Portrait von Ellen White
A-   A+
A-   A+
Bücher
Achtung, noch nicht 100% für das Handy optimiert.
Ich arbeite parallel an der APP.
Kapitel 16: In seinem Tempel
Kapitel 16: In seinem Tempel
111

Auf der Grundlage von Matthäus 21,12-17; Markus 11,15; Lukas 19,45. DM.111 Teilen

„Danach ging Jesus hinab nach Kapernaum, er, seine Mutter, seine Brüder und seine Jünger, und sie blieben nicht lange da. Und das Passahfest der Juden war nahe, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem.“ Johannes 2,12.13. Auf dieser Reise schloss sich Jesus einer der großen Menschengruppen an, die sich auf dem Weg zur Hauptstadt befanden. Er hatte über Seine Aufgabe noch nicht öffentlich gesprochen, so mischte er sich unbeachtet unter die Menge. Dabei war das Kommen des Messias, auf das die Predigt des Täufers besonders die Aufmerksamkeit gelenkt hatte, oft das Thema der Unterhaltung. Mit großer Begeisterung sprach man von der Hoffnung auf die kommende nationale Größe. Jesus wusste, dass diese Hoffnung enttäuscht werden musste, denn sie gründete sich auf eine falsche Auslegung der Schrift. Mit tiefem Ernst erklärte Er die Weissagungen und versuchte die Menschen zu einem gründlicheren Erforschen des Wortes Gottes anzuregen. DM.111.1 Teilen

Die jüdischen Lehrer hatten das Volk unterwiesen, dass es in Jerusalem lernen würde, wie man Gott anbetet. Dort versammelten sich während der Passahwoche viele Menschen aus allen Teilen Palästinas und sogar aus entfernten Ländern. Die Tempelhöfe füllten sich mit verschiedensten Leuten. Vielen war es nicht möglich, die Opfer mitzubringen, die als Sinnbild des einen großen Opfers geopfert werden sollten. Um es ihnen zu erleichtern, wurden Opfertiere im äußeren Vorhof des Tempels gekauft und verkauft. Hier kamen verschiedenste Menschen zusammen, um ihre Opfergaben zu kaufen. Dazu wurde alle Fremdwährung in die Münze des Heiligtums umgewechselt. DM.111.2 Teilen

Es wurde verlangt, dass jeder Jude jährlich einen halben Silberling für „die Versöhnung seiner Seele“ 2. Mose 30,12 zahlen sollte. Der so gesammelte Betrag diente dem Unterhalt des Tempels. Außerdem wurden große Summen als freiwillige Gaben aufgebracht, die in die Schatzkammer des Tempels flossen. Es wurde erwartet, dass alle Fremdwährung umgewechselt würde in die Münze, die man Schekel des Heiligtums nannte und für den Dienst im Tempel annahm. Dieser Geldwechsel bot Gelegenheit zu Betrug und Wucher und war zu einem entehrenden Handel ausgeartet, der jedoch eine gute Einnahmequelle für die Priester bildete. Die Händler verlangten überzogen hohe Preise für die Tiere und teilten ihren Gewinn mit den Priestern und Obersten, die sich so auf Kosten des Volkes bereicherten. Die Anbetenden waren gelehrt worden zu glauben, dass der Segen Gottes nicht auf ihren Kindern und auf ihrem Acker ruhte, wenn sie keine Opfer brächten. Auf diese Weise konnte ein hoher Preis für die Tiere gefordert werden. Wer einen weiten Weg zurückgelegt hatte, wollte nicht in seine Heimat zurückkehren, ohne den Opferdienst erfüllt zu haben, zu dem er so weit hierher gekommen war. DM.111.3 Teilen

