satan versucht zu werden. Wenn Gott Prüfungen zulässt, dann sollen sie nach Seiner Absicht zu unserem Besten dienen. Jesus missbrauchte die Verheißungen Gottes nicht, indem Er sich unaufgefordert der Versuchung aussetzte, noch gab Er sich der Verzagtheit hin, als die Versuchung ihn bestürmte. Genauso sollen wir es auch nicht! „Gott ist treu, der euch nicht versuchen lässt über eure Kraft, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende nimmt, dass ihr‘s ertragen könnt.“ 1.Korinther 10,13. Darum: „Opfere Gott Dank und erfülle dem Höchsten deine Gelübde und rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten“. Psalm 50,14.15. DM.88.2 Teilen

Jesus war auch aus der zweiten Versuchung als Sieger hervorgegangen, und nun zeigte Satan seinen wahren Charakter. Doch er erschien nicht als furchterregendes Monster mit Pferdehufen und Fledermausflügeln. Er ist ein mächtiger Engel — jedoch gefallen. Nun bekannte er sich offen als Rebell und als ein Gott dieser Welt. DM.88.3 Teilen

Als Satan Jesus auf einen hohen Berg geführt hatte, zeigte er Ihm wie in einem Panorama alle Reiche der Welt in ihrer ganzen Pracht. Das Sonnenlicht schien auf die mit Tempeln geschmückten Städte und prächtigen Paläste, sowie auf fruchtbare Felder und traubenbeladene Weinberge. Die Spuren der Sünde waren verborgen. Jesu Augen, die soeben nur Trostlosigkeit und Verwüstung gesehen hatten, waren jetzt auf eine Szene von unvergleichlicher Schönheit und dem Wohlstand gerichtet. Dazu hörte Er die Stimme des Versuchers: „Alle diese Macht will ich dir geben und ihre Herrlichkeit; denn sie ist mir übergeben, und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du mich nun anbetest, so soll sie ganz dein sein“. Lukas 4,6.7. DM.88.4 Teilen

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Die Mission Christi konnte nur durch Leiden erfüllt werden. Vor ihm lag ein Leben voller Kummer, Not und Konflikten, sowie ein schmachvoller Tod. Er hatte die Sünden der ganzen Welt zu tragen, sowie die Trennung von der Liebe Seines Vaters zu erdulden. Jetzt bot der Versucher an, auf seine Macht zu verzichten, die er sich angeeignet hatte. Christus hätte der furchtbaren Zukunft entgehen können, indem Er die Oberhoheit Satans anerkannte. Das wäre aber die Niederlage in dem großen Kampf gewesen. Indem Satan versuchte, sich über den Sohn Gottes zu erheben, hatte er im Himmel gesündigt. Würde er jetzt siegen, dann wäre dies der Triumph der Rebellion gewesen. DM.89.1 Teilen

Als Satan Christus erklärte, dass das Reich und die Herrlichkeit der Welt ihm übertragen sei und er sie geben könne, wem immer er wolle, sagte er nur teilweise die Wahrheit. Er sagte dies, um seinen verführerischen Absichten näherzukommen. Satans hatte Adam seine Herrschaft entrissen, denn Adam war der Statthalter des Schöpfers. Er war kein unabhängiger Regent. Die Erde gehört Gott, und Er hat alle Dinge seinem Sohn übergeben. Adam sollte unter dessen Gewalt herrschen. Als Adam nun betrogen war, gelangte seine Herrschaft in Satans Hände — dennoch blieb Christus der rechtmäßige König. So hatte der Herr auch zu König Nebukadnezar gesagt, dass „der Höchste Gewalt hat über die Königreiche der Menschen und sie geben kann, wem er will“. Daniel 4,14. Satan kann seine angemaßte Gewalt nur so weit ausüben, wie Gott es zulässt. DM.89.2 Teilen

Als der Versucher Christus das Reich und die Herrlichkeit der Welt anbot, beabsichtigte er, dass Christus seine wahre Königsherrschaft über die Welt aufgeben und die Herrschaft nur unter Satan ausüben würde. Auf eine solche Herrschaft war auch die Hoffnung der Juden gegründet. Sie sehnten sich nach einem Reich von dieser Welt. Hätte Christus eingewilligt, ihnen das zu geben, dann wäre Er von ihnen gern aufgenommen worden. Doch der Fluch der Sünde ruhte mit all seinem Elend darauf. Christus forderte den Versucher auf: „Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: ‚Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen‘“. Matthäus 4,10. DM.89.3 Teilen

Satan, der im Himmel rebelliert hatte, bot Christus die Reiche dieser Welt an, um dadurch Seine Huldigung für die Grundsätze des Bösen zu erkaufen. Doch Er ließ sich nicht kaufen. Er war gekommen, um ein Reich der Gerechtigkeit zu gründen und wollte Seinen Vorsatz nicht aufgeben. Mit der gleichen Versuchung tritt Satan auch an die Menschen heran, doch bei ihnen hat er mehr Erfolg als bei Christus. Den Menschen bietet er das Reich dieser Welt an unter der Bedingung, dass sie seine Oberherrschaft anerkennen. Er verlangt, dass sie ihre Rechtschaffenheit opfern, das Gewissen missachten und der Selbstsucht nachgeben. Christus gebietet ihnen, zuerst nach dem Reich Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit zu trachten, doch Satan steht daneben und sagt ihnen: „Ganz gleich, was hinsichtlich des ewigen Lebens wahr ist, wenn ihr in dieser Welt Erfolg haben wollt, dann müsst ihr mir dienen. Ich halte euer Wohlergehen in meinen Händen. Ich kann euch Reichtum, Vergnügen, Ehre und Glück geben. Hört auf meinen Rat! Lasst euch nicht von solch eigenartigen Ansichten über Ehrlichkeit und Selbstverleugnung beherrschen! Ich will euch euren Weg bahnen.“ Auf diese Weise werden die Menschen betrogen. Sie sind bereit, dem eigenen Ich zu dienen, und Satan ist zufrieden. Während er sie mit der Hoffnung auf weltlichen Erfolg lockt, gewinnt er die Herrschaft über sie. Doch Er bietet den Menschen etwas an, was ihm gar nicht gehört und was ihm bald genommen wird und im Gegenzug betrügt er sie um ihren Anspruch auf das Erbe der Kinder Gottes. Satan stellte in Zweifel, ob Jesus der Sohn Gottes war. In dieser kurzen Zurückweisung erhielt er Beweise, die er nicht leugnen konnte. Die Gottheit blitzte aus dem leidenden Menschensohn hervor. Satan hatte keine Kraft, sich dem Befehl zu widersetzen. Gedemütigt und aufbegehrend im Zorn war er gezwungen, sich aus der Gegenwart des Erlösers der Welt zurückzuziehen. Christi Sieg war ebenso vollständig, wie es die Niederlage Adams war. DM.89.4 Teilen

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So können auch wir der Versuchung widerstehen und Satan zwingen, von uns zu weichen. Jesus erlangte den Sieg durch Seine Unterordnung und Seinen Glauben Gott gegenüber, und durch die Apostel sagt Er zu uns: „So seid nun Gott untertan. Widersteht dem Teufel, so flieht er von euch. Naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch.“ Jakobus 4,7.8. Wir können uns nicht selbst vor der Macht des Versuchers retten. Er hat die Menschheit besiegt, und wenn wir anfangen, in eigener Kraft zu bestehen, dann werden wir eine Beute seiner Anschläge. Aber „der Name des Herrn ist eine feste Burg; der Gerechte läuft dorthin und wird beschirmt“. Sprüche 18,10. Satan zittert und flieht vor dem schwächsten Menschen, der seine Zuflucht in dem mächtigen Namen findet. DM.90.1 Teilen

Nachdem sich der Feind entfernt hatte, fiel Jesus erschöpft zu Boden mit Todesblässe auf Seinem Gesicht. Die Engel des Himmels hatten den Kampf beobachtet und gesehen, wie Ihr geliebter Herr durch dieses unbeschreibliche Leid gehen musste, um für uns Menschen einen Fluchtweg zu bahnen. Er hatte den Test bestanden — eine größere Prüfung, als wir sie je zu ertragen haben. DM.90.2 Teilen

Jetzt, als Er wie tot am Boden lag, dienten Engel dem Sohn Gottes. Er wurde mit Nahrung versorgt, sowie durch die Botschaft von der Liebe Seines Vaters und der Zusicherung getröstet, dass der Himmel über Seinen Sieg triumphierte. Wieder gestärkt, fühlte Sein Herz großes Mitleid mit den Menschen und er fuhr fort, Seine angefangene Aufgabe zu vollenden und nicht eher zu ruhen, bis der Feind überwunden und unser gefallenes Menschengeschlecht erlöst ist. DM.90.3 Teilen

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Niemand wird den Preis unserer Erlösung wirklich begreifen können, bis die Erlösten mit dem Heiland vor dem Thron Gottes stehen werden. Wenn die Herrlichkeiten der ewigen Heimat plötzlich unseren entzückten Sinnen sichtbar werden, dann denken wir daran, dass Jesus all das für uns verließ, nicht nur die himmlischen Höfe, sondern für uns auch das Risiko des Misslingens und der ewigen Verlorenheit trug. Dann werden wir unsere Kronen zu Seinen Füßen legen und in das Lied mit einstimmen: „Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.“ Offenbarung 5,12. DM.91.1 Teilen

Kapitel 14: Wir haben den Messias gefunden
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Auf der Grundlage von Markus 1,2-8; Lukas 3,1-18; Johannes 1,19-51. DM.92 Teilen

Der Täufer Johannes predigte und taufte bei Bethabara jenseits des Jordans. Nicht weit von dieser Stelle entfernt hatte Gott einst den Lauf des Flusses aufgehalten, bis das Volk Israel hindurchgegangen war. Unweit davon war auch die Stadtfestung Jericho durch himmlische Heere gestürmt worden. Alle diese Erinnerungen wurden wieder wachgerufen und verliehen der Botschaft des Täufers besondere Bedeutung. Würde der Gott, Der einst so wunderbar gewirkt hatte, erneut Seine Macht für die Befreiung Israels offenbaren? Diese Gedanken bewegten die Herzen des Volkes, so dass sie sich täglich zahlreich an den Ufern des Jordans versammelten. DM.92.1 Teilen

Die Predigten von Johannes waren im Volk auf ein so großes Echo gestoßen, dass sie die Aufmerksamkeit der geistlichen Oberen erforderten. Die Römer sahen misstrauisch auf jede öffentliche Versammlung, weil sie darin die Gefahr einer Empörung sahen, und jedes mögliche Anzeichen für einen Volksaufstand erregte die Befürchtungen der jüdischen Führung. Johannes hatte die Autorität des Hohen Rates nicht anerkannt und diesen nicht um Erlaubnis für sein Wirken gebeten. Er hatte sowohl die Leiter und das Volk als auch Pharisäer und Sadduzäer gleichermaßen getadelt. Dennoch folgte das Volk ihm eifrig. Das Interesse an seinem Werk schien ständig zu wachsen. Obwohl er beim Hohen Rat nie nach Anerkennung gesucht hatte, rechnete ihn dieser als öffentlichen Lehrer unter seine Gerichtsbarkeit. DM.92.2 Teilen

