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Kapitel 76: Judas
Kapitel 76: Judas
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Auf der Grundlage von Matthäus 27,1-10. DM.573 Teilen

Die Geschichte von Judas zeigt das traurige Ende eines Lebens, das bei Gott hätte hochgeachtet werden können. Wäre Judas vor seiner letzten Reise nach Jerusalem gestorben, dann hätte man ihn nicht nur als einen Mann angesehen, der eines Platzes unter den zwölf Aposteln würdig sei, sondern man hätte ihn auch stark vermisst. Die Abscheu, die ihm in allen Jahrhunderten gefolgt ist, wäre ohne die Geschehnisse am Ende seines Lebens gar nicht erst aufgekommen. Aber sein wahrer Charakter wurde der Welt enthüllt, um all denen zur Warnung zu sein, die wie er heiliges Vertrauen missbrauchen. DM.573.1 Teilen

Kurz vor dem Passahfest hatte Judas seinen Vertrag mit den Priestern erneuert, um ihnen Jesus in die Hände zu spielen. Es war verabredet worden, den Heiland an einem der einsamen Orte gefangen zu nehmen, wo er gewöhnlich einige Zeit in tiefem Nachdenken und im Gebet verbrachte. Seit dem Fest im Haus von Simon hatte Judas Gelegenheit gehabt, über sein Vorhaben nachzudenken, das auszuführen er sich verpflichtet hatte, doch seine Absicht blieb unverändert. Für 30 Silberstücke — den Preis für einen Sklaven — übergab er den Herrn der Herrlichkeit der Schmach und dem Tod. DM.573.2 Teilen

Judas hatte von Natur aus eine besondere Vorliebe für Geld. Aber er war nicht immer so schlecht gewesen, um solch eine Tat wie diese auszuführen. Er hatte den bösen Geist der Habsucht so lange gepflegt, bis sie die beherrschende Antriebskraft seines Lebens wurde. Die Liebe zum Mammon gewann die Oberhand über die Liebe zu Christus. Indem er zum Sklaven eines Lasters wurde, gab er sich selbst in die Hände Satans, um in allen Sünden versucht zu werden. DM.573.3 Teilen

Judas hatte sich den Jüngern angeschlossen, als Jesus eine große Menge nachfolgte. Die Lehren des Meisters bewegten die Herzen der Menschen, als sie im Innersten überwältigt Seinen Worten lauschten, die Er in der Synagoge, am Meeresufer und am Bergeshang zu ihnen sprach. Judas erlebte, wie Kranke, Lahme und Blinde aus den Städten zu Jesus strömten. Er sah, wie Sterbende ihm zu Füßen gelegt wurden. Er war Zeuge der machtvollen Bekundungen des Heilandes, wenn Er Kranke heilte, Teufel austrieb und Tote auferweckte. Er spürte an sich selbst die Macht Jesu und war sich bewusst, dass Jesu Lehren alles überragten, was er bisher gehört hatte. Er liebte den großen Lehrer und sehnte sich danach, bei Ihm zu sein. Er hatte den Wunsch, dass sein Wesen und Leben umgewandelt würde, und er hoffte dies durch seine Verbindung mit Jesus zu erleben. Der Heiland wies Judas nicht zurück. Er gab ihm einen Platz unter den zwölf Aposteln, vertraute ihm das Amt eines Evangelisten an und stattete ihn aus mit der Kraft, Kranke zu heilen und Teufel auszutreiben. Dennoch konnte sich Judas nicht überwinden, völlig in Christus aufzugehen. Weder gab er seinen weltlichen Ehrgeiz auf noch seine Liebe zum Geld. Obwohl er das Amt eines Dieners Christi annahm, überließ er sich nicht dem göttlichen Einfluss. Er meinte, sich ein eigenes Urteil und eine eigene Meinung bewahren zu können und neigte dazu, andere zu kritisieren und anzuklagen. DM.573.4 Teilen

