Portrait von Ellen White
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Kapitel 1: Meine Kindheit
Kapitel 1: Meine Kindheit
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Ich wurde am 26. November 1827 in Gorham, Maine, geboren. Meine Eltern, Robert und Eunice Harmon, waren viele Jahre hindurch Ansässige dieses Staates. Bereits in jungen Jahren wurden sie ernste und gottgeweihte Glieder der Bischöflichen Methodistenkirche. In jener Kirche nahmen sie eine prominente Stellung ein und wirkten für die Bekehrung von Sündern sowie für den Aufbau des Werkes Gottes während einer Zeitperiode von vierzig Jahren. Während dieser Zeit wurde ihnen die Freude zuteil, alle ihre Kinder, acht an der Zahl, bekehrt und in der Herde Christi versammelt zu sehen. Ihre entschiedenen Ansichten betreffs der Wiederkunft Christi führten jedoch zur Trennung der Familie von der Methodistenkirche im Jahr 1843. Z1.21.1 Teilen

Während ich noch ein Kind war, zogen meine Eltern von Gorham nach Portland, Maine. Hier erlitt ich im Alter von neun Jahren einen Unfall, der mein ganzes Leben beeinflussen sollte. Gemeinsam mit meiner Zwillingsschwester und einer unserer Mitschülerinnen ging ich über ein Parkgelände der Stadt Portland, als ein Mädchen von etwa dreizehn Jahren, das über irgendeine Kleinigkeit zornig wurde, damit drohte, uns zu schlagen. Unsere Eltern hatten uns belehrt, uns mit niemanden zu streiten, wenn wir aber in Gefahr gerieten, misshandelt oder verletzt zu werden, rasch nach Hause zu laufen. Dies taten wir in aller Eile; aber das Mädchen folgte uns schnell mit einem Stein in der Hand. Ich wandte mich um, zu sehen, wie weit sie noch hinter mir war, als sie den Stein warf und mich an der Nase traf. Ich wurde durch den Wurf betäubt und fiel bewusstlos zu Boden. Z1.21.2 Teilen

Als mein Bewusstsein zurückkehrte, befand ich mich in einem Kaufmannsladen. Meine Kleider waren mit Blut befleckt, das aus meiner Nase strömte und zu Boden floss. Ein freundlicher Fremder erbot sich, mich in seiner Kutsche heimzubringen; aber ich sagte ihm, meine Schwäche nicht erkennend, dass ich es vorziehe, zu Fuß zu gehen, um seine Kutsche nicht mit Blut zu beschmutzen. Die Anwesenden verkannten die Schwere meiner Verletzung und gestatteten mir, meinem Wunsch zu folgen. Doch nachdem ich eine kleine Strecke gegangen war wurde mir schwindelig und ich fiel wieder in Ohnmacht. Meine Zwillingsschwester und meine Schulkameradin trugen mich heim. Z1.21.3 Teilen

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Ich habe weiter keine Erinnerung an irgendetwas bis etliche Zeit nach dem Unfall. Meine Mutter sagte, dass ich nichts wahrnahm, sondern drei Wochen lang in halber Betäubung dalag. Niemand außer ihr selbst hielt meine Genesung für möglich; doch aus irgendeinem Grund fühlte sie, dass ich am Leben bleiben würde. Eine freundliche Nachbarin, die großen Anteil an meinem Geschick genommen hatte, glaubte zu einer Zeit, ich wäre am sterben. Sie wollte mir ein Totengewand kaufen, aber meine Mutter sagte zu ihr: Noch nicht; irgendetwas sagte ihr, ich würde nicht sterben. Z1.22.1 Teilen

Als ich wieder zu vollem Bewusstsein kam, schien es mir, als ob ich geschlafen hätte. Ich erinnerte mich des Vorfalls nicht und wusste nichts von der Ursache meiner Krankheit. Als ich ein wenig kräftiger geworden war, wurde meine Neugier geweckt, als ich die Worte meiner Besucher vernahm: „Wie traurig!“ „Ich würde sie nicht wieder erkannt haben“ usw. Ich bat um einen Spiegel, und als ich hineinschaute, war ich ganz schockiert über mein Aussehen. Jeder Zug meines Gesichts schien verändert zu sein. Mein Nasenbein war gebrochen, was diese Verunstaltung verursachte. Z1.22.2 Teilen

Der Gedanke, mein Missgeschick ein ganzes Leben hindurch tragen zu müssen, schien mir unerträglich. Ich konnte meiner Existenz nichts Schönes abgewinnen. Ich wollte nicht mehr leben, fürchtete aber zu sterben, denn ich war unvorbereitet. Freunde, die uns besuchten und mich bemitleideten, rieten meinen Eltern, den Vater des Mädchens zu verklagen, das mich ruiniert hatte, wie sie sagten. Aber meine Mutter war für Frieden. Sie sagte, wenn dies meine Gesundheit wiederherstellen und mir zu einem natürlichen Aussehen verhelfen könnte, wäre etwas zu gewinnen. Da dies aber unmöglich war, war es am besten, sich durch Befolgung dieses Rats keine Feinde zu schaffen. Z1.22.3 Teilen

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Ärzte dachten, ein Silberdraht möchte helfen, meine Nase in Form zu halten. Diese Prozedur wäre sehr schmerzhaft gewesen, und sie mussten befürchten, dass sie wenig nutzen würde, weil ich so viel Blut verloren und einen solchen Nervenschock erlitten hatte. Meine Wiederherstellung wäre zweifelhaft, und selbst wenn ich genesen würde, könnte ich nur noch für eine kurze Zeit leben. Ich war bis zu einem Skelett abgemagert. Z1.23.1 Teilen

Um diese Zeit fing ich an, den Herrn zu bitten, mich auf den Tod vorzubereiten. Wenn christliche Freunde die Familie besuchten, so fragten sie meine Mutter, ob sie mit mir über das Sterben gesprochen habe. Ich hörte dies und das erweckte mich. Ich wünschte, eine Christin zu werden und betete ernstlich um Vergebung meiner Sünden. Als Resultat empfand ich Frieden in Herz und Gemüt. Ich liebte alle und wünschte, dass alle Vergebung ihrer Sünden haben und Jesum lieben möchten, wie ich ihn liebte. Z1.23.2 Teilen

Ich erinnere mich sehr gut an eine Nacht im Winter, als die Erde mit Schnee bedeckt war. Der Himmel wurde erhellt, die Wolken schienen rot und zornig und sich zu öffnen und zu schließen, während der Schnee rot wie Blut aussah. Die Nachbarn hatten große Angst. Meine Mutter hob mich aus dem Bett und trug mich ans Fenster. Ich war glücklich. Ich glaubte, Jesus würde kommen, und mich verlangte danach, ihn zu sehen. Mein Herz floss über; ich schlug meine Hände zusammen vor Freude und dachte, meine Leiden hätten ein Ende. Aber ich wurde enttäuscht. Die sonderbare Erscheinung am Himmel verblasste, und am nächsten Morgen ging die Sonne auf wie gewöhnlich. Z1.23.3 Teilen

Ich kam nur langsam wieder zu Kräften. Als ich imstande war, mich meinen jungen Freunden wieder anzuschließen und mit ihnen zu spielen, musste ich die bittere Erfahrung machen, dass unser persönliches Aussehen oft einen Unterschied in der Behandlung macht, die uns von unsern Kameraden zuteil wird. Während meines Unglücks befand sich mein Vater außer Haus in Georgia. Als er nach Hause zurückkehrte, umarmte er meinen Bruder und meine Schwestern und fragte dann nach mir. Ich wich schüchtern zurück, als meine Mutter auf mich zeigte; aber mein eigener Vater erkannte mich nicht. Es war ihm schwer zu glauben, dass ich seine kleine Ellen war, die er vor wenigen Monaten als ein gesundes, glückliches Kind verlassen hatte. Dies verletzte meine Gefühle tief, aber ich versuchte fröhlich zu erscheinen, obgleich mir das Herz brechen wollte. Z1.23.4 Teilen

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In jenen Kindheitstagen bekam ich mein Missgeschick oftmals zu spüren. Ich war sehr empfindsam, was mich sehr unglücklich machte. Mit verwundetem Stolz, gedemütigt und traurig im Geist, suchte ich oft ein einsames Plätzchen auf, um trübsinnig über die Prüfungen nachzusinnen, die ich täglich zu erdulden hatte. Z1.24.1 Teilen

Die Erleichterung, die Tränen bringen, war mir verwehrt. Ich konnte nicht einfach weinen, wie es meiner Zwillingsschwester gegeben war. Obgleich mein Herz zum Bersten voll und schwer war, konnte ich nicht eine Träne vergießen. Oft dachte ich, wie sehr es mich erleichtern würde, könnte ich nur all mein Leid hinwegweinen. Manchmal verbannte das freundliche Mitgefühl von Freunden für eine Zeit meine Schwermut, die Last, die mein Herz beschwerte. Wie eitel und leer erschienen mir dann die irdischen Vergnügungen! Wie veränderlich war doch die Freundschaft meiner jungen Kameraden! Aber diese kleinen Schulkameraden waren nicht anders als die große Mehrheit der Erwachsenen in der Welt. Ein hübsches Angesicht, ein schönes Kleid ist für sie anziehend. Rafft aber Unglück diese Dinge hinweg, wie erkaltet dann die zerbrechliche Freundschaft oder wie rasch findet sie ein Ende! Aber als ich mich meinem Heiland zuwandte, gab er mir Trost. Ich suchte den Herrn ernstlich in meiner Trübsal, und er sprach mir Mut zu. Wie sicher war ich mir, dass Jesus mich liebte! Z1.24.2 Teilen

Meine Gesundheit schien hoffnungslos beeinträchtigt zu sein. Zwei Jahre lang konnte ich nicht durch die Nase atmen. Auch konnte ich die Schule nur wenig besuchen. Es schien mir unmöglich, etwas aufzufassen und das Gelernte zu behalten. Das Mädchen, das die Ursache meines Missgeschicks war, wurde von unserer Lehrerin als Gehilfin angestellt, und es gehörte zu ihren Pflichten, mir im Schreiben und bei andern Lektionen zu helfen. Es schien ihr immer aufrichtig leid zu tun, dass sie mir diese Verletzung zugefügt hatte, obgleich ich mich in Acht nahm, sie nicht daran zu erinnern. Sie war liebevoll und geduldig mit mir und schien traurig und gedankenvoll zu sein, als sie mich unter ernstlichen Schwierigkeiten den Versuch machen sah, doch eine Schulbildung zu bekommen. Z1.24.3 Teilen

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Mein Nervensystem war zerrüttet und meine Hand zitterte so, dass ich nur wenig Fortschritte im Schreiben machte und nicht weiter kam, als in grober Handschrift die einfachen Vorlagen abzuschreiben. Wenn ich mich anstrengte, meine Gedanken auf meine Studien zu konzentrieren, so liefen mir die Buchstaben auf dem Papier zusammen. Große Schweißtropfen standen mir auf der Stirn und ein Gefühl der Ohnmacht und des Schwindels ergriff mich. Ich hatte einen schlimmen Husten und mein ganzer Körper schien sehr geschwächt zu sein. Meine Lehrer rieten mir, die Schule aufzugeben und meine Studien nicht weiter fortzusetzen, bis sich meine Gesundheit gebessert haben werde. Es war der schwerste Kampf meines jungen Lebens, meiner Schwäche nachzugeben und den Entschluss zu fassen, die Schule aufzugeben samt der Hoffnung, eine wissenschaftliche Erziehung zu erhalten. Z1.25.1 Teilen

Drei Jahre später machte ich einen weiteren Versuch, eine Schulbildung zu erlangen. Als ich aber versuchte, meine Studien wieder aufzunehmen, ließ meine Gesundheit auffallend nach, und es schien, dass es mir das Leben kosten würde, falls ich weiter die Schule besuchte. Nach meinem zwölften Lebensjahr nahm ich an keinem Schulunterricht mehr teil. Z1.25.2 Teilen

Mein Ehrgeiz, eine Schülerin zu werden, war sehr groß gewesen; und wenn ich über meine enttäuschten Hoffnungen und über den Gedanken, ein Leben lang Invalide zu sein, nachgrübelte, war ich über mein Los ungehalten. Zu Zeiten murrte ich gegen die Vorsehung Gottes, der mir solche Strafe auferlegte. Hätte ich meiner Mutter mein Herz eröffnet, würde sie mich unterwiesen, beruhigt und ermutigt haben. Aber ich verbarg meine traurigen Empfindungen vor meiner Familie und meinen Freunden, aus Furcht, sie würden mich nicht verstehen. Das glückliche Vertrauen in meines Heilandes Liebe, das ich während meiner Krankheit gefühlt hatte, war gewichen. Meine Aussicht auf weltliche Freuden war vernichtet, und der Himmel schien mir verschlossen zu sein. Z1.25.3 Teilen

Kapitel 2: Meine Bekehrung
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Im März 1840 kam William Miller nach Portland, Maine und hielt seine erste Reihe von Vorträgen über das zweite Kommen Christi. Diese Vorträge erregten großes Aufsehen, und die „Christliche Kirche“ in der Cascostraße, wo Herr Miller die Vorträge hielt, war bei Tag und Nacht gefüllt. Es zeigte sich in den Versammlungen keine wilde Erregtheit, sondern eine tiefe Feierlichkeit erfüllte die Herzen der Zuhörer. Es bekundete sich nicht nur in der Stadt selbst großes Interesse, sondern auch die Landleute strömten Tag für Tag in Scharen herbei, brachten ihr Essen in Körben mit und blieben vom Morgen bis zum Schluss der Abendversammlung da. Z1.26.1 Teilen

In Begleitung meiner Freunde besuchte auch ich diese Versammlungen und lauschte der Aufsehen erregenden Ankündigung, dass Christus 1843 kommen werde, in nur wenigen kurzen Jahren in der Zukunft. Herr Miller führte uns die prophetischen Ketten vor mit einer Genauigkeit, welche die Herzen seiner Zuhörer überzeugte. Er sprach über die prophetischen Zeitperioden und führte viele Beweise an, um seine Stellung zu stärken. Seine ernsten und machtvollen Aufrufe und Mahnungen an diejenigen, die noch unvorbereitet waren, hielten die Volksmassen in ihrem Bann. Z1.26.2 Teilen

Es wurden besondere Versammlungen anberaumt, in denen Sünder Gelegenheit bekamen, ihren Heiland zu suchen und sich auf die schrecklichen Ereignisse vorzubereiten, die bald stattfinden sollten. Über die ganze Stadt hin verbreitete sich Schrecken und Überzeugung. Gebetsversammlungen wurden eingerichtet, und eine allgemeine Erweckung fand in den verschiedenen Gemeinschaften statt; denn sie alle fühlten mehr oder weniger den Einfluss, der von der Lehre von der nahen Wiederkunft Christi ausging. Z1.26.3 Teilen

Wenn Sünder eingeladen wurden, nach vorn zur Bußbank zu kommen, leisteten Hunderte dem Aufruf Folge. Auch ich drängte mich inmitten der Menge nach vorn und nahm meinen Platz unter den Suchenden ein. Aber in meinem Herzen war ein Gefühl, dass ich niemals würdig werden könne, ein Kind Gottes genannt zu werden. Ein Mangel an Selbstvertrauen und die Überzeugung, dass es mir unmöglich sein würde, irgendjemand meine Gefühle verständlich zu machen, hielten mich davon ab, Rat und Hilfe bei meinen christlichen Freunden zu suchen. So wanderte ich unnötig in Finsternis und Verzweiflung umher, während sie, meine Zurückhaltung nicht begreifend, sich meines wahren Zustandes völlig unbewusst waren. Z1.26.4 Teilen

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Eines Abends kehrten mein Bruder Robert und ich von einer Versammlung heim, wo wir einen sehr eindrucksvollen Vortrag über Christi Herrschaft auf Erden gelauscht hatten, der von einem ernsten und feierlichen Aufruf an Christen und Sünder begleitet war, sich auf das Gericht und das Kommen des Herrn vorzubereiten. Meine Seele war durch das Gehörte bis ins Innerste aufgewühlt. So tief war das Gefühl der Überzeugung in meinem Herzen, dass ich glaubte, der Herr werde mich nicht verschonen, noch mein Zuhause erreichen lassen. Z1.27.1 Teilen

Ständig klangen die Worte in meinen Ohren: „Der große Tag des Herrn ist nahe! Wer wird bestehen, wenn er erscheint?“ Die Sprache meines Herzens war: „Verschone mich, o Herr, noch diese Nacht! Nimm mich nicht weg in meinen Sünden, habe Erbarmen mit mir, rette mich!“ Zum ersten Mal versuchte ich meine Gefühle meinem Bruder Robert zu erklären, der zwei Jahre älter war als ich. Ich sagte zu ihm, dass ich nicht wagen würde, zu ruhen noch zu schlafen, ehe ich nicht die Gewissheit hätte, dass Gott meine Sünden vergeben habe. Z1.27.2 Teilen

Mein Bruder antwortete nicht sofort, aber die Ursache seines Schweigens wurde bald sichtbar; er weinte aus Mitleid mit meinem Kummer. Dies ermutigte mich, ihm noch mehr anzuvertrauen. Ich erzählte ihm, dass ich mir den Tod gewünscht hatte in den Tagen, wo mir das Leben eine solche Last war, die ich fast nicht tragen konnte. Doch jetzt erfüllte mich der Gedanke, dass ich in meinem gegenwärtigen sündigen Zustand sterben und für ewig verloren gehen könnte, mit furchtbarer Angst. Ich fragte ihn, ob er glaube, dass Gott mein Leben nur für diese eine Nacht verschonen werde, wenn ich sie mit schmerzlichem Ringen im Gebet zu ihm verbringe. Er antwortete: „Ich glaube schon, dass er es tun wird, wenn du ihn im Glauben bittest, und ich werde für dich und mich beten. Ellen, wir dürfen nie die Worte vergessen, die wir heute Abend gehört haben.“ Z1.27.3 Teilen

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Daheim angekommen, verbrachte ich die meisten langen Stunden der Nacht im Dunkeln unter Gebet und Tränen. Ein Grund, der mich dazu führte, meine Gefühle vor meinen Freunden zu verbergen, war der, dass ich fürchtete, sie würden mich entmutigen. Meine Hoffnung war so gering und mein Glaube so schwach, dass ich fürchtete, falls ein anderer meinen Zustand genauso beurteilte, mich dies zur Verzweiflung bringen würde. Ich verlangte nach jemand, der mir sagen könnte, was ich tun müsse, um gerettet zu werden, welche Schritte ich unternehmen sollte, um meinem Heiland begegnen zu können und mich völlig dem Herrn zu übergeben. Ich betrachtete es als etwas ganz Großes, ein Christ zu sein und fühlte, dass es besondere Anstrengungen meinerseits erfordere. Z1.28.1 Teilen

Mein Gemüt beharrte monatelang in dieser Verfassung. Für gewöhnlich hatte ich zusammen mit meinen Eltern den Gottesdiensten der Methodisten beigewohnt. Aber seit ich an das baldige Kommen Christi interessiert war, besuchte ich die Versammlungen in der Cascostrasse. Im folgenden Sommer gingen meine Eltern zur Lagerversammlung der Methodisten in Buxton, Maine, wohin sie mich mitnahmen. Ich war völlig entschlossen, den Herrn dort in rechtem Ernst zu suchen und, wenn möglich, Vergebung meiner Sünden zu erlangen. Es war ein großes Verlangen in meinem Herzen nach der Hoffnung des Christen und dem Frieden, der durch den Glauben kommt. Z1.28.2 Teilen

Ich wurde sehr ermutigt, als ich einer Predigt über die Worte lauschte: „Und also will ich zum König hineingehen, ... komme ich um, so komme ich um.“ Ester 4,16. In seinen Bemerkungen nahm der Prediger Bezug auf diejenigen, die zwischen Hoffnung und Furcht schwanken, sich danach sehnten, von ihren Sünden gerettet und der verzeihenden Liebe Christi teilhaftig zu werden, aber durch Schüchternheit und Furcht vor Misslingen in Zweifel und Knechtschaft gehalten werden. Er riet solchen, sich Gott zu ergeben und sich ohne Verzug auf seine Gnade zu verlassen. Sie würden einen gnädigen Heiland finden, der bereit sei, ihnen das Zepter der Barmherzigkeit darzureichen, wie Ahasveros der Königin Esther das Zeichen seiner Gunst entgegenhielt. Alles, was von dem in der Gegenwart seines Herrn zitternden Sünder gefordert werde, sei, die Hand des Glaubens auszustrecken und das Zepter seiner Gnade zu berühren. Diese Berührung sichere Vergebung und Frieden. Z1.28.3 Teilen

