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Kapitel 80: In Josephs Grab
Kapitel 80: In Josephs Grab
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Auf der Grundlage von Matthäus 27,60. DM.618 Teilen

Nun ruhte Jesus endlich: Der lange Tag der Schmach und Qual war vorüber Als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne den Sabbat ankündigten, lag der Heiland still in Josephs Grab. Seine Aufgabe war vollbracht, Seine Hände friedlich ineinander gefaltet, so ruhte Er während der heiligen Stunden des Sabbats. DM.618.1 Teilen

Bei der Schöpfung hatten Vater und Sohn am Sabbat von ihren Werken ausgeruht. Als „Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer“ (1.Mose 2,1) vollendet waren, freute sich der Schöpfer mit allen himmlischen Wesen beim Anblick jenes herrlichen Bildes. „Die Morgensterne ... jauchzten [miteinander] und alle Söhne Gottes jubelten“. Hiob 38,7. Jetzt ruhte Jesus aus von dem Erlösungsgeschehen, und trotz der Trauer derer, die Ihn auf Erden liebten, herrschte Freude im Himmel. In den Augen der himmlischen Wesen erschien die Verheißung der Zukunft in strahlendem Glanz. Eine wiederhergestellte Schöpfung, ein erlöstes Menschengeschlecht, das niemals wieder fallen konnte, weil es die Sünde überwunden hatte — so sahen Gott und die Engel die Früchte des von Christus vollbrachten Erlösungswerkes. Mit dieser frohen Aussicht ist Jesu Sterbetag auf Golgatha für immer verknüpft, denn „seine Werke sind vollkommen“ (5.Mose 32,4) und „alles, was Gott tut, das besteht für ewig“. Prediger 3,14. DM.618.2 Teilen

Auch noch zu der Zeit, da „wiedergebracht wird, wovon Gott geredet hat durch den Mund Seiner heiligen Propheten von Anbeginn“ (Apostelgeschichte 3,21) wird der Schöpfungssabbat, der Tag, an dem Jesus in Josephs Grab ruhte, ein Tag des Friedens und der Freude sein. Himmel und Erde werden vereint Gott loben, während die Völker der Geretteten „einen Sabbat nach dem andern“ (Jesaja 66,23) Gott und das Lamm anbeten werden. DM.618.3 Teilen

Während der Schlussereignisse am Tag der Kreuzigung wurde ein neuer Beweis für die Erfüllung der Weissagung erbracht und ein neues Zeugnis für die Gottheit Jesu gegeben. Als sich die Dunkelheit am Kreuz wieder aufgelöst hatte und der Sterberuf Jesu verklungen war, hörte man unmittelbar darauf eine Stimme sagen: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“ Matthäus 27,54. Diese Worte wurden keineswegs flüsternd gesprochen. Aller Augen wandten sich um und versuchten zu erkennen, woher sie kamen. Wer hatte das gesagt? Es war der Hauptmann, ein römischer Soldat. Die göttliche Geduld des Heilandes, Sein plötzlicher Tod, der Siegesruf auf Seinen Lippen, hatte den Heiden sehr beeindruckt. Er erkannte in dem verwundeten, zerschlagenen Körper am Kreuz die Gestalt des Sohnes Gottes. Er konnte nicht anders, er musste seinen Glauben bekennen! So wurde wiederum ein Beweis dafür gegeben, dass das Ringen des Erlösers nicht erfolglos war. An Seinem Todestag bekannten sich drei sehr unterschiedlich geartete Männer zu ihrem Heiland: der Befehlshaber der römischen Wache; Simon, der Träger des Kreuzes Jesu und der Übeltäter am Kreuz. DM.618.4 Teilen

