Portrait von Ellen White
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In der Bibel vorausgesagt
In der Bibel vorausgesagt
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Beide Reformatoren waren in Böhmen tätig. Auch hier in diesem Land war es der Plan Roms, diese Mahner des wahren Glaubens „unschädlich“ zu machen. Hus (1370-1415) kämpfte nicht gegen die Kirche selbst, sondern nur gegen den Missbrauch ihrer Autorität. Die Kirche verurteilte Hus und Hieronymus (1365-1416) zum Tode als Ketzer des Glaubens. Beide wurden hingerichtet, nachdem sie ein Zeugnis für die Wahrheit vor religiösen und weltlichen Führern geben konnten.. DGK.80.1 Teilen

Das Evangelium war schon im neunten Jahrhundert nach Böhmen gebracht worden. Die Bibel wurde übersetzt und der öffentliche Gottesdienst in der Sprache des Volkes gehalten. Aber als die Macht des Papsttums zunahm, wurde auch das Wort Gottes verdunkelt. Gregor VII., der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den Stolz der Fürsten zu demütigen, war genauso darauf aus, das Volk zu unterdrücken. Dementsprechend erließ er eine Bulle, die den öffentlichen Gottesdienst in tschechischer Sprache untersagte. Der Papst erklärte, es sei dem Allmächtigen angenehm, dass seine Anbetung in einer unbekannten Sprache geschehe und dass viele Übel und Irrlehren aus der Nichtbeachtung dieser Regel entstanden seien. Comenius, „Historia Persecutionum Ecclesiae Bohemicae“, S. 16; Wylie, „History of Protestantism“, 3.Buch, Kap. 1 DGK.80.2 Teilen

Auf diese Weise ordnete Rom an, das Licht des Wortes Gottes auszulöschen und das Volk in Finsternis zu belassen. Doch Gott hatte andere Mittel und Wege zur Erhaltung der Gemeinde vorgesehen. Viele Waldenser und Albigenser, die durch die Verfolgung aus ihrer französischen und italienischen Heimat vertrieben worden waren, hatten sich in Böhmen angesiedelt. Wenn sie es auch nicht wagten, öffentlich zu lehren, arbeiteten sie doch eifrig im Untergrund. So wurde der wahre Glaube von Jahrhundert zu Jahrhundert bewahrt. DGK.80.3 Teilen

Schon vor Hus gab es in Böhmen Männer, die die Missstände der Kirche und die Laster des Volkes öffentlich verurteilten. Ihr Wirken fand weitgehend Beachtung. Die Befürchtungen der Priester wurden geweckt, und man begann die Boten des Evangeliums zu verfolgen. Gezwungen, ihren Gottesdienst in Wäldern und Bergen zu halten, wurden sie dort von Soldaten aufgespürt und viele umgebracht. Später beschloss Rom, dass alle, die die römischen Gottesdienste verließen, verbrannt werden sollten. Während diese Christen ihr Leben dahingaben, richteten sie den Blick auf den Sieg ihrer Sache. Einer von denen, die lehrten, dass das Heil nur durch den Glauben an den gekreuzigten Heiland zu finden sei, erklärte im Sterben: „Jetzt hat die Wut der Feinde die Oberhand über uns, aber es wird nicht für immer sein. Es wird sich einer aus dem einfachen Volk erheben, ohne Schwert und Autorität, gegen den sie nichts vermögen werden.“ Comenius, „Hist. Pers. Eccl. Bohem.“, S. 20; Wylie, ebd., 3.Buch, Kap. 3 Luthers Zeit war noch weit entfernt; aber schon trat einer auf, dessen Zeugnis gegen Rom die Völker bewegen sollte. DGK.80.4 Teilen

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Jan Hus war von einfacher Herkunft und wurde durch den Tod seines Vaters frühzeitig Halbwaise. Seine fromme Mutter, die eine Erziehung in der Furcht Gottes als wertvollsten Besitz ansah, wollte ihrem Sohn dieses Gut vermitteln. Hus besuchte erst die Kreisschule und begab sich dann auf die Universität in Prag, wo man ihm eine Freistelle gewährte. Seine Mutter begleitete ihn auf der Reise. (Siehe Anmerkung 19) Da sie arm und verwitwet war, konnte sie ihrem Sohn keine weltlichen Güter mitgeben, doch als sie sich der großen Stadt näherten, kniete sie mit dem vaterlosen Jungen nieder und erflehte für ihn den Segen ihres himmlischen Vaters. Wie wenig ahnte die Mutter, auf welche Weise ihr Gebet erhört werden sollte! DGK.81.1 Teilen

An der Universität zeichnete sich Hus bald durch seinen unermüdlichen Fleiß und seine raschen Fortschritte aus. Sein tadelloser Wandel und sein freundliches, liebenswürdiges Betragen erwarben ihm allgemeine Achtung. Er war ein aufrichtiger Anhänger der römischen Kirche, und ihn verlangte ernstlich nach dem von ihr versprochenen Segen. Anlässlich einer Jubiläumsfeier ging er zur Beichte, gab seine letzten wenigen Geldstücke, die er besaß und schloss sich der Prozession an, um die verheißene Absolution erhalten zu können. Nachdem er seine Studien abgeschlossen hatte, trat er in den Priesterstand, in dem er rasch zu Ehren kam und bald an den königlichen Hof berufen wurde. Zudem wurde er zum Professor und später zum Rektor der Universität ernannt, an der er studiert hatte. (Siehe Anmerkung 20) In wenigen Jahren war der bescheidene Freischüler der Stolz seines Vaterlandes geworden, und sein Name wurde in ganz Europa bekannt. DGK.81.2 Teilen

Jan Hus begann jedoch auf einem andern Gebiet das Werk der Erneuerung. Einige Jahre nach Empfang der Priesterweihe wurde er zum Prediger an der Bethlehemskapelle ernannt. Der Gründer dieser Kapelle sah das Predigen der Heiligen Schrift in der Landessprache als außerordentlich wichtig an. Obwohl dieser Brauch den schärfsten Widerstand Roms hervorrief, war er doch in Böhmen nicht völlig eingestellt worden. Dennoch blieb die Unkenntnis der Heiligen Schrift groß, und die schlimmsten Laster herrschten unter den Menschen aller Gesellschaftsschichten. Schonungslos trat Hus diesen Übelständen entgegen, indem er sich auf das Wort Gottes berief, um die Grundsätze der Wahrheit und Reinheit durchzusetzen, die er unterrichtete. Ein Bürger von Prag, Hieronymus, der sich später fest mit Hus verband, hatte bei seiner Rückkehr aus England Wiklifs Schriften mitgebracht. Die Königin von England, die sich zu Wiklifs Lehren bekannte, war eine böhmische Prinzessin, und durch ihren Einfluss wurden die Schriften des Reformators auch in ihrem Heimatland weit verbreitet. Mit größtem Interesse las Hus diese Werke. Er hielt den Verfasser für einen aufrichtigen Christen und war bereit, die Reform, die dieser vertrat, wohlwollend zu betrachten. Schon hatte Hus, ohne es zu wissen, einen Pfad betreten, der ihn weit von Rom wegführen sollte. DGK.81.3 Teilen

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Ungefähr um diese Zeit kamen in Prag zwei Freunde aus England an, Gelehrte, die das Licht kennengelernt hatten und in diesem entlegenen Land verbreiten wollten. Da sie mit einem offenen Angriff auf die Oberherrschaft des Papstes begannen, wurden sie von den Behörden zum Schweigen gebracht. Weil sie aber nicht bereit waren, ihre Absicht aufzugeben, verwendeten sie andere Mittel. Sie waren sowohl Prediger als auch Künstler und versuchten es mit ihrer Geschicklichkeit. An einem den Menschen zugänglichen Ort zeichneten sie zwei Bilder: Eines stellte Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem dar, sanftmütig und auf einem Esel reitend (Matthäus 21,5), gefolgt von seinen Jüngern, barfuss und mit von der Reise abgetragenen Kleidern. Das andere Bild zeigte eine päpstliche Prozession — den Papst bekleidet mit seinen reichen Gewändern und der dreifachen Krone, auf einem prächtig geschmückten Pferd sitzend; vor ihm her gingen Trompeter, und hinter ihm folgten die Kardinäle, Priester und Prälaten in verwirrender Pracht. DGK.82.1 Teilen