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Diejenigen, die warten, um sich selbst der göttlichen Gunst würdiger zu machen, ehe sie es wagen, die Verheißungen Gottes zu beanspruchen, begehen einen fatalen Fehler. Jesus allein reinigt von Sünde. Nur er kann unsere Übertretungen vergeben. Er hat sein Wort gegeben, auf unsere Gebete zu hören und das Flehen derer zu erhören, die im Glauben zu ihm kommen. Viele haben eine unbestimmte Idee, dass sie eine wunderbare Anstrengung machen müssen, um die Gunst Gottes zu erwerben. Aber alles Selbstvertrauen ist umsonst. Nur indem der Sünder sich durch den Glauben mit Jesu verbindet, wird er ein hoffnungsvolles, gläubiges Gotteskind. Diese Worte trösteten mich und gaben mir einen Begriff von dem, was ich tun müsse, um selig zu werden. Z1.29.1 Teilen

Nun fing ich an, meinen Weg klarer zu sehen, und die Finsternis begann zu schwinden. Ich betete ernstlich um Vergebung meiner Sünden und strebte danach, mich gänzlich dem Herrn zu weihen. Aber ich war oft in großer Angst, weil ich nicht die geistlichen überschwänglichen Gefühle hatte, die ich für einen Beweis meiner Annahme bei Gott hielt. Ich wagte nicht zu glauben, dass ich ohne dieselben bekehrt sei. Wie sehr ich doch der Belehrung betreffs der Einfalt des Glaubens bedurfte! Z1.29.2 Teilen

Während ich mit andern, die den Herrn suchten, vor dem Altar gebeugt war, lautete die Sprache meines Herzens: „Hilf, Jesus, rette mich, oder ich verderbe! Ich werde nicht aufhören zu bitten, bis mein Gebet erhört ist und meine Sünden vergeben sind.“ Wie nie zuvor empfand ich meinen bedürftigen, hilflosen Zustand. Während ich kniete und betete, verließ mich plötzlich meine Bürde, und mein Herz war erleichtert. Zuerst befiel mich ein Gefühl der Bestürzung, und ich versuchte, die Last meiner Herzensangst wieder aufzunehmen. Es schien mir, ich habe kein Recht, mich froh und glücklich zu fühlen. Aber Jesus schien mir sehr nahe zu sein. Ich fühlte mich imstande, mit all meinen Kümmernissen, Missgeschicken und Prüfungen zu ihm zu kommen, gerade wie die Bedürftigen um Hilfe zu ihm kamen, als er auf Erden war. Es war eine Gewissheit in meinem Herzen, dass er meine besonderen Prüfungen verstehe und Mitgefühl mit mir habe. Niemals kann ich diese köstliche Zusicherung der mitleidsvollen Liebe Jesu gegen jemand, der seiner Beachtung so unwürdig war, vergessen. Ich lernte in jener kurzen Zeit, als ich mit den Betenden auf meinen Knien lag, mehr von dem göttlichen Charakter Christi kennen als je zuvor. Z1.29.3 Teilen

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Eine von den Müttern in Israel kam zu mir und sagte: „Liebes Kind, hast du Jesum gefunden?“ Ich war im Begriff, mit „Ja“ zu antworten, als sie ausrief: „Ja du hast ihn gefunden. Sein Friede ist mit dir, ich sehe es dir am Gesicht an.“ Wieder und wieder sagte ich zu mir selbst: „Kann dies Religion sein? Irre ich mich nicht?“ Es schien mir zu viel zu sein, um es beanspruchen zu können, ein zu erhabenes Vorrecht. Obgleich zu schüchtern, um es öffentlich zu bekennen, fühlte ich, dass der Heiland mich gesegnet und mir meine Sünden vergeben hatte. Z1.30.1 Teilen

Bald darauf schloss die Lagerversammlung, und wir begaben uns auf die Heimreise. Meine Gedanken waren voll von den Predigten, Ermahnungen und Gebeten, die wir gehört hatten. Alles in der Natur schien verändert zu sein. Während eines großen Teils der Versammlung hatten wir Wolken und Regen gehabt und meine Gefühle waren in Übereinstimmung mit dem Wetter gewesen. Nun aber schien die Sonne hell und klar und überflutete die Erde mit Licht und Wärme. Die Bäume und das Gras hatten ein frischeres Grün, der Himmel ein tieferes Blau. Die Erde schien unter dem Frieden Gottes zu lächeln. So hatten die Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit die Wolken und das Dunkel meines Gemüts durchbrochen und die düsteren Schatten verscheucht. Z1.30.2 Teilen

Es schien mir, dass ein jeder in Frieden mit Gott und von seinem Geist belebt sein müsse. Alles, worauf mein Auge ruhte, schien eine Veränderung durchgemacht zu haben. Die Bäume waren schöner und die Vögel sangen lieblicher als je zuvor, sie schienen den Schöpfer in ihren Gesängen zu preisen. Ich wollte nicht gerne sprechen, aus Furcht, dieses Glück möchte schwinden, und ich könnte den köstlichen Beweis der Liebe Jesu zu mir verlieren. Z1.30.3 Teilen

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Als wir uns unserem Heim in Portland näherten, gingen wir an Männern vorbei, die an der Straße arbeiteten. Sie unterhielten sich über alltägliche Dinge; aber meine Ohren waren taub für alles andere, außer dem Preis Gottes, und ihre Worte erschienen mir wie Danksagung und frohe Hosiannas. Mich an meine Mutter wendend, sagte ich: „Wie kommt es, dass diese Männer alle Gott loben, und sie waren doch gar nicht auf der Lagerversammlung.“ Ich verstand nicht, weshalb Mutters Augen sich mit Tränen füllten. Ein zärtliches Lächeln erhellte ihr Gesicht, als sie meine einfachen Worte vernahm, die eine ähnliche Erfahrung in ihrem eigenen Leben wachriefen. Z1.31.1 Teilen

Meine Mutter liebte sehr die Blumen. Es machte ihr viel Freude, sie zu ziehen, um ihr Heim für ihre Kinder anziehend und angenehm zu machen. Aber unser Garten hatte mir nie zuvor so lieblich geschienen, wie am Tage unserer Heimkehr. Ich erkannte in jedem Strauch, jeder Knospe und jeder Blüte einen Widerschein der Liebe Jesu. Diese schönen Dinge schienen in stummer Sprache von Gottes Liebe zu sprechen. Z1.31.2 Teilen

Es gab eine wunderschöne rosafarbene Blume in unserem Garten, Rose von Sharon genannt. Ich erinnere mich daran, wie ich mich zu ihr niederbeugte und ihre zarten Blütenblätter ehrfürchtig berührte. In meinen Augen schienen sie etwas Heiliges zu besitzen. Mein Herz floss über von Zärtlichkeit und Liebe zu diesen herrlichen Schöpfungen Gottes. Ich konnte in den Blumen, welche die Erde schmückten, göttliche Vollkommenheit erkennen. Gott hatte Acht auf sie, und sein allsehendes Auge bewachte sie. Er hatte sie gemacht und nannte sie gut. Z1.31.3 Teilen

„Oh“, dachte ich, „wenn er die Blumen, die er mit Schönheit ausgestattet hatte, so liebte und für sie sorgte, wie viel zärtlicher wird er dann auf die Kinder achten, die er nach seinem Ebenbild erschaffen hat.“ Ich wiederholte mir still die Worte: „Ich bin ein Gotteskind, seine liebevolle Fürsorge umgibt mich. Ich will gehorsam sein und ihm in keiner Weise missfallen, sondern will seinen heiligen Namen preisen und ihn immer lieben.“ Z1.31.4 Teilen

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Mein Leben erschien mir in einem andern Licht. Die Heimsuchung, die meine Kindheit verdunkelt hatte, schien mir in Barmherzigkeit auferlegt worden zu sein, um mein Herz von der Welt und ihren unbefriedigenden Vergnügungen abzuziehen und es den dauernden Reizen des Himmels zuzuwenden. Z1.32.1 Teilen

Bald nach der Rückkehr von der Lagerversammlung wurde ich mit mehreren andern auf Probe in die Gemeinde aufgenommen. Meine Gedanken beschäftigten sich sehr viel mit der Taufe. So jung ich auch war, konnte ich doch erkennen, dass nur eine Art der Taufe von der Heiligen Schrift anerkannt wurde, und zwar die des Untertauchens. Einige meiner Methodistenschwestern versuchten vergeblich, mich zu überzeugen, dass Besprengung die biblische Taufe sei. Der Methodistenprediger willigte ein, die Kandidaten unterzutauchen, wenn sie aus Gewissensgründen jene Form bevorzugten, obgleich er andeutete, dass das Besprengen Gott ebenso annehmbar war. Z1.32.2 Teilen

Schließlich wurde die Zeit anberaumt, zu welcher die heilige Handlung an uns vorgenommen werden sollte. Es war ein windiger Tag, als wir, zwölf an der Zahl, an das Meer gingen, um getauft zu werden. Die Wellen gingen hoch und schlugen gegen das Ufer, aber als ich dieses schwere Kreuz auf mich nahm, war mein Friede wie ein Wasserstrom. Als ich aus dem Wasser herausstieg, waren meine Kräfte beinahe geschwunden, denn die Kraft des Herrn ruhte auf mir. Ich fühlte, dass ich hinfort nicht mehr dieser Welt angehörte, sondern dass ich aus diesem Wassergrab zu einem neuen Leben auferstanden sei, Z1.32.3 Teilen

Am Nachmittag desselben Tages wurde ich als volles Glied in die Gemeinde aufgenommen. Mir zur Seite stand eine junge Frau, die ebenfalls in die Gemeinde aufgenommen werden sollte. Mein Gemüt war friedlich und glücklich, bis ich die goldenen Ringe an den Fingern dieser Schwester glitzern sah, und große, auffällige Ohrringe in ihren Ohren. Dann sah ich, dass ihr Hut mit künstlichen Blumen geschmückt war und mit kostbaren Spitzen, in Bogen angeordnet. Meine Freude wurde gedämpft durch diese Zurschaustellung von Eitelkeit in jemand, der vorgab, ein Nachfolger des sanftmütigen und demütigen Jesu zu sein. Z1.32.4 Teilen

33

Ich erwartete, dass der Prediger dieser Schwester einen geflüsterten Rat erteilen würde; aber scheinbar beachtete er ihre auffälligen Kleidungsstücke nicht. Kein Tadel wurde geäußert, und wir beide empfingen die rechte Hand der Gemeinschaft. Die Hand, mit Juwelen geschmückt, wurde von Christi Stellvertreter gedrückt, und unsere beiden Namen wurden im Gemeindebuch eingetragen. Z1.33.1 Teilen

Dieser Umstand verursachte mir nicht wenig Verwirrung und Gewissensnot, als ich der Worte des Apostels gedachte: „Desgleichen, dass die Weiber in zierlichem Kleide mit Scham und Zucht sich schmücken, nicht mit Zöpfen oder Gold oder Perlen oder köstlichem Gewand, sondern, wie sich‘s ziemt den Weibern, die da Gottseligkeit beweisen wollen, durch gute Werke.“ 1.Timotheus 2,9.10. Die Lehre dieser Schriftstelle schien von denen öffentlich missachtet zu werden, die ich als ergebene Christen betrachtete und die viel älter waren als ich. Wenn es in der Tat so sündig war, die Übertriebenheit in der Kleidung der Weltmenschen nachzuahmen, wie ich annahm, dann würden diese Christen es doch verstehen und sich dem biblischen Maßstab anpassen. Ich für mein Teil aber war entschlossen, meiner Pflichtauffassung zu folgen. Ich konnte nur empfinden, dass es dem Geist des Evangeliums entgegen war, die von Gott verliehene Zeit und seine Mittel zur Ausschmückung unserer Person zu verwenden — dass Demut und Selbstverleugnung besser für jene passten, deren Sünden das unendliche Opfer des Sohnes Gottes notwendig gemacht hatten. Z1.33.2 Teilen

Kapitel 3: Gefühle der Verzweiflung
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Im Juni 1842 begann Herr Miller seine zweite Reihe von Vorträgen in Portland. Ich betrachtete es als großes Vorrecht, diese Vorträge zu besuchen, denn ich war entmutigt und fühlte mich nicht vorbereitet, meinem Heiland zu begegnen. Diese zweite Reihe Vorträge erregte viel mehr Aufsehen in der Stadt als die erste. Mit wenigen Ausnahmen schlossen die verschiedenen Gemeinschaften ihre Kirchentüren vor Herrn Miller. In vielen Predigten von den verschiedenen Kanzeln wurde versucht, die angeblich fanatischen Irrtümer des Vortragenden bloßzustellen; aber Scharen aufmerksamer Zuhörer besuchten seine Versammlungen, und viele waren nicht imstande, das Haus zu betreten. Z1.34.1 Teilen

Die Versammlung war ungewöhnlich ruhig und aufmerksam. Herr Miller benutzte in seinen Ansprachen keine blumenreichen Redewendungen noch waren sie Meisterstücke der Redekunst; aber er führte klare und überraschende Tatsachen vor, die seine Zuhörer aus ihrer Gleichgültigkeit aufrüttelten. Er unterstützte seine Aussagen und Theorien durch Beweise aus der Schrift. Eine überzeugende Macht begleitete seine Worte und schien sie als die Sprache der Wahrheit zu kennzeichnen. Z1.34.2 Teilen

Er war höflich und mitfühlend. Wenn jeder Platz im Haus besetzt war und die Sitze um das Rednerpult ebenfalls, habe ich ihn das Pult verlassen und den Gang hinuntergehen und einen schwachen alten Mann oder eine Frau bei der Hand nehmen sehen, um einen Sitz für sie zu suchen, worauf er dann zurückging und in seinem Vortrag fortfuhr. Mit Recht wurde er „Vater Miller“ genannt; denn er hatte ein wachsames Auge über alle, die unter seine Obhut kamen. Er war liebevoll in seinem Wesen, er hatte eine angenehme Umgangsart und ein zartfühlendes Herz. Z1.34.3 Teilen

Er war ein interessanter Redner, und seine Ermahnungen an bekenntliche Christen und Unbußfertige waren treffend und machtvoll. Manchmal durchdrang ein so tiefer Ernst seine Versammlungen, dass es schmerzlich empfunden wurde. Viele gaben der durch Gottes Geist bewirkten Überzeugung nach. Grauhaarige Männer und betagte Frauen suchten mit zitternden Schritten die Bußbank auf. Personen im kräftigen Mannesalter wie auch Jugendliche und Kinder wurden tief bewegt. Seufzen und die Stimme des Weinens und des Lobes Gottes vermischten sich am Gebetsaltar. Z1.34.4 Teilen

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Ich glaubte den feierlichen Worten des Knechtes Gottes, und es schmerzte mich sehr, wenn man ihnen mit Widerstand begegnete oder sie zum Gegenstand von Späßen machte. Ich besuchte die Versammlungen häufig und glaubte, dass Jesus bald in den Wolken des Himmels kommen würde. Doch meine größte Sorge war, bereit zu sein, ihm zu begegnen. Ich dachte ständig über Herzensreinheit nach. Mich verlangte vor allem danach, dieses großen Segens teilhaftig zu werden und zu fühlen, dass ich ganz von Gott angenommen sei. Z1.35.1 Teilen

Unter den Methodisten hatte ich viel über Heiligung gehört. Ich hatte Personen gesehen, die unter Einwirkung starker geistiger Erregung ihre körperliche Kraft verloren, und ich hatte gehört, wie man dies als ein Beweis von Heiligung bezeichnete. Aber ich konnte nicht begreifen, was notwendig sei, um Gott völlig geweiht zu sein. Meine christlichen Freunde sagten zu mir: „Glaube jetzt an Jesum! Glaube, dass er dich jetzt annimmt!“ Dies versuchte ich zu tun, fand es aber unmöglich zu glauben, dass ich einen Segen empfangen habe, welcher, wie es mir schien, mein ganzes Wesen elektrisieren sollte. Ich wunderte mich über meine eigene Herzenshärtigkeit, da ich unfähig war, die Erhabenheit des Geistes zu erfahren, die andere bekundeten. Es schien mir, dass ich anders sei als sie, und dass ich für immer von der vollkommenen Freude der Heiligkeit des Herzens ausgeschlossen sei. Z1.35.2 Teilen

Meine Begriffe von der Rechtfertigung und der Heiligung waren verwirrt. Diese zwei Zustände waren mir getrennt und voneinander abgesondert vorgeführt worden. Dennoch begriff ich nicht den Unterschied noch verstand ich die Bedeutung der Ausdrücke. Alle Erklärungen der Prediger vermehrten nur meine Schwierigkeiten. Ich war nicht imstande, den Segen für mich selbst zu beanspruchen. Ich wunderte mich, ob er nur unter den Methodisten zu finden sei, und ob ich mich beim Besuchen der Versammlungen der Adventisten nicht gegen das verschließe, was ich vor allem andern wünschte, nämlich den heiligenden Geist Gottes. Z1.35.3 Teilen

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Dennoch beobachtete ich, dass einige von denen, die da behaupteten geheiligt zu sein, einen bitteren Geist bekundeten, wenn über das baldige Kommen Christi gesprochen wurde. Dies schien mir keine Bekundung der Heiligung zu sein, die sie behaupteten, zu besitzen. Ich konnte nicht verstehen, warum Prediger von der Kanzel so gegen die Lehre von der Nähe des zweiten Kommens Christi ankämpfen konnten. Der Predigt dieses Glaubens waren Reformationen gefolgt, und viele der frömmsten Prediger und Laienglieder hatten es als Wahrheit angenommen. Es schien mir, dass diejenigen, die Jesum aufrichtig liebten, bereitwillig die Kunde von seinem Kommen annehmen und sich freuen sollten, dass es nahe sei. Z1.36.1 Teilen

Ich empfand, dass ich nur das beanspruchen konnte, was sie als Rechtfertigung bezeichneten. Im Worte Gottes las ich, dass niemand ohne Heiligung den Herrn sehen wird. Also war noch eine höhere Stufe vorhanden, die ich erreichen musste, ehe ich des ewigen Lebens sicher sein konnte. Ich dachte ständig über diesen Gegenstand nach; denn ich glaubte, dass Christus bald kommen würde, und fürchtete, er werde mich unvorbereitet finden, ihm zu begegnen. Worte der Verdammnis klangen Tag und Nacht in meinen Ohren, und mein beständiger Herzensschrei zu Gott war: „Was muss ich tun, um gerettet zu werden?“ Z1.36.2 Teilen

In meinem Gemüt überschattete die Gerechtigkeit Gottes seine Barmherzigkeit und Liebe. Ich war belehrt worden, an eine ewig brennende Hölle zu glauben, und der schreckliche Gedanke stand mir immer vor Augen, dass meine Sünden zu groß seien, um mir vergeben zu werden, und dass ich für immer verloren sei. Die schreckliche Beschreibung, die ich über verlorene Seelen gehört hatte, sank tief in mein Gemüt. Prediger umschrieben von den Kanzeln in anschaulichen Bildern den Zustand der Verlorenen. Sie lehrten, dass Gott nur diejenigen retten werde, die geheiligt waren. Gottes Auge ruhe ständig auf uns. Jede Sünde werde aufgezeichnet und ihre gerechte Strafe erhalten. Gott selber führe die Bücher mit der peinlichen Genauigkeit unendlicher Weisheit, und jede von uns begangene Sünde würde getreulich gegen uns niedergeschrieben. Z1.36.3 Teilen

