Portrait von Ellen White
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Kapitel 7: Aus dem Leben großer Männer
Kapitel 7: Aus dem Leben großer Männer
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„Es hat nie ein Mensch also geredet wie dieser Mensch.“Johannes 7,46. Ez.63 Teilen

Kapitel 8: Der gottgesandte Lehrer

„Gedenke an ihn.“ Ez.63 Teilen

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„Er heißt Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig Vater, Friedefürst.“ Jesaja 9,5. In dem von Gott gesandten Lehrer gab der Himmel den Menschen sein Bestes und Größtes. Er, der im Verein mit dem Höchsten zu Rate ging, der im innersten Heiligtum des Allmächtigen geweilt hatte, war dazu erwählt, der Menschheit Gott in Person zu offenbaren. Ez.67.1 Teilen

Durch Christus war jeder Strahl göttlichen Lichtes vermittelt worden, der jemals unsere gefallene Welt erreichte. Er war es gewesen, der zu allen Zeiten durch Menschen geredet hatte, die ihren Mitmenschen das Wort Gottes verkündigten. Jeder hervorragende Zug, der an den größten und edelsten Geistern der Erde in Erscheinung trat, spiegelte sein Wesen wider. Reinheit und Menschenfreundlichkeit waren es bei Joseph; Glaube, Sanftmut und große Geduld bei Mose. Elisa wies Standhaftigkeit auf, Daniel Redlichkeit und Festigkeit, Paulus glühenden Eifer und Selbstaufopferung. Kraft des Geistes und des Gemütes offenbarte sich in diesen Männern und in den andern Großen, die jemals über die Erde gingen. Aber all diese Wesenszüge waren nur ein Abglanz der Herrlichkeit Christi. In ihm nur fand man das vollkommene Ideal. Ez.67.2 Teilen

Christus kam in die Welt, um dieses Ideal als das einzig erstrebenswerte Ziel zu offenbaren. Er wollte zeigen, was aus jedem menschlichen Wesen werden kann, ja, was aus allen, die ihn annahmen, werden würde, wenn bei ihnen das Göttliche vom Menschlichen Besitz ergriffe. Er kam, um zu zeigen, wie man die Menschen ihrer göttlichen Abstammung gemäß erziehen soll, wie himmlische Grundsätze und himmlisches Leben auf Erden zu verwirklichen sind. Ez.67.3 Teilen

Gottes größte Gabe wurde dahingegeben, um der größten Not des Menschen abzuhelfen. Das Licht erschien, als die Dunkelheit der Welt am tiefsten war. Falsche Lehren hatten den Menschengeist lange Zeit von Gott abgewandt. In den herrschenden Erziehungssystemen war irdische Philosophie an die Stelle göttlicher Offenbarung getreten. Statt gottgegebenen Wahrheitssätzen waren die Menschen ihrem eigenen Denken gefolgt. Sie hatten sich vom Licht des Lebens abgekehrt, um in dem spärlichen Schein des Feuers zu wandeln, das sie selbst entzündet hatten. Ez.67.4 Teilen

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Da sie sich von Gott getrennt und ihr Vertrauen nur auf menschliche Macht gesetzt hatten, verbarg sich unter ihrer Stärke nichts als Schwäche. Sie waren nicht einmal dazu imstande, das selbst aufgestellte Ideal zu erreichen. Den Mangel an wirklicher Größe suchte man durch Äußerlichkeiten und Protzentum wettzumachen. Der Schein trat an die Stelle des Echten. Ez.68.1 Teilen

Von Zeit zu Zeit standen Lehrer auf, die die Menschen auf den Urquell der Wahrheit hinwiesen. Es wurden zutreffende Grundsätze ausgesprochen, und die Lebensführung mancher Menschen zeugte von ihrer Kraft. Aber diese Bemühungen hinterließen keinen bleibenden Eindruck. Sie geboten dem Strom des Verderbens einen kurzen Einhalt, brachten aber seinen abschüssigen Lauf nicht zum Stehen. Die Reformatoren waren Lichtern gleich, die zwar in der Dunkelheit schienen, aber die Finsternis nicht vertreiben konnten. Die Welt liebte „die Finsternis mehr als das Licht“. Johannes 3,19. Ez.68.2 Teilen

Als Christus auf die Erde kam, schien die Menschheit ihrem Tiefpunkt entgegenzueilen. Selbst die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft waren unterhöhlt. Das Leben war in Verkehrtheit und Unnatur ausgeartet. Ez.68.3 Teilen

Die Juden, denen die Kraft des Wortes Gottes abging, vermittelten der Welt geisttötende, seelenlose Überlieferungen und Theorien. Die Anbetung Gottes „im Geist und in der Wahrheit“ war durch Menschenverherrlichung ersetzt worden, die in einer endlosen Runde selbstgeschaffener Zeremonien ihren Ausdruck fand. In der ganzen Welt büßten die religiösen Systeme ihre Wirkung auf Geist und Gemüt ein. Angewidert von Lüge und Irrtum suchten die Menschen ihr Denken zu betäuben und wandten sich dem Unglauben und dem Materialismus zu. Sie ließen die Ewigkeit außer Betracht und lebten für die Gegenwart. Ez.68.4 Teilen

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Da sie dem Göttlichen keine Anerkennung mehr zollten, hörten sie auch auf, die Menschenwürde zu achten. Wahrhaftigkeit, Ehrgefühl, Lauterkeit, Vertrauen und Mitleid schwanden zusehends von der Erde. Hemmungslose Gier und verzehrender Ehrgeiz riefen ein Mißtrauen aller gegen alle hervor. Die Begriffe der Pflicht, der Menschenwürde und des Menschenrechts, das Empfinden für die Verpflichtung des Starken gegenüber dem Schwachen verwies man ins Reich der Träume und Fabeln. Das gewöhnliche Volk wurde wie ein Lasttier geachtet, oder man sah es als Werkzeug und Sprungbrett für ehrgeizige Pläne an. Reichtum und Macht, Bequemlichkeit und Genuß wurden als höchste Güter erstrebt. Körperliche Entartung, geistige Erstarrung und geistlicher Tod kennzeichneten das Zeitalter. Ez.69.1 Teilen

