Portrait von Ellen White
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Der verlorene Sohn
Der verlorene Sohn
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Meine Aufmerksamkeit wurde auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn gelenkt. Dieser forderte von seinem Vater, ihm seinen Anteil an den Gütern zu übergeben. Er wollte seine eigenen Angelegenheiten von denen seines Vaters trennen und sein Teil so verwalten, wie es seiner persönlichen Neigung entsprach. Der Vater kam dieser Forderung nach, und der Sohn zog sich eigennützig von seinem Vater zurück, um durch dessen Ratschläge und Vorwürfe nicht länger belästigt zu werden. Z3.109.2 Teilen

Der Sohn glaubte, dann glücklich zu sein, wenn er sein Teil zu seinem eigenen Vergnügen verwenden konnte, ohne durch irgendwelche Ratschläge oder Verbote gestört zu werden. Er wollte durch gemeinsame Verpflichtungen nicht belästigt werden, denn die Teilhaberschaft an den Gütern seines Vaters brachte mit sich, dass der Vater auf ihn als seinen Sohn ein Anrecht hatte. Dieser fühlte sich jedoch seinem großzügigen Vater in keiner Weise verpflichtet. Mit dem Gedanken, dass ein Teil des väterlichen Besitzes ihm gehöre, stärkte er seinen egoistischen und rebellischen Sinn. Schließlich forderte er seinen Anteil, während er von Rechts wegen überhaupt nichts zu beanspruchen hatte und auch nichts hätte bekommen dürfen. Z3.109.3 Teilen

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Nachdem sein selbstsüchtiges Herz seinen Vermögensanteil, den er gar nicht verdiente, erhalten hatte, verließ er seinen Vater und zog weit fort, um womöglich zu vergessen, dass er einen Vater hatte. Er verachtete alle Beschränkungen und war fest entschlossen, seinem Vergnügen zu leben. Als er durch seinen maßlosen Lebenswandel alles durchgebracht hatte, was ihm vom Vater einst übergeben worden war, wurde das Land von einer Hungersnot heimgesucht, und er kam in äußerste Bedrängnis. Endlich begann er, seine ausschweifenden Vergnügungen zu bereuen, denn inzwischen waren ihm alle Mittel ausgegangen. Er hatte sein Vermögen vergeudet, das er gerade jetzt dringend benötigt hätte. Nun gab es keinen anderen Weg mehr. Die niedrige Tätigkeit des Schweinehütens trat an die Stelle sündhafter Ausschweifungen. Z3.110.1 Teilen

Nun er so tief gesunken war, wie es überhaupt nur möglich sein konnte, erinnerte er sich der Freundlichkeit und Liebe seines Vaters. In diesem Augenblick spürte er, wie nötig es ist, einen Vater zu besitzen. Diesen Zustand, keine Freunde zu haben und in Not leben zu müssen, hatte er sich selbst zuzuschreiben. Sünde und Ungehorsam hatten zur Trennung von seinem Vater geführt. Er dachte an die mannigfachen Vorteile, deren sich die Tagelöhner seines Vaters erfreuten, während er sich seines Vaters Haus entfremdet hatte und vor Hunger zugrunde zu gehen drohte. Durch Widerwärtigkeiten erniedrigt, entschloss er sich, mit demütigem Bekenntnis zu seinem Vater zurückzukehren. Er war ein Bettler, ohne passende oder gar anständige Kleidung. Sein erbärmlicher Zustand zeugte von Entbehrungen aller Art; er war vom Hunger geradezu ausgemergelt. Z3.110.2 Teilen

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Als der Sohn noch ein ganzes Stück vom Vaterhaus entfernt war, sah schon der Vater den Wanderer. Des Vaters erster Gedanke galt jenem aufsässigen Sohn, der ihn vor Jahren verlassen hatte, um den Lockungen ungehemmter Sünden nachzugeben. Rührung und Ergriffenheit übermannten ihn, und er erkannte, trotz aller Verkommenheit, sein eigenes Bild. Er wartete nicht erst, bis sein Sohn ganz herangekommen war, sondern lief ihm entgegen. Obwohl er unter dem sündigen Lebenswandel des Sohnes sehr gelitten hatte, eilte er ihm ohne Groll entgegen, um ihn durch Liebeserweise und Zeichen seiner Vergebung mit liebevollem Mitleid und Erbarmen wieder aufzunehmen. Z3.111.1 Teilen