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Satan wurde dargestellt als begierig, sein Opfer zu erhaschen und in die tiefsten Tiefen der Herzensangst zu versenken und über unsere Leiden in den Schrecken einer ewig brennenden Hölle zu frohlocken, wo nach den Qualen von Tausenden und Abertausenden von Jahren die sich in feurigen Wogen windenden Opfer, die da schrieen: „Wie lange noch, o Herr, wie lange noch?“ wieder an die Oberfläche bringen würde. Dann würde die Antwort in den Abgrund hinunterdonnern: „Durch alle Ewigkeit!“ Wieder würden die geschmolzenen Wogen die Verlorenen in die Tiefen eines ruhelosen Feuermeers hinabziehen. Z1.37.1 Teilen

Während ich diesen schrecklichen Beschreibungen zuhörte, war auf meine Einbildungskraft derart eingewirkt worden, dass der Schweiß hervorquoll und es schwer für mich war, einen Angstschrei zu unterdrücken, denn ich schien die Schmerzen des Verderbens schon zu spüren. Dann sprach der Prediger von der Ungewissheit des Lebens. Einen Augenblick könnten wir hier sein, den nächsten bereits in der Hölle, oder einen Augenblick auf der Erde, den nächsten im Himmel. Würden wir den feurigen Pfuhl und die Gesellschaft von Dämonen wählen oder die Segnungen des Himmels mit Engeln als unsere Gefährten? Würden wir die Stimme des Wehklagens und das Fluchen der verlorenen Seelen durch alle Ewigkeit hören, oder würden wir die Gesänge Jesu vor seinem Thron anstimmen? Z1.37.2 Teilen

Unser himmlischer Vater wurde meinem Gemüt als ein Tyrann vorgeführt, der sich an den Schmerzen der Verdammten weide, aber nicht als der zärtliche, mitleidsvolle Freund der Sünder, der seine Geschöpfe mit einer Liebe liebt, die jeden Begriff übersteigt, und der den Wunsch hat, sie für sein Reich gerettet zu sehen. Z1.37.3 Teilen

Meine Gefühle waren sehr ausgeprägt. Ich schreckte davor zurück, irgendeiner lebendigen Kreatur Schmerzen zuzufügen. Wenn ich sah, wie Tiere misshandelt wurden, bereitete es mir tiefen Herzenskummer. Vielleicht wurde mein Mitgefühl deshalb so leicht geweckt, weil ich das Opfer gedankenloser Grausamkeit gewesen war, deren Folge meine ganze Kindheit verdunkelt hatte. Als aber der Gedanke von mir Besitz ergriff, dass Gott an der Qual seiner Geschöpfe, die nach seinem Bilde erschaffen wurden, Freude finde, schien mich eine finstere Wand von ihm zu trennen. Als ich darüber nachdachte, dass der Schöpfer des Weltalls die Gottlosen in die Hölle werfe, wo sie durch die endlosen Zeitalter der Ewigkeit brennen müssen, versank mein Herz in Furcht. Ich zweifelte daran, dass ein so grausames und tyrannisches Wesen sich jemals herablassen werde, mich vom Schicksal der Sünde zu retten. Z1.37.4 Teilen

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Ich glaubte, dass das Schicksal der verdammten Sünder das meine sein würde, um für immer die Höllenqualen zu erdulden, solange Gott selbst existierte. Dieser Eindruck prägte sich meinem Gemüt ein, bis ich fürchtete, den Verstand zu verlieren. Ich würde mit Neid auf die stummen Tiere blicken, weil sie keine Seele besaßen, die nach dem Tod bestraft werden könnte. Oft erhob sich in mir der Wunsch, nicht geboren worden zu sein. Z1.38.1 Teilen

Gänzliche Finsternis hüllte mich ein. Es schien keinen Ausweg aus den Schatten heraus zu geben. Wie viel Verwirrung und wie viel Kummer wären mir erspart geblieben, wenn mir die Wahrheit, wie ich sie heute kenne, vorgeführt worden wäre! Wenn mehr über die Liebe Gottes und weniger über seine strenge Gerechtigkeit gesagt worden wäre, so würde die Schönheit und Herrlichkeit seines Charakters mich mit einer tiefen und ernsten Liebe zu meinem Schöpfer erfüllt haben. Z1.38.2 Teilen

Seit der Zeit habe ich gedacht, dass viele Insassen der Irrenanstalten durch Erfahrungen wie die meinigen dorthin gelangt sind. Ihr Gewissen verklagte sie ihrer Sünden wegen. Und ihr zitternder Glaube wagte nicht, die verheißene Vergebung Gottes zu beanspruchen. Sie lauschten den Beschreibungen der von der Kirche gelehrten Hölle, bis diese das Blut in ihren Adern beinahe erstarren ließ und sich ihrem Gedächtnis gleich feurigen Buchstaben einbrannten. Ob sie wachten oder schliefen, immer stand ihnen das furchtbare Bild vor Augen, bis sich die Wirklichkeit in der Einbildung verlor. Sie sahen nur noch die züngelnden Flammen einer erfundenen Hölle und vernahmen nichts anderes mehr als das Angstgeschrei der Verdammten. Die Vernunft wurde entthront. Das Gehirn wurde mit der wilden Phantasie eines schrecklichen Traumes erfüllt. Diejenigen, welche die Lehre einer ewig brennenden Hölle verbreiten, täten gut daran, sich besser über den Ursprung eines solch grausamen Glaubens zu informieren. Z1.38.3 Teilen

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Bisher hatte ich niemals öffentlich gebetet und nur ein paar schüchterne Worte in der Gebetsversammlung geäußert. Jetzt bekam ich den starken Eindruck, dass ich in unsern kleinen Gebetsversammlungen Gott im Gebet suchen soll. Aus Furcht, verwirrt zu werden und meine Gedanken nicht zum Ausdruck bringen zu können, unterließ ich es. Aber diese Pflicht drängte sich mir mit solcher Gewalt auf, dass es mir, wenn ich im Geheimen betete, wie eine Verspottung Gottes vorkam, weil ich versäumt hatte, seinem Willen nachzukommen. Verzweiflung überwältigte mich. Drei lange Wochen hindurch durchdrang kein Lichtstrahl die Finsternis, die mich umgab. Z1.39.1 Teilen

Ich litt furchtbar. Manchmal wagte ich es eine ganze Nacht hindurch nicht, meine Augen zu schließen. Ich wartete dann, bis meine Zwillingsschwester fest eingeschlafen war, verließ leise mein Bett, kniete nieder und betete still in einem stummen Schmerz, der nicht beschrieben werden kann. Die Schrecken einer ewig brennenden Hölle waren immer vor mir. Ich wusste, dass ich unmöglich in einem solchen Zustand weiterleben könnte, und doch wagte ich nicht zu sterben, um dem Schicksal des Sünders anheim zu fallen. Mit welchem Neid betrachtete ich diejenigen, die sich ihrer Annahme bei Gott bewusst waren! Wie köstlich schien meiner schmerzerfüllten Seele die Hoffnung des Christen! Z1.39.2 Teilen

Häufig blieb ich fast die ganze Nacht im Gebet gebeugt, seufzend und zitternd in unaussprechlicher Herzensangst und einer Hoffnungslosigkeit, die alle Beschreibung übersteigt. „Herr, erbarme dich meiner“, war meine Bitte. Dem armen Zöllner gleich wagte ich nicht, meine Augen zum Himmel zu erheben, sondern beugte mein Angesicht zur Erde. Ich wurde sehr mager und kraftlos, behielt aber mein Leiden und meine Verzweiflung für mich. Z1.39.3 Teilen

Während ich mich in diesem Zustand der Niedergeschlagenheit befand, hatte ich einen Traum, der mich tief beeindruckte. Mir träumte, ich sähe einen Tempel, dem viele Personen zuströmten. Nur diejenigen, die in diesem Tempel Zuflucht suchten, würden errettet werden, wenn die Zeit endete. Alle hingegen, die draußen blieben, würden für immer verloren sein. Diejenigen, die sich in der Menschenmenge befanden, die außerhalb war, gingen ihren verschiedenen Beschäftigungen nach und verspotteten und verlachten solche, die in den Tempel hineingingen. Sie sagten zu ihnen, dass dieser Plan der Sicherheit eine schlaue Täuschung sei und dass in Wirklichkeit gar keine Gefahr bestehe, der sie zu entfliehen hofften. Sie ergriffen sogar einige, um sie daran zu hindern, schnell innerhalb der Mauern zu gelangen. Z1.39.4 Teilen

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Da ich fürchtete, verhöhnt zu werden, hielt ich es für das Beste zu warten, bis die Menge sich zerstreut habe oder bis ich, von ihr unbemerkt, eintreten könnte. Aber ihre Zahl nahm zu, anstatt abzunehmen. Weil ich fürchtete, zu spät zu kommen, verließ ich in Eile mein Heim und drängte mich durch die Menge. In meinem Bestreben, den Tempel zu erreichen, beachtete ich die mich umgebenden Scharen nicht noch gab ich etwas um sie. Beim Betreten des Gebäudes sah ich, dass der große Tempel von einer einzigen riesengroßen Säule gestützt wurde. An diese war ein Lamm gebunden, das sehr verwundet war und blutete. Wir, die wir anwesend waren, schienen zu wissen, dass dieses Lamm um unsertwillen verwundet und zerschlagen war. Alle, die den Tempel betraten, mussten vor dasselbe kommen und ihre Sünden bekennen. Z1.40.1 Teilen

Gerade vor dem Lamm befanden sich erhöhte Sitze, auf welchen eine Schar saß, die sehr glücklich aussah. Das Licht des Himmels schien auf ihre Angesichter zu strahlen, und sie lobten Gott und sangen frohe Dankeslieder, die wie Engelmusik klangen. Dies waren jene, die vor das Lamm gekommen waren, ihre Sünden bekannt und Vergebung erlangt hatten und jetzt froher Hoffnung auf ein freudiges Ereignis warteten. Z1.40.2 Teilen

Gleich nachdem ich das Gebäude betreten hatte, überfiel mich eine Furcht und ein Schamgefühl, dass ich mich vor diesen Leuten demütigen müsse. Aber ich schien gezwungen zu sein, mich voranzubewegen, und ging langsam um die Säule herum, um vor das Lamm zu treten, als eine Posaune ertönte, der Tempel erbebte und sich ein Triumphgeschrei von den versammelten Heiligen erhob. Ein feierlicher Glanz erleuchtete das Gebäude. Dann war plötzlich alles in dichte Finsternis gehüllt. Die glücklichen Leute waren alle mit dem Licht verschwunden, und ich wurde allein in dem stillen Schrecken der Nacht zurückgelassen. Ich erwachte in Seelenschmerz und konnte mich kaum davon überzeugen, dass ich geträumt hatte. Es schien mir, dass mein Schicksal besiegelt sei und dass der Geist des Herrn mich verlassen habe, um nie mehr zurückzukehren. Z1.40.3 Teilen

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Bald danach hatte ich einen anderen Traum. Ich schien in großer Verzweiflung mit meinem Gesicht in meinen Händen dazusitzen und folgendermaßen nachzusinnen: Wenn Jesus auf Erden wäre, würde ich ihn aufsuchen, mich zu seinen Füßen niederwerfen und ihm alle meine Leiden erzählen. Er würde sich nicht von mir abwenden. Er würde mir Gnade erweisen, und ich würde ihn immer lieben und ihm dienen. Gerade dann öffnete sich die Tür, und eine Person von herrlicher Gestalt und schönem Gesichtsausdruck kam herein. Sie blickte mich mitleidsvoll an und sagte: „Wünschtest du Jesum zu sehen? Er ist hier. Du kannst ihn sehen, wenn du es wünschst. Nimm alles was du besitzt und folge mir.“ Z1.41.1 Teilen

Ich hörte dies mit unaussprechlicher Freude und packte frohen Herzens alle meine kleinen Habseligkeiten, jedes geschätzte Schmuckstück, zusammen und folgte meinem Führer. Er führte mich zu einer steilen und anscheinend gebrechlichen Treppe. Als ich die Stufen hinaufzusteigen begann, ermahnte er mich, meinen Blick stets aufwärts gerichtet zu halten, damit ich nicht schwindelig werde und falle. Viele andere, die den steilen Aufstieg begonnen hatten, fielen, ehe sie die Spitze erreicht hatten. Z1.41.2 Teilen

Schließlich waren wir bei der letzten Stufe angekommen und standen vor einer Tür. Hier wies mich mein Führer an, alles, was ich mitgebracht hatte, abzulegen. Freudig legte ich alles hin. Dann öffnete er die Tür und bat mich einzutreten. Im selben Augenblick stand ich vor Jesu. Jenes liebliche Angesicht war nicht zu verkennen. Jener Ausdruck des Wohlwollens und der Majestät konnte niemand anders angehören. Als sein Blick auf mir ruhte, wusste ich sofort, dass er mit allen meinen Lebensumständen und meinen innersten Gedanken und Gefühlen bekannt war. Z1.41.3 Teilen

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Ich versuchte mich vor seinem Blick zu verbergen, da ich mich unfähig fühlte, seine erforschenden Augen zu ertragen. Aber er näherte sich mir mit einem Lächeln und sagte, indem er seine Hand auf mein Haupt legte: „Fürchte dich nicht!“ Der Klang seiner Stimme erfüllte mein Herz mit einem Glücksgefühl, das ich nie zuvor erfahren hatte. Ich war zu freudig, um ein Wort zu sagen, sondern fiel zu seinen Füßen nieder, überwältigt von innerer Rührung. Während ich dort hilflos lag, zogen Szenen der Schönheit und Herrlichkeit an mir vorüber, und ich schien die Sicherheit und den Frieden des Himmels erreicht zu haben. Schließlich kehrte mein Kraft zurück und ich erhob mich. Die liebevollen Augen Jesu ruhten noch auf mir. Sein Lächeln erfüllte meine Seele mit Freude. Seine Gegenwart erweckte in mir eine heilige Ehrfurcht und eine unaussprechliche Liebe. Z1.42.1 Teilen

Mein Führer öffnete dann die Tür, und wir beide gingen hinaus. Er gebot mir, alle die Dinge, die ich draußen gelassen hatte, wieder aufzunehmen. Nachdem dies getan war, reichte er mir eine grüne Schnur, die fest zusammengerollt war. Er wies mich an, diese nahe an mein Herz zu legen, und wenn ich Jesum zu sehen wünsche, sie hervorzuholen und bis zum äußersten zu strecken. Er warnte mich, sie nicht längere Zeit zusammengerollt zu lassen, damit sie sich nicht verwickle und schwer zu lösen sei. Ich verbarg die Schnur nahe bei meinem Herzen und kletterte freudig die enge Treppe hinab. Ich pries den Herrn und erzählte allen, denen ich begegnete, wo sie Jesum finden könnten. Dieser Traum gab mir Hoffnung. Die grüne Schnur stellte meiner Ansicht nach den Glauben dar, und die Schönheit und die Einfachheit wahren Gottvertrauens fingen in meiner Seele an zu dämmern. Z1.42.2 Teilen

Jetzt vertraute ich all meine Sorgen und Schwierigkeiten meiner Mutter an. Sie bewies mir liebevolles Mitgefühl und ermutigte mich. Sie riet mir, mich um Rat an den Ältesten Stockmann zu wenden, der damals die Adventlehre in Portland verkündigte. Ich setzte großes Vertrauen in ihn, denn er war ein hingebungsvoller Diener Christi. Nachdem er meine Geschichte angehört hatte, legte er zärtlich seine Hand auf mein Haupt und sagte mit Tränen in den Augen: „Ellen, du bist nur ein Kind. Du hast eine sehr außergewöhnliche Erfahrung für dein zartes Alter. Jesus muss dich für ein besonderes Werk vorbereiten.“ Z1.42.3 Teilen

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Dann sagte er zu mir, dass, selbst wenn ich eine Person von reiferen Jahren wäre, die so von Zweifel und Verzweiflung angefochten würde, er doch wisse, dass durch Christi Liebe Hoffnung für mich vorhanden sei. Gerade die Herzensangst, die ich erlitten habe, sei ein deutlicher Beweis, dass der Geist des Herrn an mir arbeite. Er sagte, dass, wenn der Sünder in seiner Schuld verhärtet werde, er nicht die Größe seiner Übertretungen erkenne, sondern sich schmeichle, dass er ungefähr recht stehe und in keiner besonderen Gefahr sei. Der Geist des Herrn verlasse ihn, und er werde sorglos und gleichgültig oder verwegen widerspenstig. Dieser gute Mann erzählte mir von Gottes Liebe zu seinen irrenden Kindern und dass er, anstatt sich über ihre Vernichtung zu freuen, danach verlange, sie in einfältigem Glauben und Vertrauen zu sich zu ziehen. Er verweilte bei der Liebe Christi und beim Erlösungsplan. Z1.43.1 Teilen

Er sprach von meinem früheren Unglück und sagte, es sei wirklich eine schmerzliche Anfechtung. Aber er ermahnte mich zu glauben, dass die Hand eines liebevollen Vaters mir nicht entzogen sei, dass ich im zukünftigen Leben, wenn der Nebel, der mein Gemüt verdunkelt habe, gewichen sei, die Weisheit der göttlichen Vorsehung erkennen werde, die mir so grausam und geheimnisvoll geschienen habe. Jesus sagte zu seinem Jünger: „Was ich tue, das weißt du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.“ Johannes 13,7. In der großen Zukunft würden wir nicht mehr wie durch ein verdunkeltes Glas sehen, sondern die Geheimnisse der göttlichen Liebe von Angesicht zu Angesicht schauen. Z1.43.2 Teilen

„Gehe frei deines Weges, Ellen“, sagte er, „gehe zurück nach Hause und setze dein Vertrauen in Jesum, denn er wird seine Liebe keinem aufrichtigen Sucher vorenthalten.“ Dann betete er ernstlich für mich, und es schien, dass Gott mit Sicherheit das Gebet dieses Heiligen erhören werde, selbst wenn meine demütigen Bitten unerhört bleiben. Ich verließ seine Gegenwart getröstet und ermutigt. Z1.43.3 Teilen

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Während der wenigen Minuten, in denen ich Belehrung vom Ältesten Stockmann erhielt, hatte ich mehr über den Gegenstand der Liebe und mitfühlenden Zärtlichkeit Gottes gelernt als in allen Predigten und Ermahnungen, die ich jemals gehört hatte. Ich kehrte nach Hause zurück, ging wieder vor den Herrn und versprach, alles zu tun und zu erdulden, was er auch von mir fordere, wenn nur das Lächeln Jesu mein Herz erfreuen würde. Wiederum wurde mir die gleiche Pflicht vorgeführt, die mein Gemüt schon zuvor beunruhigt hatte — nämlich mein Kreuz unter den versammelten Kindern Gottes auf mich zu nehmen. Eine Gelegenheit ließ nicht lange auf sich warten. An jenem Abend fand eine Gebetsversammlung statt, der ich beiwohnte. Z1.44.1 Teilen

Zitternd beugte ich mich während der Gebete, die dargebracht wurden. Nachdem einige gebetet hatten, erhob sich meine Stimme im Gebet, ehe ich mir dessen bewusst war. Gottes Verheißungen erschienen mir gleich so vielen köstlichen Perlen, die man bekommen könne, wenn man nur darum bitte. Während ich betete, verließ mich die Bürde und die Seelenangst, die ich so lange ertragen hatte, und der Segen des Herrn kam wie ein milder Tau auf mich herab. Ich pries den Herrn aus der Tiefe meines Herzens. Alles schien mir verschlossen zu sein, außer Jesum und seine Herrlichkeit, und ich verlor die Wahrnehmung dessen, was um mich her geschah. Z1.44.2 Teilen

Der Geist Gottes ruhte mit solch einer Kraft auf mir, dass ich nicht imstande war, in jener Nacht nach Zuhause zurückzukehren. Als ich am folgenden Tag nach Hause ging, hatte eine große Veränderung in mir stattgefunden. Es schien mir, dass ich kaum die gleiche Person sein könne, die am vorhergehenden Abend meines Vaters Haus verlassen hatte. Ständig stand mir die Schriftstelle vor Augen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Psalm 23,1. Mein Herz war voller Freude, so oft ich diese Worte wiederholte. Z1.44.3 Teilen

