Portrait von Ellen White
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Kapitel 6: Adventserfahrungen
Kapitel 6: Adventserfahrungen
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Mit Besorgnis und Zittern näherten wir uns der Zeit, [Das Jahr 1843 reichte nach jüdischer Zeitrechnung vom 21. März 1843 bis zum 21. März 1844. Alle, die den Adventglauben annahmen, erwarteten das Kommen Christi innerhalb jenes Jahres.] zu welcher das Kommen unseres Heilandes erwartet wurde. Mit feierlichem Ernst suchten wir als ein Volk unser Leben zu reinigen, um bereit zu sein, ihm bei seinem Kommen zu begegnen. Ungeachtet des Widerstandes von Predigern und Kirchen war der Beethoven-Saal in der Stadt Portland allabendlich gedrängt voll. Besonders fanden dort sonntags große Versammlungen statt. Ältester Stockmann war ein Mann von tiefer Frömmigkeit. Er war von schwacher Gesundheit. Aber wenn er vor den Leuten stand, schien er aller körperlichen Schwäche enthoben zu sein. Sein Angesicht war erleuchtet von der Gewissheit, dass er die heilige göttliche Wahrheit lehrte. Z1.62.2 Teilen

Seine Worte waren von einer solch feierlichen, erforschenden Macht begleitet, die viele Herzen bewegte. Manchmal brachte er den innigen Wunsch zum Ausdruck, den Heiland bei seinem Erscheinen in den Wolken des Himmels willkommen heißen zu dürfen. Unter seinen Predigten überzeugte der Geist Gottes viele Sünder und brachte sie zur Herde Christi. Es wurden immer noch Versammlungen in Privathäusern und verschiedenen Teilen der Stadt mit den besten Resultaten abgehalten. Die Gläubigen wurden ermutigt, für ihre Freunde und Verwandten zu wirken, und die Bekehrungen nahmen von Tag zu Tag zu. Alle Klassen strömten zu den Versammlungen in der Beethoven-Halle. Reich und Arm, Hoch und Niedrig, Prediger und Laien, alle waren aus verschiedenen Gründen begierig, für sich selbst die Lehre vom Zweiten Kommen Jesu zu hören. Viele kamen und gingen, da sie keinen Stehplatz fanden, enttäuscht fort. Die bei diesen Versammlungen befolgte Ordnung war einfach. Gewöhnlich wurde eine kurze, passende Predigt gehalten. Dann wurde Freiheit zu allgemeinen Erörterungen gegeben. In der Regel herrschte eine so vollkommene Ruhe, wie sie bei einer solchen Menschenmenge nur möglich war. Der Herr hielt den Geist des Widerstandes zurück, während seine Diener die Gründe für ihren Glauben vorführten. Manchmal war das Werkzeug schwach, aber der Geist Gottes gab seiner Wahrheit Gewicht und Kraft. Die Gegenwart heiliger Engel wurde in der Versammlung gespürt, und täglich wurde der kleinen Schar der Gläubigen eine Anzahl hinzugefügt. Z1.62.3 Teilen

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Bei einer Gelegenheit, als Ältester Stockmann predigte, saß Ältester Brown, ein Baptistenprediger, dessen Namen bereits erwähnt worden war, vorn beim Pult und hörte der Predigt mit regstem Interesse zu. Er wurde tief bewegt; plötzlich wurde sein Angesicht bleich wie der Tod, er sank von seinem Stuhl, und Ältester Stockmann konnte ihn gerade noch in seinen Armen auffangen. Er legte ihn auf das Sofa hinter dem Predigtpult, wo er kraftlos lag, bis die Predigt zu Ende war. Z1.63.1 Teilen