Das war eine Predigt, die die Aufmerksamkeit aller Menschen auf sich zog. Ganze Scharen kamen herbei, um die Zeichnungen zu bestaunen. Jeder verstand die darin enthaltene Lehre, und auf viele machte der große Unterschied zwischen der Sanftmut und Demut Christi, des Meisters, und dem Stolz und der Anmaßung des Papstes, seines angeblichen Dieners, einen tiefen Eindruck. In Prag entstand große Aufregung, und nach einer Weile fanden es die Fremden für ihre eigene Sicherheit besser, weiterzuziehen. Die Lehre aber, die sie verkündet hatten, wurde nicht vergessen. Hus zeigte sich von diesen Bildern tief beeindruckt, und sie veranlassten ihn zu einem gründlicheren Studieren der Bibel und der Schriften Wiklifs. Obwohl er auch jetzt noch nicht vorbereitet war, alle von Wiklif befürworteten Reformen anzunehmen, sah er doch deutlicher den wahren Charakter des Papsttums und brandmarkte mit größerem Eifer den Stolz, die Anmaßung und die Verderbtheit der Priesterherrschaft. Von Böhmen breitete sich das Licht nach Deutschland aus, denn Unruhen an der Universität in Prag bewirkten, dass Hunderte von deutschen Studenten die dortige Universität verließen. Viele von ihnen hatten von Hus die erste Kenntnis der Bibel erhalten und verbreiteten nach ihrer Rückkehr in ihrem Vaterland das Evangelium. DGK.82.2 Teilen

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Die Nachricht von den Prager Geschehnissen gelangte nach Rom, und bald wurde Hus aufgefordert, vor dem Papst zu erscheinen. Gehorchen hätte hier bedeutet, sich dem sicheren Tod auszusetzen, deshalb verfassten der König und die Königin von Böhmen, die Universität, Mitglieder des Adels und etliche Regierungsbeamte eine Bittschrift an den Papst, es Hus zu gestatten, in Prag zu bleiben und einen Bevollmächtigten nach Rom zu schicken. (Paiacky, „Geschichte Böhmens“, Bd. III, 6.Buch, S. 257f.) Statt diese Bitte zu erfüllen, nahm der Papst die Untersuchung selbst in die Hand, verurteilte Hus und verhängte über die Stadt Prag den Bann. DGK.83.1 Teilen

Zu jener Zeit rief ein solches Urteil, wo es auch ausgesprochen wurde, große Bestürzung hervor. Die Begleitumstände erschreckten die Menschen, denn sie sahen den Papst als den Stellvertreter Gottes an, der die Schlüssel des Himmels und der Hölle sowie die Macht besäße, weltliche und auch geistliche Strafgerichte zu verhängen. Man glaubte, dass die Tore des Himmels für die mit dem Bann belegten Gebiete verschlossen seien und dass die Toten von den Wohnungen der Glückseligkeit ausgeschlossen wären, bis es dem Papst gefalle, den Bann aufzuheben. Als Zeichen dieses schrecklichen Zustandes wurden alle Gottesdienste eingestellt, die Kirchen geschlossen, die Hochzeiten auf den Kirchhöfen vollzogen und die Toten, da ihnen die Bestattung in geweihtem Boden versagt war, ohne die übliche Begräbnisfeier in Gräben oder Feldern zur Ruhe gelegt. Durch diese Maßnahmen, welche auf das Vorstellungsvermögen einwirkten, versuchte Rom, die Gewissen der Menschen zu beherrschen. In Prag herrschte Aufruhr. Ein großer Teil klagte Hus als Urheber alles Unglücks an und verlangte, dass er der Vergeltung Roms übergeben werde. Um den Aufruhr zu beruhigen, zog sich der Reformator eine Zeit lang zu Freunden nach Kozi Hrädek und später zur Burg Krakovec zurück. In seinen Briefen an seine Freunde in Prag schrieb er: „Wisset also, dass ich, durch diese Ermahnung Christi und sein Beispiel geleitet, mich zurückgezogen habe, um nicht den Bösen Gelegenheit zur ewigen Verdammnis und den Guten zur Belastung und Kummer Ursache zu werden; und dann auch, damit nicht die gottlosen Priester die Predigt des göttlichen Wortes ganz verhindern sollten. Ich bin also nicht deshalb ausgewichen, damit durch mich die göttliche Wahrheit verleugnet würde, für welche ich mit Gottes Beistand zu sterben hoffe.“ Neander, „Kirchengeschichte“, 6.Per., 2.Abschnitt, 2.Teil, § 47; Bonnechose, „Les reformateurs avant la reforme du XVI, siecle“, l.Buch, S. 94.95,Paris, 1845 DGK.83.2 Teilen

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Hus gab seine Arbeit nicht auf, sondern bereiste die umliegende Gegend und predigte der erwartungsvollen Menge. So wurden die Maßnahmen des Papstes, um das Evangelium zu unterdrücken, zur Grundlage seiner weiteren Ausbreitung. „Denn wir vermögen nichts gegen die Wahrheit, sondern nur für die Wahrheit.“ 2.Korinther 13,8 (Schlachter 2000). DGK.84.1 Teilen

„Hus muss in dieser Zeit seiner Laufbahn einen schmerzlichen Kampf durchgemacht haben. Obwohl die Kirche ihn durch die Verhängung des Bannes zu besiegen versuchte, hatte er sich nicht von ihrer Autorität losgesagt. Die römische Kirche war für ihn immer noch die Braut Christi, und der Papst Gottes Stellvertreter und Statthalter. Hus kämpfte gegen den Missbrauch der Autorität und nicht gegen den Grundsatz selbst. Dadurch entstand ein furchtbarer Kampf zwischen den Überzeugungen seiner Vernunft und den Forderungen seines Gewissens. War die Autorität gerecht und unfehlbar, wie er doch glaubte, wie kam es, dass er sich gezwungen fühlte, ihr ungehorsam zu sein? Gehorchen hieß für ihn zu sündigen; aber warum sollte der Gehorsam gegen eine unfehlbare Kirche zu solchen Folgen führen? Dies war eine Frage, die er nicht beantworten konnte. Es war der Zweifel, der ihn von Stunde zu Stunde quälte. Die größten Zugeständnisse, die ihm möglich schienen, brachten ihn in die gleichen Verhältnisse mit denen, die in den Tagen des Heilandes herrschten, dass die Priester der Kirche gottlos geworden waren und sich ihrer rechtmäßigen Autorität zu unrechtmäßigen Zwecken bedienten. Dies veranlasste ihn, für sich selbst den Grundsatz aufzurichten und ihn anderen als den ihren einzuschärfen, dass die Lehren der Heiligen Schrift durch das Verständnis unser Gewissen beherrschen sollen; mit anderen Worten, dass Gott der unfehlbare Führer ist, der in der Heiligen Schrift spricht und nicht in der Kirche, die durch die Priester redet.“ Wylie, „History of Protestantism“, 3.Buch, Kap. 2 Als sich die Aufregung in Prag nach einiger Zeit legte, kehrte Hus zur Bethlehemskapelle zurück, um mit größerem Eifer und Mut die Predigt des Wortes Gottes fortzusetzen. Seine Feinde waren wachsam und mächtig, aber die Königin und viele Adlige galten als seine Freunde, und auch viele aus dem Volk hielten zu ihm. Sie verglichen seine reinen und aufbauenden Lehren und sein frommes Leben mit den entwürdigenden Glaubenssätzen, die die römische Geistlichkeit predigte, und mit dem Geiz und der Schwelgerei, die jene trieben, und rechneten es sich zur Ehre an, auf seiner Seite zu stehen. DGK.84.2 Teilen

