Portrait von Ellen White
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In der Bibel vorausgesagt
In der Bibel vorausgesagt
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John Wiklif (1321-1384) war ein Reformator in England. Er sah nicht voraus, wohin ihn seine Tätigkeit führen würde. Durch sein Schriftstudium erkannte er die Kirche im Irrtum und eiferte für die Wahrheit, indem er Missstände anprangerte. Er predigte den Armen das Evangelium und übersetzte die Bibel in die englische Sprache — damit alle Bürger das Wort Gottes selbst lesen konnten.. DGK.66.1 Teilen

Vor der Reformation gab es zeitweise nur wenig Exemplare der Bibel, aber Gott hatte sein Wort nicht vollständig untergehen lassen. Seine Wahrheiten sollten nicht für immer verborgen bleiben. Er konnte ebenso leicht das Wort des Lebens befreien, wie Gefängnistüren öffnen und eiserne Tore entriegeln, um seine Diener zu befreien. In den verschiedenen Ländern Europas wurden Menschen vom Geist Gottes dazu angeregt, nach der Wahrheit wie nach verborgenen Schätzen zu suchen. Durch die Vorsehung zur Heiligen Schrift geführt, erforschten sie diese sehr eifrig. Sie waren bereit, das Licht anzunehmen, koste es, was es wolle. Konnten sie auch nicht alles deutlich verstehen, so wurden sie doch befähigt, manche lang verschütteten Wahrheiten zu erkennen. Als vom Himmel gesandte Boten gingen sie hinaus, zerbrachen die Ketten des Aberglaubens und des Irrtums und forderten Menschen auf, die lange Sklaven gewesen waren, sich zu erheben und ihre Freiheit zu behaupten. DGK.66.2 Teilen

Das Wort Gottes war, ausgenommen bei den Waldensern, jahrhundertelang durch die Sprachen, die nur Gelehrten verständlich waren, verschlossen geblieben, doch die Zeit kam, da es übersetzt und den Völkern verschiedener Länder in ihrer Muttersprache in die Hand gegeben werden sollte. Die Mitternachtszeit war für die Welt überschritten. Die Stunden der Finsternis lösten sich auf, und in vielen Ländern gab es Anzeichen der anbrechenden Morgendämmerung. Im 14. Jahrhundert ging in England der „Morgenstern der Reformation“ auf. John Wiklif war der Herold der Erneuerung nicht allein für England, sondern für die ganze Christenheit. Er war der Gründer der Puritaner. Seine Ära war eine Oase in der Wüste. Der mächtige Protest gegen Rom, den er einleiten durfte, konnte nicht mehr zum Schweigen gebracht werden, sondern er sollte den Kampf eröffnen, der zur Befreiung des Einzelnen, der Gemeinden und auch der Völker führte. DGK.66.3 Teilen

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Wiklif erhielt eine gute Erziehung. Für ihn galt die Furcht des Herrn als der Weisheit Anfang. Er war auf der Universität bekannt für seine tiefe Frömmigkeit, seine hervorragenden Talente und seine gründliche Gelehrsamkeit. Er wollte unbedingt jeden Zweig der Wissenschaft kennen lernen. So studierte er die Gedanken des Lehramtes, die Glaubensvorschriften der Kirche und die bürgerlichen Gesetze, besonders die seines eigenen Landes. Das machte sich in seiner späteren Arbeit bemerkbar. Seine gründliche Kenntnis der spekulativen Philosophie seiner Zeit befähigte ihn, deren Irrtümer bloßzustellen. Und durch seine Studien der Landes- und Kirchenrechte war er vorbereitet, sich an dem großen Kampf um die bürgerliche und religiöse Freiheit zu beteiligen. Während er die dem Wort Gottes entnommenen Waffen zu nutzen verstand, hatte er sich auch die Geisteswelt der Schulen erarbeitet und war mit der Art der Kämpfe der Gelehrten vertraut. Dank seiner natürlichen Anlagen und dem Umfang und der Gründlichkeit seines Wissens erwarb er sich die Achtung von Freund und Feind. Wiklifs Anhänger sahen erfreut, dass er unter den Einflussreichen der Nation einen führenden Platz einnahm. Seinen Feinden war es nicht möglich, die Sache der Erneuerung durch Bloßstellen irgendeiner Unwissenheit oder Schwäche ihres Verteidigers in Verruf zu bringen. DGK.67.1 Teilen

Noch an der Universität fing Wiklif an, die Heilige Schrift zu studieren. Damals, als es nur Bibeln in den alten Sprachen gab, waren ausschließlich Gelehrte in der Lage, den Pfad zur Quelle der Wahrheit zu finden. Menschen ohne Sprachkenntnisse blieb er dagegen verschlossen. Somit war der Weg für Wiklifs zukünftiges Werk als Reformator bereits gebahnt worden. Gelehrte Menschen hatten die Heilige Schrift studiert und die große Wahrheit von der darin berichteten freien Gnade Gottes gefunden. In ihrem Unterricht hatten sie die Erkenntnis dieser Wahrheit weitergegeben und andere dazu veranlasst, sich zu dem lebendigen Gotteswort hinzuwenden. DGK.67.2 Teilen