Dann erhob er sich, sein Angesicht noch immer blass, aber vom Licht der Sonne der Gerechtigkeit erleuchtet, und legte ein sehr eindrucksvolles Zeugnis ab. Er schien eine heilige Salbung von oben zu bekommen. Er sprach gewöhnlich langsam, in einer ernsten Weise, gänzlich frei von jeder Erregung. Bei dieser Gelegenheit aber hatten seine feierlichen, angemessenen Worte neue Kraft, als er Sünder und seine Brüder im Predigtamt ermahnte, Unglauben, Vorurteil und kalten Formendienst abzulegen und gleich den edlen Beröern die Schrift zu erforschen und Schriftstelle mit Schriftstelle zu vergleichen, um sich zu vergewissern, ob diese Dinge sich nicht so verhielten. Er rief die anwesenden Prediger auf, sich nicht durch die direkte und treffende Art verletzt zu fühlen, in welcher Ältester Stockmann den feierlichen Gegenstand vorgeführt hatte, der für alle von Wichtigkeit war. Z1.63.2 Teilen

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Er sagte: „Wir wünschen die Leute zu erreichen. Wir wünschen, dass Sünder überzeugt und wahrhaft reumütig werden, ehe es für sie zu spät ist, gerettet zu werden, damit sie nicht zuletzt in die Klage ausbrechen müssen: ‚Die Ernte ist vergangen, der Sommer ist dahin, und uns ist keine Hilfe gekommen.‘ Jeremia 8,20. Brüder im Predigtamt sagen, dass unsere Pfeile sie verletzen; möchten sie nicht bitte auf die Seite treten, weil sie zwischen uns und dem Volk stehen, damit wir die Herzen der Sünder erreichen? Wenn sie sich zur Zielscheibe für unsere Angriffe machen, haben sie keinen Grund, sich über die empfangenen Wunden zu beklagen. Tretet zur Seite, Brüder, und es wird euch kein Pfeil treffen.“ Z1.64.1 Teilen

Er berichtete seine eigenen Erfahrungen mit einer solchen Einfachheit und Aufrichtigkeit, dass viele, die von großem Vorurteil befangen gewesen waren, zu Tränen gerührt wurden. Der Geist Gottes wurde in seinen Worten gefühlt und machte sich in seinem Angesicht bemerkbar. Mit heiliger Erhabenheit erklärte er kühn, dass er das Wort Gottes zu seinem Ratgeber erwählt habe, dass sein Zweifel verscheucht und sein Glaube gefestigt worden sei. Mit Ernst lud er seine Brüder im Predigtamt, Gemeindeglieder, Sünder und Ungläubige ein, die Bibel für sich selbst zu erforschen, und legte es ihnen ans Herz, sich von keinem Menschen davon abhalten zu lassen, sich zu vergewissern, was Wahrheit sei. Z1.64.2 Teilen

Ältester Brown löste weder dann noch später seine Verbindung mit der Baptistenkirche, sondern stand in hoher Achtung unter den Gläubigen seiner Gemeinde. Als er seine Ansprache beendet hatte, wurden solche, die wünschten, dass die Kinder Gottes für sie beteten, eingeladen, sich zu erheben. Hunderte leisteten der Aufforderung Folge. Der Heilige Geist ruhte auf den Versammelten. Himmel und Erde schienen sich einander nahe zu kommen. Die Versammlung dauerte bis spät in die Nacht hinein. Die Kraft des Herrn wurde von Jung und Alt und von solchen in mittlerem Alter verspürt. Z1.64.3 Teilen

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Als wir auf verschiedenen Wegen wieder nach Hause zurückkehrten, erreichte uns eine Gott preisende Stimme von einer Richtung, und wie in Erwiderung riefen Stimmen von der einen und anderen Richtung: „Preiset Gott, der Herr sitzt im Regiment!“ Männer suchten mit Lobpreis auf ihren Lippen ihr Heim auf. Froher Klang tönte in die Stille der Nacht hinaus. Niemand, der diesen Versammlungen beiwohnte, kann jemals jene Szenen von tiefstem Interesse vergessen. Z1.65.1 Teilen

