Portrait von Ellen White
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In der Bibel vorausgesagt
In der Bibel vorausgesagt
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Durch Gottes Vorsehung hatte Luther die Möglichkeit, vor dem deutschen Reichstag in Worms — vor der weltlichen Obrigkeit und den Vertretern der römischen Kirche — die biblischen Wahrheiten verständlich zu verkündigen. Die römische Geistlichkeit vermochte zwar die Herrscher auf ihre Seite zu ziehen, aber immer deutlicher wurde die Ungerechtigkeit der Handlungsweise dieser religiösen Führer — und dagegen die Festigkeit und Schlichtheit des Reformators Martin Luther.. DGK.121.1 Teilen

Mit Karl V. hatte ein neuer Kaiser den deutschen Thron bestiegen, und die römischen Machthaber beeilten sich, ihre Glückwünsche zu übermitteln und den Monarchen zu bewegen, seine Macht gegen die Reformation einzusetzen. Auf der andern Seite bat ihn der Kurfürst von Sachsen, dem der Kaiser zum großen Teil seine Krone verdankte, keine Schritte gegen Luther zu unternehmen, bevor er ihn gehört hätte. Der Kaiser sah sich auf diese Weise in einer sehr schwierigen Lage. Die römischen Repräsentanten würden mit nichts außer mit einem kaiserlichen Erlass zufrieden sein, der Luther zum Tode verurteilte. Der Kurfürst hatte nachdrücklich erklärt, ihm sei weder von kaiserlicher Majestät noch von sonst jemand nachgewiesen worden, dass Luthers Schriften widerlegt seien; er verlange deshalb, dass Luther unter sicherem Geleit vor gelehrten, frommen und unparteiischen Richtern erscheine. (Köstlin, „Martin Luther“, Bd. I, S. 367, 384) DGK.121.2 Teilen

Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden. Zum ersten Mal sollten die deutschen Fürsten ihrem jungen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Ländern hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, mächtig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewusstsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser bedeutenden Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators größte Aufmerksamkeit. Karl hatte zuvor den Kurfürsten aufgefordert, Luther mit auf den Reichstag zu bringen. Er hatte ihm seinen Schutz zugesichert und ihm eine freie Erörterung mit maßgeblichen Personen zugesagt, um die strittigen Punkte zu besprechen. Luther sah seinem Erscheinen vor dem Kaiser mit Spannung entgegen. Seine Gesundheit war zu jener Zeit sehr angeschlagen, doch schrieb er an den Kurfürsten: „Ich werde, wenn man mich ruft, kommen, so weit es an mir liegt, ob ich mich auch krank müsste hinfahren lassen, denn man darf nicht zweifeln, dass ich von dem Herrn gerufen werde, wenn der Kaiser mich ruft. Greifen sie zur Gewalt, wie es wahrscheinlich ist — denn dazu, um belehrt zu werden, lassen sie mich nicht rufen —, so muss man dem Herrn die Sache befehlen; dennoch lebt und regiert derselbige, der die drei Knaben im Feuerofen des Königs von Babylon erhalten hat. Will er mich nicht erhalten, so ist‘s um meinen Kopf eine geringe Sache ... man muss nur dafür sorgen, dass wir das Evangelium, das wir begonnen, den Gottlosen nicht zum Spott werden lassen ... Wir wollen lieber unser Blut dafür vergießen. Wir können nicht wissen, ob durch unser Leben oder unsern Tod dem allgemeinen Wohle mehr genützt werde ... Nimm von mir alles, nur nicht, dass ich fliehe oder widerrufe: Fliehen will ich nicht, widerrufen noch viel weniger.“ Enders, Bd. III, S. 24,21.Dezember, 1520 DGK.121.3 Teilen

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Als sich in Worms die Nachricht verbreitete, dass Luther vor dem Reichstag erscheinen sollte, rief das allgemeine Aufregung hervor. Der päpstliche Gesandte, Aleander, dem der Fall besonders anvertraut worden war, wurde unruhig und wütend. Er sah, dass die Folgen für die päpstliche Sache unheilvoll werden würden. Eine Untersuchung anzuordnen in einem Fall, in dem der Papst bereits das Verdammungsurteil ausgesprochen hatte, hieße die Autorität des unumschränkten Pontifex gering zu schätzen. Er befürchtete auch, dass die gewandten und eindringlichen Beweisführungen dieses Mannes viele Fürsten von der Sache des Papstes abspenstig machen könnten. Er erhob deshalb vor Kaiser Karl eindringlich seine Einwände gegen das Erscheinen Luthers vor dem Reichstag. Ungefähr um diese Zeit wurde die Bulle veröffentlicht, die Luthers Exkommunikation erklärte. Diese Tatsache sowie die Argumentation des päpstlichen Gesandten veranlassten den Kaiser nachzugeben. Er schrieb dem Kurfürsten von Sachsen, Friedrich dem Weisen, dass Luther in Wittenberg bleiben müsse, wenn er nicht widerrufen wolle. DGK.122.1 Teilen