Als Wiklif sich daran machte, die Heilige Schrift zu erforschen, tat er es mit derselben Gründlichkeit, wie er es im Bereich des Schulwissens schon erfolgreich getan hatte. Bis dahin hatte er sich unbefriedigt gefühlt. Dieses Gefühl konnte weder durch sein Studium noch durch die Lehren der Kirche verändert werden. Im Wort Gottes aber fand er, was er zuvor vergeblich gesucht hatte: Er entdeckte darin den Erlösungsplan und Christus als alleinigen Fürsprecher für die Menschen. Er wollte nun Christus dienen und beschloss, die entdeckten Wahrheiten zu verkünden. Ebenso wie spätere Reformer sah Wiklif zuerst nicht voraus, wohin ihn seine Tätigkeit führen würde. Er widersetzte sich Rom nicht bewusst, doch war bei seinem Eifer für die Wahrheit eine Auseinandersetzung mit dem Irrtum unvermeidlich. Je deutlicher er die Irrtümer des Papsttums erkannte, desto ernster trug er die Lehren der Bibel vor. Er sah, dass Rom Gottes Wort wegen menschlicher Überlieferungen verlassen hatte. So beschuldigte er unerschrocken die Geistlichkeit, die Heilige Schrift verbannt zu haben und verlangte, dass die Bibel dem Volk wiedergegeben und ihre Autorität in der Kirche erneut aufgerichtet werde. Er war ein fähiger, eifriger Lehrer, ein beredter Prediger, und sein tägliches Leben zeugte für die Wahrheiten, die er predigte. Seine Schriftkenntnis, sein klarer Verstand, die Reinheit seines Lebens sowie sein unbeugsamer Mut und seine Rechtschaffenheit gewannen ihm Achtung und allgemeines Zutrauen. Viele aus dem Volk waren mit ihrem Glauben unzufrieden, als sie die Ungerechtigkeit sahen, die in der römischen Kirche herrschte, und sie begrüßten die Wahrheiten, die nun durch Wiklif ans Licht gebracht wurden, mit offener Freude. Die päpstlichen Führer aber waren außer sich vor Wut, als sie feststellen mussten, dass dieser Reformator einen größeren Einfluss gewann, als sie selbst besaßen. DGK.67.3 Teilen

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Wiklif entdeckte scharfsinnig den Irrtum und griff furchtlos viele der von Rom gebilligten Missbräuche an. Während er als Kaplan des Königs tätig war, vertrat er mutig seinen Standpunkt gegen die Abgaben, die der Papst von dem englischen Monarchen verlangte, und zeigte auf, dass der päpstliche Machtanspruch über weltliche Herrscher sowohl der Logik als auch den Aussagen der Bibel entgegen sei. Die Elite des Landes war durch die Ansprüche des Papstes aufgebracht, deshalb blieben Wiklifs Lehren nicht ohne Einfluss bei den Regierenden. König und Adel vereinten sich, den Anspruch des Papstes auf weltliche Machtstellung abzulehnen und die Zahlung der verlangten Steuer zu verweigern. Auf diese Weise wurde ein kräftiger Schlag gegen die päpstliche Oberherrschaft in England geführt. DGK.68.1 Teilen

Ein anderes Übel, gegen das der Reformator einen langen und entschlossenen Kampf führte, war der Orden der Bettelmönche. Diese Mönche schwärmten in England umher und verbreiteten einen Einfluss, der sich auf den sozialen Bereich der Nation schädlich auswirkte und vor allem Wirtschaft, Wissenschaft und Volksmoral lähmte. Das träge Bettlerleben der Mönche belastete nicht nur die Finanzen des Volkes, sondern würdigte nützliche Arbeit herab. Die Jugend wurde verführt und verdorben. Die Mönche beeinflussten viele, auch so zu leben, die dann nicht nur ohne Einwilligung, sondern sogar ohne das Wissen ihrer Eltern und entgegen ihren Anordnungen ins Kloster eintraten. Einer der ersten Gründer der römischen Kirche, der die Ansprüche des Mönchtums den Verpflichtungen der kindlichen Liebe und des Gehorsams gegenüber als wichtiger hinstellte, hatte behauptet: „Sollte auch dein Vater weinend und jammernd vor deiner Tür liegen und deine Mutter dir den Leib zeigen, der dich getragen, und die Brüste, die dich gesäugt, so siehe zu, dass du sie mit Füßen trittst und dich unverwandt zu Christus begibst.“ Durch dies „gräulich ungeheuer Ding“, wie Luther es später nannte, das mehr an ein Tier und Tyrannen als an einen Christen und Menschen erinnert, wurden die Herzen der Kinder gegen ihre Eltern verhärtet. Luthers Werke, Erlanger Ausgabe, XXV, S. 337 (396); Op. lat. X, 269. So haben die päpstlichen Führer wie einst die Pharisäer die Gebote Gottes um ihrer Satzungen willen aufgehoben: Die Heime vereinsamten, Eltern mussten auf ihre Söhne und Töchter verzichten. DGK.68.2 Teilen

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Selbst die Studenten auf den Universitäten wurden durch die falschen Vorspiegelungen der Mönche verlockt und dazu bewogen, deren Orden beizutreten. Viele bereuten später diesen Schritt und sahen ein, dass sie ihr Lebensglück zerstört und ihren Eltern Kummer bereitet hatten, aber saßen sie einmal in dieser Schlinge gefangen, war es ihnen unmöglich, wieder frei zu werden. Viele Eltern lehnten es aus Furcht vor dem Einfluss der Mönche ab, ihre Söhne auf die Universitäten zu schicken. Das hatte eine erhebliche Abnahme der Zahl an Studierenden in den großen Bildungszentren zur Folge. Den Schulen fehlten Schüler; Unwissenheit herrschte vor. DGK.69.1 Teilen