Diese Körperschaft setzte sich aus Mitgliedern zusammen, die aus der Priesterschaft gewählt wurden, sowie aus den Obersten und Lehrern des Volkes. Der Hohepriester war normalerweise der Vorsitzende. Alle Mitglieder dieses Rates waren zwar ältere Männer, jedoch keine Greise. Es waren gelehrte Männer, die nicht allein in der jüdischen Religion und Geschichte, sondern auch in den allgemeinen Wissenschaften bewandert waren. Sie durften keine körperlichen Gebrechen haben, mussten Ehemänner und Väter sein, um sich mehr als andere menschlich und rücksichtsvoll benehmen zu können. Ihr Versammlungsort war ein mit dem Tempel in Jerusalem verbundener Raum. Zur Zeit der jüdischen Unabhängigkeit war der Hohe Rat oder Sanhedrin der Oberste Nationale Gerichtshof und besaß sowohl weltliche als auch geistliche Autorität. Obwohl er jetzt den römischen Statthaltern untergeordnet war, übte er trotzdem einen großen Einfluss in bürgerlichen und religiösen Angelegenheiten aus. DM.92.3 Teilen

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Der Hohe Rat konnte es nicht lange hinausschieben, die Tätigkeit von Johannes zu untersuchen. Einige erinnerten sich an die Offenbarung des alten Zacharias im Tempel und an die Weissagung des Vaters, die seinen Sohn als Vorläufer des Messias gekennzeichnet hatte. In den Unruhen und Veränderungen der letzten 30 Jahre hatte man diese Hinweise weitgehend aus den Augen verloren. Nun aber dachte man daran in der Erregung, die durch den Dienst des Johannes entstanden war. DM.93.1 Teilen

Es war schon lange her, seit Israel einen Propheten hatte und man solch eine Reformation miterleben konnte, wie sie jetzt im Entstehen war. Das Gebot, die Sünden zu bekennen, schien neu und erschreckend. Viele von den Leitern wollten nicht hingehen, um sich die Aufrufe und Anklagen von Johannes anzuhören, denn sie befürchteten, von Johannes ihrer Lebensgeheimnisse überführt zu werden. Doch seine Predigt war eine direkte Ankündigung des Messias. Es war gut bekannt, dass die 70 Wochen aus den Weissagungen Daniels, die sich auf die Ankunft des Messias beziehen, fast um waren, und jeder wollte am Zeitalter der nationalen Herrlichkeit teilhaben, das dann erwartet wurde. Die Begeisterung des Volkes war so groß, dass sich der Hohe Rat genötigt sah, dem Wirken von Johannes entweder zuzustimmen oder es zu verwerfen. Ihre Macht über das Volk hatte schon bedenklich abgenommen. Es stellte sich ihnen die ernste Frage, wie sie ihre Autorität aufrecht halten sollten. In der Hoffnung, zu irgendeinem Entschluss zu kommen, sandte man eine Abordnung von Priestern und Leviten an den Jordan, um sich mit dem neuen Lehrer zu befassen. DM.93.2 Teilen

Eine große Volksmenge war beisammen und lauschte seinen Worten, als die Abgeordneten dem Jordan näher kamen. Die hochmütigen Rabbiner trugen mit autoritärer Mine ein betont vornehmes Wesen zur Schau, um das Volk zu beeindrucken und die Ehrerbietung des Propheten herauszufordern. Respektvoll, ja geradezu furchtsam teilte sich die Menge beim Herannahen der Priester, um sie hindurch zu lassen. Die großen Männer in ihren prächtigen Gewändern, stolz auf Rang und Macht, standen jetzt vor dem Prediger in der Wüste. „Wer bist du?“, wollten sie wissen. Johannes, der ihre Gedanken erriet, antwortete: „Ich bin nicht der Christus.“ Sie fragten ihn: „Was denn? Bist du Elia?“ Er sprach: „Ich bin‘s nicht.“ „Bist du der Prophet?“ „Nein.“ Da sprachen sie zu ihm: „Was bist du denn? dass wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben. Was sagst du von dir selbst?“ „Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Richtet den Weg des Herrn! wie der Prophet Jesaja gesagt hat.“ Johannes 1,19-23. DM.93.3 Teilen

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Die Schriftstelle, auf die Johannes hier verwies, war jene herrliche Weissagung: „Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist ... Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des Herrn Mund hat‘s geredet“. Jesaja 40,1-5. DM.94.1 Teilen

Wenn im Altertum ein König durch weniger bevölkerte Teile eines Gebiets reiste, wurde dem fürstlichen Wagen eine Abteilung vorausgeschickt, um die Erhebungen des Weges abzutragen und Vertiefungen aufzufüllen, damit der König sicher und unbehindert reisen konnte. Dieses Bild verwendete der Prophet, um das Wirken des Evangeliums zu veranschaulichen. „Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden.“ Wenn der Geist Gottes mit Seiner wunderbar aufrüttelnden Kraft die Seele berührt, demütigt er den menschlichen Stolz. Weltliche Vergnügungen, sowie Ehre und Macht werden als wertlos angesehen. Die „Anschläge und alles Hohe, das sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes“, werden zunichte, und jeder Gedanke wird gefangen genommen „unter den Gehorsam Christi“. 2.Korinther 10,5. Dann stehen Demut und selbstlose Liebe hoch in Kurs, die sonst unter den Menschen wenig geschätzt werden. Das macht das Werk des Evangeliums aus, von dem die Botschaft des Johannes ein Teil war. DM.94.2 Teilen

Die Rabbiner setzten ihre Befragung fort: „Warum taufst du denn, wenn du nicht der Christus bist noch Elia noch der Prophet?“ Johannes 1,25. Das Wort „der Prophet“ bezog sich auf Mose. Die Juden waren der Meinung, dass Mose von den Toten auferstehen und zum Himmel auffahren würde. Sie wussten nicht, dass er längst auferstanden war. Als der Täufer seinen Dienst begann, dachten viele, er wäre der von den Toten auferstandene Mose, denn er schien sehr genaue über die Prophezeiungen und die Geschichte Israels Bescheid zu wissen. Sie glaubten auch, dass vor dem Kommen des Messias Elia persönlich erscheinen würde. Dieser Erwartung begegnete Johannes mit einer Verneinung, doch hatten seine Worte eine tiefere Bedeutung. Jesus sagte später, indem Er auf Johannes verwies: „Wenn ihr‘s annehmen wollt: er ist Elia, der da kommen soll“. Matthäus 11,14. Johannes kam im Geist und in der Kraft Elias, um ein solches Werk zu tun, wie es auch Elia tat. Hätten die Juden ihn angenommen, dann wäre es auch für sie ausgeführt worden. Doch sie nahmen seine Botschaft nicht an, denn für sie war er nicht der Elia. So konnte er auch für sie nicht die Aufgabe ausführen, die zu tun er gekommen war. DM.94.3 Teilen

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Viele von denen, die sich am Jordan versammelten, waren bei der Taufe Jesu dabei gewesen, doch das dort gegebene Zeichen war nur wenigen offenbart worden. Während der vorangegangenen Monate der Tätigkeit des Täufers hatten viele es abgelehnt, den Bußruf zu beachten. Dadurch hatten sie ihre Herzen verhärtet und ihr Verstand wurde verdunkelt. Als der Himmel bei der Taufe Jesu von Ihm Zeugnis ablegte, nahmen sie es nicht wahr. Augen, die sich niemals glaubensvoll Ihm, dem Unsichtbaren, zugewandt hatten, sahen nicht die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes. Ohren, die niemals Seiner Stimme gelauscht hatten, hörten auch nicht die Worte des Zeugnisses. Genauso ist es auch heute. Oft ist die Gegenwart Christi und der dienenden Engel in den Zusammenkünften der Menschen offenbar geworden, und dennoch gibt es viele, die nichts davon wissen. Sie bemerken nichts Ungewöhnliches. Doch einigen Leuten wurde die Gegenwart des Heilands enthüllt. Frieden und Freude belebten ihre Herzen. Sie wurden getröstet, ermutigt und gesegnet. DM.95.1 Teilen

Die Abgesandten aus Jerusalem hatten Johannes weiter gefragt: „Warum taufst du denn?“, und sie erwarteten seine Antwort. Plötzlich, als sein Blick über die Menge flog, strahlten seine Augen, sein Gesicht hellte auf und er war tief bewegt. Mit ausgestreckten Händen rief er: „Ich taufe mit Wasser; aber Er ist mitten unter euch getreten, den Ihr nicht kennt. Der wird nach mir kommen, und ich nicht wert bin, dass ich Seine Schuhriemen löse“. Johannes 1,26.27. DM.95.2 Teilen

Das war eine klare, unmissverständliche Botschaft, die dem Hohen Rat gebracht werden sollte. Die Worte von Johannes konnten auf niemand anderen angewandt werden, als auf den schon lange Verheißenen. Der Messias befand sich unter ihnen! Erstaunt blickten die Priester und Obersten um sich, um denjenigen zu entdecken, von dem Johannes gesprochen hatte, aber Er war in der großen Menschenmenge nicht zu sehen. DM.95.3 Teilen

Als Johannes bei der Taufe Jesu auf Ihn als das Lamm Gottes wies, fiel neues Licht auf die Aufgabe des Messias. Die Gedanken des Propheten wurden auf die Worte Jesajas gelenkt: „Wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird“. Jesaja 53,7. Während der folgenden Wochen studierte Johannes mit neuem Interesse die Weissagungen und Lehren des Opferdienstes. Er unterschied zwar nicht klar die zwei Phasen der Tätigkeit Christi — einmal als leidendes Opfer, zum anderen als siegreicher König —, doch er sah, dass Sein Kommen eine tiefere Bedeutung hatte, als es von den Priestern oder vom Volk erkannt wurde. Als er Jesus bei dessen Rückkehr aus der Wüste unter der Menge erblickte, hoffte er zuversichtlich, dass Er dem Volk einige Zeichen Seines wahren Charakters gäbe. Fast ungeduldig wartete er darauf, dass der Heiland Seine Mission erklärte, doch kein Wort wurde gesprochen, und kein Zeichen gegeben. Jesus reagierte nicht auf die Ankündigung des Täufers, sondern mischte sich unter die Anhänger von Johannes und gab weder ein äußerliches Zeichen Seiner besonderen Aufgabe, noch unternahm er etwas, um die Aufmerksamkeit auf Sich zu lenken. Am nächsten Tag sah Johannes Jesus herankommen. DM.95.4 Teilen

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Erfüllt von der Herrlichkeit Gottes, streckte der Prophet seine Hände aus und rief: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt! Das ist der, von dem ich sagte: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist; denn er war eher als ich. Und ich kannte ihn nicht; aber damit er Israel offenbar würde, darum bin ich gekommen, mit Wasser zu taufen. ... Ich sah den Geist wie eine Taube vom Himmel herabsteigen, und er blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht; aber der mich sandte, mit Wasser zu taufen, der sprach zu mir: Der, auf den du den Geist herabsteigen und auf ihm bleiben siehst, der ist‘s, der mit Heiligem Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeuge, dass dieser der Sohn Gottes ist.“ Johannes 1,29-34. DM.96.1 Teilen