Nicht zufrieden mit diesem Sieg, wirkte Aleander mit aller ihm zur Verfügung stehenden Macht und Klugheit darauf hin, Luthers Verurteilung zu erreichen. Mit einer Beharrlichkeit, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre, lenkte er die Aufmerksamkeit der Fürsten, Prälaten und anderer Mitglieder der Versammlung auf Luther, indem er den Reformator des Aufstandes, der Empörung, der Gottlosigkeit und Gotteslästerung beschuldigte. Aber die Heftigkeit und Leidenschaft, die der römische Vertreter an den Tag legte, zeigten nur zu deutlich, wessen Geist ihn trieb. Man spürte allgemein, „es sei mehr Neid und Rachelust als Eifer der Frömmigkeit, die ihn anstachelten“. Cochlaeus, „Commentaria de actis et scriptis Lutheri“, S. 54f., Köln, 1568 Die Mehrheit der Reichsstände war mehr denn je geneigt, Luthers Sache wohlwollend zu beurteilen. Umso mehr versuchte Aleander dem Kaiser klar zu machen, dass es seine Pflicht sei, die päpstlichen Erlasse auszuführen. Das konnte jedoch unter den bestehenden deutschen Gesetzen nicht ohne Zustimmung der Fürsten geschehen. Schließlich gestattete Karl dem römischen Gesandten, seine Sache vor den Reichstag zu bringen. „Es war ein großer Tag für den Nuntius. Die Versammlung war groß, noch größer war die Sache. Aleander sollte für Rom, die Mutter und Herrin aller Kirchen, das Wort führen.“ Er sollte vor den versammelten Machthabern der Christenheit das Fürstentum Petri rechtfertigen. „Er hatte die Gabe der Beredsamkeit und zeigte sich der Erhabenheit des Anlasses gewachsen. Die Vorsehung wollte es, dass Rom vor dem erlauchtesten Tribunal erscheinen und seine Sache durch den begabtesten seiner Redner vertreten werden sollte, ehe es verdammt würde.“ Wylie, „History of Protestantism“, 6.Buch, Kapitel 4 Besorgt sahen die Gönner des Reformators der Wirkung der Rede Aleanders entgegen. Der Kurfürst von Sachsen war nicht anwesend, doch wohnten nach seiner Anordnung etliche seiner Räte bei, um die Rede des Nuntius berichten zu können. DGK.122.2 Teilen

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Aleander versuchte durch Gelehrsamkeit und Redekunst die Wahrheit zu stürzen. Beschuldigung auf Beschuldigung schleuderte er gegen Luther, den er einen Feind der Kirche und des Staates, der Lebenden und der Toten, der Geistlichkeit und der Laien, der Konzilien und der einzelnen Christen nannte. Er sagte, in Luthers Schriften seien so viele Irrtümer, dass 100 000 Ketzer deswegen verbrannt werden könnten. DGK.123.1 Teilen

Zum Schluss versuchte er, die Anhänger der Reformation verächtlich zu machen. „Wie viel zahlreicher, gelehrter und an jenen Gaben, die im Wettstreit den Ausschlag geben, überlegener ist doch die katholische Partei! Die berühmtesten Universitäten haben Luther verurteilt. Wer dagegen sind diese Lutheraner? Ein Haufen unverschämter Universitätslehrer, verderbter Priester, unordentlicher Mönche, unwissender Advokaten, herabgekommener Adliger und verführten Pöbels. Ein einstimmiger Beschluss dieser erlauchten Versammlung wird die Einfältigen belehren, die Unklugen warnen, die Schwankenden festigen und die Schwachen stärken.“ D‘Aubigne, „Geschichte der Reformation“, 7.Buch, Kap. 3 DGK.123.2 Teilen

Mit solchen Waffen sind die Verteidiger der Wahrheit zu allen Zeiten angegriffen worden. Die gleichen Beweise werden noch immer gegen alle vorgebracht, die es wagen, den eingebürgerten Irrtümern die klaren und deutlichen Lehren des Wortes Gottes gegenüberzustellen. „Wer sind diese Prediger neuer Lehren?“, rufen die aus, die eine volkstümliche Religion begehren. Es sind Ungebildete, zahlenmäßig wenige und aus ärmerem Stande; doch behaupten sie, die Wahrheit zu haben und das auserwählte Volk Gottes zu sein. Sie sind unwissend und betrogen. Wie hoch steht unsere Kirche an Zahl und Einfluss über ihnen! Wie viele Gelehrte und große Männer sind in unseren Reihen, wie viel mehr Macht auf unserer Seite! — Dies sind Beweise, die einen entscheidenden Einfluss auf die Welt haben, die heute genauso wirksam sind wie in den Tagen des Reformators. DGK.123.3 Teilen

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Die Reformation endete nicht mit Luther, wie viele annehmen — sie muss bis zum Ende dieser Weltgeschichte fortgesetzt werden. Luthers großes Werk bestand darin, das Licht, das Gott ihm scheinen ließ, auf andere geworfen zu haben, doch er hatte nicht alles Licht empfangen, das der Welt scheinen sollte. Von jener Zeit an bis heute hat fortwährend neues Licht die Heilige Schrift erhellt, und seither sind ständig neue göttliche Wahrheiten enthüllt worden. DGK.124.1 Teilen

