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Kapitel 48: Paulus vor Nero
Kapitel 48: Paulus vor Nero
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Als Paulus zur Gerichtsverhandlung vor Kaiser Nero geladen wurde, war sein baldiger Tod ziemlich sicher zu erwarten. Das schwere Verbrechen, dessen man ihn beschuldigte, und die feindselige Gesinnung den Christen gegenüber ließen einen günstigen Ausgang kaum erhoffen. DAp.323.1 Teilen

Bei den Griechen und Römern war es üblich, jedem Angeklagten das Recht einzuräumen, sich einen Verteidiger zu nehmen, der ihn vor Gericht vertrat. Durch klare Beweisführung, schlagfertige Rede oder durch Anflehen, Bitten und Tränen gelang es solch einem Verteidiger manchmal, eine günstige Entscheidung für den Angeklagten herauszuholen oder, wenn dies misslang, zumindest die Härte des Urteils zu mildern. Als aber Paulus vor Nero geladen wurde, wagte niemand, für ihn als Ratgeber oder Verteidiger aufzutreten. Kein Freund war anwesend, der die gegen ihn erhobenen Anklagen oder die Argumente zu seiner Verteidigung aufgezeichnet hätte. Keiner der Christen in Rom wagte es, dem Apostel in dieser schweren Stunde beizustehen. DAp.323.2 Teilen

Den einzigen zuverlässigen Bericht über dieses Geschehen gibt Paulus in seinem zweiten Brief an Timotheus: „Bei meinem ersten Verhör stand mir niemand bei, sondern sie verließen mich alle. Es sei ihnen nicht zugerechnet. Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, damit durch mich die Botschaft ausgebreitet würde und alle Heiden sie hörten, so wurde ich erlöst aus dem Rachen des Löwen.“ 2.Timotheus 4,16f. DAp.323.3 Teilen

Paulus vor Nero — welch ein Gegensatz! Der hochmütige Herrscher, vor dem der Gottesmann sich um seines Glaubens willen zu verantworten hatte, stand auf dem Gipfel weltlicher Macht, irdischen Ansehens und Reichtums. Er hatte aber auch die tiefste Stufe an Laster und Bosheit erreicht. An Macht und Größe konnte sich niemand mit ihm vergleichen. Niemand wagte es, seine Autorität in Frage zu stellen, noch sich seinem Willen zu widersetzen. Fürsten legten ihre Kronen zu seinen Füßen nieder, mächtige Heere marschierten auf seinen Befehl, und die Flaggen seiner Flotten verkündeten Sieg. Sein Statue war in den Gerichtssälen aufgestellt und die Erlasse der Senatoren und die Entscheidungen der Richter waren nichts weiter als ein Echo seines Willens. Millionen beugten sich gehorsam seinen Anordnungen. Der Name Nero ließ die Welt erzittern. Sein Missfallen zu erregen, bedeutete meist den Verlust von Eigentum, Freiheit und dem Leben, sein tadelnder Blick war gefürchteter als die Pest. DAp.323.4 Teilen

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Ohne Geld, ohne Freunde und Ratgeber stand der Gefangene vor Nero — dem Kaiser, dessen Gesichtszüge ein beschämendes Zeugnis ablegten von den Leidenschaften, die in ihm tobten. Das Antlitz des Angeklagten dagegen kündete von einem Herzen voller Frieden mit Gott. Paulus hatte Armut kennengelernt, Selbstverleugnung geübt und Leiden ertragen. Obwohl seine Feinde ihn ständig verleumdeten, schmähten und beschimpften, hatte er das Banner des Kreuzes furchtlos hochgehalten. Gleich seinem Herrn war er ein heimatloser Wanderer gewesen und hatte wie er gelebt, um ein Segen für die Menschheit zu sein. Wie konnte Nero, dieser launische, jähzornige und lasterhafte Tyrann, das Wesen und die Beweggründe dieses Gottesmannes verstehen oder auch nur zu würdigen wissen! DAp.324.1 Teilen