Diejenigen, die Jesum aufrichtig lieben, können die Gefühle derer würdigen, die mit dem sehnsüchtigen Verlangen auf das Kommen ihres Erlösers warteten. Der erwartete Zeitpunkt näherte sich. Die Zeit, zu der wir ihm zu begegnen hofften, war nahe. Wir näherten uns dieser Stunde mit einer ruhigen Feierlichkeit. Die wahren Gläubigen ruhten in süßer Gemeinschaft mit Gott — ein Pfand des Friedens, den sie in der herrlichen Zukunft haben würden. Niemand, der diese Hoffnung und dieses Vertrauen erfahren hat, kann jemals diese köstlichen Wartestunden vergessen. Z1.65.2 Teilen

Weltliche Beschäftigungen wurden größtenteils für einige Wochen beiseite gelegt. Wir prüften sorgfältig jeden Gedanken und jede Regung des Herzens, als ob wir auf dem Sterbebett lägen und in ein paar Stunden unsere Augen auf immer für irdische Szenen schließen würden. Es wurden keine „Himmelfahrtskleider“ für das große Ereignis hergestellt; aber wir fühlten die Notwendigkeit innerer Beweise, dass wir vorbereitet seien, Christo zu begegnen. Unsere weißen Kleider waren Reinheit der Seele, durch das versöhnende Blut unseres Heilandes gereinigte Charaktere. Z1.65.3 Teilen

Aber die Zeit der Erwartung ging vorüber. Dies war die erste ernsthafte Prüfung, die diejenigen durchzustehen hatten, die glaubten und hofften, Jesus werde in den Wolken des Himmels erscheinen. Die Enttäuschung des wartenden Volkes Gottes war groß. Die Spötter triumphierten und gewannen die Schwachen und Feiglinge auf ihre Seite. Einige, die den Anschein erweckt hatten, wahren Glauben zu besitzen, schienen nur von Furcht beeinflusst gewesen zu sein. Mit dem Verstreichen der Zeit kehrte ihr Mut zurück. Sie verbanden sich kühn mit den Spöttern und erklärten, dass sie niemals so getäuscht gewesen seien, wirklich an die Lehre Millers zu glauben, der ein wahnsinniger Fanatiker sei. Andere, von Natur aus nachgiebig oder wankelmütig, ließen ruhig das Werk im Stich. Ich dachte, was wohl aus jenen Schwachen und Wankelmütigen geworden wäre, wenn Christus tatsächlich gekommen wäre. Sie gaben vor, das Kommen Jesu zu lieben und darauf zu warten. Als er aber nicht erschien, schienen sie sehr erleichtert zu sein und fielen in einen sorglosen Zustand und der Missachtung wahrer Religion zurück. Z1.65.4 Teilen

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Wir waren bestürzt und enttäuscht, gaben aber unseren Glauben nicht auf. Viele hielten immer noch an der Hoffnung fest, dass Jesus sein Kommen nicht verziehen werde; das Wort des Herrn sei sicher, es werde nicht fehlschlagen. Wir fühlten, dass wir unsere Pflicht getan hatten; wir hatten gemäß unseres köstlichen Glaubens gelebt. Wir waren enttäuscht, jedoch nicht entmutigt. Die Zeichen der Zeit verkündigten, dass das Ende aller Dinge nahe sei. Wir müssten wachen und uns in Bereitschaft halten, ihm zu jeder Zeit begegnen zu können. Wir müssten mit Hoffnung und Vertrauen warten und nicht versäumen, uns zur Unterweisung, zur Ermutigung und zum Trost zu versammeln, damit unser Licht in die Welt hinausstrahlen möchte. Z1.66.1 Teilen

Unsere Berechnung der prophetischen Zeit war so einfach und klar, dass sogar Kinder sie verstehen konnten. Von der Zeit des Erlasses des persischen Königs, wie in Esra 7 verzeichnet, welcher im Jahre 457 v. Chr. herausgegeben wurde, sollten die 2300 Jahre von Daniel 8,14 mit dem Jahr 1843 enden. Demgemäß erwarteten wir das Kommen des Herrn am Ende dieses Jahres. [Siehe Erklärung auf Seite 62]. Wir wurden sehr enttäuscht, als das Jahr gänzlich verstrich und der Heiland nicht kam. Z1.66.2 Teilen