112

Zur Zeit des Passahfestes wurden viele Opfer gebracht, und der Verkauf im Vorhof war äußerst lebhaft. Die dadurch entstehende Unruhe ließ eher auf einen lärmenden Viehmarkt als auf den heiligen Tempel Gottes schließen. Man hörte hitziges Feilschen, das Brüllen der Rinder, das Blöken der Schafe und das Gurren der Tauben, vermischt mit dem Geräusch klingender Münzen und dem Lärm zorniger Wortgefechte. Das Durcheinander war so groß, dass dadurch die Andächtigen gestört wurden. Ihre Gebete wurden übertönt von dem Tumult, der bis in den Tempel drang. Die Juden waren besonders stolz auf ihre Frömmigkeit. Sie bejubelten ihren Tempel und empfanden jedes Wort, das gegen ihn gesprochen wurde, als Gotteslästerung. Sie hielten auch rigoros die Beachtung der mit ihm verbundenen gottesdienstlichen Handlungen ein. So hatte ihre Liebe zum Geld alle Bedenken überwunden. Sie waren sich kaum klar darüber, wie weit sie von der eigentlichen Bedeutung des Dienstes abgewichen waren, den Gott selbst eingesetzt hatte. DM.112.1 Teilen

Als der Herr damals auf den Berg Sinai herab kam, wurde dieser Ort durch Seine Gegenwart geheiligt. Mose wurde angewiesen, den Berg einzuzäunen und zu heiligen. Gott warnte das Volk und sagte: „Hütet euch, auf den Berg zu steigen oder seinen Fuß anzurühren; denn wer den Berg anrührt, der soll des Todes sterben. Keine Hand soll ihn anrühren, sondern er soll gesteinigt oder erschossen werden; es sei Tier oder Mensch, sie sollen nicht leben bleiben“. 2.Mose 19,12.13. So wurde gelehrt, dass jeder Ort, an dem Gott Seine Gegenwart offenbart, ein heiliger Ort ist. Die Vorhöfe des Tempels hätten allen heilig sein müssen, aber diese Gewinnsucht machte alle Bedenken zunichte. DM.112.2 Teilen

Die Priester und Obersten waren dazu aufgerufen, für das Volk Repräsentanten Gottes sein. Sie hätten den Missbrauch des Tempelhofes nicht erlauben dürfen, sondern sollten vielmehr dem Volk ein Beispiel der Rechtschaffenheit und Barmherzigkeit geben, statt ihren eigenen Vorteil zu suchen. Sie waren aufgerufen, an die Lage und Bedürfnisse der Anbetenden zu denken und denen zu helfen, die nicht die erforderlichen Opfertiere kaufen konnten. Nichts davon geschah. Die Habsucht hatte ihre Herzen ganz verhärtet. DM.112.3 Teilen

113

Zum Fest kamen Leidende, Bedürftige und Bedrückte, Blinde, Lahme und Taube. Manche wurden sogar auf Betten dorthin gebracht. Es kamen viele, die zu arm waren, um auch nur die geringste Opfergabe für den Herrn zu kaufen und einfach selbst zu arm, um sich Nahrung zu besorgen und den eigenen Hunger zu stillen. Sie wurden durch die Forderungen der Priester sehr bekümmert, die dabei auf ihre Frömmigkeit noch sehr stolz waren und behaupteten, sich um die Belange des Volkes zu kümmern. Tatsächlich aber kannten sie weder Mitgefühl noch Erbarmen. Arme, Kranke und Sterbende flehten vergeblich um irgendeine Vergünstigung. Ihre Not weckte kein Mitleid in den Herzen der Priester. DM.113.1 Teilen

Als Jesus in den Tempel ging, überschaute Er die ganze Situation. Er sah die unehrlichen Geschäfte und auch das Elend der Armen, die man im Glauben gelassen hat, dass es ohne Blutvergießen von Tieren keine Vergebung der Sünden gäbe. Er sah den äußeren Vorhof Seines Tempels in einen Ort hemmungslosen Schacherns verwandelt. Die heilige Stätte glich einem großen Marktplatz. DM.113.2 Teilen

