Portrait von Ellen White
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Kapitel 67: „Weh euch Schriftgelehrte und Pharisäer“
Kapitel 67: „Weh euch Schriftgelehrte und Pharisäer“
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Auf der Grundlage von Matthäus 23; Markus 12,41-44; Lukas 20,45-47; Lukas 21,1-4. DM.484 Teilen

Es war der letzte Tag, den Jesus im Tempel lehrte. Die Aufmerksamkeit der.riesigen Menschenmenge, die in Jerusalem versammelt war, hatte sich Ihm zugewandt. Das Volk füllte die Höfe des Tempels und beobachtete den Streit, der gerade ablief. Begierig fingen sie jedes Wort auf, das aus dem Mund Jesu kam. Nie zuvor hatte man eine solche Szene erlebt. Da stand der junge Galiläer, ohne irdischen Glanz und ohne königliche Würde, umgeben von den Priestern in ihren reichen Gewändern, den Obersten in ihrer Amtskleidung mit den Zeichen ihrer Würde, die ihre erhöhte Stellung erkennen ließen, und den Schriftgelehrten mit den Pergamentrollen in den Händen, auf die sie häufig verwiesen. Gelassen, mit königlicher Erhabenheit stand Jesus vor ihnen. Ausgestattet mit der Vollmacht des Himmels, blickte Er unentwegt auf Seine Widersacher, die Seine Lehren verworfen und verachtet hatten und Ihm nach dem Leben trachteten. Sie hatten Ihn oft angegriffen, doch ihre Anschläge, Ihn zu fangen und zu verurteilen, waren gescheitert. DM.484.1 Teilen

Einer Herausforderung nach der anderen war Er entgegengetreten, indem Er die reine, leuchtende Wahrheit im Gegensatz zur geistlichen Unwissenheit und den Irrtümern der Priester und Pharisäer darstellte. Er hatte diesen Führern des Volkes ihren wahren Zustand vor Augen geführt und auch die sicher folgende Vergeltung, wenn sie in ihren bösen Taten beharrten. Sie waren gewissenhaft gewarnt worden. Jetzt blieb Ihm etwas anderes zu tun, ein anderes Ziel galt es noch zu erreichen. DM.484.2 Teilen

Das Interesse des Volkes an Christus und Seiner Tätigkeit hatte ständig zugenommen. Die Juden waren von Seinen Lehren begeistert, gleichzeitig fühlten sie sich auch sehr verwirrt. Bisher hatten sie die Priester und Rabbiner wegen ihrer Weisheit und augenscheinlichen Frömmigkeit geachtet und ihrer Autorität in allen religiösen Belangen stets absolut vertraut. Doch jetzt sahen sie diese Männer bei dem Versuch, Jesus herabzuwürdigen, Ihn, einen Lehrer, dessen Tugend und Erkenntnis aus jedem Angriff um so glänzender hervorleuchteten. Sie sahen auf das Mienenspiel der Priester und Ältesten und erblickten dort Unbehagen und Verwirrung. Sie wunderten sich, dass die Obersten nicht an Jesus glauben wollten, da Seine Lehren doch so klar und einfach waren. Sie selbst wussten nicht, was sie tun sollten. Sehr gespannt beobachteten sie die Reaktion jener, deren Rat sie stets gefolgt waren. DM.484.3 Teilen

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Mit den Gleichnissen bezweckte Jesus zweierlei: Er wollte die Obersten warnen und gleichzeitig das Volk belehren, das dazu bereit war. Dazu war es nötig, noch deutlicher zu sprechen. Ihre Ehrfurcht vor der Tradition und ihren blinden Glauben an eine verderbte Priesterschaft hatte das Volk versklavt. Diese Ketten musste Christus zerbrechen. Das wahre Wesen der Priester, Obersten und Pharisäer musste vollständig enthüllt werden. DM.485.1 Teilen

„Auf dem Stuhl des Mose“, sagte Christus, „sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht handeln; denn sie sagen‘s zwar, tun‘s aber nicht.“ Matthäus 23,2.3. Die Schriftgelehrten und Pharisäer behaupteten, wie Mose mit göttlicher Vollmacht ausgerüstet zu sein. Sie maßten sich an, seinen Platz als Ausleger des Gesetzes und Richter des Volkes einzunehmen. Als solche forderten sie vom Volk größte Ehrerbietung und völligen Gehorsam. Der Herr gebot seinen Zuhörern, alles zu tun, was die Rabbiner in Übereinstimmung mit dem Gesetz lehrten, niemals aber ihrem Beispiel zu folgen, da diese selbst nicht nach ihrer Lehre handelten. DM.485.2 Teilen