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Unter den Jüngern war Judas hoch geachtet, und er übte großen Einfluss auf sie aus. Er hatte eine hohe Meinung von seinen Fähigkeiten und glaubte sich seinen Brüdern an Urteilskraft und Talent stark überlegen. Er meinte, sie würden die sich ihnen bietenden Gelegenheiten nicht erkennen und keinen Vorteil daraus ziehen. Die christliche Gemeinde könne mit solch kurzsichtigen Männern an der Spitze nicht gedeihen. Petrus sei ungestüm und handle oft ohne Überlegung. Johannes, der Christi Lehre in sich aufnahm und bewahrte, war in den Augen von Judas ein schlechter Haushalter. Matthäus, dessen Erziehung ihn gelehrt hatte, in allen Dingen peinlich genau zu sein, sei hinsichtlich der Aufrichtigkeit übergenau. Er dachte stets über alle Worte Christi gründlich nach und vertiefte sich so hinein, dass ihm nach der Meinung des Judas keine Aufträge anvertraut werden könnten, die Scharfsinn und Weitblick verlangten. In dieser Weise nahm sich Judas alle Jünger vor und schmeichelte sich, dass der Jüngerkreis oft in Verwirrung und Verlegenheit geraten wäre, wenn es ihn mit seiner Fähigkeit als guter Manager nicht gegeben hätte. Er war überzeugt, dass niemand ihm das Wasser reichen konnte. Er schätzte sich selbst als Ehrenmitglied dieses Kreises ein — dementsprechend war seine Haltung. DM.574.1 Teilen

Judas war blind gegenüber seinen Charakterschwächen, und Jesus setzte ihn dort ein, wo es ihm möglich gewesen wäre, seine Mängel zu erkennen und zu korrigieren. Als Schatzmeister der Jünger musste er für die leiblichen Bedürfnisse dieser kleinen Gemeinschaft sorgen und auch die Not der Armen lindern. Als Jesus in dem Raum, wo sie das Passahmahl einnahmen, zu ihm sagte: „Was du tust, das tue bald!“ (Johannes 13,27), glaubten die Jünger, Jesus hätte ihm geboten, etwas für das Fest einzukaufen oder aber den Armen eine Gabe zukommen zu lassen. Durch den Dienst für andere hätte Judas einen selbstlosen Geist entwickeln können. Und doch gab er sich, während er täglich den Lehren Jesu zuhörte und Zeuge dessen uneigennützigen Lebens war, seinen habgierigen Neigungen hin. Die kleinen Beträge, die durch seine Hände gingen, waren für ihn eine ständige Versuchung. Oft, wenn er dem Herrn einen kleinen Dienst erwiesen oder seine Zeit auf religiöse Aufgaben eingesetzt hatte, nahm er sich selbst seinen Lohn aus der bescheidenen Kasse. Ihm dienten solche Gelegenheiten als Vorwand, seine Handlungsweise zu entschuldigen. In Gottes Augen aber war er ein Dieb. DM.574.2 Teilen

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Christi oft wiederholte Feststellung, dass Sein Reich nicht von dieser Welt sei, ärgerte Judas. Er bestimmte für Jesus eine Handlungsweise und erwartete, dass Er nach ihr handeln würde. So erwartete er, dass Johannes der Täufer aus dem Gefängnis befreit würde. Doch Johannes blieb eingekerkert und wurde enthauptet. Und Jesus, statt Sein königliches Recht wahrzunehmen und den Tod des Täufers zu rächen, zog sich mit den Jüngern an einen ländlichen Ort zurück. Judas wünschte ein aggressiveres Vorgehen. Er glaubte, dass sie ihre Aufgabe bedeutend erfolgreicher lösen könnten, wenn Jesus sie nicht immer davon abhielte, ihre Pläne durchzuführen. Er bemerkte die zunehmende Feindseligkeit der jüdischen Oberen und musste erleben, dass ihr Verlangen, von Christus ein göttliches Zeichen zu sehen, unbeachtet blieb. DM.575.1 Teilen

Sein Herz öffnete sich dem Unglauben, und Satan säte Gedanken des Zweifels und der Auflehnung. Warum hielt sich Jesus so lange mit den Dingen auf, die entmutigend waren? Warum weissagte Er von Prüfungen und Verfolgungen, die Ihn und Seine Jünger treffen sollten? Ihn, Judas, hatte doch hauptsächlich die Aussicht auf eine einflussreiche Stellung im neuen Königreich bewogen, für die Sache Christi einzutreten. Sollten seine Hoffnungen enttäuscht werden? Judas hatte keineswegs entschieden, dass Jesus nicht Gottes Sohn sei, aber er zweifelte und suchte nach einer Erklärung für die mächtigen Taten des Herrn. DM.575.2 Teilen