Da die schlimmen Leidenschaften und Absichten der Menschen den Höchsten aus ihrem Denken verbannten, neigten sie sich in ihrer Gottvergessenheit nur noch stärker dem Bösen zu. Das der Sünde ergebene Herz legte der Gottheit die eigenen Wesenszüge bei, und die so gewonnene Vorstellung verlieh der Sünde noch größere Macht. Bei ihrem Hang zur Selbstgefälligkeit kamen die Menschen schließlich dahin, Gott als einen ihresgleichen zu betrachten als ein Wesen, dessen Ziel Selbstverherrlichung war, dessen Forderungen eigener Lust dienten ein Wesen, das die Menschen erhob oder zu Boden warf, je nachdem sie für seine selbstischen Zwecke eine Hilfe oder ein Hindernis darstellten. Die unteren Volksschichten betrachteten den Allerhöchsten als einen Herrn, der sich kaum von ihren Bedrückern unterschied, nur dass er sie an Macht übertraf. Durch diese Vorstellungen wurden sämtliche Religionsformen geprägt. Jede einzelne stellte ein erpresserisches System dar. Mit Geschenken und Zeremonien suchten die Verehrer die Gottheit zu befriedigen, um sich ihre Gunst für eigene Zwecke zu sichern. Eine solche Religion, die keinen Einfluß auf Herz oder Gewissen ausübte, konnte nur eine monotone Aufeinanderfolge leerer Formen sein, deren die Menschen überdrüssig waren, und von denen sie, abgesehen von einem möglichen Gewinn, gerne frei geworden wären. So nahm das Übel ungebändigt an Stärke zu, während die Wertschätzung des Guten und die Sehnsucht danach immer mehr dahinschwanden. Die Menschen büßten ihre Gottebenbildlichkeit ein und wurden von der dämonischen Macht, die sie beherrschte, geprägt. Die ganze Welt war im Begriff, sich in einen Pfuhl des Verderbens zu verwandeln. Ez.69.2 Teilen

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Es gab nur eine Hoffnung für das menschliche Geschlecht: dass in diese Masse von widerstreitenden und fäulniserregenden Elementen ein neuer Sauerteig geworfen wurde, dass jemand der Menschheit die Kraft zu einem neuen Leben brachte und dass die Erkenntnis Gottes der Welt wiedergeschenkt wurde. Ez.70.1 Teilen

Christus kam, um diese Erkenntnis zu erneuern. Er erschien, um die Irrlehren derer zu beseitigen, die Gott angeblich kannten, ihn aber in Wirklichkeit falsch dargestellt hatten. Er kam, um die Eigenart seines Gesetzes kundzutun, um die Schönheit heiligen Wesens in seinem eigenen Charakter zu offenbaren. Ez.70.2 Teilen

Christus ging mit dem Liebesreichtum der Ewigkeit in unsere Welt ein. Er räumte mit den ungebührlichen Forderungen auf, die das Gesetz Gottes zur Last gemacht hatten, und zeigte, dass es ein Gesetz der Liebe, ein Ausdruck göttlicher Güte ist. Er legte dar, dass im Gehorsam gegen seine Richtlinien das Glück der Menschheit, damit aber auch der sichere Bestand, die Wohlgegründetheit und der feste Halt der menschlichen Gesellschaft beschlossen liegt. Ez.70.3 Teilen

Gottes Gesetz ist also weit davon entfernt, willkürliche Forderungen zu erheben. Als Zaun, als Schild ist es dem Menschen gegeben. Wer seine Grundsätze annimmt, bleibt vor dem Bösen bewahrt. Treue zu Gott schließt auch Treue zu Menschen in sich. So gewährleistet das Gesetz die Rechte, den Eigenwert jedes menschlichen Wesens. Es hindert den Höhergestellten an der Ausübung von Druck und hält den Untergebenen vom Ungehorsam zurück. Es sichert das Wohlergehen des Menschen für diese und für die zukünftige Welt. Für den Gehorsamen bildet es das Unterpfand ewigen Lebens, denn es offenbart die Grundsätze, die für immer bestehen. Ez.70.4 Teilen

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Christus kam, um den Wert der göttlichen Grundsätze dadurch sinnfällig zu machen, dass er ihre menschheitserneuernde Kraft offenbarte. Er kam, um zu lehren, wie diese Prinzipien entwickelt und angewandt werden sollen. Ez.71.1 Teilen

Die Menschen jener Zeit bewerteten alle Dinge nach dem Scheine. Da die Religion an Kraft eingebüßt hatte, war sie an Gepränge reicher geworden. Die Erzieher jener Tage suchten sich durch Pomp und äußerliches Gebaren Achtung zu verschaffen. Zu all dem bildete das Leben Jesu einen ausgesprochenen Gegensatz. Seine Haltung offenbarte die Wertlosigkeit jener Dinge, die die Menschen als das Wichtigste im Leben betrachteten. Er war in primitivster Umgebung geboren, teilte das Haus und die Kost eines Landmanns, den Beruf eines Handwerkers und lebte ein unbeachtetes Dasein, stellte sich also den vielen mühevoll Schaffenden dieser Welt gleich. Inmitten solcher Verhältnisse, in dieser Umwelt folgte Jesus dem göttlichen Erziehungsplan. Nach den Schulen seiner Zeit, die kleine Dinge vergrößerten und das Große verkleinerten, fragte er nicht. Seine Bildung floß ihm unmittelbar aus den vom Himmel verordneten Quellen zu: aus nützlicher Arbeit, aus dem Studium der Schrift und der Natur, aus den Erfahrungen des Lebens - also aus den Unterrichtsbüchern Gottes, die jedem Menschen, der sich ihnen mit williger Hand, mit sehenden Augen und mit verständigem Herzen naht, eine Fülle der Belehrung bieten. Ez.71.2 Teilen

„Aber das Kind wuchs und ward stark im Geist, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm.“ Lukas 2,40. Ez.71.3 Teilen

So vorbereitet machte er sich an die Erfüllung seiner Aufgabe, und immer, wenn er mit Menschen in Berührung kam, ging von ihm ein solch segensreicher Einfluß, eine solche umwandelnde Kraft aus, wie sie die Welt noch nie verspürt hatte. Ez.71.4 Teilen

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Wer in der menschlichen Natur einen Wandel schaffen will, muss sie verstehen. Nur durch Mitgefühl, Glauben und Liebe kann man die Menschen erreichen und emporziehen. Hier offenbart sich Christus als der Meistererzieher. Von allen, die je auf Erden lebten, versteht er allein die menschliche Seele vollkommen. Ez.72.1 Teilen

„Wir haben“ als großen Lehrmeister (denn die Priester waren Lehrer) „nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mitleid haben mit unsern Schwachheiten, sondern der versucht ist allenthalben gleichwie wir.“ Hebräer 4,15. Ez.72.2 Teilen

„Denn worin er gelitten hat und versucht ist, kann er helfen denen, die versucht werden.“ Hebräer 2,18. Ez.72.3 Teilen