Sie verkündigten vieles, was den heiligen Schriften entgegen war. Jesus sagte: „Sie binden schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf die Schultern; aber sie selbst wollen keinen Finger dafür krümmen.“ Matthäus 23,4. Die Pharisäer hatten eine Fülle von Vorschriften eingeführt, die sich lediglich auf Traditionen gründeten und die persönliche Freiheit auf eine unvernünftige Art beschränkten. Bestimmte Teile des Gesetzes erklärten sie so, dass dem Volk Pflichten auferlegt wurden, die sie selbst heimlich ignorierten und von denen sie behaupteten, entbunden zu sein, wenn es ihren Absichten nutzte. DM.485.3 Teilen

Ständig waren sie bemüht, ihre Frömmigkeit zur Schau zu stellen. Nichts war ihnen zu heilig, um nicht diesem Zweck zu dienen. Im Hinblick auf die Beachtung seiner Gebote hatte Gott zu Mose gesagt: „Du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein.“ 5.Mose 6,8. In diesen Worten liegt eine tiefe Bedeutung. Der ganze Mensch wird zum Guten hin verändert, wenn er über das Wort Gottes nachdenkt und es befolgt. Seine Hände werden durch rechtschaffene und barmherzige Taten die Grundzüge des göttlichen Gesetzes öffentlich besiegeln. Sie werden weder durch Bestechung noch durch irgendetwas anderes, das verderblich und betrügerisch ist, verunreinigt werden. Stattdessen werden sie Werke der Liebe und des Mitgefühls tun. Die Augen, die auf ein edles Ziel gerichtet sind, werden klar und wahr blicken. Die Gesichtszüge, der Blick, werden den makellosen Charakter eines Menschen widerspiegeln, der das Wort Gottes liebt und ehrt. Aber an den Juden in den Tagen Christi konnte man dies alles nicht feststellen. Die Mose erteilte Weisung wurde dahingehend ausgelegt, dass die Gebote der Schrift buchstäblich am Leib getragen werden sollten. Zu diesem Zweck schrieb man sie auf Pergamentstreifen, die man in auffälliger Weise um Kopf und Handgelenke band. Dadurch konnte das Gesetz Gottes jedoch keinen nachhaltigeren Einfluss auf Geist und Herz ausüben, denn diese Pergamente wurden lediglich als eine Art Abzeichen getragen, nur um Aufsehen zu erregen. Sie sollten den Träger mit einem Hauch von Weihe umgeben und die Ehrfurcht der Leute herausfordern. Solcher eitlen Täuschung versetzte Jesus mit den folgenden Worten einen schweren Schlag: „Alle ihre Werke aber tun sie, damit sie von den Leuten gesehen werden. Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Kleidern groß. Sie sitzen gern obenan bei Tisch und in den Synagogen und haben‘s gerne, dass sie auf dem Markt gegrüßt und von den Leuten Rabbi genannt werden. Aber ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brüder. Und ihr sollt niemanden unter euch Vater nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist. Und ihr sollt euch nicht Lehrer nennen lassen; denn einer ist euer Lehrer, Christus.“ Matthäus 23,5-10. DM.485.4 Teilen

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Mit diesen deutlichen Worten brandmarkte der Heiland das selbstsüchtige, immer auf Macht und Ansehen bedachte Streben, das sich scheinbar demütig gab, tatsächlich aber voll Geiz und Neid war. Wenn zum Beispiel Leute zu einem Fest eingeladen wurden, setzten sich die Gäste gemäß ihrer sozialen Stellung. Wem der ehrenvollste Platz eingeräumt wurde, dem erwies man erhöhte Aufmerksamkeit und besonderes Wohlwollen. Die Pharisäer waren stets besorgt, sich derartige Ehrungen zu sichern. Dieses Verhalten tadelte Jesus. DM.486.1 Teilen