Ungeachtet der Äußerungen Jesu verbreitete Judas ständig die Idee, dass Jesus als König in Jerusalem herrschen werde. Bei der Speisung der 5000 versuchte er sie sogar zu verwirklichen. Er half bei der Verteilung der Speise an die hungrige Menge und konnte dabei wahrnehmen, welche Wohltat darin liegt, anderen zu geben. Er fühlte die Befriedigung, die einen stets im Dienst für Gott erreicht. Auch half er mit, Kranke und Leidende, die sich in der Menge befanden, zu Christus zu führen. Er sah dabei, welche Erleichterung, welche Freude und welcher Frohsinn durch die heilende Kraft des Erlösers in Menschenherzen einziehen können. Hier hätte er die Handlungsweise Jesu verstehen lernen können; aber durch seine selbstsüchtigen Wünsche war er völlig verblendet. Judas war der Erste, der die Begeisterung der Menge über das Wunder der Speisung ausnutzen wollte. Er war es, der den Plan hervorbrachte, Christus mit Gewalt zum König zu machen. Seine Hoffnungen waren hochgespannt — seine Enttäuschung dadurch umso bitterer. DM.575.3 Teilen

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Als Jesus in der Synagoge zu Kapernaum vom Brot des Lebens sprach, ging in Judas eine entscheidende Veränderung vor. Er hörte die Worte: „Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch.“ Johannes 6,53. Judas begriff hier, dass Jesus mehr geistliche als weltliche Güter anbot. Er hielt sich für äußerst weitblickend und glaubte zu erkennen, dass der Herr keine weltlichen Ehren annehmen werde und den Jüngern keine angesehene Stellung verschaffen könne. Deshalb beschloss er, sich nur so weit an Christus anzuschließen, dass er sich jederzeit wieder von Ihm lossagen konnte. Er wollte abwarten, und das tat er auch. DM.576.1 Teilen

Von nun an ließ Judas Zweifel laut werden, die die Jünger verwirrten. Er warf Streitfragen auf und erweckte zwiespältige Empfindungen, indem er die von den Schriftgelehrten und Pharisäern gebrauchten Argumente gegen die Behauptungen Jesu wiederholte. Alle kleinen und größeren Unannehmlichkeiten, Nöte und Schwierigkeiten sowie offensichtliche Hindernisse bei der Ausbreitung des Evangeliums deutete Judas als Beweise gegen die Wahrhaftigkeit der göttlichen Botschaft. Er führte Schriftstellen an, die mit den von Christus verkündigten Wahrheiten in gar keiner Verbindung standen. Diese Schriftworte, aus dem Zusammenhang gerissen, beunruhigten die Jünger und vergrößerten die Entmutigung, unter der sie immer mehr litten. Dieses Vorgehen von Judas geschah dennoch in einer Weise, dass er als äußerst gewissenhaft erschien. Während die Jünger nach Hinweisen suchten, um die Worte des großen Lehrers zu bestätigen, führte sie Judas unmerklich auf eine andere Bahn. In dieser frommen und scheinbar klugen Weise stellte er viele Dinge anders dar als Jesus und unterlegte dessen Worten eine Bedeutung, die dieser nie gemeint hatte. Seine Einflüsterungen weckten bei den Jüngern ehrgeizige Wünsche nach weltlicher Größe und lenkten sie dadurch von den wichtigen Dingen ab, denen sie sich hätten widmen sollen. Der Streit, wer der Größte unter ihnen sein sollte, wurde meistens von Judas hervorgerufen. DM.576.2 Teilen

Als der Heiland den reichen jungen Mann mit den Bedingungen der Jüngerschaft bekannt machte, war Judas unzufrieden und glaubte, dass hier ein Fehler gemacht worden sei. Wenn sich nämlich solche Männer wie dieser Oberste mit den Gläubigen verbinden würden, dann könnten sie dazu beitragen, das Werk Christi zu fördern. Würde man ihn, Judas, nur einmal als Ratgeber anhören, er könnte manch einen Vorschlag machen zum Vorteil der kleinen Gemeinde. Seine Grundsätze und Methoden würden sich zwar etwas von den Grundsätzen Jesu unterscheiden, dafür glaubte er aber auch, in dieser Sache viel klüger zu sein als der Herr. An allem, was Jesus Seinen Jüngern sagte, war etwas, womit Judas innerlich nicht übereinstimmte. Unter seinem Einfluss begann der Sauerteig der Unzufriedenheit schnell zu wirken. Die Jünger erkannten nicht den wahren Urheber alles dessen, aber Jesus wusste, dass Satan Judas stark beeinflusste und dadurch einen Weg fand, auch die anderen Jünger in seinen Bann zu ziehen. Schon ein Jahr vor dem Verrat des Judas hatte Christus erklärt: „Habe ich nicht euch Zwölf erwählt? Und einer von euch ist ein Teufel.“ Johannes 6,70. Doch Judas wandte sich nicht offen gegen den Heiland, auch schien er dessen Lehren nicht anzuzweifeln. Er trat mit seiner Unzufriedenheit erst beim Fest in Simons Haus offen hervor. Als Maria die Füße des Heilandes salbte, zeigte sich seine habsüchtige Gesinnung. Der Tadel, den ihm Jesus daraufhin aussprach, ärgerte ihn sehr. Verletzter Stolz und das Verlangen nach Rache rissen alle Schranken nieder. Die Habgier, der er bisher nachgegeben hatte, beherrschte ihn jetzt völlig. Die gleiche Erfahrung wird jeder machen, der sich beharrlich mit der Sünde abgibt. Üble Neigungen, denen wir nicht widerstehen und die wir nicht überwinden, verleiten dazu, den Versuchungen Satans nachzugeben. Der Mensch wird damit sein Gefangener. DM.576.3 Teilen