Meine Ansichten vom Vater waren verändert. Ich blickte jetzt auf ihn als auf einen gütigen und liebevollen Vater und nicht als auf einen strengen Tyrannen, der die Menschen zu blindem Gehorsam zwinge. Mein Herz fühlte sich in tiefer, inniger Liebe zu ihm hingezogen. Seinem Willen zu gehorchen, erschien mir als eine Freude; es war ein Vergnügen, in seinem Dienst tätig zu sein. Kein Schatten umwölkte das Licht, das den vollkommenen Willen Gottes offenbarte. Ich fühlte die Versicherung eines innewohnenden Heilandes und erfuhr die Wahrheit der Worte Christi: „Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Johannes 8,12. Z1.44.4 Teilen

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Mein Friede und mein Glück standen in solch scharfem Gegensatz zu meiner früheren trüben Stimmung und Herzensangst, dass es mir schien, als sei ich aus der Hölle gerettet und in den Himmel versetzt. Ich konnte Gott sogar für mein Missgeschick danken, das die Prüfung meines ganzen Lebens gewesen war, denn es war auch das Mittel gewesen, meine Gedanken auf die Ewigkeit hinzulenken. Von Natur aus stolz und ehrgeizig, wäre ich vielleicht nicht geneigt gewesen, Jesu mein Herz zu geben, wenn nicht diese schwere Prüfung gekommen wäre, die mich von den Triumphen und Eitelkeiten der Welt abgeschnitten hatte. Z1.45.1 Teilen

Sechs Monate lang trübte kein Schatten mein Gemüt, noch vernachlässigte ich eine mir bewusste Pflicht. Mein ganzes Bestreben war, Gottes Willen zu tun und beständig an Jesum und den Himmel zu denken. Ich war überrascht und entzückt von der Klarheit, mit der mir jetzt die Versöhnung und das Werk Christi vorgeführt wurden. Ich will nicht versuchen, meine Gedanken weiter zu erklären; genüge es zu sagen, dass das Alte vergangen und alles neu geworden war. Da gab es auch nicht eine Wolke, die meine völlige Wonne verdunkelte. Mich verlangte danach, die Geschichte von der Liebe Jesu zu erzählen, fühlte aber keine Neigung, mit irgendjemand eine alltägliche Unterhaltung zu führen. Mein Herz war so erfüllt von der Liebe zu Gott und dem Frieden, der alle Erkenntnis übertrifft, dass ich gerne nachdachte und betete. Z1.45.2 Teilen

Am Abend, nachdem ich einen so großen Segen empfangen hatte, besuchte ich die Adventversammlung. Als die Zeit kam, wo die Nachfolger Christi für ihn Zeugnis ablegten, konnte ich nicht schweigen, sondern stand auf und erzählte meine Erfahrung. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, was ich sagen sollte; aber die einfache Geschichte von Jesu Liebe zu mir strömte mit vollkommener Freiheit von meinen Lippen. Mein Herz war so glücklich, von seiner Knechtschaft düsterer Verzweiflung befreit zu sein, dass ich die Leute aus meiner Umgebung ganz aus den Augen verlor und mit Gott allein zu sein schien. Ich hatte keine Schwierigkeit, meinen Frieden und mein Glück auszudrücken, außer dass ein paar Tränen der Dankbarkeit meine Stimme etwas beeinträchtigten, als ich von der wunderbaren Liebe sprach, die Jesus mir erwiesen hatte. Z1.45.3 Teilen

46

Ältester Stockmann war zugegen. Er hatte mich unlängst in tiefer Verzweiflung gesehen, und die bemerkenswerte Veränderung in meinem Erscheinen und meinen Gefühlen rührten sein Herz. Er weinte laut und freute sich mit mir und pries Gott für diesen Beweis seiner zärtlichen Gnade und Liebe. Z1.46.1 Teilen

Nicht lange danach, als ich diesen großen Segen erhalten hatte, besuchte ich eine Konferenzversammlung der „Christlichen Kirche“, in der Ältester Brown Pastor war. Ich wurde eingeladen, meine Erfahrungen zu berichten. Ich fühlte nicht nur große Freiheit im Ausdruck, sondern auch Freudigkeit im Erzählen meiner einfachen Geschichte von der Liebe Jesu und der Freude, von Gott angenommen worden zu sein. Als ich mit demütigem Herzen und tränenvollen Augen sprach, schien meine Seele in Danksagung in den Himmel entrückt zu sein. Die überwältigende Kraft des Herrn wurde über alle Versammelten ausgegossen. Viele weinten und andere priesen Gott. Z1.46.2 Teilen

Sünder wurden eingeladen, für sich beten zu lassen. Viele leisteten der Aufforderung Folge. Mein Herz war Gott so dankbar für den Segen, den er mir geschenkt hatte, dass mich danach verlangte, dass auch andere an dieser heiligen Freude teilhaben möchten. Ich war aufs tiefste interessiert an solchen, die vielleicht unter einem Gefühl des Missfallens des Herrn und ihrer Sündenlast litten. Während ich meine Erfahrung erzählte, fühlte ich, dass niemand dem Beweis der vergebenden Liebe Gottes widerstehen könne, die eine so wunderbare Veränderung in mir bewirkt hatte. Die Realität wahrer Bekehrung schien mir so einfach, dass ich den Wunsch hatte, meinen jungen Freunden zum Licht zu verhelfen, und bei jeder Gelegenheit machte ich meinen Einfluss in dieser Richtung geltend. Z1.46.3 Teilen

47

Ich veranstaltete Versammlungen mit meinen jungen Freunden, von denen einige beträchtlich älter waren als ich. Einige waren sogar verheiratete Personen. Eine Anzahl von ihnen waren eitel und gedankenlos. Meine Erfahrung klang ihnen wie eitles Geschwätz, und sie verachteten meine Einladungen. Ich war jedoch entschlossen, in meinem Bemühen nicht nachzulassen, bis diese teuren Seelen, für die ich solch großes Interesse hatte, sich Gott übergeben würden. Ganze Nächte verbrachte ich im Gebet für diejenigen, die ich ausgewählt und zusammengebracht hatte, um für sie zu arbeiten und mit ihnen zu beten. Z1.47.1 Teilen

Einige von ihnen waren aus Neugierde gekommen, um zu hören, was ich zu sagen habe. Andere glaubten, ich sei von Sinnen, weil ich so beharrlich in meinen Anstrengungen war, besonders, wenn sie ihrerseits keinerlei Interesse zeigten. Aber in jeder unserer kleinen Versammlungen fuhr ich fort, zu ermahnen und für einen jeden von ihnen einzeln zu beten, bis alle sich Jesu übergeben und die Verdienste seiner vergebenden Liebe anerkannt hatten. Ein jeder wurde zu Gott bekehrt. Z1.47.2 Teilen

Nacht für Nacht schien ich in meinen Träumen für die Rettung von Seelen zu arbeiten. Zu solchen Zeiten wurden mir spezielle Fälle vorgeführt. Diese Personen suchte ich auf und betete mit ihnen. In einem jeden Fall ergaben sie sich dem Herrn, mit nur einer einzigen Ausnahme. Einige unserer formelleren Brüder befürchteten, dass ich zu eifrig in der Bekehrung von Seelen sei. Doch die Zeit schien mir so kurz zu sein, dass es sich für alle, welche eine Hoffnung auf eine gesegnete Unsterblichkeit hatten und auf das baldige Kommen Christi warteten, gebührte, unermüdlich für jene zu wirken, die noch in ihren Sünden waren und am Rande des Verderbens standen. Z1.47.3 Teilen

Obgleich ich noch sehr jung war, erschien mir der Erlösungsplan so klar und war meine persönliche Erfahrung eine so besondere gewesen, dass ich beim Nachdenken über die Sache erkannte, dass es meine Pflicht sei, mit meiner Arbeit zur Rettung bluterkaufter Seelen fortzufahren, zu beten und Christum bei jeder Gelegenheit zu bekennen. Mein ganzes Wesen stand dem Dienst des Meisters zur Verfügung. Mochte kommen, was wollte, ich war entschlossen, Gott zu gefallen und zu leben wie jemand, der den Heiland und die Belohnung der Getreuen erwartete. Ich kam zu Gott wie ein kleines Kind zu seinem Vater, um ihn zu fragen, was ich tun solle. Wenn mir dann meine Pflicht klar gemacht wurde, bestand meine größte Freude darin, sie zu erfüllen. Solche, die älter an Erfahrung waren als ich, versuchten mich zurückzuhalten und die Inbrunst meines Glaubens abzukühlen; aber da das zustimmende Lächeln Jesu mein Leben erhellte und die Liebe Gottes in meinem Herzen brannte, ging ich meinen Weg freudigen Herzens. Z1.47.4 Teilen

48

So oft ich an die Erfahrung meines jungen Lebens zurückdenke, kommt mir mein Bruder in Erinnerung, der meine Hoffnungen und Befürchtungen mit mir teilte. Er war an meiner christlichen Erfahrung interessiert, und ich denke in zarten Erinnerungen an ihn zurück. Er gehörte zu den wenigen, für welche die Sünde keine große Versuchung war. Von Natur aus hingebungsvoll, suchte er niemals die Gesellschaft der Jugendlichen und Leichtfertigen auf, sondern erwählte lieber das Zusammensein mit Christen, deren Unterhaltung ihn im Wege des Lebens unterwies. Für sein Alter war er ungewöhnlich ernst. Er war freundlich und friedfertig, und sein Gemüt war beinahe ausschließlich mit religiösen Gedanken erfüllt. Diejenigen, die ihn kannten, schätzten ihn als Vorbild für die Jugend, als ein lebendiges Beispiel der Gnade und Schönheit wahren Christentums. Z1.48.1 Teilen

Kapitel 4: Austritt aus der Kirche der Methodisten

Die Familie meines Vaters besuchte immer noch gelegentlich die Methodistenkirche und auch die in Privathäusern gehaltenen Klassenversammlungen. Eines Abends gingen mein Bruder Robert und ich zur Klassenversammlung. Der vorstehende Älteste war anwesend. Als mein Bruder an die Reihe kam, sein Zeugnis vorzubringen, sprach er in großer Demut und doch mit Klarheit von der Notwendigkeit völliger Bereitschaft, unserm Heiland zu begegnen, wenn er mit Kraft und Herrlichkeit in den Wolken des Himmels erscheinen wird. Während mein Bruder sprach, erhellte ein himmlisches Licht sein gewöhnlich bleiches Angesicht. Er schien im Geist seiner Umgebung entrückt zu sein und sprach wie in der Gegenwart Jesu. Als ich aufgefordert wurde zu sprechen, erhob ich mich freien Geistes, mit einem Herzen voller Liebe und Frieden. Ich erzählte die Geschichte meines großen Leidens unter dem Gefühl der Seelenlast, und wie ich endlich den so lange sehnlichst gesuchten Segen erhalten habe — gänzliche Unterwerfung unter den Willen Gottes — und drückte meine Freude aus über die frohe Botschaft des baldigen Kommens meines Heilandes, um seine Kinder heimzuholen. Z1.48.2 Teilen

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In meiner Einfalt erwartete ich, dass meine Methodistengeschwister meine Empfindungen verstehen und sich mit mir freuen würden. Aber ich wurde enttäuscht. Einige Schwestern stöhnten und bewegten geräuschvoll ihre Stühle und wandten mir den Rücken zu. Ich konnte mir nicht vorstellen, was ich gesagt haben könnte, um sie zu beleidigen. Ich sprach nur ganz kurz, da ich den kalten Einfluss ihres Missfallens deutlich verspürte. Als ich mit Sprechen aufhörte, fragte mich Ältester B., ob es nicht besser sei, ein langes Leben der Nützlichkeit zu führen und andern Gutes zu tun, als Jesum in Kürze kommen und arme Sünder verderben zu lassen. Ich antwortete, dass ich nach Christi Kommen verlange. Dann werde die Sünde ein Ende haben, wir würden uns für alle Ewigkeit der Heiligung erfreuen und es werde keinen Teufel mehr geben, um uns in die Irre zu führen. Z1.49.1 Teilen

Er stellte dann die Frage, ob ich nicht lieber friedlich auf meinem Bett sterben wolle, als lebendig den Schmerz der Verwandlung von der Sterblichkeit zur Unsterblichkeit erleiden zu müssen. Meine Antwort lautete, dass ich wünsche, Jesus möge kommen und seine Kinder zu sich nehmen, dass ich bereit sei, zu leben oder zu sterben nach Gottes Willen, und dass ich leicht alle Schmerzen von nur einem Augenblick ertragen könne. Ich sagte, dass ich wünsche, das Rad der Zeit möge sich rasch drehen und den heiß ersehnten Tag herbeiführen, an dem diese verweslichen Körper zur Unsterblichkeit verwandelt werden und dem herrlichen Leib Christi gleich würden. Ich legte auch dar, dass, wenn ich dem Herrn sehr nahe stände, ich auch sehr ernstlich nach seinem Erscheinen Ausschau halten müsse. Das schien einigen der Anwesenden sehr zu missfallen. Z1.49.2 Teilen

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Als der vorstehende Älteste andere in der Klasse anredete, drückte er seine Freude über die Erwartung des irdischen Tausendjährigen Friedensreiches aus, wo die Erde voll der Erkenntnis des Herrn sein werde, wie Wasser das Meer bedeckt. Ihm verlange danach, dass die Zeit anbreche. Nach Schluss der Versammlung wurde mir bewusst, von solchen mit besonderer Kälte behandelt zu werden, die früher liebreich und freundlich zu mir gewesen waren. Mein Bruder und ich gingen mit dem traurigen Gefühl nach Hause, von unsern Geschwistern sehr missverstanden worden zu sein und dass die nahe Wiederkunft Jesu so bitteren Widerstand in ihren Herzen erweckte. Wir waren dankbar, dass wir das köstliche Licht erkennen und uns über das Kommen des Herrn freuen konnten. Z1.50.1 Teilen

Nicht lange danach besuchten wir wieder die Klassenversammlung. Uns verlangte nach einer Gelegenheit, von der köstlichen Liebe Gottes zu sprechen, die unsere Seele bewegte. Besonders ich wünschte von der Güte und Barmherzigkeit Gottes mir gegenüber zu sprechen. Es war eine solch große Veränderung in mir vorgegangen, dass es meine Pflicht zu sein schien, jede Gelegenheit zu nutzen, von der Liebe meines Heilandes zu zeugen. Z1.50.2 Teilen

Als die Reihe zum Sprechen an mich kam, führte ich die Beweise von der Liebe Jesu an, deren ich mich erfreute, und erwähnte, dass ich mit froher Erwartung der baldigen Begegnung mit meinem Erlöser entgegenblicke. Der Glaube, dass Christi Kommen nahe sei, hatte mich veranlasst, ernster um die Heiligung durch den Geist Gottes zu beten. Hier unterbrach mich der Klassenleiter und sagte: „Du hast die Heiligung durch den Methodismus erhalten, durch den Methodismus, Schwester, nicht durch eine irrige Theorie.“ Ich fühlte mich gedrungen, die Wahrheit zu bekennen, dass mein Herz diesen neuen Segen nicht durch den Methodismus erlangt habe, sondern durch die bewegenden Wahrheiten vom persönlichen Kommen Jesu. Durch diese hatte ich Friede, Freude und vollkommene Liebe gefunden. So schloss mein Zeugnis, das letzte, das ich in der Klasse vor meinen Methodistengeschwistern ablegen sollte. Z1.50.3 Teilen

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Robert sprach dann in seiner sanftmütigen Weise, aber dennoch so klar und rührend, dass einige weinten und sehr bewegt waren. Aber andere husteten missbilligend und schienen sich sehr ungemütlich zu fühlen. Nachdem wir das Klassenzimmer verlassen hatten, sprachen wir wieder über unseren Glauben und wunderten uns darüber, dass unsere christlichen Brüder und Schwestern so schwer ertragen konnten, wenn ein Wort über das Kommen unseres Heilandes gesagt wurde. Wir dachten, wenn sie Jesum lieben würden, wie sie sollten, dann würde es ihnen nicht so widerwärtig sein, von seinem zweiten Kommen zu hören, sondern sie würden sich im Gegenteil über die Nachricht freuen. Z1.51.1 Teilen

Wir waren überzeugt, dass wir die Klassenversammlung nicht mehr besuchen sollten. Die Hoffnung auf das herrliche Erscheinen Christi erfüllte unsere Seelen und würde immer Ausdruck finden, wenn wir uns zum Sprechen erheben würden. Dies schien den Zorn der Anwesenden gegen die beiden bescheidenen Kinder zu schüren, die es angesichts des Widerstandes wagten, von dem Glauben zu sprechen, der ihre Herzen mit Frieden und Glückseligkeit erfüllt hatte. Es war augenscheinlich, dass wir keine Freiheit in der Klassenversammlung haben würden, denn unser Zeugnis reizte zu Hohn und Sticheleien, die nach Schluss der Versammlung unsere Ohren erreichten, und zwar von Brüdern und Schwestern, die wir respektiert und geliebt hatten. Z1.51.2 Teilen

Die Adventisten hielten um diese Zeit Versammlungen in der Beethoven-Halle. Mein Vater besuchte diese Versammlungen ziemlich regelmäßig mit seiner Familie. Man dachte, dass die Wiederkunft Christi 1843 stattfinden werde. Die Zeit, in welcher noch Seelen gerettet werden konnten, schien so kurz zu sein, dass ich beschloss, alles zu tun, was in meinen Kräften stand, um Sünder zum Licht der Wahrheit zu führen. Doch es schien für jemand, der so jung und von schwacher Gesundheit war wie ich, unmöglich zu sein, viel in dem großen Werk zu tun. Z1.51.3 Teilen

Ich hatte zwei Schwestern daheim — Sarah, die einige Jahre älter war als ich, und meine Zwillingsschwester Elisabeth. Wir besprachen die Sache unter uns und beschlossen, so viel Geld wie möglich zu verdienen und dafür Bücher und Traktate zu kaufen, um sie unentgeltlich zu verteilen. Dies war das Beste, was wir tun konnten, und wir taten dies Wenige freudig. Ich konnte nur fünfundzwanzig Cent am Tag verdienen. Aber meine Kleidung war einfach. Nichts wurde für unnütze Ausschmückung ausgegeben, denn eitles Schaugepränge war in meinen Augen sündhaft. So hatte ich einen kleinen Geldvorrat, mit dem ich passende Bücher kaufen konnte. Diese wurden den Händen erfahrener Personen anvertraut, die sie verschickten. Z1.51.4 Teilen

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Jedes Blatt dieses Lesematerials erschien meinen Augen kostbar; denn es war ein Bote des Lichts an die Welt, das ihr gebot, sich auf das große Ereignis vorzubereiten, das so nahe war. Tag für Tag saß ich in meinem Bett, von Kissen gestützt, und erfüllte meine Aufgabe mit zitternden Händen. Wie sorgfältig legte ich die geschätzten kleinen Silbermünzen, die ich verdiente, beiseite, die für Lesematerial verausgabt werden sollten, um damit Seelen, die in Finsternis waren, zu erleuchten und zu erwecken! Ich war gar nicht versucht, meinen Verdienst zu meiner persönlichen Befriedigung auszugeben. Die Rettung von Seelen war die Last meines Gemüts. Mein Herz war von Schmerz für jene erfüllt, die glaubten, in Sicherheit zu leben, während die Warnungsbotschaft der Welt verkündigt wurde. Z1.52.1 Teilen

Eines Tages lauschte ich der Unterredung zwischen meiner Mutter und einer Schwester bezüglich einer Predigt, die sie kürzlich gehört hatten, in welcher zum Ausdruck kam, dass es keine natürliche Unsterblichkeit der Seele gebe. Einige der Beweistexte des Predigers wurden angeführt. Unter denselben machten, wie ich mich erinnere, diese starken Endruck auf mich: „Welche Seele sündigt, die soll sterben.“ Hesekiel 18,4. „Die Lebendigen wissen, dass sie sterben werden; die Toten aber wissen nichts.“ Prediger 9,5. „... welcher wird zeigen zu seiner Zeit der Selige und allein Gewaltige, der König aller Könige und der Herr aller Herren, der allein Unsterblichkeit hat.“ 1.Timotheus 6,15.16. „Ehre und Preis und unvergängliches Wesen denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben.“ Römer 2,7. „Warum“, sagte meine Mutter, nachdem sie die vorstehenden Bibelstellen angeführt hatte, „sollten sie nach etwas trachten, was sie schon haben?“ Z1.52.2 Teilen