War dieser der Christus? Ehrfürchtig und verwundert sahen die Menschen auf den, der gerade als Sohn Gottes bezeichnet worden war. Sie wurden durch die Worte von Johannes tief bewegt. Er hatte zu ihnen im Namen Gottes gesprochen. Sie hatten ihm Tag für Tag zugehört, als er ihre Sünden rügte, und waren täglich immer mehr überzeugt worden, dass er vom Himmel gesandt sei. Aber wer war Dieser, der größer als Johannes der Täufer sein sollte? In Seiner Kleidung und Haltung war nichts, was nach einem besonderen Rang aussah. Er schien ein gewöhnlicher Mensch zu sein — ebenso gekleidet wie sie mit dem bescheidenen Gewand der Armen. DM.96.2 Teilen

Unter der Menge gab es einige, die bei Jesu Taufe die göttliche Herrlichkeit gesehen und die Stimme Gottes gehört hatten. Doch seitdem hatte sich das Aussehen des Heilandes sehr verändert. Bei der Taufe sahen sie Sein Angesicht durch das Licht vom Himmel verklärt, jetzt war es bleich, matt und abgezehrt. Er wurde nur vom Propheten erkannt. Als aber die Leute Ihn anschauten, sahen sie ein Angesicht, in dem sich göttliches Erbarmen mit bewusster Stärke verband. Jeder Blick, jeder Gesichtsausdruck war von Demut und unaussprechlicher Liebe geprägt. Er schien von einer Atmosphäre geistlichen Einflusses auszugehen. Während Sein Benehmen sanft und anspruchslos war, beeindruckte Er die Menschen durch eine verborgene Macht, die jedoch nicht ganz unsichtbar bleiben konnte. War dies Der, auf den Israel so lange gewartet hatte? DM.96.3 Teilen

Jesus kam in Armut und Erniedrigung, damit Er sowohl unser Vorbild als auch unser Erlöser sein konnte. Wenn Er in königlicher Pracht erschienen wäre, wie hätte Er Demut lehren können? Und wie hätte Er solch herausfordernde Wahrheiten wie in der Bergpredigt äußern können? Wo wäre die Hoffnung der Niedrigen denn geblieben, wenn Jesus nur gekommen wäre, um als König unter den Menschen zu leben? DM.96.4 Teilen

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Der Menge schien es dennoch unmöglich, dass dieser Eine, von Johannes angekündigt, mit ihren hohen Erwartungen im Zusammenhang stehen sollte. Deshalb waren viele enttäuscht und äußerst verwirrt. DM.97.1 Teilen

Die Worte, welche die Priester und Rabbiner so gern hören wollten, dass Jesus nun die Königsherrschaft in Israel wieder aufrichten würde, blieben ungesagt. Auf so einen König hatten sie unablässig gewartet. Solch einen König wollten sie gern willkommen heißen. Doch jemand, der in ihren Herzen ein Königreich der Gerechtigkeit und des Friedens aufrichten wollte, den würden sie nicht annehmen. DM.97.2 Teilen

Am nächsten Tag, während in seiner Nähe zwei Jünger standen, sah Johannes Jesus unter dem Volk. Wieder erhellte sich das Angesicht des Propheten von der Herrlichkeit des Unsichtbaren, als er ausrief: „Siehe, das ist Gottes Lamm!“ Diese Worte begeisterten die Jünger, obwohl sie nicht ganz deren Sinn verstanden. Was bedeutete der Name, den Johannes Ihm gab — „Gottes Lamm“? Der Täufer hatte es nicht erklärt. DM.97.3 Teilen

Die Jünger verließen Johannes und suchten Jesus auf. Einer der beiden war Andreas, der Bruder von Simon; der andere war Johannes, der Evangelist. Sie wurden die ersten Jünger Christi. Getrieben von einem unwiderstehlichen Impuls, folgten sie Ihm und wollten gern mit Ihm reden, dennoch schwiegen sie vor Ehrfurcht — überwältigt von dem Gedanken: „Ist dieser der Messias?“ DM.97.4 Teilen

Jesus wusste, dass Ihm die Jünger folgten. Sie waren die Erstlingsfrucht Seines Dienstes, und das Herz des göttlichen Lehrers freute sich, als diese Menschen von Seiner Gnade bewegt wurden. Doch als Er sich umwandte, fragte Er nur: „Was sucht ihr?“ Johannes 1,38.39. Er wollte ihnen die Freiheit lassen, umzukehren oder ihr Verlangen auszusprechen. DM.97.5 Teilen

Die Jünger waren sich aber nur eines bewusst: Die Gegenwart des Einen erfüllte ihre Gedanken. Sie sprachen: „Rabbi, wo wohnst du?“ In einer kurzen Unterhaltung am Wege konnten sie nicht das empfangen, wonach sie sich sehnten. Sie wollten mit Jesus allein sein, zu Seinen Füßen sitzen und Seine Worte hören. Da sprach der Herr zu ihnen: „Kommt und seht! Sie kamen und sahen‘s und blieben den Tag bei ihm“. Johannes 1,39. DM.97.6 Teilen

Hätten Johannes und Andreas den ungläubigen Geist der Priester und Obersten gehabt, dann wären sie nicht als Lernende zu den Füßen des Herrn gesessen, sondern wären zu Ihm als Kritiker gekommen, um über Seine Worte zu richten. Auf diese Weise verschließen sich viele die Tür für die wertvollsten Gelegenheiten. Doch diese Jünger Christi handelten anders. Sie hatten den Ruf des Heiligen Geistes in der Predigt von Johannes dem Täufer erwidert. Nun erkannten sie auch die Stimme des himmlischen Lehrers. So waren ihnen die Worte Jesu voller Frische, Wahrheit und Schönheit. Göttliche Erleuchtung erhellte die Lehren der alttestamentlichen Schriften. Die alten Themen der Wahrheit erscheinen ihnen in einem ganz neuen Licht. Es sind Reue, Glaube und Liebe, die den Menschen befähigen, die himmlische Weisheit zu erhalten. Der Glaube, der durch die Liebe wirkt, ist der Schlüssel zur Erkenntnis, und jeder, der „liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.“ 1.Johannes 4,7. DM.97.7 Teilen

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Der Jünger Johannes war ein Mensch, von ernstem, tiefem Gemüt, inbrünstig und dennoch nachdenklich. Er hatte angefangen, die Herrlichkeit Christi zu erkennen — nicht den weltlichen Prunk und die Macht, auf die zu hoffen er gelehrt worden war, sondern „seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, wie sie der einzige [Sohn] von seinem Vater hat, voll Gnade und Wahrheit“. Johannes 1,14 (Zürcher). Er war vom Nachdenken über dieses wunderbare Thema ganz in Anspruch genommen. DM.98.1 Teilen

Andreas wollte gern die Freude weitergeben, die sein Herz erfüllte. Er suchte seinen Bruder Simon auf und rief: „Wir haben den Messias gefunden“. Johannes 1,41. Simon brauchte keine weitere Aufforderung. Auch er hatte der Predigt von Johannes dem Täufer gelauscht und eilte nun zum Heiland. Christi Auge ruhte auf ihm, während es seinen Charakter und den Lauf seines Lebens sah: Seine impulsive Natur, sein liebendes, teilnahmsvolles Herz, sein Ehrgeiz und sein Selbstvertrauen, die Geschichte seines Falls, seine Reue, sein Wirken und sein Märtyrertod — all das sah der Erlöser und sagte: „Du bist Simon, des Johannes Sohn; du sollst Kephas heißen, das wird verdolmetscht: Fels“. Johannes 1,42. DM.98.2 Teilen

„Als Jesus am nächsten Tag beschloss, nach Galiläa zu gehen, begegnete er Philippus und sagte zu ihm: ‚Komm mit und folge mir nach.‘“ Joh. 1,43; NL Philippus gehorchte dieser Aufforderung und wurde sofort ein Mitarbeiter Christi. DM.98.3 Teilen

Philippus rief Nathanael. Dieser war unter der Menge gewesen, als der Täufer auf Jesus als Lamm Gottes hinwies. Als Nathanael Jesus sah, war er enttäuscht. Konnte dieser Mann, der die Spuren von Arbeit und Armut an sich trug, wirklich der Messias sein? Doch Nathanael wollte Jesus nicht verwerfen; die Botschaft des Täufers hatte ihn überzeugt. DM.98.4 Teilen

Als Philippus ihn jetzt rief, hatte Nathanael sich gerade in einen stillen Hain zurückgezogen, um über die Ankündigung von Johannes und über die Prophezeiung hinsichtlich des Messias nachzudenken. Er betete: Wenn der von Johannes Angekündigte der Erlöser sei, dann möge es ihm kundgetan werden, und die Gegenwart des Heiligen Geistes versicherte ihm, dass Gott Sein Volk besucht und ein „Horn des Heils“ aufgerichtet habe. Lukas 1,69. Philippus wusste, dass sein Freund die Weissagungen studierte, und während Nathanael gerade unter einem Feigenbaum betete, fand er ihn. Oft hatten sie an diesem abgelegenen Ort, von Laubwerk verborgen, zusammen gebetet. Die Mitteilung: „Wir haben den gefunden, von welchem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben“ schien Nathanael eine direkte Antwort auf sein Gebet zu sein. Doch Philippus hatte noch einen zaghaften Glauben. Er fügte mit leisem Zweifel hinzu: „Jesus, Josephs Sohn von Nazareth.“ Erneut wurde Nathanaels Vorurteil wach, und er rief: „Was kann von Nazareth Gutes kommen?“ DM.98.5 Teilen

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Philippus ließ sich auf keine Diskussion ein. Er sagte nur: „Komm und sieh es!“ Johannes 1,45.46. „Jesus sah Nathanael kommen und sagt von ihm: Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist. Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bevor Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.“ Johannes 1,47.48. DM.99.1 Teilen

Das genügte. Der göttliche Geist, der sich zu Nathanaels einsamem Gebet unter dem Feigenbaum bekannt hatte, sprach jetzt zu ihm in den Worten Jesu. Obwohl noch in Zweifeln und zu Vorurteilen neigend, war Nathanael mit dem aufrichtigen Verlangen nach Wahrheit zu Jesus gekommen, und nun wurde sein Verlangen gestillt. Sein Glaube übertraf noch den Glauben dessen, der ihn zu Jesus gebracht hatte. Er antwortete dem Herrn: „Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel!“ Johannes 1,49. Hätte sich Nathanael der Führung der Rabbiner anvertraut, würde er Jesus nie gefunden haben. Durch eigenes Erleben und Berühren wurde er ein Jünger Jesu. Ebenso lassen sich noch heute viele Menschen aus Vorurteil vom Guten fernhalten. Wie ganz anders gestaltete sich ihr Leben, wenn sie „kommen und sehen“ würden! DM.99.2 Teilen