Nur Christus kannte all die Kümmernisse und Anfechtungen, von denen menschliche Wesen heimgesucht werden, aus Erfahrung. Nie wurde einer, der vom Weibe geboren war, so heftig von der Versuchung bedrängt, nie trug einer so schwer an der Sünden und Schmerzenslast der Welt. Keinen hat es gegeben, dessen Mitgefühl so zart und so groß war. Er, der alles Menschliche miterlebte, konnte nicht nur für, sondern mit jedem einzelnen empfinden, der Lasten trug, der versucht war und einen Kampf führte. Ez.72.4 Teilen

Was er lehrte, lebte er auch aus. „Ein Beispiel habe ich euch gegeben“, sagte er zu seinen Jüngern, „dass ihr tut, wie ich euch getan habe“, „gleichwie ich meines Vaters Gebote halte“. Johannes 13,15; Johannes 15,10. So wurden Christi Worte durch seinen Wandel beispielhaft erläutert und bekräftigt. Und mehr als dies: Er verkörperte, was er lehrte. In seinen Worten drückte sich nicht nur die eigene Lebenserfahrung, sondern auch der eigene Charakter aus. Er lehrte nicht nur die Wahrheit, er stellte sie auch in Person dar. Das war es, was seiner Lehre Kraft verlieh. Ez.72.5 Teilen

Christus pflegte gewissenhaft Rügen zu erteilen. Nie hat ein Mensch gelebt, der das Böse so haßte, nie einer, der es so furchtlos beim Namen nannte. Für alles Unwahre und Gemeine war schon seine bloße Gegenwart ein Vorwurf. Im Lichte seiner Reinheit sahen die Menschen ihre eigene Unreinheit und das Niedrige, das Unwahre an der Zielsetzung ihres Lebens. Und doch zog er sie an. Er, der den Menschen erschaffen hatte, wußte um den Wert der menschlichen Natur. Das Böse bezeichnete er anklagend als den Feind derer, die er segnen und erretten wollte. Er erblickte in jedem noch so tief gefallenen menschlichen Wesen ein Kind Gottes, das wieder in die Rechte seiner göttlichen Herkunft eingesetzt werden konnte. Ez.72.6 Teilen

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„Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde.“ Johannes 3,17. Ez.73.1 Teilen

Christus sah den Menschen in seinem Leid, in seiner Erniedrigung an und fand Grund zur Hoffnung, wo sich anscheinend nur Verzweiflung und Zerrüttung zeigten. Wo ein Gefühl für den eigenen Mangel vorhanden war, sah er Gelegenheit zur Abhilfe. Angefochtenen, zerschlagenen Herzen, die sich verloren und zum Untergang bestimmt fühlten, begegnete er nicht anklagend, sondern segenspendend. Ez.73.2 Teilen

Die Seligpreisungen waren sein Gruß an die gesamte menschliche Familie. Während er auf die große Menge blickte, die sich versammelt hatte, um der Bergpredigt zu lauschen, schien er für den Augenblick vergessen zu haben, dass er nicht im Himmel weilte, und bediente sich der vertrauten Grußform der Welt des Lichtes. Von seinen Lippen flossen Segensworte wie die neu hervorströmenden Wasser lange versiegter Quellen. Ez.73.3 Teilen

Indem er sich von den ehrgeizigen, selbstzufriedenen Günstlingen dieser Welt abwandte, verkündete er, dass die selig zu preisen seien, die sein Licht und seine Liebe annahmen, wie groß auch immer ihr Bedürfnis sein mochte. Den geistlich Armen, den Leidtragenden, den Verfolgten streckte er seine Arme entgegen und sprach: „Kommet her zu mir ... ich will euch erquicken.“ Matthäus 11,28. Ez.73.4 Teilen

In jedem menschlichen Wesen entdeckte er unbegrenzte Möglichkeiten. Er sah die Menschen so, wie sie sein könnten, wenn sie durch seine Gnade umgewandelt würden, in „der Schönheit des Herrn, unseres Gottes“. Psalm 90,17 (eng. Übersetzung). Indem er voller Hoffnung auf sie blickte, entzündete er auch ihre Hoffnung. Indem er ihnen mit Vertrauen entgegenkam, flößte er auch ihnen Vertrauen ein. Da er in sich das wahre Menschenideal verkörperte, weckte er in ihnen den Wunsch und den Glauben, es zu erreichen. In seiner Gegenwart erkannten verachtete und gefallene Seelen, dass sie doch noch Menschen waren. Sie verlangte danach, sich seiner Achtung würdig zu erweisen. In so manchem Gemüt, das allem Heiligen abgestorben schien, wurden neue Regungen wach. So mancher Verzweifelte erblickte den Weg zu neuem Leben. Ez.73.5 Teilen

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Christus fesselte die Menschen durch die Bande der Liebe und Ergebenheit an sich und schmiedete sie gleichzeitig durch dieselben Bande an ihre Mitbrüder. Bei ihm machte die Liebe das Leben aus, und das Leben bestand im Dienst. „Umsonst habt ihr’s empfangen“, sagte er, „umsonst gebt es auch.“ Matthäus 10,8. Ez.74.1 Teilen

Nicht nur am Kreuz opferte sich Christus für die Menschheit. „Der umhergezogen ist und hat wohlgetan“ (Apostelgeschichte 10,38), verströmte im Alltagswirken sein Leben. Nur auf eine Art konnte solch ein Dasein aufrechterhalten werden. Jesus verließ sich völlig auf Gott und lebte in der Gemeinschaft mit ihm. Auch Menschen wenden sich dann und wann zum Throne des Allerhöchsten, nehmen unter dem Schatten des Allmächtigen Zuflucht. Sie verweilen dort für eine gewisse Zeit, und aus dieser Begegnung erwachsen edle Taten. Später aber versagt ihr Glaube, die Verbindung reißt ab, und das Lebenswerk ist verpfuscht. Aber das Dasein Jesu war ein Leben beständigen Vertrauens, das durch ununterbrochene Gemeinschaft genährt wurde, und in seinem Dienst für Himmel und Erde wankte und versagte er nicht. Ez.74.2 Teilen

Als Mensch nahte er sich Gottes Thron mit Flehen, bis seine irdische Natur von einem himmlischen Kraftstrom durchflutet war, der das Menschliche mit dem Göttlichen verband. Er empfing Leben aus Gott und gab es an die Menschen weiter. Ez.74.3 Teilen