Wenn sein Sohn auch abgezehrt aussah und seine Züge deutlich von den Spuren seines lockeren Lebens, das er geführt hatte, gezeichnet waren, wenn ihn auch gleich einem Bettler nur Lumpen kleideten und seine nackten Füße vom Wegestaub verkrustet waren, so erbarmte sich seiner doch des Vaters Herz, als der Sohn demütig vor ihm auf der Erde lag. Weder pochte er auf seine Würde noch war er streng. Er erinnerte seinen Sohn nicht an die vergangenen Zeiten des Verirrtseins und der Sünde, um ihm zu zeigen, wie tief er gesunken war. Der Vater hob ihn auf und küsste ihn. Er zog den aufrührerischen Sohn an seine Brust und hüllte die fast nackte Gestalt in das eigene prächtige Gewand. Er nahm ihn mit solcher Innigkeit an sein Herz und zeigte solch Erbarmen, dass der Sohn, wenn er jemals gezweifelt hatte, nicht mehr länger an der Liebe und Güte seines Vaters zweifeln konnte. Das Gefühl der Reue war bestimmt tief, als er sich entschlossen hatte, in seines Vaters Haus zurückzukehren. Doch dieses Empfinden überwältigte ihn, nachdem er in so herzlicher, liebevoller Weise aufgenommen worden war. Sein Herz brach ihm fast, weil er seines Vaters Liebe so verletzt hatte. Z3.111.2 Teilen

Der reuige Sohn war auf einen solchen Empfang nicht vorbereitet. Er hatte ernstlich befürchtet, verstoßen zu werden. In dem Bewusstsein, diesen Empfang nicht verdient zu haben, gestand er seine Sünde gegen seinen Vater, den er verlassen hatte: „Ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.“ Lukas 15,21. Er bat, ihn nur als einen der Tagelöhner aufzunehmen. Doch der Vater gebot seinen Knechten, dass sie ihm mit besonderer Ehrerbietung begegnen und ihn kleiden sollten, als ob er immer sein gehorsamer Sohn gewesen wäre. Z3.111.3 Teilen

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Der Vater machte die Rückkehr seines Sohnes zum Anlass einer besonderen Freude. Auf dem Felde hörte der älteste Sohn, der nicht wusste, dass sein Bruder zurückgekehrt war, die allgemeinen Freudenkundgebungen und fragte die Knechte, was dies alles zu bedeuten habe. Ihm wurde erklärt, dass sein Bruder, den sie tot geglaubt hatten, zurückgekehrt sei. Sein Vater habe für ihn ein gemästetes Kalb geschlachtet, weil er die Rückkehr des Sohnes wie eine Auferstehung von den Toten empfand. Z3.112.1 Teilen

Der Vater bat seinen älteren Sohn, hineinzugehen und seinen Bruder freudig willkommen zu heißen, weil dieser verloren war und wiedergefunden wurde; weil er tot gewesen war durch die Sünde und wieder lebendig geworden war. Er hatte sein sittliches Bewusstsein wiedererlangt und verabscheute sein Sündenleben. Aber der ältere Sohn sprach: „Siehe, so viel Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten; und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist, der sein Gut mit Huren verschlungen hat, hast du ihm ein gemästet Kalb geschlachtet.“ Lukas 15,29.30. Z3.112.3 Teilen

Seinem Sohn bestätigte er, dass dieser allezeit bei ihm gewesen sei und dass alles, was er besitze, auch ihm gehört hätte. Es sei aber ebenso gerecht, diese Freudenkundgebung zu veranstalten. „Dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist wieder gefunden.“ Lukas 15,32. Die Tatsache, dass der Verlorene wiedergefunden und der Tote wieder lebendig geworden ist, überwog alle anderen Überlegungen des Vaters. Z3.112.4 Teilen