Er verurteilte ebenso den Stolz, der sich in der Vorliebe für die Anrede „Rabbi“ oder „Meister“ äußerte. Solch ein Titel, so sagte Er, komme Menschen nicht zu, sondern nur Christus. Priester, Schriftgelehrte und Oberste, Ausleger und Treuhänder des Gesetzes — sie alle seien Brüder, Kinder eines Vaters. Jesus verlangte von den Leuten nachdrücklich, dass sie keinem Menschen einen Ehrentitel verleihen sollten, der andeuten könnte, sein Träger dürfe ihr Gewissen oder ihren Glauben kontrollieren. Würde Christus heute auf Erden leben, umgeben von jenen, die den Titel „Ehrwürden“ oder „Hochwürden“ tragen, dann wiederholte Er bestimmt das Wort: „Ihr sollt euch nicht Lehrer nennen lassen; denn einer ist euer Lehrer, Christus.“ Matthäus 23,10. Die Heilige Schrift sagt über Gott: „Heilig und hehr ist sein Name.“ Psalm 111,9. Auf welchen Menschen trifft solch ein Titel zu? DM.486.2 Teilen

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Wie wenig offenbaren Menschen doch von der Weisheit und Gerechtigkeit, die dafür erforderlich wären! Und wie viele von denen, die diesen Titel annehmen, stellen den Namen und das Wesen Gottes falsch dar! Ja, wie oft verbergen sich unter dem reich geschmückten Äußeren eines hohen und heiligen Amtes weltlicher Ehrgeiz, Gewalttat und niedrigste Sünden! DM.487.1 Teilen

Der Heiland fuhr fort: „Der Größte unter euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht.“ Matthäus 23,11.12. Christus lehrte immer wieder, dass wahre Größe an sittlichen Maßstäben gemessen werden muss. In der Beurteilung des Himmels besteht charakterliche Größe darin, zum Besten der Mitmenschen zu leben und Taten der Liebe und Barmherzigkeit zu vollbringen. Christus, der König der Herrlichkeit, war selbst ein Diener des gefallenen Menschen. „Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein, und die hinein wollen, lasst ihr nicht hineingehen.“ Matthäus 23,13. Durch die falsche Auslegung der Heiligen Schriften verblendeten die Priester und Schriftgelehrten die Sinne derer, die sonst die Erkenntnis über das Reich Gottes empfangen hätten sowie jenes innere, göttliche Leben, das zur wahren Heiligkeit unbedingt notwendig ist. DM.487.2 Teilen

„Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr der Witwen Häuser fresst und zum Schein lange Gebete verrichtet! Darum werdet ihr ein umso härteres Urteil empfangen.“ Matthäus 23,14. Die Pharisäer hatten großen Einfluss auf das Volk und nutzten das für ihre Vorteile und eigenen Interessen. Sie gewannen das Vertrauen frommer Witwen und stellten es diesen als eine Pflicht dar, ihr Eigentum für religiöse Zwecke zu opfern. Verfügten sie dann über das Vermögen dieser Frauen, nutzten die listigen Ränkeschmiede es für sich. Um ihren Betrug zu vertuschen, sprachen sie öffentlich lange Gebete und trugen eine betonte Frömmigkeit zur Schau. Diese Heuchelei würde ihnen, wie Jesus sagte, eine um so schwerere Verurteilung einbringen. Derselbe Tadel gilt auch vielen in unseren Tagen, die ihre Frömmigkeit zur Schau stellen. Ihr Leben ist von Selbstsucht und Habgier verunreinigt. Trotzdem überdecken sie alles mit dem Gewand scheinbarer Reinheit und können so eine Zeitlang ihre Mitmenschen täuschen. Doch Gott können sie nicht hinters Licht führen. Er kennt jede im Herzen verborgene Absicht und wird jeden Menschen nach seinen Taten richten. Schonungslos verurteilte Jesus alle Missbräuche, ohne dabei die Verpflichtungen dem Gesetz gegenüber zu verringern. DM.487.3 Teilen

Er tadelte die Selbstsucht, die der Witwen Gaben erpresste und falsch verwendete, gleichzeitig lobte Er die Witwe, die ihre Gaben in die Schatzkammer Gottes brachte. Der Missbrauch der Opfergaben vermochte dem Geber den Segen Gottes nicht zu rauben. DM.487.4 Teilen