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Ich lauschte diesen neuen Ideen mit regem und schmerzlichem Interesse. Als ich mit meiner Mutter allein war, fragte ich, ob sie wirklich glaube, dass die Seele nicht unsterblich sei. Ihre Antwort war, dass sie fürchte, wir seien betreffs dieses Gegenstandes wie auch in Bezug auf einige andere im Irrtum gewesen. Z1.53.1 Teilen

„Aber Mutter“, sagte ich, „glaubst du wirklich, dass die Seele bis zur Auferstehung im Grabe schläft? Denkst du, dass der Christ bei seinem Tode nicht sofort in den Himmel und der Sünder in die Hölle geht?“ Z1.53.2 Teilen

Sie antwortete: „Die Bibel gibt uns keinen Beweis dafür, dass es eine ewig brennende Hölle gibt. Wenn es einen solchen Ort gäbe, würde es in diesem heiligen Buch erwähnt worden sein.“ Z1.53.3 Teilen

„Aber Mutter“, rief ich erstaunt aus, „das ist eine ganz befremdliche Sprache von dir! Wenn du an diese fremdartige Theorie glaubst, lass es nur niemand wissen; denn ich fürchte, Sünder könnten sich durch diesen Glauben in Sicherheit wiegen lassen und gar nicht den Wunsch haben, den Herrn zu suchen.“ Z1.53.4 Teilen

„Wenn dies heilsame Bibelwahrheit ist“, antwortete sie, „so wird es, anstatt die Rettung von Sündern zu verhindern, das Mittel sein, sie für Christum zu gewinnen. Wenn nicht die Liebe Gottes den Empörer veranlasst, sich ihm zu übergeben, dann werden die Schrecken einer ewigen Hölle ihn auch nicht zur Buße treiben. Dann scheint es auch nicht die beste Art und Weise zu sein, um Seelen für Jesum zu gewinnen, indem man an einen der niedrigsten Impulse appelliert, nämlich an die Furcht. Die Liebe Christi zieht an, sie wird das härteste Herz erweichen.“ Z1.53.5 Teilen

Es vergingen nach dieser Unterredung einige Monate, ehe ich wieder etwas über diese Lehre hörte, aber während dieser Zeit hatte ich viel über diesen Gegenstand nachgedacht. Als darüber gepredigt wurde, glaubte ich, dass es die Wahrheit sei. Von der Zeit an, da mir das Licht über den Schlaf der Toten aufging, schwand das Geheimnis, das die Auferstehung verschleiert hatte; und dieses große Ereignis gewann eine neue und erhabene Bedeutung. Ich war oft durch die Versuche, die sofortige Belohnung oder Bestrafung der Toten mit der unzweifelhaften Tatsache einer zukünftigen Auferstehung und eines kommenden Gerichts miteinander in Übereinstimmung zu bringen, gestrauchelt. Wenn die Seele schon beim Tode in ewige Glückseligkeit oder ewiges Elend versetzt würde, warum sollte dann noch eine Auferstehung des armen vermoderten Körpers notwendig sein? Z1.53.6 Teilen

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Aber dieser neue und schöne Glaube zeigte mir den Grund, weshalb inspirierte Schreiber so viel über eine Auferstehung des Leibes gesagt haben. Es war deshalb, weil das ganze Wesen im Grab schlummert. Ich konnte jetzt deutlich die Hinfälligkeit unserer früheren Ansichten über diesen Gegenstand erkennen. Die Verwirrung und Nutzlosigkeit eines Endgerichts, nachdem die Seelen doch einmal gerichtet und ihr Los bereits bestimmt war, erschien mir jetzt sehr klar. Ich erkannte, dass die Hoffnung der Trauernden darin bestand, auf den herrlichen Tag zu hoffen, wo der Lebensspender die Fesseln des Grabes löst und die gerechten Toten auferstehen und ihr Gefängnis verlassen, um mit einem herrlichen ewigen Leben bekleidet zu werden. Z1.54.1 Teilen

Unsere ganze Familie war sehr an der Lehre vom baldigen Kommen des Herrn interessiert. Mein Vater hatte als eine der Säulen der Methodistenkirche an seinem Ort gegolten, und die ganze Familie waren aktive Mitglieder gewesen; aber wir machten kein Geheimnis aus unserem neuen Glauben, obwohl wir ihn anderen nicht aufdrängten noch Unfreundlichkeit gegenüber unserer Kirche offenbarten. Doch machte der Methodistenprediger uns einen besonderen Besuch und benutzte die Gelegenheit, uns darüber zu informieren, dass unser Glaube sich nicht mit dem Methodismus vereinbare. Er fragte weder nach den Gründen unseres Glaubens, wie wir es taten, noch führte er irgendetwas aus der Bibel an, um uns unseres Irrtums zu überführen. Er sagte nur, dass wir einen neuen und fremden Glauben angenommen hätten, den die Methodistenkirche nicht akzeptieren könne. Z1.54.2 Teilen

Mein Vater erwiderte, dass er sich irren müsse, wenn er dies eine neue und fremde Lehre nenne, dass Christus selbst in seinen Lehren an seine Jünger sein zweites Kommen gepredigt habe. Er sagte: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, so wollte ich zu euch sagen: Ich gehe hin euch die Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass ihr seid, wo ich bin.“ Johannes 14,2.3. Als er vor ihren Augen in den Himmel aufgenommen wurde, und seine treuen Nachfolger ihrem entschwindenden Herrn nachsahen, „wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Kleidern, welche auch sagten: Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren.“ Apostelgeschichte 1,10.11. Z1.54.3 Teilen

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„Und“, sagte mein Vater, den sein Gesprächsthema mit Eifer erfüllte, „der inspirierte Apostel Paulus schrieb einen Brief, um seine Brüder in Thessalonich zu ermutigen: ‚Euch aber, die ihr Trübsal leidet, Ruhe mit uns, wenn nun der Herr Jesus wird offenbart werden vom Himmel samt den Engeln seiner Kraft und mit Feuerflammen, Rache zu geben über die, so Gott nicht erkennen, und über die, so nicht gehorsam sind dem Evangelium unsers Herrn Jesu Christi, welche werden Pein leiden, das ewige Verderben von dem Angesichte des Herrn und von seiner herrlichen Macht, wenn er kommen wird, dass er herrlich erscheine mit seinen Heiligen und wunderbar mit allen Gläubigen; denn unser Zeugnis an euch von diesem Tage habt ihr geglaubt.‘ 2.Thessalonicher 1,7-10. ‚Denn er selbst, der Herr, wird mit einem Feldgeschrei und der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes hernieder kommen vom Himmel, und die Toten in Christo werden auferstehen zuerst. Darnach wir, die wir leben und übrig bleiben, werden zugleich mit ihnen hingerückt werden in den Wolken, dem Herrn entgegen in der Luft, und werden also bei dem Herrn sein allezeit. So tröstet euch nun mit diesen Worten untereinander.‘ 1.Thessalonicher 4,16-18. Z1.55.1 Teilen

Dies ist eine hohe Autorität für unsern Glauben. Jesus und seine Apostel sprachen freudig und siegesgewiss über die Wiederkunft Christi; und die heiligen Engel verkündigten, dass Christus, der gen Himmel fuhr, wiederkommen werde. Und dies ist unser Vergehen, dass wir den Worten Jesu und seiner Jünger glauben. Es ist eine sehr alte Lehre, die nicht eine Spur von Ketzerei enthält.“ Z1.55.2 Teilen

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Der Prediger machte sich nicht die Mühe, auch nur einen Schrifttext anzuführen, der beweisen würde, dass wir im Irrtum seien. Er entschuldigte sich unter dem Vorwand, keine Zeit zu haben. Er riet uns, uns still von der Gemeinde zurückzuziehen, um eine öffentliche Untersuchung zu vermeiden. Wir wussten, dass andern Geschwistern ähnliche Behandlung wegen der gleichen Ursache zuteil geworden war und wir wünschten nicht, hingestellt zu werden, als ob wir uns unseres Glaubens schämten oder nicht imstande wären, ihn durch die Schrift zu beweisen. So bestanden meine Eltern darauf, mit den Gründen für dieses Ersuchen bekannt gemacht zu werden. Z1.56.1 Teilen

Die einzige Antwort darauf war, wir hätten gegen die Regeln der Gemeinschaft verstoßen, und es sei das Beste für uns, wenn wir uns freiwillig zurückziehen würden ohne es auf ein Verhör ankommen zu lassen. Wir antworteten, dass wir ein regelrechtes Verhör vorzögen und verlangten zu wissen, welcher Sünde wir beschuldigt würden, da wir uns keines Unrechts bewusst seien, indem wir auf das Kommen des Heilandes warteten und es liebten. Z1.56.2 Teilen

Nicht lange darauf wurden wir benachrichtigt, bei einer Versammlung in der Vorhalle der Kirche anwesend zu sein. Es waren nur wenige zugegen. Der Einfluss meines Vaters und unserer Familie war ein solcher, dass unsere Gegner nicht wünschten, unsere Fälle einer großen Anzahl von Gemeindegliedern vorzulegen. Die einzig vorgebrachte Anklage war, dass wir gegen ihre Regeln gehandelt hätten. Auf die Frage, welche Regeln wir missachtet hätten, wurde nach einigem Zögern gesagt, wir hätten andere Versammlungen besucht und vernachlässigt, uns regelmäßig mit unserer Klasse zu versammeln. Wir sagten, dass ein Teil der Familie eine Zeit lang auf dem Lande gewesen sei, und dass keiner von den Daheimgebliebenen länger als ein paar Wochen der Klassenversammlung ferngeblieben wäre, außer aus dem einen Grund, weil die von ihnen abgelegten Zeugnisse so starkes Missfallen erregt hätten. Wir erinnerten sie auch daran, dass gewisse Personen, die ein ganzes Jahr lang den Klassenversammlungen ferngeblieben seien, trotzdem als gut stehende Mitglieder betrachtet würden. Z1.56.3 Teilen

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Dann wurden wir gefragt, ob wir bekennen wollten, von ihren Regeln abgewichen zu sein und ob wir einwilligten, uns in Zukunft an diese zu halten. Wir antworteten, dass wir es nicht wagten, unseren Glauben aufzugeben oder die heilige göttliche Wahrheit abzuleugnen, dass wir die Hoffnung auf das baldige Kommen unsers Erlösers nicht aufgeben könnten, und dass wir fortfahren müssten, den Herrn in der Art und Weise anzubeten, die sie als Ketzerei bezeichneten. Mein Vater erfuhr in seiner Verteidigung den Segen Gottes, und wir alle verließen die Vorhalle freien Geistes, glücklich in dem Bewusstsein des Rechts und der Billigung Jesu. Z1.57.1 Teilen

Am folgenden Sonntag verlas der vorstehende Älteste zu Beginn des Liebesfestes unsere Namen, sieben an der Zahl, als von der Gemeinde ausgeschlossen. Er sagte, wir seien nicht wegen irgendwelchem unrechten oder unmoralischen Verhaltens ausgeschlossen. Wir hätten einen tadellosen Charakter und einen beneidenswerten Ruf, aber wir seien schuldig befunden worden, gegen die Regeln der Methodistenkirche verstoßen zu haben. Er erklärte auch, dass nun eine Tür offen sei. Mit allen, die eines ähnlichen Brechens der Regeln schuldig seien, würde in gleicher Weise verfahren werden. Z1.57.2 Teilen

Es gab viele in der Gemeinde, die auf das Kommen des Heilandes warteten. Diese Drohung wurde ausgesprochen, um sie durch Furcht zur Unterwerfung zu zwingen. In einigen Fällen hatte dieses Vorgehen das gewünschte Resultat, und die Billigung Gottes wurde gegen einen Platz in der Gemeinde eingetauscht. Viele glaubten, wagten es aber nicht, ihren Glauben zu bekennen, damit sie nicht aus der „Synagoge“ ausgestoßen würden. Aber einige traten bald aus und schlossen sich der Schar derer an, die auf den Heiland warteten. Z1.57.3 Teilen

Zu dieser Zeit waren uns die Worte des Propheten überaus köstlich: „Höret des Herrn Wort, die ihr euch fürchtet vor seinem Wort: Eure Brüder, die euch hassen und sondern euch ab um meines Namens willen, sprechen: ‚Lasst sehen, wie herrlich der Herr sei, lasst ihn erscheinen zu eurer Freude‘; die sollen zu Schanden werden.“ Jesaja 66,5. Z1.57.4 Teilen

Kapitel 5: Widerstand von Seiten der ehemaligen Brüder
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Während sechs Monaten schob sich keine Wolke zwischen mich und meinen Heiland. Wo immer sich eine passende Gelegenheit bot, brachte ich mein Zeugnis vor und wurde sehr gesegnet. Zeitweise ruhte Gottes Geist in solchem Maße auf mir, dass ich meine körperliche Kraft verlor. Dies war für einige, die aus den bekenntlichen Kirchen kamen, schwer verständlich, und ihre Bemerkungen schmerzten mich oft sehr. Viele konnten nicht glauben, dass jemand, der vom Geiste Gottes überwältigt wurde, kraftlos niedersank. Meine Stellung war äußerst unangenehm. Ich begann darüber nachzudenken, ob ich mein Zeugnis in der Versammlung nicht besser für mich behielte und meine Gefühle in Schach hielte, wenn sich solcher Widerstand in den Herzen einiger erhob, die älter an Jahren und an Erfahrung waren als ich. Z1.58.1 Teilen

Eine Zeit lang hielt ich diesen Plan des Stillschweigens ein und versuchte mich selbst davon zu überzeugen, dass das Zurückhalten meines Zeugnisses mich nicht daran hindern würde, meine Religion treu auszuleben. Oftmals fühlte ich mich sehr gedrungen, in der Versammlung zu sprechen, hielt mich aber zurück. Dann hatte ich das Empfinden, den Geist Gottes betrübt zu haben. Manchmal ging ich nicht zur Versammlung, weil etliche daran teilnahmen, die sich durch mein Zeugnis belästigt fühlten. Ich schreckte davor zurück, meine Geschwister zu beleidigen. Doch hierdurch gestattete ich der Menschenfurcht, meine Verbindung mit Gott zu unterbrechen, deren ich mich so viele Monate lang erfreut hatte. Z1.58.2 Teilen

An verschiedenen Plätzen der Stadt waren Abendversammlungen anberaumt worden, um es allen zu ermöglichen, daran teilzunehmen, die es wünschten. Die Familie, die mir den meisten Widerstand entgegengebracht hatte, besuchte eine dieser Versammlungen. Bei dieser Gelegenheit, als alle Anwesenden zum Gebet niederknieten, kam der Geist des Herrn über die Versammlung, und ein Glied dieser Familie wurde hilflos niedergestreckt gleich einem Toten. Seine Angehörigen standen weinend um ihn herum, rieben seine Hände und machten Wiederbelebungsversuche. Schließlich wurde er soweit gekräftigt, Gott zu preisen. Er beruhigte sie, indem er den Herrn lobte und ihm dankte wegen des Beweises seiner Macht, die sich an ihm offenbart hatte. Der junge Mann war nicht imstande, an jenem Abend heimzugehen. Z1.58.3 Teilen

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Die Familie sah dies als eine Offenbarung des Geistes Gottes an, was sie aber nicht überzeugte, dass es die gleiche göttliche Macht war, die zu Zeiten auf mir geruht hatte, mich meiner natürlichen Kraft beraubte und meine Seele mit dem Frieden und der Liebe Jesu erfüllte. Sie fühlten sich frei zu behaupten, dass meine Aufrichtigkeit und vollkommene Ehrlichkeit nicht anzuzweifeln sei, dass sie mich aber als selbstbetrogen betrachteten, das als Macht Gottes anzusehen, was nur das Resultat meiner überschraubten Gefühle war. Z1.59.1 Teilen

Als Folge dieses Widerstandes befand ich mich in großer Bedrängnis, und als die Zeit für unsere reguläre Versammlung kam, war ich in Zweifel, ob ich daran teilnehmen oder besser fernbleiben sollte. Während einiger Tage befand ich mich in großem Kummer wegen der Gefühle, die mir gegenüber offenbart wurden. Schließlich entschied ich, daheim zu bleiben, um so der Kritik meiner Geschwister zu entgehen. Indem ich zu beten versuchte, wiederholte ich ständig die Worte: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ Die Antwort, die mir in Gedanken kam, schien mir zu gebieten, meinem himmlischen Vater zu vertrauen und geduldig auf die Kundgabe seines Willens zu warten. Ich übergab mich dem Herrn mit dem Vertrauen eines kleinen Kindes und erinnerte mich an seine Verheißungen, dass er alle, die ihm nachfolgen, nicht in Finsternis wandeln lassen würde. Z1.59.2 Teilen

Ein Gefühl der Pflicht überkam mich, zur Versammlung zu gehen, und ich ging mit voller Zuversicht, dass sich alles zum Besten wenden werde. Während wir vor dem Herrn niederknieten, wurde mein Herz im Gebet zu Gott erhoben und von solch einem Frieden erfüllt, den nur Christus geben kann. Meine Seele frohlockte in der Liebe des Heilandes, meine Kräfte verließen mich, und ich konnte nur sagen: „Der Himmel ist mein Heim und Christus ist mein Erlöser.“ Z1.59.3 Teilen

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Jemand von der zuvor erwähnten Familie, die sich den Offenbarungen der Macht Gottes über mich widersetzt hatten, brachte bei dieser Gelegenheit seine Ansicht zum Ausdruck, dass ich mich in einer Erregung befände, die ich unterdrücken müsse, aber anstatt dies als meine Pflicht zu betrachten, ermutige ich sie noch, da ich sie als Zeichen göttlicher Gunst betrachte. Seine Zweifel und sein Widerstand hatten zu dieser Zeit nicht den geringsten Einfluss auf mich, denn ich schien vom Herrn eingeschlossen und über allen äußeren Einfluss erhaben zu sein. Kaum hatte er zu sprechen aufgehört, als ein starker Mann, ein ergebener und demütiger Christ, vor seinen Augen von der Macht Gottes niedergestreckt wurde, und der Raum wurde vom Heiligen Geist erfüllt. Z1.60.1 Teilen

Als ich wieder zu Kräften gekommen war, war ich sehr glücklich, mein Zeugnis für Jesum vortragen zu können und von seiner Liebe zu mir zu sprechen. Ich bekannte meinen Mangel an Glauben in die Verheißungen Gottes und meinen Irrtum, aus Menschenfurcht die Bewegungen seines Geistes zu unterdrücken. Ich anerkannte, dass er trotz meines Misstrauens mir dennoch Beweise seiner Liebe und seiner unterstützenden Gnade geschenkt habe, die ich nicht erwartete. Der Bruder, der mir widerstanden hatte, erhob sich dann und bekannte unter Tränen, dass seine Gefühle mir gegenüber verkehrt gewesen seien. Demütig bat er mich um Verzeihung und sagte: „Schwester Ellen, ich will dir nie wieder einen Strohhalm in deinen Weg legen. Gott hat mir die Kälte und Halsstarrigkeit meines Herzens gezeigt, das er durch einen Beweis seiner Macht zerbrochen hat. Ich bin sehr verkehrt gewesen.“ Z1.60.2 Teilen

Indem er sich den Versammelten zuwandte, sagte er: „Wenn Schwester Ellen so glücklich schien, dachte ich: Warum kann ich nicht ebenso empfinden? Warum erhält Bruder R. nicht solchen Beweis? Ich war überzeugt, dass er ein ergebener Christ war, doch über ihn war keine solche Kraft gekommen. Ich brachte ein stilles Gebet dar, damit, falls dies der heilige Einfluss Gottes sei, Bruder R. an diesem Abend eine solche Erfahrung machen möchte. Z1.60.3 Teilen