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Christus gab dieses Gleichnis, um zu zeigen, in welcher Weise unser himmlischer Vater die Irrenden und Reumütigen wieder aufnimmt. Der Vater war derjenige, gegen den gesündigt wurde. Dennoch begegnete er dem verlorenen Sohn voller Mitgefühl, Erbarmen und Vergebung. Er zeigte seine unaussprechliche Freude darüber, dass sich sein Sohn, dessen kindliche Zuneigung er tot glaubte, seines großen Unrechts bewusst geworden und zu ihm zurückgekommen war, um ihn aufs neue zu lieben und seine Ansprüche anzuerkennen. Er weiß, dass sein Sohn, der ein lasterhaftes Leben geführt hatte und es jetzt bereute, seiner Liebe und Barmherzigkeit bedarf. Sein Sohn hatte gelitten. Seine Not war ihm bewusst geworden, und er kommt zu seinem Vater als dem einzigen Menschen zurück, der seiner großen Not abzuhelfen vermag. Z3.113.1 Teilen

Die Rückkehr des verlorenen Sohnes war eine Quelle höchster Freude. Gewiss schienen die Klagen des älteren Bruders verständlich, aber recht waren sie nicht. Doch dies ist häufig die Art, in der sich Brüder begegnen. Man bemüht sich zu viel, die Irrenden ihr Unrecht fühlen zu lassen und ihnen ihre Fehler ständig vor Augen zu halten. Wer gefehlt hat, braucht in erster Linie Mitgefühl, Hilfe und ein Herz voll Liebe. Der Betreffende leidet unter seinen Gefühlen und ist häufig verzweifelt und entmutigt. Er braucht vor allem aufrichtige Vergebung. Z3.113.2 Teilen

Im Werk, das im Frühjahr 1870 für die Gemeinde in Battle Creek getan wurde, war nicht jene Abhängigkeit von Gott zu verspüren, wie es die wichtige Angelegenheit erforderte. Die Brüder R. und S. setzten ihr Vertrauen nicht völlig auf Gott noch bewegten sie sich in seiner Kraft und mit seiner Gnade voran. Z3.113.3 Teilen

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Wenn Bruder S. von jemand denkt, er sei verkehrt, dann ist er oft zu streng. Er versäumt, ein solches Mitgefühl und solche Rücksicht zu üben, die er unter gleichen Umständen sich selbst zugestanden hätte. Er ist in großer Gefahr, andere falsch zu beurteilen und in seinem Verhalten gegen sie zu irren. Mit Irrenden umzugehen, ist das heikelste und schwierigste Werk. Wer diese Aufgabe unternimmt, sollte ein klares Unterscheidungsvermögen und Scharfsinn besitzen. Wahre Unabhängigkeit des Geistes ist etwas völlig anderes als Unbesonnenheit. Jene Unabhängigkeit, die zu einer vorsichtigen, andächtigen und bedachtsamen Haltung führt, sollte nicht eher aufgegeben werden, als bis der Beweis stark genug ist, dass wir uns im Irrtum befinden. Diese Unabhängigkeit wird das Gemüt ruhig und unveränderlich inmitten von Unmengen Irrtümern erhalten und die Männer in verantwortlichen Stellungen veranlassen, die Beweise von jeder Seite sorgfältig in Erwägung zu ziehen. Sie werden sich weder durch den Einfluss anderer noch durch die Umstände bewegen lassen, Schlüsse ohne verständige, gründliche Kenntnis aller Einzelheiten zu ziehen. Z3.114.1 Teilen

Die Untersuchung von Fällen in Battle Creek entsprach sehr dem Verhalten eines Rechtsanwalts, der einen Zeugen kritisiert. Der Geist Gottes war dabei absolut nicht zugegen. Einige hatten sich zu diesem Werk zusammengefunden, die aktiv und eifrig bei der Sache waren. Einige waren selbstgerecht und selbstgenügsam. Man verließ sich auf ihr Zeugnis, und ihr Einfluss lenkte das Urteil der Brüder R. und S. Um geringer Unzulänglichkeiten willen wurden die Schwestern T. und U. nicht in die Gemeinde aufgenommen. Die Brüder R. und S. hätten so viel Urteilsvermögen und Unterscheidungsgabe haben müssen, um einzusehen, dass diese Einwände von nicht genügend Gewicht waren, diese Schwestern von der Gemeinde fernzuhalten. Beide hatten seit langem im Glauben gestanden und bereits seit achtzehn oder zwanzig Jahren treu den Sabbat gehalten. Z3.114.2 Teilen