Niemand wird zur errettenden Erkenntnis der Wahrheit finden, der sich der Führung menschlicher Autoritäten anvertraut. Wir müssen wie Nathanael das Wort Gottes selbst studieren und um die Erleuchtung durch den Heiligen Geist bitten. Er, der Nathanael unter dem Feigenbaum erblickte, wird auch uns an unserem verborgenen Anbetungsort sehen. Engel aus der himmlischen Welt des Lichts sind denen nahe, die demütig nach göttlicher Führung suchen. DM.99.3 Teilen

Mit der Berufung von Johannes, Andreas, Simon, Philippus und Nathanael begann die Gründung der christlichen Gemeinde. Johannes der Täufer wies zwei seiner Jünger zu Jesus. Der eine von diesen, Andreas, fand seinen Bruder und rief ihn zum Heiland. Dann wurde Philippus berufen, und der ging, um Nathanael zu suchen. Diese Beispiele sollten uns die Wichtigkeit von persönlichen Aufrufen an unsere Verwandten, Freunde und Nachbarn deutlich machen. Es gibt solche, die zeitlebens bekennen, mit Christus zu leben, doch sich noch nie persönlich darum bemüht haben, auch nur einen Menschen zum Heiland zu führen. Sie überlassen diese Arbeit dem Prediger. Dieser mag für seine Aufgabe zwar gut befähigt sein, aber er kann nicht das tun, was Gott den Gliedern seiner Gemeinde aufgetragen hat. DM.99.4 Teilen

Es gibt auch viele, die den Dienst aus einem liebenden, christlichen Herzen benötigen. Viele sind schon verloren gegangen, die hätten gerettet werden können, wenn ihre Nachbarn, Freunde und Bekannten sich persönlich um sie bemüht hätten. Viele warten darauf, persönlich angesprochen zu werden. Besonders in der Familie, in der Nachbarschaft und am Wohnort gibt es als Missionare Christi Arbeit für uns. Sind wir Christen, dann wird dieser Dienst uns eine Freude sein. Wir gelten nicht eher als bekehrt, als bis in uns ein Verlangen geboren wurde, anderen mitzuteilen, welchen kostbaren Freund wir in Jesus gefunden haben. Die rettende und heiligende Wahrheit lässt sich nicht im Herzen verschließen. DM.99.5 Teilen

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Alle, die dem Herrn geweiht sind, werden Kanäle des Lichtes sein. Gott macht sie zu Seinen Werkzeugen, um anderen vom Reichtum Seiner Gnade zu erzählen. Er hat verheißen: „Ich will sie und alles, was um meinen Hügel her ist, segnen und auf sie regnen lassen zu rechter Zeit. Das sollen gnädige Regen sein“. Hesekiel 34,26. DM.100.1 Teilen

Philippus sprach zu Nathanael: „Komm und sieh es!“ Er bat ihn nicht, das Zeugnis von anderen anzunehmen, sondern Christus selbst zu sehen. Seitdem Jesus zum Himmel aufgefahren ist, sind Seine Nachfolger Seine Beauftragten unter den Menschen; und einer der wirksamsten Wege, um Menschen für Ihn zu gewinnen, besteht darin, Seinen Charakter in unserem täglichen Leben zu veranschaulichen. Unser Einfluss, den wir auf andere ausüben, hängt nicht so sehr von dem ab, was wir sagen, sondern von dem, was wir sind. Die Menschen mögen unser logisches Denken bekämpfen, sich dem widersetzen und unsere Aufforderungen abweisen, doch ein Leben selbstloser Liebe ist ein Argument, dem sie nicht widersprechen können. Ein beständiges Leben, gekennzeichnet durch die Sanftmut Christi, ist eine Macht in der Welt. DM.100.2 Teilen

Die Lehre Christi war der Ausdruck einer tief verwurzelten innerlichen Überzeugung und Erfahrung, und jene, die von Ihm lernen, werden Lehrer nach der göttlichen Ordnung sein. Das Wort Gottes, durch jemanden gesprochen, der selbst durch das Wort geheiligt ist, hat eine lebenspendende Kraft, welche die Hörer anzieht und sie davon überzeugt, dass es eine lebendige Wirklichkeit ist. Wenn jemand die Wahrheit in Liebe empfangen hat, wird er dies durch sein Verhalten und den Klang seiner Stimme überzeugend ausdrücken. Er verkündet, was er selbst gehört und gesehen hat und was ihn vom Wort des Lebens berührte, damit auch andere Gemeinschaft mit ihm durch die Erkenntnis Christi haben können. Sein Zeugnis, das von Lippen kommt, die mit einer glühenden Kohle vom Altar berührt worden sind, ist Wahrheit für empfängliche Herzen und heiligt den Charakter. Vgl. Jesaja 6,6f. DM.100.3 Teilen

Wer danach trachtet, anderen Licht zu bringen, wird selbst gesegnet werden. „Das sollen gnädige Regen sein.“ „Wer anderen zu trinken gibt, wird selbst erquickt.“ Hesekiel 34,26; Sprüche 11,25. Gott könnte seine Absicht, Sünder zu retten, auch ohne unsere Mithilfe erreichen, doch damit wir einen Charakter nach dem Vorbild Christi entwickeln, müssen wir an Seinem Werk teilhaben. Um zu Seiner Freude einzugehen — der Freude nämlich, Menschenseelen zu sehen, die durch Sein Opfer erlöst wurden —, müssen wir an Seinem Wirken für ihre Erlösung auch tätig sein. DM.100.4 Teilen

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Nathanaels erste Glaubensbekundung — so hingebungsvoll, ernst und aufrichtig — war daher wie Musik in den Ohren Jesu. Und er „antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst, weil ich dir sagte: Ich sah dich unter dem Feigenbaum? Du wirst Größeres sehen als das“. Johannes 1,50. Der Heiland schaute mit Freuden auf die vor Ihm liegende Aufgabe, den Demütigen die Frohe Botschaft zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu heilen und den Gefangenen Satans die Freiheit zu predigen. Beim Gedanken an die wertvollen Segnungen, die Er den Menschen gebracht hatte, fügte Jesus hinzu: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herab fahren über den Menschensohn“. Johannes 1,51. DM.101.1 Teilen

Sinngemäß sagte Christus: Am Ufer des Jordans öffnete sich der Himmel, und der Geist kam auf mich herab wie eine Taube. Diese Szene war nur ein Zeichen, dass ich Gottes Sohn bin. Glaubst du dies nun, dann soll dein Glaube belebt werden. Du wirst den Himmel offen sehen, um nie nie wieder um nie wieder geschlossen zu werden. Ich habe ihn für dich geöffnet. Die Engel Gottes steigen hinauf und tragen die Gebete der Bedürftigen und Bedrückten zum Vater empor und kommen herab, um den Menschenkindern Segen und Hoffnung, Mut, Hilfe und Leben zu bringen. DM.101.2 Teilen

Die Engel Gottes bewegen sich von der Erde zum Himmel und vom Himmel zur Erde. Die Macht Gottes vollbrachte die Wunder Christi an den Kranken und Leidenden durch den Dienst der Engel. Und durch Christus gelangen auch die Segnungen von Gott zu uns, durch den Dienst der himmlischen Boten. Indem Er die menschliche Natur annahm, verband unser Heiland Seine Interessen mit denen der gefallenen Söhne und Töchter Adams, während Er durch seine Göttlichkeit den Thron Gottes umschließt. Dadurch ist Christus das Bindeglied in der Kommunikation des Menschen mit Gott, und Gott mit dem Menschen geworden. DM.101.3 Teilen

Kapitel 15: Auf der Hochzeit zu Kana
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Auf der Grundlage von Johannes 2,1-11. DM.102 Teilen

Seinen Dienst begann Jesus nicht mit großen Taten vor dem Hohen Rat, .sondern bei einer Familienfeier in einem kleinen galiläischen Dorf, und .zwar anlässlich der Hochzeit zu Kana. Hier offenbarte Er Seine Macht und bewies dadurch Seine Anteilnahme am menschlichen Erleben. Er wollte dazu beitragen, das Leben der Menschen froher und glücklicher zu machen. In der Wüste hatte Er selbst den Leidenskelch getrunken. Nun kam Er, um den Menschen den Segenskelch zu reichen und durch Seinen Segen auch die verwandtschaftlichen Beziehungen im Leben der Menschen zu heiligen. DM.102.1 Teilen

Vom Jordan aus war Jesus nach Galiläa zurückgekehrt. In Kana, nicht weit von Nazareth entfernt, sollte eine Hochzeit stattfinden. Die Ausrichter waren Verwandte von Josef und Maria. Weil Jesus von dieser Familienzusammenkunft wusste, ging Er nach Kana und war mit Seinen Jüngern zum Fest eingeladen. DM.102.2 Teilen

Hier traf Er Seine Mutter nach längerer Trennung wieder. Maria hatte von den Ereignissen am Jordan und Seiner Taufe gehört. Berichte waren bis nach Nazareth gedrungen und hatten ihre Erinnerungen an jene Erlebnisse wieder wachgerufen, die in ihrem Herzen so lange verborgen waren. Wie ganz Israel war auch sie durch die Sendung von Johannes dem Täufer aufgerüttelt worden. Sie erinnerte sich gut an die Verheißungen, die bei dessen Geburt gegeben worden waren. Jetzt wurden ihre Hoffnungen durch dessen Verbindung mit Jesus wieder belebt. Aber sie erreichten auch Nachrichten von Jesu seltsamem Verschwinden in die Wüste, weshalb sie von beunruhigenden Ahnungen erfüllt war. DM.102.3 Teilen

Von dem Tag an, als Maria die Ankündigung des Engels in ihrem Heim zu Nazareth gehört hatte, war Maria jeder Hinweis darauf wertvoll, dass Jesus der Messias sei. Sein reines, selbstloses Leben gab ihr Gewissheit, dass Er niemand anders als der von Gott Gesandte war. Dennoch kamen in ihr Zweifel und Enttäuschungen auf, und sie sehnte sich nach der Zeit, wenn Seine Herrlichkeit sichtbar werden würde. Joseph, der mit ihr das Geheimnis der Geburt Jesu geteilt hatte, war ihr durch den Tod entrissen worden. Nun hatte sie niemand, dem sie sich mit ihren Hoffnungen und Befürchtungen anvertrauen konnte. Die vergangenen zwei Monate waren für sie recht traurig gewesen. Sie war von Jesus getrennt gewesen, dessen Mitgefühl ihr stets den besten Trost gegeben hatte, und hatte viel über die Worte Simeons nachdenken müssen: „Auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen“. Lukas 2,35. Die drei Tage schwerer Seelenangst rief sie sich in Erinnerung, an denen sie meinte, Jesus für immer verloren zu haben, und mit sorgenvollem Herzen erwartete sie nun Seine Rückkehr. DM.102.4 Teilen