Es wurde zuerst nicht erkannt, dass, wenn der Erlass nicht zu Anfang des Jahres 457 v. Chr. herausgegeben wurde, die 2300 Jahre nicht mit dem Ende des Jahres 1843 enden könnten. Man ermittelte, dass der Erlass erst gegen Ende des Jahres 457 v. Chr. herausgegeben wurde. Deshalb müsse die prophetische Periode bis zum Herbst des Jahres 1844 reichen. Somit verzog das Gesicht nicht, wie es geschienen hatte. Wir lernten, uns auf die Worte des Propheten zu verlassen: „Die Weissagung wird ja noch erfüllt werden zu seiner Zeit und endlich frei an den Tag kommen und nicht ausbleiben. Ob sie aber verzieht, so harre ihrer: sie wird gewiss kommen und nicht verziehen.“ Habakuk 2,3. Z1.66.3 Teilen

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Durch das Vorübergehen der Zeit im Jahr 1843 prüfte und versuchte Gott sein Volk. Der Fehler in der Berechnung der prophetischen Zeitperiode wurde nicht sofort entdeckt, selbst von den gelehrten Männern, die nicht die Ansichten derer teilten, die Christi Kommen erwarteten. Die Gelehrten erklärten, dass Herr Miller in seiner Berechnung der Zeit recht habe, obgleich sie nicht mit ihm übereinstimmten betreffs des Ereignisses, das am Ende jener Zeitperiode eintreten werde. Aber sie als auch das wartende Volk Gottes waren im Irrtum, was die Zeit anbetraf. Z1.67.1 Teilen

Wir sind völlig überzeugt, dass es Gott in seiner Weisheit beabsichtigte, dass sein Volk eine Enttäuschung erleben sollte, die dazu diente, Herzen zu offenbaren und den wahren Charakter derer zu entwickeln, die bekannt hatten, nach dem Kommen des Herrn Ausschau zu halten und es zu lieben. Solche, welche die erste Engelsbotschaft (siehe Offenbarung 14,6-7) aus Furcht vor Gottes vergeltendem Gericht, aber nicht aus Liebe zur Wahrheit und dem Wunsch, Anteil am Himmelreich zu haben, angenommen hatten, erschienen jetzt in ihrem wahren Licht. Sie waren unter den Ersten, über die Enttäuschung derer zu spotten, die aufrichtig und voller Liebe auf das Erscheinen Jesu warteten. Z1.67.2 Teilen

Diejenigen, die enttäuscht worden waren, wurden nicht lange im Dunkeln gelassen. Als sie die prophetischen Zeitperioden mit ernstem Gebet untersuchten, wurde der Fehler entdeckt, dass nämlich die Tage durch die Zeit des Verzugs reichten. In der freudigen Erwartung der Wiederkunft Christi war der scheinbare Verzug des Gesichts gar nicht in Betracht gezogen worden und wurde zu einer traurigen, unerwarteten Überraschung. Diese Prüfung war jedoch notwendig, um die ehrlichen Gläubigen in der Wahrheit zu entwickeln und zu stärken. Z1.67.3 Teilen

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Unsere Hoffnungen konzentrierten sich jetzt auf das Kommen des Herrn im Jahr 1844. Dies war auch die Zeit für die Botschaft des zweiten Engels, welcher mitten durch den Himmel fliegend, rief: „Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon die große Stadt.“ Offenbarung 14,8. Diese Botschaft wurde von den Dienern Gottes zuerst im Sommer des Jahres 1844 verkündigt. Das Resultat war, dass viele die gefallenen Kirchen verließen. In Verbindung mit dieser Botschaft wurde der „Mitternachtsruf“ (siehe Matthäus 25,1-13) gegeben. „Siehe, der Bräutigam kommt; geht aus, ihm entgegen.“ In allen Teilen des Landes wurde Licht über diese Botschaft gegeben, und der Ruf erweckte Tausende. Er drang von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf bis in die entlegendsten Landesteile. Er erreichte sowohl die Gelehrten und Gebildeten wie auch die Einfachen und Zurückgezogenen. Z1.68.1 Teilen