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Der Heiland stand im Vorhof in der Nähe des Gotteskastens und beobachtete, wie die Gläubigen ihre Gaben brachten. Viele der wohlhabenden brachten große Beträge, die sie auffällig in den Kasten legten. Der Herr sah sie traurig an, sagte jedoch nichts zu ihrem großzügigen Opfer. Als aber eine arme Witwe sich zögernd näherte, als fürchte sie, beobachtet zu werden, erhellte sich Sein Angesicht. Als die Reichen und Hochmütigen vorüber eilten, um ihre Gaben in den Kasten zu legen, schreckte sie zurück, als ob es großen Mut kostete, sich weiter heranzuwagen. Dennoch verlangte es sie, für die Sache, die sie liebte, ebenfalls etwas zu geben, sei es auch noch so wenig. Die Frau schaute auf die Münzen in ihrer Hand. Es war unbedeutend im Vergleich zu den Gaben der anderen, doch es war alles, was sie besaß. Sie wartete auf eine günstige Gelegenheit, warf rasch ihre zwei Scherflein in den Kasten und ging schnell davon. Dabei begegnete sie dem Blick Jesu, der sehr ernst auf ihr ruhte. DM.488.1 Teilen

Jesus rief Seine Jünger zu sich und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Armut der Witwe. Dann sprach Er die lobenden Worte: „Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben.“ Markus 12,43. Freudentränen standen bei diesen Worten in den Augen der armen Frau. Sie fühlte, dass ihre Tat verstanden und gewürdigt wurde. Viele hätten ihr geraten, ihre kleine Gabe für sich zu behalten, da sie in den Händen der wohlgenährten Priester unter den vielen reichen Gaben, die in die Schatzkammer gebracht wurden, nichts bedeutete. Aber Jesus verstand ihr Motiv. Sie glaubte, dass der Tempeldienst von Gott eingesetzt war, und sie war eifrig bestrebt, alles ihr Mögliche zu tun, um ihn zu unterstützen. Weil sie tat, was sie konnte, wurde ihr Handeln für alle Zeit ein Denkmal zu ihrem Gedächtnis. Sie hatte ihr Herz sprechen lassen. Ihre Gabe wurde nicht nach dem Wert der Münze beurteilt, sondern vielmehr nach der Liebe zu Gott und der Anteilnahme an Seinem Werk, die sie zu jener Gabe veranlasst hatte. DM.488.2 Teilen

Jesus sagte von der armen Witwe, dass sie „mehr als alle, die etwas eingelegt haben“ (Markus 12,43), in den Gotteskasten gelegt habe. Die Reichen hatten von ihrem Überfluss gegeben, viele sogar mit dem einzigen Ziel, von anderen gesehen und geehrt zu werden. Ihre große Gabe hatte weder ihrer Bequemlichkeit noch ihrem Überfluss geschadet. Es war für sie kein wirkliches Opfer, und ihre Gabe hielt keinen Vergleich aus mit dem Scherflein der Witwe. Das Motiv ist es, das für unsere Handlungen maßgebend ist. Es bestimmt ihren Wert oder Unwert. Nicht die großen Dinge, die jedes Auge sieht und jede Zunge lobt, nennt Gott die köstlichsten, sondern es sind die kleinen, freudig erfüllten Pflichten, die geringen, unauffällige Gaben, die menschlichen Augen wertlos erscheinen mögen, die Gott oft am höchsten bewertet. Ein Herz voll Glauben und Liebe bedeutet dem Herrn mehr als die kostbarste Gabe. Die arme Witwe gab mit dem Wenigen, das sie brachte, „alles, was sie zum Leben hatte“. Markus 12,44. Sie verzichtete auf ihre Speise, um jene zwei Scherflein der Sache beizusteuern, die sie liebte. Und sie tat es im Glauben, darauf vertrauend, dass der himmlische Vater sie in ihrer Armut nicht übersehen werde. Dieser selbstlose Geist und dieser kindliche Glaube fanden das Lob des Heilandes. DM.488.3 Teilen