Der Papst hatte jenen Mönchen das Recht übertragen, Beichten abzunehmen und Vergebung zu erteilen. Dies wurde zu einer Quelle großen Übels. Entschlossen, ihre Einkünfte zu erhöhen, gewährten die Bettelmönche die Absolution unter so leichten Bedingungen, dass Verbrecher aller Art zu ihnen strömten. Infolgedessen nahmen die schrecklichsten Laster schnell überhand. Arme und Kranke ließ man leiden, während die Mittel, die ihnen hätten helfen können, die Mönche erhielten, welche unter Drohungen die Almosen des Volkes forderten und jene für gottlos erklärten, die ihrem Orden Gaben verweigerten. Ungeachtet ihres Bekenntnisses zur Armut nahm der Reichtum der Bettelmönche ständig zu, und ihre prächtigen Gebäude und reich gedeckten Tafeln ließen die wachsende Armut des Volkes umzog deutlicher werden. Die Mönche verbrachten ihre Zeit in Üppigkeit und Freuden und sandten an ihrer Stelle unwissende Männer aus, die wunderbare Geschichten, Legenden und Späße zur Unterhaltung der Leute erzählen mussten, um sie dadurch noch fester in den Täuschungen der Mönche zu verfangen. Den Mönchen gelang es, ihren Einfluss auf die abergläubische Menge zu wahren und sie glauben zu lassen, dass die Oberhoheit des Papstes anzuerkennen, die Heiligen zu verehren und den Mönchen Almosen zu geben, ausreichend seien, um ihnen einen Platz im Himmel zu sichern. DGK.69.2 Teilen

Gelehrte und fromme Männer hatten sich vergeblich bemüht, unter diesen Mönchsorden eine Reform durchzuführen. Wiklif ging aber dem Übel mit klarer Einsicht an die Wurzel und erklärte, dass das System selbst falsch sei und aufgehoben werden müsse. Jetzt kamen Debatten und Fragen auf. Als die Mönche das Land durchzogen und den Ablass verkauften, fingen viele an, die Möglichkeit anzuzweifeln, sich mit Geld Vergebung zu erkaufen. Und sie fragten sich, ob sie Vergebung der Sünden nicht lieber bei Gott statt bei dem Pontifex zu Rom suchen sollten. (Siehe Anmerkung 11) Nicht wenige waren über den Eigennutz der Bettelmönche beunruhigt, deren Habsucht unersättlich zu sein schien. „Die Mönche und Priester“, sagten sie, „fressen uns wie ein Krebsschaden; DGK.69.3 Teilen

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Gott muss uns helfen, sonst geht alles zugrunde.“ D‘Aubigne, „Geschichte der Reformation“, 17.Buch, Kapitel 7,Stuttgart, 1854 Um ihre Habsucht zu verdecken, behaupteten diese Bettelmönche, dass sie dem Beispiel des Heilands folgten, da auch Christus und seine Apostel von den Almosen des Volkes gelebt hätten. Diese Behauptung jedoch schadete ihrer Sache, weil sie viele veranlasste, zur Bibel zu greifen, um selbst die Wahrheit zu erforschen — eine Folge, wie sie Rom am allerwenigsten wünschte. Die Gemüter der Menschen wurden auf die Quelle der Wahrheit gelenkt, und gerade das wollte Rom verhindern. DGK.70.1 Teilen

Wiklif fing an, kurze Abhandlungen gegen die Bettelmönche zu schreiben und zu veröffentlichen. Er wollte dadurch mit ihnen so weit wie möglich in ein Streitgespräch kommen, um das Volk auf die Lehren der Bibel und ihres Urhebers aufmerksam machen zu können. Er erklärte, dass der Papst die Macht der Sündenvergebung und des Kirchenbannes in nicht größerem Maße besitze als die gewöhnlichen Priester und dass niemand rechtsgültig ausgeschlossen werden könne, es sei denn, er habe sich zuerst die Verdammung Gottes zugezogen. In keiner wirksameren Weise hätte er den Umsturz des riesenhaften Machwerkes geistlicher und weltlicher Herrschaft betreiben können, die der Papst aufgerichtet hatte, und in welcher Leib und Seele von Millionen Menschen gefangen gehalten wurden. DGK.70.2 Teilen

Erneut wurde Wiklif dazu berufen, die Rechte der englischen Krone gegen die Übergriffe Roms zu verteidigen. Er brachte als königlicher Gesandter zwei Jahre in den Niederlanden zu, wo er mit Abgeordneten des Papstes verhandelte. Hier kam er mit französischen, italienischen und spanischen Würdenträgern der Kirche zusammen und hatte Gelegenheit, hinter die Kulissen zu schauen und Einblick in manche Dinge zu gewinnen, die ihm in England verborgen geblieben wären. Er erfuhr einiges, das seinem späteren Wirken die Form und auch die Schärfe gab. In diesen Gesandten des päpstlichen Hofes sah er den wahren Charakter und die eigentlichen Absichten der Priesterherrschaft. Er kehrte nach England zurück, wiederholte seine früheren Lehren offener und mit größerem Eifer und erklärte, Habsucht, Stolz und Betrug seien die Götter Roms. DGK.70.3 Teilen

In einer seiner Abhandlungen schrieb er gegen die Geldgier Roms: Der Papst und seine Einsammler „entziehen unserm Lande, was zum Lebensunterhalt der Armen dienen sollte, und viele 1000 Mark aus dem Schatz des Königs für Sakramente und geistliche Dinge“. Diese letzten Worte sind gegen die von Rom geförderte Simonie gerichtet. [Simonie ist der Erwerb geistlicher Ämter durch Kauf; sie war im Mittelalter weit verbreitet. Von Simon Magus abgeleitet — Apostelgeschichte 8,18 — der von den Aposteln die Mitteilung des Heiligen Geistes für Geld zu bekommen suchte.] „Gewiss, wenn unser Reich einen ungeheuren Berg von Gold hätte und keiner davon nähme, als nur der Einsammler dieses hochmütigen weltlichen Priesters, so würde im Laufe der Zeit dieser Berg verzehrt werden. Er zieht alles Geld aus unserem Land und gibt nichts dafür zurück als Gottes Fluch für seine Simonie.“ Lewis, „The History of the Life an Sufferings of the Reverend and Learned John Wicliffe“, Kapitel 3, S. 37; Neander, „Kirchengeschichte“, 6.Per., 2.Abschnitt, § 2. DGK.70.4 Teilen