Dieses Jahr war das glücklichste meines Lebens. Mein Herz war voll froher Erwartung; aber ich war von Mitleid und Sorge für jene erfüllt, die entmutigt waren und keine Hoffnung in Jesu besaßen. Wir vereinten uns als ein Volk zu ernstem Gebet um eine echte Erfahrung und um untrügliche Beweise unserer Annahme bei Gott. Z1.68.2 Teilen

Wir brauchten große Geduld, denn es gab viele Spötter. Oft begegnete man uns mit der höhnischen Bemerkung betreffs unserer früheren Enttäuschung: „Was, ihr seid noch nicht aufgefahren? Wann gedenkt ihr jetzt gen Himmel zu fahren?“ Solche und ähnliche Spottreden erfuhren wir oftmals von unseren weltlichen Bekannten und selbst von einigen bekenntlichen Christen, welche die Bibel akzeptierten, jedoch versäumten, ihre großen und wichtigen Wahrheiten zu lernen. Ihre verblendeten Augen schienen die feierliche Warnung, „dass er einen Tag gesetzt hat, an welchen er richten will den Kreis des Erdbodens“ (Apostelgeschichte 17,31), nur vage zu begreifen, dazu auch die Zusicherung, dass die Heiligen zusammen dem Herrn entgegengerückt werden sollen, um ihrem Herrn in der Luft zu begegnen. Z1.68.3 Teilen

Die orthodoxen Kirchen benutzten jedes Mittel, um die Ausbreitung des Glaubens an das baldige Kommen Christi zu verhindern. In ihren Versammlungen wurde denen, die es wagten, ihrer Hoffnung auf den bald erscheinenden Christum zum Ausdruck zu bringen, keine Freiheit gewährt. Vorgebliche Liebhaber Jesu verwarfen verächtlich die Kunde, dass der, den sie ihren besten Freund nannten, sie bald besuchen werde. Sie waren erregt und mit Zorn erfüllt gegen diejenigen, die die Nachricht von seinem Kommen verbreiteten und die frohlockten, dass sie ihn nun bald in seiner Herrlichkeit schauen würden. Z1.68.4 Teilen

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Jeder Augenblick schien mir von äußerster Wichtigkeit zu sein. Ich empfand, dass wir ein Werk für die Ewigkeit verrichteten und dass die Sorglosen und Interesselosen sich in größter Gefahr befänden. Mein Glaube war ungetrübt, und ich eignete mir die köstlichen Verheißungen Jesu an. Er hatte zu seinen Jüngern gesagt: „Denn wer da bittet, der nimmt.“ Lukas 11,10. Ich glaubte fest, dass er mir alles geben würde, um was ich ihn in Übereinstimmung mit Gottes Willen bat. Ich sank in Demut zu Jesu Füßen nieder, mit einem Herzen, das sich in Übereinstimmung mit seinem Willen befand. Z1.69.1 Teilen

Ich besuchte oft Familien und betete ernstlich mit denen, die von Furcht und Verzagtheit niedergebeugt waren. Mein Glaube war so stark, dass ich keinen Augenblick zweifelte, dass Gott meine Gebete erhören werde. Ohne eine einzige Ausnahme kam der Segen und der Friede Jesu in Erhörung unseres demütigen Flehens auf uns hernieder, und die Herzen der Verzweifelnden wurden von Licht, Hoffnung und Freude erfüllt. Z1.69.2 Teilen