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Bis dahin hatte Hus in seiner Arbeit allein gestanden, nun aber verband sich mit ihm in seiner reformatorischen Aufgabe Hieronymus, der während seines Aufenthaltes in England die Lehren Wiklifs angenommen hatte. Die beiden wirkten von da an in ihrem Leben Hand in Hand und sollten auch im Tod nicht getrennt werden. Hieronymus besaß glänzende Anlagen, er war sehr beredt und gebildet — Gaben, welche die Öffentlichkeit beeindrucken, doch in den Eigenschaften, die wahre Charakterstärke ausmachen, war Hus der Größere. Sein besonnenes Urteil zügelte den ungestümen Geist von Hieronymus, und da dieser in christlicher Demut die Bedeutung von Hus erkannte, fügte er sich seinen Ratschlägen. Durch ihre gemeinsame Arbeit breitete sich die Reformbewegung schneller aus. DGK.85.1 Teilen

Gott erleuchtete den Verstand dieser auserwählten Männer und offenbarte ihnen viele Irrtümer Roms, doch sie erhielten nicht alles Licht, das der Welt gegeben werden sollte. Durch diese Diener Gottes führte er seine Kinder aus der Finsternis der römischen Kirche. Weil es jedoch viele und große Hindernisse zu überwinden gab, führte er sie Schritt für Schritt, wie sie es bewältigen konnten. Sie waren nicht vorbereitet, alles Licht auf einmal zu empfangen. Wie der volle Glanz der Mittagssonne solche, die lange im Dunkeln waren, blendet, so würden sie sich auch von diesem Licht abgewandt haben, falls es ihnen schon in Fülle gestrahlt hätte. Deshalb offenbarte Gott es den Führern nach und nach, wie das Volk das Licht aufzunehmen in der Lage war. Von Jahrhundert zu Jahrhundert sollten immer wieder andere treue Verkündiger des Evangeliums folgen, um die Menschen auf dem Pfad der geistlichen Erneuerung weiterzuführen. DGK.85.2 Teilen

Die Spaltung in der Kirche hielt weiter an. (Siehe Anmerkung 21) Drei Päpste stritten um die Oberherrschaft, und ihre Kämpfe erfüllten die Christenheit mit Verbrechen und Aufruhr. Nicht damit zufrieden, ihre Bannstrahlen zu schleudern, griffen sie auch zu weltlichen Mitteln. Jeder versuchte, Waffen zu kaufen und Söldner anzuwerben. Natürlich musste Geld herbeigeschafft werden. Und um das zu erreichen, wurden alle Gaben, Ämter und Segnungen der Kirche zum Verkauf angeboten. (Siehe Anmerkung 22) Genauso nahmen die Priester, die dem Beispiel ihrer Vorgesetzten folgten, ihre Zuflucht zur Simonie und zum Krieg, um ihre Rivalen zu demütigen und die eigene Macht zu stärken. Mit täglich wachsender Kühnheit donnerte Hus gegen die Gräuel, die im Namen der Religion geduldet wurden, und das Volk klagte öffentlich die römischen Leiter als Ursache des Elends an, das die Christenheit überflutete. DGK.85.3 Teilen

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Wiederum schien Prag an der Schwelle eines blutigen Kampfes zu stehen. Wie schon in früherer Zeit wurde der Diener Gottes angeklagt, derjenige zu sein, „der Israel verwirrt“. 1.Könige 18,17. Die Stadt wurde erneut in den Bann getan, und Hus zog sich in seine heimatliche Umgebung zurück. Die Zeit, da er in seiner geliebten Bethlehemskapelle so treu Zeugnis abgelegt hatte, war zu Ende. Er sollte von einer größeren Bühne herab zur ganzen Christenheit reden, ehe er sein Leben als Zeuge für die Wahrheit dahingab. DGK.86.1 Teilen

Um die Missstände, die Europa zerrütteten zu beseitigen, wurde ein allgemeines Konzil nach Konstanz einberufen. Das Konzil kam durch die beharrlichen Bemühungen Sigismunds zustande, der einen der drei Gegenpäpste, Johann XXIII. [in der offiziellen Papstchronologie nicht aufgeführt], dazu drängte. Diese Aufforderung war Papst Johann zwar unwillkommen, denn sein Charakter und seine Absichten konnten eine Untersuchung schlecht ertragen, nicht einmal von solchen Prälaten, die in ihren Sitten ebenso locker waren wie die Geistlichkeit jener Zeit allgemein. Er wagte es jedoch nicht, sich dem Willen Sigismunds zu widersetzen. (Siehe Anmerkung 23) DGK.86.2 Teilen

Das Hauptanliegen dieses Konzils war die Beseitigung der Kirchenspaltung und die Ausrottung der Ketzerei. Es wurden deshalb die beiden Gegenpäpste sowie der Hauptvertreter der neuen Ansichten, Jan Hus, aufgefordert, vor ihm zu erscheinen. Jene erschienen aus Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit nicht persönlich, sondern ließen sich durch ihre Gesandten vertreten. Papst Johann, vordergründig der Einberufer des Konzils, erschien selbst nur sehr besorgt, denn er vermutete, der Kaiser habe die heimliche Absicht, ihn abzusetzen, und er fürchtete, für die Laster, die die päpstliche Krone entwürdigt, und für die Verbrechen, die ihn auf den Thron gehoben hatten, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Doch kam er nach Konstanz mit großem Gepränge, umgeben von Geistlichen höchsten Ranges und gefolgt von einem Zug von Dienern. Der ganze Klerus und die Würdenträger der Stadt kamen heraus und eine riesige Menschenmenge, um ihn willkommen zu heißen. Über seinem Haupt schwebte ein goldener Baldachin, getragen von vier höchsten Beamten. Vor ihm her trug man die Hostie. Die reichen Gewänder der Kardinäle und des Adels ergaben ein eindrucksvolles Bild. DGK.86.3 Teilen

In dieser Zeit näherte sich ein anderer Reisender Konstanz. Hus war sich der Gefahren, die ihm drohten, bewusst. Er schied von seinen Freunden, als käme er nie wieder mit ihnen zusammen, und machte sich mit dem Gefühl auf den Weg, dass dieser ihn zum Scheiterhaufen führen werde. Obwohl er ein Sicherheitsgeleit vom König Böhmens erhalten hatte und ihm auf der Reise noch ein Geleitbrief von Kaiser Sigismund zugestellt wurde, traf er doch alle Vorbereitungen im Hinblick auf seinen wahrscheinlichen Tod. DGK.86.4 Teilen

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In einem an seine Freunde in Prag gerichteten Brief schrieb er: „Ich hoffe auf Gott, meinen allmächtigen Heiland, dass er seiner Verheißung wegen und wegen eures heißen Gebets mir Weisheit verleihen wird und eine geschickte Zunge, so dass ich ihnen zu widerstehen vermögen werde. Er wird mir auch verleihen ein Gemüt, zu verachten die Versuchungen, den Kerker, den Tod; wie wir sehen, dass Christus selbst gelitten hat um seiner Auserwählten willen, indem er uns ein Beispiel gab, für ihn und unser Heil alles zu erdulden. Gewiss kann nicht umkommen, wer an ihn glaubt und in seiner Wahrheit verharrt ... Wenn mein Tod seinen Ruhm verherrlichen kann, so möge er ihn beschleunigen und mir die Gnade geben, alles Übel, welches es auch sei, guten Muts ertragen zu können. Wenn es aber für mein Heil besser ist, dass ich zu euch zurückkehre, so wollen wir Gott darum bitten, dass ich ohne Unrecht vom Konzil wieder zu euch komme; das heißt ohne Beeinträchtigung seiner Wahrheit, so dass wir dieselbe nachher reiner erkennen können, die Lehre des Antichrist vertilgen und unseren Brüdern ein gutes Beispiel zurücklassen ... Vielleicht werdet ihr mich in Prag nicht wiedersehen; wenn aber Gott nach seiner Gnade mich euch wiederschenken will, so werden wir mit desto freudigerem Gemüt in dem Gesetz des Herrn fortschreiten.“ „Kirchengesch.“,6.Per.,2.Abschn.,2.Teil,§49 DGK.87.1 Teilen