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Bald zurück in England wurde Wiklif vom König zum Pfarrer von Lutterworth ernannt — ein Beweis, dass wenigstens der König seine offene Rede nicht kritisiert hatte. Wiklifs Einfluss spürte man sowohl in der Umgangsweise am Hof als auch in der Umgestaltung des Glaubens der Nation. DGK.71.1 Teilen

Roms Donner trafen ihn jedoch bald. Drei Bullen wurden nach England gesandt — an die Universität, an den König und die Prälaten. Darin war befohlen, unverzügliche und entscheidende Maßnahmen zu treffen, um den ketzerischen Lehrer zum Schweigen zu bringen. (Siehe Anmerkung 18) Die Bischöfe hatten jedoch in ihrem Eifer Wiklif schon vor der Ankunft der Bullen zu einem Verhör vorgeladen. Zwei der mächtigsten Fürsten des Reiches begleiteten ihn zum Gerichtshof, und die Menschen, die das Gebäude umgaben und hineindrängten, schüchterten die Richter derart ein, dass die Verhandlungen zunächst ausgesetzt wurden und man den Reformator wieder gehen ließ. Bald darauf starb Edward III., den die römischen Geistlichen in seinen alten Tagen versucht hatten, gegen den Reformator zu beeinflussen. Und Wiklifs einstiger Beschützer wurde Herrscher des Reiches. [Johann von Gent, der Herzog von Lancaster, übernahm als Vormund Richards II. die Regentschaft bis 1389] DGK.71.2 Teilen

Die päpstlichen Bullen legten ganz England den unbedingten Befehl auf, den Ketzer festzunehmen und einzukerkern. Diese Maßnahmen deuteten unmittelbar auf den Scheiterhaufen hin, und es schien sicher, dass Wiklif bald der Rache Roms zum Opfer fallen würde. Gott aber, der zu seinem Knecht damals gesagt hatte: „Fürchte dich nicht... Ich bin dein Schild“ (1.Mose 15,1), streckte seine Hand aus, um seinen Diener zu beschützen. Der Tod kam, aber nicht über den Reformator, sondern über den Papst, der Wiklifs Untergang beschlossen hatte. Gregor XI. starb, und die Geistlichen, die sich zu Wiklifs Verhör versammelt hatten, gingen wieder auseinander. Gottes Vorsehung lenkte auch weiterhin die Ereignisse, um die Reformation voranzutreiben. Auf den Tod Gregors folgte die Wahl zweier Gegenpäpste. Zwei streitende Mächte verlangten Gehorsam, jede, wie sie erklärten, sei unfehlbar. (Siehe Anmerkung 02) Jede forderte die Gläubigen auf, ihr beizustehen, um gegen die andere Macht Krieg zu führen, und bekräftigte ihre Forderungen mit schrecklichen Bannflüchen gegen ihre Gegner und mit Versprechungen himmlischen Lohnes für die Helfer. Dieser Vorfall schwächte die Macht des Papsttums ganz außerordentlich. Die rivalisierenden Parteien hatten vollauf damit zu tun, sich gegenseitig zu bekämpfen, dadurch blieb Wiklif eine Zeit lang unbehelligt. Bannflüche und Gegenbeschuldigungen flogen von Papst zu Papst, und viel Blut floss, um ihre widersprüchlichen Ansprüche durchzusetzen. Verbrechen und Schandtaten überfluteten die Kirche. Währenddessen war der Reformator in der stillen Zurückgezogenheit seiner Pfarrei zu Lutterworth eifrig damit beschäftigt, die Menschen von den streitenden Päpsten weg- und zu Jesus hinzulenken, dem Fürsten des Friedens. DGK.71.3 Teilen

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Diese Spaltung mit allem Streit und aller Verderbnis, die daraus hervorgingen, bereitete der geistlichen Erneuerung den Weg, denn dadurch erkannte das Volk das wirkliche Wesen des Papsttums. In einer Abhandlung über die Kirche und ihre Regierung forderte Wiklif das Volk auf, zu überlegen, ob diese beiden Päpste nicht die Wahrheit sagten, wenn sie sich gegenseitig als Antichrist verurteilten. Und so „wollte Gott nicht länger dulden“, sagte er, „dass der Feind in einem einzigen solcher Priester herrschte, sondern ... machte eine Spaltung zwischen zweien, so dass man in Christi Namen leichter beide sollte überwinden können“. Neander, „Kirchengeschichte“, 6.Per., 2.Abschnitt, § 28; Vaughan, „Life and Opinions of John de Wycliffe“, Bd. II, S. 6 DGK.72.1 Teilen

Wiklif predigte das Evangelium wie sein Meister den Armen. Nicht damit zufrieden, das Licht in den bescheidenen Familien seines Kirchspiels Lutterworth zu verbreiten, beschloss er, dass es in alle Gebiete Englands getragen werden sollte. Um dies auszuführen, scharte er eine Gruppe einfacher, gottergebener Männer um sich, welche die Wahrheit liebten und nichts so sehr wünschten, als sie zu verbreiten. Diese Männer gingen überallhin, lehrten auf den Marktplätzen, auf den Straßen der Großstädte und auf den Landwegen, sie suchten die Betagten, Kranken und Armen auf und verkündeten ihnen die frohe Botschaft von der Gnade Gottes. DGK.72.2 Teilen