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Kaum war der Wunsch aus meinem Herzen aufgestiegen, wurde Bruder R von der Macht Gottes niedergestreckt, indem er ausrief: ‚Lass den Herrn wirken!‘ Ich bin nun überzeugt, dass ich gegen den Heiligen Geist angekämpft habe, aber ich will ihn nie mehr durch hartnäckigen Unglauben betrüben. Willkommen, Licht! Willkommen Jesus! Ich war abgefallen und verhärtet. Ich fühlte mich beleidigt, wenn jemand Gott lobte und völlige Freude in seiner Liebe offenbarte. Jetzt sind meine Gefühle verändert, mein Widerstand hat ein Ende. Jesus hat mir die Augen geöffnet. Jetzt kann auch ich ihn preisen. Ich habe bittere und verletzende Worte gegen Schwester Ellen geäußert, was mir jetzt Leid tut, und ich bitte sie und alle andern, die anwesend sind, um Vergebung.“ Z1.61.1 Teilen

Dann sprach Bruder R. Sein Angesicht war von der Herrlichkeit des Himmels erleuchtet, als er den Herrn für die Wunder pries, die er an diesem Abend gewirkt hatte. Er sagte: „Dieser Ort ist wegen der Gegenwart des Allerhöchsten sehr feierlich. Schwester Ellen, in Zukunft wirst du unsere Unterstützung haben anstatt des grausamen Widerstandes, der dir entgegengebracht wurde. Wir sind blind gegenüber den Offenbarungen des heiligen Geistes Gottes gewesen.“ Z1.61.2 Teilen

Alle Widersacher waren nun zu der Einsicht gebracht worden, dass sie einen Fehler begangen hatten und zu bekennen, dass das Werk in der Tat vom Herrn stammte. In einer Gebetsversammlung, die bald darauf stattfand, erfuhr der Bruder, der seine verkehrte Stellung bekannt hatte, selbst die Macht Gottes in so großem Maße, dass sein Angesicht von himmlischem Licht erleuchtet war und er hilflos zur Erde fiel. Als seine Kraft zurückkehrte, bekannte er noch einmal, dass er unwissentlich gegen den Geist des Herrn gekämpft hatte, indem er böse Gefühle gegen mich gehegt hatte. In einer weiteren Gebetsversammlung wurde ein anderes Glied der gleichen Familie ebenfalls von Gottes Geist niedergestreckt, und er legte dasselbe Zeugnis ab. Einige Wochen später, als die große Familie von Bruder P in ihrem eigenen Haus niederkniete, rauschte der Geist Gottes durch den Raum und streckte alle knienden Bittsteller nieder. Mein Vater kam bald danach herein und fand alle von ihnen, Eltern und Kinder, hilflos unter der Macht des Herrn. Z1.61.3 Teilen

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Kalter Formendienst begann unter dem machtvollen Einfluss des Allerhöchsten dahinzuschmelzen. Alle, die mir widerstanden hatten, bekannten, dass sie dadurch den Heiligen Geist betrübt hatten. Sie vereinigten sich in Mitgefühl mir gegenüber und in Liebe zum Heiland. Ich war so froh, dass göttliche Barmherzigkeit den Pfad für meine Füße geebnet und meinen Glauben und mein Vertrauen so reichlich belohnt hatte. Jetzt wohnten Einigkeit und Frieden unter unserm Volk, das auf das Kommen des Herrn wartete. Z1.62.1 Teilen

Kapitel 6: Adventserfahrungen

Mit Besorgnis und Zittern näherten wir uns der Zeit, [Das Jahr 1843 reichte nach jüdischer Zeitrechnung vom 21. März 1843 bis zum 21. März 1844. Alle, die den Adventglauben annahmen, erwarteten das Kommen Christi innerhalb jenes Jahres.] zu welcher das Kommen unseres Heilandes erwartet wurde. Mit feierlichem Ernst suchten wir als ein Volk unser Leben zu reinigen, um bereit zu sein, ihm bei seinem Kommen zu begegnen. Ungeachtet des Widerstandes von Predigern und Kirchen war der Beethoven-Saal in der Stadt Portland allabendlich gedrängt voll. Besonders fanden dort sonntags große Versammlungen statt. Ältester Stockmann war ein Mann von tiefer Frömmigkeit. Er war von schwacher Gesundheit. Aber wenn er vor den Leuten stand, schien er aller körperlichen Schwäche enthoben zu sein. Sein Angesicht war erleuchtet von der Gewissheit, dass er die heilige göttliche Wahrheit lehrte. Z1.62.2 Teilen

Seine Worte waren von einer solch feierlichen, erforschenden Macht begleitet, die viele Herzen bewegte. Manchmal brachte er den innigen Wunsch zum Ausdruck, den Heiland bei seinem Erscheinen in den Wolken des Himmels willkommen heißen zu dürfen. Unter seinen Predigten überzeugte der Geist Gottes viele Sünder und brachte sie zur Herde Christi. Es wurden immer noch Versammlungen in Privathäusern und verschiedenen Teilen der Stadt mit den besten Resultaten abgehalten. Die Gläubigen wurden ermutigt, für ihre Freunde und Verwandten zu wirken, und die Bekehrungen nahmen von Tag zu Tag zu. Alle Klassen strömten zu den Versammlungen in der Beethoven-Halle. Reich und Arm, Hoch und Niedrig, Prediger und Laien, alle waren aus verschiedenen Gründen begierig, für sich selbst die Lehre vom Zweiten Kommen Jesu zu hören. Viele kamen und gingen, da sie keinen Stehplatz fanden, enttäuscht fort. Die bei diesen Versammlungen befolgte Ordnung war einfach. Gewöhnlich wurde eine kurze, passende Predigt gehalten. Dann wurde Freiheit zu allgemeinen Erörterungen gegeben. In der Regel herrschte eine so vollkommene Ruhe, wie sie bei einer solchen Menschenmenge nur möglich war. Der Herr hielt den Geist des Widerstandes zurück, während seine Diener die Gründe für ihren Glauben vorführten. Manchmal war das Werkzeug schwach, aber der Geist Gottes gab seiner Wahrheit Gewicht und Kraft. Die Gegenwart heiliger Engel wurde in der Versammlung gespürt, und täglich wurde der kleinen Schar der Gläubigen eine Anzahl hinzugefügt. Z1.62.3 Teilen

63

Bei einer Gelegenheit, als Ältester Stockmann predigte, saß Ältester Brown, ein Baptistenprediger, dessen Namen bereits erwähnt worden war, vorn beim Pult und hörte der Predigt mit regstem Interesse zu. Er wurde tief bewegt; plötzlich wurde sein Angesicht bleich wie der Tod, er sank von seinem Stuhl, und Ältester Stockmann konnte ihn gerade noch in seinen Armen auffangen. Er legte ihn auf das Sofa hinter dem Predigtpult, wo er kraftlos lag, bis die Predigt zu Ende war. Z1.63.1 Teilen

Dann erhob er sich, sein Angesicht noch immer blass, aber vom Licht der Sonne der Gerechtigkeit erleuchtet, und legte ein sehr eindrucksvolles Zeugnis ab. Er schien eine heilige Salbung von oben zu bekommen. Er sprach gewöhnlich langsam, in einer ernsten Weise, gänzlich frei von jeder Erregung. Bei dieser Gelegenheit aber hatten seine feierlichen, angemessenen Worte neue Kraft, als er Sünder und seine Brüder im Predigtamt ermahnte, Unglauben, Vorurteil und kalten Formendienst abzulegen und gleich den edlen Beröern die Schrift zu erforschen und Schriftstelle mit Schriftstelle zu vergleichen, um sich zu vergewissern, ob diese Dinge sich nicht so verhielten. Er rief die anwesenden Prediger auf, sich nicht durch die direkte und treffende Art verletzt zu fühlen, in welcher Ältester Stockmann den feierlichen Gegenstand vorgeführt hatte, der für alle von Wichtigkeit war. Z1.63.2 Teilen

64

Er sagte: „Wir wünschen die Leute zu erreichen. Wir wünschen, dass Sünder überzeugt und wahrhaft reumütig werden, ehe es für sie zu spät ist, gerettet zu werden, damit sie nicht zuletzt in die Klage ausbrechen müssen: ‚Die Ernte ist vergangen, der Sommer ist dahin, und uns ist keine Hilfe gekommen.‘ Jeremia 8,20. Brüder im Predigtamt sagen, dass unsere Pfeile sie verletzen; möchten sie nicht bitte auf die Seite treten, weil sie zwischen uns und dem Volk stehen, damit wir die Herzen der Sünder erreichen? Wenn sie sich zur Zielscheibe für unsere Angriffe machen, haben sie keinen Grund, sich über die empfangenen Wunden zu beklagen. Tretet zur Seite, Brüder, und es wird euch kein Pfeil treffen.“ Z1.64.1 Teilen

Er berichtete seine eigenen Erfahrungen mit einer solchen Einfachheit und Aufrichtigkeit, dass viele, die von großem Vorurteil befangen gewesen waren, zu Tränen gerührt wurden. Der Geist Gottes wurde in seinen Worten gefühlt und machte sich in seinem Angesicht bemerkbar. Mit heiliger Erhabenheit erklärte er kühn, dass er das Wort Gottes zu seinem Ratgeber erwählt habe, dass sein Zweifel verscheucht und sein Glaube gefestigt worden sei. Mit Ernst lud er seine Brüder im Predigtamt, Gemeindeglieder, Sünder und Ungläubige ein, die Bibel für sich selbst zu erforschen, und legte es ihnen ans Herz, sich von keinem Menschen davon abhalten zu lassen, sich zu vergewissern, was Wahrheit sei. Z1.64.2 Teilen

Ältester Brown löste weder dann noch später seine Verbindung mit der Baptistenkirche, sondern stand in hoher Achtung unter den Gläubigen seiner Gemeinde. Als er seine Ansprache beendet hatte, wurden solche, die wünschten, dass die Kinder Gottes für sie beteten, eingeladen, sich zu erheben. Hunderte leisteten der Aufforderung Folge. Der Heilige Geist ruhte auf den Versammelten. Himmel und Erde schienen sich einander nahe zu kommen. Die Versammlung dauerte bis spät in die Nacht hinein. Die Kraft des Herrn wurde von Jung und Alt und von solchen in mittlerem Alter verspürt. Z1.64.3 Teilen

65

Als wir auf verschiedenen Wegen wieder nach Hause zurückkehrten, erreichte uns eine Gott preisende Stimme von einer Richtung, und wie in Erwiderung riefen Stimmen von der einen und anderen Richtung: „Preiset Gott, der Herr sitzt im Regiment!“ Männer suchten mit Lobpreis auf ihren Lippen ihr Heim auf. Froher Klang tönte in die Stille der Nacht hinaus. Niemand, der diesen Versammlungen beiwohnte, kann jemals jene Szenen von tiefstem Interesse vergessen. Z1.65.1 Teilen

Diejenigen, die Jesum aufrichtig lieben, können die Gefühle derer würdigen, die mit dem sehnsüchtigen Verlangen auf das Kommen ihres Erlösers warteten. Der erwartete Zeitpunkt näherte sich. Die Zeit, zu der wir ihm zu begegnen hofften, war nahe. Wir näherten uns dieser Stunde mit einer ruhigen Feierlichkeit. Die wahren Gläubigen ruhten in süßer Gemeinschaft mit Gott — ein Pfand des Friedens, den sie in der herrlichen Zukunft haben würden. Niemand, der diese Hoffnung und dieses Vertrauen erfahren hat, kann jemals diese köstlichen Wartestunden vergessen. Z1.65.2 Teilen

Weltliche Beschäftigungen wurden größtenteils für einige Wochen beiseite gelegt. Wir prüften sorgfältig jeden Gedanken und jede Regung des Herzens, als ob wir auf dem Sterbebett lägen und in ein paar Stunden unsere Augen auf immer für irdische Szenen schließen würden. Es wurden keine „Himmelfahrtskleider“ für das große Ereignis hergestellt; aber wir fühlten die Notwendigkeit innerer Beweise, dass wir vorbereitet seien, Christo zu begegnen. Unsere weißen Kleider waren Reinheit der Seele, durch das versöhnende Blut unseres Heilandes gereinigte Charaktere. Z1.65.3 Teilen

Aber die Zeit der Erwartung ging vorüber. Dies war die erste ernsthafte Prüfung, die diejenigen durchzustehen hatten, die glaubten und hofften, Jesus werde in den Wolken des Himmels erscheinen. Die Enttäuschung des wartenden Volkes Gottes war groß. Die Spötter triumphierten und gewannen die Schwachen und Feiglinge auf ihre Seite. Einige, die den Anschein erweckt hatten, wahren Glauben zu besitzen, schienen nur von Furcht beeinflusst gewesen zu sein. Mit dem Verstreichen der Zeit kehrte ihr Mut zurück. Sie verbanden sich kühn mit den Spöttern und erklärten, dass sie niemals so getäuscht gewesen seien, wirklich an die Lehre Millers zu glauben, der ein wahnsinniger Fanatiker sei. Andere, von Natur aus nachgiebig oder wankelmütig, ließen ruhig das Werk im Stich. Ich dachte, was wohl aus jenen Schwachen und Wankelmütigen geworden wäre, wenn Christus tatsächlich gekommen wäre. Sie gaben vor, das Kommen Jesu zu lieben und darauf zu warten. Als er aber nicht erschien, schienen sie sehr erleichtert zu sein und fielen in einen sorglosen Zustand und der Missachtung wahrer Religion zurück. Z1.65.4 Teilen

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Wir waren bestürzt und enttäuscht, gaben aber unseren Glauben nicht auf. Viele hielten immer noch an der Hoffnung fest, dass Jesus sein Kommen nicht verziehen werde; das Wort des Herrn sei sicher, es werde nicht fehlschlagen. Wir fühlten, dass wir unsere Pflicht getan hatten; wir hatten gemäß unseres köstlichen Glaubens gelebt. Wir waren enttäuscht, jedoch nicht entmutigt. Die Zeichen der Zeit verkündigten, dass das Ende aller Dinge nahe sei. Wir müssten wachen und uns in Bereitschaft halten, ihm zu jeder Zeit begegnen zu können. Wir müssten mit Hoffnung und Vertrauen warten und nicht versäumen, uns zur Unterweisung, zur Ermutigung und zum Trost zu versammeln, damit unser Licht in die Welt hinausstrahlen möchte. Z1.66.1 Teilen

Unsere Berechnung der prophetischen Zeit war so einfach und klar, dass sogar Kinder sie verstehen konnten. Von der Zeit des Erlasses des persischen Königs, wie in Esra 7 verzeichnet, welcher im Jahre 457 v. Chr. herausgegeben wurde, sollten die 2300 Jahre von Daniel 8,14 mit dem Jahr 1843 enden. Demgemäß erwarteten wir das Kommen des Herrn am Ende dieses Jahres. [Siehe Erklärung auf Seite 62]. Wir wurden sehr enttäuscht, als das Jahr gänzlich verstrich und der Heiland nicht kam. Z1.66.2 Teilen

Es wurde zuerst nicht erkannt, dass, wenn der Erlass nicht zu Anfang des Jahres 457 v. Chr. herausgegeben wurde, die 2300 Jahre nicht mit dem Ende des Jahres 1843 enden könnten. Man ermittelte, dass der Erlass erst gegen Ende des Jahres 457 v. Chr. herausgegeben wurde. Deshalb müsse die prophetische Periode bis zum Herbst des Jahres 1844 reichen. Somit verzog das Gesicht nicht, wie es geschienen hatte. Wir lernten, uns auf die Worte des Propheten zu verlassen: „Die Weissagung wird ja noch erfüllt werden zu seiner Zeit und endlich frei an den Tag kommen und nicht ausbleiben. Ob sie aber verzieht, so harre ihrer: sie wird gewiss kommen und nicht verziehen.“ Habakuk 2,3. Z1.66.3 Teilen

67

Durch das Vorübergehen der Zeit im Jahr 1843 prüfte und versuchte Gott sein Volk. Der Fehler in der Berechnung der prophetischen Zeitperiode wurde nicht sofort entdeckt, selbst von den gelehrten Männern, die nicht die Ansichten derer teilten, die Christi Kommen erwarteten. Die Gelehrten erklärten, dass Herr Miller in seiner Berechnung der Zeit recht habe, obgleich sie nicht mit ihm übereinstimmten betreffs des Ereignisses, das am Ende jener Zeitperiode eintreten werde. Aber sie als auch das wartende Volk Gottes waren im Irrtum, was die Zeit anbetraf. Z1.67.1 Teilen

Wir sind völlig überzeugt, dass es Gott in seiner Weisheit beabsichtigte, dass sein Volk eine Enttäuschung erleben sollte, die dazu diente, Herzen zu offenbaren und den wahren Charakter derer zu entwickeln, die bekannt hatten, nach dem Kommen des Herrn Ausschau zu halten und es zu lieben. Solche, welche die erste Engelsbotschaft (siehe Offenbarung 14,6-7) aus Furcht vor Gottes vergeltendem Gericht, aber nicht aus Liebe zur Wahrheit und dem Wunsch, Anteil am Himmelreich zu haben, angenommen hatten, erschienen jetzt in ihrem wahren Licht. Sie waren unter den Ersten, über die Enttäuschung derer zu spotten, die aufrichtig und voller Liebe auf das Erscheinen Jesu warteten. Z1.67.2 Teilen

Diejenigen, die enttäuscht worden waren, wurden nicht lange im Dunkeln gelassen. Als sie die prophetischen Zeitperioden mit ernstem Gebet untersuchten, wurde der Fehler entdeckt, dass nämlich die Tage durch die Zeit des Verzugs reichten. In der freudigen Erwartung der Wiederkunft Christi war der scheinbare Verzug des Gesichts gar nicht in Betracht gezogen worden und wurde zu einer traurigen, unerwarteten Überraschung. Diese Prüfung war jedoch notwendig, um die ehrlichen Gläubigen in der Wahrheit zu entwickeln und zu stärken. Z1.67.3 Teilen

68

Unsere Hoffnungen konzentrierten sich jetzt auf das Kommen des Herrn im Jahr 1844. Dies war auch die Zeit für die Botschaft des zweiten Engels, welcher mitten durch den Himmel fliegend, rief: „Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon die große Stadt.“ Offenbarung 14,8. Diese Botschaft wurde von den Dienern Gottes zuerst im Sommer des Jahres 1844 verkündigt. Das Resultat war, dass viele die gefallenen Kirchen verließen. In Verbindung mit dieser Botschaft wurde der „Mitternachtsruf“ (siehe Matthäus 25,1-13) gegeben. „Siehe, der Bräutigam kommt; geht aus, ihm entgegen.“ In allen Teilen des Landes wurde Licht über diese Botschaft gegeben, und der Ruf erweckte Tausende. Er drang von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf bis in die entlegendsten Landesteile. Er erreichte sowohl die Gelehrten und Gebildeten wie auch die Einfachen und Zurückgezogenen. Z1.68.1 Teilen

Dieses Jahr war das glücklichste meines Lebens. Mein Herz war voll froher Erwartung; aber ich war von Mitleid und Sorge für jene erfüllt, die entmutigt waren und keine Hoffnung in Jesu besaßen. Wir vereinten uns als ein Volk zu ernstem Gebet um eine echte Erfahrung und um untrügliche Beweise unserer Annahme bei Gott. Z1.68.2 Teilen

Wir brauchten große Geduld, denn es gab viele Spötter. Oft begegnete man uns mit der höhnischen Bemerkung betreffs unserer früheren Enttäuschung: „Was, ihr seid noch nicht aufgefahren? Wann gedenkt ihr jetzt gen Himmel zu fahren?“ Solche und ähnliche Spottreden erfuhren wir oftmals von unseren weltlichen Bekannten und selbst von einigen bekenntlichen Christen, welche die Bibel akzeptierten, jedoch versäumten, ihre großen und wichtigen Wahrheiten zu lernen. Ihre verblendeten Augen schienen die feierliche Warnung, „dass er einen Tag gesetzt hat, an welchen er richten will den Kreis des Erdbodens“ (Apostelgeschichte 17,31), nur vage zu begreifen, dazu auch die Zusicherung, dass die Heiligen zusammen dem Herrn entgegengerückt werden sollen, um ihrem Herrn in der Luft zu begegnen. Z1.68.3 Teilen

