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Kapitel 37: Die letzte Reise von Paulus nach Jerusalem
Kapitel 37: Die letzte Reise von Paulus nach Jerusalem
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Auf Grundlage von Apostelgeschichte 20,4 bis Apostelgeschichte 21,16. DAp.255 Teilen

Paulus wünschte sich so sehr, Jerusalem noch vor dem Passafest zu erreichen, damit er mit Leuten zusammentreffen könnte, die aus allen Teilen der Welt das Fest besuchen würden. Er hegte die Hoffnung, dass es ihm irgendwie möglich wäre, zur Beseitigung des Vorurteils seiner Ungläubigen Landsleute beizutragen, damit sie dahin geführt würden, das köstliche Licht des Evangeliums anzunehmen. Zudem wollte er mit der Gemeinde in Jerusalem zusammenkommen, um ihnen die Gaben zu überreichen, die die nichtjüdischen Gemeinden den armen Brüdern in Judäa sandten. Schließlich hoffte er durch diesen Besuch ein festeres Band zu knüpfen zwischen den zum Glauben bekehrten Juden und den Christen aus den Heiden. DAp.255.1 Teilen

Als er seinen Dienst in Korinth beendet hatte, beschloss er, direkt zu einem der Häfen an der Küste Palästinas zu reisen. Als alle Vorbereitungen bereits getroffen waren und er sich an Bord des Schiffes begeben wollte, erhielt er die Mitteilung, dass die Juden einen Anschlag gegen ihn geplant hatten. Bisher war es diesen Widersachern des Glaubens trotz aller Bemühungen nicht gelungen, der Arbeit des Apostels ein Ende zu setzen. DAp.255.2 Teilen

Der Erfolg der Evangeliumsverkündigung hatte jedoch den Zorn der Juden erneut angefacht. Von überallher trafen Berichte über die weitere Ausbreitung der neuen Lehre ein, die die Juden von den Bräuchen des Zeremonialgesetzes entband und den Nichtjuden die gleichen Rechte mit den Juden als den Kindern Abrahams einräumte. Diese Grundsätze hatte Paulus in seinen Predigten in Korinth mit demselben Nachdruck vertreten wie schon in seinen Briefen. Seine eindeutige Feststellung: „Da ist nicht mehr Grieche, Jude, Beschnittener, Unbeschnittener, Nichtgrieche, Skythe, Knecht, Freier, sondern alles und in allen Christus“ (Kolosser 3,11), wurde von seinen Feinden als verwegene Lästerung angesehen. Deshalb hatten sie vor, seine Stimme zum Schweigen zu bringen. DAp.255.3 Teilen

Da Paulus vor dieser Verschwörung gewarnt wurde, beschloss er, über Mazedonien zu reisen. Seinen Plan, Jerusalem noch zum Passafest zu erreichen, musste er aufgeben. Er hoffte jedoch, zu Pfingsten dort zu sein. DAp.255.4 Teilen

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Mit Paulus und Lukas zogen „Sopater aus Beröa, des Pyrrhus Sohn, aus Thessalonich aber Aristarchus und Sekundus, und Gajus aus Derbe und Timotheus, aus der Landschaft Asien aber Tychikus und Trophimus“. Apostelgeschichte 20,4. Paulus hatte eine große Geldsumme von den nichtjüdischen Gemeinden bei sich, die er den leitenden Brüdern des Werkes in Judäa überreichen wollte. Deshalb hatte er dafür gesorgt, dass die genannten Brüder als Vertreter der Gemeinden, die zu diesem Opfer beigetragen hatten, ihn auf dem Weg nach Jerusalem begleiteten. DAp.256.1 Teilen

Während des Passafestes hielt sich Paulus in Philippi auf. Nur Lukas blieb bei ihm, während seine anderen Begleiter nach Troas weiterreisten, um ihn dort zu erwarten. Die Philipper waren von allen, die durch den Apostel bekehrt worden waren, am liebevollsten und aufrichtigsten, und so verbrachte er die acht Tage des Festes in ungetrübter, glücklicher Gemeinschaft mit ihnen. DAp.256.2 Teilen

Dann fuhren Paulus und Lukas mit dem Schiff von Philippi nach Troas, wo sie fünf Tage später ihre Begleiter trafen und weitere sieben Tage bei den Gläubigen dort blieben. DAp.256.3 Teilen

Am letzten Abend seines Aufenthalts waren noch einmal die Brüder zusammen, um „das Brot zu brechen“. Apostelgeschichte 20,7. Der Umstand, dass ihr geliebter Lehrer Abschied von ihnen nehmen wollte, hatte mehr Personen als gewöhnlich zusammenkommen lassen. Sie versammelten sich „in dem Obergemach“ (Apostelgeschichte 20,8) im dritten Stockwerk. Dort predigte der Apostel mit dem Eifer seiner Liebe und Besorgnis um sie bis Mitternacht. DAp.256.4 Teilen

In einem der offenen Fenster saß während dieser Zeit „ein Jüngling mit Namen Eutychus“. Auf diesem gefährlichen Platz schlief er ein und fiel hinab auf den Hof. Sofort geriet alles in Aufregung und Verwirrung. Der Jüngling „ward tot aufgehoben“, und viele standen weinend und klagend um ihn herum. Paulus jedoch bahnte sich einen Weg durch die erschrockene Menge zu ihm, „umfing ihn“ und flehte zu Gott, Er möge dem Toten das Leben zurückgeben. Seine Bitte wurde erhört. Die Stimme des Apostels übertönte alles Jammern und Wehklagen: „Machet kein Getümmel; denn seine Seele ist in ihm.“ Apostelgeschichte 20,9f. Voller Freude setzten die Gläubigen daraufhin ihre Versammlung im Obergeschoss fort. Sie hielten miteinander das Abendmahl, und Paulus „redete viel mit ihnen, bis der Tag anbrach“. Apostelgeschichte 20,11. DAp.256.5 Teilen

Das Schiff, mit dem Paulus und seine Begleiter ihre Reise fortsetzen wollten, war zur Abfahrt bereit, und so begaben sich die Brüder unverzüglich an Bord. Der Apostel selbst zog es jedoch vor, den kürzeren Landweg von Troas nach Assos zu benutzen und dort wieder mit seinen Reisegefährten zusammenzutreffen. Dadurch gewann er ein wenig Zeit zur Andacht und zum Gebet. Die Schwierigkeiten und Gefahren, die mit seinem bevorstehenden Besuch in Jerusalem verbunden waren, die Haltung der dortigen Gemeinde gegenüber ihm und seinem Wirken, aber auch der geistliche Zustand in den Gemeinden und die Belange des Evangeliumswerkes in anderen Feldern, all das war ihm Anlass zu ernstem, sorgenvollem Nachdenken. Und so nutzte er die sich ihm bietende besondere Gelegenheit, um Gott um Kraft und Führung zu bitten. DAp.256.6 Teilen

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Als die Reisenden von Assos südwärts segelten, kamen sie an der Stadt Ephesus vorbei, die so lange der Wirkungsort des Apostels gewesen war. Zu gerne hätte Paulus die dortige Gemeinde besucht, um ihr wichtige Unterweisungen und Ratschläge zu erteilen. Nach reiflicher Überlegung entschloss er sich jedoch zur Weiterreise; denn er hatte vor, „am Pfingsttag in Jerusalem zu sein, wenn es ihm möglich wäre“. Apostelgeschichte 20,16. Bei seiner Ankunft in Milet, das ungefähr 45 km von Ephesus entfernt lag, erfuhr er, dass es sich noch ermöglichen ließe, mit der Gemeinde Ephesus in Verbindung zu treten, ehe das Schiff weiterfahre. Sofort ließ er die Ältesten dieser Gemeinde durch eine Nachricht dringend bitten, nach Milet zu kommen, damit er sie sprechen könne, ehe er seine Reise fortsetzte. DAp.257.1 Teilen

Sie folgten seiner Aufforderung, und er richtete eindringliche, zu Herzen gehende Worte der Ermahnung und des Abschieds an sie: „Ihr wisst, wie ich mich vom ersten Tag an, als ich Asia betrat, die ganze Zeit unter euch verhalten habe, dass ich dem Herrn diente mit aller Demut, unter vielen Tränen und Anfechtungen, die mir widerfuhren durch die Nachstellungen der Juden; und wie ich nichts verschwiegen habe von dem, was nützlich ist, sondern es euch verkündigt und euch gelehrt habe, öffentlich und in den Häusern, indem ich Juden und Griechen die Buße zu Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus bezeugt habe.“ Apostelgeschichte 20,18-21. DAp.257.2 Teilen

Paulus hatte stets Gottes Gesetz hochgehalten, aber auch aufgezeigt, dass das Gesetz selbst keinerlei Kraft enthalte, um die Menschen von der Strafe des Ungehorsams zu retten. Übeltäter müssten ihre Sünde bereuen und sich vor Gott demütigen, dessen gerechten Zorn sie sich durch die Übertretung Seines Gesetzes zugezogen hätten, und sie mussten ihr Vertrauen auf das Blut Christi setzen als ihre einzige Möglichkeit, Vergebung zu erhalten. Gottes Sohn habe für sie den Opfertod erlitten, sei zum Himmel aufgefahren und stehe nun als Ihr Fürsprecher vor dem Vater. Durch Reue und Glauben konnten sie vom Fluch der Sünde erlöst werden und fortan durch Christi Gnade dem Gesetz Gottes gehorsam sein. DAp.257.3 Teilen

Paulus sprach weiter: „durch den Geist gebunden fahre ich nach Jerusalem und weiß nicht, was mir dort begegnen wird, nur dass der Heilige Geist in allen Städten mir bezeugt, dass Fesseln und Bedrängnisse auf mich warten. Aber ich achte mein Leben nicht der Rede wert, wenn ich nur meinen Lauf vollende und das Amt ausrichte, das ich von dem Herrn Jesus empfangen habe, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes. Und nun siehe, ich weiß, dass ihr mein Angesicht nicht mehr sehen werdet, ihr alle, zu denen ich hingekommen bin und das Reich gepredigt habe.“ Apostelgeschichte 20,22-25. DAp.257.4 Teilen

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Paulus hatte zuerst nicht beabsichtigt, dieses Zeugnis abzulegen. Aber während er sprach, kam der Geist der Weissagung über ihn und bestätigte ihm die Befürchtungen, dass dies die letzte Zusammenkunft mit den Glaubensgeschwistern von Ephesus sein würde. DAp.258.1 Teilen

„Darum“, so fuhr er fort, „bezeuge ich euch am heutigen Tage, dass ich rein bin vom Blut aller; denn ich habe nicht unterlassen, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen.“ Apostelgeschichte 20,26f. Weder die Furcht, jemand zu beleidigen, noch der Wunsch, Freundschaft oder Beifall zu erlangen, hatten Paulus bewegen können, ihnen Worte vorzuenthalten, die Gott ihm zu ihrer Belehrung, Warnung und Zurechtweisung gegeben hatte. Auch heute erwartet Gott von Seinen Dienern Furchtlosigkeit bei der Verkündigung des Wortes und bei der Ausführung Seiner Vorschriften. Der Diener Christi soll den Leuten nicht nur die Wahrheiten verkündigen, die ihnen angenehm sind. Er darf ihnen auch die nicht vorenthalten, die schmerzlich berühren könnten, sondern sollte mit großer Sorgfalt auf die Entwicklung ihres Charakters achten. Sieht er, dass einige seiner ihm Anbefohlenen sündigen, ist er als treuer Hirte verpflichtet, ihnen aus Gottes Wort die für ihren Fall zutreffende Unterweisung zu erteilen. Lässt er sie aber den verkehrten Weg selbstsicher weitergehen, ohne sie zu warnen, so wird er vor Gott für sie Rechenschaft ablegen müssen. Wer als Seelsorger seinen hohen Auftrag erfüllen will, muss die ihm Anbefohlenen in allen Fragen des christlichen Glaubens treu unterweisen und ihnen zeigen, was sie sein sollen und wie sie handeln müssen, um am großen Tag des Herrn vollkommen dastehen zu können. Nur der treue Lehrer der Wahrheit wird am Ende seines Wirkens wie Paulus sagen können: „Ich bin rein von aller Blut.“ DAp.258.2 Teilen

Der Apostel ermahnte hierauf seine Brüder: „So habt nun Acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist eingesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes, die er durch sein eigenes Blut erworben hat.“ Apostelgeschichte 20,28. Wenn sich doch die Diener des Evangeliums daran erinnerten, dass sie es mit Menschen zu tun haben, die durch Christi Blut erkauft sind, dann würden sie sich der Wichtigkeit ihres Werkes mehr bewusst sein. Sie sollen auf sich selbst und auf ihre Herde achtgeben. Ihr eigenes Beispiel sollte ihre Unterweisungen veranschaulichen und bekräftigen. Als Lehrer des Weges zum Leben sollten sie keinerlei Veranlassung geben, dass von der Wahrheit schlecht geredet werde. Als Stellvertreter Christi haben sie die Ehre Seines Namens hochzuhalten. Schon durch ihre Hingabe und die Reinheit ihres Lebens, sowie durch ihren gottesfürchtigen Wandel, können sie sich ihrer hohen Berufung würdig erweisen. DAp.258.3 Teilen

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Dem Apostel war offenbart worden, welche Gefahren auf die Gemeinde zu Ephesus zukommen würden. „Das weiß ich“, sagte er, „dass nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch kommen, die die Herde nicht verschonen werden. Auch aus eurer Mitte werden Männer aufstehen, die Verkehrtes lehren, um die Jünger an sich zu ziehen.“ Apostelgeschichte 20,29f. Paulus fürchtete um die Gemeinde, als er in die Zukunft blickte und die Angriffe sah, die ihr von äußeren und inneren Feinden drohten. Mit heiligem Ernst bat er seine Brüder, das ihnen Anvertraute sorgsam zu bewahren. Dabei wies er hin auf sein eigenes Beispiel unermüdlichen Wirkens. „Darum seid wachsam und denkt daran, dass ich drei Jahre lang Tag und Nacht nicht abgelassen habe, einen jeden unter Tränen zu ermahnen.“ Apostelgeschichte 20,31. DAp.259.1 Teilen

„Und nun, liebe Brüder“, fuhr er fort, „befehle ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade, der da mächtig ist, euch zu erbauen und zu geben das Erbe unter allen, die geheiligt sind. Ich habe von niemand unter euch Silber oder Gold oder Kleidung begehrt.“ Apostelgeschichte 20,32f. Einige Brüder in Ephesus waren wohlhabend; aber Paulus hatte niemals versucht, daraus für sich einen persönlichen Nutzen zu ziehen. Es passte nicht zu der ihm aufgetragenen Botschaft, die Aufmerksamkeit auf seine eigenen Bedürfnisse zu lenken. Er konnte vielmehr erklären: „Denn ihr wisst selber, dass mir diese Hände zum Unterhalt gedient haben für mich und die, die mit mir gewesen sind.“ Apostelgeschichte 20,34. DAp.259.2 Teilen

Trotz seiner mühevollen Arbeit und seiner weiten Reisen für Christi Werk vermochte er nicht nur für seinen eigenen Unterhalt zu sorgen, sondern konnte auch noch etwas für seine Mitarbeiter und für unterstützungswürdige Arme erübrigen. Dies konnte er jedoch nur durch unermüdlichen Fleiß und äußerste Sparsamkeit erreichen. Deshalb konnte er mit Recht auf das Beispiel hinweisen, das er selbst gegeben hatte: „Ich habe euch in allem gezeigt, dass man so arbeiten und sich der Schwachen annehmen muss im Gedenken an das Wort des Herrn Jesus, der selbst gesagt hat: Geben ist seliger als nehmen. DAp.259.3 Teilen

Und als er das gesagt hatte, kniete er nieder und betete mit ihnen allen. Da begannen alle laut zu weinen und sie fielen Paulus um den Hals und küssten ihn, am allermeisten betrübt über das Wort, das er gesagt hatte, sie würden sein Angesicht nicht mehr sehen. Und sie geleiteten ihn auf das Schiff.“ Apostelgeschichte 20,35-38. DAp.259.4 Teilen

Von Milet aus fuhren Paulus und seine Begleiter „direkt nach Kos und am folgenden Tag nach Rhodus und von da nach Patara“ an der Südwestküste Kleinasiens. „Und da wir ein Schiff fanden, das nach Phönizien fuhr, stiegen wir ein und fuhren hin.“ Apostelgeschichte 21,1f. DAp.259.5 Teilen

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In Tyrus, wo das Schiff zunächst entladen werden musste, trafen sie einige Jünger, bei denen sie sieben Tage bleiben durften. Diese hatte der Heilige Geist auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die Paulus in Jerusalem drohten. Deshalb baten sie ihn, „er sollte nicht hinauf nach Jerusalem ziehen“. Apostelgeschichte 21,4. Aber der Apostel ließ sich durch Furcht vor Trübsal und Einkerkerung nicht von seinem Vorhaben abbringen. DAp.260.1 Teilen

Als die Woche in Tyrus vorüber war, geleiteten alle Brüder mit ihren Frauen und Kindern Paulus ans Schiff. Ehe er an Bord ging, knieten alle noch einmal am Ufer nieder und beteten, — er für sie und sie für ihn. DAp.260.2 Teilen

Die Reisenden fuhren in südlicher Richtung, „kamen nach Cäsarea und gingen in das Haus des Philippus, des Evangelisten, der einer von den Sieben war, und blieben bei ihm“. Apostelgeschichte 21,8. Hier verbrachte Paulus einige ungetrübte, glückliche Tage — die letzten für lange Zeit, die er in völliger Freiheit genießen durfte. DAp.260.3 Teilen

Während Paulus in Cäsarea weilte, „kam herab aus Judäa ein Prophet mit Namen Agabus“, berichtet Lukas. „Und als er zu uns kam, nahm er den Gürtel des Paulus und band sich die Füße und Hände und sprach: Das sagt der heilige Geist: Den Mann, des der Gürtel ist, werden die Juden so binden zu Jerusalem und überantworten in der Heiden Hände.“ DAp.260.4 Teilen