Schwester V, die diese Dinge aufbrachte, hätte bei sich selbst schwerwiegendere Gründe finden können, weshalb sie kein Gemeindeglied hätte werden können. War sie ohne Sünde? Stand sie recht vor Gott? War sie vollkommen, was Geduld, Selbstverleugnung, Freundlichkeit, Höflichkeit und ruhiges Temperament anbetraf? Wäre sie ohne die Schwächen von gewöhnlichen Frauen, könnte sie den ersten Stein werfen. Jene Schwestern, die außerhalb der Gemeinde gelassen wurden, hatten einen Platz in ihr verdient, denn sie waren würdig und von Gott geliebt. Doch man behandelte sie unklug, ohne genügend Ursache. Es gab noch weitere Fälle, die mit nicht mehr himmlischer Weisheit und gesundem Urteil behandelt wurden. Das Urteilsvermögen und der Scharfblick von Bruder S. ist seit vielen Jahren durch den Einfluss seiner Frau getrübt, die ein sehr wirksames Werkzeug Satans ist. Wenn er die rechte Art von Unabhängigkeit gehegt hätte, würde er so viel Selbstachtung und Würde besessen haben, sein eigenes Haus in Ordnung zu bringen. Wenn er jedoch beginnen wollte mit dem Werk, seiner Familie Respekt zu gebieten, ging er gewöhnlich zu weit, war streng und sprach harte und anmaßende Worte. Wurde er sich dessen nach einer Zeit bewusst, verfiel er ins entgegengesetzte Extrem und gab seine Unabhängigkeit auf. Z3.114.3 Teilen

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In diesem Gemütszustand empfing er Berichte von seiner Frau, gab sein eigenes Urteil auf und ließ sich von ihren Intrigen betrügen. Sie gab manchmal vor, viel leiden zu müssen, und berichtete, wie viel Unrecht und Vernachlässigung sie von ihren Geschwistern erdulde, wenn ihr Mann unterwegs war. Ihre Verdrehung von Tatsachen und ihre betrügliche List haben großen Einfluss auf Bruder S. ausgeübt. Er hat nicht völlig das Licht angenommen, das ihm in der Vergangenheit bezüglich seiner Frau gegeben wurde, sonst wäre er nicht so von ihr hinters Licht geführt worden. Er ließ sich oft von ihrem Geist gefangen nehmen, weil sein eigenes Herz und Leben nicht völlig Gott geweiht war. Seine Gefühle richteten sich gegen seine Geschwister, und er unterdrückte sie. Das eigene Ich wurde nicht gekreuzigt. Er hätte ernsthaft danach trachten müssen, seine Gedanken und Gefühle unter den Gehorsam Christi zu bringen. Glaube und Selbstverleugnung wären für Bruder S. machtvolle Helfer gewesen. Hätte er sich mit der ganzen Waffenrüstung bekleidet und keine andere Verteidigung gewählt als diejenige, die ihm der Geist Gottes und die Macht der Wahrheit vermittelte, wäre er stark in Gott gewesen. Z3.115.1 Teilen