Als Professor der Theologie in Oxford predigte Wiklif das Wort Gottes in den Hörsälen der Universität. Er lehrte die Studenten, die seine Vorlesungen besuchten, die Wahrheit so gewissenhaft, dass er den Titel „der evangelische Doktor“ erhielt. Die größte Aufgabe seines Lebens jedoch sollte die Übersetzung der Heiligen Schrift ins Englische sein. In seinem Buch „Über die Wahrheit und den Sinn der Heiligen Schrift“ drückte er seine Absicht aus, die Bibel zu übersetzen, damit sie jeder Engländer in seiner Muttersprache lesen könne. Plötzlich wurde seine Arbeit unterbrochen. Obwohl noch nicht 72 Jahre alt, hatten unaufhörliche Arbeit, rastloses Studium und die Angriffe seiner Feinde seine Kräfte geschwächt und ihn vor der Zeit altern lassen. Eine gefährliche Krankheit [Wiklif erlitt einen Schlaganfall] warf ihn nieder. Diese Kunde erfreute die Mönche sehr. Jetzt, dachten sie, werde er das Übel, das er der Kirche zugefügt hatte, bitter bereuen. Sie eilten in sein Haus, um seine Beichte zu hören. Vertreter der vier religiösen Orden mit vier weltlichen Beamten versammelten sich um den Mann, der nach ihrer Meinung im Sterben lag. „Der Tod sitzt euch auf den Lippen“, sagten sie, „denket bußfertig an eure Sünden, und nehmet in unserer Gegenwart alles zurück, was ihr gegen uns gesagt habt.“ Der Reformator hörte schweigend zu; dann bat er seinen Diener, ihn im Bett aufzurichten. Seinen Blick ernst auf die Wartenden heftend, sagte er mit fester, starker Stimme, die sie so oft zittern gemacht hatte: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und die Gräuel der Mönche erzählen.“ Neander „Kirchengeschichte“, 6.Per., 2.Abschnitt, § 10; Schröckh, „Christliche Kirchengeschichte“, XXXIV, S. 525 Bestürzt und verwirrt eilten diese aus dem Zimmer. DGK.72.3 Teilen

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Wiklifs Worte erfüllten sich. Er blieb am Leben, um seinen Landsleuten die Bibel in die Hände zu legen, die mächtigste aller Waffen gegen Rom, das vom Himmel bestimmte Werkzeug zur Befreiung, Erleuchtung und Evangelisation des Volkes. Bei der Ausführung dieser Aufgabe mussten viele Hindernisse überwunden werden. Wiklif war körperlich geschwächt. Er wusste, dass ihm nur noch wenige Jahre zur Arbeit blieben, und er sah den Widerstand, dem er entgegentreten musste, aber durch die Verheißungen des Wortes Gottes ermutigt, ging er unerschrocken voran. In voller geistiger Kraft und reich an Erfahrungen hatte Gottes besondere Vorsehung ihn für diese besondere Aufgabe vorbereitet und erhalten. Während die ganze Christenheit in Aufregung war, widmete sich der Reformator in seiner Pfarrei zu Lutterworth seiner selbst gewählten Arbeit, ohne die Turbulenzen draußen zu beachten. DGK.73.1 Teilen

Endlich war die erste englische Übersetzung der Heiligen Schrift fertig. Das Wort Gottes war England zugänglich. Jetzt fürchtete der Reformator weder das Gefängnis noch den Scheiterhaufen, hatte er doch dem englischen Volk ein Licht in die Hände gegeben, das nie ausgelöscht werden sollte. Indem er seinen Landsleuten die Bibel gab, hatte er mehr getan, um die Fesseln der Unwissenheit und des Lasters abzustreifen und sein Land zu befreien und zu erheben, als je durch den glänzendsten Sieg auf dem Schlachtfeld hätte erreicht werden können. Da die Buchdruckerkunst noch unbekannt war, konnten nur durch mühevolle Arbeit Abschriften der Bibel hergestellt werden. DGK.73.2 Teilen

Der Bedarf war so groß, dass viele freiwillig die Heilige Schrift abschrieben, und doch konnten die Abschreiber nur mit Mühe der Nachfrage gerecht werden. Manche wohlhabende Käufer verlangten die ganze Bibel, andere erwarben nur Teile des Wortes Gottes. In vielen Fällen taten sich mehrere Familien zusammen, um ein Exemplar zu kaufen. So fand Wiklifs Bibel in kurzer Zeit ihren Weg in die Wohnungen des Volkes. DGK.73.3 Teilen

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Wiklifs Appell an den klaren Menschenverstand weckte das Volk aus seiner widerstandslosen Unterwerfung unter die päpstlichen Glaubenslehren. Er lehrte die spätere Auffassung des Protestantismus: Erlösung durch den Glauben an Christus und alleinige Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift. Die Prediger, die er ausgesandt hatte, verbreiteten die Bibel und weitere Schriften des Reformators so erfolgreich, dass nahezu die Hälfte des englischen Volkes begeistert den neuen Glauben annahm. DGK.74.1 Teilen

Durch das Erscheinen der Heiligen Schrift waren die kirchlichen Autoritäten bestürzt. Sie hatten es nun mit einem mächtigeren Gegner zu tun, als es Wiklif war, einem Gegner, gegen den ihre Waffen nicht viel ausrichten konnten. Zu jener Zeit gab es in England kein Gesetz, das die Bibel verbot, denn sie war nie zuvor in der Sprache dieses Landes veröffentlicht worden. Solche Gesetze wurden erst später erlassen und streng angewandt. Unterdessen gab es trotz der Bemühungen der Priester manche Möglichkeiten, das Wort Gottes zu verbreiten. Erneut versuchte die päpstliche Kirche, die Stimme des Reformators zum Schweigen zu bringen. Dreimal wurde er zum Verhör vor ein geistliches Gericht geladen, aber ohne Erfolg wieder entlassen. Dann erklärte eine Synode von Bischöfen seine Schriften für ketzerisch. Und indem sie den jungen König Richard II. für sich gewann, erlangte sie einen königlichen Erlass, der allen, die sich zu den verurteilten Lehren bekannten, mit dem Gefängnis drohte. DGK.74.2 Teilen