Die orthodoxen Kirchen benutzten jedes Mittel, um die Ausbreitung des Glaubens an das baldige Kommen Christi zu verhindern. In ihren Versammlungen wurde denen, die es wagten, ihrer Hoffnung auf den bald erscheinenden Christum zum Ausdruck zu bringen, keine Freiheit gewährt. Vorgebliche Liebhaber Jesu verwarfen verächtlich die Kunde, dass der, den sie ihren besten Freund nannten, sie bald besuchen werde. Sie waren erregt und mit Zorn erfüllt gegen diejenigen, die die Nachricht von seinem Kommen verbreiteten und die frohlockten, dass sie ihn nun bald in seiner Herrlichkeit schauen würden. Z1.68.4 Teilen

69

Jeder Augenblick schien mir von äußerster Wichtigkeit zu sein. Ich empfand, dass wir ein Werk für die Ewigkeit verrichteten und dass die Sorglosen und Interesselosen sich in größter Gefahr befänden. Mein Glaube war ungetrübt, und ich eignete mir die köstlichen Verheißungen Jesu an. Er hatte zu seinen Jüngern gesagt: „Denn wer da bittet, der nimmt.“ Lukas 11,10. Ich glaubte fest, dass er mir alles geben würde, um was ich ihn in Übereinstimmung mit Gottes Willen bat. Ich sank in Demut zu Jesu Füßen nieder, mit einem Herzen, das sich in Übereinstimmung mit seinem Willen befand. Z1.69.1 Teilen

Ich besuchte oft Familien und betete ernstlich mit denen, die von Furcht und Verzagtheit niedergebeugt waren. Mein Glaube war so stark, dass ich keinen Augenblick zweifelte, dass Gott meine Gebete erhören werde. Ohne eine einzige Ausnahme kam der Segen und der Friede Jesu in Erhörung unseres demütigen Flehens auf uns hernieder, und die Herzen der Verzweifelnden wurden von Licht, Hoffnung und Freude erfüllt. Z1.69.2 Teilen

Mit fleißigem Erforschen unserer Herzen und demütigen Bekenntnissen näherten wir uns andachtsvoll der Zeit der Erwartung. Jeden Morgen empfanden wir es als unsere erste Pflicht, uns davon zu überzeugen, dass unser Leben recht vor Gott stand. Unser Mitgefühl für einander nahm zu, und wir beteten viel mit- und füreinander. Wir versammelten uns in den Obstgärten und Hainen, um Umgang mit Gott zu pflegen und unsere Bitten vor ihm darzubringen. Wir fühlten uns mehr in seiner Gegenwart, wenn wir von seinen Naturwerken umgeben waren. Die Freuden der Erlösung waren uns weit notwendiger als Speise und Trank. Wenn Wolken unser Gemüt verdunkelten, so wagten wir es nicht, zu ruhen oder zu schlafen, bis sie durch das Bewusstsein unserer Annahme bei Gott verscheucht waren. Z1.69.3 Teilen

70

Ich war von sehr schwacher Gesundheit. Meine Lunge war ernstlich angegriffen, und meine Stimme versagte oft. Der Geist Gottes ruhte oftmals mit solcher Macht auf mir, dass mein hinfälliger Körper kaum die Herrlichkeit ertragen konnte, die meine Seele durchflutete. Ich schien in der Atmosphäre des Himmels zu atmen und freute mich der Aussicht, bald meinem Erlöser zu begegnen und für immer im Licht seines Antlitzes zu leben. Z1.70.1 Teilen

Das harrende Volk Gottes näherte sich der Stunde, da sie in froher Hoffnung erwarteten, ihre Freude durch das Kommen des Heilandes vollkommen gemacht zu sehen. Aber die Zeit verstrich wiederum, ohne durch die Wiederkunft Jesu gekennzeichnet zu sein. Es war eine bittere Enttäuschung, welche über die kleine Herde kam, deren Glauben so stark und deren Hoffnung so groß gewesen war. Aber es überraschte uns, dass wir uns so frei im Herrn fühlten und von seiner Stärke und Gnade so reichlich unterstützt wurden. Z1.70.2 Teilen

Die Erfahrung des vergangenen Jahres wiederholte sich, nur in noch größerem Maße. Eine große Anzahl sagte ihrem Glauben ab. Einige, die so zuversichtlich gewesen waren, fühlten sich in ihrem Stolz so tief gekränkt, dass sie gern aus der Welt hätten fliehen mögen. Gleich Jona klagten sie Gott an und wollten lieber sterben als leben. Solche, die ihren Glauben auf die Beweisführungen anderer und nicht auf das Wort Gottes gebaut hatten, waren nun ebenso bereit, ihre Ansichten erneut zu ändern. Die Heuchler, die gehofft hatten, den Herrn sowie sich selbst täuschen zu können mit ihrer unaufrichtigen Buße und Hingabe, fühlten sich jetzt von der drohenden Gefahr befreit und widerstanden der Sache öffentlich, die sie vor kurzem noch zu lieben vorgaben. Z1.70.3 Teilen

Die Schwachen und die Bösen erklärten nun einmütig, dass es jetzt keine Befürchtungen und Erwartungen mehr geben würde. Die Zeit war verstrichen, der Herr nicht gekommen, und die Welt würde für Tausende von Jahren die gleiche bleiben. Diese zweite große Prüfung offenbarte eine Masse wertlosen Treibgutes, das in den starken Strom des Adventglaubens hineingesogen und eine Zeit lang mit den wahren Gläubigen und ernsten Arbeitern getragen worden war. Z1.70.4 Teilen

71

Wir waren enttäuscht aber nicht entmutigt. Wir beschlossen, uns geduldig dem Prozess der Reinigung zu unterwerfen, den Gott als notwendig für uns erachtete, und in stiller Hoffnung auf den Heiland zu harren, um seine geprüften und treuen Kinder zu erretten. Z1.71.1 Teilen

Wir waren fest in dem Glauben, dass die Predigt von der festgesetzten Zeit von Gott sei. Dies war es, was die Menschen veranlasst hatte, die Bibel mit Fleiß zu erforschen und Wahrheiten zu entdecken, die sie vorher nie erkannt hatten. Jona wurde von Gott gesandt, auf den Straßen von Ninive zu verkünden, dass die Stadt in vierzig Tagen untergehen werde. Aber Gott nahm die Demütigung der Bewohner Ninives an und verlängerte ihre Gnadenzeit. Und doch war die Botschaft, die Jona brachte, von Gott und Ninive nach seinem Willen geprüft. Die Welt sah unsere Hoffnung als eine Täuschung und unsere Enttäuschung als einen entschiedenen Fehlschlag an. Z1.71.2 Teilen

Die Worte des Heilandes im Gleichnis von dem bösen Knecht sind besonders auf jene anwendbar, die über das nahe Kommen des Menschensohnes spotten: „So aber jener, der böse Knecht, wird in seinem Herzen sagen: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an zu schlagen seine Mitknechte, isst und trinkt mit den Trunkenen: so wird der Herr des Knechtes kommen an dem Tage, des er sich nicht versieht, und zu einer Stunde, die er nicht meint, und wird ihn zerscheitern und wird ihm den Lohn geben mit den Heuchlern: da wird sein Heulen und Zähneklappen.“ Matthäus 24,48-51. Z1.71.3 Teilen

Uns begegneten überall die Spötter, die nach des Apostel Petrus Worten in den letzten Tagen kommen sollten, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln und sagen: „Wo ist die Verheißung seiner Zukunft? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Kreatur gewesen ist.“ 2.Petrus 3,4. Aber jene, die das Kommen des Herrn erwartet hatten, waren nicht ohne Trost. Sie hatten im Studieren des Wortes wertvolle Kenntnis erlangt. Der Erlösungsplan wurde ihrem Verständnis besser erschlossen. Jeden Tag entdeckten sie neue Schönheiten in der Schrift und wie in dem Ganzen eine wunderbare Harmonie herrscht. Eine Schriftstelle erklärt die andere. Kein überflüssiges Wort wurde gebraucht. Z1.71.4 Teilen

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Unsere Enttäuschung war nicht so groß wie die der Jünger. Als der Menschensohn im Triumph in Jerusalem einzog, erwarteten sie, dass er als König gekrönt würde. Das Volk strömte aus allen Richtungen zusammen und rief: „Hosianna dem Sohn Davids!“ Matthäus 21,9. Und als die Priester und Ältesten Jesum ersuchten, die Menge zum Schweigen zu bringen, erklärte er, dass, falls diese schwiege, sogar die Steine schreien würden, denn die Prophezeiung müsse erfüllt werden. In ein paar Tagen jedoch sahen diese Jünger ihren geliebten Meister, von dem sie geglaubt hatten, er werde auf Davids Thron regieren, an das grausame Kreuz geschlagen, von den spottenden Pharisäern verhöhnt. Ihre hohen Erwartungen waren vernichtet. Die Finsternis des Todes umschloss sie. Z1.72.1 Teilen

Doch Christus blieb seinen Verheißungen treu. Süß war der Trost, den er seinem Volke gab, und reich der Lohn für die Aufrichtigen und Treuen. Z1.72.2 Teilen

Herr Miller und diejenigen, die mit ihm verbunden waren, nahmen an, dass die in Daniel 8,14 erwähnte Reinigung des Heiligtums die Reinigung der Erde durch Feuer bedeute, ehe sie als Wohnplatz für die Heiligen hergerichtet werden würde. Dies sollte beim Kommen Christi stattfinden, deshalb erwarteten wir dieses Ereignis am Ende der 2300 Tage oder Jahre. Aber nach unserer Enttäuschung wurde die Heilige Schrift sorgfältig unter Gebet erforscht, und nach einer Zeit der Ungewissheit schien Licht in unsere Finsternis. Zweifel und Unsicherheit wurden hinweggeschwemmt. Z1.72.3 Teilen

Anstatt, dass die Prophezeiung von Daniel 8,14 sich auf die Reinigung der Erde bezog, war es jetzt klar, dass sie auf das Abschlusswerk unseres Hohenpriesters im Himmel hinwies, auf den Abschluss der Versöhnung und auf die Vorbereitung des Volkes, um am Tage seiner Wiederkunft bestehen zu können. Z1.72.4 Teilen

Kapitel 7: Mein erstes Gesicht
73

Nicht lange nach dem Vorübergehen der Zeit im Jahr 1844 wurde mir mein erstes Gesicht gegeben. Ich war zu Besuch bei einer lieben Schwester in Christo, deren Herz eng mit dem meinen verbunden war. Fünf von uns, alles Frauen, knieten ruhig am Familienaltar. Während wir beteten, kam die Kraft Gottes über mich, wie ich sie nie zuvor verspürt hatte. Ich schien von Licht umgeben zu sein und höher und höher von der Erde emporzusteigen. Ich wandte mich um, um nach dem Adventvolk in der Welt zu schauen, konnte es aber nicht sehen, als eine Stimme zu mir sagte: „Schau noch einmal und schaue ein wenig höher!“ Bei diesen Worten erhob ich meine Augen und sah einen geraden und schmalen Pfad, der sich hoch über die Welt erhob. Auf diesem Pfad reisten die Adventgläubigen der Stadt zu. Hinter ihnen, am Anfang des Pfades, war ein helles Licht, welches den Mitternachtsruf darstellte, wie mir ein Engel sagte. Dieses Licht schien den ganzen Pfad entlang, damit ihre Füße nicht strauchelten. Jesus selbst ging seinem Volk voraus, um es voranzuführen, und solange sie ihre Blicke auf ihn gerichtet hielten, waren sie sicher. Aber bald ermüdeten einige und sagten, dass die Stadt so weit in der Ferne sei. Sie hätten erwartet, sie früher zu erreichen. Dann ermutigte sie Jesus, indem er seinen rechten glorreichen Arm erhob, von dem ein Licht über die Schar der Adventgläubigen ausging, und sie riefen: „Halleluja!“ Andere verwarfen voreilig das Licht hinter ihnen und sagten, dass es nicht Gott sei, der sie so weit geführt habe. Hinter diesen erlosch das Licht und ließ ihre Füße in völliger Dunkelheit zurück. Sie strauchelten, verloren das Ziel und Jesum aus den Augen und fielen vom Pfad hinab, hinunter in die dunkle und gottlose Welt unter ihnen. Z1.73.1 Teilen

Bald hörten wir die Stimme Gottes gleich vielen Wassern, die uns den Tag und die Stunde des Kommens Jesu ankündigte. Die lebenden Heiligen, 144.000 an der Zahl, kannten und verstanden die Stimme, während die Gottlosen sie für Donner und Erdbeben hielten. Als Gott die Zeit verkündigte, goss er seinen Heiligen Geist über uns aus. Unsere Angesichter begannen zu leuchten und von Gottes Herrlichkeit zu erstrahlen, wie das Angesicht von Mose, als er vom Berge Sinai herabkam. Z1.73.2 Teilen

74

Die 144.000 waren alle versiegelt und vollkommen vereinigt. Auf ihren Stirnen waren die Worte „Gott, neues Jerusalem“ geschrieben und ein herrlicher Stern, der Jesu neuen Namen enthielt. Die Gottlosen wurden über unseren glücklichen, heiligen Zustand mit Wut erfüllt und stürzten auf uns los, um uns zu ergreifen und ins Gefängnis zu werfen; aber wir streckten im Namen des Herrn die Hand aus, und sie fielen hilflos zu Boden. Dann erkannte die Synagoge Satans, dass Gott uns geliebt hatte, die wir einander die Füße waschen und die Geschwister mit dem heiligen Kuss begrüßen, und sie beteten zu unseren Füßen an. Z1.74.1 Teilen

Bald richteten sich unsere Blicke nach Osten, denn es war eine kleine schwarze Wolke erschienen, ungefähr halb so groß wie eines Mannes Hand, von der wir alle wussten, dass sie das Zeichen des Menschensohnes war. Mit feierlicher Stille blickten wir alle auf die Wolke, wie sie sich näherte und heller, herrlicher und immer herrlicher wurde, bis sie eine große weiße Wolke war. Von unten sah sie wie Feuer aus, und ein Regenbogen war über der Wolke, während sie von zehntausend Engeln umgeben war, die ein äußerst liebliches Lied sangen. Auf ihr saß der Menschensohn. Sein Haar war weiß und lockig und lag auf seinen Schultern, und auf seinem Haupt befanden sich viele Kronen. Seine Füße hatten die Erscheinung wie Feuer. In seiner rechten Hand hatte er eine scharfe Sichel und in seiner linken eine silberne Posaune. Seine Augen waren wie Feuerflammen, die seine Kinder durch und durch erforschten. Z1.74.2 Teilen

Dann wurden alle Angesichter bleich. Diejenigen, die Gott verworfen hatte, entfärbten sich. Dann riefen wir alle aus: „Wer wird bestehen? Ist mein Kleid fleckenlos?“ Die Engel hörten auf zu singen und eine Zeit lang herrschte feierliche Stille. Dann sagte Jesus: „Diejenigen, die reine Hände und reine Herzen haben, werden bestehen. Lasst euch an meiner Gnade genügen.“ Bei diesen Worten erhellten sich unsere Angesichter und Freude erfüllte jedes Herz. Die Engel stimmten einen höheren Ton an und sangen von neuem, während die Wolke der Erde noch näher rückte. Dann ertönte Jesu Silberposaune, während er auf die Wolke herabstieg, in Feuerflammen gehüllt. Er schaute auf die Gräber der schlafenden Heiligen, erhob seine Augen und Hände zum Himmel und rief: „Erwachet, erwachet, erwachet, die ihr im Staube schlaft und steht auf!“ Dann gab es ein mächtiges Erdbeben. Die Gräber öffneten sich, und die Toten kamen mit Unsterblichkeit bekleidet hervor. Die 144.000 riefen „Halleluja!“ als sie ihre Freunde erkannten, die ihnen der Tod entrissen hatte. In demselben Augenblick wurden wir verwandelt und mit ihnen hingerückt dem Herrn entgegen in der Luft. Z1.74.3 Teilen

75

Wir alle zusammen betraten die Wolke. Wir waren sieben Tage im Aufstieg begriffen nach dem gläsernen Meer, worauf Jesus die Kronen hervorbrachte. Mit seiner eigenen rechten Hand setzte er sie auf unsere Häupter. Er gab uns auch goldene Harfen und Siegespalmen. Hier am gläsernen Meer stellten sich die 144.000 in einem vollkommenen Viereck auf. Einige hatten sehr leuchtende Kronen, andere waren nicht so hell. Einige Kronen waren schwer mit Sternen beladen, andere hatten nur wenige Sterne. Alle waren völlig zufrieden mit ihren Kronen. Von ihren Schultern bis zu ihren Füßen waren alle mit einem herrlichen weißen Mantel bekleidet. Engel umgaben uns von allen Seiten, als wir über das gläserne Meer der Stadt zu marschierten. Jesus erhob seinen machtvollen, herrlichen Arm, ergriff das Perlentor, schwang es in seinen glänzenden Angeln zurück und sagte zu uns: „Ihr habt eure Kleider in meinem Blut gewaschen, seid fest für meine Wahrheit eingestanden, tretet ein.“ Wir marschierten alle hinein und fühlten, dass wir ein vollkommenes Recht in der Stadt hatten. Z1.75.1 Teilen

In der Stadt sahen wir den Lebensbaum und den Thron Gottes. Aus dem Thron kam ein reiner Wasserstrom, und an jeder Seite des Stromes war der Lebensbaum. An der einen Seite des Stromes befand sich ein Stamm eines Baumes, und ein Stamm war auf der andern Seite vom Strom, beide von reinem, durchsichtigem Gold. Zuerst dachte ich, zwei Bäume zu sehen. Dann schaute ich noch einmal hin und sah, dass sie oben zu einem Baum vereinigt waren. So war es der Lebensbaum, der auf beiden Seiten des Lebensstromes wuchs. Seine Zweige neigten sich zu dem Platz hin, wo wir standen. Die Frucht war herrlich anzusehen, wie Gold mit Silber vermischt. Z1.75.2 Teilen

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Wir traten alle unter den Baum, setzten uns nieder und betrachteten die Herrlichkeit des Platzes, als die Brüder Fitch und Stockmann zu uns kamen, die das Evangelium vom Reich gepredigt hatten, und die Gott ins Grab gelegt hatte, um sie zu erretten. Sie fragten uns, durch was wir noch hindurchgegangen wären, während sie schliefen. Wir versuchten, uns an unsere größten Prüfungen zu erinnern, aber sie schienen so gering im Vergleich zu der ewigen und über alle Maßen großen Herrlichkeit, die uns umgab, zu sein, dass wir nicht darüber sprechen konnten. Wir alle riefen aus: „Halleluja, der Himmel ist billig genug“, und wir berührten unsere goldenen Harfen, so dass das Himmelsgewölbe davon widerhallte. Z1.76.1 Teilen

Kapitel 8: Der Ruf zum Reisen

Ich berichtete dieses Gesicht den Gläubigen in Portland, die fest davon überzeugt waren, dass es von Gott war. Der Geist des Herrn begleitete das Zeugnis. Der Ernst der Ewigkeit ruhte auf uns. Eine unaussprechliche Scheu erfüllte mich, dass ich, so jung und so schwach, als das Werkzeug gewählt werden sollte, durch welches Gott seinem Volk Licht schenken wollte. Während die Kraft Gottes auf mir ruhte, war ich mit Freude erfüllt und schien von heiligen Engeln in den herrlichen Himmelshöfen, wo alles Friede und Freude ist, umgeben zu sein. Es war ein trauriger und bitterer Wechsel, zu den Wirklichkeiten des sterblichen Lebens aufzuwachen. Z1.76.2 Teilen

In einem zweiten Gesicht, das dem ersten bald folgte, wurden mir die Prüfungen gezeigt, die ich durchzumachen haben würde, und dass es meine Pflicht sei andern zu berichten, was Gott mir offenbart hatte. Es wurde mir gezeigt, dass mein Wirken großem Widerstand begegnen und dass mein Herz von Schmerz zerrissen werden würde, dass aber Gottes Gnade ausreichend sei, mich durch alles hindurch zu tragen. Die Belehrung in diesem Gesicht beunruhigte mich außerordentlich, denn sie zeigte mir meine Pflicht, unter die Leute zu gehen und die Wahrheit zu verkündigen. Z1.76.3 Teilen