Christus sah, dass hier etwas geschehen musste. Zahlreiche Zeremonien waren dem Volk auferlegt, ohne dass es deren genaue Bedeutung kannte. Die Anbeter brachten ihre Opfer, ohne zu wissen, dass diese ein Sinnbild für das einzige vollkommene Opfer waren. Nun stand Er, auf den all ihr Gottesdienst hinwies, unerkannt und unbeachtet unter ihnen. Er hatte die Anordnungen bezüglich der Opfer gegeben. Er kannte auch ihre symbolische Bedeutung und sah nun, dass sie entartet war und missverstanden wurden. Die Anbetung im Geist war fast verschwunden. Es bestand keinerlei Verbindung zwischen den Priestern und Obersten und ihrem Gott. Es war Christi Aufgabe, eine völlig neue Form des Gottesdienstes einzuführen. DM.113.3 Teilen

Mit durchdringendem Blick erfasst Christus von den Stufen des Tempelhofes aus die Szene vor sich. Mit prophetischem Auge schaut Er in die Zukunft und überblickt nicht nur Jahre, sondern ganze Jahrhunderte und Zeitalter. Er sieht, wie die Priester und Obersten des Volkes das Recht der Bedürftigen beugen und wie sie verbieten, das Evangelium den Armen zu predigen. Er sieht, wie die Liebe Gottes den Sündern verborgen bleibt und wie die Menschen Seine Gnade zum Handelsgut herabwürdigten. Jesu Blick drückt Empörung, Macht und Autorität aus, als Er auf dieses Treiben schaut. Die Aufmerksamkeit der Menschen dort richtet sich auf Ihn. Die Augen jener, die sich mit dem unehrlichen Handel befassen, starrten auf sein Gesicht. Sie können ihren Blick nicht abwenden und spüren aber, dass dieser Mann ihre geheimsten Gedanken liest und ihre verborgensten Absichten durchschaut. Einige versuchen, ihre Gesichter zu verbergen, als ob ihre bösen Taten darauf geschrieben stünden. Der Lärm verebbt nun. Die Rufe der Händler und Käufer verstummen. Eine peinliche Stille entsteht. Ein Gefühl des Schreckens erfüllt sie. Es ist, als ob alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen, um sich für ihre Taten zu verantworten. Als sie auf Christus schauen, sehen sie, wie die Gottheit durch Seine menschliche Gestalt hindurch leuchtet. Die Majestät des Himmels steht als Richter des Jüngsten Tages vor ihnen — zwar nicht umgeben von der Herrlichkeit, die sie dann begleiten wird, aber mit der Macht, die das Innerste durchschaut. Sein Auge blickt über die Menge, jeden einzelnen erfassend. Seine Gestalt scheint sich in gebietender Würde über alle Anwesenden zu erheben, und göttliches Licht verklärt Sein Angesicht. Er spricht, und Seine klare, klangvolle Stimme — dieselbe Stimme, die damals auf dem Berg Sinai das Gesetz verkündete, das die Priester und Obersten jetzt so frevelhaft übertreten — ertönt und hallt im ganzen Tempelgewölbe wider: „Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus!“ Johannes 2,16. DM.113.4 Teilen

114

Langsam steigt Er dann die Stufen hinab, erhebt die Geißel aus Stricken, die Er bei Seinem Eintritt in den Vorhof aufgenommen hat, und befielt den Händlern, den Tempelbereich zu verlassen. Mit einem Eifer und einer Strenge, wie Er sie niemals vorher gezeigt hat, stößt Er die Tische der Geldwechsler um. Die Münzen fallen hell klingend auf den marmornen Boden. Niemand wagt, Jesu Autorität in Frage zu stellen und keiner traut sich, seinen Wuchergewinn vom Boden aufzusammeln. Obwohl Jesus mit der Geißel nicht zuschlägt, erscheint sie doch in Seiner hoch erhobenen Hand wie ein flammendes Schwert. Tempelbeamte, schachernde Priester, Geldwechsler und Viehhändler mit ihren Schafen und Ochsen eilen davon, nur von einem Gedanken getrieben, dem verzehrenden Feuer der Gegenwart Jesu so schnell wie möglich zu entkommen. DM.114.1 Teilen

Panik erfasst die Menge, die von der Göttlichkeit Jesu berührt wird. Hunderte bleicher Lippen stoßen Schreckensrufe aus. Selbst die Jünger zittern. Sie erstarren in Ehrfurcht vor den Worten und dem Auftreten Jesu, die sich so von Seinem sonstigen Verhalten unterscheiden. Sie erinnern sich, dass von Ihm geschrieben steht: „Der Eifer um dein Haus hat mich gefressen“. Johannes 2,17. DM.114.2 Teilen