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Auf der Hochzeit zu Kana trifft sie Jesus wieder — denselben liebevollen, pflichtbewussten Sohn. Dennoch ist Jesus nicht derselbe geblieben. Sein Aussehen hat sich verändert. Es trug die Spuren Seines seelischen Ringens in der Wüste, und ein bis dahin unbekannter Ausdruck von Würde und Macht wiesen auf Seine himmlische Sendung hin. Um Ihn war eine Schar junger Männer, deren Augen Ihm ehrfürchtig folgten und die Ihn „Meister“ nannten. Diese Begleiter berichten nun Maria, was sie bei Jesu Taufe und auch bei anderen Gelegenheiten gesehen und gehört haben. Sie schließen mit der Erklärung: „Wir haben den gefunden, von welchem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben“. Johannes 1,45. DM.103.1 Teilen

Während sich die Gäste versammeln, scheinen viele mit einer wichtigen Sache beschäftigt zu sein. Eine verheimlichte Erregung beherrscht die Anwesenden. In Gruppen stehen sie zusammen und unterhalten sich lebhaft, aber leise blicken sie fragend auf den Sohn von Maria. Als Maria das Zeugnis der Jünger über Jesus gehört hatte, war sie von der freudigen Gewissheit erfüllt, dass ihre lang gehegten Hoffnungen nicht vergeblich waren. Doch sie stünde über der Menschheit, wenn sich in die heilige Freude nicht auch der natürliche Stolz einer liebenden Mutter gemischt hätte. Als sie die vielen auf Jesus gerichteten Blicke bemerkte, sehnte sie sich danach, dass ihr Sohn der Gesellschaft einen Beweis gäbe, dass Er wirklich der Geehrte Gottes wäre. Sie hoffte, es fände sich für Ihn eine Gelegenheit, vor ihnen ein Wunder zu wirken. DM.103.2 Teilen

Nach damaligen Brauch dauerte eine Hochzeitsfeier normalerweise mehrere Tage. Bei diesem Fest stellte sich heraus, dass der Vorrat an Wein nicht reichte, und dies wiederum verursachte Sorge und Bedauern. Es war üblich, bei festlichen Gelegenheiten reichlich Wein zur Verfügung zu stellen, und ein Mangel daran hätte auch ein Mangel an Gastfreundschaft bedeutet. Als Verwandte des Brautpaars hatte Maria bei den Vorbereitungen zum Fest mitgeholfen und sagte nun zu Jesus: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Diese Worte sollten ein Hinweis für Ihn sein, um dem Mangel abzuhelfen. Aber Jesus sprach: „Frau, was habe ich mit dir zu tun? Meine Stunde ist noch nicht gekommen“. Johannes 2,3.4. Diese uns schroff erscheinende Antwort drückte keine Kälte oder Unhöflichkeit aus. Die vom Erlöser gewählte Form, Seiner Mutter zu antworten, entsprach der damaligen orientalischen Gepflogenheit. Man benutzte diese Anrede bei Leuten, denen man Achtung erweisen wollte. Jede Handlung Christi auf Erden entsprach dem von Ihm selbst gegebenen Gebot: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!“ 2.Mose 20,12. Bei Seinem letzten fürsorglichen Akt gegenüber Seiner Mutter sprach Er sie am Kreuz genauso an, als Er sie der Obhut Seines Lieblingsjüngers Johannes anbefahl. Auf der Hochzeit zu Kana und auch am Kreuz erklärte die Liebe, die in Seinem Tonfall, Seinem Blick und Seinem Verhalten zum Ausdruck kommt, die Bedeutung Seiner Worte. DM.103.3 Teilen

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Bei Seinem Besuch als Jugendlicher im Tempel, als das Geheimnis Seiner Lebensaufgabe sich Ihm enthüllte, hatte Christus zu Maria gesagt: „Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“. Lukas 2,49. Diese Worte enthüllen den Grundgedanken Seines ganzen Lebens und Wirkens. Alles musste sich Seiner Aufgabe unterordnen — dem großen Werk der Erlösung zu dessen Durchführung Er in die Welt gekommen war. Jetzt wiederholte Er diese Lehre. Die Gefahr lag nahe, dass Maria durch ihre Verwandtschaft mit Jesus ein besonderes Anrecht auf Ihn geltend machen wollte und den Anspruch, Ihn in Seiner Mission bis zu einem gewissen Grad zu leiten. 30 Jahre lang war Er ihr ein liebender und gehorsamer Sohn gewesen, und Seine Liebe zu ihr war unverändert, doch nun musste Er das Werk Seines himmlischen Vaters beginnen. Als Sohn des Allerhöchsten und als Heiland der Welt durften Ihn keine irdischen Banden bei der Erfüllung Seiner Aufgabe abhalten, noch Sein Verhalten beeinflussen. Er musste bei der Ausübung des Willens Gottes frei sein. Diese Lektion gilt auch uns: Gottes Ansprüche stehen höher als die Bindungen menschlicher Verwandtschaft. Keine irdische Verlockung darf unsere Füße von jenem Pfad abwenden, den Gott uns gehen heißt. DM.104.1 Teilen

Die einzige Hoffnung auf Erlösung für die gefallene Menschheit liegt in Christus. Auch Maria konnte nur durch das Lamm Gottes Erlösung finden. Sie besaß in sich keinerlei Verdienste. Ihre Verbindung mit Jesus brachte sie in keine andere geistliche Beziehung zu Ihm als irgendeine andere menschliche Person. Das wird auch in den Worten Jesu deutlich. Er machte einen Unterschied in Seinem Verhältnis zu ihr als Menschensohn und als Sohn Gottes. Das Band irdischer Verwandtschaft rückte sie keineswegs auf die gleiche Stufe mit Ihm. DM.104.2 Teilen

Die Worte „Meine Zeit ist noch nicht gekommen“ betonen, dass jede Handlung Christi auf Erden in Erfüllung des Planes geschah, der schon von Ewigkeit her bestanden hatte. Bevor Jesus zur Erde kam, lag der ganze Plan in allen Details vor Ihm. Als er aber unter den Menschen wandelte, wurde Er Schritt für Schritt durch den Willen Seines Vaters geleitet. Er zögerte nicht, zur festgelegten Zeit zu handeln. Mit derselben Unterordnung wartete Er auch, bis Seine Zeit gekommen war. Indem Jesus zu Maria sagte, dass Seine Zeit noch nicht gekommen sei, antwortete Er auf ihren unausgesprochenen Gedanken — auf die Erwartung, die sie gemeinsam mit ihrem Volk hegte. Sie hoffte, Er würde sich als Messias offenbaren und den Thron in Israel einnehmen. Doch die Zeit war dafür noch nicht gekommen. Nicht als König, sondern als „Mann der Schmerzen und vertraut mit Krankheit“ (Jesaja 53,3, Zürcher) hatte Jesus das Schicksal der Menschheit angenommen. DM.104.3 Teilen

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Obwohl Maria von Christi Aufgabe keine richtige Vorstellung hatte, vertraute sie Ihm einfach. Auf diesen Glauben hin reagierte Jesus. Das erste Wunder wurde vollbracht, um Marias Vertrauen und den Glauben Seiner Jünger zu stärken. Die Jünger mussten zahlreichen und großen Versuchungen zum Unglauben begegnen. Ihnen hatten es die Prophezeiungen unzweifelhaft klar gemacht, dass Jesus der Messias war. Sie erwarteten, dass die religiösen Führer Ihn mit noch größerem Vertrauen aufnehmen würden als sie selbst. Sie erzählten im Volk die wunderbaren Werke Christi und sprachen von ihrem eigenen Glauben an Seine Sendung, doch sie waren über den Unglauben, das tiefsitzende Vorurteil und die Feindschaft gegen Jesus, welche die Priester und Rabbiner zeigten, überrascht und bitter enttäuscht. Die ersten Wunder des Heilandes ermutigten die Jünger, diesem Widerstand entschlossen zu begegnen. DM.105.1 Teilen

Durch Jesu Worte überhaupt nicht entmutigt, sagte Maria zu den Dienern am Tisch: „Was er euch sagt, das tut.“ Johannes 2,5. Damit tat sie alles, was sie konnte, um den Weg für das Werk Christi vorzubereiten. DM.105.2 Teilen

An der Tür standen sechs große steinerne Wasserkrüge, und Jesus wies die Diener an, diese mit Wasser zu füllen. Es geschah. Dann, weil der Wein dringend gebraucht wurde, sagte Jesus: „Schöpft nun und bringt‘s dem Speisemeister!“ Johannes 2,8. Statt des Wassers, womit die Krüge gefüllt worden waren, floss Wein heraus. Weder der Gastgeber noch die Gäste hatten überhaupt einen Mangel bemerkt. Als aber der Speisemeister den Wein probierte, den die Diener ihm brachten, fand er ihn wesentlich besser als jeden Wein, den er jemals getrunken hatte, und ganz anders als der bisher ausgeschenkte. Er wandte sich an den Bräutigam und sagte: „Jeder bietet zuerst den guten Wein an! Und erst später, wenn alle schon genug getrunken haben, kommt der billigere Wein auf den Tisch. Aber du hast den besten Wein bis jetzt zurückgehalten.“ Johannes 2,10 (HfA). DM.105.3 Teilen

Wie die Menschen zuerst den besten Wein servieren und danach den minderwertigeren, so macht es die Welt mit ihren Gaben. Was sie anbietet, mag dem Auge gefallen und die Sinne faszinieren, aber es erweist sich als unbefriedigend. Der Wein verwandelt sich in Bitterkeit, die Fröhlichkeit in Trübsinn. Was mit Gesang und Heiterkeit begann, endet in Müdigkeit und Abscheu. Doch die Gaben Jesu sind immer frisch und neu. Das Fest, welches Er der Seele bereitet, hört nie auf, Befriedigung und Freude zu schenken. Jede neue Gabe vergrößert die Fähigkeit des Empfängers, die Segnungen des Herrn zu schätzen und zu genießen. Er gibt Gnade um Gnade. Daran wird kein Mangel sein. Wenn du in Ihm bleibst, verbürgt dir die Tatsache, dass du heute eine reiche Gabe erhältst, für morgen ein noch wertvolleres Geschenk. Die Worte Jesu an Nathanael verdeutlichen die Gesetzmäßigkeit des Handelns Gottes mit den Kindern des Glaubens. Mit jeder neuen Offenbarung Seiner Liebe erklärt Er dem empfänglichen Herzen: „Du glaubst ... du wirst noch Größeres als das sehen“. Johannes 1,50. DM.105.4 Teilen

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Christi Gabe zum Hochzeitsfest war ein Sinnbild. Das Wasser stellte die Taufe in Seinen Tod dar, der Wein das Vergießen Seines Blutes für die Sünden der Welt. Das Wasser zum Füllen der Krüge wurde von menschlichen Händen gebracht, aber nur das Wort Christi konnte ihm die lebenspendende Eigenschaft geben. So ist es auch mit den Bräuchen, die auf den Tod des Heilands hinweisen: Nur durch die Kraft Christi, die durch den Glauben wirkt, sind sie in der Lage, die Seele zu ernähren. Christi Wort trug reichlich zum Gelingen für das Hochzeitsfest bei. Ebenso reichlich ist die Versorgung mit Seiner Gnade, um alle Sünden auszutilgen und die Seele zu erneuern und zu stärken. DM.106.1 Teilen