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Als der Abend hereinbrach, lag eine unnatürliche Stille über Golgatha. Die Menschen zerstreuten sich, viele kehrten nach Jerusalem ganz anders gesinnt zurück, als sie es morgens verlassen hatten. Viele waren aus Neugierde zur Kreuzigung gekommen und nicht aus Hass gegen Christus, doch sie glaubten den Anschuldigungen der Priester und sahen in Jesus Christus einen Übeltäter. Von der Erregung der Masse angestachelt, hatten sie in die Schmährufe gegen Ihn mit eingestimmt. Als sich aber die Erde plötzlich in dichte Finsternis hüllte und ihr Gewissen sie hart anklagte, sahen sie ihr Unrecht ein. Während dieser schrecklichen Finsternis hörte man keinerlei Scherze oder spöttisches Gelächter mehr, und als sich das Dunkel lichtete, gingen sie in ernstem Schweigen wieder nach Hause. Sie waren davon überzeugt, dass die Beschuldigungen der Priester falsch waren, dass Jesus kein Betrüger war. Als Petrus einige Wochen danach am Pfingsttag predigte, befanden auch sie sich unter den Tausenden, die an Jesus Christus gläubig wurden. DM.619.1 Teilen

Die Obersten der Juden aber blieben von dem Erlebten unberührt. Ihr Hass auf Jesus hatte nicht nachgelassen. Die Dunkelheit, die während der Kreuzigung die Erde überzogen hatte, war nicht dichter gewesen als die geistliche Finsternis, die noch immer die Sinne der Priester und Obersten umgab. Ein Stern hatte Christi Geburt verkündet und die Weisen zum Stall geführt, in dem Jesus lag. Die himmlischen Heerscharen hatten den Heiland verkündet und Ihm über den Feldern von Bethlehem Lob und Preis gesungen. Dem Meer war Seine Stimme vertraut gewesen, und es hatte Seinem Gebot gehorcht. Krankheit und Tod hatten Seine Vollmacht anerkannt und Ihm ihre Opfer ausgeliefert. Die Sonne hatte beim Anblick Seines Todeskampfes ihre Strahlen verborgen; die Felsen hatten Ihn gekannt und waren bei Seinem Todeskampf zersplittert. Die unbelebte Natur hatte Christi Göttlichkeit deutlich bezeugt. Nur die Priester und Obersten in Israel verschlossen sich weiterhin dem Sohn Gottes. Doch Ruhe fanden sie nicht. Sie hatten ihre Absicht erreicht und Jesus getötet, aber sie konnten ihres Sieges nicht froh werden. Selbst in der Stunde ihres augenscheinlichen Triumphes wurden sie von Zweifeln beunruhigt, was als Nächstes geschehen werde. Sie hatten Jesu Ruf: „Es ist vollbracht!“ Johannes 19,30. sowie Seine Worte: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ (Lukas 23,46) gehört. Zudem hatten sie gesehen, wie die Felsen zersprangen, und erlebt, wie die Erde bebte. Dies alles machte sie unruhig und ängstlich. Sie waren auf den Einfluss des Herrn eifersüchtig gewesen, den Er auf das Volk ausübte, als Er noch lebte. Nun waren sie es sogar auf Ihn als er tot war. Sie fürchteten den toten Christus weit mehr, als sie den lebenden je gefürchtet hatten. Sie waren besorgt, dass sich die Aufmerksamkeit des Volkes weiterhin auf die Ereignisse richten würde, die während der Kreuzigung geschahen. Sie hatten Angst vor den Folgen ihres Handelns an jenem Tag. Keinesfalls sollte darum Jesu Körper während des Sabbats am Kreuz bleiben. Der Sabbat stand bevor, und die Heiligkeit dieses Tages würde durch die am Kreuz verbleibenden Körper verletzt werden. Dies als Vorwand benutzend, baten die jüdischen Obersten Pilatus, den Todeskampf der Verurteilten abzukürzen und ihre Leiber noch vor Sonnenuntergang vom Kreuz zu nehmen. Pilatus wollte ebenso wenig wie sie Jesus am Kreuz hängen lassen. Mit seiner Zustimmung wurden den beiden Übeltätern die Beine gebrochen, um ihren Tod zu beschleunigen, doch Jesus war bereits gestorben. Die Soldaten waren durch das, was sie von Jesus gesehen und gehört hatten, mild gestimmt worden, und verzichteten darauf, Ihm die Beine zu brechen. So erfüllte sich in der Opferung des Gotteslammes das Passahgesetz: „Sie sollen nichts davon übrig lassen bis zum Morgen, auch keinen Knochen davon zerbrechen und sollen‘s ganz nach der Ordnung des Passah halten.“ 4.Mose 9,12. DM.619.2 Teilen

