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Kapitel 39: Das Verhör in Cäsarea
Kapitel 39: Das Verhör in Cäsarea
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Auf Grundlage von Apostelgeschichte 24. DAp.274 Teilen

Fünf Tage nach der Ankunft von Paulus in Cäsarea trafen seine Verkläger aus Jerusalem dort ein, begleitet von Tertullus, einem Redner, den sie sich zum Anwalt genommen hatten. Der Fall kam schnell zur Verhandlung. Paulus wurde vor die Versammelten gebracht, und dann „fing Tertullus an, ihn zu verklagen“. In der Meinung, dass er durch Schmeicheleien einen stärkeren Eindruck auf den römischen Landpfleger machen würde als durch eine sachliche Darlegung des Sachverhalts, gegründet auf Wahrheit und Gerechtigkeit, begann der verschlagene Anwalt seine Ausführungen mit einem Lobpreis auf Felix: „Dass wir in großem Frieden leben unter dir und dass diesem Volk viele Wohltaten widerfahren sind durch deine Fürsorge, edelster Felix, das erkennen wir allezeit und überall mit aller Dankbarkeit an.“ Apostelgeschichte 24,2f. DAp.274.1 Teilen

Tertullus ließ sich hier zu einer schamlosen Lüge verleiten, denn der Landpfleger Felix war von niedriger, verabscheuungswerter Gesinnung. Von ihm hieß es, dass er „in jeder Art von Tyrannei und Willkür Königsrecht mit Sklavenlaune übte“. Tacitus, Die Historien, V, 9 Die Tertullus zuhörten, wussten, dass seine Schmeicheleien Lügen waren; aber ihr Verlangen Paulus verurteilt zu sehen, war stärker als ihre Liebe zur Wahrheit. DAp.274.2 Teilen

In seiner Rede legte Tertullus dem Paulus Verbrechen zur Last, die eine Verurteilung wegen Hochverrats zur Folge gehabt hätten, wären sie nachweisbar gewesen. „Wir haben erkannt“, erklärte er, „dass dieser Mann schädlich ist und dass er Aufruhr erregt unter allen Juden auf dem ganzen Erdkreis und dass er ein Anführer der Sekte der Nazarener ist. Er hat auch versucht, den Tempel zu entweihen.“ Apostelgeschichte 24,5f. DAp.274.3 Teilen

Dann behauptete Tertullus, Lysias, der Befehlshaber der Garnison in Jerusalem, habe Paulus mit Gewalt den Juden entrissen, als sie ihn gerade nach ihrem Kirchenrecht richten wollten. Dadurch seien sie gezwungen worden, die Sache vor Felix zu bringen. Diese Aussagen sollten den Landpfleger veranlassen, Paulus an den jüdischen Gerichtshof auszuliefern. Alle Anklagen wurden von den anwesenden Juden leidenschaftlich unterstützt. Sie bemühten sich überhaupt nicht, ihren Hass auf den Gefangenen zu verbergen. Doch Felix besaß genügend Scharfsinn, um die Gesinnung und das Wesen der Ankläger des Apostels zu durchschauen. Er wusste, aus welchen Beweggründen sie ihm geschmeichelt hatten und erkannte auch, dass sie ihre Anklagen gegen Paulus nicht hätten begründen können. Nun forderte er den Angeklagten auf, sich selbst zu verantworten. Paulus vergeudete kein Wort auf bloße Höflichkeiten, sondern sagte schlicht und einfach, dass er sich um so freudiger vor Felix verteidigen könne, da dieser schon längere Zeit Landpfleger sei und deshalb ein gutes Verständnis für die jüdischen Gesetze und Gebräuche habe. „Sie haben mich“, sagte er, „weder im Tempel noch in den Synagogen noch in der Stadt dabei gefunden, wie ich mit jemandem gestritten oder einen Aufruhr im Volk gemacht hätte. Sie können dir auch nicht beweisen, wessen sie mich jetzt verklagen.“ Apostelgeschichte 24,12f. DAp.274.4 Teilen

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Während er bekannte, dass er „nach der Lehre, die sie eine Sekte heißen“, dem Gott seiner Väter diene, versicherte er zugleich, dass er immer geglaubt habe „allem, was geschrieben steht im Gesetz und in den Propheten“. Apostelgeschichte 24,14. In Übereinstimmung mit den klaren Lehren der Schrift halte er am Glauben an die Auferstehung der Toten fest. Weiter erklärte er, dass es der oberste Grundsatz seines Lebens sei, „ein unverletztes Gewissen zu haben vor Gott und den Menschen.“ Apostelgeschichte 24,16. DAp.275.1 Teilen