Auf dem ersten Fest, das Christus mit Seinen Jüngern besuchte, reichte Er ihnen den Kelch, der Sein Werk für ihre Rettung darstellte. Bei dem letzten Abendessen gab Er ihn wieder, der bei der Einsetzung jener heiligen Handlung, durch den Sein Tod verkündet werden soll, „bis er kommt“. 1.Korinther 11,26. DM.106.2 Teilen

Der Schmerz der Jünger bei der Trennung von ihrem Herrn wurde durch die Verheißung einer Wiedervereinigung gemildert. Jesus sagte deshalb: „Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich von neuem davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich.“ Matthäus 26,29. Der Wein, mit welchem der Herr die Gäste versorgte, und jener, den Er den Jüngern als Sinnbild Seines Blutes gab, war reiner Traubensaft. Darauf bezieht sich der Prophet Jesaja, wenn er vom „Saft in der Traube“ spricht und sagt: „Verdirb es nicht, denn es ist ein Segen darin!“ Jesaja 65,8. DM.106.3 Teilen

Es war Christus, der Israel im Alten Testament die Warnung gab: „Der Wein macht Spötter, und starkes Getränk macht wild; wer davon taumelt, wird niemals weise.“ Sprüche 20,1. Und Er selbst besorgte auch kein solches Getränk. Satan versucht die Menschen, sich der Befriedigung hinzugeben, die den Verstand verdunkelt und die geistliche Wahrnehmungsfähigkeit betäubt, doch Christus lehrt uns, die niedere Natur zu beherrschen. Sein ganzes Leben war ein Beispiel der Selbstverleugnung. Um die Macht des Appetits zu brechen, erlitt Er an unserer Statt die schwerste Prüfung, welche die menschliche Natur ertragen konnte. Es war Christus, der Johannes den Täufer anwies, weder Wein noch andere Alkoholika zu trinken. Auch war Er es, der der Frau von Manoah eine ähnliche Enthaltsamkeit vorschrieb. Und Er sprach einen Fluch über den Menschen aus, der seinem Nächsten die Flasche an die Lippen hebt. Christus widerspricht nicht Seiner eigenen Lehre. Der unvergorene Wein, den Er für die Hochzeitsgäste bereitete, war ein gesundes und erfrischendes Getränk. Es wirkte so, dass der Geschmackssinn mit einem gesunden Appetit in Übereinstimmung gebracht wurde. DM.106.4 Teilen

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Als die Gäste auf dem Fest über die Qualität des Weines sprachen, wurden Nachforschungen angestellt. Von den Dienern erfuhr man von dem Wunder. Die Hochzeitsgesellschaft war eine Zeitlang viel zu überrascht, um an den zu denken, der dieses wunderbare Werk vollbracht hatte. Als sie schließlich nach ihm suchten, stellte es sich heraus, dass Er sich so still zurückgezogen hatte, dass es sogar von Seinen Jüngern unbemerkt geblieben war. DM.107.1 Teilen

Die Aufmerksamkeit der Gesellschaft richtete sich nun auf die Jünger. Zum ersten Mal hatten sie Gelegenheit, ihren Glauben an Jesus zu bekennen. Sie erzählten, was sie am Jordan gesehen und gehört hatten, und in vielen Herzen wurde die Hoffnung lebendig, dass Gott seinem Volk einen Befreier gesandt hatte. Die Nachricht von dem Wunder breitete sich in der ganzen Gegend aus und wurde auch nach Jerusalem getragen. Mit neuem Interesse durchforschten die Priester und Ältesten die Prophezeiungen, die auf Christi Kommen hinwiesen. Mit großem Verlangen wollte man etwas über die Mission dieses neuen Lehrers erfahren, der unter dem Volk in einer so unauffälligen Weise erschien. DM.107.2 Teilen

Der Dienst Christi stand in auffälligem Gegensatz zu dem der jüdischen Ältesten. Ihre Hochachtung vor der Tradition und dem Formalismus hatte die wahre Freiheit im Denken und Handeln zerstört, selbst zu denken und zu handeln. Sie lebten ständig in Angst, sich zu verunreinigen. Um die Berührung mit dem „Unreinen“ zu vermeiden, hielten sie sich nicht nur von Heiden fern, sondern auch von den meisten Menschen ihres eigenen Volkes. Weder versuchten sie, ihnen zum Segen zu sein, noch, sie als Freunde zu gewinnen. Indem sie ständig bei diesen Dingen verweilten, ließen sie ihren Geist verkümmern und engten ihren Lebensbereich ein. Ihr Beispiel ermutigte aber Menschen aller Schichten zum Egoismus und zur Intoleranz. DM.107.3 Teilen

Jesus begann das Werk der Reformation, indem Er mit der Menschheit in engen Kontakt kam. Während Er dem Gesetz Gottes größte Ehrfurcht erwies, tadelte Er die überhebliche Frömmelei der Pharisäer und versuchte, das Volk von den sinnlosen Vorschriften zu befreien, die sie banden. Er trachtete danach, die Schranken niederzureißen, welche die verschiedenen Gesellschaftsgruppen voneinander trennten, um alle Menschen als Kinder einer einzigen Familie zusammenzubringen. Seine Teilnahme an dem Hochzeitsfest sollte ein Schritt dahin sein. DM.107.4 Teilen

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Gott hatte Johannes den Täufer angewiesen, in der Wüste zu leben, damit er vor dem Einfluss der Priester und Rabbiner bewahrt und auf seine besondere Aufgabe vorbereitet würde. Aber an der Askese und Abgeschiedenheit seines Lebens sollte sich das Volk kein Beispiel nehmen. Johannes hatte seine Zuhörer nicht aufgefordert, ihre bisherige Tätigkeit aufzugeben. Er verlangte von ihnen den Beweis ihrer Reue an dem Platz, an den Gott sie gerufen hatte. DM.108.1 Teilen

Jesus tadelte die Genusssucht in allen ihren Formen, dennoch hatte Er ein geselliges und umgängliches Wesen. Er nahm die Gastfreundschaft aller Volksschichten an und besuchte die Heime der Armen und Reichen, der Gelehrten und Ungebildeten und versuchte ihre Gedanken vom Alltäglichen auf Fragen des geistlichen und ewigen Lebens zu lenken. Er verurteilte ein ausschweifendes Leben, und kein Schatten weltlichen Leichtsinns verunreinigte sein Verhalten. Doch Er freute sich am harmlosen Vergnügen und durch Seine Gegenwart rechtfertigte Er auch geselliges Beisammensein. Eine jüdische Hochzeit bot dazu eine beeindruckende Gelegenheit, und eine solche Fröhlichkeit bereitete auch dem Menschensohn Freude. Durch Seine Teilnahme an diesem Fest ehrte Jesus die Ehe als eine göttliche Einrichtung. DM.108.2 Teilen

Im Alten wie auch im Neuen Testament wird die eheliche Beziehung als Gleichnis für die zärtliche und heilige Verbindung zwischen Christus und Seinem Volk benutzt. Jesu Gedanken wurden durch die Fröhlichkeiten der Hochzeitsfeier auf die Freude jenes Tages vorwärts gerichtet, an dem Er Seine Braut zum Vaterhaus führen wird und die Erlösten sich mit Ihrem Erlöser zum Hochzeitsmahl des Lammes versammeln werden. Er sagt: „Wie sich ein Bräutigam freut über die Braut, so wird sich dein Gott über dich freuen.“ „Man soll dich nicht mehr nennen ‚Verlassene‘ ..., sondern du sollst heißen ‚Meine Lust‘...; denn der Herr hat Lust an dir.“ „Er wird sich über dich freuen und dir freundlich sein, er wird dir vergeben in seiner Liebe und wird über dich mit Jauchzen fröhlich sein.“ Jesaja 62,5.4; Zephanja 3,17. Als dem Apostel Johannes ein Blick auf das Geschehen im Himmel gewährt wurde, schrieb er: „Und ich hörte etwas wie eine Stimme einer großen Schar und wie eine Stimme großer Wasser und wie eine Stimme starker Donner, die sprachen: Halleluja! Denn der Herr, unser Gott, der Allmächtige, hat das Reich eingenommen! Lasst uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben, denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und seine Braut hat sich bereitet!“ „Selig sind, die zum Hochzeitsmahl des Lammes berufen sind“. Offenbarung 19,6.7.9. DM.108.3 Teilen

Jesus sah in jedem Menschen jemanden, an den der Ruf ergehen muss, in Sein Reich zu kommen. Er erreichte die Herzen der Menschen, indem Er sich als einer unter sie mischte und sich danach sehnte, ihnen Gutes zu tun. Er suchte sie auf den Straßen, in ihren Heimen, auf den Booten, in der Synagoge, am Seeufer und auf dem Hochzeitsfest. Er traf sie bei ihrer täglichen Arbeit und interessierte sich für ihre weltlichen Angelegenheiten. Er trug seine Lehre in die Haushalte, in denen Er die Familien in ihren Heimen unter den Einfluss Seiner göttlichen Gegenwart brachte. Seine starke persönliche Anteilnahme half Ihm, Herzen zu gewinnen. Er zog sich oft zum stillen Gebet ins Gebirge zurück, doch dies war eine Vorbereitung für Sein Wirken unter Menschen, die im aktiven Leben standen. Von diesen Gebetszeiten kehrte Er zurück, um den Kranken Linderung zu bringen, die Unwissenden zu unterweisen und die Ketten der von Satan Gefangenen zu brechen. DM.108.4 Teilen

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Jesus unterrichtete Seine Jünger durch Freundschaft und persönlichen Kontakt. Manchmal lehrte Er sie, indem Er mitten unter ihnen am Bergeshang saß; manchmal offenbarte Er die Geheimnisse des Reiches Gottes am See oder bei den gemeinsamen Wanderungen. Er hielt keine langen Predigten, wie es Menschen heute tun. Wo immer Herzen geöffnet waren, um die göttliche Botschaft aufzunehmen, entfaltete Er die Wahrheiten über den Weg der Erlösung. Er verlangte von Seinen Jüngern nicht, dies oder das zu tun, sondern sagte nur: „Folge mir nach.“ Auf seinen Reisen durch Land und Städte nahm Er sie mit sich, damit sie sehen könnten, wie Er die Menschen belehrte. Er verknüpfte ihre Interessen mit den Seinen, und sie vereinten sich mit Ihm in der Arbeit. DM.109.1 Teilen

Das Beispiel Christi, sich die Interessen der Menschen anzueignen, sollte von allen befolgt werden, die Sein Wort predigen und die das Evangelium Seiner Gnade empfangen haben. Wir dürfen uns einem geselligen Umgang nicht entziehen und sollen uns nicht von anderen absondern. Um alle Menschen zu erreichen, müssen wir sie dort aufsuchen, wo sie sind. Selten werden sie von selbst auf uns zukommen. Nicht nur von der Kanzel aus werden Menschenherzen von der göttlichen Wahrheit berührt. Es gibt noch ein anderes Arbeitsfeld, das zwar einfacher ist, aber ebenso viel versprechend. Man findet es im Heim der Niedrigen und in den Villen der Reichen, an der gastfreundlichen Tafel und auch bei harmlosen geselligen Zusammenkünften. DM.109.2 Teilen