„Als wir aber solches hörten“, fuhr Lukas fort, „baten wir und die aus dem Ort waren, dass er nicht hinauf nach Jerusalem zöge.“ Apostelgeschichte 21,10-12. Aber Paulus wollte nicht vom Pfad der Pflicht abweichen, sondern Jesus folgen, selbst wenn es ins Gefängnis und in den Tod ginge. „Was macht ihr“, rief er aus, „dass ihr weinet und brechet mir mein Herz? Denn ich bin bereit, nicht allein mich binden zu lassen, sondern auch zu sterben zu Jerusalem um des Namens willen des Herrn Jesus.“ Apostelgeschichte 21,13. DAp.260.5 Teilen

Da die Brüder sahen, dass sie ihm Schmerz bereiteten, ohne ihn von seinem Vorhaben abbringen zu können, hörten sie auf in ihn zu dringen, und sagten nur: „Des Herrn Wille geschehe.“ Apostelgeschichte 21,14. DAp.260.6 Teilen

Die kurze Aufenthaltszeit in Cäsarea war bald abgelaufen, und so zogen Paulus und seine Gefährten weiter nach Jerusalem, begleitet von einigen Brüdern. Schwer lastete auf ihren Herzen das Vorgefühl künftigen Unheils. DAp.260.7 Teilen

Nie zuvor hatte sich der Apostel mit so traurigem Herzen der Stadt Jerusalem genähert wie jetzt. Dort wurde er, das wusste er, nur wenige Freunde, aber viele Feinde antreffen. Er kam der Stadt näher, die den Sohn Gottes verworfen und gekreuzigt hatte, und über der jetzt die drohenden Wolken des göttlichen Zornes hingen. Als er sich daran erinnerte, wie erbittert er in seinem Vorurteil gegen die Nachfolger Christi vorgegangen war, empfand er tiefes Mitleid mit seinen verblendeten Landsleuten. Und doch, wie gering war seine Hoffnung, dass er ihnen würde Hilfe bringen können! Derselbe blinde Zorn, der einst in seinem Herzen gelodert hatte, war jetzt mit unsagbarer Gewalt in den Herzen eines ganzen Volkes gegen ihn entbrannt. DAp.260.8 Teilen

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Er konnte nicht einmal auf das Mitgefühl und die Unterstützung seiner eigenen Glaubensbrüder rechnen. Die unbekehrten Juden, die ihm so dicht auf den Fersen gefolgt waren, hatten nicht versäumt, persönlich und per Brief in Jerusalem ungünstige Berichte über ihn und sein Werk zu verbreiten. Selbst einige Apostel und Ältesten hatten diese Gerüchte für bare Münze genommen, ohne einen Versuch zur Entgegnung zu unternehmen. Sie zeigten auch kein Verlangen danach, mit Paulus in Übereinstimmung zu kommen. DAp.261.1 Teilen

Trotz aller entmutigenden Umstände verzweifelte der Apostel nicht, sondern hoffte, dass die Stimme Gottes, die zu seinem Herzen gesprochen hatte, auch zu den Herzen seiner Landsleute reden werde und dass der Meister, den seine Mitjünger liebten und dem sie dienten, trotz allem ihre Herzen mit Seinem Herzen zu gemeinsamer Hingabe an das Evangeliumswerk verbinden würde. DAp.261.2 Teilen

Kapitel 38: Paulus als Gefangener
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Auf Grundlage von Apostelgeschichte 21,17 bis Apostelgeschichte 23,35. DAp.262 Teilen

„Als wir nun nach Jerusalem kamen, nahmen uns die Brüder gerne auf. Am nächsten Tag aber ging Paulus mit uns zu Jakobus und es kamen die Ältesten alle dorthin.“ Apostelgeschichte 21,17f. DAp.262.1 Teilen

Bei dieser Gelegenheit überreichten Paulus und seine Begleiter den Leitern des Werkes zu Jerusalem die Spende, die sie von den Christen aus den Heidenländern zur Unterstützung der Armen unter den jüdischen Brüdern erhalten hatten. Die Sammlung dieser Beträge hatte den Apostel und seine Mitarbeiter viel Zeit, sorgfältige Überlegung und mühevolle Arbeit gekostet. Die Summe, die die Erwartungen der Ältesten zu Jerusalem weit übertraf, zeugte von vielen Opfern und großen Entbehrungen seitens der nichtjüdischen Gläubigen. DAp.262.2 Teilen

Diese freiwilligen Gaben bezeugten die Treue der Bekehrten aus dem Heidentum zum Werk Gottes in der ganzen Welt und hätten von allen mit dankbarer Anerkennung angenommen werden sollen. Trotzdem bemerkten Paulus und seine Gefährten deutlich, dass selbst unter den Gläubigen, vor denen sie jetzt standen, manche nicht imstande waren, den Geist der brüderlichen Liebe recht zu schätzen, der diese Gaben erst möglich gemacht hatte. DAp.262.3 Teilen

Schon in den Anfangsjahren des Evangeliumsdienstes unter den Nichtjuden hatten einige der leitenden Brüder von Jerusalem, die noch an alten Vorurteilen und Denkgewohnheiten festhielten, nicht so bereitwillig mit dem Apostel und seinen Gefährten Hand in Hand gearbeitet. In ihrem Bestreben, gewisse bedeutungslose Formen und Bräuche zu bewahren, hatten sie die Segnungen aus dem Auge verloren, die ihnen wie auch der ganzen Sache, die sie liebten, zuteil geworden wären, wenn sie sich bemüht hätten, alle Bereiche des Werkes des Herrn zusammenzufassen. DAp.262.4 Teilen

Wenn sie auch auf das Wohl der christlichen Gemeinde bedacht waren, so hatten sie es doch versäumt, den sich ihnen durch Gottes Fügungen eröffnenden Gelegenheiten entsprechend voranzugehen, und hatten in ihrer menschlichen Weisheit versucht, den Arbeitern im Werk Gottes unnötige Beschränkungen aufzuerlegen. So bildete sich eine Gruppe von Männern, denen die wechselnden Verhältnisse und besonderen Bedürfnisse der Arbeit in den entfernten Feldern nicht persönlich bekannt waren, die sich aber dennoch anmaßten, den Brüdern draußen genau vorzuschreiben, wie sie arbeiten sollten. Sie meinten, die Evangeliumsverkündigung müsse in Übereinstimmung mit ihrer Auffassung ausgeführt werden. DAp.262.5 Teilen

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Mehrere Jahre waren bereits vergangen, seit die Brüder in Jerusalem gemeinsam mit den Vertretern anderer führender Gemeinden sorgsam über die schwierigen Fragen beraten hatten, die sich aus der Arbeitsweise derer ergeben hatten, die unter den Nichtjuden wirkten. Als Ergebnis dieses Konzils hatten sich die Brüder dahin geeinigt, den Gemeinden klare Anweisungen über gewisse Formen und Bräuche einschließlich der Beschneidung zu erteilen. Bei dieser Gelegenheit hatten die Brüder ferner einmütig beschlossen, den christlichen Gemeinden Barnabas und Paulus als Arbeiter zu empfehlen, die des vollen Vertrauens eines jeden Gläubigen würdig waren. DAp.263.1 Teilen

Unter denen, die bei dieser Versammlung zugegen gewesen waren, hatte es einige gegeben, die zunächst die Arbeitsweise der Apostel scharf kritisierten, auf denen die Hauptlast der Verkündigung des Evangeliums unter den Heiden ruhte. Aber noch während der Beratung war ihr Blick für Gottes Ratschluss geweitet worden, und sie hatten gemeinsam mit den Brüdern weise Beschlüsse gefasst, die den Zusammenschluss aller Gläubigen zu einer großen Gemeinschaft möglich machten. DAp.263.2 Teilen

Als sich dann später herausstellte, dass die Zahl der Gemeindeglieder aus den Nichtjuden rasch zunahm, erhoben einzelne leitende Brüder in Jerusalem erneut ihre Vorurteile gegenüber der Arbeitsweise des Paulus und seiner Gefährten. Diese Voreingenommenheit hatte sich mit den Jahren immer mehr vertieft, bis schließlich einige leitende Männer beschlossen, dass die Evangeliumsverkündigung künftig nur noch in Übereinstimmung mit ihren eigenen Vorstellungen zu geschehen habe. Wenn Paulus sich in seinem Wirken an die von ihnen festgelegten Richtlinien hielte, wollten sie seine Arbeit anerkennen und unterstützen, andernfalls sahen sie sich gezwungen, ihm gegenüber eine abweisende Haltung einzunehmen und ihm jede weitere Unterstützung zu entziehen. DAp.263.3 Teilen

Diese Männer hatten die Tatsache aus den Augen verloren, dass Gott selbst der Lehrer seines Volkes ist, dass seinem Willen nach jeder Mitarbeiter in seinem Werk zu einer persönlichen Erfahrung in der Nachfolge des göttlichen Führers gelangt und nicht von Menschen geführt zu werden erwartet und dass seine Diener nicht nach menschlichen Vorstellungen, sondern nach dem Bild Gottes zubereitet und gestaltet werden sollen. DAp.263.4 Teilen

Paulus hatte in seinem Predigtdienst die Leute „nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft“ (1.Korinther 2,4) belehrt. Durch den Heiligen Geist war ihm die Wahrheit offenbart worden, die er verkündigte; „denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit. Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, als allein der Geist des Menschen, der in ihm ist? So weiß auch niemand, was in Gott ist, als allein der Geist Gottes.“ 1.Korinther 2,10.11. Paulus erklärte: „Davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen.“ 1.Korinther 2,13. DAp.263.5 Teilen

264

Während seiner Tätigkeit als Predigt hatte Paulus stets auf Gott geschaut und sich von ihm führen lassen. Zugleich war er aber auch sehr darauf bedacht, in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Konzils in Jerusalem zu handeln, und so „wurden die Gemeinden im Glauben befestigt und nahmen täglich zu an Zahl“. Apostelgeschichte 16,5. Als ihm jetzt einige wenig Verständnis entgegenbrachten, tröstete ihn das Bewusstsein, seine Pflicht getan zu haben, hatte er doch die durch ihn Bekehrten zu Treue, Freigebigkeit und brüderlicher Liebe ermutigt. Die ansehnlichen Geldbeträge, die er den jüdischen Ältesten überreichen konnte, zeigten das deutlich. DAp.264.1 Teilen

Nachdem Paulus die Spenden übergeben hatte, „erzählte er eins nach dem andern, was Gott unter den Heiden durch seinen Dienst getan hatte“. Apostelgeschichte 21,19. Durch den Bericht dieser Tatsachen wurden alle, selbst die Zweifler, davon überzeugt, dass der Segen des Himmels sein Wirken begleitet hatte. „Da sie aber das hörten, lobten sie Gott.“ Apostelgeschichte 21,20. Sie erkannten, dass der Himmel die Arbeit des Apostels bestätigt hatte. Die vor ihnen liegenden freiwilligen Gaben bekräftigten das Zeugnis des Apostels über die Treue der unter den Nichtjuden gegründeten neuen Gemeinden. Die Männer, die zu den Verantwortlichen des Werkes in Jerusalem gehörten und die gefordert hatten, den Apostel durch willkürliche Maßnahmen zu überwachen, sahen seine Tätigkeit nun in einem ganz neuen Licht. Sie kamen zu der Überzeugung, dass der von ihnen eingeschlagene Weg falsch gewesen war und dass sie an jüdische Sitten und Überlieferungen gebunden waren und dadurch den Fortgang des Evangeliumswerkes stark behindert hatten. Sie hatten nämlich nicht erkannt, dass die Scheidewand zwischen Juden und Nichtjuden durch den Tod Christi niedergerissen worden war. DAp.264.2 Teilen

Das war für alle leitenden Brüder eine besonders günstige Gelegenheit, ganz offen zu bekennen, dass Gott durch Paulus gewirkt habe und sie sich durch die Berichte seiner Feinde zu Eifersucht und Vorurteilen gegen ihn hatten verleiten lassen. Anstatt aber gemeinsam dem von ihnen Geschädigten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, gaben sie ihm einen Rat, der durchblicken ließ, dass sie immer noch der Gedanke beherrschte, Paulus sei selbst schuld an dem bestehenden Vorurteil. Statt großmütig für ihn einzutreten und den Unzufriedenen ihr Unrecht nachzuweisen, wollten sie dadurch einen Ausgleich herbeiführen, dass sie ihm einen Weg einzuschlagen rieten, auf dem nach ihrer Meinung alle Missverständnisse beseitigt werden könnten. DAp.264.3 Teilen

265

„Bruder, du siehst“, erwiderten sie auf sein Zeugnis, „wie viel tausend Juden gläubig geworden sind, und sind alle Eiferer für das Gesetz; ihnen ist aber berichtet worden über dich, dass du alle Juden, die unter den Heiden wohnen, lehrest von Mose abfallen und sagest, sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden, auch nicht nach jüdischer Weise leben. Was nun? Auf jeden Fall werden sie hören, dass du gekommen bist. So tu nun dies, was wir dir sagen. Wir haben vier Männer, die haben ein Gelübde auf sich; die nimm zu dir und lasse dich reinigen mit ihnen und trage die Kosten für sie, dass sie ihr Haupt scheren können; so werden alle erkennen, dass es nicht so sei, wie ihnen über dich berichtet ist, sondern dass du selber auch nach dem Gesetz lebst und es hältst. Denn nur den Gläubigen aus den Heiden haben wir geschrieben und beschlossen, dass sie sich bewahren sollen vor dem Götzenopfer, vor Blut, vor Ersticktem und vor Unzucht.“ Apostelgeschichte 21,20-25. DAp.265.1 Teilen

Die Brüder hofften, dass Paulus auf diese Weise die falschen Berichte über ihn eindeutig widerlegen würde. Sie versicherten ihm darüber hinaus, dass der Beschluss des allgemeinen Konzils zu Jerusalem über die bekehrten Nichtjuden und das Zeremonialgesetz immer noch in Kraft sei. Aber ihr jetziger Rat ließ sich mit jener Entscheidung nicht vereinbaren. Gottes Geist hatte diese Anweisung nicht gegeben, sie war eine Frucht der Feigheit. Die Leiter der Gemeinde in Jerusalem wussten nur zu gut, dass sich die Christen durch Nichtbeachtung des Zeremonialgesetzes den Hass der Juden zuziehen und Verfolgungen aussetzen würden. Der Hohe Rat tat alles, um den Fortschritt des Evangeliums aufzuhalten. Er beauftragte Männer, die den Aposteln, besonders aber Paulus, auf den Fersen bleiben und sich ihrem Wirken auf jede nur mögliche Weise widersetzen sollten. Konnten nun Christusgläubige dem Hohen Rat als Gesetzesübertreter überantwortet werden, dann würden sie als Abgefallene vom jüdischen Glauben sofort schwer bestraft werden. DAp.265.2 Teilen

Viele Juden, die das Evangelium angenommen hatten, besaßen noch eine sehr hohe Achtung vor dem Zeremonialgesetz und waren nur allzu bereit, unkluge Zugeständnisse zu machen. Sie hofften dadurch das Vertrauen ihrer Landsleute zu gewinnen, deren Vorurteile zu beseitigen und sie für den Glauben an Christus als den Welterlöser zu gewinnen. Dem Paulus war klar, dass viele der leitenden Glieder der Gemeinde in Jerusalem auch weiterhin darauf hinarbeiten würden, seinen Einfluss zu untergraben, solange sie gegen ihn voreingenommen waren. Er dachte, dass ein großes Hindernis für den Erfolg des Evangeliums an anderen Orten beseitigt werden konnte, wenn er sie durch irgendein annehmbares Zugeständnis für die Wahrheit gewinnen würde. Gott hatte ihn jedoch nicht dazu ermächtigt, so weit zu gehen, wie sie es von ihm forderten. DAp.265.3 Teilen

266

Wenn wir an den Herzenswunsch des Apostels Paulus denken, mit seinen Brüdern übereinzustimmen, an seine Rücksichtnahme auf die Schwachen im Glauben, seine Achtung vor den Aposteln, die mit Christus gewesen waren, besonders vor Jakobus, dem Bruder des Herrn, und an seinen Vorsatz, jedem soweit wie möglich entgegenzukommen, ohne dabei Grundsätze aufzugeben, — wenn wir das alles bedenken, dann überrascht es uns weniger, dass er sich drängen ließ, von dem festen, sicheren Weg abzuweichen, den er bisher so entschieden gegangen war. Anstatt dem ersehnten Ziel näherzukommen, beschleunigte er durch sein Bemühen um Ausgleich nur die Entscheidung. Die Folge war, dass die vorhergesagten Leiden schneller über ihn hereinbrachen, zu einer Trennung von seinen Brüdern führten, die Gemeinde um einen ihrer stärksten Pfeiler beraubte und die Christen in allen Ländern mit Kummer erfüllte. DAp.266.1 Teilen

Am folgenden Tag begann Paulus den Rat der Ältesten auszuführen. Er ging mit den vier Männern, die das Gelübde des Gottgeweihten auf sich genommen hatten, dessen vorgesehene Zeit fast abgelaufen war, „in den Tempel und zeigte an, dass die Tage der Reinigung vollendet seien, sobald für einen jeglichen unter ihnen das Opfer gebracht wäre“. Apostelgeschichte 21,26. Doch noch mussten bestimmte kostspielige Reinigungsopfer gebracht werden. DAp.266.2 Teilen

Die Paulus geraten hatten, diesen Schritt zu tun, bedacht aber nicht, welcher großen Gefahr sie ihn dadurch aussetzten. Zu dieser Zeit weilten in Jerusalem Gottesdienstbesucher aus vielen Ländern. Paulus hatte entsprechend dem Auftrag Gottes das Evangelium den Nichtjuden gebracht und dabei viele der größten Städte der Welt besucht. So war er Tausenden von Festteilnehmern, die von auswärts nach Jerusalem gekommen waren, gut bekannt. Unter ihnen befanden sich Männer, deren Herzen von bitterem Hass ihm gegenüber erfüllt waren. Daher war das Betreten des Tempels bei solch einem öffentlichen Anlass für ihn lebensgefährlich. Einige Tage konnte er anscheinend unbemerkt unter den Anbetern aus- und eingehen, aber als er kurz vor Schluss der angesetzten Frist gerade mit einem Priester über das darzubringende Opfer sprach, wurde er von einigen Juden aus Asien erkannt. DAp.266.3 Teilen