„Es hat nie ein Mensch also geredet wie dieser Mensch.“ Johannes 7,46. Das träfe auch auf Christus zu, wenn er nur in Bezug auf die Welt der Dinge und Gedanken oder ausschließlich in Sachen der Theorie und Spekulation Lehren erteilt hätte. Er hätte Geheimnisse enthüllen können, für deren Ergründung Jahrhunderte mühevollen Studiums erforderlich waren. Er hätte auf wissenschaftlichem Gebiet Hinweise geben können, die bis zum Ende der Zeiten zum Denken angeregt und zu Erfindungen Anstoß gegeben hätten. Aber er tat dies nicht. Er sagte nichts, um die Neugierde zu befriedigen oder den selbstsüchtigen Ehrgeiz anzustacheln. Er befaßte sich nicht mit abstrakten Theorien, sondern mit dem, was für die Entwicklung des Charakters wesentlich ist, was den Menschen noch mehr zur Gotteserkenntnis befähigt und seine Kraft zu guten Taten vermehrt. Er sprach über die Wahrheiten, die sich auf die Lebensführung beziehen und den Menschen mit dem Ewigen verbinden. Ez.74.4 Teilen

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Statt die Leute auf das Studium menschlicher Theorien über Gott, sein Wort oder seine Werke hinzulenken, lehrte er sie, ihn so zu sehen, wie er sich in seinen Werken, in seinem Wort und in seiner Vorsehung offenbarte. Er brachte ihr Denken mit dem Geist des Unendlichen in Berührung. Ez.75.1 Teilen

Die Leute „verwunderten sich seiner Lehre; denn seine Rede war gewaltig“. Lukas 4,32. Nie zuvor hatte jemand gesprochen, der solche Macht besaß, das Denken wachzurütteln, ein edles Streben zu entfachen und alle körperlichen, geistigen und seelischen Fähigkeiten aufzuschließen. Ez.75.2 Teilen

Die Lehre Christi war weltumspannend wie sein Mitgefühl. Unmöglich kann es einen Lebensumstand, eine Krise im Menschendasein geben, die nicht in seinen Reden vorweggenommen sind, für den seine richtungweisenden Gedanken nicht eine Lehre enthalten. Ez.75.3 Teilen

Da er der höchste Lehrer ist, werden seine Worte bis zum Ende der Zeiten eine Richtschnur für seine Mitarbeiter darstellen. Ez.75.4 Teilen

Für ihn fielen Gegenwart und Zukunft, Nahes und Fernes in eins zusammen. Er sah die Nöte der gesamten Menschheit vor sich. Vor seinem geistigen Auge entfaltete sich jede Szene menschlichen Mühens und Vollendens, menschlichen Versucht- und Bedrängtseins, menschlicher Verlegenheit und Gefahr. Er wußte um alle Herzen, um alle Heime, um alle Vergnügungen, Freuden und Bestrebungen. Ez.75.5 Teilen

Er sprach nicht nur für die gesamte Menschheit, sondern auch zu ihr. An das kleine Kind, das sich seines Lebensmorgens freute, an das daseinsfreudige, ruhelose Herz der Jugend, an die Männer im kraftvollsten Alter, die die Last der Sorge und Verantwortung trugen, an die Bejahrten in ihrer Schwachheit und Müdigkeit, an alle war seine Botschaft gerichtet. Jedes Menschenkind in allen Landen und zu jeder Zeit war gemeint. Ez.75.6 Teilen

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Was er lehrte, umspannte die zeitlichen und die ewigen Dinge, die Beziehung des Sichtbaren zum Unsichtbaren, die flüchtigen Geschehnisse des Alltags und die feierlichen Entscheidungen des zukünftigen Lebens. Ez.76.1 Teilen

Den Dingen dieser Welt wies er ihren wahren Platz zu, indem er sie den Ewigkeitswerten unterordnete, verkannte aber nicht ihre Bedeutung. Er lehrte, dass Himmel und Erde zusammenhängen und dass eine Kenntnis der göttlichen Wahrheit den Menschen zur besseren Erfüllung seiner täglichen Pflichten befähigt. Für ihn war nichts ohne Sinn. Das Spiel des Kindes, die Arbeit des Mannes, die Freuden, Sorgen und Schmerzen des Lebens, alles diente dem einen Zweck: der Offenbarung Gottes zum Heile der Menschheit. Ez.76.2 Teilen

Das Wort Gottes, wie es von seinen Lippen kam, traf die Herzen mit neuer Kraft und vertiefter Bedeutung. Seine Lehren warfen auf das Schöpfungsgeschehen ein neues Licht. Auf dem Antlitz der Natur ruhte wieder der Schimmer jener Herrlichkeit, den die Sünde verbannt hatte. Jede Tatsache und jede Erfahrung des Lebens enthielt eine göttliche Lehre und wies auf die Möglichkeit der Gemeinschaft mit Gott hin. Wieder wohnte der Höchste auf Erden, und menschlichen Herzen kam seine Gegenwart zu Bewußtsein. Er umfaßte die Welt mit seinen Liebesarmen. Der Himmel neigte sich zu den Menschen herab, und sie gaben in Christus dem die Ehre, der ihnen das Wissen um die ewigen Dinge erschlossen hatte „Immanuel, Gott mit uns.“ Ez.76.3 Teilen

Alles echte erzieherische Wirken gründet in dem gottgesandten Lehrer. Der Heiland meinte ebenso gewiß das Erziehungswerk unserer wie seiner Tage, als er die Aussprüche tat: „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige.“ „Ich bin das A und O, der Anfang und das Ende.“ Offenbarung 1,17.18; Offenbarung 21,6. Ez.76.4 Teilen

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Was ist törichter, als beim Vorhandensein eines solchen Lehrers, einer solchen Gelegenheit zu gottgewirkter Erziehung, nach einer Ausbildung ohne ihn auszuschauen? Hieße das nicht: weise sein zu wollen unter Ausschluß der Weisheit? Wahrhaftigkeit zu erstreben, obschon man die Wahrheit verschmäht? Dort nach Erleuchtung zu suchen, wo das Licht fehlt? Ein Dasein zu wünschen ohne den, der das Leben ist? Sich von der Quelle des lebendigen Wassers abzuwenden und löchrige Brunnen auszuhauen, die doch kein Wasser geben? Ez.77.1 Teilen

Siehe, noch immer ergeht seine Einladung: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen.“ „Das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“ Johannes 7,37.38; Johannes 4,14. Ez.77.2 Teilen

Kapitel 9: Die Erläuterung seiner Methoden

„Ich habe deinen Namen offenbart den Menschen,die du mir von der Welt gegeben hast.“ Ez.77 Teilen