Wiklif wandte sich an das Parlament, beschuldigte die Hierarchie furchtlos vor der nationalen Ratsversammlung und verlangte die Abkehr von den ungeheuren Missbräuchen, die von der Kirche gebilligt wurden. Mit überzeugender Kraft schilderte er die Übergriffe und die Verderbnis des päpstlichen Stuhles. Seine Feinde wurden verwirrt. Die Freunde und Helfer Wiklifs waren zum Nachgeben gezwungen worden, man hatte zuversichtlich erwartet, dass sich der betagte Reformator, allein und ohne Freunde, der vereinten Macht von Krone und Mitra beugen würde. Stattdessen sahen sich die römischen Würdenträger geschlagen. Das Parlament, durch die packenden Ansprachen Wiklifs angefeuert, widerrief das Edikt zu seiner Verfolgung, und der Reformator war erneut frei. DGK.74.3 Teilen

Zum dritten Mal wurde er verhört, und zwar vor dem höchsten kirchlichen Gerichtshof des Reiches. Hier würde der Ketzerei nicht nachgegeben werden; hier würde endlich Rom siegen und das Werk des Reformators zum Stillstand gebracht werden — so dachten die kirchlichen Leiter. Konnten sie ihre Absicht erreichen, dann wäre Wiklif gezwungen, seine Lehre abzuschwören, oder den Gerichtshof zu verlassen, um den Scheiterhaufen zu besteigen. Wiklif widerrief nicht; er wollte nicht heucheln. Furchtlos verteidigte er seine Lehren und widerlegte die Anklagen seiner Verfolger. Sich selbst, seine Stellung und den Anlass dieser Versammlung vergessend, forderte er seine Zuhörer vor das göttliche Gericht und wog ihre Lügen und Täuschungen auf der Waage der ewigen Wahrheit. Die Macht des Heiligen Geistes wurde im Gerichtssaal spürbar. Gott hielt die Zuhörer in seinem Bann. Sie schienen keine Macht zu haben, die Stätte zu verlassen. Wie Pfeile aus dem Köcher des Herrn durchbohrten die Worte des Reformators ihre Herzen. Die Anklage der Ketzerei, die sie gegen ihn vorgebracht hatten, schleuderte er mit überzeugender Macht auf sie zurück. Aus welchem Grunde, fragte er, hätten sie es gewagt, ihre Irrtümer zu verbreiten? — Um des Gewinnes willen, um mit der Gnade Gottes Handel zu treiben! DGK.74.4 Teilen

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„Mit wem, glaubt ihr“, sagte er zum Schluss, „dass ihr streitet? Mit einem alten Mann am Rande des Grabes? — Nein! Mit der Wahrheit, die stärker ist als ihr und euch überwinden wird.“ Wylie, „History of Protestantism“, 2.Buch, Kapitel 13 Mit diesen Worten verließ er die Versammlung. Keiner seiner Feinde versuchte ihn daran zu hindern. DGK.75.1 Teilen

Wiklifs Aufgabe war fast erfüllt. Das Banner der Wahrheit, das er so lange getragen hatte, sollte bald seiner Hand entfallen. Doch noch einmal musste er für das Evangelium zeugen. Die Wahrheit sollte mitten aus der Festung des Reiches des Irrtums verkündet werden. Wiklif wurde aufgefordert, sich vor dem päpstlichen Gerichtshof in Rom zu verantworten, der so oft das Blut der Heiligen vergossen hatte. Er war durchaus nicht blind gegenüber der ihm drohenden Gefahr, wäre dieser Aufforderung aber dennoch gefolgt, hätte ihm nicht ein Schlaganfall die Reise unmöglich gemacht. Konnte er nun auch in Rom nicht persönlich sprechen, so wollte er es doch durch einen Brief tun, und dazu war er bereit. — Von seiner Pfarrei aus schrieb der Reformator einen Brief an den Papst, der, obwohl in achtungsvollem Ton und christlichem Geist gehalten, den Pomp und Stolz des päpstlichen Stuhles heftig tadelte. DGK.75.2 Teilen

„Wahrlich, ich freue mich“, sagte er, „jedem den Glauben, den ich halte, kundzutun und zu erklären und besonders dem Bischof von Rom, der bereitwilligst meinen dargelegten Glauben, soviel ich für richtig und wahr halte, bestätigen, oder falls er irrtümlich ist, berichtigen wird. DGK.75.3 Teilen

Erstens setze ich voraus, dass das Evangelium Christi die Gesamtheit des Gesetzes Gottes ist ... Ich halte dafür, dass der Bischof von Rom, insofern er Statthalter Christi auf Erden ist, vor allen anderen Menschen am meisten an das Gesetz des Evangeliums gebunden ist. Denn die Größe der Jünger bestand nicht in weltlicher Würde oder Ehre, sondern in der nahen und genauen Nachfolge des Lebens und des Wandels Christi ... Christus war während der Zeit seiner Pilgerschaft hier ein sehr armer Mann, der alle weltliche Herrschaft und Ehre verwarf und von sich stieß ... Kein treuer Mensch sollte weder dem Papst noch irgendeinem Heiligen nachfolgen, außer in den Punkten, in denen dieser Jesus Christus nachgefolgt ist; denn Petrus und die Söhne Zebedäi sündigten, indem sie nach weltlicher Ehre verlangten, die der Nachfolge Christi zuwider ist; deshalb sollte man ihnen in jenen Irrtümern nicht nachfolgen. DGK.75.4 Teilen

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Der Papst sollte allen irdischen Besitz und alle Herrschaft der weltlichen Macht überlassen und dazu seine ganze Geistlichkeit nachdrücklich bewegen und ermahnen; denn so tat Christus, und besonders durch seine Apostel. DGK.76.1 Teilen