Mit teuflischer Wut stürzten sie sich auf ihn und schrien: „Ihr Männer von Israel, helft! Dies ist der Mensch, der alle Menschen an allen Enden lehrt wider unser Volk, wider das Gesetz und wider diese Stätte.“ DAp.266.4 Teilen

Als die Leute auf diesem Hilferuf herbeieilten, fügten sie eine weitere Begründung hinzu: „Dazu hat er auch Griechen in den Tempel geführt und diese heilige Stätte entweiht.“ Apostelgeschichte 21,28. DAp.266.5 Teilen

267

Dem jüdischen Gesetz nach war es ein todeswürdiges Verbrechen, wenn ein Unbeschnittener die inneren Vorhöfe des heiligen Bauwerkes betrat. Paulus war in der Stadt in Begleitung des Trophimus, eines Ephesers, gesehen worden, und man vermutete, dass er ihn in den Tempel gebracht habe. Das hatte er jedoch nicht getan, und da er selbst ein Jude war, hatte er durch das Betreten des Tempels keineswegs das Gesetz übertreten. Obwohl diese Anklage völlig falsch war, genügte sie doch, das Vorurteil des Volkes zu erregen. Als der Ruf erscholl und die Tempelhöfe erfüllte, geriet die dort versammelte Menge in Empörung. Schnell verbreitete sich die Nachricht durch Jerusalem, „und die ganze Stadt wurde erregt und es entstand ein Auflauf des Volkes.“ Apostelgeschichte 21,30a. DAp.267.1 Teilen

Dass ein Abtrünniger Israelit es wagte, den Tempel zu entweihen in einer Zeit, da Tausende aus allen Teilen der Welt zur Anbetung hingekommen waren, entzündete die Leidenschaften der Volksmassen überaus heftig. „Sie ergriffen aber Paulus und zogen ihn zum Tempel hinaus. Und sogleich wurden die Tore zugeschlossen.“ Apostelgeschichte 21,30b. DAp.267.2 Teilen

„Als sie ihn aber töten wollten, kam die Nachricht hinauf vor den Oberst der Abteilung, dass ganz Jerusalem in Aufruhr sei.“ Apostelgeschichte 21,31. Klaudius Lysias, der die aufrührerischen Elemente, mit denen er es zu tun hatte, wohl kannte, „nahm sogleich Soldaten und Hauptleute und lief hinunter zu ihnen. Als sie aber den Oberst und die Soldaten sahen, hörten sie auf, Paulus zu schlagen.“ Apostelgeschichte 21,32. Der römische Hauptmann kannte nicht die Ursache der Aufregung, er sah nur, dass die Wut der Menge sich gegen Paulus richtete, und hielt ihn für einen ägyptischen Aufrührer, von dem er zwar gehört hatte, der aber bis dahin der Gefangennahme entkommen konnte. So „nahm er ihn fest und ließ ihn fesseln mit zwei Ketten und fragte, wer er wäre und was er getan hätte“. Apostelgeschichte 21,33. Sogleich erhoben sich viele Stimmen in lauter, zorniger Anklage. „Einer aber rief dies, der andre das im Volk. Da er aber nichts Gewisses erfahren konnte wegen des Getümmels, ließ er ihn in die Burg führen. Und als er an die Stufen kam, mussten ihn die Soldaten tragen wegen des Ungestüms des Volkes; denn die Menge folgte und schrie: Weg mit ihm!“ Apostelgeschichte 21,34-36. DAp.267.3 Teilen

Inmitten dieses Aufruhrs blieb der Apostel ruhig und gefasst. Seine Gedanken waren auf Gott gerichtet, wusste er doch, dass ihn Engel vom Himmel umgaben. Es gefiel ihm nur nicht, dass er den Tempel verlassen sollte, ohne den Versuch gemacht zu haben, seinen Landsleuten die Wahrheit darzulegen. Gerade als er in die Burg geführt werden sollte, fragte er den Oberhauptmann: „Darf ich mit dir reden?“ Lysias erwiderte: „Kannst du Griechisch? Bist du nicht der Ägypter, der vor diesen Tagen einen Aufruhr gemacht hat und führte in die Wüste hinaus viertausend Meuchelmörder?“ Paulus antwortete: „Ich bin ein jüdischer Mann von Tarsus, ein Bürger einer namhaften Stadt in Cilizien. Ich bitte dich, erlaube mir, zu reden zu dem Volk.“ Apostelgeschichte 21,37-39. Die Bitte wurde ihm gewährt, und so trat Paulus „auf die Stufen und winkte dem Volk mit der Hand“. Durch diese Geste fesselte er die Aufmerksamkeit der Juden, und sein Verhalten gebot ihnen Achtung. „Da nun eine große Stille ward, redete er zu ihnen auf hebräisch und sprach: Ihr Männer, liebe Brüder und Väter, hört mir zu, wenn ich mich jetzt vor euch verantworte.“ Beim Klang der wohlbekannten hebräischen Worte „wurden sie noch stiller“. In dem allgemeinen Schweigen fuhr er fort: „Ich bin ein jüdischer Mann, geboren in Tarsus in Zilizien, aufgewachsen aber in dieser Stadt und mit aller Sorgfalt unterwiesen im väterlichen Gesetz zu Füßen Gamaliels, und war ein Eiferer für Gott, wie ihr es heute alle seid.“ Apostelgeschichte 21,40; Apostelgeschichte 22,1-3. Niemand konnte die Darlegung des Apostels leugnen, denn die Tatsachen, auf die er hinwies, waren vielen gut bekannt, die noch in Jerusalem wohnten. Er sprach auch davon, mit welchem Eifer er einst die Jünger Christi bis in den Tod verfolgt hatte. Ausführlich schilderte er seinen Zuhörern die Umstände bei seiner Bekehrung, und wie sein stolzes Herz sich schließlich vor dem gekreuzigten Nazarener gebeugt hatte. Hätte er versucht, sich mit seinen Gegnern in eine Diskussion einzulassen, so hätten sie sich hartnäckig geweigert, seinen Worten zuzuhören. Aus dem Bericht seiner Erfahrung aber klang eine überzeugende Kraft, die zunächst ihre Herzen besänftigte und überwand. DAp.267.4 Teilen

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Dann versuchte er ihnen zu erklären, dass er seinen Dienst unter den Nichtjuden nicht aus eigener Entscheidung aufgenommen habe. Sein Wunsch sei es gewesen, unter seinem eigenen Volk zu wirken, aber hier im Tempel habe Gott in einem Gesicht mit ihm geredet und ihn angewiesen: „Ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden!“ Apostelgeschichte 22,17.18.21. DAp.268.1 Teilen

Bis dahin hatten die Juden mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört. Als Paulus in seinem Bericht aber davon sprach, dass er berufen wurde, Botschafter Christi unter den Nichtjuden zu sein, brach ihre Wut erneut aus. Sie waren es gewöhnt, sich selbst für das einzige von Gott auserwählte Volk zu halten. Darum waren sie nicht bereit, den verachteten Nichtjuden zuzugestehen, dass auch sie an den Gnadengaben Gottes Anteil haben sollten, die sie bisher als ausschließlich ihnen gehörend angesehen hatten. Mit schriller Stimme übertönten sie den Apostel: „Hinweg mit diesem von der Erde! Denn er darf nicht mehr leben. Als sie aber schrien und ihre Kleider abwarfen und Staub in die Luft wirbelten, befahl der Oberst, ihn in die Burg zu führen und sagte, dass man ihn geißeln und verhören sollte, um zu erfahren, aus welchem Grund sie sich so gegen ihn stellten. DAp.268.2 Teilen

Als man ihn aber zum Geißeln festband, sprach Paulus zu dem Hauptmann, der dabeistand: Ist es erlaubt bei euch, einen Menschen, der römischer Bürger ist, ohne Urteil zu geißeln? Als das der Hauptmann hörte, ging er zu dem Oberst und berichtete ihm und sprach: Was willst du tun? Dieser Mensch ist römischer Bürger. Da kam der Oberst zu ihm und fragte ihn: Sage mir, bist du römischer Bürger? Er aber sprach: Ja. Da sagte der Oberst: Ich habe dies Bürgerrecht für viel Geld erworben. Paulus aber sprach: Ich aber bin schon als römischer Bürger geboren. Da ließen sogleich von ihm ab, die ihn verhören sollten. Und der Oberst fürchtete sich, als er vernahm, dass es ein römischer Bürger war, den er hatte festbinden lassen. DAp.268.3 Teilen

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Am nächsten Tag wollte er genau erkunden, warum Paulus von den Juden verklagt wurde. Er ließ ihn von den Ketten lösen und befahl den Hohenpriestern und dem ganzen Hohen Rat zusammenzukommen und führte Paulus hinab und stellte ihn vor sie.“ Apostelgeschichte 22,22-30. DAp.269.1 Teilen

Paulus sollte jetzt vor dem gleichen Gerichtshof verhört werden, dessen Mitglied er selbst vor seiner Bekehrung war. Gelassen stand er vor den jüdischen Führern, seine Gesichtszüge zeugten von dem Frieden Christi. „Paulus aber sah den Hohen Rat an und sprach: Ihr Männer, liebe Brüder, ich habe mein Leben mit gutem Gewissen vor Gott geführt bis auf diesen Tag.“ Apostelgeschichte 23,1. Als sie diese Worte hörten, entbrannte der Hass neu auf und der Hohepriester Ananias „befahl denen, die um ihn standen, ihn auf den Mund zu schlagen“. Auf diesen rohen Befehl erwiderte Paulus: „Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand! Sitzt du da und richtest mich nach dem Gesetz und lässt mich schlagen gegen das Gesetz? Aber die dabeistanden, sprachen: Schmähst du den Hohenpriester Gottes? Und Paulus sprach: Liebe Brüder, ich wusste es nicht, dass er der Hohepriester ist. Denn es steht geschrieben: 2.Mose 22,27. ‚Dem Obersten deines Volkes sollst du nicht fluchen.‘ Als aber Paulus erkannte, dass ein Teil Sadduzäer war und der andere Teil Pharisäer, rief er im Rat: ‚Ihr Männer, liebe Brüder, ich bin ein Pharisäer und ein Sohn von Pharisäern. Ich werde angeklagt um der Hoffnung und um der Auferstehung der Toten willen‘. Als er aber das sagte, entstand Zwietracht zwischen Pharisäern und Sadduzäern und die Versammlung spaltete sich. Denn die Sadduzäer sagen, es gebe keine Auferstehung noch Engel und Geister; die Pharisäer aber lehren beides.“ Apostelgeschichte 23,2-8. Die beiden Parteien fingen an, sich nun untereinander zu streiten, und damit war die Macht ihres Widerstandes gegen Paulus gebrochen. „Einige Schriftgelehrte von der Partei der Pharisäer standen auf, stritten und sprachen: Wir finden nichts Böses an diesem Menschen; vielleicht hat ein Geist oder ein Engel mit ihm geredet.“ Apostelgeschichte 23,9. DAp.269.2 Teilen

In dem nun folgenden Durcheinander setzten die Sadduzäer alles daran, den Apostel in ihre Gewalt zu bekommen, um ihn zu töten; ebensosehr bemühten sich die Pharisäer, ihn zu beschützen. Der oberste Hauptmann befürchtete schließlich, „sie könnten Paulus zerreißen, und ließ Soldaten hinabgehen und Paulus ihnen entreißen und in die Burg führen.“ Apostelgeschichte 23,10. DAp.269.3 Teilen

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Als Paulus später über die schlimme Erfahrung dieses Tages nachdachte, überkam ihn Furcht, dass Gott seine Handlungsweise nicht bejahen konnte. Hatte er einen Fehler begangen, dass er überhaupt Jerusalem besuchte? Hatte sein sehnlicher Wunsch nach einem guten Einvernehmen mit den dortigen Brüdern zu solch einem unheilvollen Ergebnis geführt? DAp.270.1 Teilen

Wie sich die Juden als vorgebliches Gottesvolk vor einer ungläubigen Welt verhielten, verursachte dem Apostel heftige innere Not. Was mochten wohl die heidnischen Offiziere jetzt von ihnen denken? Die Juden gaben vor, als Anbeter des lebendigen Gottes zu heiligem Dienst berufen zu sein, und ließen sich dennoch von blindem, ungerechtfertigtem Zorn hinreißen. Sie versuchten sogar ihre Brüder umzubringen, die in Fragen des Glaubens anderer Meinung zu sein wagten, und wandelten eine heilige Ratsversammlung in einen Schauplatz des Streites und wilder Verwirrung um. Paulus empfand, dass der Name Gottes in den Augen der Heiden geschändet worden war. DAp.270.2 Teilen

Er aber lag nun im Gefängnis und wusste, dass seine Feinde in ihrem unsinnigen Hass nichts unversucht lassen würden, um seinen Tod herbeizuführen. War es möglich, dass seine Arbeit für die Gemeinden schon abgeschlossen sein sollte und dass nun reißende Wölfe eindringen würden? DAp.270.3 Teilen

Christi Sache lag dem Apostel sehr am Herzen, und mit tiefer Besorgnis dachte er an die Gefahren, die den zerstreuten Gemeinden durch die Verfolgung durch die Männer drohte, denen er im Hohen Rat begegnet war. Vor Kummer und Entmutigung weinte und betete er. DAp.270.4 Teilen

Doch auch in dieser dunklen Stunde vergaß der Herr seinen Diener nicht. Er hatte ihn vor der mörderischen Menge im Tempelhof bewahrt, war vor dem Hohen Rat mit ihm gewesen und würde ihn auch jetzt in der Festung nicht verlassen. Und als Antwort auf das ernste Flehen des Apostels um Führung offenbarte Gott sich ihm. „In der folgenden Nacht aber stand der Herr bei ihm und sprach: Sei getrost! Denn wie du für mich in Jerusalem Zeuge warst, so musst du auch in Rom Zeuge sein.“ Apostelgeschichte 23,11. DAp.270.5 Teilen

Schon lange hatte sich Paulus mit dem Gedanken getragen, Rom zu besuchen. Auch dort wollte er gern für Christus wirken, hatte aber wegen der Feindseligkeit der Juden bisher davon absehen müssen. Daher konnte er es kaum fassen, dass er gerade jetzt als Gefangener dorthin kommen sollte. DAp.270.6 Teilen

Während der Herr seinen Diener ermutigte, trachteten seine Feinde wutentbrannt danach, ihn umzubringen. „Als es aber Tag wurde, rotteten sich einige Juden zusammen und verschworen sich, weder zu essen noch zu trinken, bis sie Paulus getötet hätten. Es waren aber mehr als vierzig, die diese Verschwörung machten.“ Apostelgeschichte 23,12f. Das war ein Fasten, wie es der Herr durch Jesaja verurteilt hatte: „Wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein.“ Jesaja 58,4. DAp.270.7 Teilen

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Die Verschwörer „gingen zu den Hohenpriestern und Ältesten und sprachen: Wir haben uns durch einen Eid gebunden, nichts zu essen, bis wir Paulus getötet haben. So wirkt nun ihr mit dem Hohen Rat bei dem Oberst darauf hin, dass er ihn zu euch herunterführen lässt, als wolltet ihr ihn genauer verhören; wir aber sind bereit, ihn zu töten, ehe er vor euch kommt.“ Apostelgeschichte 23,14f. DAp.271.1 Teilen

Anstatt diesen grausamen Anschlag zurückzuweisen, stimmten ihm die Priester und Obersten sofort zu. Paulus hatte die Wahrheit gesprochen, als er Ananias mit einer getünchten Wand verglich. DAp.271.2 Teilen

Doch Gott griff ein, um das Leben Seines Dieners zu retten. Als der Sohn der Schwester des Paulus von dem Anschlag der Meuchelmörder hörte, „ging er und kam in die Burg und berichtete es Paulus. Paulus aber rief einen von den Hauptleuten zu sich und sprach: Führe diesen jungen Mann zu dem Oberst, denn er hat ihm etwas zu sagen. Der nahm ihn und führte ihn zum Oberst und sprach: Der Gefangene Paulus hat mich zu sich rufen lassen und mich gebeten, diesen jungen Mann zu dir zu führen, der dir etwas zu sagen hat.“ Apostelgeschichte 23,16-18. DAp.271.3 Teilen

Freundlich empfing Klaudius Lysias den Jüngling, nahm ihn beiseite und fragte ihn: „Was ist‘s, das du mir zu sagen hast? Er aber sprach: Die Juden sind übereingekommen, dich zu bitten, dass du Paulus morgen vor den Hohen Rat hinunterbringen lässt, so als wollten sie ihn genauer verhören. Du aber traue ihnen nicht; denn mehr als vierzig Männer von ihnen lauern ihm auf; die haben sich verschworen, weder zu essen noch zu trinken, bis sie ihn getötet hätten; und jetzt sind sie bereit und warten auf deine Zusage. Da ließ der Oberst den jungen Mann gehen und gebot ihm, niemandem zu sagen, dass er ihm das eröffnet hätte.“ Apostelgeschichte 23,19-22. DAp.271.4 Teilen

Lysias beschloss daraufhin, Paulus der Gerichtsbarkeit des Landpflegers Felix zu überweisen. Die Juden waren leicht erregbar, und so kam es oft zu Ausschreitungen unter ihnen. Die ständige Anwesenheit des Apostels in Jerusalem hätte für die Stadt gefährliche Folgen nach sich ziehen können, aber auch für den Kommandanten selbst. Deshalb rief er „zwei Hauptleute zu sich und sprach: Rüstet zweihundert Soldaten, dass sie nach Cäsarea ziehen, und siebzig Reiter und zweihundert Schützen für die dritte Stunde der Nacht; und haltet Tiere bereit, Paulus draufzusetzen und wohlverwahrt zu bringen zum Statthalter Felix.“ Apostelgeschichte 23,23f. DAp.271.5 Teilen