Ihre vollendetste Darstellung finden die Lehrmethoden Christi in der Art, wie er seine ersten zwölf Jünger erzog. Auf diesen Männern sollten einmal schwere Verantwortungen ruhen. Er hatte sie erwählt als Menschen, die er mit seinem Geist durchdringen konnte, die die Fähigkeit erlangen mochten, sein Werk auf Erden weiterzuführen, wenn er es verlassen musste. Vor allen andern gewährte er ihnen die Gnade, sich in seiner Gesellschaft zu bewegen. Er prägte diesen erwählten Mitarbeitern sein Bild durch persönlichen Umgang ins Herz. „Das Leben ist erschienen“, schreibt der Lieblingsjünger Johannes, „und wir haben gesehen und bezeugen ...“ 1.Johannes 1,2. Ez.77.3 Teilen

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Allein solche Geistes und Herzensgemeinschaft — die Vereinigung des Menschlichen mit dem Göttlichen — kann jene belebende Kraft verleihen, die wahre Erziehung vermitteln soll, denn nur Leben erzeugt wiederum Leben. Ez.78.1 Teilen

Bei der Ausbildung seiner Jünger wandte der Heiland die im Anfang gestiftete Erziehungsmethode an. Die zwölf Ersterwählten bildeten mit einigen andern, die sich zeitweise zu ihnen gesellten, um ihren (leiblichen) Bedürfnissen zu dienen, die Familie Jesu. Im Hause, bei Tisch, im Kämmerlein und auf freier Flur waren sie um ihn. Sie begleiteten ihn auf seinen Reisen, teilten seine Mühsale und Entbehrungen und halfen ihm, so gut sie konnten, bei seinem Werk. Ez.78.2 Teilen

Manchmal lehrte er sie, wenn sie miteinander am Bergabhang saßen, zuweilen auch am Ufer des Sees oder vom Fischerkahn aus, ein andermal, wenn sie ihres Weges wandelten. Sooft er zur Menge sprach, bildeten die Jünger den inneren Kreis. Sie drängten sich nah an ihn heran, damit ihnen nichts von seinen Unterweisungen entginge. Sie waren aufmerksame Zuhörer, die brennend gern die Wahrheiten verstehen wollten, die sie einmal an alle Länder und Zeitalter weitergeben sollten. Ez.78.3 Teilen

Jesus hatte seine ersten Schüler aus den Reihen des gewöhnlichen Volkes erwählt. Es handelte sich bei diesen Fischern aus Galiläa um bescheidene, ungelehrte Leute, um Männer, die in der Gelehrsamkeit und im Brauchtum der Rabbiner nicht bewandert, aber in der strengen Schule der Mühen und Entbehrungen ausgebildet waren. Es waren Leute mit angeborenen Fähigkeiten und gelehrigem Geist, Männer, die für das Werk des Heilandes unterwiesen und zugerüstet werden konnten. Im Alltagsleben gibt es manchen einfachen Arbeiter, der sich geduldig seinen täglichen Pflichten unterzieht, ohne eine Ahnung von den schlummernden Kräften zu haben, die ihm — wenn sie zur Tat geweckt wären — einen Platz unter den großen Führern der Welt sichern könnten. Solchen Schlags waren die Männer, die der Heiland zu seinen Mitarbeitern berief. Und dazu genossen sie den Vorteil, drei Jahre lang durch den größten Erzieher geschult zu werden, den diese Welt je gekannt hat. Ez.78.4 Teilen

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Unter diesen ersten Jüngern trat eine ausgeprägte Verschiedenheit zutage. Sie sollten die Lehrer der Welt werden und verkörperten daher stark voneinander abweichende Charaktertypen. Da war Levi Matthäus, der Zöllner, herausgerufen aus einem geschäftigen Leben im Dienste Roms, oder Simon der Eiferer, ein unnachgiebiger Feind kaiserlicher Obergewalt; daneben der leicht erregbare, selbstgefällige, warmherzige Petrus mit seinem Bruder Andreas; Judas der Judäer, sehr begabt und gewandt, aber von niedriger Gesinnung; Philippus und Thomas, die bei allem Ernst und aller Treue doch trägen Herzens waren zu glauben; Jakobus der Jüngere und Judas, im Jüngerkreise von geringerer Bedeutung, aber dennoch kraftvolle Männer, bei denen sich Fehler und Tugenden gleich stark ausprägten; Nathanael, in seiner aufrichtigen und vertrauensvollen Art einem Kinde gleich, und die ehrgeizigen Söhne des Zebedäus mit ihren Herzen voller Liebe. Ez.79.1 Teilen

Um das Werk, zu dem sie berufen waren, erfolgreich durchführen zu können, mussten die Jünger, soweit sie sich auch in ihrer natürlichen Eigenart, in ihrer Ausbildung und in den Lebensgewohnheiten unterschieden, zur Einmütigkeit im Fühlen, Denken und Handeln gelangen. Es war das Ziel Christi, solchen Einklang zu schaffen. Zu diesem Zweck suchte er die Einheit zwischen ihnen und sich selbst herzustellen. Die Last, die er bei dem Ringen um sie fühlte, findet ihren Ausdruck in seinem Gebet zum Vater: „... auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns eins seien ... und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und liebest sie, gleichwie du mich liebst.“ Johannes 17,21.23. Ez.79.2 Teilen

Von den zwölf Jüngern sollten vier einst eine führende Rolle spielen — jeder in einer bestimmten Richtung. Christus, der alles voraussah, erteilte ihnen Lehren, um sie dafür vorzubereiten. Jakobus war zu einem raschen Tode durch das Schwert bestimmt; Johannes sollte seinem Meister am längsten von allen Brüdern unter Verfolgung und Mühsal dienen; Petrus würde als Pionier jahrhundertealte Schranken durchbrechen und die heidnische Welt unterrichten, und Judas besaß die Fähigkeit, im Dienst über seine Brüder hinauszuwachsen, doch hegte er in seinem Innern Pläne, von deren Auswirkung er wenig ahnte. Diesen vier widmete Christus die größte Sorgfalt. Sie waren Empfänger seiner zahlreichsten, sorgsamsten Unterweisungen. Ez.79.3 Teilen