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Judas aber war für den Geist Christi noch nicht ganz unempfänglich geworden. Selbst nachdem er sich schon zweimal vorgenommen hatte, den Heiland zu verraten, hätte er noch Gelegenheit zur Umkehr gehabt. Beim Abendmahl bewies der Heiland seine Göttlichkeit, indem er die Absicht des Verräters offenbarte. In warmherziger Liebe schloss er dennoch Judas in den Dienst ein, den er seinen Jüngern erwies. Aber auch dieses letzte Liebeswerben beachtete Judas nicht. Daraufhin war sein Fall entschieden und die Füße, die der Heiland gewaschen hatte, eilten hinaus, um den Verrat zu vollenden. DM.577.1 Teilen

Wenn es bestimmt war, dass Jesus gekreuzigt werde — so argumentierte Judas —, dann musste es auch so kommen. Ob er den Herrn verriete oder nicht, würde daran nichts ändern. Lag der Tod Jesu nicht im Plan der Vorsehung, so wäre Er wenigstens gezwungen, sich zu befreien. Auf jeden Fall aber würde Judas etwas aus seinem Verrat gewinnen. Er rechnete, dass er ein gutes Geschäft gemacht habe, indem er den Herrn verriet. DM.577.2 Teilen

Judas glaubte jedoch nicht, dass sich Jesus gefangen nehmen ließe. Durch seinen Verrat bezweckte er, Jesus eine Lektion zu erteilen und Ihn zu veranlassen, ihn, Judas, in Zukunft mit gebührender Achtung zu behandeln. Judas wusste nicht, dass er Jesus tatsächlich in den Tod gab. Wie oft waren, als Jesus in Gleichnissen redete, die Schriftgelehrten und Pharisäer von Seinen treffenden Bildern gepackt worden! Wie oft hatten sie sich ihr eigenes Urteil sprechen müssen! Häufig, wenn die Wahrheit ihnen durchs Herz ging, waren sie von Zorn erfüllt gewesen und hatten Steine aufgehoben, um nach dem Herrn zu werfen. Doch immer wieder hatte Jesus ungehindert entkommen können. Da Er sich schon von so vielen Nachstellungen befreien konnte, nahm Judas an, dass Er sich gewiss auch diesmal nicht festnehmen lassen würde. DM.577.3 Teilen

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Judas entschloss sich, die Angelegenheit auf die Probe zu stellen. War Jesus wirklich der Messias, dann würde das Volk, für das Er so viel getan hatte, sich um Ihn scharen und Ihn zum König ausrufen. Das würde manches Gemüt, das jetzt noch unsicher war, für immer im Glauben festigen. Und er, Judas, hätte dann den Ruhm, Jesus auf den Thron Davids gehoben zu haben. Diese Tat würde ihm auch den höchsten Platz nach Christus in dem neuen Königreich sichern. DM.578.1 Teilen

So ging der falsche Jünger hin und verriet seinen Herrn. Als er den Anführern des Pöbels im Garten sagte: „Welchen ich küssen werde, der ist‘s, den ergreift“ (Matthäus 26,48), war er noch fest davon überzeugt, dass Christus ihren Händen entkommen werde. Sollte man ihm später Vorwürfe machen, dann würde er erklären: Sagte ich euch nicht, ihr solltet ihn ergreifen? DM.578.2 Teilen

Judas blickte die Knechte an, wie sie den Herrn auf sein Wort hin fest banden. Zu seiner Bestürzung sah er, dass der Heiland sich fortführen ließ. Beunruhigt folgte er Ihm vom Garten aus zum Verhör vor den jüdischen Obersten. Bei jeder Bewegung schaute er erwartungsvoll zu Ihm hin, ob Jesus wohl Seine Feinde überraschen werde, indem Er vor ihnen als der Sohn Gottes erschiene und ihre Anschläge wie ihre ganze Gewalt zunichte machte. Als jedoch Stunde um Stunde verstrich und Jesus alle auf Ihn gehäuften Schmähungen ertrug, bekam der Verräter schreckliche Angst, und er fragte sich, ob er seinen Herrn in den Tod verkauft habe. DM.578.3 Teilen