Mit fleißigem Erforschen unserer Herzen und demütigen Bekenntnissen näherten wir uns andachtsvoll der Zeit der Erwartung. Jeden Morgen empfanden wir es als unsere erste Pflicht, uns davon zu überzeugen, dass unser Leben recht vor Gott stand. Unser Mitgefühl für einander nahm zu, und wir beteten viel mit- und füreinander. Wir versammelten uns in den Obstgärten und Hainen, um Umgang mit Gott zu pflegen und unsere Bitten vor ihm darzubringen. Wir fühlten uns mehr in seiner Gegenwart, wenn wir von seinen Naturwerken umgeben waren. Die Freuden der Erlösung waren uns weit notwendiger als Speise und Trank. Wenn Wolken unser Gemüt verdunkelten, so wagten wir es nicht, zu ruhen oder zu schlafen, bis sie durch das Bewusstsein unserer Annahme bei Gott verscheucht waren. Z1.69.3 Teilen

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Ich war von sehr schwacher Gesundheit. Meine Lunge war ernstlich angegriffen, und meine Stimme versagte oft. Der Geist Gottes ruhte oftmals mit solcher Macht auf mir, dass mein hinfälliger Körper kaum die Herrlichkeit ertragen konnte, die meine Seele durchflutete. Ich schien in der Atmosphäre des Himmels zu atmen und freute mich der Aussicht, bald meinem Erlöser zu begegnen und für immer im Licht seines Antlitzes zu leben. Z1.70.1 Teilen

Das harrende Volk Gottes näherte sich der Stunde, da sie in froher Hoffnung erwarteten, ihre Freude durch das Kommen des Heilandes vollkommen gemacht zu sehen. Aber die Zeit verstrich wiederum, ohne durch die Wiederkunft Jesu gekennzeichnet zu sein. Es war eine bittere Enttäuschung, welche über die kleine Herde kam, deren Glauben so stark und deren Hoffnung so groß gewesen war. Aber es überraschte uns, dass wir uns so frei im Herrn fühlten und von seiner Stärke und Gnade so reichlich unterstützt wurden. Z1.70.2 Teilen

Die Erfahrung des vergangenen Jahres wiederholte sich, nur in noch größerem Maße. Eine große Anzahl sagte ihrem Glauben ab. Einige, die so zuversichtlich gewesen waren, fühlten sich in ihrem Stolz so tief gekränkt, dass sie gern aus der Welt hätten fliehen mögen. Gleich Jona klagten sie Gott an und wollten lieber sterben als leben. Solche, die ihren Glauben auf die Beweisführungen anderer und nicht auf das Wort Gottes gebaut hatten, waren nun ebenso bereit, ihre Ansichten erneut zu ändern. Die Heuchler, die gehofft hatten, den Herrn sowie sich selbst täuschen zu können mit ihrer unaufrichtigen Buße und Hingabe, fühlten sich jetzt von der drohenden Gefahr befreit und widerstanden der Sache öffentlich, die sie vor kurzem noch zu lieben vorgaben. Z1.70.3 Teilen

Die Schwachen und die Bösen erklärten nun einmütig, dass es jetzt keine Befürchtungen und Erwartungen mehr geben würde. Die Zeit war verstrichen, der Herr nicht gekommen, und die Welt würde für Tausende von Jahren die gleiche bleiben. Diese zweite große Prüfung offenbarte eine Masse wertlosen Treibgutes, das in den starken Strom des Adventglaubens hineingesogen und eine Zeit lang mit den wahren Gläubigen und ernsten Arbeitern getragen worden war. Z1.70.4 Teilen

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Wir waren enttäuscht aber nicht entmutigt. Wir beschlossen, uns geduldig dem Prozess der Reinigung zu unterwerfen, den Gott als notwendig für uns erachtete, und in stiller Hoffnung auf den Heiland zu harren, um seine geprüften und treuen Kinder zu erretten. Z1.71.1 Teilen

Wir waren fest in dem Glauben, dass die Predigt von der festgesetzten Zeit von Gott sei. Dies war es, was die Menschen veranlasst hatte, die Bibel mit Fleiß zu erforschen und Wahrheiten zu entdecken, die sie vorher nie erkannt hatten. Jona wurde von Gott gesandt, auf den Straßen von Ninive zu verkünden, dass die Stadt in vierzig Tagen untergehen werde. Aber Gott nahm die Demütigung der Bewohner Ninives an und verlängerte ihre Gnadenzeit. Und doch war die Botschaft, die Jona brachte, von Gott und Ninive nach seinem Willen geprüft. Die Welt sah unsere Hoffnung als eine Täuschung und unsere Enttäuschung als einen entschiedenen Fehlschlag an. Z1.71.2 Teilen