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Bruder S. ist in vielen Dingen schwach. Würde Gott von ihm fordern, einen Nachbarn bloßzustellen und zu verdammen, einen Bruder zu tadeln und zurechtzuweisen oder seinen Feinden zu widerstehen und sie zu vernichten, dann wäre ihm dies eine vergleichsmäßig natürliche und leichte Aufgabe. Aber ein Kampf gegen das eigene Ich, Unterdrückung von Wünschen und Neigungen und Erforschung und Beherrschung der geheimen Beweggründe des Herzens, das ist ein viel schwierigeres Unternehmen. Wie unwillig ist er, hier einen Kampf getreulich auszufechten! Der Kampf gegen das eigene Ich war schon immer der schwerste. Die Aufgabe des Ichs, alles dem Willen Gottes zu unterwerfen, sich mit Demut zu bekleiden, jene Liebe zu üben, die rein, friedsam, langmütig, freundlich und voll guter Früchte ist — das ist kein leichtes Unternehmen. Und doch ist es sein Vorrecht und seine Pflicht, hierin vollkommen zu überwinden. Die Seele muss sich Gott unterwerfen, ehe sie in der Erkenntnis und wahrer Heiligkeit erneuert werden kann. Das heilige Leben und der Charakter Christi ist ein zuverlässiges Beispiel. Sein Vertrauen in seinen himmlischen Vater war unbegrenzt. Sein Gehorsam und seine Unterwerfung waren rückhaltlos und vollständig. Er kam nicht, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen. Er tat nicht seinen Willen, sondern den Willen des, der ihn gesandt hatte. In allen Dingen unterwarf er sich dem, der recht richtet. Von den Lippen des Welterlösers vernehmen wir die Worte: „Ich kann nichts von mir selber tun.“ Johannes 5,30. Z3.116.1 Teilen

Er wurde arm und verschaffte sich kein Ansehen. Er war hungrig und oft durstig und von der Arbeit ermüdet; aber er hatte nicht, wo er sein Haupt hinlegte. Wenn der kalte, finstere Schatten der Nacht sich auf ihn niedersenkte, war die Erde oftmals sein Nachtlager. Er segnete, die ihm fluchten. Was für ein Leben! Was für eine Erfahrung! Können wir, die bekenntlichen Nachfolger Christi, ebenso freudig Mangel und Leiden ohne Murren ertragen wie unser Herr? Können wir den Kelch trinken und mit der Taufe getauft werden? Wenn ja, dann mögen wir imstande sein, in seinem himmlischen Reich die Herrlichkeit mit ihm zu teilen. Wenn nicht, dann haben wir kein Teil mit ihm. Z3.116.2 Teilen

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Bruder S. muss eine Erfahrung erlangen, ohne die seine Arbeit sich nur als Schaden erweisen kann. Er lässt sich zu viel beeinflussen von dem, was andere ihm über die Irrenden erzählen. Er ist geneigt, sein Urteil zu fällen nach den Eindrücken, die auf sein Gemüt gemacht wurden, und er handelt streng, wo ein milderes Vorgehen weit besser wäre. Er denkt nicht an seine eigenen Schwächen und wie schwer es für ihn ist, wenn sein eigenes Handeln in Frage gestellt wird, selbst wenn er im Unrecht ist. Wenn er beschließt, dass ein Bruder oder eine Schwester verkehrt ist, dann geht er stracks durch und teilt Tadel aus, obgleich er damit seine eigene Seele verletzt und die Seelen anderer gefährdet. Z3.117.1 Teilen

Bruder S. sollte sich von Gemeindeschwierigkeiten fernhalten und nichts damit zu tun haben, diese beizulegen, wenn er es irgend vermeiden kann. Er hat eine wertvolle Gabe, die im Werk Gottes benötigt wird. Aber er muss sich von Einflüssen trennen, die sein Mitgefühl wecken, sein Urteilsvermögen verwirren und ihn veranlassen, unweise zu handeln. Dies sollte und darf nicht sein. Er übt zu wenig Glauben an Gott. Er verweilt zu viel bei körperlichen Gebrechen und stärkt seinen Unglauben, indem er unguten Gefühlen nachgibt. Gott hat Stärke und Weisheit für alle, die ihn im Glauben darum bitten. Z3.117.2 Teilen