Offen und ohne Umschweife berichtete er von dem Zweck seines Besuchs in Jerusalem sowie von den Umständen, die zu seiner Verhaftung und zum Verhör geführt hatten. „Nach mehreren Jahren aber bin ich gekommen, um Almosen für mein Volk zu überbringen und zu opfern. Als ich mich im Tempel reinigte, ohne Auflauf und Getümmel, fanden mich dabei einige Juden aus der Provinz Asien. Die sollten jetzt hier sein vor dir und mich verklagen, wenn sie etwas gegen mich hätten. Oder lass diese hier selbst sagen, was für ein Unrecht sie gefunden haben, als ich vor dem Hohen Rat stand; es sei denn dies ‚eine‘ Wort, das ich rief, als ich unter ihnen stand: Um der Auferstehung der Toten willen werde ich von euch heute angeklagt.“ Apostelgeschichte 24,17-21. DAp.275.2 Teilen

Der Apostel sprach entschieden und mit erkennbarer Aufrichtigkeit. Seine Worte wirkten überzeugend. Klaudius Lysias hatte in seinem Brief an Felix dem Apostel ein ähnliches Zeugnis über dessen Verhalten ausgestellt. Überdies kannte Felix die jüdische Religion besser, als viele vermuteten. Durch die schlichte Darlegung der Tatsachen, wie sie Paulus gab, gewann Felix einen noch besseren Einblick in die Beweggründe, von denen sich die Juden bei dem Versuch leiten ließen, den Apostel des Aufruhrs und des Verrats für schuldig zu erklären. Der Landpfleger konnte ihnen nicht die Gefälligkeit erweisen, einen römischen Bürger ungerechterweise zu verurteilen. Genausowenig wollte er ihnen Paulus ausliefern, damit sie ihn ohne rechtmäßiges Gerichtsverfahren umbrächten. Dennoch kannte Felix keinen höheren Beweggrund als seinen persönlichen Vorteil. Ihn beherrschte das Verlangen nach Anerkennung und Vorwärtskommen. Die Furcht davor, die Juden zu beleidigen, hinderte ihn schließlich daran, einem Mann volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, von dessen Unschuld er überzeugt war. Deshalb beschloss er, die Gerichtsverhandlung zu vertagen, bis Lysias anwesend sein könne. „Wenn der Oberst Lysias herabkommt, so will ich eure Sache entscheiden.“ Apostelgeschichte 24,22. DAp.275.3 Teilen

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Damit blieb der Apostel ein Gefangener. Felix befahl lediglich dem Hauptmann, der für Paulus verantwortlich war, ihn „in leichtem Gewahrsam“ zu behalten, „und niemandem von den Seinen zu wehren, ihm zu dienen.“ Apostelgeschichte 24,23. DAp.276.1 Teilen

Nicht lange darauf ließen Felix und seine Frau Drusilla Paulus kommen, um in einem vertraulichen Gespräch etwas „über den Glauben an Jesus Christus“ (Apostelgeschichte 24,24) zu hören. Sie waren bereit, ja sogar begierig, diese neuen Lehren zu hören — Wahrheiten, die sie möglicherweise nie wieder hören, und die am Jüngsten Tag gegen sie zeugen würden, wenn sie sie ablehnten. DAp.276.2 Teilen

Paulus betrachtete dies als eine ihm von Gott gegebene Gelegenheit, die er auch treu nutzte. Er wusste schon, dass er sich in der Gegenwart dessen befand, der Macht hatte, ihn zum Tod zu verurteilen oder ihm die Freiheit zu schenken. Dennoch richtete er keine Lob- und Schmeichelworte an Felix und Drusilla. Ihm war bewusst, dass seine Worte für sie ein Geruch zum Leben oder zum Tod sein würden. Deshalb stellte er alle selbstsüchtigen Überlegungen beiseite und versuchte ihnen die Gefahr deutlich zu machen, in der sie standen. DAp.276.3 Teilen

Dem Apostel war klar, dass das Evangelium an alle Forderungen stellt, die es hören und sie eines Tages entweder zu den Reinen und Heiligen gehören, die den großen, weißen Thron umstehen, oder aber zu denen, an die Christus das Wort richtet: „Weicht von mir, ihr Übeltäter!“ Matth.7,23 Er wusste, dass er vor dem himmlischen Gericht jedem einzelnen seiner Zuhörer gegenübergestellt werden wird, um Rechenschaft abzulegen nicht nur über das, was er gesagt und getan hatte, sondern auch über den Geist und die Motive für seine Worte und Taten. DAp.276.4 Teilen