Wollte man Paulus wegbringen, so durfte man keine Zeit verlieren. „Die Soldaten nahmen Paulus, wie ihnen befohlen war, und führten ihn in der Nacht nach Antipatris.“ Apostelgeschichte 23,31. Von dort zogen die Reiter mit dem Gefangenen weiter nach Cäsarea, während die vierhundert Soldaten nach Jerusalem zurückkehrten. DAp.271.6 Teilen

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Der Befehlshaber der Abteilung übergab den Gefangenen an Felix und überreichte ihm gleichzeitig einen Brief, den der Oberhauptmann ihm anvertraut hatte: „Klaudius Lysias dem edlen Statthalter Felix: Gruß zuvor! Diesen Mann hatten die Juden ergriffen und wollten ihn töten. Da kam ich mit Soldaten dazu und entriss ihnen den und erfuhr, dass er ein römischer Bürger ist. Da ich aber erkunden wollte, weshalb sie ihn anklagten, führte ich ihn hinunter vor ihren Hohen Rat. Da fand ich, dass er beschuldigt wird wegen Fragen ihres Gesetzes, aber keine Anklage gegen sich hatte, auf die Tod oder Gefängnis steht. Und als vor mich kam, dass ein Anschlag gegen den Mann geplant sei, sandte ich ihn sogleich zu dir und wies auch die Kläger an, vor dir zu sagen, was sie gegen ihn hätten.“ Apostelgeschichte 23,26-30. DAp.272.1 Teilen

Als Felix diese Mitteilung gelesen hatte, fragte er, aus welcher Provinz der Gefangene stamme, und als er hörte, dass er aus Cilizien sei, sprach er: „Ich will dich verhören, wenn deine Ankläger auch da sind. Und er ließ ihn in Gewahrsam halten im Palast des Herodes.“ Apostelgeschichte 23,35. DAp.272.2 Teilen

Das war nicht das erste Mal, dass ein Diener des Herrn bei Nichtjuden vor der Bosheit derer eine Zuflucht fand, die sich als Gottesvolk ausgaben. In ihrer Wut gegen Paulus hatten die Juden der dunklen Liste der Geschichte ihres Volkes ein weiteres Verbrechen hinzugefügt. Ihre Herzen hatten sie noch mehr gegen die Wahrheit verhärtet und besiegelten damit ihr Schicksal um so sicherer. DAp.272.3 Teilen

Nur wenige erfassen die volle Bedeutung der Worte, die Jesus in der Synagoge von Nazareth sprach, als er sich selbst als den Gesalbten zu erkennen gab. Er bezeichnete es als seine Aufgabe, die Betrübten und Sündenbeladenen zu trösten, glücklich zu machen und zu erretten. Als er aber sah, wie Stolz und Unglauben die Herzen seiner Zuhörer beherrschten, erinnerte er sie daran, dass Gott sich in vergangenen Zeiten von Seinem auserwählten Volk abgewandt habe, weil es voll Unglaubens und Empörung war, und dass Er sich in den Heidenländern denen offenbart habe, die das göttliche Licht nicht verwarfen. Die Witwe zu Zarpath und Naeman, der Syrer, hatten nach dem ihnen zuteil gewordenen Licht gelebt und seien deshalb gerechter erfunden worden als Gottes auserwähltes Volk, das von Ihm abgefallen war und um Bequemlichkeit und irdischer Ehre willen Seine Grundsätze preisgegeben hatte. DAp.272.4 Teilen

Jesus sagte den Juden in Nazareth eine erschreckende Wahrheit, als er ihnen erklärte, dass der treue Gottesbote im abgefallenen Israel nicht sicher leben könne. Sie würden weder seinen Wert schätzen noch seine Arbeit anerkennen. Während die jüdischen Oberen vorgaben, sich mit großem Eifer für Gottes Ehre und das Wohl des Volkes einzusetzen, waren sie beider Feinde. Durch ihr Beispiel und ihre Vorschriften führten sie das Volk immer weiter vom Gehorsam Gott gegenüber ab und brachten es schließlich so weit, dass der Herr ihnen in der Zeit der Not keine Zuflucht mehr sein konnte. DAp.272.5 Teilen

273

Des Heilands Worte des Tadels, die den Männern von Nazareth galten, trafen im Falle des Apostels Paulus nicht nur auf die Ungläubigen Juden, sondern auch auf seine eigenen Glaubensbrüder zu. Hätten die Leiter der Gemeinde ihre Gefühle der Verbitterung gegen Paulus überwunden und ihn als den anerkannt, der von Gott berufen war, das Evangelium unter die Nichtjuden zu bringen, dann würde der Herr ihnen Seinen Knecht erhalten haben. Es entsprach nicht der Absicht Gottes, dass die Arbeit des Apostels Paulus so schnell zum Abschluss kommen sollte. Er vollbrachte aber auch kein Wunder, um dem entgegenzutreten, was von den Leitern der Gemeinde in Jerusalem durch ihr Verhalten ausgelöst worden war. DAp.273.1 Teilen

Derselbe Geist führt immer noch zu den gleichen Folgen. Die Gemeinde hat sich selbst schon mancher Segnung beraubt, weil sie versäumte, Gottes Gnade wahrzunehmen und sich zunutze zu machen. Wie oft hätte der Herr die Wirksamkeit treuer Diener verlängert, wenn deren Arbeit geschätzt worden wäre! Lässt die Gemeinde es aber zu, dass der Seelenfeind die Worte und Handlungen des Dieners Christi entstellt und verkehrt auslegt und wagt sie es, sich ihm hindernd in den Weg zu stellen und sein Wirken zu beeinträchtigen, dann entzieht der Herr ihr manchmal den verliehenen Segen. DAp.273.2 Teilen

Satan wirkt ständig durch seine Werkzeuge, um diejenigen zu entmutigen und zu verderben, die Gott erwählt hat, ein bedeutendes und gutes Werk zu tun. Selbst wenn sie bereit sind, für die Sache Christi ihr Leben hinzugeben, so wird der Erzbetrüger versuchen, ihren Brüdern Zweifel einzuflößen, und falls ihnen Möglichkeit gegeben wird, das Vertrauen in ihre Rechtschaffenheit zu untergraben und so ihr Wirken beeinträchtigen. Nur zu oft gelingt es Satan, den Dienern Christi durch ihre eigenen Brüder solche Herzensnot zu bereiten, dass Gott in Seiner Barmherzigkeit eingreifen muss, um Seinen verfolgten Knechten Ruhe zu geben. Erst wenn deren Hände über der regungslosen Brust gefaltet liegen und ihre warnende und ermutigende Stimme verstummt ist, mögen die Verstockten schließlich aufgerüttelt werden und erkennen, welche wertvollen Segnungen sie von sich gewiesen haben. Vielleicht wird der Tod solcher Diener das bewirken, was ihnen im Leben versagt geblieben ist. DAp.273.3 Teilen

Kapitel 39: Das Verhör in Cäsarea
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Auf Grundlage von Apostelgeschichte 24. DAp.274 Teilen

Fünf Tage nach der Ankunft von Paulus in Cäsarea trafen seine Verkläger aus Jerusalem dort ein, begleitet von Tertullus, einem Redner, den sie sich zum Anwalt genommen hatten. Der Fall kam schnell zur Verhandlung. Paulus wurde vor die Versammelten gebracht, und dann „fing Tertullus an, ihn zu verklagen“. In der Meinung, dass er durch Schmeicheleien einen stärkeren Eindruck auf den römischen Landpfleger machen würde als durch eine sachliche Darlegung des Sachverhalts, gegründet auf Wahrheit und Gerechtigkeit, begann der verschlagene Anwalt seine Ausführungen mit einem Lobpreis auf Felix: „Dass wir in großem Frieden leben unter dir und dass diesem Volk viele Wohltaten widerfahren sind durch deine Fürsorge, edelster Felix, das erkennen wir allezeit und überall mit aller Dankbarkeit an.“ Apostelgeschichte 24,2f. DAp.274.1 Teilen

Tertullus ließ sich hier zu einer schamlosen Lüge verleiten, denn der Landpfleger Felix war von niedriger, verabscheuungswerter Gesinnung. Von ihm hieß es, dass er „in jeder Art von Tyrannei und Willkür Königsrecht mit Sklavenlaune übte“. Tacitus, Die Historien, V, 9 Die Tertullus zuhörten, wussten, dass seine Schmeicheleien Lügen waren; aber ihr Verlangen Paulus verurteilt zu sehen, war stärker als ihre Liebe zur Wahrheit. DAp.274.2 Teilen

In seiner Rede legte Tertullus dem Paulus Verbrechen zur Last, die eine Verurteilung wegen Hochverrats zur Folge gehabt hätten, wären sie nachweisbar gewesen. „Wir haben erkannt“, erklärte er, „dass dieser Mann schädlich ist und dass er Aufruhr erregt unter allen Juden auf dem ganzen Erdkreis und dass er ein Anführer der Sekte der Nazarener ist. Er hat auch versucht, den Tempel zu entweihen.“ Apostelgeschichte 24,5f. DAp.274.3 Teilen

Dann behauptete Tertullus, Lysias, der Befehlshaber der Garnison in Jerusalem, habe Paulus mit Gewalt den Juden entrissen, als sie ihn gerade nach ihrem Kirchenrecht richten wollten. Dadurch seien sie gezwungen worden, die Sache vor Felix zu bringen. Diese Aussagen sollten den Landpfleger veranlassen, Paulus an den jüdischen Gerichtshof auszuliefern. Alle Anklagen wurden von den anwesenden Juden leidenschaftlich unterstützt. Sie bemühten sich überhaupt nicht, ihren Hass auf den Gefangenen zu verbergen. Doch Felix besaß genügend Scharfsinn, um die Gesinnung und das Wesen der Ankläger des Apostels zu durchschauen. Er wusste, aus welchen Beweggründen sie ihm geschmeichelt hatten und erkannte auch, dass sie ihre Anklagen gegen Paulus nicht hätten begründen können. Nun forderte er den Angeklagten auf, sich selbst zu verantworten. Paulus vergeudete kein Wort auf bloße Höflichkeiten, sondern sagte schlicht und einfach, dass er sich um so freudiger vor Felix verteidigen könne, da dieser schon längere Zeit Landpfleger sei und deshalb ein gutes Verständnis für die jüdischen Gesetze und Gebräuche habe. „Sie haben mich“, sagte er, „weder im Tempel noch in den Synagogen noch in der Stadt dabei gefunden, wie ich mit jemandem gestritten oder einen Aufruhr im Volk gemacht hätte. Sie können dir auch nicht beweisen, wessen sie mich jetzt verklagen.“ Apostelgeschichte 24,12f. DAp.274.4 Teilen

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Während er bekannte, dass er „nach der Lehre, die sie eine Sekte heißen“, dem Gott seiner Väter diene, versicherte er zugleich, dass er immer geglaubt habe „allem, was geschrieben steht im Gesetz und in den Propheten“. Apostelgeschichte 24,14. In Übereinstimmung mit den klaren Lehren der Schrift halte er am Glauben an die Auferstehung der Toten fest. Weiter erklärte er, dass es der oberste Grundsatz seines Lebens sei, „ein unverletztes Gewissen zu haben vor Gott und den Menschen.“ Apostelgeschichte 24,16. DAp.275.1 Teilen

Offen und ohne Umschweife berichtete er von dem Zweck seines Besuchs in Jerusalem sowie von den Umständen, die zu seiner Verhaftung und zum Verhör geführt hatten. „Nach mehreren Jahren aber bin ich gekommen, um Almosen für mein Volk zu überbringen und zu opfern. Als ich mich im Tempel reinigte, ohne Auflauf und Getümmel, fanden mich dabei einige Juden aus der Provinz Asien. Die sollten jetzt hier sein vor dir und mich verklagen, wenn sie etwas gegen mich hätten. Oder lass diese hier selbst sagen, was für ein Unrecht sie gefunden haben, als ich vor dem Hohen Rat stand; es sei denn dies ‚eine‘ Wort, das ich rief, als ich unter ihnen stand: Um der Auferstehung der Toten willen werde ich von euch heute angeklagt.“ Apostelgeschichte 24,17-21. DAp.275.2 Teilen

Der Apostel sprach entschieden und mit erkennbarer Aufrichtigkeit. Seine Worte wirkten überzeugend. Klaudius Lysias hatte in seinem Brief an Felix dem Apostel ein ähnliches Zeugnis über dessen Verhalten ausgestellt. Überdies kannte Felix die jüdische Religion besser, als viele vermuteten. Durch die schlichte Darlegung der Tatsachen, wie sie Paulus gab, gewann Felix einen noch besseren Einblick in die Beweggründe, von denen sich die Juden bei dem Versuch leiten ließen, den Apostel des Aufruhrs und des Verrats für schuldig zu erklären. Der Landpfleger konnte ihnen nicht die Gefälligkeit erweisen, einen römischen Bürger ungerechterweise zu verurteilen. Genausowenig wollte er ihnen Paulus ausliefern, damit sie ihn ohne rechtmäßiges Gerichtsverfahren umbrächten. Dennoch kannte Felix keinen höheren Beweggrund als seinen persönlichen Vorteil. Ihn beherrschte das Verlangen nach Anerkennung und Vorwärtskommen. Die Furcht davor, die Juden zu beleidigen, hinderte ihn schließlich daran, einem Mann volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, von dessen Unschuld er überzeugt war. Deshalb beschloss er, die Gerichtsverhandlung zu vertagen, bis Lysias anwesend sein könne. „Wenn der Oberst Lysias herabkommt, so will ich eure Sache entscheiden.“ Apostelgeschichte 24,22. DAp.275.3 Teilen

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Damit blieb der Apostel ein Gefangener. Felix befahl lediglich dem Hauptmann, der für Paulus verantwortlich war, ihn „in leichtem Gewahrsam“ zu behalten, „und niemandem von den Seinen zu wehren, ihm zu dienen.“ Apostelgeschichte 24,23. DAp.276.1 Teilen

Nicht lange darauf ließen Felix und seine Frau Drusilla Paulus kommen, um in einem vertraulichen Gespräch etwas „über den Glauben an Jesus Christus“ (Apostelgeschichte 24,24) zu hören. Sie waren bereit, ja sogar begierig, diese neuen Lehren zu hören — Wahrheiten, die sie möglicherweise nie wieder hören, und die am Jüngsten Tag gegen sie zeugen würden, wenn sie sie ablehnten. DAp.276.2 Teilen

Paulus betrachtete dies als eine ihm von Gott gegebene Gelegenheit, die er auch treu nutzte. Er wusste schon, dass er sich in der Gegenwart dessen befand, der Macht hatte, ihn zum Tod zu verurteilen oder ihm die Freiheit zu schenken. Dennoch richtete er keine Lob- und Schmeichelworte an Felix und Drusilla. Ihm war bewusst, dass seine Worte für sie ein Geruch zum Leben oder zum Tod sein würden. Deshalb stellte er alle selbstsüchtigen Überlegungen beiseite und versuchte ihnen die Gefahr deutlich zu machen, in der sie standen. DAp.276.3 Teilen

Dem Apostel war klar, dass das Evangelium an alle Forderungen stellt, die es hören und sie eines Tages entweder zu den Reinen und Heiligen gehören, die den großen, weißen Thron umstehen, oder aber zu denen, an die Christus das Wort richtet: „Weicht von mir, ihr Übeltäter!“ Matth.7,23 Er wusste, dass er vor dem himmlischen Gericht jedem einzelnen seiner Zuhörer gegenübergestellt werden wird, um Rechenschaft abzulegen nicht nur über das, was er gesagt und getan hatte, sondern auch über den Geist und die Motive für seine Worte und Taten. DAp.276.4 Teilen

Felix war bisher so gewalttätig und grausam gewesen, dass nur wenige gewagt hätten, ihm gegenüber auch nur anzudeuten, dass sein Charakter und sein Verhalten nicht einwandfrei sei. Paulus aber kannte keine Menschenfurcht. Frei bezeugte er seinen Glauben an Christus und erläuterte dann die Gründe für diesen Glauben. Das veranlasste ihn auch, von den Tugenden zu sprechen, die für einen christlichen Charakter zwingend notwendig sind, die aber dem stolzen Paar völlig fehlten. DAp.276.5 Teilen

Paulus hielt Felix und Drusilla das Wesen Gottes vor Augen — seine Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit und Unparteilichkeit, sowie das Wesen seines Gesetzes. Er zeigte ihnen deutlich, dass es die Pflicht jedes Menschen sei, sich um ein nüchternes, enthaltsames Lebens zu bemühen, seine Neigungen durch die Vernunft dem Gesetz Gottes zu unterwerfen und die körperlichen und geistigen Kräfte gesund zu erhalten. Zudem erklärte er, dass ganz bestimmt mit dem „zukünftigen Gericht“ zu rechnen sei, an dem alle Menschen nach den Werken, die sie zu Lebzeiten getan haben, ihren Lohn empfangen würden. Dann werde offenbar werden, dass Reichtum, Stellung und Titel dem Menschen nicht Gottes Wohlgefallen erwirken und ihn auch nicht von den Folgen der Sünde befreien können. Er zeigte, dass dieses Leben für den Menschen eine Zeit der Vorbereitung auf das künftige Leben sei. Wer die ihm gegebenen Möglichkeiten missachte, werde ewigen Verlust erleiden, da ihm keine neue Gnadenzeit gewährt würde. DAp.276.6 Teilen

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Besonders eindringlich sprach Paulus von den weitreichenden Forderungen des Gesetzes Gottes. Er zeigte auf, wie es bis in die tiefste Verborgenheit des sittlichen Lebens eindringt und einen hellen Lichtstrahl auf das wirft, was vor den Augen und der Kenntnis anderer verborgen ist. Was immer die Hände tun mögen oder was die Zunge aussprechen mag, überhaupt alles was das äußere Leben ausmacht, stellt den menschlichen Charakter nur unvollkommen dar. Das Gesetz aber erforscht die Gedanken, Beweggründe und Absichten. Es verurteilt die geheimen Regungen, die dem menschlichen Blick verborgen sind, wie Eifersucht, Hass und Ehrgeiz, sowie die schlechten Gedanken, mit denen man im stillen umgeht und nur aus Mangel an Gelegenheit niemals ausgeführt werden. DAp.277.1 Teilen