In einem andern Brief an einen Priester, der ein Jünger des Evangeliums geworden war, sprach Hus mit tiefer Demut von seinen Fehlern und klagte sich an, mit Genugtuung reiche Gewänder getragen und Stunden mit wertlosen Dingen vergeudet zu haben. Er fügte folgende zu Herzen gehende Ermahnung hinzu: „Möge die Herrlichkeit Gottes und das Heil von Seelen dein Gemüt in Anspruch nehmen und nicht der Besitz von Unterhalt und Vermögen. Hüte dich, dein Haus mehr zu schmücken als deine Seele, und verwende deine größte Sorgfalt auf das geistliche Gebäude. Sei liebevoll und demütig den Armen gegenüber und verschwende deine Habe nicht durch Festgelage. Solltest du dein Leben nicht bessern und dich des Überflüssigen enthalten, so fürchte ich, wirst du hart gezüchtigt werden, wie ich selbst es bin ... DGK.87.2 Teilen

Du kennst meine Lehre, denn du hast meine Unterweisungen von deiner Kindheit an empfangen, deshalb ist es nicht nötig, dir weiter zu schreiben. Aber ich ermahne dich bei der Gnade unseres Herrn, mich nicht in irgendeiner der Eitelkeiten nachzuahmen, in welche du mich hast fallen gesehen.“ Auf dem Umschlag des Briefes fügte er bei: „Ich beschwöre dich, mein Freund, diese Siegel nicht zu brechen, bis du die Gewissheit erlangt hast, dass ich tot bin.“ Bonnechose, „Les reformateurs avant la reforme du XVI. siecle“, 1.Buch, S. 163,164 Auf seiner Reise sah Hus überall Anzeichen der Verbreitung seiner Lehren und die Unterstützung für seine Sache. Die Menschen kamen zusammen, um ihn zu begrüßen, und in einigen Städten begleitete ihn der Magistrat durch die Straßen. Nach seiner Ankunft in Konstanz konnte sich Hus zuerst völlig frei bewegen. Dem Sicherheitsgeleit des Kaisers fügte man noch eine Versicherung des päpstlichen Schutzes hinzu. Trotz dieser feierlichen und wiederholten Erklärungen wurde der Reformator bald danach mit Zustimmung des Papstes und der Kardinäle verhaftet und in einem ekelerregenden Verlies festgehalten. Später brachte man ihn zu der stark befestigten Burg Gottlieben jenseits des Rheins und hielt ihn dort gefangen. Dem Papst aber nützte sein Treuebruch nichts, denn er war bald danach auf derselben Burg eingekerkert. (Bonnechose, ebd., S. 269) Er wurde von dem Konzil der gemeinsten Verbrechen schuldig gesprochen: Mord, Simonie, Unzucht und „anderer Sünden, die nicht passend sind, genannt zu werden“, wie das Konzil selbst erklärte. Die Krone wurde ihm genommen und er ins Gefängnis geworfen. Hefele, „Konziliengeschichte“, Bd. VII, S. 139-141 Die Gegenpäpste setzte man ebenfalls ab; dann wählten die Versammelten einen neuen Papst. DGK.87.3 Teilen

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Dem Papst selbst wurden größere Verbrechen zur Last gelegt, als Hus je den Priestern nachgewiesen und abzustellen verlangt hatte. Doch dasselbe Konzil, das den Papst abgesetzt hatte, beschloss die Vernichtung des Reformators. Die Gefangennahme von Hus rief große Entrüstung in Böhmen hervor. DGK.88.1 Teilen

Mächtige Adlige protestierten gegen diese Schmach. v. Höfler, „Die Geschichtsschreiber der hussitischen Bewegung“, S. 179f. Der Kaiser, der die Verletzung seines Sicherheitsgeleites ungern zugab, widersetzte sich dem Vorgehen gegen Hus. Palacky, „Geschichte Böhmens“, Bd. VI, S. 327f. Die Feinde des Reformators waren aber gehässig und fest entschlossen, ihren Plan auszuführen. Sie nutzten des Kaisers Vorurteile, seine Ängstlichkeit und seinen Eifer für die Kirche aus. Sie brachten weitschweifige Beweise vor, um zu erklären, dass man nicht daran gebunden ist, „Ketzern und Leuten, die unter dem Verdacht der Ketzerei stünden, Wort zu halten, selbst wenn sie auch mit Sicherheitsgeleit von Kaiser und König versehen seien“. Lenfant, „Histoire du concile de Constance“, Bd. I, S. 516; Ranke, „Weltgeschichte“, Bd. XIII, S. 131,132; Oncken, „Allgemeine Geschichte“, dort; Prutz, „Staatengeschichte des Abendlandes im Mittelalter“, Bd. II, S. 377,378 Auf diese Weise setzten sie ihren Willen durch. Geschwächt durch Krankheit und Gefangenschaft, wurde Hus endlich vor das Konzil geführt. Die feuchte, verdorbene Luft seines Kerkers verursachte Fieber, das sein Leben ernstlich bedrohte. Mit Ketten gebunden stand er vor dem Kaiser, der seine Ehre und sein Wort verpfändet hatte, ihn zu beschützen. (Siehe Anmerkung 24) Während seines langen Verhörs vertrat er standhaft die Wahrheit und schilderte vor den versammelten Würdenträgern der Kirche und des Reiches ernst und gewissenhaft die Missstände der Priesterherrschaft. Als man ihn wählen ließ, seine Lehren zu widerrufen oder zu sterben, zog er das Schicksal des Märtyrers vor. DGK.88.2 Teilen

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Gottes Gnade hielt ihn aufrecht. Während der Leidenswochen, die seiner endgültigen Verurteilung vorausgingen, erfüllte ihn der Friede des Himmels. In einem Abschiedsbrief an einen Freund schrieb er: „Ich schrieb diesen Brief im Kerker und in Ketten, mein Todesurteil morgen erwartend ... Was der gnädige Gott an mir bewirkt und wie er mir beisteht in wunderlichen Versuchungen, werdet ihr erst dann ersehen, wenn wir uns bei unserem Herrn Gott durch dessen Gnade in Freuden wiederfinden.“ DGK.89.1 Teilen

In der Dunkelheit seines Kerkers sah er den Sieg des wahren Glaubens voraus. In seinen Träumen wurde er in die Bethlehemskapelle zu Prag zurückversetzt, wo er das Evangelium gepredigt hatte, und er sah, wie der Papst und seine Bischöfe die Bilder Jesu Christi, die er an die Wände der Kirche hatte malen lassen, auslöschten. Dies Traumbild betrübte ihn, aber „am andern Tage stand er auf und sah viele Maler, welche noch mehr Bilder und schönere entworfen hatten, die er mit Freuden anblickte. Und die Maler sprachen, umgeben von vielem Volk: ‚Mögen die Bischöfe und Priester kommen und diese Bilder zerstören!‘“ Der Reformator setzte hinzu: „So hoffe ich doch, dass das Leben Christi, das in Bethlehem durch mein Wort in den Gemütern der Menschen abgebildet worden .... durch eine größere Anzahl von besseren Predigern, als ich bin, besser wird abgebildet werden, zur Freude des Volkes, welches das Leben Christi liebt.“ Neander, „Kirchengeschichte“, 6.Per. 2.Abschnitt, 2.Teil, §73 DGK.89.2 Teilen

Zum letzten Mal wurde Hus vor das Konzil gestellt. Es war eine große und pompöse Versammlung — der Kaiser, Reichsfürsten, königliche Abgeordnete, Kardinäle, Bischöfe, Priester und eine große Volksmenge, die als Zuschauer am Ereignis teilnahmen. Aus allen Teilen der Christenheit waren Zeugen dieses ersten großen Opfers in dem lange währenden Kampf versammelt, durch den die Gewissensfreiheit gesichert werden sollte. DGK.89.3 Teilen

Als Hus zu einer letzten Aussage aufgefordert wurde, weigerte er sich beharrlich, abzuschwören, und seinen durchdringenden Blick auf den Fürsten richtend, dessen verpfändetes Wort so dreist verletzt worden war, erklärte er: „Ich bin aus eigenem und freien Entschluss vor dem Konzil erschienen, unter dem öffentlichen Schutz und dem Ehrenwort des hier anwesenden Kaisers.“ Bonnechose, ebd., 2.Buch, S. 84; Palacky, „Geschichte Böhmens“, Bd. VI, S. 364 DGK.89.4 Teilen