Die Ansprache des päpstlichen Gesandten machte auf die Großen des Reiches tiefen Eindruck. Hefele, „Konziliengeschichte“, Bd. IX, S. 202 Luther war nicht da, um den päpstlichen Vertreter durch die klaren und überzeugenden Wahrheiten des Wortes Gottes entgegenzutreten. Kein Versuch wurde gemacht, den Reformator zu verteidigen. Man war allgemein geneigt, nicht nur ihn und seine Lehren zu verdammen, sondern wenn möglich auch alle Ketzerei auszurotten. DGK.124.2 Teilen

Rom hatte die günstigste Gelegenheit gehabt, seine Sache zu verteidigen. Alles, was es zu seiner Rechtfertigung sagen konnte, war gesagt worden. Aber der scheinbare Sieg trug die Zeichen der Niederlage. Zukünftig würde der Gegensatz zwischen Wahrheit und Irrtum deutlicher erkannt werden, da beide sich im offenen Kampf messen sollten. Von jenem Tage an sollte Rom nie mehr so sicher stehen, wie es bis dahin gestanden hatte. DGK.124.3 Teilen

Während die meisten Mitglieder des Reichstages Luther der Verurteilung Roms übergeben wollten, sahen und beklagten viele die in der Kirche herrschende Verdorbenheit und wünschten die Beseitigung der Missbräuche, die das deutsche Volk infolge der Verkommenheit und Gewinnsucht der Priesterherrschaft dulden musste. Der päpstliche Vertreter hatte Roms Herrschaft im besten Licht dargestellt. Nun bewegte der Herr ein Mitglied des Reichstages, die Auswirkung der päpstlichen Tyrannei wahrheitsgetreu darzustellen. Mit edler Entschiedenheit erhob sich Herzog Georg von Sachsen in jener fürstlichen Versammlung und beschrieb mit schrecklicher Genauigkeit die Täuschungen und Abscheulichkeiten des Papsttums und deren grässliche Auswirkungen. Zum Schluss sagte er: „Da ist keine Scham in Herausstreichung und Erhebung des Ablasses, man suchet nur, dass man viel Geld zusammenbringe; also geschieht, dass die Priester, welche die Wahrheit lehren sollten, nichts als Lügen und Betrug den Leuten vorschwatzen. Das duldet man und diesen Leuten lohnet man, weil mehr Geld in den Kasten kommt, je mehr die Leute beschwatzt werden. Aus diesem verderbten Brunnen fließt ein groß Ärgernis in die Bäche heraus ... plagen die Armen mit Bußen ihrer Sünden wegen, verschonen die Reichen, übergehen die Priester ... Daher nötig ist eine allgemeine Reformation anzustellen, welche nicht füglicher als in einem allgemeinen Konzil zu erhalten ist; darum bitten wir alle, solches mit höchstem Fleiß zu fördern.“ Seckendorff, Commentarius, 1. Buch, 37. Abschn. DGK.124.4 Teilen

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Eine deutlichere und heftigere Anprangerung der päpstlichen Missbräuche hätte selbst Luther nicht vorbringen können. Die Tatsache aber, dass der Redner ein entschlossener Feind des Reformators war, verlieh seinen Worten desto mehr Nachdruck. DGK.125.1 Teilen

Wären den Versammelten die Augen geöffnet worden, so hätten sie Engel Gottes in ihrer Mitte erblickt, die durch die Finsternis des Irrtums Strahlen des Lichts aussandten und Gemüter und Herzen der Wahrheit öffneten. Selbst die Gegner der Reformation zeigten sich von der Macht des Gottes der Wahrheit und Weisheit beeinflusst, und auf diese Weise wurde der Weg für das große Werk geebnet, das nun ausgeführt werden sollte. Martin Luther war nicht anwesend, aber man hatte eine einflussreichere Stimme als die Luthers in jener Versammlung gehört. DGK.125.2 Teilen

Sofort wurde vom Reichstag ein Ausschuss bestimmt, um eine Liste der päpstlichen Unterdrückungen aufzustellen, die so schwer auf dem deutschen Volk lasteten. Dieses Verzeichnis mit 101 Beschwerden wurde dem Kaiser mit dem Gesuch unterbreitet, sofortige Schritte zur Beseitigung dieser Missbräuche zu unternehmen. „Es gehen so viele Seelen verloren“, sagten die Bittenden, „so viele Räubereien, Erpressungen finden statt, weil das geistliche Oberhaupt der Christenheit sie gestattet. Es muss dem Untergang und der Schande unseres Volkes vorgebeugt werden. Wir bitten euch untertänigst und inständigst, dahin zu wirken, dass eine Besserung und allgemeine Reformation geschehe.“ Kapp. „Nachlese reformatorischer Urkunden“, Bd. III., S. 275 DGK.125.3 Teilen