Bald hat sich die lärmende Menge mit ihren Waren aus der Nähe des Tempels des Herrn entfernt. Die Höfe sind frei von unheiligem Handel, und eine tiefe, feierliche Stille legt sich über die Stätte der Verwirrung. Die Gegenwart des Herrn, die damals den Berg heiligte, hat jetzt den zu Seiner Ehre erbauten Tempel geheiligt. In der Reinigung des Tempels kündigte der Herr Seine Mission als Messias an und begann damit Sein Werk. Jener Tempel, errichtet als Wohnung der göttlichen Gegenwart, sollte für Israel und für die Welt ein Gleichnis sein. Von Ewigkeit her war es die Absicht Gottes, dass jedes geschaffene Wesen — vom glänzenden Seraph bis zum Menschen — ein Tempel für die Gegenwart des Schöpfers sein sollte. Wegen der Sünde verlor der Mensch dazu die Bereitschaft. Durch das Böse verderbt und verfinstert, konnte das menschliche Herz nicht mehr die Herrlichkeit des Göttlichen darstellen. Aber durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist die Absicht des Himmels erfüllt worden. Gott wohnt im Menschen, und durch Seine errettende Gnade wird das Herz des Menschen wieder sein Tempel. Es war Gottes Wille, dass der Tempel in Jerusalem ein beständiger Zeuge von der hohen Bestimmung sein sollte, zu der jeder berufen ist. Aber die Juden hatten die Bedeutung des Hauses Gottes, das sie mit großem Stolz betrachteten, nicht verstanden. Sie bereiteten sich nicht zu einem heiligen Tempel für den Geist Gottes. Die Höfe des Tempels in Jerusalem, erfüllt vom Durcheinander unheiligen Schacherns, versinnbildeten nur zu genau den Tempel des Herzens, der durch Begierden und unheilige Gedanken verunreinigt war. DM.114.3 Teilen

115

Durch die Reinigung des Tempels von weltlichen Käufern und Verkäufern offenbarte Jesus Seine Mission, das Herz von der Verunreinigung durch die Sünde — von irdischen Wünschen, selbstsüchtigen Lüsten und den sündhaften Gewohnheiten, die die Seele verderben — zu reinigen. „Bald wird kommen zu seinem Tempel der Herr, den ihr sucht; und der Engel des Bundes, den ihr begehrt, siehe, er kommt! spricht der Herr Zebaoth. Wer wird aber den Weg seines Kommens ertragen können, und wer wird bestehen, wenn er erscheint? Denn er ist wie das Feuer eines Schmelzers und wie die Lauge der Wäscher. Er wird sitzen und schmelzen und das Silber reinigen, er wird die Söhne Levi reinigen und läutern wie Gold und Silber.“ Maleachi 3,1-3. DM.115.1 Teilen

„Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben, denn der Tempel Gottes ist heilig; der seid ihr.“ 1.Korinther 3,16.17. Niemand kann aus eigener Kraft das Böse austreiben, das sich in seinem Herzen eingenistet hat. Nur Christus ist in der Lage, den Seelentempel zu reinigen. Aber Er wird sich nicht den Eingang erzwingen. Er dringt nicht in das Herz ein, wie einst in den Tempel, sondern Er sagt: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen“. Offenbarung 3,20. Er will kommen — aber nicht nur für einen Tag, denn Er sagt: „Ich will unter euch wohnen und wandeln ..., und sie sollen mein Volk sein“. 2.Korinther 6,16. Er wird „unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen“. Micha 7,19. Seine Gegenwart wird die Seele reinigen und heiligen, um für den Herrn ein heiliger Tempel und eine „Behausung Gottes im Geist“ (Epheser 2,22) zu sein. DM.115.2 Teilen