Als Jünger Christi sollen wir uns nicht aus Liebe zum Vergnügen unter die Welt mischen, um mit ihr an denselben Torheiten teilzuheben. Solche Gesellschaft kann uns nur schaden. Wir sollen Sünde niemals durch unsere Worte oder Taten, durch unser Stillschweigen oder unsere Gegenwart gutheißen. Wohin wir auch gehen, müssen wir Jesus mit uns nehmen und den anderen zeigen, wie wertvoll uns der Heiland geworden ist. Doch wer versucht, seinen Glauben dadurch zu verheimlichen, indem er ihn hinter Steinmauern versteckt, verliert viele wertvolle Gelegenheiten, um Gutes zu tun. Durch gesellschaftliche Kontakte kommen Christen mit der Welt in Berührung. Jeder, der vom göttlichen Licht berührt wurde, soll auch versuchen, den Pfad jener zu erhellen, die noch nichts vom Licht des Lebens wissen. DM.109.3 Teilen

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Wir alle sollten Zeugen für Jesus werden. Unser gesellschaftlicher Einfluss, geheiligt durch die Gnade Christi, muss kultiviert werden, um Menschen für den Heiland zu gewinnen. Lasst die Welt sehen, dass wir nicht selbstsüchtig in unseren eigenen Interesse aufgehen, sondern danach verlangen, unsere Segnungen und Vorrechte mit anderen zu teilen. Sie sollen sehen, dass unsere Religion uns nicht unfreundlich oder streng macht. Mögen alle, die bekennen, Christus gefunden zu haben, ebenso wie Er dem Wohl der Menschen dienen. Wir sollten der Welt nie den falschen Eindruck geben, dass Christen schwermütige, unglückliche Menschen sind. Wenn unsere Augen auf Jesus gerichtet sind, werden wir einen mitfühlenden Erlöser sehen und Licht von Seinem Angesicht empfangen. Wo immer Sein Geist regiert, wird Friede sein. Und auch Freude wird es geben, denn es herrscht ein ruhiges, heiliges Vertrauen auf Gott. DM.110.1 Teilen

Christus freut sich über Seine Nachfolger, wenn sie trotz ihres Menschseins zeigen, dass sie Teilhaber der göttlichen Natur sind. Sie sind keine Statuen, sondern lebendige Männer und Frauen. Ihre Herzen, erfrischt vom Tau der göttlichen Gnade, öffnen und weiten sich hin zur Sonne der Gerechtigkeit. Das Licht, das auf sie scheint, lassen sie durch Taten, die von der Liebe Christi leuchten, auf andere zurückstrahlen. DM.110.2 Teilen

Kapitel 16: In seinem Tempel
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Auf der Grundlage von Matthäus 21,12-17; Markus 11,15; Lukas 19,45. DM.111 Teilen

„Danach ging Jesus hinab nach Kapernaum, er, seine Mutter, seine Brüder und seine Jünger, und sie blieben nicht lange da. Und das Passahfest der Juden war nahe, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem.“ Johannes 2,12.13. Auf dieser Reise schloss sich Jesus einer der großen Menschengruppen an, die sich auf dem Weg zur Hauptstadt befanden. Er hatte über Seine Aufgabe noch nicht öffentlich gesprochen, so mischte er sich unbeachtet unter die Menge. Dabei war das Kommen des Messias, auf das die Predigt des Täufers besonders die Aufmerksamkeit gelenkt hatte, oft das Thema der Unterhaltung. Mit großer Begeisterung sprach man von der Hoffnung auf die kommende nationale Größe. Jesus wusste, dass diese Hoffnung enttäuscht werden musste, denn sie gründete sich auf eine falsche Auslegung der Schrift. Mit tiefem Ernst erklärte Er die Weissagungen und versuchte die Menschen zu einem gründlicheren Erforschen des Wortes Gottes anzuregen. DM.111.1 Teilen

Die jüdischen Lehrer hatten das Volk unterwiesen, dass es in Jerusalem lernen würde, wie man Gott anbetet. Dort versammelten sich während der Passahwoche viele Menschen aus allen Teilen Palästinas und sogar aus entfernten Ländern. Die Tempelhöfe füllten sich mit verschiedensten Leuten. Vielen war es nicht möglich, die Opfer mitzubringen, die als Sinnbild des einen großen Opfers geopfert werden sollten. Um es ihnen zu erleichtern, wurden Opfertiere im äußeren Vorhof des Tempels gekauft und verkauft. Hier kamen verschiedenste Menschen zusammen, um ihre Opfergaben zu kaufen. Dazu wurde alle Fremdwährung in die Münze des Heiligtums umgewechselt. DM.111.2 Teilen

Es wurde verlangt, dass jeder Jude jährlich einen halben Silberling für „die Versöhnung seiner Seele“ 2. Mose 30,12 zahlen sollte. Der so gesammelte Betrag diente dem Unterhalt des Tempels. Außerdem wurden große Summen als freiwillige Gaben aufgebracht, die in die Schatzkammer des Tempels flossen. Es wurde erwartet, dass alle Fremdwährung umgewechselt würde in die Münze, die man Schekel des Heiligtums nannte und für den Dienst im Tempel annahm. Dieser Geldwechsel bot Gelegenheit zu Betrug und Wucher und war zu einem entehrenden Handel ausgeartet, der jedoch eine gute Einnahmequelle für die Priester bildete. Die Händler verlangten überzogen hohe Preise für die Tiere und teilten ihren Gewinn mit den Priestern und Obersten, die sich so auf Kosten des Volkes bereicherten. Die Anbetenden waren gelehrt worden zu glauben, dass der Segen Gottes nicht auf ihren Kindern und auf ihrem Acker ruhte, wenn sie keine Opfer brächten. Auf diese Weise konnte ein hoher Preis für die Tiere gefordert werden. Wer einen weiten Weg zurückgelegt hatte, wollte nicht in seine Heimat zurückkehren, ohne den Opferdienst erfüllt zu haben, zu dem er so weit hierher gekommen war. DM.111.3 Teilen

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Zur Zeit des Passahfestes wurden viele Opfer gebracht, und der Verkauf im Vorhof war äußerst lebhaft. Die dadurch entstehende Unruhe ließ eher auf einen lärmenden Viehmarkt als auf den heiligen Tempel Gottes schließen. Man hörte hitziges Feilschen, das Brüllen der Rinder, das Blöken der Schafe und das Gurren der Tauben, vermischt mit dem Geräusch klingender Münzen und dem Lärm zorniger Wortgefechte. Das Durcheinander war so groß, dass dadurch die Andächtigen gestört wurden. Ihre Gebete wurden übertönt von dem Tumult, der bis in den Tempel drang. Die Juden waren besonders stolz auf ihre Frömmigkeit. Sie bejubelten ihren Tempel und empfanden jedes Wort, das gegen ihn gesprochen wurde, als Gotteslästerung. Sie hielten auch rigoros die Beachtung der mit ihm verbundenen gottesdienstlichen Handlungen ein. So hatte ihre Liebe zum Geld alle Bedenken überwunden. Sie waren sich kaum klar darüber, wie weit sie von der eigentlichen Bedeutung des Dienstes abgewichen waren, den Gott selbst eingesetzt hatte. DM.112.1 Teilen

Als der Herr damals auf den Berg Sinai herab kam, wurde dieser Ort durch Seine Gegenwart geheiligt. Mose wurde angewiesen, den Berg einzuzäunen und zu heiligen. Gott warnte das Volk und sagte: „Hütet euch, auf den Berg zu steigen oder seinen Fuß anzurühren; denn wer den Berg anrührt, der soll des Todes sterben. Keine Hand soll ihn anrühren, sondern er soll gesteinigt oder erschossen werden; es sei Tier oder Mensch, sie sollen nicht leben bleiben“. 2.Mose 19,12.13. So wurde gelehrt, dass jeder Ort, an dem Gott Seine Gegenwart offenbart, ein heiliger Ort ist. Die Vorhöfe des Tempels hätten allen heilig sein müssen, aber diese Gewinnsucht machte alle Bedenken zunichte. DM.112.2 Teilen

Die Priester und Obersten waren dazu aufgerufen, für das Volk Repräsentanten Gottes sein. Sie hätten den Missbrauch des Tempelhofes nicht erlauben dürfen, sondern sollten vielmehr dem Volk ein Beispiel der Rechtschaffenheit und Barmherzigkeit geben, statt ihren eigenen Vorteil zu suchen. Sie waren aufgerufen, an die Lage und Bedürfnisse der Anbetenden zu denken und denen zu helfen, die nicht die erforderlichen Opfertiere kaufen konnten. Nichts davon geschah. Die Habsucht hatte ihre Herzen ganz verhärtet. DM.112.3 Teilen

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Zum Fest kamen Leidende, Bedürftige und Bedrückte, Blinde, Lahme und Taube. Manche wurden sogar auf Betten dorthin gebracht. Es kamen viele, die zu arm waren, um auch nur die geringste Opfergabe für den Herrn zu kaufen und einfach selbst zu arm, um sich Nahrung zu besorgen und den eigenen Hunger zu stillen. Sie wurden durch die Forderungen der Priester sehr bekümmert, die dabei auf ihre Frömmigkeit noch sehr stolz waren und behaupteten, sich um die Belange des Volkes zu kümmern. Tatsächlich aber kannten sie weder Mitgefühl noch Erbarmen. Arme, Kranke und Sterbende flehten vergeblich um irgendeine Vergünstigung. Ihre Not weckte kein Mitleid in den Herzen der Priester. DM.113.1 Teilen

Als Jesus in den Tempel ging, überschaute Er die ganze Situation. Er sah die unehrlichen Geschäfte und auch das Elend der Armen, die man im Glauben gelassen hat, dass es ohne Blutvergießen von Tieren keine Vergebung der Sünden gäbe. Er sah den äußeren Vorhof Seines Tempels in einen Ort hemmungslosen Schacherns verwandelt. Die heilige Stätte glich einem großen Marktplatz. DM.113.2 Teilen

Christus sah, dass hier etwas geschehen musste. Zahlreiche Zeremonien waren dem Volk auferlegt, ohne dass es deren genaue Bedeutung kannte. Die Anbeter brachten ihre Opfer, ohne zu wissen, dass diese ein Sinnbild für das einzige vollkommene Opfer waren. Nun stand Er, auf den all ihr Gottesdienst hinwies, unerkannt und unbeachtet unter ihnen. Er hatte die Anordnungen bezüglich der Opfer gegeben. Er kannte auch ihre symbolische Bedeutung und sah nun, dass sie entartet war und missverstanden wurden. Die Anbetung im Geist war fast verschwunden. Es bestand keinerlei Verbindung zwischen den Priestern und Obersten und ihrem Gott. Es war Christi Aufgabe, eine völlig neue Form des Gottesdienstes einzuführen. DM.113.3 Teilen