Die Reichsstände drangen auf das Erscheinen Luthers. Ungeachtet aller Bitten, Einwände und Drohungen Aleanders willigte der Kaiser schließlich doch ein, und Luther wurde aufgefordert, vor dem Reichstag zu erscheinen. Mit der Aufforderung wurden ihm die nötigen Geleitbriefe ausgestellt, die ihm auch seine Rückkehr an einen sicheren Ort verbürgten. Der Kurfürst von Sachsen und Herzog Georg von Sachsen sowie auch der Kaiser stellten Geleitbriefe aus. Ein Herold, der beauftragt war, ihn sicher nach Worms zu geleiten, brachte die Briefe nach Wittenberg. Luthers Freunde wurden von Schrecken und Bestürzung ergriffen. Sie kannten das Vorurteil und die Feindschaft gegen ihn und befürchteten, selbst sein Sicherheitsgeleit würde nicht beachtet werden. Sie baten ihn, sein Leben nicht zu gefährden. Er antwortete: „Die Papisten wollen nicht, dass ich nach Worms komme; sie wollen nur meine Verurteilung und meinen Tod. Es macht nichts. Betet nicht für mich, sondern für das Wort Gottes. Jener Widersacher Christi setzt alle Kräfte ein, mich zu verderben. Der Wille Gottes geschehe! Christus wird mir seinen Geist geben, dass ich diese Widersacher des Satans verachte im Leben, besiege im Tode ... Sie arbeiten, dass ich viele Artikel widerrufe; aber mein Widerruf wird so lauten: Ich habe früher gesagt, der Papst sei der Statthalter Christi, jetzt widerrufe ich und sage, der Papst ist der Widersacher Christi und der Apostel des Teufels.“ D‘Aubigne Bd.7 Kap.6 DGK.125.4 Teilen

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Luther sollte seine gefahrvolle Reise nicht allein unternehmen. Außer dem kaiserlichen Boten hatten sich drei seiner treuesten Freunde entschlossen, ihn zu begleiten. Melanchthon wollte sich von Herzen ihnen anschließen. Er hing an Luther und sehnte sich, ihm zu folgen — wenn es sein müsse, auch ins Gefängnis oder in den Tod. Seine Bitte wurde jedoch nicht erfüllt. Sollte Luther etwas zustoßen, so ruhte die Hoffnung der Reformation allein auf seinem jugendlichen Mitarbeiter. Der Reformer sagte, als er sich von Melanchthon trennte: „Wenn ich nicht zurückkehre, meine Feinde mich hingerichtet haben, fahre fort zu lehren und stehe fest in der Wahrheit. Arbeite an meiner Stelle. ... wenn du [nur] überlebst, mein Tod wird nur eine kleine Auswirkung haben.“ D‘Aubigne, Bd. 7, Kap. 7 Studenten und Bürger, die sich versammelten, um Luthers Abreise zu erleben, waren tief bewegt. Viele von denen, deren Herzen durch das Evangelium berührt wurden, verabschiedeten ihn unter Tränen. So trennte sich der Reformator und seine Begleiter aus Wittenberg. DGK.126.1 Teilen

Unterwegs nahmen sie zur Kenntnis, dass die Gemüter des Volkes von düsteren Vorahnungen beschwert waren. In einigen Städten beachtete man sie nicht. Als sie übernachteten, drückte ein freundlich gesinnter Priester seine Befürchtungen aus und zeigte Luther das Bild eines italienischen Reformators, der den Scheiterhaufen besteigen musste. Am nächsten Tag erfuhren sie, dass seine Schriften in Worms verdammt worden seien. Boten verkündeten den Erlass des Kaisers und forderten jeden auf, die geächteten Bücher den Behörden auszuliefern. Der Bote, der um Luthers Sicherheit auf dem Reichstag fürchtete und meinte, dessen Entschluss könnte dadurch erschüttert sein, fragte: „‚Herr Doktor, wollt ihr fortziehen?‘ Da antwortete ich [Luther]: ‚Ja, unangesehen, dass man mich hätte in den Bann getan und das in allen Städten veröffentlicht, so wollt ich doch fortziehen.‘“ Luther, EA, LXIV, S. 367 DGK.126.2 Teilen

In Erfurt wurde Luther mit großen Ehren empfangen. Von der bewundernden Menge umgeben, durchschritt er die Straßen, in denen er oft mit seinem Bettelsack umhergegangen war. Er besuchte seine Klosterzelle und dachte an die Kämpfe, durch die das nun Deutschland überflutende Licht auch ihn erleuchtet hatte. Man drängte ihn zum Predigen. Zwar war ihm dies verboten, aber der Herold gestattete es dennoch. Der Mönch, einst im Kloster jedermanns Handlanger gewesen, bestieg die Kanzel. DGK.126.3 Teilen