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Die Priester und Obersten waren überrascht, dass Jesus schon gestorben war. Der Kreuzestod bedeutete ein sehr langsames Sterben, und es war schwer festzustellen, wann das Herz des Gekreuzigten aufgehört hatte zu schlagen. Es war ungewöhnlich, wenn jemand innerhalb 6 Stunden nach der Kreuzigung starb. Die Priester aber wollten Gewissheit über den Tod Jesu haben, und auf ihre Veranlassung stieß ein Kriegsknecht einen Speer in die Seite Jesu. Aus der so entstandenen Wunde flossen Wasser und Blut. Das wurde von allen festgestellt, die das Kreuz umstanden, und Johannes vermittelt dieses Geschehen sehr genau: „Einer der Soldaten stieß mit dem Speer in seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus. Und der das gesehen hat, der hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr, und er weiß, dass er die Wahrheit sagt, damit auch ihr glaubt. Denn das ist geschehen, dass die Schrift erfüllt würde: ‚Ihr sollt ihm kein Bein brechen.‘ Und abermals spricht die Schrift: ‚Sie werden sehen auf den, in welchen sie gestochen haben.‘“ Johannes 19,34-37; 2.Mose 12,46; Sacharja 12,10. DM.620.1 Teilen

Nach der Auferstehung verbreiteten die Priester und Obersten das Gerücht, Christus sei nicht am Kreuz gestorben, sondern nur ohnmächtig eworden und man habe Ihn später wiederbelebt. Auch wurde behauptet, dass nicht ein wirklicher Leib aus Fleisch und Knochen, sondern ein nachgeahmter Körper ins Grab gelegt worden sei. Die Handlung der römischen Soldaten aber widerlegte diese Lügen. Sie brachen Seine Beine nicht, weil Er bereits gestorben war. Nur um die Priester zufriedenzustellen, stießen sie in Seine Seite. Wäre Jesu Leben nicht schon erloschen gewesen, so hätte diese Wunde Seinen Tod herbeigeführt. Aber es war nicht der Stich mit dem Speer und auch nicht die Schmerzen am Kreuz, die den Tod Jesu hervorriefen. Sein lauter Schrei im Augenblick des Sterbens (Matthäus 27,50; Lukas 23,46) und das Heraustreten von Wasser und Blut aus Seiner Seite beweisen, dass Er an gebrochenem Herzen starb. Seelenqual war die Ursache. Die Sünde der Welt hat Ihn getötet. DM.620.2 Teilen

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Mit dem Tod Jesu schwanden die Hoffnungen der Jünger. Sie schauten auf Seine geschlossenen Augenlider und auf das geneigte Haupt, auf Sein mit Blut getränktes Haar, Seine durchbohrten Hände und Füße, und ihr Schmerz war unbeschreiblich. Bis zu dem letzten Augenblick hatten sie nicht geglaubt, dass Er sterben würde. Sie konnten es nicht fassen, dass ihr Heiland wirklich tot war. In ihrem Kummer dachten sie nicht an Seine Worte, die gerade dieses Geschehen vorhergesagt hatten. Nichts von alledem, was Er ihnen mitgeteilt hatte, konnte sie trösten. Sie sahen nur das Kreuz und das blutende Opfer. Die Zukunft schien ihnen von Hoffnungslosigkeit verdunkelt. Ihr Glaube an Jesus war verlorengegangen, und doch hatten sie den Herrn nie mehr geliebt als jetzt. Nie zuvor hatten sie Seine Bedeutung und die Notwendigkeit Seiner Gegenwart stärker empfunden als in diesen Stunden. DM.621.1 Teilen