Die Priester und Obersten waren, angsterfüllt vor dem durchdringenden Blick Jesu, der in ihren Herzen las, schnell aus dem Tempelbereich geflohen. Auf ihrer Flucht begegneten sie anderen, die sich auf dem Weg zum Tempel befanden. Diesen empfohlen die Flüchtenden dann, umzukehren und erzählten ihnen, was sie gehört und gesehen hatten. Christus schaute den Fliehenden nach, denn sie taten Ihm leid in ihrer Furcht und der Unkenntnis hinsichtlich des wahren Gottesdienstes. In diesem Geschehen sah er die Zerstreuung des ganzen jüdischen Volkes durch dessen eigene Bosheit und Unbußfertigkeit versinnbildet. Warum flohen die Priester aus dem Tempel? Und weshalb behaupteten sie nicht ihren Platz? Derjenige, der ihnen zu gehen befahl, war der Sohn eines Zimmermanns, ein armer Galiläer ohne irdischen Rang oder Macht. Weshalb widerstanden sie Ihm nicht? Warum verließen sie ihren Besitz, der so übel erworben war, und flohen auf die Anweisung des Einen hin, dessen äußere Erscheinung so demütig war? DM.115.3 Teilen

116

Christus sprach mit der Autorität eines Königs, und in Seinem Auftreten und im Klang Seiner Stimme war etwas, dem sie sich nicht widersetzen konnten. In Jesu gebietenden Worten erkannten sie ihren wirklichen Zustand als Heuchler und Diebe. Als göttliches Wesen durch die Menschheit Christi hindurch strahlte, sahen sie nicht nur Entrüstung auf Seinem Angesicht, sie begriffen auch die Bedeutung Seiner Worte. Sie hatten den Eindruck, vor dem Thron des ewigen Richters zu stehen und ihr Urteil für Zeit und Ewigkeit zu hören. DM.116.1 Teilen

Eine Zeit lang waren sie schon überzeugt, dass Christus ein Prophet sei. Viele hielten ihn sogar für den Messias. Der Heilige Geist erinnerte sie an die Aussprüche der Propheten über Christus. Würden sie sich denn zu dieser Überzeugung auch bekennen? DM.116.2 Teilen

Bereuen wollten sie nicht. Sie kannten Christi Mitleid mit den Armen und wussten, dass sie sich durch ihr Verhalten dem Volk gegenüber des Wuchers schuldig gemacht hatten. Weil Christus ihre Gedanken erkannte, hassten sie Ihn. Sein öffentlicher Tadel war demütigend für sie, und wegen seinem wachsenden Einfluss beim Volk waren sie auf Ihn eifersüchtig. Sie beschlossen, Ihn zur Rede zu stellen hinsichtlich der Macht, in welcher Er sie hinaus getrieben hatte, und wer Ihm diese Macht gegeben habe. Langsam und nachdenklich, aber mit Hass im Herzen, kehrten sie zum Tempel zurück. Doch welch eine Veränderung war in der Zwischenzeit geschehen! Als sie geflohen waren, sind die Armen zurückgeblieben und diese schauten jetzt auf Jesus, dessen Angesicht Liebe und Mitgefühl ausdrückte. Mit Tränen in den Augen sagte Er zu den Zitternden, die um Ihn standen: Fürchtet euch nicht! Ich will euch erlösen, und ihr sollt mich preisen; denn dazu bin ich in die Welt gekommen. DM.116.3 Teilen

Die Menschen drängten sich immer näher an den Heiland und baten: Meister, segne mich! Und Jesus hörte jeden Hilferuf. Mit dem Erbarmen einer liebevollen Mutter beugte Er sich über die leidenden Kleinen. Allen schenkte Er Aufmerksamkeit. Egal, welche Krankheit ein Armer auch haben mochte, jeder wurde geheilt. Die Stummen öffneten ihren Mund zum Lobpreis, die Blinden sahen das Angesicht ihres Heilers, und die Herzen der Leidenden wurden froh. DM.116.4 Teilen