Paulus versuchte, die Gedanken seiner Zuhörer auf das eine große Opfer für die Sünder zu lenken. Zunächst wies er auf die Opfer hin, die nur ein Abglanz zukünftiger Güter waren, und zeigte dann, wie in Christus alle Opfervorschriften ihre Erfüllung fänden, da sie auf Ihn als die einzige Quelle des Lebens und der Hoffnung für die gefallene Menschheit hinwiesen. Auch heilige Männer damals seien allein durch den Glauben an Christi Blut erlöst worden. Beim Anblick des Todeskampfes der Opfertiere schauten sie über die Jahrhunderte hin auf Gottes Lamm, das der Welt Sünde tragen sollte. DAp.277.2 Teilen

Gott hat zu Recht Anspruch auf die Liebe und den Gehorsam seiner Geschöpfe. Mit seinem Gesetz hat er ihnen einen vollkommenen Maßstab für das gegeben, was recht ist. Aber viele vergessen ihren Schöpfer und ziehen es vor, entgegen seinem Willen ihre eigenen Wege einzuschlagen. Mit Feindschaft erwidern sie seine Liebe, die so hoch ist wie der Himmel und so weit wie das Weltall. Gott kann aber die Forderungen seines Gesetzes nicht herabsetzen, um einer gottlosen Menschheit entgegenzukommen. Der Mensch wiederum kann nicht aus eigener Kraft den Forderungen des Gesetzes gerecht werden. Nur durch den Glauben an Christus kann der Sünder von aller Schuld gereinigt werden und die Kraft erhalten, den Geboten seines Schöpfers gehorsam zu sein. So trat Paulus auch als Gefangener für die Forderungen ein, die das göttliche Gesetz sowohl den Juden als auch den Griechen stellt, und verkündigte Jesus, den verachteten Nazarener, als den Sohn Gottes, den Erlöser der Welt. DAp.277.3 Teilen

278

Die jüdische Fürstin wusste genau um die Heiligkeit des Gesetzes, das sie schamlos übertreten hatte, doch ihr Vorurteil gegenüber dem Mann von Golgatha verhärtete ihr Herz auch gegenüber dem Wort des Lebens. Aber Felix, der die Wahrheit noch nie vernommen hatte, wurde unter dem überzeugenden Einfluss des Geistes Gottes tief in seinem Inneren bewegt. Sein erwachtes Gewissen regte sich, und Felix empfand die Wahrheit der Worte des Paulus. Er erinnerte sich an seine schuldhafte Vergangenheit. Mit erschreckender Deutlichkeit tauchten vor ihm die geheimen Geschehnisse seines früheren lasterhaften Lebens auf, das mit Blut befleckt war, sowie die ununterbrochene Kette schwerer Untaten in den späteren Jahren. Er erkannte, wie ausschweifend, grausam und habgierig er war. Nie zuvor war ihm die Wahrheit so zu Herzen gegangen und war sein Herz so von Entsetzen gepackt worden. Der Gedanke, dass alle Geheimnisse seines verbrecherischen Lebens vor dem Auge Gottes aufgedeckt seien und dass er nach seinen Werken gerichtet werden solle, ließ ihn vor Furcht zittern. Doch statt sich durch sein Schuldgefühl zur Buße leiten zu lassen, versuchte er sich dieser unwillkommenen Entscheidung zu entziehen. Er brach die Unterredung ab. „Für diesmal geh! Zu gelegener Zeit will ich dich wieder rufen lassen.“ Apostelgeschichte 24,25. DAp.278.1 Teilen

Welch ein großer Unterschied bestand doch zwischen dem Verhalten des Landpflegers und des Kerkermeisters zu Philippi! So wie Paulus jetzt vor Felix, waren damals die Boten Gottes gefesselt vor den Kerkermeister gebracht worden. Die Beweise göttlicher Kraft, die sie brachten, ihre Freudigkeit trotz Leiden und Schmach, ihre Furchtlosigkeit, als ein Beben die Erde erschütterte, und ihre christliche Vergebungsbereitschaft, all das hatte den Kerkermeister überzeugt, so dass er zitternd seine Sünden bekannte und Vergebung empfing. Auch Felix zitterte, aber er bereute nicht. Während der Kerkermeister den Geist Gottes freudig in sein Herz und Heim aufnahm, schickte Felix den Gottesboten fort. Der eine wurde ein Kind Gottes und Erbe des Himmels, der andere erwählte das Schicksal aller Übeltäter. DAp.278.2 Teilen

Zwei Jahre lang wurde nichts weiter gegen Paulus unternommen; dennoch blieb er gefangen. Felix besuchte ihn mehrere Male und hörte ihm aufmerksam zu. Der eigentliche Beweggrund für die scheinbare Freundlichkeit war jedoch sehr selbstsüchtig. Er machte Andeutungen, Paulus könnte gegen Entrichtung einer größeren Geldsumme die Freiheit erlangen. Apostelgeschichte 24,26. Paulus jedoch war zu ehrlich, um seine Freiheit durch Bestechung zu erkaufen. Er war keines Verbrechens schuldig, und so wollte er sich auch nicht dazu hergeben, durch ein Unrecht die Freiheit zu erlangen. Außerdem war er zu arm, um ein Lösegeld zahlen zu können, selbst wenn er es gewollt hätte. Das Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft der Gemeinden wollte er erst recht nicht in Anspruch nehmen. Außerdem wusste er sich in Gottes Hand und wollte nicht verhindern, was Gott über ihn beschlossen hatte. DAp.278.3 Teilen

279

Felix wurde schließlich wegen grober Verfehlungen gegenüber den Juden nach Rom gerufen. Ehe er Cäsarea verließ, um dieser Vorladung nachzukommen, wollte er „den Juden eine Gunst erzeigen“ (Apostelgeschichte 24,27) und ordnete an, dass Paulus im Gefängnis verblieb. Dennoch vermochte er das Vertrauen der Juden nicht wiederzugewinnen. Er fiel in Ungnade und wurde seines Amtes enthoben. Zu seinem Nachfolger wurde Porcius Festus berufen, der seinen Hauptsitz in Cäsarea aufschlug. DAp.279.1 Teilen

Ein Strahl himmlischen Lichts war auf Felix gefallen, als Paulus mit ihm „von Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit und von dem zukünftigen Gericht“ gesprochen hatte. Der Himmel hatte ihm die Gelegenheit gegeben, seine Sünden zu erkennen und zu lassen. Aber Felix hatte zu dem Boten Gottes gesagt: „Für diesmal geh! Zu gelegener Zeit will ich dich wieder rufen lassen.“ Damit hatte er das letzte Angebot göttlicher Gnade ausgeschlagen, und nie wieder sollte ein Ruf Gottes an ihn ergehen. DAp.279.2 Teilen

Kapitel 40: Paulus beruft sich auf den Kaiser
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Auf Grundlage von Apostelgeschichte 25,1-12. DAp.280 Teilen

Als nun Festus ins Land gekommen war, „zog er nach drei Tagen hinauf von Cäsarea nach Jerusalem. Da erschienen vor ihm die Hohepriester und Vornehmsten der Juden wider Paulus und drangen in ihn und baten um die Gunst wider ihn, dass er ihn kommen ließe nach Jerusalem.“ Apostelgeschichte 25,1-3. Diese Bitte stellten sie in der Absicht, Paulus auf dem Weg nach Jerusalem aufzulauern und ihn umzubringen. Aber Festus hatte ein starkes Bewusstsein von der Verantwortung seiner Stellung. Er lehnte in aller Höflichkeit ab, Paulus holen zu lassen. „Es ist der Römer Art nicht,“ erklärte er, „einen Angeklagten preiszugeben, bevor er seinen Klägern gegenüberstand und Gelegenheit hatte, sich gegen die Anklage zu verteidigen.“ Apostelgeschichte 25,16. „Er selber aber werde in Kürze wieder dahin [nach Cäsarea] ziehen. Die nun unter euch ermächtigt sind, sprach er, die lasst mit hinabziehen und den Mann verklagen, wenn etwas Unrechtes an ihm ist.“ Apostelgeschichte 25,4f. DAp.280.1 Teilen

Gerade das aber wollten die Juden nicht. Sie hatten ihre Niederlage in Cäsarea nicht vergessen. Im Gegensatz zu der ruhigen Haltung und den zwingenden Beweisen des Apostels mussten ihr boshafter Geist und ihre grundlosen Beschuldigungen im allerschlechtesten Licht erscheinen. Darum drangen sie noch einmal darauf, dass Paulus zum Verhör nach Jerusalem gebracht würde; aber Festus beharrte bei seinem Vorhaben, Paulus in Cäsarea eine ordnungsgemäße gerichtliche Untersuchung zu gewähren. Gott leitete Festus in dieser Entscheidung, damit das Leben des Apostels erhalten bliebe. DAp.280.2 Teilen

Als die verantwortlichen Männer unter den Juden ihre Absicht vereitelt sahen, trafen sie sofort Vorbereitungen, vor dem Gerichtshof des Landpflegers gegen Paulus auszusagen. Nachdem Festus von seinem mehrtägigen Aufenthalt in Jerusalem nach Cäsarea zurückgekehrt war, setzte er sich am folgenden Tag „auf den Richterstuhl und ließ Paulus holen. Als der aber vor ihn kam, umringten ihn die Juden, die von Jerusalem herabgekommen waren, und brachten viele und schwere Klagen gegen ihn vor, die sie aber nicht beweisen konnten“. Apostelgeschichte 25,6f. Diesmal hatten die Juden keinen Rechtsanwalt, sondern trugen ihre Anklagen selbst vor. Im Laufe des Verhörs wies der Angeklagte mit Ruhe und Offenheit die Unrichtigkeit ihrer Behauptungen nach. DAp.280.3 Teilen

281

Festus erkannte, dass es in dieser Auseinandersetzung allein um jüdische Glaubenslehren ging und dass die Anklagen gegen Paulus, selbst wenn sie bewiesen werden könnten, im Grunde genommen nichts enthielten, was ihm die Todes- oder auch nur die Gefängnisstrafe hätte einbringen können. Er sah jedoch auch deutlich, welch ein Sturm der Entrüstung sich erheben würde, falls er Paulus nicht verurteilte oder ihnen überantwortete. Da er nun „den Juden eine Gunst erzeigen“ (Apostelgeschichte 25,9) wollte, wandte er sich an Paulus und fragte ihn, ob er bereit sei, unter seinem Schutz nach Jerusalem zu gehen, um sich dort vom Hohen Rat verhören zu lassen. DAp.281.1 Teilen

Der Apostel wusste, dass er von dem Volk keine Gerechtigkeit erwarten konnte, das durch seine Verbrechen Gottes Zorn auf sich geladen hatte. Er wusste, dass er, wie damals schon der Prophet Elia, unter den Nichtjuden sicherer sein würde als bei denen, die das göttliche Licht vom Himmel verworfen und ihre Herzen gegen das Evangelium verstockt hatten. Müde des ständigen Streites, konnte sein reger Geist das wiederholte Aufschieben und zermürbende Hinhalten der gerichtlichen Untersuchung und der Haft nur mit Mühe ertragen. Deshalb beschloss er, von dem Recht, das ihm als römischem Bürger zustand, Gebrauch zu machen und sich auf den Kaiser zu berufen. DAp.281.2 Teilen

Paulus antwortete deshalb auf die Frage des Landpflegers: „Ich stehe vor des Kaisers Gericht; da muss ich gerichtet werden. Den Juden habe ich kein Unrecht getan, wie auch du sehr wohl weißt. Habe ich aber Unrecht getan und todeswürdig gehandelt, so weigere ich mich nicht zu sterben; ist aber nichts an dem, dessentwegen sie mich verklagen, so darf mich ihnen niemand preisgeben. Ich berufe mich auf den Kaiser!“ Apostelgeschichte 25,10f. DAp.281.3 Teilen

Festus wusste nichts davon, dass sich die Juden verschworen hatten, Paulus zu ermorden, und war daher von der Berufung auf den Kaiser überrascht. Der Antrag des Apostels beendete alle weiteren Gerichtsverhandlungen. „Da besprach sich Festus mit seinen Ratgebern und antwortete: Auf den Kaiser hast du dich berufen, zum Kaiser sollst du ziehen.“ Apostelgeschichte 25,12. DAp.281.4 Teilen

Blinder Eifer und Selbstgerechtigkeit hatten also einen Hass erzeugt, der wieder einmal einen Diener Gottes zwang, bei den Heiden Schutz zu suchen. Es war derselbe Hass, der einst Elia genötigt hatte, Hilfe bei der Witwe zu Zarpath zu suchen, und er hatte die Boten des Evangeliums veranlasst, sich von den Juden abzuwenden und ihre Botschaft den Nichtjuden zu verkündigen. Diesem Hass wird auch das jetzt lebende Volk Gottes begegnen müssen. Viele angebliche Nachfolger Christi sind genauso stolz, heuchlerisch und selbstsüchtig. Sie bekunden den gleichen Geist der Unterdrückung, der in den Herzen der Juden so viel Raum einnahm. Männer, angebliche Vertreter Christi, werden in Zukunft einen Weg einschlagen, ähnlich dem der Priester und Obersten dem Herrn Jesus und den Aposteln gegenüber. Gottes treue Knechte werden in der großen Stunde der Entscheidung, die bald für sie kommen wird, die gleiche Herzenshärte, die gleiche grausame Entschlossenheit und denselben unnachgiebigen Hass erfahren. DAp.281.5 Teilen

282

Alle, die in jener bösen Zeit furchtlos der Stimme ihres Gewissens folgen und Gott dienen wollen, brauchen Mut, Festigkeit sowie Erkenntnis Gottes und seines Wortes. Die Gott treu sind, werden verfolgt, ihre Beweggründe werden angefochten, ihre besten Bemühungen verkehrt ausgelegt und ihre Namen verleumdet. Satan wird all seine betrügerischen Machenschaften einsetzen, um die Herzen zu beeinflussen und das Verständnis zu verdunkeln, damit das Böse gut und das Gute böse erscheint. Je stärker und reiner der Glaube der Kinder Gottes ist, je fester sie entschlossen sind, dem Herrn zu gehorchen, desto eifriger wird Satan danach trachten, die Wut derer zu entfesseln, die zwar vorgeben, gerecht zu sein, in Wirklichkeit aber das Gesetz Gottes mit Füßen treten. Das erfordert dann festes Vertrauen und den unerschütterlichen Entschluss, den Glauben zu bewahren, der einmal den Heiligen übergeben worden ist. DAp.282.1 Teilen

Gott möchte, dass sein Volk sich auf die bevorstehende Entscheidung vorbereitet. Alle gehen ihr entgegen, ob vorbereitet oder nicht. In jener Zeit der Prüfung und Anfechtung können aber nur jene bestehen, deren Leben mit dem göttlichen Maßstab übereinstimmt. Wenn weltliche Herrscher gemeinsam mit Dienern der Religion Fragen des Gewissens durch Vorschriften festlegen wollen, dann wird sich zeigen, wer Gott wahrhaft fürchtet und ihm dient. Wenn die Dunkelheit am tiefsten ist, wird das Licht eines göttlichen Charakters am hellsten leuchten. Wenn alle anderen Stützen versagen, dann wird sich zeigen, wessen Vertrauen zu Gott unerschütterlich ist. Während die Feinde der Wahrheit die Knechte des Herrn von allen Seiten überwachen werden, um Böses an ihnen zu entdecken, dann wird Gott zu ihrem Besten über ihnen wachen. Er wird für sie sein „wie der Schatten eines großen Felsens im trockenen Lande“. Jesaja 32,2. DAp.282.2 Teilen

Kapitel 41: „Es fehlt nicht viel ...“
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Auf Grundlage von Apostelgeschichte 25,13-27; Apostelgeschichte 26. DAp.283 Teilen

Paulus hatte sich auf den Kaiser berufen, und Festus konnte nicht anders, als ihn nach Rom zu senden. Es verstrich jedoch noch geraume Zeit, bis sich ein passendes Schiff fand. Außerdem sollten mit Paulus noch andere Gefangene reisen, und die Untersuchung ihrer Fälle verzögerte ebenfalls die Abreise. Dadurch erhielt Paulus Gelegenheit, die Gründe seines Glaubens nicht nur vor den maßgebenden Männern von Cäsarea bekanntzumachen, sondern auch vor König Agrippa II., dem letzten der Herodianer. DAp.283.1 Teilen

„Nach einigen Tagen kamen König Agrippa und Berenike nach Cäsarea, Festus zu begrüßen. Und als sie mehrere Tage dort waren, legte Festus dem König die Sache des Paulus vor und sprach: Da ist ein Mann von Felix als Gefangener zurückgelassen worden; um dessentwillen erschienen die Hohenpriester und Ältesten der Juden vor mir, als ich in Jerusalem war, und baten, ich solle ihn richten lassen.“ Apostelgeschichte 25,13-15. Dann berichtete er, was den Gefangenen veranlasst hatte, sich auf den Kaiser zu berufen, erzählte von dem kürzlich erfolgten Verhör und sagte, dass die Juden keine Anklage gegen Paulus vorgebracht hätten, wie er sie erwartet habe, sondern nur „etliche Streitfragen wider ihn von ihrem Glauben und von einem verstorbenen Jesus, von welchem Paulus sagte, er lebe.“ Apostelgeschichte 25,19. DAp.283.2 Teilen

Als Festus diesen Bericht gab, hörte Agrippa aufmerksam zu und meinte: „Ich möchte den Menschen auch gerne hören.“ Um diesen Wunsch zu erfüllen, wurde für den nächsten Tag eine Zusammenkunft organisiert. „Und am andern Tage kamen Agrippa und Bernice mit großem Gepränge und gingen in das Richthaus mit den Hauptleuten und vornehmsten Männern der Stadt, und da es Festus befahl, ward Paulus gebracht.“ Apostelgeschichte 25,22f. DAp.283.3 Teilen