Habe ich in irgendeinem dieser Punkte geirrt, so will ich mich demütigst der Zurechtweisung unterwerfen, selbst dem Tode, falls die Notwendigkeit es so verlangt. Könnte ich nach meinem Wunsch und Willen in eigener Person wirken, so würde ich mich dem Bischof von Rom persönlich vorstellen, aber der Herr hat mich auf eine andere Art heimgesucht und mich gelehrt, Gott mehr zu gehorchen als Menschen.“ Am Ende seines Briefes sagte er: „Deshalb beten wir zu Gott, dass er unseren Papst Urban VI. so anregen wolle, dass er mit seiner Geistlichkeit dem Herrn Jesus Christus in Leben und Sitten nachfolge, dass sie das Volk wirksam lehren und dass das Volk ihnen wiederum in denselben Stücken getreulich nachfolge.“ Foxe, „Acts and Monuments“, Bd. III, S. 49.50; Neander, „Kirchengeschichte“, 6.Per., 2.Abschnitt, §29 DGK.76.2 Teilen

Auf diese Weise zeigte Wiklif dem Papst und seinen Kardinälen die Sanftmut und Demut Christi, wobei er nicht nur ihnen, sondern der ganzen Christenheit den Gegensatz zwischen ihnen und dem Meister, dessen Vertreter sie sein wollten, darlegte. Wiklif erwartete nichts anderes, als dass seine Treue ihm das Leben kosten werde. König, Papst und Bischöfe hatten sich vereint, um seinen Untergang herbeizuführen, und es schien unausweichlich, dass er in spätestens einigen Monaten den Scheiterhaufen würde besteigen müssen. Aber sein Mut war unerschüttert. „Man braucht nicht weit zu gehen, um die Palme der Märtyrer zu suchen“, sagte er. „Nur das Wort Christi stolzen Bischöfen verkündet und das Märtyrertum wird nicht ausbleiben! Leben und schweigen? Niemals! Mag das Schwert, das über meinem Haupte hängt, getrost fallen! Ich erwarte den Streich!“ D‘Aubigne, „Geschichte der Reformation“, 17.Buch, Kapitel 8 DGK.76.3 Teilen

Immer noch beschützte Gottes Vorsehung seinen Diener. Der Mann, der ein ganzes Leben lang unter Lebensgefahr mutig die Wahrheit verteidigt hatte, sollte dem Hass seiner Feinde nicht zum Opfer fallen. Wiklif hatte sich nie selbst zu schützen gesucht, sondern der Herr war sein Schutz gewesen. Als seine Feinde sich ihrer Beute sicher glaubten, entrückte ihn Gott ihrem Bereich. Als er im Begriff war, in seiner Kirche zu Lutterworth das Abendmahl auszuteilen, fiel er, vom Schlag getroffen nieder und starb kurze Zeit darauf. Gott hatte Wiklif zu seiner Aufgabe berufen. Er hatte das Wort der Wahrheit in seinen Mund gelegt und ihn allezeit bewahrt, damit dies Wort durch ihn ins Volk gelangte. Sein Leben wurde beschützt und sein Wirken verlängert, bis ein Grundstein für das große Werk der Erneuerung gelegt war. DGK.76.4 Teilen

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Wiklif kam aus der Finsternis des Mittelalters. Niemand war ihm vorausgegangen, nach dessen Werk er seine reformatorische Aufgabe hätte planen können. Wie Johannes der Täufer erweckt wurde, um eine besondere Mission auszuführen, so war er der Herold eines neuen Zeitalters. In dem Lehrgebäude der Wahrheit, die er verkündete, bestand eine Einheit und Vollständigkeit, die von nach ihm aufgetretenen Reformatoren nicht übertroffen, von etlichen sogar 100 Jahre später nicht erreicht wurde. So breit und tief, so fest und sicher war das Fundament angelegt, dass die Reformatoren, die nach ihm kamen, darauf weiterbauen konnten. DGK.77.1 Teilen

Die große Bewegung, welche Wiklif anbahnte, die das Gewissen und den Verstand frei machte und die so lange an den Triumphwagen Roms gespannten Völker befreite, hatte ihren Ursprung in der Heiligen Schrift. Diese war die Quelle des Segensstromes, der seit dem 14. Jahrhundert wie Lebenswasser durch die Zeiten fließt. Wiklif nahm die Heilige Schrift in unbedingtem Glauben als eine von Gott eingegebene Offenbarung des göttlichen Willens an, als eine untrügliche Richtschnur des Glaubens und Handelns. Er war erzogen worden, die römische Kirche als göttliche, unfehlbare Autorität zu betrachten und die bestehenden Lehren und Gebräuche eines Jahrtausends mit kritikloser Verehrung anzunehmen, aber er wandte sich von all diesem ab, um den Lehren des heiligen Wortes Gottes zu lauschen. Dies war die Autorität, an die zu glauben er das Volk nachdrücklich aufforderte. Er erklärte, dass nicht die durch den Papst vertretene Kirche, sondern der in der Heiligen Schrift sich offenbarende Gott die einzig wahre Autorität sei. Er lehrte nicht nur, dass die Bibel eine vollkommene Offenbarung des göttlichen Willens, sondern auch, dass der Heilige Geist ihr einziger Ausleger ist und jedermann durch das Erforschen ihrer Lehren selbst seine Pflicht erkennen muss. Auf diese Weise lenkte er die Gemüter der Menschen vom Papst und von der römischen Kirche weg auf das Wort Gottes hin. DGK.77.2 Teilen