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In einer überfüllten Versammlung predigte er über die Worte Christi: „Friede sei mit euch!“ „Ihr wisset auch, dass alle Philosophen, Doktoren und Skribenten [Schreiber] sich beflissen zu lehren und schreiben, wie sich der Mensch zur Frömmigkeit halten soll, haben sich des sehr bemüht, aber wie man sieht, wenig ausgerichtet ... Denn Gott, der hat auserwählet einen Menschen, den Herrn Jesum Christ, dass der soll den Tod zerknirschen, die Sünden zerstören und die Hölle zerbrechen ... Also dass wir durch seine Werke ... und nicht mit unseren Werken selig werden ... Unser Herr Christus hat gesagt: ‚Habt Frieden und sehet meine Hände. Sieh Mensch, ich bin der allein, der deine Sünde hat hinweggenommen, der dich erlöste. Nun habe Frieden.‘“ DGK.127.1 Teilen

„So soll ein jeglicher Mensch sich besinnen und bedenken, dass wir uns nicht helfen können, sondern Gott, auch dass unsere Werke gar gering sind: So haben wir den Frieden Gottes; und ein jeglicher Mensch soll sein Werk also schicken, dass ihm nicht allein nutz sei, sondern auch einem andern, seinem Nächsten. Ist er reich, so soll sein Gut den Armen nutz sein; ist er arm, soll sein Verdienst den Reichen zugutekommen ... Denn wenn du merkst, dass du deinen Nutzen allein schaffst, so ist dein Dienst falsch.“ Luther, EA, XVI, S. 249-257 DGK.127.2 Teilen

Das Volk lauschte wie gebannt seinen Worten. Das Brot des Lebens wurde jenen hungernden Seelen gebrochen. Christus erschien darin als der, der über Papst, päpstliche Würdenträger, Kaiser und König steht. Luther machte keinerlei Andeutungen über seine gefährliche Lage. Weder versuchte er, sich in den Mittelpunkt zu stellen, noch suchte er Mitgefühl zu erwecken. Sein Ich trat ganz hinter die Betrachtung Christi zurück. Er verbarg sich hinter dem Gekreuzigten von Golgatha und verlangte nur danach, Jesus als den Erlöser des Sünders darzustellen. Auf der Weiterreise brachte das Volk dem Reformator die größte Anteilnahme entgegen. Eine neugierige Menge drängte sich überall um ihn, und freundschaftliche Stimmen warnten ihn vor den Absichten der römischen Gesandten. Einige sagten: „Man wird dich verbrennen wie den Hus.“ Luther antwortete: „Und wenn sie gleich ein Feuer machten, das zwischen Wittenberg und Worms bis an den Himmel reicht, weil es aber gefordert wäre, so wollte ich doch im Namen des Herrn erscheinen und dem Behemoth zwischen seine großen Zähne treten und Christus bekennen und denselben walten lassen.“ Luther, Walch, XV, S. 2172,2173 Als bekannt wurde, dass Luther sich Worms nähert, waren viele aufgeregt. Seine Freunde bangten um seine Sicherheit; seine Feinde fürchteten um den Erfolg ihrer Sache. Ernsthaft bemühte man sich, ihn vom Betreten der Stadt abzuraten. Auf Anstiften der römischen Gesandten bedrängte man ihn, sich auf das Schloss eines befreundeten Ritters zu begeben, wo nach ihrer Darstellung dann alle Schwierigkeiten auf freundschaftliche Weise beigelegt werden könnten. Freunde versuchten ihm durch Darstellung der ihm drohenden Gefahr Furcht einzuflößen. Alles Bemühen blieb erfolglos. Luther wankte nicht, sondern erklärte: „Ich will gen Worms, wenn gleich so viel Teufel drinnen wären als immer Ziegel auf ihren Dächern!“ DGK.127.3 Teilen

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Bei seiner Ankunft in Worms war die Zahl derer, die sich an den Toren drängten, um ihn willkommen zu heißen, sogar noch größer als beim Einzug des Kaisers. Es herrschte große Aufregung, und aus der Volksmenge heraus sang eine durchdringende, klagende Stimme ein Grabeslied, um Luther vor dem ihm bevorstehenden Schicksal zu warnen. „Gott wird mit mir sein“, sprach er mutig beim Verlassen des Wagens. DGK.128.1 Teilen

Die Anhänger des Papstes hatten nicht erwartet, dass Luther es wirklich wagen würde, in Worms zu erscheinen, und seine Ankunft bestürzte sie außerordentlich. Der Kaiser rief sofort seine Räte zusammen, um die weitere Vorgehensweise abzuwägen. Einer der Bischöfe, ein sturer Papist erklärte: „Wir haben uns schon lange darüber beraten. Kaiserliche Majestät möge diesen Mann beiseite tun und ihn umbringen lassen. Sigismund hat den Johann Hus ebenso behandelt; einem Ketzer braucht man kein Geleit zu geben oder zu halten.“ Karl wies diesen Vorschlag ab; man müsse halten, was man versprochen habe. Der Reformator sollte also vorgeladen werden. D‘Aubigne, „Geschichte der Reformation“, 7.Buch, 8.Abschnitt, S. 195; Ranke, „Geschichte im Zeitalter der Reformation“, I, S. 330f. DGK.128.2 Teilen