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Petrus, Jakobus und Johannes suchten jede Gelegenheit, mit dem Meister in enge Berührung zu kommen, und ihrem Wunsche wurde entsprochen. Von allen Zwölfen waren sie am innigsten mit ihm verbunden. Johannes konnte sich nur mit einem noch vertrauteren Verhältnis zufrieden geben, und dieses wurde ihm auch gewährt. Bei jener ersten Begegnung am Jordan, als Andreas, nachdem er Jesus gehört hatte, hinweg eilte, um seinen Bruder zu rufen, saß Johannes still da und war in die Betrachtung wundersamer Themen versunken. Er folgte dem Heiland nach, stets ein eifriger, gespannter Zuhörer. Doch hatte Johannes keinen fehlerlosen Charakter. Er war kein sanfter, träumerischer Schwärmer. Er und sein Bruder wurden als die „Donnerskinder“ bezeichnet. Johannes war stolz, ehrgeizig und streitsüchtig; aber unter all diesen Charakterzügen gewahrte der göttliche Lehrer das aufrichtige, glutvolle, liebende Herz. Jesus tadelte seinen Eigennutz, enttäuschte seinen Ehrgeiz und prüfte seinen Glauben. Aber er offenbarte ihm auch das, wonach sein Inneres verlangte die Schönheit heiligen Wesens, seine umwandelnde Gottesliebe. „Ich habe deinen Namen offenbart den Menschen, die du mir von der Welt gegeben hast“ (Johannes 17,6), sagte er zum Vater. Ez.80.1 Teilen

Johannes war eine Natur, die sich nach Liebe, Mitgefühl und Gemeinschaft sehnte. Er drängte sich nahe an Jesus heran, saß an seiner Seite, lehnte an seiner Brust. Wie eine Blume sich von Tau und Sonnenschein ernährt, so nahm er göttliches Licht und Leben in sich auf. Voller Verehrung und Liebe blickte er auf den Erlöser, bis sein einziges Verlangen darin bestand, Christus ähnlich zu werden und Gemeinschaft mit ihm zu pflegen, bis sich in seinem Charakter der des Meisters widerspiegelte. „Sehet“, sagte er, „welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder sollen heißen! Darum kennt euch die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht. Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder; und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, dass wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und ein jeglicher, der solche Hoffnung hat zu ihm, der reinigt sich, gleichwie er auch rein ist.“ 1.Johannes 3,1-3. Ez.80.2 Teilen

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Keines Jüngers Geschichte veranschaulicht die Erziehungsmethode Christi besser als die des Petrus. Dieser war kühn, angriffslustig und selbstsicher, rasch im Begreifen, Handeln und Wiedervergelten, doch großmütig im Vergeben. So irrte er denn oft und wurde häufig getadelt. Dabei wurde seine innige Treue und Ergebenheit Christus gegenüber nicht weniger entschieden anerkannt und gelobt. Der Heiland verfuhr geduldig und in verständnisvoller Liebe mit seinem ungestümen Jünger. Er suchte sein Selbstvertrauen zu dämpfen und ihn Demut, Gehorsam und Vertrauen zu lehren. Ez.81.1 Teilen

Aber Petrus lernte seine Lektion nur teilweise. Seine Selbstsicherheit schwand nicht. Ez.81.2 Teilen

Oft, wenn die Bürde schwer auf dem Herzen Jesu lastete, suchte er den Jüngern Einblick in seine künftigen Prüfungen und Leiden zu geben. Aber ihre Augen wurden gehalten. Solches Wissen war ihnen unwillkommen; sie waren daher blind dafür. Die Eigenliebe, die vor der Leidensgemeinschaft mit Christus zurückschreckte, veranlaßte Petrus zu dem Einspruch: „Herr, schone dein selbst; das widerfahre dir nur nicht!“ Matthäus 16,22. In seinen Worten kam das Fühlen und Denken der Zwölf zum Ausdruck. Ez.81.3 Teilen

So gingen sie weiter ihres Weges, während die Krise näherrückte. Sie waren dabei prahlerisch und streitsüchtig, verteilten im voraus königliche Würden und ahnten nichts vom Kreuz. Ez.81.4 Teilen

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Die Erfahrung des Petrus enthielt eine Lehre für sie alle. Für das Selbstvertrauen bedeuten Prüfungen Niederlagen. Die sicheren Folgen einer unbesiegten Sünde konnte Christus nicht verhindern. Aber wie er seine Hand rettend ausgestreckt hatte, als die Wogen über Petrus zusammenzuschlagen drohten, so neigte sich auch seine Liebe helfend herab, als die tiefen Wasser über die Seele seines Jüngers hereinbrachen. Obwohl Petrus schon am Rande des Verderbens wandelte, brachten ihn seine prahlerischen Worte immer wieder und immer noch näher an den Abgrund. Stets von neuem ertönte die Warnung: Du wirst verleugnen, „dass du mich kennest“. Lukas 22,34. In dem Bekenntnis: „Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“ (Lukas 22,33), äußerte sich das bekümmerte, liebende Herz des Jüngers. Er, der in den Herzen liest, richtete an Petrus die damals wenig beachtete Botschaft, die jedoch dann in die schnell hereinbrechende Finsternis einen Hoffnungsstrahl warf: „Simon, Simon, siehe, der Satanas hat euer begehrt, dass er euch möchte sichten wie den Weizen; ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dermaleinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder.“ Lukas 22,31.32. Ez.82.1 Teilen

Als in der Gerichtshalle die Worte der Verleugnung gefallen waren, als Petrus von seiner Liebe und Treue, die unter dem mitleidsvollen, liebenden und bekümmerten Blick des Heilandes wieder angefacht war, in den Garten fortgetrieben wurde, wo Christus geweint und gebetet hatte, als seine Reuetränen auf den Rasen fielen, den Jesu Blutstropfen in seiner Todespein genetzt hatten, da gaben die Worte des Erlösers seiner Seele Halt: „Ich aber habe für dich gebeten ... wenn du dermaleinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder.“ Christus überließ ihn nicht der Verzweiflung, obwohl er seine Sünde vorausgesehen hatte. Ez.82.2 Teilen

Hätte der Blick, den Jesus ihm zuwarf, Verdammnis statt Mitleid ausgedrückt, hätte der Heiland nicht von Hoffnung gesprochen, als er ihm seine Sünde voraussagte, wie tief wäre dann die Finsternis gewesen, die Petrus umhüllt hätte, wie grenzenlos die Verzweiflung seiner gequälten Seele! Was hätte ihn in dieser Stunde der Pein und des Abscheus vor sich selber davor zurückhalten können, denselben Weg zu gehen wie Judas? Ez.82.3 Teilen

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Er, der seinem Jünger den Schmerz nicht ersparen konnte, ließ ihn diese Bitternis nicht allein auskosten. Seine Liebe versagt nicht und läßt niemand in Stich. Ez.83.1 Teilen

Menschliche Wesen, die ja selbst dem Bösen verhaftet sind, neigen leicht dazu, mit dem Versuchten und Irrenden unsanft umzugehen. Sie können nicht im Herzen lesen, sie wissen nicht um sein Ringen, seine Qual. Sie müssen es lernen, in Liebe zu tadeln, heilsame Wunden zu schlagen, in die Warnung die Hoffnung einzuflechten. Ez.83.2 Teilen