Felix war bisher so gewalttätig und grausam gewesen, dass nur wenige gewagt hätten, ihm gegenüber auch nur anzudeuten, dass sein Charakter und sein Verhalten nicht einwandfrei sei. Paulus aber kannte keine Menschenfurcht. Frei bezeugte er seinen Glauben an Christus und erläuterte dann die Gründe für diesen Glauben. Das veranlasste ihn auch, von den Tugenden zu sprechen, die für einen christlichen Charakter zwingend notwendig sind, die aber dem stolzen Paar völlig fehlten. DAp.276.5 Teilen

Paulus hielt Felix und Drusilla das Wesen Gottes vor Augen — seine Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit und Unparteilichkeit, sowie das Wesen seines Gesetzes. Er zeigte ihnen deutlich, dass es die Pflicht jedes Menschen sei, sich um ein nüchternes, enthaltsames Lebens zu bemühen, seine Neigungen durch die Vernunft dem Gesetz Gottes zu unterwerfen und die körperlichen und geistigen Kräfte gesund zu erhalten. Zudem erklärte er, dass ganz bestimmt mit dem „zukünftigen Gericht“ zu rechnen sei, an dem alle Menschen nach den Werken, die sie zu Lebzeiten getan haben, ihren Lohn empfangen würden. Dann werde offenbar werden, dass Reichtum, Stellung und Titel dem Menschen nicht Gottes Wohlgefallen erwirken und ihn auch nicht von den Folgen der Sünde befreien können. Er zeigte, dass dieses Leben für den Menschen eine Zeit der Vorbereitung auf das künftige Leben sei. Wer die ihm gegebenen Möglichkeiten missachte, werde ewigen Verlust erleiden, da ihm keine neue Gnadenzeit gewährt würde. DAp.276.6 Teilen

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Besonders eindringlich sprach Paulus von den weitreichenden Forderungen des Gesetzes Gottes. Er zeigte auf, wie es bis in die tiefste Verborgenheit des sittlichen Lebens eindringt und einen hellen Lichtstrahl auf das wirft, was vor den Augen und der Kenntnis anderer verborgen ist. Was immer die Hände tun mögen oder was die Zunge aussprechen mag, überhaupt alles was das äußere Leben ausmacht, stellt den menschlichen Charakter nur unvollkommen dar. Das Gesetz aber erforscht die Gedanken, Beweggründe und Absichten. Es verurteilt die geheimen Regungen, die dem menschlichen Blick verborgen sind, wie Eifersucht, Hass und Ehrgeiz, sowie die schlechten Gedanken, mit denen man im stillen umgeht und nur aus Mangel an Gelegenheit niemals ausgeführt werden. DAp.277.1 Teilen

Paulus versuchte, die Gedanken seiner Zuhörer auf das eine große Opfer für die Sünder zu lenken. Zunächst wies er auf die Opfer hin, die nur ein Abglanz zukünftiger Güter waren, und zeigte dann, wie in Christus alle Opfervorschriften ihre Erfüllung fänden, da sie auf Ihn als die einzige Quelle des Lebens und der Hoffnung für die gefallene Menschheit hinwiesen. Auch heilige Männer damals seien allein durch den Glauben an Christi Blut erlöst worden. Beim Anblick des Todeskampfes der Opfertiere schauten sie über die Jahrhunderte hin auf Gottes Lamm, das der Welt Sünde tragen sollte. DAp.277.2 Teilen

Gott hat zu Recht Anspruch auf die Liebe und den Gehorsam seiner Geschöpfe. Mit seinem Gesetz hat er ihnen einen vollkommenen Maßstab für das gegeben, was recht ist. Aber viele vergessen ihren Schöpfer und ziehen es vor, entgegen seinem Willen ihre eigenen Wege einzuschlagen. Mit Feindschaft erwidern sie seine Liebe, die so hoch ist wie der Himmel und so weit wie das Weltall. Gott kann aber die Forderungen seines Gesetzes nicht herabsetzen, um einer gottlosen Menschheit entgegenzukommen. Der Mensch wiederum kann nicht aus eigener Kraft den Forderungen des Gesetzes gerecht werden. Nur durch den Glauben an Christus kann der Sünder von aller Schuld gereinigt werden und die Kraft erhalten, den Geboten seines Schöpfers gehorsam zu sein. So trat Paulus auch als Gefangener für die Forderungen ein, die das göttliche Gesetz sowohl den Juden als auch den Griechen stellt, und verkündigte Jesus, den verachteten Nazarener, als den Sohn Gottes, den Erlöser der Welt. DAp.277.3 Teilen