Tiefe Röte stand im Gesicht Sigismunds, als sich die Augen der ganzen Versammlung auf ihn richteten. Das Urteil wurde gefällt, und die Zeremonie der Amtsenthebung begann. Die Bischöfe kleideten ihren Gefangenen in das priesterliche Gewand. Als er es anlegte, sagte er: „Unser Herr Jesus Christus wurde zum Zeichen der Schmähung mit einem weißen Mantel bedeckt, als Herodes ihn vor Pilatus bringen ließ.“ Bonnechose, ebd., 3.Buch, S. 95.96 Abermals zum Widerruf ermahnt, sprach er zum Volk: „Mit welchem Auge könnte ich den Himmel anblicken, mit welcher Stirn könnte ich auf diese Menschenmenge sehen, der ich das reine Evangelium gepredigt habe? Nein, ich erachte ihre Seligkeit höher als diesen armseligen Leib, der nun zum Tode bestimmt ist.“ Dann wurden ihm die Teile des Priesterornats nacheinander abgenommen. Während dieser Handlung sprach jeder Bischof einen Fluch über ihn aus. Schließlich „wurde ihm eine hohe Papiermütze aufgesetzt, mit Teufeln bemalt, welche vorn die auffällige Inschrift trug: ‚Haeresiarcha‘ [Erzketzer]. ‚Mit größter Freude‘ sagte Hus ‚will ich diese Krone der Schmach um deinetwillen tragen, o Jesus, der du für mich die Dornenkrone getragen hast.‘“ Als er so zurechtgemacht war, sprachen die Prälaten: „Nun übergeben wir deine Seele dem Teufel.“ „Aber ich“, sprach Hus, seine Augen zum Himmel erhoben, „befehle meinen Geist in deine Hände, o Herr Jesus, denn du hast mich erlöst.“ Dann wurde er der weltlichen Obrigkeit übergeben und zum Richtplatz geführt. Ein riesiger Zug folgte nach, Hunderte von Bewaffneten, Priestern und Bischöfen in ihren kostbaren Gewändern und die Einwohner von Konstanz. Als er gebunden am Pfahl stand und alles zum Anzünden des Feuers bereit war, wurde er nochmals ermahnt, sich durch Widerruf seiner Irrtümer zu retten. „Welche Irrtümer“, sagte Hus, „sollte ich widerrufen, da ich mir keines Irrtums bewusst bin? Ich rufe Gott zum Zeugen an, dass ich das, was falsche Zeugen gegen mich behaupteten, weder gelehrt noch gepredigt habe! Ich wollte die Menschen von ihren Sünden abbringen! Was immer ich sagte und schrieb, war stets für die Wahrheit; deshalb stehe ich bereit, die Wahrheit, welche ich geschrieben und gepredigt habe, freudigst mit meinem Blut zu besiegeln.“ Wylie, „History of Protestantism“, 3.Buch, Kapitel 7; Nigg, „Geschichte der Ketzer“ Als das Feuer ihn umflammte, begann Hus laut zu singen: „Christe, du Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner!“ Neander, „Kirchengeschichte“, 6.Per., 2.Abschnitt, 2.Teil, § 69; Hefele, „Konziliengeschichte“, Bd. VI, S. 209 f Er sang so lange, bis seine Stimme für immer verstummte. DGK.89.5 Teilen

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Selbst seine Feinde bewunderten seine heldenhafte Haltung. Ein päpstlicher Schriftsteller, der den Märtyrertod von Hus und Hieronymus, der ein Jahr darauf starb, beschreibt, sagt: „Beide ertrugen den gewaltsamen Tod mit standhaftem Gemüt und bereiteten sich auf das Feuer vor, als ob sie zu einem Hochzeitsfest geladen wären. Sie gaben keinen Schmerzenslaut von sich. Als die Flammen emporschlugen, fingen sie an, Loblieder zu singen, und kaum vermochte die Heftigkeit des Feuers ihrem Gesang Einhalt zu gebieten.“ Aeneas Sylvius, „Hit. Bohem.“ Als der Körper von Hus völlig verbrannt war, wurde seine Asche samt der Erde, auf der sie lag, gesammelt, in den Rhein geworfen und auf diese Weise ins Meer geleitet. Seine Verfolger bildeten sich törichterweise ein, sie hätten die von ihm verkündeten Wahrheiten ausgerottet. Nur schwer erahnten sie, dass die Asche, die an jenem Tag dem Meer zuströmte, dem Samen gleichen sollte, der über alle Länder der Erde ausgestreut wird, und dass er in noch unbekannten Ländern eine reiche Ernte an Zeugen für die Wahrheit hervorbringen würde. Durch die Stimme, die im Konziliumssaal zu Konstanz gesprochen hatte, war ein Widerhall entstanden, der durch alle künftigen Zeitalter fortgepflanzt werden sollte. Hus war nicht mehr, aber die Wahrheit, für die er gestorben war, konnte nicht untergehen. Sein Beispiel des Glaubens und der Standhaftigkeit würde viele ermutigen, trotz Qual und Tod entschieden für die Wahrheit einzustehen. Seine Verbrennung hatte der ganzen Welt die hinterlistige Grausamkeit Roms offenbart. Unbewusst hatten die Feinde der Wahrheit die Sache gefördert, die sie zu vernichten gedachten. DGK.90.1 Teilen

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Noch ein zweiter Scheiterhaufen sollte in Konstanz aufgerichtet werden. Das Blut eines andern Märtyrers sollte für die Wahrheit zeugen. Als Hus sich vor seiner Abreise zum Konzil von Hieronymus verabschiedete, wurde er von diesem zu Mut und Standhaftigkeit ermahnt. Hieronymus erklärte Hus, er werde zu seinem Beistand herbeieilen, falls er in irgendeine Gefahr gerate. Als er von der Einkerkerung des Reformators hörte, bereitete sich der treue Freund sofort vor, sein Versprechen einzulösen. Ohne Sicherheitsgeleit machte er sich mit einem einzigen Gefährten auf den Weg nach Konstanz. Nach seiner Ankunft musste er sich überzeugen lassen, dass er sich nur in Gefahr begeben hatte, ohne etwas für die Befreiung von Hus tun zu können. Er floh aus der Stadt, wurde aber auf der Heimreise verhaftet, in Ketten gelegt und von Soldaten bewacht zurückgebracht. Beim ersten Erscheinen vor dem Konzil wurden seine Versuche, auf die gegen ihn vorgebrachten Anklagen zu antworten, mit dem Ruf erwidert: „In die Flammen mit ihm, in die Flammen!“ Bonnechose, ebd., 2.. Buch, S. 256 Man warf ihn in ein Verlies, kettete ihn in einer Lage an, die ihm große Schmerzen verursachte, und gab ihm nur Wasser und Brot. Nach einigen Monaten erkrankte Hieronymus unter den Grausamkeiten seiner Gefangenschaft lebensgefährlich, und da seine Feinde befürchteten, er könnte seiner Strafe entrinnen, behandelten sie ihn weniger hart; dennoch brachte er insgesamt ein Jahr im Gefängnis zu. DGK.91.1 Teilen

Der Tod von Hus hatte nicht die Wirkung gehabt, die Rom erhoffte. Die Verletzung des Sicherheitsgeleites hatte einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen, und um sicher zu gehen, beschloss das Konzil, Hieronymus nicht zu verbrennen, sondern ihn, wenn möglich, zum Widerruf zu zwingen. Bonnechose, ebd., 3.Buch, S. 156; Palacky, „Geschichte Böhmens“, Bd. VI, S. 312 Man brachte ihn vor die Versammlung und ließ ihn wählen, entweder zu widerrufen oder auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Am Anfang seiner Kerkerhaft wäre der Tod für ihn eine Wohltat gewesen im Vergleich mit den schrecklichen Leiden, die er ausgestanden hatte, aber jetzt — geschwächt durch Krankheit, durch die strenge Haft und die Qualen der Angst und Ungewissheit, getrennt von seinen Freunden und entmutigt durch den Tod seines Glaubensfreundes Hus — ließ seine Standhaftigkeit nach, und er willigte ein, sich dem Konzil zu unterwerfen. Er verpflichtete sich, am katholischen Glauben festzuhalten, und stimmte dem Konzil in der Verdammung der Lehren von Wiklif und Hus zu, ausgenommen die „heiligen Wahrheiten“, die sie gelehrt hatten. Vrie, „Hist. Conc. Const.“, Bd. 1,S. 173-175; Hefele, „Konziliengeschichte“, Bd. VII, S. 235; Schröckh, „Christliche Kirchengeschichte“, XXXIV, S. 662 ff DGK.91.2 Teilen