Die ganze Stadt wollte diesen außergewöhnlichen Mann sehen, und bald füllte sich sein Quartier mit vielen Besuchern. Luther hatte sich kaum von einer kürzlich überstandenen Krankheit erholt. Er war ermüdet von der Reise, die zwei Wochen gedauert hatte. Er musste sich auf die wichtigsten Ereignisse des morgigen Tages vorbereiten und brauchte Stille und Ruhe. Der Wunsch, ihn zu sehen, war jedoch so groß, dass er sich nur weniger Ruhestunden erfreuen konnte, als sich Edelleute, Ritter, Priester und Bürger um ihn versammelten. Unter ihnen waren viele Adlige, die vom Kaiser so kühn eine Reform der kirchlichen Missbräuche verlangt hatten, und die, wie Luther sich ausdrückte, „alle durch mein Evangelium frei geworden waren“. Feinde wie Freunde kamen, um den furchtlos-kühnen Mönch zu sehen. Er empfing sie mit unerschütterlicher Ruhe und antwortete allen mit Würde und Weisheit. Seine Haltung war fest und mutig; sein bleiches, abgezehrtes Gesicht, das die Spuren der Anstrengung und Krankheit nicht verleugnen konnte, schien freundlich, ja sogar freudig. Die Feierlichkeit und der tiefe Ernst seiner Worte verliehen ihm eine Kraft, der selbst seine Feinde nicht ganz widerstehen konnten. Freund und Feind waren voller Bewunderung. Manche waren überzeugt, dass ein göttlicher Einfluss ihn begleite, andere erklärten, wie die Pharisäer hinsichtlich Christi, er habe den Teufel. Am folgenden Tag wurde Luther aufgefordert, vor dem Reichstag zu erscheinen. Ein kaiserlicher Beamter sollte ihn in den Empfangssaal führen. Nur mit Mühe erreichte er diesen Ort. Jeder Zugang war mit Schaulustigen verstopft, die den Mönch sehen wollten, der es gewagt hatte, der Autorität des Papstes zu widerstehen. DGK.128.3 Teilen

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Als Luther vor seine Richter treten wollte, sagte ein Feldherr, der Held mancher Schlacht, freundlich zu ihm: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst jetzt einen Gang, einen Stand zu tun, dergleichen ich und mancher Oberster auch in unsern allerernstesten Schlachtordnungen nicht getan haben. Bist du auf rechter Meinung und deiner Sache gewiss, so fahre in Gottes Namen fort und sei nur getrost, Gott wird dich nicht verlassen.“ Spangenberg, Cyriakus, „Adelsspiegel“, III, S. 54. — [Der Landsknechtsführer Georg von Frundsberg hatte Luther mit den zitierten Worten ermutigend auf die Schulter geklopft.] DGK.129.1 Teilen

Endlich stand Luther vor dem Reichstag. Der Kaiser saß auf dem Thron. Er war von den erlauchtesten Persönlichkeiten des Kaiserreichs umgeben. Nie zuvor war je ein Mensch vor einer bedeutenderen Versammlung erschienen als vor jener, vor der Martin Luther seinen Glauben verantworten sollte. „Sein Erscheinen allein war ein außerordentlicher Sieg über das Papsttum. Der Papst hatte diesen Mann verurteilt, und dieser stand jetzt vor einem Gericht, das sich dadurch über den Papst stellte. Der Papst hatte ihn in den Bann getan, von aller menschlicher Gesellschaft ausgestoßen, und dennoch war er mit höflichen Worten vorgeladen und erschien nun vor der erlauchtesten Versammlung der Welt. Der Papst hatte ihn zu ewigem Schweigen verurteilt, und jetzt sollte er vor Tausenden aufmerksamer Zuhörer aus den verschiedensten Landen der Christenheit reden. So kam durch Luther eine gewaltige Revolution zustande: Rom stieg von seinem Thron herab, und das Wort eines Mönches gab die Veranlassung dazu.“ D‘Aubigne, „Geschichte der Reformation“, 7.Buch, 8.Abschnitt, S. 199 DGK.129.2 Teilen