Mit durchdringendem Blick erfasst Christus von den Stufen des Tempelhofes aus die Szene vor sich. Mit prophetischem Auge schaut Er in die Zukunft und überblickt nicht nur Jahre, sondern ganze Jahrhunderte und Zeitalter. Er sieht, wie die Priester und Obersten des Volkes das Recht der Bedürftigen beugen und wie sie verbieten, das Evangelium den Armen zu predigen. Er sieht, wie die Liebe Gottes den Sündern verborgen bleibt und wie die Menschen Seine Gnade zum Handelsgut herabwürdigten. Jesu Blick drückt Empörung, Macht und Autorität aus, als Er auf dieses Treiben schaut. Die Aufmerksamkeit der Menschen dort richtet sich auf Ihn. Die Augen jener, die sich mit dem unehrlichen Handel befassen, starrten auf sein Gesicht. Sie können ihren Blick nicht abwenden und spüren aber, dass dieser Mann ihre geheimsten Gedanken liest und ihre verborgensten Absichten durchschaut. Einige versuchen, ihre Gesichter zu verbergen, als ob ihre bösen Taten darauf geschrieben stünden. Der Lärm verebbt nun. Die Rufe der Händler und Käufer verstummen. Eine peinliche Stille entsteht. Ein Gefühl des Schreckens erfüllt sie. Es ist, als ob alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen, um sich für ihre Taten zu verantworten. Als sie auf Christus schauen, sehen sie, wie die Gottheit durch Seine menschliche Gestalt hindurch leuchtet. Die Majestät des Himmels steht als Richter des Jüngsten Tages vor ihnen — zwar nicht umgeben von der Herrlichkeit, die sie dann begleiten wird, aber mit der Macht, die das Innerste durchschaut. Sein Auge blickt über die Menge, jeden einzelnen erfassend. Seine Gestalt scheint sich in gebietender Würde über alle Anwesenden zu erheben, und göttliches Licht verklärt Sein Angesicht. Er spricht, und Seine klare, klangvolle Stimme — dieselbe Stimme, die damals auf dem Berg Sinai das Gesetz verkündete, das die Priester und Obersten jetzt so frevelhaft übertreten — ertönt und hallt im ganzen Tempelgewölbe wider: „Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus!“ Johannes 2,16. DM.113.4 Teilen

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Langsam steigt Er dann die Stufen hinab, erhebt die Geißel aus Stricken, die Er bei Seinem Eintritt in den Vorhof aufgenommen hat, und befielt den Händlern, den Tempelbereich zu verlassen. Mit einem Eifer und einer Strenge, wie Er sie niemals vorher gezeigt hat, stößt Er die Tische der Geldwechsler um. Die Münzen fallen hell klingend auf den marmornen Boden. Niemand wagt, Jesu Autorität in Frage zu stellen und keiner traut sich, seinen Wuchergewinn vom Boden aufzusammeln. Obwohl Jesus mit der Geißel nicht zuschlägt, erscheint sie doch in Seiner hoch erhobenen Hand wie ein flammendes Schwert. Tempelbeamte, schachernde Priester, Geldwechsler und Viehhändler mit ihren Schafen und Ochsen eilen davon, nur von einem Gedanken getrieben, dem verzehrenden Feuer der Gegenwart Jesu so schnell wie möglich zu entkommen. DM.114.1 Teilen

Panik erfasst die Menge, die von der Göttlichkeit Jesu berührt wird. Hunderte bleicher Lippen stoßen Schreckensrufe aus. Selbst die Jünger zittern. Sie erstarren in Ehrfurcht vor den Worten und dem Auftreten Jesu, die sich so von Seinem sonstigen Verhalten unterscheiden. Sie erinnern sich, dass von Ihm geschrieben steht: „Der Eifer um dein Haus hat mich gefressen“. Johannes 2,17. DM.114.2 Teilen

Bald hat sich die lärmende Menge mit ihren Waren aus der Nähe des Tempels des Herrn entfernt. Die Höfe sind frei von unheiligem Handel, und eine tiefe, feierliche Stille legt sich über die Stätte der Verwirrung. Die Gegenwart des Herrn, die damals den Berg heiligte, hat jetzt den zu Seiner Ehre erbauten Tempel geheiligt. In der Reinigung des Tempels kündigte der Herr Seine Mission als Messias an und begann damit Sein Werk. Jener Tempel, errichtet als Wohnung der göttlichen Gegenwart, sollte für Israel und für die Welt ein Gleichnis sein. Von Ewigkeit her war es die Absicht Gottes, dass jedes geschaffene Wesen — vom glänzenden Seraph bis zum Menschen — ein Tempel für die Gegenwart des Schöpfers sein sollte. Wegen der Sünde verlor der Mensch dazu die Bereitschaft. Durch das Böse verderbt und verfinstert, konnte das menschliche Herz nicht mehr die Herrlichkeit des Göttlichen darstellen. Aber durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist die Absicht des Himmels erfüllt worden. Gott wohnt im Menschen, und durch Seine errettende Gnade wird das Herz des Menschen wieder sein Tempel. Es war Gottes Wille, dass der Tempel in Jerusalem ein beständiger Zeuge von der hohen Bestimmung sein sollte, zu der jeder berufen ist. Aber die Juden hatten die Bedeutung des Hauses Gottes, das sie mit großem Stolz betrachteten, nicht verstanden. Sie bereiteten sich nicht zu einem heiligen Tempel für den Geist Gottes. Die Höfe des Tempels in Jerusalem, erfüllt vom Durcheinander unheiligen Schacherns, versinnbildeten nur zu genau den Tempel des Herzens, der durch Begierden und unheilige Gedanken verunreinigt war. DM.114.3 Teilen

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Durch die Reinigung des Tempels von weltlichen Käufern und Verkäufern offenbarte Jesus Seine Mission, das Herz von der Verunreinigung durch die Sünde — von irdischen Wünschen, selbstsüchtigen Lüsten und den sündhaften Gewohnheiten, die die Seele verderben — zu reinigen. „Bald wird kommen zu seinem Tempel der Herr, den ihr sucht; und der Engel des Bundes, den ihr begehrt, siehe, er kommt! spricht der Herr Zebaoth. Wer wird aber den Weg seines Kommens ertragen können, und wer wird bestehen, wenn er erscheint? Denn er ist wie das Feuer eines Schmelzers und wie die Lauge der Wäscher. Er wird sitzen und schmelzen und das Silber reinigen, er wird die Söhne Levi reinigen und läutern wie Gold und Silber.“ Maleachi 3,1-3. DM.115.1 Teilen

„Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben, denn der Tempel Gottes ist heilig; der seid ihr.“ 1.Korinther 3,16.17. Niemand kann aus eigener Kraft das Böse austreiben, das sich in seinem Herzen eingenistet hat. Nur Christus ist in der Lage, den Seelentempel zu reinigen. Aber Er wird sich nicht den Eingang erzwingen. Er dringt nicht in das Herz ein, wie einst in den Tempel, sondern Er sagt: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen“. Offenbarung 3,20. Er will kommen — aber nicht nur für einen Tag, denn Er sagt: „Ich will unter euch wohnen und wandeln ..., und sie sollen mein Volk sein“. 2.Korinther 6,16. Er wird „unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen“. Micha 7,19. Seine Gegenwart wird die Seele reinigen und heiligen, um für den Herrn ein heiliger Tempel und eine „Behausung Gottes im Geist“ (Epheser 2,22) zu sein. DM.115.2 Teilen

Die Priester und Obersten waren, angsterfüllt vor dem durchdringenden Blick Jesu, der in ihren Herzen las, schnell aus dem Tempelbereich geflohen. Auf ihrer Flucht begegneten sie anderen, die sich auf dem Weg zum Tempel befanden. Diesen empfohlen die Flüchtenden dann, umzukehren und erzählten ihnen, was sie gehört und gesehen hatten. Christus schaute den Fliehenden nach, denn sie taten Ihm leid in ihrer Furcht und der Unkenntnis hinsichtlich des wahren Gottesdienstes. In diesem Geschehen sah er die Zerstreuung des ganzen jüdischen Volkes durch dessen eigene Bosheit und Unbußfertigkeit versinnbildet. Warum flohen die Priester aus dem Tempel? Und weshalb behaupteten sie nicht ihren Platz? Derjenige, der ihnen zu gehen befahl, war der Sohn eines Zimmermanns, ein armer Galiläer ohne irdischen Rang oder Macht. Weshalb widerstanden sie Ihm nicht? Warum verließen sie ihren Besitz, der so übel erworben war, und flohen auf die Anweisung des Einen hin, dessen äußere Erscheinung so demütig war? DM.115.3 Teilen

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Christus sprach mit der Autorität eines Königs, und in Seinem Auftreten und im Klang Seiner Stimme war etwas, dem sie sich nicht widersetzen konnten. In Jesu gebietenden Worten erkannten sie ihren wirklichen Zustand als Heuchler und Diebe. Als göttliches Wesen durch die Menschheit Christi hindurch strahlte, sahen sie nicht nur Entrüstung auf Seinem Angesicht, sie begriffen auch die Bedeutung Seiner Worte. Sie hatten den Eindruck, vor dem Thron des ewigen Richters zu stehen und ihr Urteil für Zeit und Ewigkeit zu hören. DM.116.1 Teilen

Eine Zeit lang waren sie schon überzeugt, dass Christus ein Prophet sei. Viele hielten ihn sogar für den Messias. Der Heilige Geist erinnerte sie an die Aussprüche der Propheten über Christus. Würden sie sich denn zu dieser Überzeugung auch bekennen? DM.116.2 Teilen

Bereuen wollten sie nicht. Sie kannten Christi Mitleid mit den Armen und wussten, dass sie sich durch ihr Verhalten dem Volk gegenüber des Wuchers schuldig gemacht hatten. Weil Christus ihre Gedanken erkannte, hassten sie Ihn. Sein öffentlicher Tadel war demütigend für sie, und wegen seinem wachsenden Einfluss beim Volk waren sie auf Ihn eifersüchtig. Sie beschlossen, Ihn zur Rede zu stellen hinsichtlich der Macht, in welcher Er sie hinaus getrieben hatte, und wer Ihm diese Macht gegeben habe. Langsam und nachdenklich, aber mit Hass im Herzen, kehrten sie zum Tempel zurück. Doch welch eine Veränderung war in der Zwischenzeit geschehen! Als sie geflohen waren, sind die Armen zurückgeblieben und diese schauten jetzt auf Jesus, dessen Angesicht Liebe und Mitgefühl ausdrückte. Mit Tränen in den Augen sagte Er zu den Zitternden, die um Ihn standen: Fürchtet euch nicht! Ich will euch erlösen, und ihr sollt mich preisen; denn dazu bin ich in die Welt gekommen. DM.116.3 Teilen

Die Menschen drängten sich immer näher an den Heiland und baten: Meister, segne mich! Und Jesus hörte jeden Hilferuf. Mit dem Erbarmen einer liebevollen Mutter beugte Er sich über die leidenden Kleinen. Allen schenkte Er Aufmerksamkeit. Egal, welche Krankheit ein Armer auch haben mochte, jeder wurde geheilt. Die Stummen öffneten ihren Mund zum Lobpreis, die Blinden sahen das Angesicht ihres Heilers, und die Herzen der Leidenden wurden froh. DM.116.4 Teilen

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