Es wurde mir gezeigt, dass Bruder S. in einigen Punkten sehr stark, in anderen hingegen schwach wie ein Kind ist. Seine Handlungsweise mit den Irrenden übt einen zerstreuenden Einfluss aus. Er vertraut seiner Fähigkeit, Dinge in Ordnung zu bringen, wo er es für nötig befindet, während er die Sache im falschen Licht betrachtet. Bei seiner Arbeit kommt sein eigener Geist zum Vorschein; er kann nicht scharf unterscheiden und handelt oft ohne Zartgefühl. In der Pflichterfüllung andern gegenüber kann man es auch zu weit treiben. „Und haltet diesen Unterschied, dass ihr euch etlicher erbarmet, etliche aber mit Furcht selig machet und rücket sie aus dem Feuer; und hasset auch den Rock, der von dem Fleische befleckt ist.“ Judas 22.23. Z3.117.3 Teilen

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Pflicht, strenge Pflicht, hat eine Zwillingsschwester, und die ist Freundlichkeit. Wenn Pflicht und Freundlichkeit miteinander verbunden sind, ist das von entschiedenem Vorteil. Ist aber die Pflicht von Freundlichkeit und zartfühlender Liebe getrennt, dann wird viel Schaden angerichtet. Männer und Frauen wollen nicht getrieben werden. Man kann viele nur durch Freundlichkeit und Liebe gewinnen. Bruder S. hat die Geißel des Evangeliums geschwungen, aber seine eigenen Worte waren oft der Peitschenknall dieser Geißel. Dies hat andere nicht zu größerem Eifer und zu guten Werken angespornt, sondern ihren Kampfgeist geweckt, seine Strenge zurückzuweisen. Z3.118.1 Teilen

Wäre Bruder S. im Licht gewandelt, hätte er nicht solch ernste Fehlschläge erlitten. „Wer des Tages wandelt, der stößt sich nicht; denn er sieht das Licht dieser Welt. Wer aber des Nachts wandelt, der stößt sich; denn es ist kein Licht in ihm.“ Johannes 11,9.10. Der Pfad des Gehorsams ist ein sicherer Pfad. „Wer unschuldig lebt, der lebt sicher.“ Sprüche 10,9. Wandle im Licht, „dann wirst du sicher wandeln auf deinem Wege, dass dein Fuß sich nicht stoßen wird.“ Sprüche 3,23. Die nicht im Licht wandeln, haben eine krankhafte, verkümmerte Religion. Bruder S. sollte fühlen, wie wichtig es ist, im Lichte zu wandeln, wie unangenehm es auch für ihn ist, das Ich zu kreuzigen. Ernstliches Bemühen, von der Liebe zu Seelen inspiriert, wird das Herz stärken und die Gnadengaben entwickeln. Z3.118.2 Teilen

Mein Bruder, du bist von Natur aus unabhängig und selbstzufrieden. Du schätzt deine Befähigung höher ein, als es sich gebührt. Du bittest den Herrn, dich zu demütigen und für sein Werk geschickt zu machen. Wenn er dann dein Gebet erhört und dich in Zucht nimmt, damit der Zweck erfüllt wird, dann gibst du dich oft der Zweifelsucht und der Verzagtheit hin und glaubst, Grund zur Entmutigung zu haben. Wenn Bruder W. dir Rat gab und dich davon abhielt, dich in Gemeindeschwierigkeiten einzumischen, dann fühltest du dich eingeschränkt. Z3.118.3 Teilen

Ich sah deine Arbeit in Iowa. Du hast dort nicht mit Christo gesammelt. Du hast die armen Schafe beunruhigt, verwirrt und zerstreut. Du hattest Eifer, aber nicht mit Vernunft gepaart. Du hast nicht mit Liebe gearbeitet, sondern mit Strenge und Härte. Du warst anmaßend und genau. Du hast das Verwundete nicht verbunden und des Schwachen nicht gewartet. Deine unvernünftige Härte hat einige aus der Herde vertrieben, die nie mehr erreicht und zurückgebracht werden können. Worte, zu rechter Zeit geredet, sind wie goldene Äpfel auf silbernen Schalen. Sprüche 25,11. Unrichtige Worte sind das Gegenteil. Dein Einfluss wird zerstörendem Hagel gleichen. Z3.118.4 Teilen