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Es gibt viele Arme, die Gott gern ihre Dankbarkeit für Seine Gnade und Wahrheit zum Ausdruck bringen wollen. Mit ihren wohlhabenderen Brüdern vereinen sie sich in dem Wunsch, das Werk Gottes zu unterstützen. Diese Menschenseelen sollten nicht abgewiesen werden. Lasst sie ihre Scherflein in der Bank des Himmels anlegen. Werden sie aus einem liebevollen, gotterfüllten Herzen gegeben, dann werden diese scheinbaren Kleinigkeiten zu geheiligten, unschätzbaren Opfergaben, die Gott wohlgefällig sind und die er segnet. DM.489.1 Teilen

Als Jesus von der Witwe sagte, dass sie „mehr als sie alle eingelegt“ (Lukas 21,3) habe, waren Seine Worte doppelt wahr. Nicht nur der Beweggrund hatte das Opfer aufgewertet, sondern auch die Wirkung der Gabe. Die zwei Scherflein, die einen Heller ausmachten, brachten eine viel größere Summe in den Gotteskasten als alle Beiträge der reichen Juden. Die Wirkung jener kleinen Gabe ist wie ein Strom gewesen, der, klein im Anfang, immer breiter und tiefer wurde, je länger er durch die Zeitalter dahin floss. Auf vielerlei Weise hat das Beispiel der selbstlosen Witwe zur Unterstützung der Armen und zur Ausbreitung des Evangeliums beigetragen und seine Wirkung und Rückwirkung auf Tausende Herzen in allen Ländern zu allen Zeiten gehabt. Sie hat Reiche und Arme beeinflusst, und deren Opfer haben den Wert ihrer Gabe anwachsen lassen. DM.489.2 Teilen

Der Segen Gottes, der auf dem Scherflein der Witwe ruhte, hat die kleine Gabe zu einer reichen Quelle gemacht. So ist es mit jeder Gabe, die gegeben wird, und mit jeder Tat, die mit dem aufrichtigen Verlangen erfolgt, die Ehre Gottes zu vermehren, denn sie entsprechen den Absichten des Allmächtigen, und ihre segensreichen Folgen kann kein Mensch ermessen. DM.489.3 Teilen

Mit folgenden Worten setzte der Herr Seine Anklagen gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer fort: „Weh euch, ihr verblendeten Führer, die ihr sagt: Wenn einer schwört bei dem Tempel, das gilt nicht; wenn aber einer schwört bei dem Gold des Tempels, der ist gebunden. Ihr Narren und Blinden! Was ist mehr: das Gold oder der Tempel, der das Gold heilig macht? Oder: Wenn einer schwört bei dem Altar, das gilt nicht; wenn aber einer schwört bei dem Opfer, das darauf liegt, der ist gebunden. Ihr Blinden! Was ist mehr: das Opfer oder der Altar, der das Opfer heilig macht?“ Matthäus 23,16-19. Die Priester legten Gottes Forderungen nach ihren eigenen falschen und engen Begriffen aus. So maßten sie sich an, spitzfindige Unterschiede bezüglich der jeweiligen Höhe der Schuld bei verschiedenen Sünden aufzustellen. Dabei gingen sie über einige Sünden leicht hinweg und stellten andere, die mitunter weniger verderbliche Folgen hervorbrachten, als unverzeihlich hin. Für eine finanzielle Gegenleistung entbanden sie beispielsweise jemanden von einem bereits geleisteten Eid; und für entsprechend höhere Geldsummen waren sie oft sogar bereit, weit schlimmere Verbrechen zu dulden. Gleichzeitig aber verhängten diese Priester und Obersten in anderen Situationen harte Strafen für unbedeutende Übertretungen. DM.489.4 Teilen

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„Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Zehnten gebt von Minze, Dill und Kümmel und lasst das Wichtigste im Gesetz beiseite, nämlich das Recht, die Barmherzigkeit und den Glauben! Doch dies sollte man tun und jenes nicht lassen.“ Matthäus 23,23. Der Heiland verurteilt hier noch einmal den Missbrauch heiliger Verpflichtungen. Die Verpflichtung selbst ließ Er bestehen. Das Zehntensystem war von Gott eingesetzt worden, es ist seit frühesten Zeiten beachten worden. Abraham, der Vater der Gläubigen, bezahlte den Zehnten von allem, was er hatte. Auch die jüdischen Obersten anerkannten zu Recht die Pflicht, den Zehnten zu geben. Sie ließen jedoch das Volk nicht nach eigener Überzeugung handeln. Für jeden Fall hatten sie willkürlich Regeln aufgestellt, und die Forderungen waren so erschwert worden, dass es dem Volk unmöglich war, sie zu erfüllen. Niemand wusste, wann er seinen Verpflichtungen nachkam. Gottes Gebot, wie Er es gegeben hatte, war gerecht und vernünftig, aber die Priester und Rabbiner hatten es zu einer Last gemacht. DM.490.1 Teilen