Kurz vor Beendigung des Verhörs konnte Judas die Qual seines schuldbeladenen Gewissens nicht länger ertragen. Plötzlich gellte ein heiserer Schrei, der alle Herzen mit Furcht erfüllte, durch das Haus: Er ist unschuldig! Gib Ihn frei, Kaiphas! Alle blickten auf die große Gestalt des Verräters, der sich durch die aufgeregte Menge drängte. Sein Gesicht war kalkweiß und ausgezehrt, große Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Er stürzte auf den Richterstuhl zu, warf die 30 Silberstücke, den Preis für seinen Verrat, dem Hohepriester vor die Füße, ergriff in ungeduldiger Hast das Gewand von Kaiphas und flehte ihn an, Jesus freizugeben. Er erklärte, dass dieser nichts getan hätte, was den Tod rechtfertigte. Wütend schüttelte ihn Kaiphas ab, doch er war verwirrt und wusste nicht, was er sagen sollte. Die Hinterlist der Priester wurde deutlich. Es war offensichtlich, dass sie den Jünger bestochen hatten, Jesus zu verraten. „Ich habe unrecht getan“, schrie Judas, „dass ich unschuldiges Blut verraten habe.“ Aber der Hohepriester, der sich schnell gefasst hatte, erwiderte verächtlich: „Was geht uns das an? Da sieh du zu!“ Matthäus 27,4.5. DM.578.4 Teilen

Die Priester waren bereit gewesen, Judas als Werkzeug zu benutzen; gleichzeitig verachteten sie aber seine niedrige Gesinnung. Als er sich mit seinem Geständnis an sie wandte, wiesen sie ihn ab. Judas warf sich nun Jesus zu Füßen, anerkannte Ihn als den Sohn Gottes und bat Ihn inständig, sich zu befreien. Der Heiland machte seinem Verräter keine Vorwürfe. Er wusste, dass Judas nicht bereute. Das Geständnis, das sich dessen schuldbeladener Seele entrang, war nur durch die schreckliche Angst vor der Verdammnis und dem kommenden Gericht erzwungen worden. Er empfand jedoch keinen tiefen, herzzerreißenden Kummer darüber, dass er den Sohn Gottes, der ohne jede Schuld war, verraten und den Heiligen in Israel verleugnet hatte. Dennoch verdammte ihn Jesus mit keinem Wort, sondern mitleidig schaute Er Judas an und sagte: Wegen dieser Stunde bin ich in die Welt gekommen. Ein Raunen der Überraschung ging durch die Versammlung. Verwundert erlebten sie die Langmut Jesu mit dem Verräter. Dieses Geschehen ließ erneut die Überzeugung in ihnen aufklingen, dass dieser Mensch mehr als ein Sterblicher sei. Doch wenn Er Gottes Sohn sei, so fragten sie sich weiter, warum befreite Er sich dann nicht von Seinen Banden und triumphierte über Seine Ankläger? Als Judas erkannte, dass sein Bitten erfolglos blieb, rannte er aus dem Gerichtsgebäude und rief laut: Es ist zu spät! Es ist zu spät! Er fühlte, dass er es nicht ertragen konnte, den gekreuzigten Jesus ein Leben lang vor sich zu sehen. Verzweifelt ging er hin und erhängte sich. DM.578.5 Teilen

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Etwas später am gleichen Tag wurde auf dem Weg vom Palast des Pilatus nach Golgatha das Geschrei und Gespött all der bösartigen Menschen, die Jesus zur Kreuzigungsstätte begleiteten, plötzlich unterbrochen. An einer einsamen Stelle erblickten sie am Fuß eines abgestorbenen Baumes den Leichnam von Judas. Welch ein abstoßendes Bild! Sein schwerer Körper hatte den Strick zerrissen, mit dem er sich am Baum aufgehängt hatte. Durch den Sturz war sein Leib aufgeplatzt, und gierig verschlangen ihn die Hunde. Seine Überreste wurden sofort außer Sichtweite begraben. Von nun an ließ der Spott unter der Volksmenge nach, und manch ein fahles Gesicht offenbarte die Gedanken des Herzens. Vergeltung schien bereits jene heimzusuchen, die am Blut Jesu schuldig waren. DM.579.1 Teilen

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