Nicht Johannes, der mit Jesus im Gerichtssaal wachte, der neben seinem Kreuz stand und als erster von den Zwölfen zum Grabe kam, nicht Johannes, sondern Petrus war es, der in der ersten Botschaft Christi nach seiner Auferstehung an die Jünger mit Namen erwähnt wurde. „Sagt es seinen Jüngern und Petrus“, sprach der Engel, „dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen.“ Markus 16,7. Ez.83.3 Teilen

Bei der letzten Zusammenkunft Christi mit den Jüngern am See erhielt Petrus seinen Platz unter den Zwölfen zurück, nachdem er durch die dreimal ausgesprochene Frage: „Hast du mich lieb?“ auf die Probe gestellt worden war. Dann wurde ihm seine Aufgabe zugeteilt; er sollte die Herde des Herrn weiden. Schließlich gab ihm Jesus die letzte persönliche Weisung, indem er ihn aufforderte: „Folge du mir nach.“ Johannes 21,17.22. Ez.83.4 Teilen

Nun konnte Petrus diese Worte begreifen. Die Lehre, die Christus erteilt hatte, als er ein kleines Kind mitten unter die Jünger stellte und sie aufforderte, diesem gleich zu werden, verstand er nun besser. Da er sowohl seine eigene Schwäche als auch die Macht Christi klarer erkannt hatte, war er bereit, zu vertrauen und zu gehorchen. In der Kraft seines Meisters konnte er ihm nachfolgen. Ez.83.5 Teilen

Am Ende seines mühe und opferreichen Lebens achtete es der Jünger, der einst so wenig bereit gewesen war, sich mit dem Kreuz auseinanderzusetzen, für eine Freude, sein Leben für das Evangelium hinzugeben, wobei er nur empfand, dass es für ihn, der den Herrn verleugnet hatte, eine zu hohe Ehre war, in derselben Weise wie sein Meister zu sterben. Ez.83.6 Teilen

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Die Umwandlung des Petrus war ein Wunder göttlicher Liebe. Sie gibt allen, die bestrebt sind, dem großen Lehrer in seinen Fußtapfen nachzufolgen, eine Lehre fürs Leben. Ez.84.1 Teilen

Jesus rügte seine Jünger, er ermahnte und warnte sie, aber Johannes, Petrus und ihre Brüder verließen ihn nicht. Trotz allen Tadels beschlossen sie, bei Jesus zu bleiben, und der Heiland zog sich ungeachtet ihrer Mängel nicht von ihnen zurück. Er nimmt die Menschen, wie sie sind, mit all ihren Fehlern und Schwächen und erzieht sie für seinen Dienst, wenn sie sich von ihm ertüchtigen und belehren lassen. Ez.84.2 Teilen

Unter den Zwölfen war aber einer, an den Christus bis kurz vor der Beendigung seines Werkes kein unmittelbares Wort des Tadels richtete. Ez.84.3 Teilen

Mit Judas war ein widerspenstiges Element bei den Jüngern eingekehrt. Er hatte sich Jesus angeschlossen, weil ihn dessen Charakter und Leben anzogen. Er hatte aufrichtig eine innere Wandlung ersehnt und gehofft, sie durch eine Vereinigung mit Jesus zu erfahren. Aber dieser Wunsch wurde nicht zum vorherrschenden. Was ihn leitete, war die Hoffnung auf eigenen Vorteil in dem weltlichen Königreich, das Christus nach seinen Erwartungen aufrichten würde. Obwohl Judas die göttliche Macht der Liebe Christi erkannte, beugte er sich nicht ihrem Herrschaftsanspruch. Er behielt weiterhin sein eigenes Urteil, seine eigenen Meinungen und seine Neigung zum Kritisieren und Verdammen bei. Christi Beweggründe und Handlungen, die oft weit über sein Verständnis hinausgingen, erregten Zweifel und Mißbilligung bei ihm, und seine ehrgeizigen Bestrebungen und Zweifelsfragen übertrugen sich auf die Jünger. Viele ihrer Streitigkeiten um die Oberherrschaft und ein Großteil ihrer Unzufriedenheit mit der Handlungsweise Christi sind auf Judas zurückzuführen. Ez.84.4 Teilen

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Jesus vermied die unmittelbare Auseinandersetzung, weil er sah, dass Widerspruch nur verhärtete. Die engherzige Selbstsucht im Leben des Judas suchte Christus zu heilen, indem er ihn mit seiner eigenen aufopfernden Liebe in Berührung brachte. In seinen Lehren entwickelte er Grundsätze, die den ichsüchtigen Ehrgeiz des Jüngers an der Wurzel trafen. Eine Lektion nach der andern wurde so erteilt, und mehr als einmal erkannte Judas, dass sein Charakter geschildert, dass seine Sünde gekennzeichnet worden war; aber er wollte nicht nachgeben. Ez.85.1 Teilen

Da er dem Ruf der Gnade Widerstand leistete, gewann die Neigung zum Bösen schließlich die Oberhand. Ärgerlich über einen verhüllten Vorwurf und zu einem Verzweiflungsakt getrieben, weil seine ehrgeizigen Träume enttäuscht wurden, überließ sich Judas dem Dämon der Habsucht und beschloß den Verrat an seinem Meister. Vom Passahmahl hinweg, aus der freudvollen Gegenwart Christi und dem Lichte unsterblicher Hoffnung ging er hinaus an sein böses Werk in die äußerste Finsternis, wo es keine Hoffnung gab. Ez.85.2 Teilen

„Jesus wußte von Anfang wohl, welche nicht glaubend waren und welcher ihn verraten würde.“ Johannes 6,64. Doch in diesem vollen Wissen hatte er mit keinem Ruf der Gnade und mit keinem Geschenk der Liebe zurückgehalten. Ez.85.3 Teilen

Weil er sah, in welcher Gefahr Judas stand, hatte er ihn in seine nächste Nähe, in den engeren Kreis seiner erkorenen und vertrauenswürdigen Jünger hereingezogen. Wenn sein Herz selbst aufs schwerste belastet war, hatte er Tag für Tag die Pein ständigen Umgangs mit diesem halsstarrigen, argwöhnischen, finster brütenden Geist ertragen. Er hatte Zeugnis abgelegt und sich bemüht, jenem dauernden, heimlichen, kaum greifbaren Widerstand unter seinen Jüngern entgegenzuwirken. Dies alles geschah, damit es dieser gefährdeten Seele nicht an irgendeinem heilsamen Einfluß fehlen möchte! „... dass auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen noch die Ströme sie ertränken.“ „Denn Liebe ist stark wie der Tod.“ Hohelied 8,7.6. Ez.85.4 Teilen