Bei dieser Gelegenheit war Festus darauf bedacht, zu Ehren seiner Besucher großen Prunk zu entfalten. Die kostbaren Gewänder des Landpflegers und seiner Gäste, die Schwerter der Soldaten und die glitzernden Harnische ihrer Befehlshaber verliehen dem Geschehen einen glanzvollen Rahmen. Paulus stand den Versammelten gegenüber, noch immer mit Fesseln an den Händen. Welch ein Gegensatz stellte sich hier dar! Agrippa und Bernice verfügten über Macht und Ansehen, und deshalb huldigte ihnen die Welt. Aber ihnen fehlten die Charakterzüge, die Gott schätzt. Sie waren Übertreter seines Gesetzes, verdorben in ihrem Herzen wie in ihrem Lebenswandel. Ihre Handlungsweise wurde im Himmel verabscheut. DAp.283.4 Teilen

284

Der an einen Wachsoldaten gekettete betagte Gefangene wies dagegen in seiner äußeren Erscheinung nichts auf, was die Welt hätte veranlassen können, ihn zu verehren. An dem Ergehen dieses Mannes, der ohne Freunde, Reichtum und Ansehen dastand und wegen seines Glaubens an den Sohn Gottes gefangengehalten wurde, nahm aber der ganze Himmel Anteil. Engel waren seine Begleiter. Wäre die Herrlichkeit auch nur eines der himmlischen Boten sichtbar geworden, dann hätte alle königliche Pracht und jeder königlicher Stolz verblassen müssen. Der König und die Höflinge wären zu Boden gestürzt wie einst die Hüter am Grab Christi. DAp.284.1 Teilen

Festus stellte nun Paulus den Versammelten mit den Worten vor: „König Agrippa und all ihr Männer, die ihr mit uns hier seid, da seht ihr den, um dessentwillen die ganze Menge der Juden in Jerusalem und auch hier in mich drang und schrie, er dürfe nicht länger leben. Als ich aber erkannte, dass er nichts getan hatte, das des Todes würdig war, und er auch selber sich auf den Kaiser berief, beschloss ich, ihn dorthin zu senden. Etwas Sicheres über ihn aber habe ich nicht, das ich meinem Herrn schreiben könnte. Darum habe ich ihn vor euch bringen lassen, vor allem aber vor dich, König Agrippa, damit ich nach geschehenem Verhör etwas hätte, was ich schreiben könnte. Denn es erscheint mir unsinnig, einen Gefangenen zu schicken und keine Beschuldigung gegen ihn anzugeben.“ Apostelgeschichte 25,24-27. DAp.284.2 Teilen

König Agrippa räumte darauf Paulus die Möglichkeit ein, in eigener Sache zu sprechen. Der Apostel ließ sich weder durch die Pracht noch durch den hohen Rang seiner Zuhörer einschüchtern. Er wusste, welch geringen Wert vergänglicher Reichtum und hohe Stellungen haben. Nicht einen Augenblick ließ er sich entmutigen oder seiner Selbstbeherrschung berauben. DAp.284.3 Teilen

„Es ist mir sehr lieb, König Agrippa“, begann er, „dass ich mich heute vor dir verantworten soll wegen all der Dinge, deren ich von den Juden beschuldigt werde, vor allem weil du alle Ordnungen und Streitfragen der Juden kennst. Darum bitte ich dich, mich geduldig anzuhören.“ Apostelgeschichte 26,2f. DAp.284.4 Teilen

Paulus berichtete nun von seiner Bekehrung, wie er von seinem verstockten Unglauben zum Glauben an Jesus von Nazareth, den Erlöser der Welt fand. Er beschrieb die himmlische Vision, die ihn zuerst mit unaussprechlichem Schrecken erfüllt, sich später aber als Quelle des Trostes erwiesen habe. In dieser Offenbarung himmlischer Herrlichkeit habe er im Mittelpunkt den thronen sehen, den er verachtet und gehasst hatte und dessen Nachfolger er eben noch zu vernichten versuchte. Von dieser Stunde an sei er, Paulus, durch die umwandelnde Macht der Gnade ein neuer Mensch, ein aufrichtiger und eifriger Bekenner Jesu geworden. DAp.284.5 Teilen

285

Klar und eindringlich beschrieb Paulus dann vor Agrippa die bedeutendsten Ereignisse, die mit dem Leben Jesu auf Erden verknüpft waren. Er wies nach, dass der geweissagte Messias in der Person Jesu von Nazareth bereits erschienen sei. Dann zeigte er, wie nach dem Zeugnis des Alten Testaments der Messias als ein Mensch unter Menschen erscheinen sollte und wie sich die durch Mose und die Propheten gegebenen Weissagungen im Leben Jesu bis in alle Einzelheiten erfüllt hätten. Um eine verlorene Welt zu erlösen, habe der heilige Gottessohn, die Schande nicht achtend, das Kreuz erduldet und sei danach als Sieger über Tod und Grab zum Himmel aufgefahren. DAp.285.1 Teilen

Warum, so führte Paulus weiter aus, solle es unglaublich erscheinen, dass Christus von den Toten auferstanden sei? Einst habe er das zwar auch gemeint, aber wie könnte er nach dem, was er inzwischen selbst gesehen und gehört habe, weiterhin daran zweifeln? Vor den Toren von Damaskus habe er den gekreuzigten und auferstandenen Christus mit eigenen Augen gesehen, denselben Christus, der auf den Straßen von Jerusalem gewandelt, auf Golgatha den Tod erlitten und, nachdem er des Todes Macht gebrochen, zum Himmel aufgefahren sei. Er habe ihn ebenso leibhaftig gesehen und mit ihm geredet wie Kephas, Johannes, Jakobus und andere Jünger. Und Jesu Stimme habe ihm befohlen, das Evangelium von einem auferstandenen Heiland zu verkündigen. Wie hätte er da ungehorsam sein können? In Damaskus, in Jerusalem, in ganz Judäa und selbst in weit entfernten Landesteilen habe er darum auch von Christus dem Gekreuzigten gezeugt und Menschen aller Gesellschaftsschichten ermahnt, „dass sie Buße täten und sich bekehrten zu Gott und täten rechtschaffene Werke der Buße“. Apostelgeschichte 26,20. DAp.285.2 Teilen

„Um deswillen“, fuhr Paulus fort, „haben mich die Juden im Tempel gegriffen und versuchten, mich zu töten. Aber mit Gottes Hilfe stehe ich da bis auf diesen Tag und gebe Zeugnis den Kleinen und Großen und sage nichts, als was die Propheten und Mose gesagt haben, dass es geschehen sollte: dass der Christus sollte leiden und der erste sein aus der Auferstehung von den Toten und verkündigen das Licht dem Volk und den Heiden.“ Apostelgeschichte 26,21-23. DAp.285.3 Teilen

Wie gebannt hatten die Anwesenden dem Erfahrungsbericht des Paulus gelauscht. Der Apostel verweilte bei seinem Lieblingsthema. Keiner seiner Zuhörer konnte an seiner Aufrichtigkeit zweifeln. Plötzlich wurde er in seiner überzeugenden Darlegung von Festus mit dem Ruf unterbrochen: „Paulus, du bist von Sinnen! Das große Wissen macht dich wahnsinnig.“ Apostelgeschichte 26,24. DAp.285.4 Teilen

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Der Apostel antwortete darauf: „Edler Festus, ich bin nicht von Sinnen, sondern ich rede wahre und vernünftige Worte. Der König, zu dem ich frei und offen rede, versteht sich auf diese Dinge. Denn ich bin gewiss, dass ihm nichts davon verborgen ist; denn dies ist nicht im Winkel geschehen. Glaubst du, König Agrippa, den Propheten? Ich weiß, dass du glaubst.“ Apostelgeschichte 26,25-27. DAp.286.1 Teilen

Tief ergriffen vergaß Agrippa für Augenblicke seine Umgebung und auch die Würde seiner Stellung. Er dachte nur noch an die Wahrheit, die er soeben vernommen hatte und sah den bescheidenen Gefangenen als Gesandten Gottes vor sich stehen und antwortete unwillkürlich: „Es fehlt nicht viel, du wirst mich noch bereden und mich zum Christen machen.“ Apostelgeschichte 26,28. DAp.286.2 Teilen

Mit ganzem Ernst entgegnete der Apostel: „Ich wünschte vor Gott, es fehle nun viel oder wenig, dass nicht allein du, sondern alle, die mich heute hören, solche würden, wie ich bin“, dabei hob er seine gefesselten Hände empor und fügte hinzu, „ausgenommen diese Fesseln.“ Apostelgeschichte 26,29. DAp.286.3 Teilen

Eigentlich hätten Festus, Agrippa und Bernice die Fesseln tragen müssen, mit denen der Apostel gebunden war. Sie hatten sich alle schwerer Vergehen schuldig gemacht. Den Übertretern war an diesem Tag das Heil in Christus angeboten worden. Einer von ihnen wäre beinahe überredet worden, die angebotene Gnade und Vergebung anzunehmen. Doch auch er, Agrippa, schlug dieses Anerbieten aus und weigerte sich, das Kreuz eines gekreuzigten Erlösers auf sich zu nehmen. DAp.286.4 Teilen

Nun war die Neugierde des Königs befriedigt. Er erhob sich von seinem Sitz und gab damit das Zeichen, dass die Versammlung beendet sei. Während die Anwesenden sich trennten, sprachen sie noch miteinander und kamen zu dem Ergebnis: „Dieser Mensch hat nichts getan, was Tod oder Gefängnis verdient hätte.“ Apostelgeschichte 26,31. DAp.286.5 Teilen

Obwohl Agrippa ein Jude war, teilte er nicht den fanatischen Eifer und das blinde Vorurteil der Pharisäer. „Dieser Mensch“, sagte er zu Festus, „könnte freigelassen werden, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen hätte.“ Apostelgeschichte 26,32. Aber nun war dieser Fall einem höheren Gerichtshof überwiesen worden und unterstand nicht mehr der Gerichtsbarkeit des Festus oder des Agrippa. DAp.286.6 Teilen

Kapitel 42: Seereise und Schiffbruch
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Auf Grundlage von Apostelgeschichte 27; Apostelgeschichte 28,1-10. DAp.287 Teilen

Endlich war Paulus auf dem Weg nach Rom. „Als es aber beschlossen war, dass wir nach Italien fahren sollten, übergaben sie Paulus und einige andre Gefangene einem Hauptmann mit Namen Julius von einer kaiserlichen Abteilung. Wir bestiegen aber ein Schiff aus Adramyttion, das die Küstenstädte der Provinz Asien anlaufen sollte, und fuhren ab; mit uns war auch Aristarch, ein Mazedonier aus Thessalonich.“ Apostelgeschichte 27,1f. DAp.287.1 Teilen

Im ersten Jahrhundert des christlichen Zeitalters war das Reisen zur See mit allerlei Mühsal und Gefahren verbunden. Die Seeleute konnten ihren Kurs meist nur nach dem Stand der Gestirne bestimmen. Waren diese aber nicht zu sehen und deuteten Anzeichen auf einen bevorstehenden Sturm, dann fürchteten sich die Schiffseigner, sich auf die offene See hinauszuwagen. Während einer gewissen Zeit des Jahres war eine sichere Schifffahrt deshalb fast unmöglich. DAp.287.2 Teilen

Der Apostel Paulus musste nun die bitteren Erfahrungen machen, die das Los eines in Ketten gelegten Gefangenen während einer langen, ermüdenden Seefahrt nach Italien war. Ein Umstand allerdings erleichterte ihm die Härte seiner Lage wesentlich: er durfte Lukas und Aristarchus als Begleiter mitnehmen. In seinem Brief an die Kolosser erwähnte er später letzteren als seinen Mitgefangenen. Kolosser 4,10. Doch Aristarchus teilte freiwillig die Gefangenschaft des Paulus, um ihm in seinem Missgeschick zur Seite zu stehen. DAp.287.3 Teilen

Die Reise fing günstig an. Schon am nächsten Tag gingen sie im Hafen von Sidon vor Anker. Hauptmann Julius „hielt sich freundlich gegen Paulus und erlaubte ihm“, als er erfuhr, dass in Sidon Christen wohnten, „zu seinen Freunden zu gehen und sich pflegen zu lassen“. Apostelgeschichte 27,3. Diese Genehmigung schätzte der Apostel sehr, da seine Gesundheit angegriffen war. DAp.287.4 Teilen

Nachdem das Schiff Sidon verlassen hatte, musste es gegen widrige Winde ankämpfen, die es vom Kurs abtrieben. So kam es nur langsam voran. In Myra in der Landschaft Lyzien fand der Hauptmann ein großes Schiff aus Alexandrien, das zur italienischen Küste fahren sollte, und ließ sogleich seine Gefangenen übersteigen. Doch immer noch stand der Wind ihnen entgegen, so dass das Schiff nur schwer vorwärtskam. Lukas schreibt: „Wir kamen aber viele Tage nur langsam vorwärts und gelangten mit Mühe bis auf die Höhe von Knidos, denn der Wind hinderte uns; und wir fuhren im Schutz von Kreta hin, bis auf die Höhe von Salmone, und gelangten kaum daran vorbei und kamen an einen Ort, der ‚Guthafen‘ heißt.“ Apostelgeschichte 27,7f. DAp.287.5 Teilen

288

Dort mussten sie einige Zeit liegen bleiben, um günstigen Wind abzuwarten. Da der Winter schnell herannahte und „nunmehr die Schifffahrt gefährlich war“ (Apostelgeschichte 27,9), mussten die Schiffsleute die Hoffnung aufgeben, ihren Bestimmungsort zu erreichen, ehe die günstige Zeit für die Seefahrt zu Ende ging. Entschieden werden musste noch die Frage, ob man in Gutfurt bleiben oder lieber versuchen sollte, einen günstigeren Ort zum Überwintern zu erreichen. DAp.288.1 Teilen

Diese Frage wurde ernstlich erwogen und schließlich vom Hauptmann dem Paulus vorgelegt, der die Achtung der Schiffsleute und Soldaten gewonnen hatte. „Ich sehe“, sagte er, „dass die Fahrt nur mit Leid und großem Schaden vor sich gehen wird, nicht allein für die Ladung und das Schiff sondern auch für unser Leben.“ Apostelgeschichte 27,10. Aber der Steuermann und der Schiffsherr sowie die meisten Reisenden und Besatzungsmitglieder waren nicht bereit, diesen Rat anzunehmen. „Da der Hafen“, in dem sie ankerten, „zum Überwintern ungeeignet war, bestanden die meisten von ihnen auf dem Plan, von dort weiterzufahren und zu versuchen, ob sie zum Überwintern bis nach Phönix kommen könnten, einem Hafen auf Kreta, der gegen Südwest und Nordwest offen ist.“ Apostelgeschichte 27,12. DAp.288.2 Teilen

Der Hauptmann beschloss, der Meinung der Mehrheit zu folgen. So verließen sie, als „der Südwind wehte“, Gutfurt in der Hoffnung, bald den gewünschten Hafen zu erreichen. „Nicht lange aber danach brach ... ein Sturmwind los, den man Nordost nennt.“ Von ihr wurde das Schiff „ergriffen ... und konnte sich nicht wider den Wind halten.“ Apostelgeschichte 27,13-15. DAp.288.3 Teilen

Vom Sturm getrieben, näherte sich das Schiff der kleinen Insel Klauda. Unter ihrem Schutz bereiteten sich die Schiffsleute auf das Schlimmste vor. Das Rettungsboot, ihre einzige Zuflucht, sofern das Schiff zerschellen sollte, hing noch im Schlepptau, konnte aber jeden Augenblick zertrümmert werden. Man musste es als erstes an Deck ziehen. Dann wurden alle möglichen Vorkehrungen getroffen, die das Schiff widerstandsfähiger gegen den Sturm machen sollten. Der geringe Schutz, den ihnen die kleine Insel bot, währte nicht lange, und bald waren sie wieder der ganzen Heftigkeit des Sturms ausgesetzt. DAp.288.4 Teilen

Der Sturm tobte die ganze Nacht. Trotz aller Vorkehrungen wurde das Schiff so leck geschlagen, dass während „des nächsten Tages Ladung ins Meer“ (Apostelgeschichte 27,18) geworfen werden musste. Wieder brach die Nacht herein, aber der Sturm ließ immer noch nicht nach. Mit unverminderter Gewalt warf er das Schiff umher, dessen Mast zertrümmert und dessen Segel zerfetzt waren. Es schien, als ob die ächzenden Planken jeden Augenblick nachgeben müssten, so heftig schlingerte und zitterte das Schiff im Wüten des Sturmes. Das Leck wurde zusehends größer. Unentwegt arbeiteten Reisende und Besatzung an den Pumpen. Keiner an Bord hatte auch nur einen Augenblick Ruhe. „Am dritten Tag“, so schreibt Lukas, „warfen sie mit eigenen Händen das Schiffsgerät hinaus. Da aber in vielen Tagen weder Sonne noch Sterne erschienen und ein gewaltiges Ungewitter uns bedrängte, war alle Hoffnung auf Rettung dahin.“ Apostelgeschichte 27,19f. DAp.288.5 Teilen

289

Vierzehn Tage lang trieben sie so dahin. Die Wolken verhüllten die Sonne und auch die Sterne. Obwohl der Apostel körperlich sehr litt, fand er doch auch in den dunkelsten Stunden aufmunternde Worte und half wo immer es notwendig war. Vertrauensvoll umklammerte er den Arm des Allmächtigen; seine Seele war stille in Gott. Er selbst fürchtete sich nicht, wusste er doch, dass Gott ihn erhalten würde, um in Rom für die Wahrheit in Christus zu zeugen. Aber von Herzen empfand er Mitleid mit den armen Menschen um ihn herum, die in ihrem sündigen, armseligen Zustand völlig unvorbereitet waren, zu sterben. Als er nun ernstlich Gott um die Erhaltung ihres Lebens bat, wurde ihm offenbart, dass sein Gebet erhört worden sei. DAp.289.1 Teilen