Sogar der tote Leib Christi war den Jüngern überaus kostbar. Sie wollten Ihm gern ein würdiges Begräbnis geben, nur wussten sie nicht, wie sie dies ausführen sollten. Jesus war wegen Verrats an der römischen Macht verurteilt worden. Wer auf Grund einer solchen Anklage hingerichtet worden war, den schaffte man auf einen speziell für diese Verbrecher angelegten Begräbnisplatz. Der Jünger Johannes war mit den Frauen aus Galiläa an der Kreuzigungsstätte geblieben. Sie wollten den Leib ihres Herrn nicht in den Händen gefühlloser Soldaten und in einem unehrenhaften Grab wissen. Doch sie konnten es nicht verhindern, da sie kein Verständnis von den jüdischen Obersten erwarten durften und auch keinen Einfluss auf Pilatus hatten. In dieser Notlage kamen Joseph von Arimathia und Nikodemus den Jüngern zu Hilfe. Beide waren Mitglieder des Sanhedrin und mit Pilatus gut bekannt, dazu waren sie reich und besaßen großen Einfluss. Diese Männer waren entschlossen, dem Leib des Herrn ein ehrenhaftes Begräbnis zu geben. Joseph ging kurzentschlossen zu Pilatus und bat ihn um den Leichnam Jesu. Jetzt erst erfuhr Pilatus, dass Jesus wirklich tot war. Widerspruchsvolle Berichte über die Begleiterscheinungen während der Kreuzigung hatte er schon gehört, doch die Kunde vom Tod Jesu war ihm absichtlich verheimlicht worden. Die Priester und Obersten hatten ihn bereits in Bezug auf den Leichnam Jesu vor einem Betrugsversuch der Anhänger Jesu gewarnt. Als er von Josephs Bitte hörte, ließ er deshalb den Hauptmann kommen, der die Wache am Kreuz hatte, und erhielt von ihm die Gewissheit des Todes Jesu. Er ließ sich von ihm auch einen Bericht über die Geschehnisse auf Golgatha geben, der Josephs Darstellung bestätigte. DM.621.2 Teilen

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Die Bitte Josephs wurde gewährt. Während sich Johannes noch um das Begräbnis seines Meisters sorgte, kehrte Joseph mit der von Pilatus getroffenen Anordnung zurück, den Leichnam Jesu vom Kreuz zu nehmen. Nikodemus beschaffte darauf eine wertvolle, hundert Pfund schwere Mischung von Myrrhe und Aloe zum Einbalsamieren. Dem Angesehensten in ganz Jerusalem hätte zu Seinem Tod keine größere Ehre erwiesen werden können. Die Jünger waren erstaunt, dass jene begüterten Obersten dem Begräbnis ihres Herrn dieselbe Anteilnahme entgegenbrachten wie sie selbst. DM.622.1 Teilen