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Die jüdische Fürstin wusste genau um die Heiligkeit des Gesetzes, das sie schamlos übertreten hatte, doch ihr Vorurteil gegenüber dem Mann von Golgatha verhärtete ihr Herz auch gegenüber dem Wort des Lebens. Aber Felix, der die Wahrheit noch nie vernommen hatte, wurde unter dem überzeugenden Einfluss des Geistes Gottes tief in seinem Inneren bewegt. Sein erwachtes Gewissen regte sich, und Felix empfand die Wahrheit der Worte des Paulus. Er erinnerte sich an seine schuldhafte Vergangenheit. Mit erschreckender Deutlichkeit tauchten vor ihm die geheimen Geschehnisse seines früheren lasterhaften Lebens auf, das mit Blut befleckt war, sowie die ununterbrochene Kette schwerer Untaten in den späteren Jahren. Er erkannte, wie ausschweifend, grausam und habgierig er war. Nie zuvor war ihm die Wahrheit so zu Herzen gegangen und war sein Herz so von Entsetzen gepackt worden. Der Gedanke, dass alle Geheimnisse seines verbrecherischen Lebens vor dem Auge Gottes aufgedeckt seien und dass er nach seinen Werken gerichtet werden solle, ließ ihn vor Furcht zittern. Doch statt sich durch sein Schuldgefühl zur Buße leiten zu lassen, versuchte er sich dieser unwillkommenen Entscheidung zu entziehen. Er brach die Unterredung ab. „Für diesmal geh! Zu gelegener Zeit will ich dich wieder rufen lassen.“ Apostelgeschichte 24,25. DAp.278.1 Teilen

Welch ein großer Unterschied bestand doch zwischen dem Verhalten des Landpflegers und des Kerkermeisters zu Philippi! So wie Paulus jetzt vor Felix, waren damals die Boten Gottes gefesselt vor den Kerkermeister gebracht worden. Die Beweise göttlicher Kraft, die sie brachten, ihre Freudigkeit trotz Leiden und Schmach, ihre Furchtlosigkeit, als ein Beben die Erde erschütterte, und ihre christliche Vergebungsbereitschaft, all das hatte den Kerkermeister überzeugt, so dass er zitternd seine Sünden bekannte und Vergebung empfing. Auch Felix zitterte, aber er bereute nicht. Während der Kerkermeister den Geist Gottes freudig in sein Herz und Heim aufnahm, schickte Felix den Gottesboten fort. Der eine wurde ein Kind Gottes und Erbe des Himmels, der andere erwählte das Schicksal aller Übeltäter. DAp.278.2 Teilen

Zwei Jahre lang wurde nichts weiter gegen Paulus unternommen; dennoch blieb er gefangen. Felix besuchte ihn mehrere Male und hörte ihm aufmerksam zu. Der eigentliche Beweggrund für die scheinbare Freundlichkeit war jedoch sehr selbstsüchtig. Er machte Andeutungen, Paulus könnte gegen Entrichtung einer größeren Geldsumme die Freiheit erlangen. Apostelgeschichte 24,26. Paulus jedoch war zu ehrlich, um seine Freiheit durch Bestechung zu erkaufen. Er war keines Verbrechens schuldig, und so wollte er sich auch nicht dazu hergeben, durch ein Unrecht die Freiheit zu erlangen. Außerdem war er zu arm, um ein Lösegeld zahlen zu können, selbst wenn er es gewollt hätte. Das Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft der Gemeinden wollte er erst recht nicht in Anspruch nehmen. Außerdem wusste er sich in Gottes Hand und wollte nicht verhindern, was Gott über ihn beschlossen hatte. DAp.278.3 Teilen

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Felix wurde schließlich wegen grober Verfehlungen gegenüber den Juden nach Rom gerufen. Ehe er Cäsarea verließ, um dieser Vorladung nachzukommen, wollte er „den Juden eine Gunst erzeigen“ (Apostelgeschichte 24,27) und ordnete an, dass Paulus im Gefängnis verblieb. Dennoch vermochte er das Vertrauen der Juden nicht wiederzugewinnen. Er fiel in Ungnade und wurde seines Amtes enthoben. Zu seinem Nachfolger wurde Porcius Festus berufen, der seinen Hauptsitz in Cäsarea aufschlug. DAp.279.1 Teilen

Ein Strahl himmlischen Lichts war auf Felix gefallen, als Paulus mit ihm „von Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit und von dem zukünftigen Gericht“ gesprochen hatte. Der Himmel hatte ihm die Gelegenheit gegeben, seine Sünden zu erkennen und zu lassen. Aber Felix hatte zu dem Boten Gottes gesagt: „Für diesmal geh! Zu gelegener Zeit will ich dich wieder rufen lassen.“ Damit hatte er das letzte Angebot göttlicher Gnade ausgeschlagen, und nie wieder sollte ein Ruf Gottes an ihn ergehen. DAp.279.2 Teilen

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