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Durch diesen Ausweg versuchte Hieronymus, die Stimme seines Gewissens zu beruhigen und seinem Schicksal zu entrinnen. Doch in der Einsamkeit seines Gefängnisses sah er klarer, was er getan hatte. Er dachte an den Mut und die Treue seines Freundes und bewertete dagegen sein eigenes Verleugnen der Wahrheit. Er dachte an seinen göttlichen Meister, dem zu dienen er sich verpflichtet hatte und der um seinetwillen ans Kreuz gegangen war. Vor seinem Widerruf hatte er in all seinen Leiden in der Gewissheit der Gnade Gottes Trost gefunden; jetzt aber quälten ihn Reue und Zweifel. Er wusste, dass er sich nur durch weitere Widerrufe mit Rom versöhnen konnte. Der Pfad, den er jetzt betrat, würde zum völligen Abfall führen. Sein Entschluss war daher gefasst: Er wollte seinen Herrn nicht verleugnen, um einer kurzen Leidenszeit zu entrinnen. Hieronymus wurde erneut vor das Konzil gestellt. Seine Unterwerfung hatte seine Richter nicht zufriedengestellt. Durch den Tod von Hus angeregt, verlangten sie weitere Opfer. Nur durch eine bedingungslose Absage an die Wahrheit konnte Hieronymus sein Leben erhalten. Aber er hatte sich nun fest entschlossen, seinen Glauben zu bekennen und seinem Leidensbruder unbeirrt auf den Scheiterhaufen zu folgen. DGK.92.1 Teilen

Er nahm seinen Widerruf zurück und verlangte als ein dem Tod Verfallener feierlich eine Gelegenheit, sich zu verteidigen. Die Folgen seiner Worte fürchtend, bestanden die Kirchenfürsten darauf, dass er einfach die Wahrheit der gegen ihn erhobenen Anklagen bestätigen oder ableugnen solle. Hieronymus erhob Einwände gegen solche Grausamkeit und Ungerechtigkeit: „Ganze 340 Tage habt ihr mich in dem schwersten, schrecklichsten Gefängnis, da nichts als Unflat, Gestank, Kot und Fußfesseln neben höchstem Mangel aller notwendigsten Dinge, gehalten. Meinen Feinden gewährt ihr gnädige Audienz, mich aber wollt ihr nicht eine Stunde hören ... Ihr werdet Lichter der Welt und verständige Männer genannt, so sehet zu, dass ihr nichts unbedachtsam wider die Gerechtigkeit tut. Ich bin zwar nur ein armer Mensch, welches Haut es gilt. Ich sage auch dies nicht, der ich sterblich bin, meinetwegen. Das verdrießt mich, dass ihr als weise, verständige Männer wider alle Billigkeit ein Urteil fällt.“ Theobald, „Hussitenkrieg“, S. 158 DGK.92.2 Teilen

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Sein Gesuch wurde ihm schließlich gewährt. In Gegenwart seiner Richter kniete Hieronymus nieder und betete, der göttliche Geist möge seine Gedanken und Worte leiten, damit er nichts spreche, was gegen die Wahrheit oder seines Meisters unwürdig sei. An ihm erfüllte sich an jenem Tag die den ersten Jüngern gegebene Verheißung Gottes: „Und man wird euch vor Fürsten und Könige führen um meinetwillen ... Wenn sie euch nun überantworten werden, so sorgt nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet.“ Matthäus 10,18-20. DGK.93.1 Teilen

Die Worte von Hieronymus erstaunten selbst seine Feinde und riefen Bewunderung hervor. Ein ganzes Jahr hatte er in großen körperlichen Leiden und in Seelenangst hinter Kerkermauern gesessen, ohne die Möglichkeit, zu lesen oder etwas zu sehen. Doch er trug seine Beweise so klar und machtvoll vor, als hätte er ungestört Gelegenheit zum Studium gehabt. Er verwies seine Zuhörer auf die lange Reihe vortrefflicher Menschen, die von ungerechten Richtern verurteilt worden waren. In fast jeder Generation habe es Menschen gegeben, die das Volk ihrer Zeit versuchten zu bessern, aber sie wurden mit Vorwürfen überhäuft und ausgestoßen. Erst später habe sich herausgestellt, dass sie aller Ehren würdig waren. Christus selbst sei von einem ungerechten Gericht als Übeltäter verdammt worden. DGK.93.2 Teilen

Hieronymus hatte bei seinem Widerruf der Rechtmäßigkeit des Urteils zugestimmt, das Hus verdammt hatte; nun bereute er seine Handlungsweise und zeugte von der Unschuld und Heiligkeit des Märtyrers. „Ich kannte ihn von seiner Kindheit an“, sagte er, „er war ein außerordentlich begabter Mann, gerecht und heilig; er wurde trotz seiner Unschuld verurteilt ... Ich bin ebenfalls bereit zu sterben. Ich schrecke nicht zurück vor den Qualen, die mir von meinen Feinden und falschen Zeugen bereitet werden, welche eines Tages vor dem großen Gott, den nichts täuschen kann, für ihre Verleumdungen Rechenschaft ablegen müssen.“ Bonnechose, ebd., 2.Buch, S. 151 DGK.93.3 Teilen

Sich selbst wegen seiner Verleugnung der Wahrheit anklagend, fuhr Hieronymus fort: „Überdem nagt und plagt mich keine Sünde, die ich von Jugend an getan habe, so hart, als die an diesem pestilenzischen Ort begangene, da ich dem unbilligen Urteil, so über Wiklif und den heiligen Märtyrer Hus, meinen getreuen Lehrer, verhängt wurde, beistimmte und aus Zagheit und Todesfurcht sie verfluchte. Deshalb ich an derselben Stelle dagegen durch Hilfe, Trost und Beistand Gottes und des Heiligen Geistes frei öffentlich mit Herz und Mund und Stimme bekenne, dass ich meinen Feinden zu Gefallen sehr viel Übels getan habe. Ich bitte Gott, mir solches aus Gnaden zu verzeihen und aller meiner Missetaten, worunter diese die größte ist, nicht zu gedenken.“ Theobald, „Hussitenkrieg“, S. 162; Vrie, „Hist. Conc. Const.“, S. 183 DGK.93.4 Teilen

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Dann wandte sich Hieronymus an seine Richter mit den mutigen Worten: „Ihr habt Wiklif und Hus verdammt, nicht etwa, weil sie an den Lehren der Kirche gerüttelt, sondern weil sie die Schandtaten der Geistlichkeit, ihren Aufwand, Hochmut und ihre Laster gebrandmarkt hatten. Ihre Behauptungen sind unwiderlegbar, auch ich halte daran fest, gleichwie sie.“ DGK.94.1 Teilen

Die von Wut erfüllten geistlichen Würdenträger unterbrachen ihn mit den Worten: „Was bedarf es weiteren Beweises? Wir sehen mit unseren eigenen Augen den halsstarrigsten Ketzer!“ DGK.94.2 Teilen

Von ihrer Aufregung unberührt, rief Hieronymus aus: „Was! Meint ihr, ich fürchte mich, zu sterben? Ihr habt mich ein ganzes Jahr in einem fürchterlichen Verlies gehalten, schrecklicher als der Tod selbst. Ihr habt mich grausamer behandelt als einen Türken, Juden oder Heiden. Mein Fleisch ist mir buchstäblich auf meinen Knochen bei lebendigem Leibe verfault, und dennoch erhebe ich keine Anklage, denn Klagen ziemen sich nicht für einen Mann von Herz und Mut; ich wundere mich nur über so unmenschliche, will nicht sagen, unchristliche Grausamkeit.“ Bonnechose, ebd., 3.Buch, S.168,169 DGK.94.3 Teilen