Angesichts jener bedeutsamen Versammlung vieler Adliger schien der Reformator, der von einfacher Herkunft war, eingeschüchtert und verlegen. Mehrere Fürsten, die das mitbekamen, näherten sich ihm, und einer von ihnen flüsterte: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht mögen töten.“ Matthäus 10, 28. Ein anderer sagte: „Wenn ihr vor Fürsten und Könige geführt werdet um meinetwillen, wird es euch durch den Geist eures Vaters gegeben werden, was ihr reden sollt.“ Vgl. Markus 13,11. Melanchthon, „Leben Luthers“, S. 53 Auf diese Weise wurden Christi Worte von den Großen dieser Erde gebraucht, um Gottes Diener in der Prüfungsstunde zu stärken. Luther wurde ein Platz direkt vor dem kaiserlichen Thron zugewiesen. Tiefes Schweigen herrschte in der großen Versammlung. Der vom Kaiser beauftragte Redner erhob sich und verlangte, indem er auf eine Sammlung von Luthers Schriften wies, dass der Reformator zwei Fragen beantworte: Ob er die hier vorliegenden Bücher als die seinen anerkenne oder nicht, und ob er die Ansichten, die er darin verbreitet habe, widerrufe. Nachdem die Titel der Bücher vorgelesen worden waren, erwiderte Luther, dass er hinsichtlich der ersten Frage jene Bücher als von ihm geschrieben annehme und nichts je davon ableugne. Aber was da folge, „weil dies eine Frage vom Glauben und der Seelen Seligkeit sei und das göttliche Wort betreffe, was das höchste sei im Himmel und auf Erden da wäre es vermessen und sehr gefährlich, etwas Unbedachtes auszusprechen. Ich könnte ohne vorherige Überlegung leicht weniger behaupten, als die Sache erfordere, oder mehr, als der Wahrheit gemäß wäre, und durch das eine oder andere jenem Urteil Christi verfallen: ‚Wer mich verleugnet vor den Menschen, den werde ich vor meinem himmlischen Vater auch verleugnen.‘ Matthäus 10.33. Deshalb bitte ich von Kaiserlicher Majestät aufs alleruntertänigste um Bedenkzeit, damit ich ohne Nachteil für das göttliche Wort und ohne Gefahr für meine Seele dieser Frage genugtue.“ Luther, EA, LXIV, S. 377 ff; op. lat. XXXVII, S. 5-8 DGK.129.3 Teilen

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Luther handelte sehr klug, dass er dieses Gesuch stellte. Sein Benehmen überzeugte die Versammlung, dass er nicht aus Leidenschaft oder bloßem Antrieb handelte. Solche Ruhe und Selbstbeherrschung, die man von einem, der so kühn und unnachgiebig war, nicht erwartet hätte, erhöhten Luthers Stärke und befähigten ihn später, mit einer Vorsicht, Entschiedenheit, Weisheit und Würde zu antworten, dass seine Gegner überrascht und enttäuscht, aber ihre Anmaßung und ihr Stolz beschämt wurden. DGK.130.1 Teilen

Am nächsten Tag sollte er erscheinen, um seine endgültige Antwort zu geben. Als er sich die gegen die Wahrheit verbündeten Mächte nochmals vor Augen führte, verließ ihn für einen Augenblick der Mut. Sein Glaube schwankte, Furcht und Zittern ergriffen ihn, und Grauen lastete auf ihm. Die Gefahren vervielfältigten sich vor seinen Augen, seine Feinde schienen zu siegen und die Mächte der Finsternis die Oberhand zu gewinnen. Wolken sammelten sich um ihn und drohten ihn von Gott zu trennen. Er sehnte sich nach der Gewissheit, dass der Herr der Heerscharen mit ihm sei. In seiner Seelennot warf er sich mit dem Angesicht auf die Erde und stieß jene gebrochenen herzzerreißenden Angstrufe aus, die Gott allein in der Lage ist, völlig zu verstehen. Er betete: „Allmächtiger, ewiger Gott! Wie ist es nur ein Ding um die Welt! Wie sperrt sie den Leuten die Mäuler auf! Wie klein und gering ist das Vertrauen der Menschen auf Gott ... und siechet nur allein bloß an, was prächtig und gewaltig, groß und mächtig ist und ein Ansehen hat. DGK.130.2 Teilen

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Wenn ich auch meine Augen dahin wenden soll, so ist‘s mit mir aus, die Glocke ist schon gegossen und das Urteil gefällt. Ach Gott! o du mein Gott, stehe du mir bei wider alle Welt, Vernunft und Weisheit. Tue du es; du musst es tun, du allein. Ist es doch nicht mein, sondern deine Sache. Habe ich doch für meine Person hier nichts zu schaffen und mit diesen großen Herrn der Welt zu tun ... Aber dein ist die Sache, Herr, die gerecht und ewig ist. Stehe mir bei, du treuer, ewiger Gott! ich verlasse mich auf keinen Menschen. Es ist umsonst und vergebens, es hinket alles, was fleischlich ist ... Hast du mich dazu erwählet? Ich frage dich; wie ich es denn gewiss weiß; ei, so walt es Gott ... Steh mir bei in dem Namen deines lieben Sohnes Jesu Christi, der mein Schutz und Schirm sein soll, ja meine feste Burg.“ Luther, EA, LXIV, S. 289f. DGK.131.1 Teilen