117

Was für eine Offenbarung erlebten die Priester und Beamten des Tempels, die Zeugen dieses großartigen Geschehens wurden! Die Versammelten erzählten von den Schmerzen, die sie erlitten hatten, von ihren enttäuschten Hoffnungen, von kummervollen Tagen und schlaflosen Nächten. Ehe der letzte Hoffnungsfunke der Leidenden zu verlöschen drohte, hatte der Heiland sie geheilt. Die Last war so schwer, sagte einer, und doch habe ich einen Helfer gefunden. Er ist der Christus Gottes, und ich will mein Leben Seinem Dienst weihen. Eltern sagten zu ihren Kindern: Er hat euer Leben gerettet; darum singt Danklieder, um Ihn zu preisen. Die Stimmen der Kinder und Jugendlichen, der Väter und Mütter, der Freunde und Zuschauer vereinten sich in Lob- und Dankesliedern. Hoffnung und Freude erfüllte ihre Herzen und Friede zog in ihre Gemüter ein. Nun geheilt an Seele und Leib, kehrten sie nach Hause zurück und erzählten überall von der unvergleichlichen Liebe Jesu. DM.117.1 Teilen

Bei der Kreuzigung Jesu schlossen sich jene Menschen, die selbst geheilt worden waren, nicht dem Pöbel an, der schrie: „Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!“ Ihre Anteilnahme galt Jesus, weil sie selbst Seine große Barmherzigkeit und Seine wunderbare Macht erfahren hatten. Sie waren sich bewusst, dass Er ihr Heiland war, denn Er hatte sie an Leib und Seele gesund gemacht. Später lauschten sie der Verkündigung der Apostel, und als dann Gottes Wort in ihre Herzen drang, fingen sie an zu verstehen. So wurden sie zu Zeugen der Güte Gottes und zu Werkzeugen Seiner Erlösung. DM.117.2 Teilen

Die Menge, die aus dem Tempelhof geflohen war, kam nach einiger Zeit zögernd wieder zurück. Sie hatten sich zum Teil von dem Schrecken erholt, der sie erfasst hatte, doch ihre Gesichter zeigten noch Unentschlossenheit und Furcht. Sie blickten mit Erstaunen auf die Taten Jesu und waren davon überzeugt, dass sich in Ihm die Weissagungen über den Messias erfüllt hatten. Die Sünde der Entweihung des Tempels ruhte größtenteils auf den Priestern. Aufgrund ihrer Anordnung war der Tempelhof zu einem Marktplatz verwandelt worden. Das Volk war daran ziemlich unschuldig. Es war von der göttlichen Autorität Jesu beeindruckt. Dennoch war der Einfluss der Priester und Obersten auf das Volk stärker. Jene betrachteten Christi Wirken als etwas gänzlich Neues und stellten Sein Recht infrage, sich gegen das zu stellen, was die Verantwortlichen des Tempels erlaubt hatten. Sie waren auch verärgert, weil ihre Einnahmen aus dem Handel unterbrochen worden war, und unterdrückten somit das Mahnen des Heiligen Geistes. DM.117.3 Teilen

Die Priester und Obersten hätten noch vor allen anderen Menschen in Jesus den Gesalbten des Herrn erkennen sollen; denn sie besaßen ja die heiligen Schriftrollen, die Seine Mission beschrieben. Sie wussten auch, dass sich in der Reinigung des Tempels eine größere Macht bekundete als die von Menschen. So sehr sie Jesus auch hassten, konnten sie sich dennoch nicht dem Gedanken entziehen, dass Er ein von Gott gesandter Prophet sei, der die Heiligkeit des Tempels wiederherstellen sollte. Mit aller aus dieser Befürchtung geborenen Achtung wandten sie sich an Ihn mit der Frage: „Was zeigst du uns für ein Zeichen, dass du solches tun darfst?“ Johannes 2,18. DM.117.4 Teilen

118

Jesus hatte ihnen bereits ein Zeichen gegeben. Indem Er blitzartig ihre Herzen erleuchtete und vor ihnen jene Werke tat, die vom Messias erwartet wurden, hatte Er einen überzeugenden Beweis Seiner Persönlichkeit erbracht. Deshalb antwortete Er auf ihre Frage nach einem Zeichen mit einem Gleichnis und deckte damit auf, dass Er ihre Bosheit erkannt hatte und voraussah, wohin sie durch diese geführt würden. „Brecht diesen Tempel ab“, sagte er, „und in drei Tagen will ich ihn aufrichten.“ Johannes 2,19. DM.118.1 Teilen