Wiklif war einer der größten Reformatoren. An Verstandesgröße und Klarheit der Gedanken, an Festigkeit, die Wahrheit zu behaupten, und an Kühnheit, sie zu verteidigen, kamen ihm nur wenige gleich. Die Reinheit seines Lebens, unermüdlicher Fleiß im Studium und in der Arbeit, unantastbare Rechtschaffenheit und eine Christus ähnliche Liebe und Treue in seinem Amt kennzeichneten diesen ersten Reformator in einem Zeitalter geistiger Finsternis und sittlicher Verderbtheit. Wiklifs Charakter ist ein Zeugnis für die bildende, umgestaltende Macht der Heiligen Schrift. Die Bibel machte ihn zu dem, was er war. Das Streben, die großen offenbarten Wahrheiten zu erfassen, belebt und kräftigt alle unsere Fähigkeiten, erweitert den Verstand, schärft die Vorstellungskraft und reift das Urteilsvermögen. Das Studium der Heiligen Schrift veredelt wie kein anderes Studium die Gedanken, Gefühle und jegliches Streben. Es verleiht Zielstrebigkeit, Geduld, Mut und Geistesstärke; es läutert den Charakter und heiligt die Seele. Ein ernstes, andachtsvolles Studium der Heiligen Schrift, welches das Gemüt des Studierenden in unmittelbare Berührung mit dem Heiligen Geist bringt, würde der Welt Menschen bescheren, die einen schärferen und gesünderen Menschenverstand und edlere Grundsätze besäßen, als sie je der beste menschliche Weisheitslehrer hervorgebracht hat. „Wenn dein Wort offenbar wird“, sagt der Psalmist, „so erfreut es und macht klug.“ Psalm 119,130. DGK.77.3 Teilen

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Die Wahrheiten, die Wiklif gelehrt hatte, breiteten sich eine Zeit lang weiter aus. Seine als Wiklifiten und Lollarden bekannten Nachfolger durchzogen nicht nur England, sondern zerstreuten sich auch in andere Länder und brachten ihnen die Botschaft des Evangeliums. Jetzt, da ihr geistiger Führer von ihnen genommen war, arbeiteten die Prediger noch eifriger als zuvor. Viele Menschen kamen zusammen, um ihren Lehren zu lauschen. Einige Adlige und sogar die Gemahlin des Königs waren unter den Bekehrten. An vielen Orten zeigte sich eine bemerkenswerte Umgestaltung der Sitten des Volkes, und auch die irreführenden Symbole des Papsttums wurden aus den Kirchen entfernt. Bald jedoch brach ein erbarmungsloser Sturm der Verfolgung über jene los, die es gewagt hatten, die Heilige Schrift als ihren Führer anzunehmen. Die englischen Fürsten, eifrig darauf bedacht, ihre Macht zu stärken, indem sie sich Roms Beistand sicherten, zögerten nicht, die Reformatoren dem Untergang zu weihen. Zum ersten Mal in der Geschichte Englands wurde der Scheiterhaufen für die Boten des Evangeliums aufgerichtet. Ein Märtyrertum folgte dem andern. Die geächteten und gefolterten Verteidiger der Wahrheit konnten nur zu Gott, dem Herrn, schreien. Als Kirchenfeinde und Landesverräter verfolgt, hörten sie dennoch nicht auf, an geheimen Orten zu predigen, wobei sie, so gut es ging, in den bescheidenen Wohnungen der Armen Zuflucht fanden und sich oft in Gruben und Höhlen verbargen. Trotz des Wütens der Verfolgung wurde jahrhundertelang ein ruhiger, in christlichem Geist geführter, ernster und geduldiger Widerstand gegen die vorherrschende Verderbnis der Religion fortgesetzt. Die Christen der damaligen Zeit kannten die Wahrheit nur teilweise, aber sie hatten gelernt, Gottes Wort zu lieben, ihm zu gehorchen und um seinetwillen geduldig zu leiden. Wie die Gläubigen in den apostolischen Tagen opferten viele ihren weltlichen Besitz für die Sache Christi. Die in ihren eigenen Wohnungen sein durften, gewährten ihren vertriebenen Brüdern freudig Obdach, und als auch sie vertrieben wurden, nahmen sie das Los der Verstoßenen freudig auf sich. Allerdings erkauften Tausende, erschreckt durch die Wut ihrer Verfolger, ihre Freiheit, indem sie ihren Glauben aufgaben. Sie verließen die Gefängnisse in Bußkleidern, um ihren Widerruf öffentlich bekannt zu machen. Doch die Zahl derer — und darunter befanden sich Menschen von adliger Herkunft ebenso wie einfache Leute — war nicht gering, die in Gefängniszellen, sogenannten „Lollarden-Türmen“, bei Folterschmerzen und Flammen furchtlos für die Wahrheit zeugten und sich freuten, dass sie würdig erachtet wurden, „die Gemeinschaft der Leiden“ Christi zu erfahren. DGK.78.1 Teilen

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Es war Rom nicht gelungen, Wiklif zu Lebzeiten den Willen der Kirche aufzuzwingen, doch Roms Hass konnte nicht befriedigt werden, solange dessen Leib friedlich im Grab ruhte. Durch einen Erlass des Konzils zu Konstanz wurden seine Gebeine mehr als 40 Jahre nach seinem Tod ausgegraben, öffentlich verbrannt und die Asche in einen benachbarten Bach gestreut. „Der Bach“, sagt ein alter Schriftsteller, „führte seine Asche mit sich in den Avon, der Avon in die Severn, die Severn in die Meerengen und diese in den großen Ozean; und somit ist Wiklifs Asche ein Sinnbild seiner Lehre, die jetzt über die ganze Welt verbreitet ist.“ Fuller, „Church History of Britain“, 4.Buch, 2.Abschnitt, § 54. Seine Feinde erkannten kaum die Bedeutung ihrer gehässigen Tat. DGK.79.1 Teilen

Von Wiklifs Schriften angeregt, sagte sich Jan Hus in Böhmen von vielen Irrtümern der römischen Kirche los und begann eine Aufgabe der Erneuerung. So wurde in diesen beiden so weit voneinander entfernten Ländern der Same der Wahrheit gesät. Von Böhmen erstreckte sich das Werk auf andere Länder. Der Sinn der Menschen wurde auf das lange Zeit vergessen gewesene Wort Gottes gerichtet. Gott bereitete der großen Reformation den Weg. DGK.79.2 Teilen

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