Weder Joseph von Arimathia noch Nikodemus hatten sich öffentlich zum Heiland bekannt, als Er noch lebte. Sie wussten, ein solcher Schritt würde sie vom Hohen Rat ausschließen. Außerdem hofften sie, Ihn durch ihren Einfluss in den Beratungen schützen zu können. Eine Zeitlang schienen sie auch Erfolg gehabt zu haben, aber die verschlagenen Priester hatten bald die Schutzmaßnahmen der beiden Ratsmitglieder vereitelt, als sie deren Bewunderung für Christus erkannten. In ihrer Abwesenheit wurde Jesus verurteilt und dem Kreuzestod übergeben. Jetzt, da Jesus gestorben war, verbargen sie nicht länger ihre Zuneigung zu Ihm. Während die Jünger zu furchtsam waren, um sich öffentlich als Seine Nachfolger zu bekennen, traten Joseph und Nikodemus mutig hervor, um ihnen zu helfen. Die Hilfe dieser beiden wohlhabenden und hochgeachteten Männer war in dieser Stunde äußerst wertvoll. Sie konnten für den toten Meister das tun, was den armen Jüngern unmöglich gewesen wäre. Ihr Reichtum und Einfluss schützte die Jünger auch weitgehend vor der Bosheit der Priester und Obersten. Vorsichtig und ehrerbietig nahmen sie Jesu Leichnam eigenhändig vom Kreuz ab. Tränen des Mitleids schossen ihnen in die Augen, als sie Seinen geschlagenen und verwundeten Körper betrachteten. Joseph besaß ein neues, in einen Felsen gehauenes Grab. Er hatte es für sich selbst bestimmt. Da es aber nahe bei Golgatha gelegen war, bereitete er es nun für die Aufnahme des Leichnams Jesu vor. Dann wurde Jesu Leib zusammen mit den Spezereien, die Nikodemus mitgebracht hatte, sorgfältig in ein Leinentuch eingeschlagen und zum Grab getragen. Dort streckten die drei Jünger Seine verkrümmten Glieder und falteten die zerstochenen Hände auf Seiner Brust. Die Frauen aus Galiläa kamen, um sich davon zu überzeugen, dass alles getan worden war, was für den Leichnam ihres geliebten Lehrers gemacht werden konnte. Dann sahen sie, wie ein schwerer Stein vor den Eingang des Grabgewölbes gewälzt und der Heiland der Ruhe überlassen wurde. Die Frauen waren die letzten am Kreuz gewesen, und sie waren auch die letzten am Grab Christi. Die Abendschatten hatten sich schon auf das Land gesenkt, da weilten sie immer noch an der Ruhestätte ihres Herrn und beweinten in bitteren Tränen das Schicksal dessen, den sie liebten. „Sie kehrten aber um ... Und den Sabbat über ruhten sie nach dem Gesetz.“ Lukas 23,56. DM.622.2 Teilen

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Diesen Sabbat konnten weder die trauernden Jünger noch die Priester, Obersten, Schriftgelehrten und das Volk jemals vergessen. Bei Sonnenuntergang erschallten am Rüsttag die Trompeten, die den Beginn des Sabbats ankündigten. Das Passah wurde gefeiert wie seit Jahrhunderten, während der, auf den es hinwies, von ruchlosen Händen getötet worden war und in Josephs Grab lag. Am Sabbat war der Tempelhof mit Gläubigen gefüllt; der Hohepriester, der auf Golgatha Christus verspottet hatte, war prächtig geschmückt in seinen priesterlichen Gewändern. Priester mit weißen Turbanen gingen eifrig ihren Aufgaben nach. Doch manche der Anwesenden fühlten sich beunruhigt, als die Stiere und Ziegen als Sündopfer dargebracht wurden. Sie erkannten zwar nicht, dass das Wesen bereits den Schatten aufgehoben hatte, dass ein ewiges Opfer für die Sünden der Welt dargebracht worden war. Auch wussten sie nicht, dass ihr sinnbildlicher Gottesdienst allen weiteren Wert verloren hatte — doch nie zuvor hatten die Menschen einem solchen Gottesdienst mit derart widerstreitenden Gefühlen beigewohnt. Die Posaunen, die Musikinstrumente und die Stimmen der Sänger klangen so laut und klar wie immer. Jedoch lag ein seltsam fremder Hauch über allem. Einer nach dem andern fragte, welches sonderbare Ereignis stattgefunden habe. Das Allerheiligste, das bisher geschützt war, lag offen vor aller Augen. Der schwere Vorhang, aus reinem Leinen gewebt und mit Gold, Purpur und Scharlach prächtig durchwirkt, war von oben bis unten zerrissen. DM.623.1 Teilen

Der Platz, an dem Gott dem Hohepriester gegenübertrat, um seine Herrlichkeit mitzuteilen, der Ort, der bisher Gottes heiliger Audienzraum gewesen war, lag vor aller Augen offen da — er war eine Stätte, die der Herr nicht länger anerkannte. Mit dunklen Vorahnungen dienten die Priester am Altar. Die Entschleierung des göttlichen Geheimnisses im Allerheiligsten erfüllte sie mit Angst vor einem kommenden Unheil. DM.623.2 Teilen