Jede göttliche Verordnung ist bedeutungsvoll. Jesus betrachtete das Zehntengeben als selbstverständliche Pflicht, machte aber darauf aufmerksam, dass es keineswegs die Vernachlässigung anderer Pflichten entschuldige. Die Pharisäer waren sehr genau im Verzehnten der Gartenkräuter wie Minze, Dill und Kümmel. Dies kostete sie wenig, verschaffte ihnen aber den Ruf der Genauigkeit und Frömmigkeit. Gleichzeitig aber setzten sie das Volk mit ihren nutzlosen Einschränkungen unter Druck und zerstörten die Achtung vor der Heiligkeit der göttlichen Ordnung. Sie beschäftigten die Sinne der Menschen mit unbedeutenden Unterscheidungen und lenkten dadurch die Aufmerksamkeit von wichtigen Wahrheiten ab. Die schwerwiegendsten Dinge des Gesetzes — Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Glaube — wurden übersehen. Darum sagte Jesus mit Recht, das eine solle man tun und das andere nicht lassen. DM.490.2 Teilen

Noch andere Gesetze waren von den Rabbinern auf ähnliche Weise entstellt worden. So war es in den durch Mose gegebenen Verordnungen verboten, etwas Unreines zu essen. Darunter fiel die Verwendung von Schweinefleisch und der Verzehr anderer Tierer, deren Konsum das Blut verunreinigen und das Leben verkürzen kann. Die Pharisäer beließen es aber nicht bei den Beschränkungen, die Gott ihnen geboten hatte, sondern übertrieben die Erfüllung der göttlichen Verordnungen extrem. Unter anderem wurde von den Leuten verlangt, alles Wasser vor dem Gebrauch zu sieben, damit nicht das kleinste Ungeziefer darin verbliebe, das eventuell zu den unreinen Tieren gehöre. Der Heiland verglich diese kleinlichen Banalitäten mit der Größe ihrer wirklichen Sünden und sagte zu den Pharisäern: „Ihr verblendeten Führer, die ihr Mücken aussiebt, aber Kamele verschluckt!“ Matthäus 23,24. DM.490.3 Teilen

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„Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr seid gleichwie die übertünchten Gräber, die von außen hübsch aussehen, aber innen sind sie voller Totengebeine und lauter Unrat!“ Matthäus 23,27. Wie die übertünchten und schön geschmückten Gräber die verwesenden Überreste verbargen, so lag hinter der äußeren Heiligkeit der Priester und Obersten ihre Sündhaftigkeit verborgen. Jesus fuhr fort: „Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Propheten Grabmäler baut und die Gräber der Gerechten schmückt und sprecht: Hätten wir zu Zeiten unserer Väter gelebt, so wären wir nicht mit ihnen schuldig geworden am Blut der Propheten! Damit bezeugt ihr von euch selbst, dass ihr Kinder seid derer, die die Propheten getötet haben.“ Matthäus 23,29-31. Um ihre Wertschätzung der verstorbenen Propheten zu zeigen, waren die Juden eifrig bemüht, deren Gräber zu verschönern. Dabei beherzigten sie weder ihre Lehren, noch beachteten sie ihre Zurechtweisungen. DM.491.1 Teilen

Zur Zeit Christi achtete man die Ruhestätten der Toten in abergläubischer Weise. Viel Geld wurde für deren Ausschmückung verwendet. Vor Gott war das Götzendienst, denn in ihrer übertriebenen Verehrung der Toten zeigten die Leute, dass sie Gott nicht über alles liebten noch ihren Nächsten wie sich selbst. Solche übertriebene Totenverehrung finden wir vermehrt auch heute noch. Viele vernachlässigen die Witwen und Waisen, die Kranken und Armen, nur um den Toten kostbare Gedenksteine setzen zu können. Zeit, Geld und Arbeit werden dafür bereitwillig ausgegeben, während die Pflichten gegen die Lebenden — Aufgaben, auf die Christus deutlich hingewiesen hatte — versäumt werden. DM.491.2 Teilen