Diese Worte hatten zweifache Bedeutung. Jesus bezog es nicht nur auf die Zerstörung des jüdischen Tempels und dessen Kultdienstes, sondern auch auf Seinen eigenen Tod — die Zerstörung des Tempels Seines Leibes. Das planten die Juden bereits. Als die Priester und Obersten nun zum Tempel zurückkehrten, hatten sie beschlossen, Jesus umzubringen und sich dadurch selbst von dem Störenfried zu entledigen. Als Er ihnen ihre Absicht vorhielt, begriffen sie Ihn nicht. Sie bezogen Sein Wort nur auf den Tempel in Jerusalem und erklärten empört: „Dieser Tempel ist in 46 Jahren erbaut worden, und du willst ihn in 3 Tagen aufrichten?“ Johannes 2,20. Dabei spürten sie, dass Jesus ihren Unglauben bestätigt hatte, und sie wurden umso mehr in ihrer Ablehnung gegen Ihn bestärkt. DM.118.2 Teilen

Christus hatte nicht beabsichtigt, dass Seine Worte von den ungläubigen Juden und auch nicht von Seinen Jüngern zu jener Zeit verstanden werden sollten. Er wusste, dass sie von seinen Feinden falsch ausgelegt und gegen Ihn selbst gerichtet würden. Während seines Verhörs sollten sie als Anklagepunkt vorgebracht und auf Golgatha als Verhöhnung gegen Ihn gewandt werden. Hätte Er seine Worte erklärt, würden die Jünger von Seinem Leiden erfahren haben, und dies hätte ihnen einen solchen Kummer bereitet, den sie noch nicht zu ertragen vermochten. Außerdem hätte eine Erklärung den Juden vorzeitig enthüllt, welche Auswirkungen ihre Vorurteile und ihr Unglaube einmal haben würden. Sie hatten schon einen Weg eingeschlagen, den sie beharrlich so lange verfolgen würden, bis man Ihn wie ein Lamm zur Schlachtbank führte. Christus sprach diese Worte wegen den Menschen, die in späterer Zeit an Ihn glaubten, wusste Er doch, dass sie wiederholt werden würden. DM.118.3 Teilen

Während des Passahfestes würden sie Tausenden zu Ohren kommen und in alle Teile der Welt getragen werden. Nach Seiner Auferstehung von den Toten würde dann ihre Bedeutung verstanden und für viele zu einem überzeugenden Beweis Seiner Göttlichkeit werden. Selbst Jesu Jünger konnten Seine Lehren oft nicht begreifen, weil sie sich in geistlicher Finsternis bewegten. Doch wurden ihnen viele Seiner Aussagen durch die nachfolgenden Ereignisse verständlich gemacht. Als Er nicht mehr unter ihnen weilte, waren Seine Worte fest in ihren Herzen verankert. DM.118.4 Teilen

119

Auf den Tempel in Jerusalem bezogen, hatten Jesu Worte „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten“ eine tiefere Bedeutung, als Seine Hörer erfassten. Christus war die Grundlage und das Leben des Tempels. Dessen Dienste symbolisierten das Opfer des Sohnes Gottes. Das Priesteramt war eingesetzt worden, um die Mittlertätigkeit Christi und sein Werk darzustellen. Der gesamte Ablauf des Opferdienstes wies voraus auf den Tod des Heilandes zur Erlösung der Welt. Jene Opfer würden nutzlos sein, sobald sich das große Ereignis erfüllt hätte, auf das sie seit Jahrhunderten hinwiesen. DM.119.1 Teilen

Der ganze Zeremonial- und Kultdienst wies symbolhaft auf Christus hin und war deshalb ohne Ihn wertlos. Als die Juden ihre Verwerfung Christi besiegelten, indem sie Ihn dem Tod auslieferten, verwarfen sie damit all das, was dem Tempel und seinen Diensten Bedeutung gab. Er war nicht mehr länger heilig sondern dem Untergang geweiht. Von diesem Tag an waren die damit verbundenen Opferdienste bedeutungslos geworden. Wie das Opfer Kains, waren jene Opfer seitdem kein Ausdruck des Glaubens an den Erlöser. Als sie dann Christus töteten, zerstörten die Juden praktisch ihren Tempel. DM.119.2 Teilen