Erneut kam es zu wütender Entrüstung, und Hieronymus musste wieder ins Gefängnis. Doch waren unter den Zuhörern etliche, auf die seine Worte tiefen Eindruck gemacht hatten und die sein Leben retten wollten. Hohe Würdenträger kamen zu ihm ins Gefängnis und bedrängten ihn, sich dem Konzil zu unterwerfen. Die großartigsten Aussichten wurden ihm vor Augen gestellt, wenn er seinen Widerstand gegen Rom aufgäbe. DGK.94.4 Teilen

Aber wie sein Meister, als ihm die Herrlichkeit der Welt angeboten wurde, blieb Hieronymus standhaft und antwortete: „Kann ich aus der Heiligen Schrift überführt werden, will ich von Herzen um Vergebung bitten; wo nicht, will ich nicht weichen, auch nicht einen Schritt.“ Darauf sagte einer der Versucher: „Muss alles aus der Schrift beurteilt werden? Wer kann sie verstehen? Muss man nicht die Kirchenväter zu ihrer Auslegung heranziehen?“ DGK.94.5 Teilen

Hieronymus erwiderte: „Was höre ich da? Soll das Wort falsch sein oder urteilen? Soll es nicht allein gehört werden? Sollen die Menschen mehr gelten als das heilige Wort Gottes? ... Warum hat Paulus seine Bischöfe nicht ermahnt, die Ältesten anzuhören, sondern gesagt, die Heilige Schrift kann dich unterweisen? Nein, das nehme ich nicht an, es koste mein Leben. Gott kann es wiedergeben.“ Da sah ihn der Fragende an und sagte mit scharfer Stimme: „Du Ketzer; es reut mich, dass ich so viel deinetwegen getan habe. Ich sehe wohl, dass der Teufel dich regiert.“ Theobald, „Hussitenkrieg“, S. 162164 Bald darauf fällte man das Todesurteil über ihn. Er wurde an denselben Ort geführt, an dem Hus den Flammentod gestorben war. Singend ging er seinen Weg und auf seinem Angesicht leuchteten Freude und Frieden. Sein Blick war auf Christus gerichtet, und der Tod hatte für ihn seine Schrecken verloren. Als der Henker im Begriff war, hinter seinem Rücken den Holzstoß anzuzünden, rief der Märtyrer aus: „Komm mutig nach vorn und zünde ihn vor meinen Augen an. Wenn ich mich gefürchtet hätte, wäre ich nicht hier.“ DGK.94.6 Teilen

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Die letzten Worte, die er sprach, als die Flammen um ihn herum schon emporschlugen, waren ein Gebet: „Herr, allmächtiger Vater, erbarme dich mein und vergib mir meine Sünde; denn du weißt, dass ich deine Wahrheit allezeit geliebt habe.“ Bonnechose, ebd., 3.Buch, S. 185,186 Seine Stimme verstummte; aber seine Lippen bewegten sich weiter im Gebet. Als das Feuer erloschen war, wurde die Asche des Märtyrers samt der Erde, auf der sie lag, aufgenommen und wie die Asche des Hus in den Rhein geworfen. Theobald, „Hussitenkrieg“, S. 168 DGK.95.1 Teilen

So starben Gottes treue Lichtträger. Das Licht der Wahrheiten aber, die sie verkündet hatten, das Licht des heldenhaften Beispiels, konnte nicht ausgelöscht werden. Die Menschen hätten ebenso gut versuchen können, die Sonne in ihrem Lauf zurückzuhalten, wie die Dämmerung jenes Tages zu verhindern, die damals gerade über die Welt hereinzubrechen begann. DGK.95.2 Teilen

Die Hinrichtung von Hus hatte in Böhmen eine Flamme der Entrüstung und des Schreckens angefacht. Die ganze Nation spürte, dass er der Boshaftigkeit der Priester und der Treulosigkeit des Kaisers zum Opfer gefallen war. Man sagte, er sei ein treuer Lehrer der Wahrheit gewesen, und klagte das Konzil des Mordes an, das ihn zum Tod verurteilt hatte. Seine Lehren wurden noch mehr beachtet als je zuvor. Wiklifs Schriften waren durch päpstliche Erlasse verbrannt worden, doch alle, die der Vernichtung entgangen waren, wurden nun aus ihren Verstecken hervorgeholt und in Verbindung mit der Bibel oder Teilen der Bibel studiert, welche die Menschen sich besorgen konnten. Viele fühlten sich dadurch gedrängt, den reformierten Glauben anzunehmen und ihn auszuleben. Die Mörder von Hus schauten dem Sieg seiner Sache keineswegs tatenlos zu. Papst und Kaiser vereinten sich, um der Bewegung ein Ende zu machen, und Sigismunds Heere stürzten sich auf Böhmen. Aber es stand in Böhmen ein Befreier auf. Ziska, der kurz nach Beginn des Krieges völlig sein Augenlicht verlor, aber dennoch einer der tüchtigsten Feldherren seines Zeitalters war, führte die Böhmen an. Auf die Hilfe Gottes und die Gerechtigkeit seiner Sache vertrauend, widerstand dieses Volk den mächtigsten Heeren, die ihm gegenübergestellt werden konnten. Wiederholt schob der Kaiser neue Armeen nach und drang in Böhmen ein, um erneut empfindlich zurückgeschlagen zu werden. Die Hussiten kannten keine Todesfurcht, und nichts konnte ihnen standhalten. Wenige Jahre nach Kriegsbeginn starb der tapfere Ziska. Seine Stelle nahm Prokop der Große ein, ebenso mutig und geschickt, ja in mancher Beziehung ein noch fähigerer Anführer. DGK.95.3 Teilen

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Als der blinde Krieger tot war, betrachteten die Feinde der Böhmen die Gelegenheit für günstig, alles, was sie verloren hatten, wiederzugewinnen. Der Papst kündigte einen Kreuzzug gegen die Hussiten an; wiederum kämpfte eine riesige Streitmacht gegen Böhmen, und erneut wurde sie vernichtend geschlagen. Ein neuer Kreuzzug wurde angekündigt. In allen katholischen Ländern Europas wurden Männer zusammengerufen, sowie Geld und Waffen gesammelt. Große Scharen strömten unter der päpstlichen Fahne zusammen im Vertrauen darauf, dass den hussitischen Ketzern endlich ein Ende gemacht werde. Siegesgewiss drang das riesige Heer in Böhmen ein. Das Volk sammelte sich, um es zurückzuschlagen. Die beiden Heere marschierten aufeinander zu, bis nur noch ein Fluss zwischen ihnen lag. Die Kreuzfahrer waren an Zahl weit überlegen; doch anstatt kühn über den Fluss zu setzen und die Hussiten anzugreifen, wozu sie doch von so weit her gekommen waren, standen sie schweigend und blickten auf die Krieger. Die Scharen des Kaisers überkam plötzlich ein seltsamer Schrecken. Fast ohne Gegenwehr wich das kaiserliche Heer vor den anmarschierenden Hussiten zurück, löste sich schließlich auf und zerstreute sich, verjagt von der furchtgebietenden Streitmacht der Hussiten. Sehr viele wurden vom hussitischen Heer erschlagen, das die Flüchtlinge verfolgte, und ungeheure Beute fiel in die Hände der Sieger, so dass der Krieg, statt die Böhmen arm zu machen, sie bereicherte. Wylie, „History of Protestantism“, 3.Buch, Kapitel 17; Oncken, „Allgemeine Geschichte“, dort: Prutz, „Staatengeschichte des Abendlandes im Mittelalter“, Bd. II, S. 397-408 Wenige Jahre später wurde unter einem neuen Papst erneut ein Kreuzzug unternommen. Auch diesmal schaffte man aus allen päpstlichen Ländern Europas Kämpfer und Mittel herbei. Große Vorteile und völlige Vergebung der abscheulichsten Sünden wurden denen in Aussicht gestellt, die sich an diesem gefährlichen Unternehmen beteiligen würden. Allen, die im Krieg umkämen, verhieß man eine reiche Belohnung im Himmel, und die Überlebenden sollten auf dem Schlachtfeld Ehre und Reichtum ernten. Ein großes Heer wurde zusammengestellt. Sie überschritten die Grenze zu Böhmen. Die hussitischen Streitkräfte zogen sich bei seinem Herannahen zurück, lockten die Eindringlinge immer tiefer ins Land und verleiteten sie dadurch zur Annahme, den Sieg bereits in der Tasche zu haben. Schließlich machte das Heer Prokops halt, wandte sich gegen den Feind und ging zum Angriff über. Als die Kreuzfahrer ihren Irrtum feststellten, blieben sie in ihrem Lager und erwarteten den Angriff. Als sie das Getöse der herannahenden Streitkräfte vernahmen, ergriff sie Schrecken, noch ehe sie die Hussiten zu Gesicht bekamen. (Siehe Anmerkung 25) Fürsten, Feldherren und einfache Soldaten warfen ihre Rüstungen weg und flohen in alle Richtungen. Erfolglos versuchte der päpstliche Gesandte, der Anführer des eingefallenen Heeres, seine erschreckten und aufgelösten Truppen wieder zu sammeln. Trotz seiner äußersten Bemühungen wurde er selbst vom Strom der Fliehenden mitgerissen. Die Niederlage war vollständig, und wieder fiel riesige Beute in die Hände der Sieger. So floh zum zweiten Mal ein riesiges Heer, eine Schar tapferer, kriegstüchtiger, zur Schlacht geschulter und gerüsteter Männer, die von den mächtigsten Nationen Europas ausgesandt worden waren, fast ohne Gegenwehr vor den Verteidigern eines unbedeutenden und bisher schwachen Volkes. Hier offenbarte sich göttliche Macht. Die kaiserlichen Soldaten waren von einem übernatürlichen Schrecken erfasst worden. Der die Scharen Pharaos im Roten Meer vernichtete, der die Midianiter vor Gideon und seinen 300 Mann in die Flucht schlug, der in einer Nacht die Streitkräfte der stolzen Assyrer zerstörte, hatte auch hier seine Hand ausgestreckt, die Macht der Gegner zu zerstören. „Da fürchten sie sich aber, wo nichts zu fürchten ist; denn Gott zerstreut die Gebeine derer, die dich belagern. Du machst sie zuschanden; denn Gott verschmäht sie.“ Psalm 53,6. DGK.96.1 Teilen