Die weiträumige Halle war von vielen neugierigen und unruhigen Menschen angefüllt, die sich nach vorne schoben und drängten, um alles zu sehen und zu hören, was dort vor sich ging. Da gab es hochgestellte Persönlichkeiten und einfache Leute, Reiche und Arme, Gebildete und Ungebildete, Stolze und Bescheidene. Aber den Weg zum wahren Leben und zum Heil kannten sie alle nicht. DAp.324.2 Teilen

Die Juden erhoben gegen Paulus die alten Beschuldigungen des Aufruhrs und der Ketzerei. Gemeinsam mit den Römern bezichtigten sie ihn der Anstiftung des Brandes in der Stadt. Paulus aber bewahrte eine unerschütterliche Ruhe, als man diese Anklagen gegen ihn erhob. Verwundert schauten das Volk und die Richter auf ihn. Sie hatten schon vielen Gerichtsverhandlungen miterlebt, viele Verbrecher beobachtet, aber noch nie einen Mann gesehen, der so eine heilige Ruhe ausstrahlte, wie dieser Gefangene vor ihnen. Die scharfen Augen der Richter, die gewohnt waren, in den Gesichtszügen der Gefangenen zu lesen, suchten bei Paulus vergeblich nach irgendwelchen Anzeichen einer Schuld. Als ihm gestattet wurde, zu den Anklagen Stellung zu nehmen, lauschten alle gespannt seinen Worten. DAp.324.3 Teilen

Noch einmal hatte Paulus Gelegenheit, vor einer aufhorchenden Menschenmenge das Banner des Kreuzes aufzurichten. Als er die Menge vor sich erblickte, unter ihnen Juden, Griechen, Römer und Besucher aus verschiedenen Ländern, entbrannte sein Herz von dem Verlangen, ihnen den Weg des Heils zu zeigen. Darüber vergaß er völlig seine Umgebung und die drohenden Gefahren sowie das schreckliche Schicksal, das ihm unmittelbar bevorstand. Er sah nur noch Jesus, den Mittler, der vor Gott für die sündigen Menschen bittet. Mit mehr als menschlicher Beredsamkeit und Kraft verkündigte Paulus seinen Zuhörern das Evangelium. Er wies sie hin auf das für die sündige Menschheit gebrachte Opfer und zeigte auf, dass für die Erlösung des Menschen ein unvorstellbar hoher Preis bezahlt worden war. Gott habe Vorkehrungen getroffen, dass der Mensch seinen Anteil an der Herrschaft Gottes wiedererhalte. Durch Engel sei die Erde mit dem Himmel verbunden, so dass alle Taten der Menschen, ob gut oder böse, vor dem Auge der ewigen Gerechtigkeit offen seien. DAp.324.4 Teilen

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So plädierte der Verteidiger der Wahrheit. Gläubig unter Ungläubigen, treu unter Untreuen, stand er da als Gottes Repräsentant, und seine Stimme klang wie eine Stimme vom Himmel. Weder in seinen Worten noch in seinen Blicken war die geringste Spur von Furcht, Traurigkeit oder Entmutigung zu spüren. Im Bewusstsein seiner Unschuld und angetan mit der Rüstung der Wahrheit (Epheser 6,11-20), erfüllte ihn die Freude, ein Gotteskind zu sein. Seine Worte glichen einem Siegesruf über dem Schlachtgetümmel. Er erklärte, dass die Sache, der er sein Leben geweiht habe, niemals fehlschlagen könne. Möchte er selbst umkommen — das Evangelium könne nie untergehen. Gott lebe, und seine Wahrheit werde den Sieg behalten. Viele, die damals auf Paulus schauten, „sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht.“ Apostelgeschichte 6,15. DAp.325.1 Teilen