Die Gedanken vieler Menschen waren noch mit den Vorgängen auf Golgatha beschäftigt. Von der Kreuzigung bis zur Auferstehung durchforschten viele schlaflose Augen beständig die Weissagungen der heiligen Schriften. Einige wollten sich der vollen Bedeutung des Passahfestes vergewissern. Andere wollten feststellen, dass Jesus nicht der war, für den Er sich ausgegeben hatte. Wieder andere suchten mit trauerndem Herzen nach Beweisen, dass Jesus der wahre Messias war. Obwohl sie mit verschiedenen Zielsetzungen die heiligen Schriften durchforschten, wurden sie doch alle von einer Wahrheit überzeugt, dass sich die Prophezeiung in den Ereignissen der letzten Tage erfüllt hatte und dass der Gekreuzigte der Erlöser der Welt war. Viele, die diesem Gottesdienst beiwohnten, haben niemals wieder am Passahfest teilgenommen. Sogar viele Priester wurden von dem edlen Charakter Jesu überzeugt. Ihr Suchen in den Schriften war nicht vergeblich gewesen und nach Jesu Auferstehung anerkannten sie Ihn als den Sohn Gottes. DM.623.3 Teilen

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Als Nikodemus Jesus am Kreuz erhöht sah, erinnerte er sich an die Worte, welche Jesus in jener Nacht am Ölberg gesprochen hatte: „Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“ Johannes 3,14.15. DM.624.1 Teilen

An jenem Sabbat, als Jesus im Grab ruhte, hatte Nikodemus Gelegenheit, über diese Worte nachzudenken. Ein helleres Licht erleuchtete jetzt seinen Verstand, und Jesu Worte blieben ihm nicht mehr länger geheimnisvoll. Er fühlte, dass er vieles versäumt hatte, weil er nicht schon zu dessen Lebzeiten mit Jesus in Verbindung getreten war. Jetzt erinnerte er sich an die Ereignisse auf Golgatha. Jesu Gebet für Seine Mörder und Seine Antwort auf die Bitte des sterbenden Übeltäters gingen dem gelehrten Ratsmitglied zu Herzen. Vor seinem inneren Auge erblickte er noch einmal den sterbenden Heiland und wieder hörte er jenen letzten Aufschrei, wie aus dem Mund eines siegreichen Eroberers: „Es ist vollbracht!“ Johannes 19,30. DM.624.2 Teilen

Erneut sah er die taumelnde Erde, den verfinsterten Himmel, den zerrissenen Vorhang, die erbebenden Felsen — und sein Glaube war für immer gegründet. Gerade das Geschehen, das die Hoffnungen der Jünger vernichtete, überzeugte Joseph und Nikodemus von der Gottheit Jesu. Ihre Ängste wurden durch den Mut eines festen, unerschütterlichen Glaubens überwunden. DM.624.3 Teilen

Nie hatte Christus so sehr die Aufmerksamkeit der Menge erregt wie jetzt, da Er im Grab ruhte. Nach ihrer Gewohnheit brachte das Volk seine Kranken und Leidenden in die Höfe des Tempels und fragte: Wer kann uns sagen, wo Jesus von Nazareth ist? Viele waren von weit her gekommen, um den zu sehen, der Kranke geheilt und Tote auferweckt hatte. Von allen Seiten erscholl der Ruf: Wir wollen zu Christus, dem großen Arzt! Bei dieser Gelegenheit wurden alle jene von den Priestern untersucht, bei denen man Symptome von Lepra festzustellen glaubte. Viele mussten mit anhören, wie ihre Männer, Frauen oder Kinder als aussätzig erklärt wurden. Diese Armen mussten daraufhin ihre Heime verlassen, auf die Fürsorge seitens ihrer Freunde verzichten und jeden Fremdling mit dem traurigen Ruf: „Unrein, unrein!“ davor warnen, sich ihnen zu nähern. Jesu gütige Hände hatten sich nie geweigert, die ekelerregenden Leprakranken mit heilender Kraft zu berühren. Jetzt lagen sie gefaltet auf Seiner Brust. Seine Lippen, die der aussätzigen Bitten mit den tröstlichen Worten beantwortet hatten: „Ich will‘s tun; sei rein!“ (Matthäus 8,3), waren nun verstummt. DM.624.4 Teilen