77

Meine Gesundheit war so schwach, dass ich ständig körperlich litt. Allem Anschein nach hatte ich nur noch kurze Zeit zu leben. Ich war erst siebzehn Jahre alt, klein und schwächlich, der Gesellschaft ungewohnt. Von Natur aus war ich so schüchtern und zurückgezogen, dass es mir schmerzlich war, Fremden zu begegnen. Mehrere Tage lang betete ich bis spät in die Nacht hinein, dass diese Bürde von mir genommen und jemand anders auferlegt werden möge, der besser imstande wäre, sie zu tragen. Aber die mir offenbarte Pflicht veränderte sich nicht. Fortwährend klangen die Worte des Engels in meinen Ohren: „Verkündige andern, was ich dir gezeigt habe.“ Z1.77.1 Teilen

Ich konnte mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, in die Welt hinauszugehen und fürchtete mich, ihrem Spott und Widerstand zu begegnen. Ich hatte wenig Selbstvertrauen. Bis jetzt war ich über mich selbst hinausgewachsen, wenn der Geist Gottes mich an meine Pflicht gemahnte. Bei dem Gedanken an Jesu Liebe und das wunderbare Werk, das er für mich verrichtet hatte, war alle Furcht und Schüchternheit von mir gewichen. Die fortwährende Zusicherung, dass ich meine Pflicht tue und dem Willen des Herrn gehorche, flößte mir ein Vertrauen ein, das mich überraschte. Zu solchen Zeiten fühlte ich mich willig, alles zu tun und zu erdulden, um andern zum Licht und zum Frieden in Jesu zu verhelfen. Z1.77.2 Teilen

Aber es schien mir unmöglich, dieses mir jetzt vor Augen gestellte Werk zu verrichten. Es zu unternehmen schien mir sicherer Misserfolg. Die damit verbundenen Schwierigkeiten erschienen mir größer, als ich ertragen konnte. Wie konnte ich, ein Kind an Jahren, von Ort zu Ort reisen und den Leuten die heiligen Wahrheiten Gottes mitteilen? Mit Entsetzen wandte sich mein Herz von dem Gedanken ab. Mein Bruder Robert, der nur zwei Jahre älter war als ich, konnte mich nicht begleiten, denn seine Gesundheit war schwach und seine Schüchternheit war größer als die meinige. Nichts hätte ihn bewegen können, einen solchen Schritt zu unternehmen. Mein Vater hatte eine Familie zu unterhalten und konnte sein Geschäft nicht aufgeben, aber er gab mir die Versicherung, dass, wenn Gott mich berufen habe, an andern Plätzen zu wirken, er nicht versäumen werde, mir den Weg zu öffnen. Doch diese aufmunternden Worte brachten meinem verzagten Herzen wenig Trost. Der vor mir liegende Pfad schien mit Schwierigkeiten verzäunt zu sein, die ich nicht überwinden konnte. Z1.77.3 Teilen

78

Ich begehrte den Tod, um von den sich mir aufdrängenden Verantwortlichkeiten befreit zu sein. Zuletzt verließ mich der süße Friede, dessen ich mich so lange erfreut hatte. Verzweiflung erfüllte von neuem meine Seele. Meine Gebete schienen alle umsonst zu sein, ich hatte keinen Glauben mehr. Worte des Trostes, des Tadels, der Ermutigung — alles erschien mir gleich, denn es war mir, dass niemand mich verstehen könne, nur Gott, und er hatte mich verlassen. Die Gruppe der Gläubigen in Portland wusste nichts um die Vorgänge in meiner Seele, die mich in diesen Zustand der Verzagtheit gebracht hatten; aber sie wussten, dass mein Gemüt aus irgendeinem Grund bedrückt war, und sie fühlten, dass dies angesichts der gnädigen Art und Weise, in welcher der Herr sich mir offenbart hatte, eine Sünde meinerseits sei. Z1.78.1 Teilen

Ich befürchtete, dass Gott mir für immer seine Gunst entzogen habe. Wenn ich an das Licht dachte, das in früheren Zeiten meine Seele erquickt hatte, erschien es mir doppelt köstlich im Vergleich zu der Finsternis, die mich jetzt umgab. Im Haus meines Vaters wurden Versammlungen abgehalten; aber mein Kummer war so groß, dass ich sie eine Zeit lang nicht besuchte. Meine Bürde wurde immer schwerer, bis die Qual meines Geistes größer schien, als ich sie ertragen konnte. Z1.78.2 Teilen

Zuletzt wurde ich überredet, einer der Versammlungen in unserem Haus beizuwohnen. Die Gemeinde machte meinen Fall zu einem besonderen Gebetsanliegen. Vater Pearson, der sich in meiner früheren Erfahrung den Offenbarungen der Macht Gottes widersetzt hatte, betete jetzt ernstlich für mich und riet mir, meinen Willen dem Willen des Herrn unterzuordnen. Wie ein zärtlicher Vater versuchte er mich zu ermutigen und zu trösten und bat mich, zu glauben, dass ich von dem Sünderfreund nicht aufgegeben sei. Z1.78.3 Teilen

79

Ich fühlte mich zu schwach und zu niedergedrückt, um eine besondere Anstrengung für mich selbst zu machen, aber mein Herz vereinigte sich mit der Fürbitte meiner Freunde. Ich sorgte mich wenig um den Widerstand der Welt und fühlte mich bereit, jedes Opfer zu bringen, wenn mir nur die Gunst Gottes wieder zuteil werden würde. Während für mich gebetet wurde, rollte die dichte Finsternis, die mich umgeben hatte, zurück, und ein plötzliches Licht kam über mich. Meine Kraft verließ mich. Ich schien in der Gegenwart von Engeln zu sein. Eines dieser heiligen Wesen wiederholte die Worte: „Verkündige andern, was ich dir offenbart habe.“ Z1.79.1 Teilen

Mich bedrückte die große Furcht, dass, wenn ich dem Ruf der Pflicht gehorchte und hinausgehen und erklären würde, dass ich vom Allerhöchsten mit Gesichten und Offenbarungen begünstigt worden sei, ich mich sündlicher Erhebung hingeben und über die Stellung erhoben werden würde, die ich rechtmäßig einnehmen sollte, ich mir das Missfallen Gottes zuziehen und meine eigene Seele verlieren könnte. Ich hatte von solchen Fällen gehört, wie ich sie hier beschrieben habe, und mein Herz schreckte vor der schweren Probe zurück. Z1.79.2 Teilen

Ich bat jetzt den Herrn, dass, wenn ich gehen und erzählen müsse, was mir der Herr gezeigt hatte, er mich vor ungebührlicher Erhebung bewahren möchte. Der Engel sagte: „Deine Gebete sind erhört und sollen beantwortet werden. Wenn dieses Übel, das du fürchtest, dich bedroht, wird sich Gottes Hand ausstrecken, um dich zu retten. Durch Leiden wird er dich zu sich ziehen und deine Demut bewahren. Gib die Botschaft getreulich weiter. Beharre bis ans Ende, und du sollst von der Frucht des Lebensbaumes essen und vom Wasser des Lebens trinken.“ Z1.79.3 Teilen

Nachdem ich das Bewusstsein wiedererlangt hatte, befahl ich mich dem Herrn an und war bereit, seine Befehle zu befolgen, was immer er von mir verlangen würde. Bald darauf öffnete mir die göttliche Vorsehung den Weg, mit meinem Schwager meine Schwestern in Poland zu besuchen, die dreißig Meilen von meinem Heim entfernt wohnten. Dort hatte ich die Gelegenheit, mein Zeugnis abzulegen. Drei Monate lang waren mein Hals und meine Lunge so angegriffen gewesen, dass ich nur wenig sprechen konnte und dann nur in einem leisen, flüsternden Ton. Bei dieser Gelegenheit stand ich in der Versammlung auf und begann im Flüsterton zu sprechen. Ich fuhr in dieser Weise ungefähr fünf Minuten lang fort, als die Schmerzen und die Behinderung meinen Hals und meine Lunge verließen. Meine Stimme wurde klar und kräftig und ich sprach mit vollkommener Leichtigkeit und Freiheit beinahe zwei Stunden lang. Als ich mit meiner Botschaft zu Ende war, verließ mich meine Stimme, bis ich wiederum vor den Leuten stand. Dann wiederholte sich dieselbe merkwürdige Wiederherstellung. Ich war mir der ständigen Versicherung bewusst, dass ich den Willen Gottes tat, und meine Bemühungen waren von sichtbaren Resultaten begleitet. Z1.79.4 Teilen

80

Die Vorsehung Gottes öffnete mir den Weg, in den östlichen Teil des Staates Maine zu gehen. Bruder William Jordan reiste geschäftlich nach Orrington, begleitet von seiner Schwester. Man drängte mich, mich ihnen anzuschließen. Da ich dem Herrn gelobt hatte, in dem Pfad zu wandeln, den er mir öffnen würde, wagte ich es nicht, mich zu weigern. In Orrington begegnete ich dem Ältesten James White. Er war mit meinen Freunden bekannt und war selbst im Werk der Seelenrettung tätig. Z1.80.1 Teilen

Der Geist Gottes begleitete die Botschaft, die ich vortrug. Herzen wurden durch die Wahrheit erfreut. Die Verzagten wurden getröstet und neu im Glauben gestärkt. In Garland hatte sich eine große Anzahl, die von verschiedenen Orten gekommen waren, versammelt, um meine Botschaft zu hören. Aber mein Herz war schwer, denn ich hatte gerade einen Brief von meiner Mutter erhalten, in welchem sie mich bat, nach Hause zurückzukehren, da falsche Berichte über mich die Runde machten. Dies war ein unerwarteter Schlag. Mein Name war stets frei von jedem Schatten des Tadels gewesen, und ich war sehr auf meinen guten Ruf bedacht. Ich war außerdem sehr bekümmert, dass meine Mutter meinethalben leiden sollte. Ihr Herz hing sehr an ihren Kindern, und diesbezüglich war sie sehr empfindsam. Hätte die Möglichkeit bestanden, dann wäre ich sofort nach Hause zurückgekehrt; aber dies war unmöglich. Z1.80.2 Teilen

81

Meine Sorge war so groß, dass ich mich zu niedergeschlagen fühlte, um an diesem Abend zu sprechen. Meine Freunde baten mich, mein Vertrauen auf den Herrn zu setzen. Schließlich entschlossen sich die Brüder, für mich zu beten. Der Segen des Herrn ruhte bald auf mir, und ich verkündigte mein Zeugnis an jenem Abend mit großer Freiheit. Ein Engel schien mir zur Seite zu stehen und mich zu stärken. Frohe Hosiannas erfüllten das Haus, und wir fühlten Jesu Gegenwart. Z1.81.1 Teilen

In meiner Arbeit wurde mir aufgetragen, dem Verhalten einiger Personen zu begegnen, die durch ihren Fanatismus Schande über das Werk Gottes brachten. Diese Fanatiker schienen zu denken, dass Religion in großer Erregung und Lärm bestehe. Sie sprachen in einer Weise, die Ungläubige erbitterte und die sie veranlasste, diese Personen und die Lehre, die sie vorbrachten, zu hassen. Dann frohlockten sie, dass sie berufen waren, Verfolgung zu erleiden. Ungläubige konnten in ihrem Verhalten keine Folgerichtigkeit erkennen. An einigen Plätzen wurden die Geschwister daran gehindert, sich zum Gottesdienst zu versammeln. Die Unschuldigen mussten mit den Schuldigen leiden. Die meiste Zeit war mir furchtbar schwer ums Herz. Es erschien mir so grausam, dass Christi Werk durch das Verhalten dieser unverständigen Männer solchen Schaden erlitt. Sie ruinierten nicht nur ihre eigenen Seelen, sondern fügten dem Werk einen Schandfleck zu, der nicht leicht zu beseitigen war. Und Satan freute sich darüber. Es gefiel ihm wohl, sehen zu können, wie die Wahrheit von ungeheiligten Männern gehandhabt, wie sie mit Irrtum vermischt und dann in den Schmutz getreten wurde. Er blickte mit Triumph auf den verwirrten, zerstreuten Zustand der Kinder Gottes. Z1.81.2 Teilen

Einer dieser Fanatiker bemühte sich mit einigem Erfolg, meine Freunde und sogar meine Verwandten gegen mich aufzuhetzen. Weil ich treu berichtet hatte, was mir bezüglich seiner unchristlichen Handlungsweise gezeigt worden war, verbreitete er Lügen über mich, um meinen Einfluss zu zerstören und sich selbst zu rechtfertigen. Mein Los schien hart zu sein. Ich wurde von Entmutigung niedergedrückt. Der Zustand des Volkes Gottes erfüllte mich mit solchem Schmerz, dass ich für zwei Wochen von Krankheit niedergeworfen wurde. Meine Freunde dachten, es werde mich mein Leben kosten. Alle Brüder und Schwestern, die Mitleid mit meinen Anfechtungen hatten, kamen zusammen, um für mich zu beten. Ich erfuhr bald, dass ernste, wirksame Gebete für mich emporstiegen. Das Gebet behielt den Sieg. Die Macht des starken Feindes wurde gebrochen; ich wurde befreit und befand mich unmittelbar darauf in einem Gesicht. In diesem Gesicht wurde mir gezeigt, dass ich, sobald ich fühlte, durch menschlichen Einfluss in meinem Zeugnis behindert zu werden, ganz gleich, wo ich mich befand, nur zu Gott schreien müsse, und sofort würde ein Engel zu meiner Befreiung gesandt werden. Ich hatte bereits einen Schutzengel, der mich fortwährend begleitete, aber wenn notwendig, würde der Herr einen weiteren Engel schicken, um mich vor Beeinflussung von irdischen Quellen zu bewahren. [Dieses Gesicht beschreibt Ereignisse, die am Ende der Tausend Jahre nach Christi Wiederkunft stattfinden. Offenbarung 20; 21; 22; Sacharja 14,4.] Z1.81.3 Teilen

Kapitel 9: Ein Gesicht von der neuen Erde
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Mit Jesus an unserer Spitze stiegen wir dann alle von der Stadt zu der Erde hinab auf einen großen und hohen Berg, welcher den Herrn nicht tragen konnte und sich voneinander teilte, so dass eine große Ebene entstand. Dann schauten wir auf und sahen die große Stadt mit zwölf Gründen und zwölf Toren, drei an jeder Seite und einen Engel an jedem Tor. Wir alle riefen aus: „Die Stadt, die große Stadt, sie ist gekommen, sie ist herabgekommen von Gott aus dem Himmel.“ Sie kam und ließ sich nieder auf dem Platz, wo wir standen. Dann betrachteten wir von außen die herrlichen Dinge in der Stadt. Ich sah dort herrliche Häuser, die wie Silber aussahen, gestützt von vier, mit Perlen besetzten Säulen, wundervoll anzusehen. Es waren die Wohnungen der Heiligen; in jeder befand sich ein goldenes Gesims. Ich sah einige von den Heiligen in die Häuser gehen, ihre Kronen abnehmen und sie auf das Gesims legen. Dann gingen sie auf das Feld bei den Häusern und fingen dort an zu arbeiten, nicht wie wir auf der Erde arbeiten müssen, nein, nein! Ein herrliches Licht schien über den Häuptern aller, und beständig lobten und priesen sie Gott. Z1.82.1 Teilen

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Dann sah ich ein anderes Feld mit allen Arten von Blumen. Als ich sie pflückte, rief ich aus: „Sie werden nimmer verwelken.“ Wieder sah ich ein Feld mit schlankem Gras, herrlich anzusehen; es war frisch grün, und als es stolz zur Ehre des Königs Jesu wogte, hatte es einen Schein wie Silber und Gold. Dann betraten wir ein Feld, wo alle Arten von Tieren waren, der Löwe, das Lamm, der Leopard, der Wolf, alle zusammen in vollkommener Einigkeit. Wir gingen mitten durch sie hin, und sie folgten uns friedlich nach. Alsdann gingen wir in einen Wald, nicht wie die dunklen Wälder, die wir hier haben, nein, nein, sondern hell und alles voller Glanz. Die Zweige der Bäume bewegten sich auf und ab, und wir riefen alle aus: „Wir werden sicher wohnen in der Wildnis und schlafen in den Wäldern.“ Wir gingen durch die Wälder, denn wir befanden uns auf dem Wege zu dem Berg Zion. Z1.83.1 Teilen

Als wir weitergingen, trafen wir eine Gruppe, die auch die Herrlichkeit des Ortes betrachtete. Ich bemerkte einen roten Saum an ihren Gewändern; ihre Kronen strahlten; ihre Kleider waren rein weiß. Als wir sie grüßten, fragte ich Jesum, wer sie seien. Er sagte, dass es Märtyrer seien, die für ihn ihr Leben gelassen hätten. Bei ihnen befand sich eine unzählbare Schar Kinder, die ebenfalls einen roten Saum an ihren Kleidern hatten. Der Berg Zion lag jetzt gerade vor uns, und auf dem Berg war ein herrlicher Tempel. Um ihn herum waren sieben andere Berge, auf denen Rosen und Lilien wuchsen. Und ich sah die Kleinen emporklimmen, oder wenn sie wollten, ihre kleinen Flügel gebrauchen und zu den Spitzen der Berge fliegen, wo sie die nie welkenden Blumen pflückten. Um den Tempel herum waren alle Arten von Bäumen, um den Platz zu verschönern. Buchsbäume, Fichten, Tannen, Ölbäume, Myrthen und Granatäpfel; die Feigenbäume neigten sich von der Last der zahlreichen Feigen — dies machte den Platz überaus herrlich. Als wir im Begriff waren, den Tempel zu betreten, erhob Jesus seine liebliche Stimme: „Nur die 144.000 betreten diesen Ort,“ und wir riefen: „Halleluja!“ Z1.83.2 Teilen

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Dieser Tempel wurde von sieben Pfeilern gestützt, alle von scheinendem Gold, mit köstlichen Perlen geschmückt. Ich kann die herrlichen Dinge, die ich dort sah, nicht beschreiben. Oh, dass ich in der Sprache Kanaans reden könnte, dann könnte ich ein wenig von der Herrlichkeit der besseren Welt erzählen! Ich sah dort steinerne Tische, in welche die Namen der 144.000 in goldenen Lettern eingraviert waren. Z1.84.1 Teilen

Nachdem wir die Herrlichkeit des Tempels betrachtet hatten, traten wir heraus, und Jesus verließ uns und ging nach der Stadt. Bald hörten wir seine holde Stimme wieder, die sagte: „Kommt, mein Volk, ihr seid gekommen aus großer Trübsal, habt meinen Willen getan, habt für mich gelitten, kommt zum Abendmahl, und ich will mich gürten und euch dienen.“ Wir riefen wieder: „Halleluja, Herrlichkeit!“ und traten in die Stadt ein. Dort sah ich einen Tisch von reinem Silber, viele Meilen lang, aber unsere Augen konnten ihn doch überblicken. Ich sah dort die Frucht vom Baum des Lebens, Manna, Mandeln, Feigen, Granatäpfel, Weintrauben und viele andere Arten von Früchten. Ich bat Jesum, mich von der Frucht essen zu lassen, aber er sagte: „Noch nicht. Diejenigen, die von den Früchten dieses Landes genießen, gehen nicht mehr zur Erde zurück. Aber wenn du treu bist, sollst du bald von dem Lebensbaum essen und vom Wasser des Lebens trinken. Und nun,“ sagte er, „musst du wieder zur Erde zurückkehren und den anderen erzählen, was ich dir offenbart habe.“ Dann trug mich ein Engel sanft herab nach dieser dunklen Welt. Manchmal ist es mir, als könnte ich nicht länger hier bleiben, denn alle Dinge dieser Erde sehen so traurig aus. Ich fühle mich hier sehr einsam, denn ich habe ein besseres Land gesehen. Oh, dass ich Flügel hätte, gleich einer Taube, um hinweg zu fliegen und zur Ruhe einzugehen! Z1.84.2 Teilen

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