Die Worte des Heilandes im Gleichnis von dem bösen Knecht sind besonders auf jene anwendbar, die über das nahe Kommen des Menschensohnes spotten: „So aber jener, der böse Knecht, wird in seinem Herzen sagen: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an zu schlagen seine Mitknechte, isst und trinkt mit den Trunkenen: so wird der Herr des Knechtes kommen an dem Tage, des er sich nicht versieht, und zu einer Stunde, die er nicht meint, und wird ihn zerscheitern und wird ihm den Lohn geben mit den Heuchlern: da wird sein Heulen und Zähneklappen.“ Matthäus 24,48-51. Z1.71.3 Teilen

Uns begegneten überall die Spötter, die nach des Apostel Petrus Worten in den letzten Tagen kommen sollten, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln und sagen: „Wo ist die Verheißung seiner Zukunft? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Kreatur gewesen ist.“ 2.Petrus 3,4. Aber jene, die das Kommen des Herrn erwartet hatten, waren nicht ohne Trost. Sie hatten im Studieren des Wortes wertvolle Kenntnis erlangt. Der Erlösungsplan wurde ihrem Verständnis besser erschlossen. Jeden Tag entdeckten sie neue Schönheiten in der Schrift und wie in dem Ganzen eine wunderbare Harmonie herrscht. Eine Schriftstelle erklärt die andere. Kein überflüssiges Wort wurde gebraucht. Z1.71.4 Teilen

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Unsere Enttäuschung war nicht so groß wie die der Jünger. Als der Menschensohn im Triumph in Jerusalem einzog, erwarteten sie, dass er als König gekrönt würde. Das Volk strömte aus allen Richtungen zusammen und rief: „Hosianna dem Sohn Davids!“ Matthäus 21,9. Und als die Priester und Ältesten Jesum ersuchten, die Menge zum Schweigen zu bringen, erklärte er, dass, falls diese schwiege, sogar die Steine schreien würden, denn die Prophezeiung müsse erfüllt werden. In ein paar Tagen jedoch sahen diese Jünger ihren geliebten Meister, von dem sie geglaubt hatten, er werde auf Davids Thron regieren, an das grausame Kreuz geschlagen, von den spottenden Pharisäern verhöhnt. Ihre hohen Erwartungen waren vernichtet. Die Finsternis des Todes umschloss sie. Z1.72.1 Teilen

Doch Christus blieb seinen Verheißungen treu. Süß war der Trost, den er seinem Volke gab, und reich der Lohn für die Aufrichtigen und Treuen. Z1.72.2 Teilen

Herr Miller und diejenigen, die mit ihm verbunden waren, nahmen an, dass die in Daniel 8,14 erwähnte Reinigung des Heiligtums die Reinigung der Erde durch Feuer bedeute, ehe sie als Wohnplatz für die Heiligen hergerichtet werden würde. Dies sollte beim Kommen Christi stattfinden, deshalb erwarteten wir dieses Ereignis am Ende der 2300 Tage oder Jahre. Aber nach unserer Enttäuschung wurde die Heilige Schrift sorgfältig unter Gebet erforscht, und nach einer Zeit der Ungewissheit schien Licht in unsere Finsternis. Zweifel und Unsicherheit wurden hinweggeschwemmt. Z1.72.3 Teilen

Anstatt, dass die Prophezeiung von Daniel 8,14 sich auf die Reinigung der Erde bezog, war es jetzt klar, dass sie auf das Abschlusswerk unseres Hohenpriesters im Himmel hinwies, auf den Abschluss der Versöhnung und auf die Vorbereitung des Volkes, um am Tage seiner Wiederkunft bestehen zu können. Z1.72.4 Teilen

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