Die Pharisäer bauten den Propheten Grabstätten, schmückten ihre Gräber und sagten zueinander: Wenn wir in den Tagen unserer Väter gelebt hätten, würden wir uns nicht mit ihnen vereint haben, das Blut der Diener Gottes zu vergießen. Und doch planten sie zur gleichen Zeit, das Leben des Sohnes Gottes zu vernichten. Das sollte uns eine Lehre sein und uns die Augen öffnen, die Macht Satans zu erkennen, welche alle Menschen täuscht, die sich von dem Licht der Wahrheit abwenden. Viele folgen den Wegen der Pharisäer. Sie ehren die Menschen, die um ihres Glaubens willen gestorben sind und wundern sich über die Blindheit der Juden, die Jesus verwarfen, und erklären: Hätten wir zu seiner Zeit gelebt, würden wir seine Lehren mit Freuden angenommen haben. Wir wären niemals mit jenen schuldig geworden, die ihn verwarfen. Wenn aber der Gehorsam gegen Gott Demütigung und Selbstverleugnung fordert, dann sind es gerade diese Menschen, die ihre Überzeugung verleugnen und den Gehorsam verweigern und dadurch den gleichen Geist bekunden wie einst die Pharisäer, die Christus verurteilten. Wie wenig erkannten die Juden die furchtbare Verantwortung, die sie mit der Verwerfung Jesu auf sich nahmen! Seit der Zeit, als erstmals unschuldiges Blut vergossen wurde und der gerechte Abel durch die Hand Kains fiel, hat sich das gleiche Geschehen mit wachsender Schuld wiederholt. Zu jeder Zeit haben treue Verkündiger Gottes ihre Stimme gegen die Sünden der Könige, der Obersten und des Volkes erhoben, indem sie sprachen, was Gott ihnen geboten hatte. Unter Einsatz ihres Lebens gehorchten sie seinem Willen. Von Generation zu Generation hat sich das schreckliche Strafmaß über die Verleugner des Lichtes und der Wahrheit angehäuft. Dies wurde von den Feinden Christi nun auf sie selbst herabbeschworen. DM.491.3 Teilen

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Die Sünde der Priester und Obersten war größer als die irgendeiner anderen Generation, denn durch die Verwerfung Jesu hafteten sie für das Blut aller erschlagenen Gerechten von Abel bis zu Christus. Sie standen im Begriff, den Kelch ihrer Missetaten zum Überlaufen zu bringen. Bald würde dieser in vergeltender Gerechtigkeit über sie ausgegossen werden. DM.492.1 Teilen

Jesus warnte sie davor und sprach: „Damit über euch komme all das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden, von dem Blut des gerechten Abel an bis auf das Blut des Sacharjas, des Sohnes Berechjas, den ihr getötet habt zwischen Tempel und Altar. Wahrlich, ich sage euch: Das alles wird über dieses Geschlecht kommen.“ Matthäus 23,35.36. DM.492.2 Teilen

Die Schriftgelehrten und Pharisäer, die dem Herrn Jesus zuhörten, wussten, dass Er die Wahrheit sprach. Sie wussten auch, wie der Prophet Zacharias umgebracht worden war. Während er die Warnungsbotschaft Gottes verkündigte, ergriff den abtrünnigen König satanische Wut, und auf seinen Befehl hin wurde der Prophet dann getötet. Sein Blut hatte auf den Steinen des Tempelhofs unaustilgbare Spuren hinterlassen und dies zeugte gegen das abgefallene Israel. Solange der Tempel stände, würden die Spuren des Blutes dieses Gerechten zu Gott um Rache schreien. Als Jesus auf die schrecklichen Folgen dieser Sünden hinwies, war die Menge entsetzt. Der Heiland aber sah voraus, dass die Unbußfertigkeit der Juden und ihre Unduldsamkeit gegen die Diener Gottes unverändert fortbestehen würden. Er sagte: „Siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte; und von ihnen werdet ihr einige töten und kreuzigen, und einige werdet ihr geißeln in euren Synagogen und werdet sie verfolgen von einer Stadt zur andern.“ Matthäus 23,34. Propheten und weise Männer, voll Glaubens und voll Heiligen Geistes — Stephanus, Jakobus und viele andere —, würden verurteilt und getötet werden. Mit zum Himmel erhobener Hand sprach Christus, von göttlichem Licht umhüllt, als Richter zu jenen, die vor ihm standen. Die Stimme, die so oft gütig und bittend geklungen hatte, sprach jetzt tadelnd und verurteilend, so dass die Zuhörer Angst bekamen. Niemals würden sie den Eindruck Seiner Worte und Seinen durchdringenden Blick aus ihrem Gedächtnis auslöschen können! DM.492.3 Teilen