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Fast verzweifelten die päpstlichen Führer am Widerstand der Hussiten, da nutzten sie den Verhandlungsweg, und es kam ein Kompromiss zustande, der sie eigentlich in die Gewalt Roms brachte, während er scheinbar den Böhmen Gewissensfreiheit gewährte. Die Böhmen hatten vier Punkte als Bedingung eines Friedens mit Rom angegeben: Freie Predigt des göttlichen Wortes; die Berechtigung der ganzen Gemeinde zum Brot und Wein beim Abendmahl und den Gebrauch der Muttersprache beim Gottesdienst; den Ausschluss der Geistlichkeit von allen weltlichen Ämtern und weltlicher Gewalt; und bei Vergehen gegen das Gesetz die gleiche Gerichtsbarkeit bürgerlicher Gerichtshöfe über Geistliche und Laien. Die päpstlichen Machthaber kamen „schließlich dahin überein, die vier Artikel der Hussiten anzunehmen; aber das Recht ihrer Auslegung, also die Bestimmung ihrer genauen Bedeutung sollte dem Konzil — mit andern Worten dem Papst und dem Kaiser — zustehen“. Wylie, ebd., 3.Buch, Kap. 18; Czerwenka, „Geschichte der evangelischen Kirche in Böhmen“, Bd. I, S. 197 Auf dieser Grundlage wurde eine Übereinkunft geschlossen, und Rom gewann durch List und Betrug, was es durch Waffengewalt vergeblich zu bekommen versucht hatte, denn indem es die hussitischen Artikel, (Siehe Anmerkung 26) wie auch die Bibel, auf seine Weise auslegte, konnte es ihre Bedeutung verdrehen und dabei an seinen eigenen Absichten festhalten. DGK.97.1 Teilen

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Viele Böhmen konnten dem Vertrag nicht zustimmen, weil sie sahen, dass dadurch ihre Freiheit verraten wurde. Es entstanden Uneinigkeit und Spaltungen, die unter ihnen selbst zu Streit und Blutvergießen führten. In diesem Kampf fiel der edle Prokop, und die Freiheit Böhmens ging unter. DGK.98.1 Teilen

Sigismund, der Verräter von Hus und Hieronymus, wurde nun König von Böhmen, und ohne Rücksicht auf seinen Eid, die Rechte der Böhmen zu schützen, begann er, das Papsttum wieder einzuführen. Durch seinen Gehorsam gegenüber Rom hatte er jedoch wenig gewonnen. 20 Jahre lang war sein Leben mit Arbeit und Gefahren ausgefüllt gewesen. Seine Heere waren aufgerieben und seine Schätze durch einen langen und ergebnislosen Kampf erschöpft. Und nun, nachdem er ein Jahr regiert hatte, starb er und ließ sein Reich am Rande eines Bürgerkrieges zurück und für die Nachwelt einen schmachvollen Namen. Aufruhr, Streit und Blutvergießen folgten nacheinander. Fremde Heere drangen wiederum in Böhmen ein, und innere Zwietracht rieb weiterhin das Volk auf. Die dem Evangelium treu blieben, waren einer blutigen Verfolgung ausgesetzt. DGK.98.2 Teilen

Während ihre früheren Brüder einen Vertrag mit Rom schlossen und dessen Irrtümer annahmen, bildeten alle, die zum alten Glauben hielten, unter dem Namen „Vereinte Brüder“ eine getrennte Gemeinde. Dadurch wurden sie von allen Gesellschaftsschichten verdammt. Dennoch blieben sie unerschütterlich fest. Gezwungen, in den Wäldern und Höhlen Zuflucht zu suchen, versammelten sie sich selbst dann noch an einsamen Orten, um Gottes Wort zu lesen und ihn gemeinsam anzubeten. DGK.98.3 Teilen

Durch Boten, die sie heimlich in verschiedene Länder aussandten, erfuhren sie, dass hier und da „vereinzelte Bekenner der Wahrheit lebten, etliche in dieser, einige in jener Stadt, die auch wie sie verfolgt wurden, und dass es in den Alpen eine treue Gemeinde gebe, die auf der Grundlage der Schrift stehe und gegen die abgöttische Verderbtheit Roms Einspruch erhebe“. Wylie, ebd., 3.Buch, Kap. 19 Diese Nachricht wurde freudig begrüßt und ein schriftlicher Austausch mit den Waldensern aufgenommen, um die es sich hierbei handelte. DGK.98.4 Teilen

Dem Evangelium treu, harrten die Böhmen die lange Nacht ihrer Verfolgung hindurch aus. Selbst in der dunkelsten Stunde waren ihre Augen dem Horizont zugewandt, wie die Augen der Menschen, die auf den Morgen warten. „Ihr Los fiel in böse Tage, aber sie erinnerten sich an die Worte, die Hus gesprochen und Hieronymus wiederholt hatte, dass ein Jahrhundert verstreichen müsse, ehe der Tag hereinbrechen könne. Diese Worte waren für die Taboriten [Hussiten] das, was Josefs Worte den Stämmen im Hause der Knechtschaft waren: ‚Ich sterbe, und Gott wird euch heimsuchen und aus diesem Lande führen.‘“ Wylie, ebd. „Die letzten Jahre des 15. Jahrhunderts bezeugen den langsamen, aber sicheren Zuwachs der Brüdergemeinden. Obwohl sie durchaus nicht unbelästigt blieben, erfreuten sie sich verhältnismäßiger Ruhe. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts gab es in Böhmen und Mähren über 200 Gemeinden.“ Gillett, „The Life and Times of John Huss“, 3.Aufl., Bd. II, S. 570 — „So groß war die Zahl der Übriggebliebenen, die der verheerenden Wut des Feuers und des Schwertes entgangen waren und die Dämmerung jenes Tages sehen durften, den Hus vorhergesagt hatte.“ Wylie, ebd., 3.Buch, Kapitel 19 DGK.98.5 Teilen

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