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Viele Menschen flehten die Hohepriester und Obersten an, Mitleid mit ihnen zu haben und ihnen zu helfen, aber vergeblich. Sie wollten den lebenden Christus wieder in ihrer Mitte haben. Mit beharrlichem Ernst fragten sie nach Ihm und ließen sich nicht abweisen. Deshalb vertrieb man sie aus den Tempelhöfen. Soldaten bewachten die Tore. Sie sollten das Volk zurückhalten, das mit den Kranken und Sterbenden kam und Einlass begehrte. DM.625.1 Teilen

Die Kranken, die gekommen waren, um vom Heiland geheilt zu werden, wurden bitter enttäuscht. Die Straßen füllten sich mit Klagenden. Leidende starben, weil sie von Jesu heilender Hand nicht berührt werden konnten. Ärzte fragte man vergeblich um Rat. Keiner besaß die Fähigkeit des Mannes, der nun in Josephs Grab lag. Das Wehklagen der Leidenden machte Tausenden von Menschen bewusst, dass in der Welt ein großes Licht erloschen war. Ohne Christus war es dunkel und finster auf der Erde. Viele, die den Ruf: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ mit ihren Stimmen verstärkt hatten, erkannten jetzt, welches Unglück sie getroffen hatte. Am liebsten hätten sie jetzt — wenn der Heiland noch gelebt hätte — genauso laut gerufen: Gebt uns Jesus! DM.625.2 Teilen

Als bekannt wurde, dass Jesus auf Anstiften der Priester getötet worden war, erfragte man Näheres über Sein Sterben. Die Einzelheiten über Sein Verhör hielt man so geheim wie möglich, doch während Er im Grab ruhte, war Sein Name auf Tausenden von Lippen, und Berichte von dem Scheinverhör Jesu und von der unmenschlichen Haltung der Priester und Obersten machten überall die Runde. Menschen von Verstand und Urteilskraft forderten von den Priestern und Obersten eine klare Auslegung der Weissagungen vom Messias im Alten Testament. Während diese als Antwort Lügen zu ersinnen versuchten, gebärdeten sie sich wie Geistesgestörte. Sie konnten die Weissagungen, die sich auf Christi Leiden und Sterben bezogen, nicht erklären, und viele Fragesteller wurden davon überzeugt, dass sich die Schrift erfüllt hatte. Die Rache, die die Priester sich so süß gedacht hatten, wurde ihnen immer mehr zur Bitterkeit. Sie wussten, dass sie schweren Vorwürfen des Volkes ausgesetzt sein würden und dass jetzt gerade diejenigen, die sie gegen Jesus beeinflusst hatten, über ihr schandbares Werk entsetzt waren. Die Priester hatten versucht, Jesus als Betrüger darzustellen, aber es war vergeblich gewesen. Einige von ihnen hatten am Grab von Lazarus gestanden und den Toten ins Leben zurückkehren sehen. Sie zitterten vor Furcht, dass Jesus sich selbst ins Leben zurückrufen könnte und wieder vor ihnen erscheinen würde, hatten sie Ihn doch sagen hören, dass Er Macht habe, Sein Leben zu lassen und es wiederzunehmen. Sie dachten auch daran, dass Er gesagt hatte: „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten.“ Johannes 2,19. DM.625.3 Teilen

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Von Judas waren ihnen Jesu Worte wiederholt worden, die Er auf der letzten Reise nach Jerusalem zu Seinen Jüngern gesprochen hatte: „Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem, und der Menschensohn wird den Hohepriestern und Schriftgelehrten überantwortet werden; und sie werden Ihn zum Tode verurteilen und werden Ihn den Heiden überantworten, damit sie Ihn verspotten und geißeln und kreuzigen, und am dritten Tage wird Er auferstehen.“ Matthäus 20,18.19. DM.626.1 Teilen