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Die Entrüstung des Heilandes richtete sich gegen die Heuchelei, die groben Sünden, durch die die Menschen ihre Seele schädigten, das Volk verführten und Gott entehrten. Er erkannte in den nur auf Scheingründen beruhenden, trügerischen Beweisführungen der Priester und Obersten die Wirksamkeitsatanischer Kräfte. Scharf und durchdringend prangerte Er die Sünde an, doch Er sprach kein Wort von Vergeltung. Er hatte einen heiligen Zorn gegen den Fürsten der Finsternis, aber keine gereizte Stimmung. DM.493.1 Teilen

Deshalb wird auch der Christ, der in Harmonie mit Gott lebt und Liebe und Barmherzigkeit besitzt, eine gerechte Entrüstung gegen die Sünde empfinden, aber er wird sich nicht dazu hinreißen lassen, jene zu beschimpfen, die ihn schmähen. Selbst wenn er mit solchen Leuten zusammentrifft, die von einer satanischen Macht bewegt werden und der Lüge dienen, wird er doch Ruhe und Selbstbeherrschung bewahren. Göttliches Mitleid überwältigte den Heiland, als Er Seinen Blick über den Tempel und über Seine Zuhörer gleiten ließ. Mit vor tiefem seelischem Schmerz und bitteren Tränen fast erstickter Stimme rief Er aus: „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt!“ Matthäus 23,37. Aus Christi Klage spricht Gottes Barmherzigkeit. Sie ist das geheimnisvolle Abschiedswort Seiner langmütigen Liebe. Die Pharisäer und Sadduzäer waren zum Schweigen gebracht. Der Herr rief Seine Jünger, und gemeinsam verließen sie den Tempel. Er ging nicht als Besiegter oder als ein durch die Gegenwart Seiner Widersacher Bezwungener, sondern als einer, dessen Werk vollendet war. Er verließ als Sieger diesen Streit. DM.493.2 Teilen

Die Edelsteine der Wahrheit, die Jesus an jenem ereignisreichen Tag ausgeteilt hatte, wurden in manchem Herzen treu bewahrt. Neue Gedanken bildeten sich, neues Streben wurde erweckt, und eine neue Entwicklung begann. Diese Bekenner Jesu traten nach der Kreuzigung und Auferstehung Christi öffentlich auf und erfüllten ihren göttlichen Auftrag mit einer Weisheit und einem Eifer, die der Größe ihrer Aufgabe entsprachen. Sie trugen eine Botschaft, die zu den Herzen der Menschen sprach und die die alten abergläubischen Gewohnheiten schwächte, die das Leben Tausender lange Zeit niedergehalten hatten. Vor ihrem Zeugnis wurden menschliche Lehren und Philosophien zu eitlen Fabeln. Machtvoll wirkten die Worte des Heilandes, die Er zu jener verwunderten und erschütterten Menge im Tempel zu Jerusalem gesprochen hatte. Israel als Volk aber hatte sich von Gott getrennt. Die natürlichen Zweige des Ölbaums waren abgebrochen. Indem Jesus einen letzten Blick in das Innere des Tempels warf, sprach Er mit trauriger Stimme: „Siehe, euer Haus soll euch wüste gelassen werden. Denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Matthäus 23,38.39. Bisher hatte Er den Tempel Seines Vaters Haus genannt, doch jetzt, da Er als Sohn Gottes jene Mauern verlassen sollte, würde sich Gottes Gegenwart für immer von dem zu Seiner Herrlichkeit erbauten Tempel zurückziehen. DM.493.3 Teilen

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Von nun an würden seine Zeremonien ohne Bedeutung sein und seine Gottesdienste nur noch Hohn. DM.494.1 Teilen

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