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Soweit es Judas betraf, war Christi Liebeswerk umsonst gewesen, nicht aber in seiner Wirkung auf die anderen Jünger. Für sie bedeutete es ein Lehrbeispiel, das lebenslang nachwirkte. In alle Zukunft sollte dieses Vorbild zarter Liebe und Geduld ihren Umgang mit den Versuchten und Irrenden beeinflussen. Und noch andere Lehren enthielt es. Bei der Einsetzung der Zwölf hatten die Jünger den starken Wunsch gehegt, Judas möchte einer der Ihren werden. Sie hatten sein Hinzukommen als vielversprechendes Ereignis für die Apostelschar gewertet. Er war mehr als sie mit der Welt in Berührung gekommen; er war ein Mann von guten Umgangsformen, war scharfsinnig und tatkräftig, und da er seine eigenen Fähigkeiten hoch einschätzte, hatte er die Jünger so weit gebracht, dass auch sie viel von ihm hielten. Aber den Methoden, die er im Werke Christi einführen wollte, lagen weltliche Spielregeln zugrunde; weltliche Klugheit beherrschten sie. Sie dienten zur Sicherung irdischer Anerkennung und Ehre zur Erlangung des Reiches dieser Welt. Die Auswirkung solcher Wünsche im Leben des Judas ließ die Jünger den Widerstreit zwischen dem Motiv der Selbsterhöhung und Christi Grundsatz der Demut und Selbstaufopferung dem Grundsatz des geistlichen Königreiches besser verstehen. Im Schicksal des Judas sahen sie, zu welchem Ende es führt, wenn man dem eigenen Ich dient. Ez.86.1 Teilen

Für diese Jünger erfüllte die Sendung Christi schließlich ihren Zweck. Nach und nach formten sein Vorbild und seine Lehrbeispiele der Selbstverleugnung ihren Charakter. Sein Tod zerstörte ihre Hoffnung auf irdische Geltung. Der Fall Petri, das Abtrünnigwerden des Judas, ihr eigenes Versagen, als sie Christus in seiner Seelenpein und Gefährdung verließen, fegten ihren Eigendünkel hinweg. Sie erkannten ihre Schwäche; sie sahen etwas von der Größe des Werkes, das ihnen aufgetragen war; sie empfanden die Notwendigkeit der Führung durch den Meister bei jedem ihrer Schritte. Ez.86.2 Teilen

Sie wußten, dass er nicht mehr länger persönlich unter ihnen weilen sollte, und erkannten wie nie zuvor den Wert der Gelegenheiten, die ihnen geworden waren, mit dem Gottgesandten Umgang und Zwiesprache zu pflegen. Viele seiner Lehren hatten sie nicht gewürdigt oder verstanden, als sie ausgesprochen wurden; jetzt hätten sie sich diese Reden gern wieder ins Gedächtnis zurückgerufen und seine Worte aufs neue vernommen. Mit welcher Freude erinnerten sie sich nun seiner Zusicherung: Ez.86.3 Teilen

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„Es ist euch gut, dass ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch; so ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.“ „Alles, was ich habe von meinem Vater gehört, habe ich euch kundgetan.“ Und „der Tröster ... welchen mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch erinnern alles des, das ich euch gesagt habe.“ Johannes 16,7; Johannes 15,15; Johannes 14,26. „Alles, was der Vater hat, das ist mein.“ „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten ... von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen.“ Johannes 16,5.13.14. Ez.87.1 Teilen

Die Jünger hatten Christus vom Ölberg aus ihrer Mitte auffahren sehen. Als die Himmel ihn aufnahmen, war ihnen seine Abschiedsverheißung wieder eingefallen: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Matthäus 28,20. Ez.87.2 Teilen

Sie wußten, dass er noch immer mit ihnen fühlte. Sie wußten auch, dass sie einen Vertreter, einen Fürsprecher am Throne Gottes hatten. Im Namen Jesu brachten sie ihre Bitten dar und riefen sich seine Verheißung in die Erinnerung: „So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er’s euch geben.“ Johannes 16,23. Ez.87.3 Teilen

Immer höher reckten sie die Glaubenshand und gaben machtvoll Zeugnis: „Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferwecket ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.“ Römer 8,34. Ez.87.4 Teilen

Getreu seiner Verheißung ließ der zum Himmel erhöhte Gottessohn seine Nachfolger auf Erden seiner Fülle teilhaftig werden. Seine Erhebung auf den Thron zur Rechten Gottes wurde durch die Ausgießung des Heiligen Geistes auf seine Jünger angezeigt. Ez.87.5 Teilen

Durch das Wirken Christi hatten die Jünger erkannt, dass sie des Heiligen Geistes bedurften; unter der Leitung des Geistes empfingen sie die letzte Vorbereitung und machten sich an ihre Lebensaufgabe. Ez.87.6 Teilen

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Nun waren sie nicht mehr unwissend und ungebildet, noch eine Gruppe zusammenhangloser Einzelwesen oder uneiniger, widerstreitender Elemente. Sie setzten ihre Hoffnung nicht mehr auf weltliche Anerkennung, vielmehr waren sie „alle einmütig“, eines Geistes und einer Seele. Christus erfüllte ihr Denken. Ihr ganzes Streben galt dem Bau seines Reiches. In Gesinnung und Wesen waren sie ihrem Meister gleich geworden, so dass die Menschen es ihnen ansahen, „dass sie mit Jesus gewesen waren.“ Apostelgeschichte 4,13. Ez.88.1 Teilen

Danach offenbarte sich die Herrlichkeit Christi in einem Maße, wie sterbliche Menschen sie noch nie erlebt hatten. Unzählige, die seinen Namen geschmäht und seine Macht mißachtet hatten, bekannten sich als Jünger des Gekreuzigten. Mit Hilfe des Geistes Gottes rüttelte das Wirken dieser einfachen Menschen, die Christus erwählt hatte, die ganze Welt auf. So gelangte die Frohbotschaft während einer einzigen Lebensspanne zu allen Völkern der Erde. Ez.88.2 Teilen

Denselben Geist nun, der an Christi Statt die ersten Jünger unterwies, hat er auch den heutigen „Mitarbeiten Christi“ zum Lehrer bestimmt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Matthäus 28,20. Ez.88.3 Teilen

Die Gegenwart desselben Ratgebers wird heute in der erzieherischen Arbeit dieselben Ergebnisse zeitigen wie vor alters. Das ist das Ziel, dem wahre Erziehung zustrebt; das ist die Aufgabe, die sie nach Gottes Willen erfüllen soll. Ez.88.4 Teilen

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