Über diese Worte hatten sie damals gespottet und gelacht. Doch jetzt fiel ihnen auf, dass sich Jesu Vorhersagen bisher stets erfüllt hatten. Er hatte gesagt, Er würde am dritten Tage auferstehen, und wer wollte behaupten, dass sich das nicht auch erfüllen würde? Sie versuchten zwar, diese Gedanken zu verbannen, aber es ging nicht. Wie ihr Vater, der Teufel, glaubten sie und zitterten. DM.626.2 Teilen

Nachdem nun die heftige Erregung gewichen war, drängte sich Jesu Bild den Priestern immer stärker auf. Sie sahen Ihn, wie Er gelassen und ohne zu klagen vor Seinen Feinden stand und den Beschimpfungen und Misshandlungen wortlos standhielt. Alle Phasen des Verhörs und der Kreuzigung zogen in Gedanken noch einmal an ihnen vorüber und brachten sie unwiderstehlich zu der Überzeugung, dass Jesus der Sohn Gottes war. Sie fühlten, dass Er zu irgendeiner Zeit wieder vor ihnen stehen könne, nicht mehr als Angeklagter, sondern als Ankläger, als Richter und nicht mehr als Gerichteter. Der Ermordete würde Gerechtigkeit durch die Vernichtung Seiner Mörder fordern. DM.626.3 Teilen

Die Priester konnten an diesem Sabbat nur wenig Ruhe finden. Obwohl sie die Schwelle eines heidnischen Hauses aus Angst vor Verunreinigung nicht überschreiten würden, kamen sie doch zusammen, um sich über den Leichnam Jesu zu beraten. Tod und Grab durften den nicht wieder hergeben, den sie gekreuzigt hatten. „Am nächsten Tag ... kamen die Hohepriester und Pharisäer zu Pilatus und sprachen: Herr, wir haben daran gedacht, dass dieser Verführer sprach, als Er noch lebte: Ich will nach drei Tagen auferstehen. Darum befiehl, dass man das Grab bewache bis zum dritten Tag, damit nicht Seine Jünger kommen und Ihn stehlen und zum Volk sagen: Er ist auferstanden von den Toten, und der letzte Betrug ärger wird als der erste. Pilatus sprach zu ihnen: Da habt ihr die Wache; geht hin und bewacht es, so gut ihr könnt.“ Matthäus 27,62-65. DM.626.4 Teilen

Die Priester gaben alle Anweisungen zur Sicherung des Grabes. Ein großer Stein war vor den Eingang gewälzt worden. Über diesen zogen sie Schnüre, befestigten die Enden an dem massiven Felsen und versiegelten sie mit dem römischen Siegel. Der Stein konnte also nicht beseitigt werden, ohne das Siegel zu verletzen. Eine Wache von 100 Soldaten wurde dann um das Grab aufgestellt, um es vor Unberufenen zu schützen. Die Priester taten alles, was sie konnten, damit Christi Leichnam dort bliebe, wo Er hingelegt worden war. Der Tote wurde so gesichert, als sollte Er bis in alle Ewigkeit im Grab ruhen. DM.626.5 Teilen

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So berieten und planten schwache Menschen. Wie wenig erkannten diese Mörder die Zwecklosigkeit ihrer Bemühungen! Doch durch ihre Tat wurde Gott verherrlicht, denn gerade die Anstrengungen, die gemacht wurden, um Christi Auferstehung zu verhindern, mussten die überzeugendsten Beweise liefern. Je mehr Soldaten das Grab bewachten, desto stärker würde das Zeugnis Seiner Auferstehung sein. Jahrhunderte vor Christi Tod hatte die Heilige Schrift durch den Psalmisten erklärt: „Warum toben die Heiden und murren die Völker so vergeblich? Die Könige der Erde lehnen sich auf, und die Herren halten Rat miteinander wider den Herrn und seinen Gesalbten ..., aber der im Himmel wohnt, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer.“ Psalm 2,1.2.4. Römische Soldaten und römische Waffen waren machtlos, den Herrn des Lebens im Grab festzuhalten. Die Stunde Seiner Befreiung stand nahe bevor. DM.627.1 Teilen

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