Bald darauf legte sich der Sturm ein wenig. Paulus begab sich aufs Deck, erhob seine Stimme und sagte: „Liebe Männer, man sollte mir gehorcht haben und nicht von Kreta aufgebrochen sein und uns dieses Leides und Schadens überhoben haben. Doch nun ermahne ich euch, dass ihr unverzagt seid; denn keiner von euch wird umkommen, nur das Schiff. Denn diese Nacht ist bei mir gestanden der Engel Gottes, des ich bin und dem ich diene, und sprach: Fürchte dich nicht, Paulus, du musst vor den Kaiser gestellt werden; und siehe, Gott hat dir geschenkt alle, die mit dir fahren. Darum, liebe Männer, seid unverzagt; denn ich glaube Gott, es wird also geschehen, wie mir gesagt ist. Wir müssen aber anfahren an eine Insel.“ Apostelgeschichte 27,21-26. DAp.289.2 Teilen

Bei diesen Worten fassten alle neuen Mut. Reisende wie Mannschaften rafften sich aus ihrer Teilnahmslosigkeit auf. Es gab noch viel zu tun, und sie mussten alle verfügbaren Kräfte einsetzen, um den Untergang abzuwenden. DAp.289.3 Teilen

In der vierzehnten Nacht ihres Kampfes mit den dunklen, hochaufschäumenden Wogen hörten die Schiffsleute „um Mitternacht“ ein Geräusch wie von einer Brandung und dachten, „sie kämen an ein Land. Und sie warfen das Senkblei aus und fanden es zwanzig Faden tief; und ein wenig weiter loteten sie abermals und fanden es fünfzehn Faden tief. Da fürchteten sie, wir würden auf Klippen geraten, und warfen hinten vom Schiff vier Anker aus und wünschten, dass es Tag würde.“ Apostelgeschichte 27,27-29. DAp.289.4 Teilen

290

Bei Tagesanbruch erkannte man die verschwommenen Umrisse einer umbrandeten Küste, doch konnte man nicht feststellen, wo man war. Die Lage sah so hoffnungslos aus, dass die heidnischen Seeleute allen Mut verloren und „zu fliehen suchten“. Unter dem Vorwand, „sie wollten die Anker vorn aus dem Schiff lassen“, ließen sie das Rettungsboot nieder. Paulus aber erriet ihre Absicht und sprach zu dem Hauptmann und den Kriegsknechten: „Wenn diese nicht im Schiff bleiben, so könnt ihr nicht gerettet werden. Da hieben die Kriegsknechte die Stricke ab von dem Boot und ließen es fallen.“ Apostelgeschichte 27,30-32. DAp.290.1 Teilen

Doch die gefährlichste Stunde stand ihnen noch bevor. Wiederum sprach Paulus ermutigend zu allen und bat die Seeleute wie auch die Reisenden, etwas Nahrung zu sich zu nehmen. „Es ist heute der vierzehnte Tag, dass ihr wartet und ohne Speise geblieben seid und habt nichts zu euch genommen. Darum ermahne ich euch, Speise zu nehmen, denn das dient zu eurer Rettung; es wird euer keinem ein Haar vom Haupt fallen. Und da er das gesagt, nahm er ein Brot, dankte Gott vor ihnen allen und brach‘s und fing an zu essen.“ Apostelgeschichte 27,33-35. Die erschöpfte und entmutigte Schar von 275 Männern, die ohne Paulus verzweifelt wäre, folgte seinem Beispiel. „Nachdem sie satt geworden, erleichterten sie das Schiff und warfen das Getreide in das Meer.“ Apostelgeschichte 27,38. DAp.290.2 Teilen

Inzwischen war es völlig Tag geworden, aber sie konnten immer noch nichts entdecken, woran sie hätten bestimmen können, wo sie waren. „eine Bucht aber wurden sie gewahr, die hatte ein flaches Ufer. Dahin wollten sie das Schiff treiben lassen, wenn es möglich wäre. Und sie hieben die Anker ab und ließen sie im Meer, banden die Steuerruder los und richteten das Segel nach dem Wind und hielten auf das Ufer zu. Und als sie auf eine Sandbank gerieten, ließen sie das Schiff auflaufen und das Vorderschiff bohrte sich ein und saß fest, aber das Hinterschiff zerbrach unter der Gewalt der Wellen.“ Apostelgeschichte 27,39-41. DAp.290.3 Teilen

Paulus und den anderen Gefangenen drohte nun ein noch schrecklicheres Schicksal als der Schiffbruch. Die Kriegsknechte erkannten die Unmöglichkeit, auf die Gefangenen zu achten. Jeder würde genug mit seiner eigenen Rettung zu tun haben. Doch wenn ein Gefangener fehlte, hafteten die Kriegsknechte mit ihrem Leben für ihn. Daher wollten sie alle Gefangenen töten. Das römische Gesetz billigte diese grausame Handlungsweise, und der Plan wäre auch sofort ausgeführt worden, wenn unter ihnen nicht der gewesen wäre, dem alle in gleicher Weise Dank schuldeten. Der Hauptmann Julius wusste, dass alle, die sich an Bord befanden, ihre Rettung Paulus zu verdanken hatten. Außerdem war er davon überzeugt, dass der Herr mit Paulus sei, und so fürchtete er sich schon deshalb, dem Apostel ein Leid zuzufügen. Er „wehrte ihrem Vorhaben und ließ die, die schwimmen konnten, als Erste ins Meer springen und sich ans Land retten, die andern aber einige auf Brettern, einige auf dem, was noch vom Schiff da war. Und so geschah es, dass sie alle gerettet ans Land kamen.“ Apostelgeschichte 27,43f. Als dort die Namensliste vorgelesen wurde, fehlte auch nicht einer. DAp.290.4 Teilen

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Die schiffbrüchige Besatzung wurde von den Bewohnern der Insel Malta freundlich aufgenommen. Sie „zündeten ein Feuer an“, schrieb Lukas, „und nahmen uns alle auf um des Regens, der über uns gekommen war, und um der Kälte willen“. Apostelgeschichte 28,2. Paulus gehörte zu denen, die tatkräftig für das Wohlergehen der anderen sorgten. Als er „Reiser zusammenraffte und sie aufs Feuer“ legte, „kam eine Otter von der Hitze hervor und fuhr Paulus an seine Hand“. Apostelgeschichte 28,3. Die Umherstehenden erschraken. Als sie an den Ketten erkannten, dass Paulus ein Gefangener war, sprachen sie zueinander: „Dieser Mensch muss ein Mörder sein, den die Göttin der Rache nicht leben lässt, obgleich er dem Meer entkommen ist.“ Apostelgeschichte 28,4. Paulus jedoch schleuderte das Tier ins Feuer, „und ihm widerfuhr nichts Übles“. Apostelgeschichte 28,5. Die Leute wussten, wie giftig dieses Tier war, und rechneten damit, dass er im nächsten Augenblick unter schrecklichen Krämpfen umfallen würde. „Als sie nun lange gewartet hatten und sahen, dass ihm nichts Schlimmes widerfuhr, änderten sie ihre Meinung und sprachen: Er ist ein Gott.“ Apostelgeschichte 28,6. DAp.291.1 Teilen

Drei Monate lang blieben die Insassen des Schiffes auf Malta. Während dieser Zeit bot sich für Paulus und seine Mitarbeiter manche Gelegenheit, das Evangelium zu predigen. Und der Herr wirkte sichtbar durch sie. Paulus war der Anlass dafür, dass alle Schiffbrüchigen freundlich behandelt und möglichst alle ihre Wünsche erfüllt wurden. Als sie endlich Malta verließen, wurden sie mit allem versorgt, was man für eine Reise braucht. Die wesentlichen Geschehnisse während ihres Aufenthalts beschreibt Lukas mit folgenden Worten: „In dieser Gegend hatte der angesehenste Mann der Insel, mit Namen Publius, Landgüter; der nahm uns auf und beherbergte uns drei Tage lang freundlich. Es geschah aber, dass der Vater des Publius am Fieber und an der Ruhr darnieder lag. Zu dem ging Paulus hinein und betete und legte die Hände auf ihn und machte ihn gesund. Als das geschehen war, kamen auch die andern Kranken der Insel herbei und ließen sich gesund machen. Und sie erwiesen uns große Ehre; und als wir abfuhren, gaben sie uns mit, was wir nötig hatten.“ Apostelgeschichte 28,7-10. DAp.291.2 Teilen

Kapitel 43: In Rom
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Auf Grundlage von Apostelgeschichte 28,11-31; Philemon. DAp.292 Teilen

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Als dann die Schifffahrt wieder aufgenommen werden konnte, setzten der Hauptmann und die Gefangenen ihre Reise nach Rom fort. Ein Schiff von Alexandrien, das „das Zeichen der Zwillinge führte“ (Apostelgeschichte 28,11) und auf seiner Fahrt nach Westen bei Malta überwintert hatte, nahm die Schiffbrüchigen an Bord. Zwar wurde man verschiedentlich durch widrige Winde aufgehalten; dennoch konnte die Reise sicher beendet werden. Das Schiff ging in dem schönen Hafen von Puteoli an der italienischen Küste vor Anker. DAp.293.1 Teilen

Dort lebten einige Christen, die den Apostel einluden, sieben Tage bei ihnen zu bleiben. Der Hauptmann gewährte ihm diese Vergünstigung. Nachdem die Christen in Italien den Brief des Paulus an die Römer erhalten hatten, sahen sie gespannt seinem Besuch entgegen. Sie hatten nicht erwartet, ihn als Gefangenen zu sehen. Seine Leiden ließen ihre Zuneigung ihm gegenüber jedoch nur noch größer werden. Die Entfernung von Puteoli nach Rom betrug etwa 225 km. Da zwischen dem Seehafen und der Weltstadt eine ständige Verbindung bestand, erfuhren die römischen Christen bald von der Ankunft des Paulus. Daraufhin zogen ihm einige entgegen, um ihn willkommen zu heißen. DAp.293.2 Teilen

Acht Tage nach der Landung brach der Hauptmann mit seinen Gefangenen nach Rom auf. Soweit es in seiner Macht stand, gewährte Julius dem Paulus gern jede Erleichterung. An seiner Situation als Gefangener konnte er dagegen nichts ändern, auch konnte er ihn nicht von den Fesseln befreien, die den Apostel an den wachhabenden Kriegsknecht banden. Schweren Herzens sah Paulus dem langerwarteten Besuch in der Welthauptstadt entgegen. Wie ganz anders hatte er ihn sich vorgestellt! Wie sollte er als Gebundener und Gezeichneter dort das Evangelium verkündigen? Seine Hoffnung, in Rom viele Menschen für die Wahrheit zu gewinnen, schien völlig zum Scheitern verurteilt. DAp.293.3 Teilen

Schließlich erreichten die Reisenden Forum Appii, das nur etwa 60 Kilometer von Rom entfernt lag. Während sie sich ihren Weg durch die Menschenmassen auf der großen Verkehrsstraße bahnten, wurde dem ergrauten Apostel, der mit hartgesottenen Verbrechern zusammengekettet war, manch verächtlicher Blick zugeworfen. Er musste es sich gefallen lassen, Zielscheibe roher Scherze und spöttischer Bemerkungen zu sein. DAp.293.4 Teilen

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Plötzlich aber konnte man ein Freudenschrei hören. Aus der Schar der Vorüberdrängenden stürzte ein Mann hervor, fiel dem Gefangenen um den Hals und umarmte ihn unter Freudentränen, so wie ein Sohn nach langer Abwesenheit seinen Vater begrüßt. Dies wiederholte sich mehrmals, denn viele erkannten mit dem von freudiger Erwartung geschärften Blick in dem gefesselten Gefangenen den Mann, der ihnen in Korinth, Philippi und Ephesus die Worte des Lebens verkündigt hatte. DAp.294.1 Teilen

In herzlicher Liebe scharten sich die Jünger um ihren Vater im Glauben, so dass der ganze Zug zum Stehen gebracht wurde. Zwar wurden die Kriegsknechte wegen der Verzögerung ungeduldig; dennoch brachten sie es nicht über sich, diese freudigen Begegnungen zu unterbrechen, hatten doch auch sie ihren Gefangenen achten und schätzen gelernt. Die Gläubigen sahen in dem abgehärmten, leiddurchfurchten Antlitz den Abglanz des Bildes Christi. Sie versicherten dem Paulus, dass sie nicht aufgehört hätten, ihn zu lieben, dass sie ihn nie vergessen würden und dass sie ihm dankbar seien für die freudige Hoffnung, die ihr Leben durchdringe und ihnen Frieden mit Gott verleihe. Wenn es ihnen gestattet worden wäre, hätten sie Paulus am liebsten auf ihren Schultern bis hin zur Stadt getragen. DAp.294.2 Teilen

Als der Apostel seine Glaubensbrüder sah, „dankte er Gott und gewann Zuversicht“. Apostelgeschichte 28,15. Wenige mögen die Bedeutung dieser Worte ganz ermessen. Inmitten der weinenden, mitfühlenden Gläubigen, die sich seiner Fesseln nicht schämten, pries der Apostel Gott mit lauter Stimme. Die Wolke der Traurigkeit, die sein Gemüt bedrückt hatte, war verschwunden. Wohl war sein Christenleben eine ununterbrochene Folge von Anfechtungen, Leid und Enttäuschungen gewesen, doch in dieser Stunde fühlte er sich für alles reichlich entschädigt. Mit festem Schritt und freudigem Herzen setzte er seinen Weg fort. Er wollte weder über die Vergangenheit klagen noch sich vor der Zukunft fürchten. Gefängnis und Trübsal warteten auf ihn, das wusste er. Doch er wusste auch, dass durch ihn Menschen von einer viel schrecklicheren Knechtschaft befreit worden waren. Deshalb freute er sich seiner Leiden um Christi willen. DAp.294.3 Teilen

In Rom übergab der Hauptmann Julius seine Gefangenen dem Befehlshaber der kaiserlichen Wache. Der gute Bericht, den er über Paulus verfasste, sowie der Brief von Festus bewirkten, dass der Oberhauptmann Paulus wohlwollend beurteilte. Anstatt ihn ins Gefängnis legen zu lassen, erlaubte er ihm, in seinem eigenen Haus zur Miete zu wohnen. Obwohl er weiterhin an einen Kriegsknecht gekettet blieb, durfte er doch jederzeit seine Freunde empfangen und für den Fortgang der Sache Christi wirken. DAp.294.4 Teilen

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Viele Juden, die einige Jahre zuvor aus Rom verbannt worden waren, hatten die Erlaubnis erhalten, wieder dorthin zurückzukehren und waren nun in großer Zahl dort. Diese wollte Paulus zu allererst über sich und über seine Tätigkeit unterrichten, ehe seine Feinde Gelegenheit hätten, sie gegen ihn aufzuwiegeln. So rief er drei Tage nach seiner Ankunft in Rom die leitenden Männer der Juden zusammen und berichtete ihnen schlicht und sachlich, weshalb er als Gefangener nach Rom gekommen war. DAp.295.1 Teilen

„Ihr Männer, liebe Brüder“, sagte er, „ich habe nichts getan wider unser Volk noch wider väterliche Sitten und bin doch als Gefangener aus Jerusalem übergeben in der Römer Hände, die mich, nachdem sie mich verhört hatten, losgeben wollten, weil nichts an mir war, das den Tod verdient hätte. Da aber die Juden dawider redeten, ward ich genötigt, mich auf den Kaiser zu berufen; nicht, als hätte ich mein Volk um etwas zu verklagen. Um dieser Ursache willen habe ich euch gebeten, dass ich euch sehen und sprechen dürfte; denn um der Hoffnung Israels willen trage ich diese Kette.“ Apostelgeschichte 28,17-20. DAp.295.2 Teilen

Er sagte nichts über die Misshandlungen, die er von den Juden zugefügt bekommen hatte, auch nichts über ihre wiederholten Anschläge gegen ihn. Seine Worte waren dagegen vorsichtig und freundlich. Er wollte nicht die Aufmerksamkeit auf sich lenken oder Mitgefühl erregen, sondern vielmehr die Wahrheit verteidigen und für die Ehre des Evangeliums einstehen. DAp.295.3 Teilen

Seine Zuhörer erwiderten, dass weder durch öffentliche noch private Briefe irgendwelche Klagen gegen ihn eingegangen seien und dass ihn keiner der nach Rom gekommenen Juden irgendeines Verbrechens bezichtigt habe. Sie erwähnten aber auch, dass sie sehr gern den Grund für seinen Glauben an Christus erfahren wollten. „Denn von dieser Sekte“, so erklärten sie, „ist uns kund, dass ihr wird an allen Enden widersprochen.“ Apostelgeschichte 28,22. DAp.295.4 Teilen

Da sie es selbst wünschten, vereinbarte Paulus mit ihnen einen Tag, an dem er ihnen die Botschaft des Evangeliums verkündigen könnte. Zur vorgesehenen Zeit „kamen viele zu ihm in die Herberge, welchen er auslegte und bezeugte das Reich Gottes und predigte ihnen von Jesus aus dem Gesetz des Mose und aus den Propheten von frühmorgens an bis an den Abend“. Apostelgeschichte 28,23. Er erzählte seine eigenen Erfahrungen und brachte schlicht und eindringlich die Beweise aus dem Alten Testament vor. DAp.295.5 Teilen

Der Apostel zeigte auf, dass Religion nicht in bloßen Gebräuchen und äußeren Formen, in Glaubensbekenntnissen und Lehrsätzen bestehe. Wäre dies der Fall, dann könnte sie der normale Mensch durch Untersuchungen herausfinden, wie er auch irdische Dinge zu begreifen vermag. Paulus lehrte, dass wahrer Glaube eine wirkende, errettende Kraft ist, die ausschließlich von Gott ausgeht und die der Mensch durch Wiedergeburt und Erneuerung erfährt. DAp.295.6 Teilen

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Er zeigte, wie schon Mose das Volk Israel auf Christus hingewiesen habe als auf den Propheten, den sie hören sollten, und wie alle Propheten von ihm als Gottes alleiniges Heilmittel gegen die Sünde gezeugt hätten, von dem Einen, der als Schuldloser die Sünde der Schuldigen tragen sollte. Er tadelte sie nicht wegen ihrer Befolgung äußerer Formen und religiöser Bräuche, sondern zeigte ihnen, dass sie, während sie den zeremoniellen Vorschriften mit großer Genauigkeit nachkamen, den verwarfen, auf den alles hinwies. DAp.296.1 Teilen