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Unter Einschränkung hast du dich rastlos gefühlt, als Bruder W. dich warnte, beriet und tadelte. Du dachtest, dass du ein gutes und großes Werk tun könntest, wenn man dich nur nach freiem Willen handeln ließe. Aber der Einfluss deiner Frau hat deiner Brauchbarkeit sehr geschadet. Du hast deinem Haus nicht recht vorgestanden. Du hast versäumt, deinem Hause nach dir zu befehlen. Du warst überzeugt, dass du wüsstest, wie man häusliche Angelegenheiten regelt. Wie bist du doch betrogen! Du bist zu oft den Eingebungen deines eigenen Geistes gefolgt, was Verwirrung und Entmutigung mit sich brachte, und dies hat dein Unterscheidungsvermögen umwölkt und deine geistliche Gesinnung geschwächt, so dass deine Arbeit von großer Unvollkommenheit gekennzeichnet war. Z3.119.1 Teilen

Die Bemühungen der Brüder R. und S. in ... waren voreilig. Diese Brüder hätten an ihre vergangenen fehlerhaften Erfahrungen denken sollen, die genügten, um sie von einem Werk abzuhalten, zu dem sie nicht geschickt waren. Es gab genug anderes zu tun. Es war schwer, an diesem Ort eine Gemeinde zu gründen. Sie waren von Widerstand umgeben. Vorsicht und sorgfältiges Überlegen hätte alles Vornehmen kennzeichnen müssen. Z3.119.2 Teilen

Diese beiden Brüder waren wiederholt gewarnt und gerügt worden wegen ihrer Unbesonnenheit, und sie hätten die Verantwortung nicht auf sich nehmen dürfen. Wie viel besser wäre es doch für das Werk Gottes in ... gewesen, wenn sie in neuen Gebieten gearbeitet hätten! Satans Sitz befindet sich in ..., wie in andern gottlosen Städten, und es ist ein harter Kampf, sich mit ihm anzulegen. Es gab unordentliche Elemente unter den Sabbathaltern in ..., die dem Werk hindernd im Wege standen. Es gibt jedoch eine geeignete Zeit zu sprechen und zu handeln, eine goldene Gelegenheit, wenn die Arbeit die besten Resultate zeigen wird. Z3.119.3 Teilen

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Hätte man gestattet, dass die Dinge sich völliger entwickelten, ehe man sich damit befasste, wäre es zu einer Trennung vonseiten der unordentlichen, ungeheiligten Glieder gekommen, und es gäbe jetzt keine Oppositionspartei. Das sollte immer, wenn möglich, vermieden werden. Es wäre weit besser für eine Gemeinde, Störungen zu ertragen und desto mehr Geduld zu üben, als vorschnell Dinge auf die Spitze zu treiben und einen Kampfgeist herauszufordern. Diejenigen, die wirklich die Wahrheit liebten, weil es die Wahrheit ist, hätten vorangehen und das Licht vor allen leuchten lassen sollen, während sie die Verherrlichung Gottes im Auge hatten. Z3.120.1 Teilen

Sie mussten erwarten, dass die Elemente der Verwirrung und Unzufriedenheit unter ihnen Schwierigkeiten machen würden. Satan würde sich nicht ruhig verhalten, wenn er sehen würde, wie eine Gruppe in ... entstand, um die Wahrheit zu verteidigen und Verdrehung und Irrtum zu verbannen. Sein Zorn würde entbrennen. Er würde einen Krieg entfachen gegen jene, die Gottes Gebote halten und das Zeugnis Jesu haben. Dies sollte die treuen Gläubigen aber weder ungeduldig machen noch entmutigen. Es hätte dazu dienen sollen, die wahren Gläubigen wachsamer, vorsichtiger und frommer zu machen — zärtlicher, mitleidsvoller und liebevoller gegen diejenigen, die einen großen Fehler bezüglich der ewigen Interessen begingen. Wie Christus unsere Irrtümer, unsere Undankbarkeit und schwache Liebe ertragen hat und noch erträgt, so sollen wir mit denen handeln, die unsere Geduld auf die Probe stellen. Sollten die Nachfolger des selbstverleugnenden, opferbereiten Jesus ihm so unähnlich sein? Christen sollten freundlich und nachsichtig sein. Z3.120.2 Teilen

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