Noch nie zuvor hatten die Anwesenden solche Worte gehört. Sie schlugen eine Saite an, die selbst in den Herzen der Verhärtetsten in Schwingung geriet. Lautere, überzeugende Wahrheit überwand den Irrtum. Licht fiel in die Herzen vieler Menschen, die dann später freudig diesen Strahlen folgten. Die Wahrheiten, die an jenem Tag verkündigt wurden, waren dazu bestimmt, ganze Völker zu bewegen und die Zeiten zu überdauern, um selbst dann noch Menschenherzen zu beeinflussen, wenn der, dessen Mund sie gesprochen, längst als Märtyrer gestorben war. DAp.325.2 Teilen

So wie bei dieser Gelegenheit hatte Nero noch nie die Wahrheit vernommen. Niemals hatte die ungeheure Schuld seines Lebens so offen vor ihm gelegen wie jetzt. Das Licht des Himmels drang in sein sündiges Herz ein, und er zitterte vor Schreck bei dem Gedanken an ein Gericht, vor das auch er, der Herrscher der Welt, gefordert werden würde, um für seine Taten den gerechten Lohn zu empfangen. Er fürchtete den Gott des Apostels und wagte nicht, Paulus zu verurteilen, da keine der gegen ihn erhobenen Anklagen aufrecht erhalten werden konnten. Heilige Scheu hielt seinen blutdürstigen Geist noch eine Zeitlang in Schranken. DAp.325.3 Teilen

Für einen Augenblick tat sich dem schuldbeladenen und verhärteten Nero der Himmel auf, und dessen Friede und Reinheit erschienen ihm begehrenswert. In diesem Augenblick erging die Einladung der göttlichen Gnade an ihn. Doch nur ganz flüchtig war ihm der Gedanke an Vergebung willkommen. Dann befahl er, Paulus ins Gefängnis zurückzuführen. Als sich die Tür zum Kerker hinter dem Boten Gottes zutat, schloss sich auch für den römischen Kaiser die Tür der Reue für immer. Kein Strahl des himmlischen Lichtes durchdrang je wieder diese Finsternis. Bald sollten die strafenden Gerichte Gottes über ihn hereinbrechen. DAp.325.4 Teilen

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Nicht lange danach brach Nero zu dem unheilvollen Feldzug nach Griechenland auf, wo er durch unwürdige und erniedrigende Leichtfertigkeit Schande über sich und sein Reich brachte. Nachdem er mit großem Gepränge nach Rom zurückgekehrt war, gab er sich mit seinen Höflingen empörenden Ausschweifungen hin. Während eines Gelages war plötzlich von der Straße her Getümmel zu hören. Ein Bote, den man ausschickte, um zu erfahren, was geschehen sei, kehrte mit der Schreckensnachricht zurück, dass Galba an der Spitze eines Heeres in Eilmärschen gegen Rom vorrücke. Außerdem sei in der Stadt ein Aufstand ausgebrochen. Eine aufgebrachte Volksmenge fülle die Straßen. Sie nähere sich bereits dem Palast und drohe den Kaiser mitsamt seinem Gefolge umzubringen. DAp.326.1 Teilen

Nero konnte sich in dieser Notlage nicht — wie der treue Apostel Paulus — auf einen mächtigen und barmherzigen Gott verlassen. Aus Furcht vor den Leiden und Qualen, die er möglicherweise von der wütenden Volksmenge zu erwarten hatte, wollte der elende Tyrann seinem Leben selbst ein Ende machen. Doch im entscheidenden Augenblick fehlte ihm der Mut dazu. Aller Mannschaft beraubt, floh er schmählich aus der Stadt und suchte sich auf einem nur einige Kilometer entfernten Landgut zu verbergen. Doch vergeblich. Sein Versteck wurde bald entdeckt. Als die ihn verfolgenden Reiter näher kamen, rief er einen Sklaven zu seiner Hilfe herbei und brachte sich eine tödliche Wunde bei. So endete der Tyrann Nero im frühen Alter von 32 Jahren. DAp.326.2 Teilen

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