Paulus erklärte, dass er vor seiner Bekehrung Christus nicht persönlich gekannt habe, sondern sich — wie alle anderen — seine eigene Vorstellung von dem Wesen und Wirken des kommenden Messias gemacht habe. Weil Jesus von Nazareth diesen Vorstellungen nicht entsprach, habe er ihn als einen Betrüger verworfen. Nun aber sei sein Verständnis von Christus und dessen Sendung weit geistlicher und höher, weil er selbst eine Bekehrung erlebt habe. Der Apostel betonte, dass es ihm nicht darum gehe, Christus nach dem Fleisch darzustellen. Wohl hatte Herodes Christus leiblich sehen können, ebenso Hannas, Pilatus, die Priester und Obersten, sowie die römischen Kriegsknechte, aber sie hatten ihn nicht mit den Augen des Glaubens und nicht als den verherrlichten Erlöser gesehen. Christus im Glauben zu erfassen und geistlich mit ihm verbunden zu sein, sei viel bedeutungsvoller, als ihn während seines Erdenlebens persönlich gekannt zu haben. Solche Gemeinschaft mit Christus, die Paulus so froh mache, sei inniger und dauerhafter als jede menschliche Freundschaft auf Erden es sein kann. DAp.296.2 Teilen

Als Paulus nun davon sprach, was er von Jesus von Nazareth als der Hoffnung Israels alles wusste, und von dem Zeugnis gab, was er gesehen hatte, da wurden alle überzeugt, die aufrichtig nach Wahrheit suchten. Auf einige machten seine Worte zumindest einen unauslöschlichen Eindruck. Andere jedoch weigerten sich hartnäckig, das klare Zeugnis der Schrift anzunehmen, obwohl es ihnen von einem gegeben wurde, der vom Heiligen Geist sichtlich erleuchtet war. Sie konnten seine Ausführungen zwar nicht widerlegen, weigerten sich jedoch, entsprechende Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. DAp.296.3 Teilen

Nach der Ankunft des Apostels in Rom vergingen viele Monate, ehe die Juden von Jerusalem eintrafen, um ihre Anklagen gegen den Gefangenen vorzubringen. Wiederholt waren ihre Absichten durchkreuzt worden, und jetzt, da Paulus vor dem höchsten Gerichtshof des Römischen Reiches verhört werden sollte, wollten sie sich keiner weiteren Niederlage aussetzen. Lysias, Felix, Festus und Agrippa hatten gesagt, dass sie von seiner Unschuld überzeugt wären. So konnten seine Feinde nur dann auf Erfolg hoffen, wenn es ihnen gelang, den Kaiser durch Ränkespiele für sich zu gewinnen. Eine Verzögerung konnte ihren Plänen nur weiterhelfen, denn dadurch gewannen sie Zeit, ihre Pläne zu schmieden und auszuführen. Deshalb warteten sie eine Zeitlang, ehe sie ihre Anklagen persönlich gegen den Apostel vorbrachten. DAp.296.4 Teilen

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Nach Gottes Vorsehung trug diese Verzögerung jedoch zur Förderung des Evangeliums bei. Durch das Entgegenkommen derer, die Paulus in Gewahrsam hatten, durfte er in einem geräumigen Haus wohnen, wo er ohne jede Behinderung mit seinen Freunden zusammenkommen konnte, um täglich denen die Wahrheit auszulegen, die es hören wollten. So konnte er zwei Jahre lang seine Arbeit tun. Er „predigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus Christus mit allem Freimut ungehindert“. Apostelgeschichte 28,31. DAp.297.1 Teilen

Während dieser Zeit vergaß er auch nicht die Gemeinden, die er in vielen Ländern gegründet hatte. Er kannte die Gefahren, die den zum neuen Glauben Bekehrten drohten. Deshalb versuchte der Apostel soweit wie möglich durch Briefe, die Mahnungen und praktische Unterweisungen enthielten, auf ihre Nöte und Anliegen einzugehen. Zudem sandte er Gott geweihte Mitarbeiter von Rom aus zum Dienst nicht nur in diese Gemeinde, sondern auch in Gebiete, die er selbst nicht besucht hatte. Diese Mitarbeiter setzten als weise Hirten das von Paulus begonnene Werk erfolgreich fort. Durch die ständige Verbindung mit ihnen war der Apostel über den Stand der Gemeinden, sowie über die ihnen drohenden Gefahren gut unterrichtet, so dass er über alle eine weise Aufsicht ausüben konnte. DAp.297.2 Teilen

Obwohl es schien, als sei Paulus von jeder Möglichkeit zu aktiver Arbeit am Werk Gottes gehindert, war sein Einfluss nun weitreichender und nachhaltiger als in den früheren Jahren, da er die Gemeinden noch persönlich besuchen konnte. Als Gefangener des Herrn waren ihm nun die Brüder mehr zugetan. Die Worte, die er ihnen als ein um Christi willen Gebundener schrieb, fanden mehr Aufmerksamkeit und Beachtung als in jenen Tagen, da er noch persönlich unter ihnen weilte. Erst jetzt, als Paulus ihnen genommen war, erkannten die Gläubigen, wie viel Schweres er um ihretwillen ertragen hatte. Bisher hatten sie sich aller Verantwortung und aller Lasten größtenteils mit der Begründung entzogen, dass ihnen seine Weisheit, sein Anpassungsvermögen und seine unbezwingliche Tatkraft fehlten. Jetzt aber, da sie in ihrer Unerfahrenheit lernen mussten, was sie sonst von sich gewiesen hätten, schätzten sie seine Mahnungen, Ratschläge und Unterweisungen viel mehr als sein vorheriges persönliches Wirken. Als sie von seinem Mut und Glauben während der langen Gefangenschaft vernahmen, wurden sie zu größerer Treue und wachsendem Eifer für die Sache Christi angespornt. DAp.297.3 Teilen

Zu den Gehilfen des Apostels Paulus in Rom gehörten viele seiner früheren Gefährten und Mitarbeiter. Lukas, „der Arzt, der Geliebte“ (Kolosser 4,14) der ihn auf seiner Reise nach Jerusalem begleitet hatte und während der zweijährigen Gefangenschaft in Cäsarea bei ihm gewesen war, und der ihm auch während der gefahrvollen Reise nach Rom treu zur Seite gestanden hatte, war noch immer bei ihm. Auch Timotheus half ihm, seine Last zu tragen. Kolosser 1,1. Auch „Tychikus, der liebe Bruder und getreue Diener und Mitknecht in dem Herrn“ (Kolosser 4,7), stand dem Apostel selbstlos bei. Ferner waren Demas und Markus bei ihm. Kolosser 4,10.14. Aristarchus und Epaphras waren sogar seine Mitgefangenen. Kolosser 4,10.12. DAp.297.4 Teilen

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Markus hatte im Laufe der Jahre an christlicher Erfahrung zugenommen. Nachdem er sich gründlich mit dem Leben und Sterben Christi befasste, hatte er ein tieferes Verständnis gewonnen für die Sendung des Heilandes sowie für deren Schwierigkeiten und Kämpfe. Als Markus in den Wundmalen in Jesu Händen und Füßen die Zeichen des Dienstes Christi für die Menschheit und seiner unermesslichen Selbstverleugnung zur Rettung der Verlorenen und Untergehenden erkannte, war er bereit geworden, dem Meister auf dem Pfad der Selbstaufopferung zu folgen. Als er nun mit Paulus das Los eines Gefangenen teilte, erkannte er besser als je zuvor, welch unendlicher Gewinn es ist, Christus zu besitzen. Unwiederbringlicher Verlust aber ist es, die Welt zu erwerben und dafür die Seele zu verlieren, für deren Erlösung Christus sein Blut vergossen hat. So blieb Markus standhaft auch angesichts der schwersten Anfechtungen und Widerwärtigkeiten und war ein verständiger und geliebter Helfer des Apostels. DAp.298.1 Teilen

Demas jedoch, der eine gewisse Zeit standhaft gewesen war, gab aber später die Sache Christi auf. Über ihn schrieb Paulus: „Demas hat mich verlassen und diese Welt liebgewonnen.“ 2.Timotheus 4,10. Für weltlichen Gewinn tauschte Demas alles ein, was von hoher und edler Bedeutung war. Wie kurzsichtig war doch dieser Tausch! Trotz des Besitzes irdischen Reichtums und weltlicher Ehre war Demas im Grund genommen doch ein armer Mensch, mochte er auch noch so viel sein eigen nennen. Markus dagegen, der sich entschieden hatte, für Christus zu leiden, besaß unvergänglichen Reichtum und wurde im Himmel als Gottes Erbe und Jesu Miterbe angesehen. DAp.298.2 Teilen

Unter denen, die durch den Dienst des Paulus in Rom ihr Herz Gott übergaben, war Onesimus, ein heidnischer Sklave, der seinem Herrn Philemon, einem Gläubigen in Kolossäa, Schaden zugefügt hatte und nach Rom geflohen war. In seiner Herzensgüte suchte Paulus zunächst die Armut und das Leid dieses unglücklichen Flüchtlings zu lindern, und dann bemühte er sich, seinen verfinsterten Geist mit dem Licht der Wahrheit zu erhellen. Onesimus hörte auf das Wort des Lebens, bekannte seine Sünden und bekehrte sich zum Glauben an Christus. DAp.298.3 Teilen

Durch seine Frömmigkeit und Aufrichtigkeit, durch seine freundliche Fürsorge für Paulus und durch seinen Eifer, das Evangelium zu fördern, erwarb sich Onesimus die Zuneigung des Apostels. Paulus entdeckte in ihm Wesenszüge, die versprachen, dass aus ihm ein nützlicher Helfer in der Missionsarbeit würde. Er riet ihm, ohne zu zögern zu Philemon zurückzukehren, ihn um Verzeihung zu bitten und Pläne für die Zukunft zu legen. Der Apostel versprach ihm auch, für das Geld aufzukommen, das Onesimus dem Philemon genommen hatte. Da er gerade Tychikus mit Briefen zu verschiedenen Gemeinden in Kleinasien senden wollte, schickte er Onesimus mit ihm. Es war eine schwere Probe für den einstigen Sklaven, sich selbst seinem Herrn auszuliefern, dem er Unrecht zugefügt hatte. Doch da er wirklich bekehrt war, entzog er sich nicht dieser Pflicht. DAp.298.4 Teilen

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Paulus übergab Onesimus einen Brief an Philemon, in dem er sich mit dem ihm eigenen Zartgefühl und Wohlwollen für den reumütigen Sklaven einsetzte und den Wunsch äußerte, Onesimus möge ihm künftig zum Dienst zur Verfügung stehen. Der Brief begann mit einem herzlichen Gruß an Philemon, den Freund und Mitarbeiter: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unsrem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Ich danke meinem Gott allezeit, wenn ich deiner gedenke in meinen Gebeten — denn ich höre von der Liebe und dem Glauben, die du hast an den Herrn Jesus und gegenüber allen Heiligen ?, dass der Glaube, den wir miteinander haben, in dir kräftig werde in Erkenntnis all des Guten, das wir haben, in Christus.“ Philemon 3-6. Der Apostel erinnerte Philemon daran, dass er jeden guten Vorsatz und jede gute Charaktereigenschaft, die er besaß, der Gnade Christi verdanke, und dass dies allein ihn von den verderbten und sündhaften Menschen unterscheide. Dieselbe Gnade könne auch aus einem verkommenen Verbrecher ein Gotteskind und einen nützlichen Arbeiter am Evangelium machen. DAp.299.1 Teilen

Paulus hätte Philemon dazu drängen können, an seine Christenpflicht zu denken, doch er wählte lieber die Sprache des Bittenden: „Ich ... Paulus, ein alter Mann, nun aber auch ein Gefangener Christi Jesu ... ermahne ... dich um meines Sohnes willen, Onesimus, den ich gezeugt habe in der Gefangenschaft, der dir früher unnütz war, jetzt aber dir und mir sehr nützlich ist.“ Philemon 9-11. DAp.299.2 Teilen

Der Apostel bat Philemon, da Onesimus sich bekehrt habe, den reumütigen Sklaven wie sein eigenes Kind anzunehmen und ihm solche Liebe zu erweisen, dass er gern bei seinem ehemaligen Herrn bleibe, „nun nicht mehr wie einen Knecht, sondern mehr als einen Knecht als einen lieben Bruder“. Philemon 16. Er wünschte sich, dass Philemon doch Onesimus zu ihm zurücksenden möge, damit dieser ihm in seiner Gefangenschaft dienen könne, so wie Philemon es selbst gern getan hätte. Er wolle den Dienst von Onesimus aber nur annehmen, wenn Philemon bereit sei, aus eigenem Antrieb den Sklaven freizugeben. DAp.299.3 Teilen

Der Apostel wusste zu gut, mit welcher Strenge die Herren damals ihre Sklaven behandelten und dass auch Philemon über das Verhalten seines Knechtes höchst ungehalten war. Deshalb bemühte er sich, sein Schreiben so abzufassen, dass die tiefsten und zartesten christlichen Empfindungen in ihm wachgerufen würden. Durch die Bekehrung war Onesimus ein Glaubensbruder geworden. Jede Strafe, die man ihm zufügte, musste Paulus als ihm persönlich angetan betrachten. DAp.299.4 Teilen

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Der Apostel erklärte sich auch dazu bereit, für die Schuld des Onesimus aufzukommen, damit dem einstigen Sklaven die Schande der Bestrafung erspart bliebe und er sich wieder der Vorrechte erfreuen dürfe, die er verwirkt hatte. „Wenn du mich nun“, so schrieb Paulus an Philemon, „für deinen Freund hältst, so wollest du ihn aufnehmen wie mich selbst. Wenn er aber dir Schaden getan hat oder etwas schuldig ist, das rechne mir an. Ich, Paulus, schreibe das mit meiner Hand : Ich will‘s bezahlen.“ Philemon 17-19. DAp.300.1 Teilen

Welch passende Darstellung der Liebe Christi zum reumütigen Sünder! Der Knecht, der seinen Herrn betrogen hatte, besaß nichts, um den Schaden zu ersetzen. Der Sünder, der jahrelang Gott des Dienstes beraubt hat, kann seine Schuld ebenfalls nicht begleichen. Jesus aber tritt zwischen den Sünder und Gott und erklärt: Ich will die Schuld bezahlen. Verschone den Sünder; ich will an seiner Stelle leiden. DAp.300.2 Teilen

Nachdem Paulus sich angeboten hatte, die Schuld des Onesimus zu begleichen, erinnerte er Philemon daran, wie viel dieser selbst ihm verpflichtet sei. Er verdankte ihm sein eigenes Selbst, seit Gott durch Paulus seine Bekehrung bewirkt hatte. Alsdann bat er Philemon feinfühlend und ernsthaft, er möge, so wie er durch seine Freigebigkeit die Heiligen erquickt habe, nun auch das Herz des Apostels erquicken und ihm diese Freude gewähren. „Ich habe“, fügte er hinzu, „im Vertrauen auf deinen Gehorsam dir geschrieben; und ich weiß, du wirst mehr tun, als ich sage.“ Philemon 21. DAp.300.3 Teilen

Der Brief des Apostels an Philemon zeigt die Wirkung des Evangeliums auf das Verhältnis zwischen Herren und Knechten. Sklaverei war im Römischen Reich eine anerkannte Einrichtung, und zu den meisten Gemeinden, in denen Paulus wirkte, gehörten Herren und auch Sklaven. In den Städten, wo es oft mehr Sklaven als freie Bürger gab, waren äußerst harte Gesetze erlassen worden, um die Sklaven unterwürfig zu halten. Einem wohlhabenden Römer gehörten mitunter Hunderte von Sklaven aus den verschiedensten Ständen, Völkern und Berufen. Da er volle Gewalt über Leib und Leben dieser Hilflosen besaß, konnte er ihnen willkürlich irgendwelche Strafen auferlegen. Wagte es nun einer von ihnen, aus Wiedervergeltung oder in Notwehr die Hand gegen seinen Besitzer zu erheben, so konnte es geschehen, dass die ganze Familie des Missetäters unmenschlich dafür büßen musste. Schon geringe Versehen, Unfälle oder Unachtsamkeiten wurden oft unbarmherzig bestraft. DAp.300.4 Teilen

Es gab aber auch Herren, die menschlicher empfanden und ihre Sklaven freundlich behandelten. Doch die meisten Wohlhabenden und Reichen frönten uneingeschränkt ihren Leidenschaften und Begierden und erniedrigten ihre Sklaven zu bedauernswerten Opfern ihrer Launen und ihrer Tyrannei. Eine solche Gesellschaftsordnung konnte nur zu hoffnungslosem Niedergang führen. DAp.300.5 Teilen

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Es war nicht die Aufgabe des Apostels, eigenmächtig oder vorschnell die bestehende gesellschaftliche Ordnung zu stürzen. Ein solcher Versuch hätte den Fortgang der Evangeliumsverkündigung in Frage gestellt. Er lehrte aber Grundsätze, durch die die Sklaverei an der Wurzel getroffen wurde. Wo man dann diese Lehren ernst nahm, musste die ganze Gesellschaftsordnung erschüttert werden. „Wo ... der Geist des Herrn ist; da ist Freiheit“ (2.Korinther 3,17), erklärte er. Durch seine Bekehrung wurde der Sklave ein Glied am Leibe Christi. Als solches musste er wie ein Bruder geliebt und behandelt werden. Wie sein Herr, so war auch er Miterbe der Segnungen Gottes und der Gnadengaben des Evangeliums. Andererseits sollten die Sklaven ihren Pflichten nachkommen, „nicht mit Dienst allein vor Augen, um den Menschen zu gefallen, sondern als Knechte Christi, die den Willen Gottes tun von Herzen.“ Epheser 6,6. DAp.301.1 Teilen

So wurde durch das Christentum ein starkes Band der Gemeinschaft geknüpft zwischen Herren und Sklaven, Königen und Untertanen, zwischen dem Diener des Evangeliums und dem tief gefallenen Sünder, der durch Christus die Reinigung von aller Sünde erhalten hat. Alle sind in dem gleichen Blut gewaschen, vom gleichen Geist belebt und eins in Christus Jesus. DAp.301.2 Teilen

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