In dem Moment, als Christus am Kreuz starb, zerriss der innere Vorhang des Tempels von oben bis unten in zwei Hälften — ein Zeichen dafür, dass das große, endgültige Opfer gebracht worden war und damit das ganze Opfersystem für immer ein Ende gefunden hatte. DM.119.3 Teilen

„In drei Tagen will ich ihn aufrichten.“ Johannes 2,19. Mit dem Tod Jesu schienen die Mächte der Finsternis die Oberhand gewonnen zu haben, und sie jubelten über ihren Triumph. Doch Jesus ging aus dem von Joseph von Arimathia überlassenen Grab als Sieger hervor. „Er hat die Mächte und die Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.“ Kolosser 2,15. DM.119.4 Teilen

Aufgrund der Wirksamkeit Seines Todes und Seiner Auferstehung wurde Er ein „Diener am Heiligtum und an der wahren Stiftshütte, welche Gott aufgerichtet hat und kein Mensch“. Hebräer 8,2. Menschen errichteten das israelitische Heiligtum und bauten auch den jüdischen Tempel, doch das Heiligtum oben im Himmel, von dem das irdische nur ein Abbild war, wurde von keinem menschlichen Architekten erbaut. „Siehe, es ist ein Mann, der heißt ‚Spross‘ ... er wird bauen des Herrn Tempel, und er wird herrlich geschmückt sein; und wird sitzen und herrschen auf seinem Thron. Und ein Priester wird sein zu seiner Rechten.“ Sacharja 6,12f. Der auf Christus hinweisende Opferdienst war vergangen; doch wurden die Augen der Menschen auf das wahre Opfer gelenkt, das für die Sünden der Welt gebracht worden war. Das irdische Priestertum hörte auf. Nun schauen wir auf zu Jesus, dem Diener des Neuen Bundes, und „zu dem Blut der Besprengung, das da besser redet als Abels Blut“. Hebräer 12,24. DM.119.5 Teilen

120

Der „Weg zum Heiligen“ war noch nicht offenbart, „solange die vordere Hütte [stand] ... Christus aber ist gekommen, dass er sei ein Hohepriester der zukünftigen Güter, und ist durch die größere und vollkommenere Hütte eingegangen, die nicht mit Händen gemacht, das heißt: die nicht von dieser Schöpfung ist ... durch sein eigen Blut ein für allemal ... und hat eine ewige Erlösung erworben“. Hebräer 9,8.11.12. „Daher kann er auch für immer selig machen, die durch ihn zu Gott kommen; denn er lebt für immer und bittet für sie.“ Hebräer 7,25. DM.120.1 Teilen

Obwohl der Mittlerdienst vom irdischen auf den himmlischen Tempel verlegt wurde und das Heiligtum und unser großer Hohepriester für menschliche Augen unsichtbar wäre, hatten die Jünger dadurch dennoch keinen Nachteil. Ihre Verbindung zu Gott erfuhr keinen Bruch, und ihre Kraft wurde infolge der Abwesenheit des Heilandes nicht geringer. Während Jesus im himmlischen Heiligtum dient, ist Er durch Gottes Geist auch ein Diener der Gemeinde auf Erden. Er ist den Sinnen entrückt, aber Seine beim Abschied gegebene Verheißung: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matthäus 28,20) hat sich erfüllt. Während Er Seine Kraft auf schwächere Helfer überträgt, ist Er zugleich mit Seiner belebenden Gegenwart unter Seiner Gemeinde. DM.120.2 Teilen

„Weil wir denn einen großen Hohepriester haben, Jesus, den Sohn Gottes ..., so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohepriester, der nicht könnte mitleiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“ Hebräer 4,14-16. DM.120.3 Teilen

7080
29109
Weiter zu "Kapitel 17: Nikodemus"
Stichwörter