Eine allweise Vorsehung hatte Luther seine Gefahr erkennen lassen, damit er weder auf seine eigene Kraft baute noch sich vermessen in Gefahr stürzte. Es war jedoch nicht die Furcht zu leiden, nicht die Angst vor der ihm scheinbar unmittelbar bevorstehenden Qual oder vor dem Tod, die ihn mit ihrem Schrecken überwältigte. Er hatte einen entscheidenden Zeitpunkt erreicht und fühlte seine Untüchtigkeit, in ihm zu bestehen. Weil er der Sache der Wahrheit infolge seiner Schwäche schaden könnte, rang er mit Gott, nicht um seiner eigenen Sicherheit, sondern um des Sieges des Evangeliums willen. Seine Angst und sein Ringen glichen jenem nächtlichen Kampf Israels [Jakobs] am einsamen Bach; wie jener trug auch er den Sieg davon. In seiner totalen Hilflosigkeit klammerte sich sein Glaube an Christus, den mächtigen Befreier. Er wurde durch die Zusicherung gestärkt, dass er nicht allein vor dem Reichstag erscheinen sollte. Friede zog wiederum in seine Seele ein, und er freute sich, dass es ihm vergönnt war, das heilige Wort Gottes vor den Herrschern des Volkes hochzuhalten. Mit festem Gottvertrauen bereitete sich Luther auf den ihm bevorstehenden Kampf vor. Er plante seine Antwort, prüfte etliche Stellen in seinen Schriften und suchte in der Bibel passende Belege, um seine Behauptungen zu stützen. Dann gelobte er, seine Linke auf das offen vor ihm liegende Buch legend und seine Rechte zum Himmel erhebend, „dem Evangelium treu zu bleiben und seinen Glauben frei zu bekennen, sollte er ihn auch mit seinem Blut besiegeln.“ D‘Aubigne, ebd., 7.Buch, S. 8 DGK.131.2 Teilen

Als er wieder vor den Reichstag geführt wurde, war er frei von Furcht und Verlegenheit. Ruhig und friedvoll, dennoch mutig und edel stand er als Gottes Zeuge unter den Großen der Erde. Der kaiserliche Beamte verlangte nun die Entscheidung, ob er bereit sei, seine Lehren zu widerrufen. Luther gab die Antwort in einem unterwürfigen und bescheidenen Ton, ohne Heftigkeit oder Erregung. Sein Benehmen war maßvoll und ehrerbietig, dennoch offenbarte er eine Zuversicht und eine Freudigkeit, die die Versammlung überraschte. DGK.131.3 Teilen

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Seine Antwort lautete: „Allerdurchlauchtester, großmächtigster Kaiser, durchlauchteste Fürsten, gnädigste und gnädige Herren! Auf die Bedenkzeit, mir auf gestrigen Abend ernannt, erscheine ich gehorsam und bitte durch die Barmherzigkeit Gottes Eure Kaiserliche Majestät um Gnaden, dass sie wollen, wie ich hoffe, diesen Sachen der Gerechtigkeit und Wahrheit gnädiglich zuhören, und so ich von wegen meiner Unerfahrenheit ... wider die höfischen Sitten handle, mir solches gnädig zu verzeihen als einem, der nicht an fürstlichen Höfen erzogen, sondern in Mönchswinkeln aufkommen.“ Luther, EA, LXIV, S. 378 DGK.132.1 Teilen

Dann zu der ihm aufgegebenen Frage übergehend, erklärte er, dass seine Bücher nicht einerlei Art seien. Einige behandelten den Glauben und die guten Werke, so dass auch seine Widersacher sie für nützlich und unschädlich anerkannt hätten. Diese zu widerrufen, wäre ein Verdammen der Wahrheiten, die Freunde und Feinde zugleich bekennen. Die zweite Art bestände aus Büchern, welche die Verderbtheiten und Übeltaten des Papsttums darlegten. Diese Werke zu widerrufen, würde die Gewaltherrschaft Roms nur stärken und vielen und großen Gottlosigkeiten die Tür noch weiter öffnen. In der dritten Art seiner Bücher habe er einzelne Personen angegriffen, die bestehende Übelstände verteidigt hätten. Im Hinblick auf diese Bücher bekenne er, heftiger gewesen zu sein, als es sich gezieme. Er beanspruche keineswegs, fehlerfrei zu sein. Aber auch diese Bücher könne er nicht widerrufen, denn dann würden die Feinde der Wahrheit nur noch kühner werden und das Volk Gottes mit noch größerer Grausamkeit als bisher unterdrücken wollen. DGK.132.2 Teilen

„Dieweil aber ich ein Mensch und nicht Gott bin, so mag ich meine Büchlein anders nicht verteidigen, denn wie mein Herr Jesus Christus seine Lehre unterstützt hat: ‚Habe ich übel geredet, so beweise es.‘ Johannes 18,23. Derhalben bitte ich durch die Barmherzigkeit Gottes Eure Kaiserliche Majestät und Gnaden, oder aber alle andern Höchsten und Niedrigen mögen mir Zeugnis geben, mich Irrtums überführen, mich mit prophetischen und evangelischen Schriften überwinden. Ich will auf das allerwilligste bereit sein, so ich dessen überwiesen werde, alle Irrtümer zu widerrufen und der Allererste sein, meine Bücher in das Feuer zu werfen; aus welchem allem ist, meine ich, offenbar, dass ich genügsam bedacht, erwogen und ermessen habe die Gefahr, Zwietracht, Aufruhr und Empörung, so wegen meiner Lehre in der Welt erwachsen ist ... Wahrlich, mir ist das Liebste zu hören, dass wegen des göttlichen Wortes sich Misshelligkeit und Uneinigkeit erheben; denn das ist der Lauf, Fall und Ausgang des göttlichen Wortes, wie der Herr selbst sagt: ‘Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert‘. Matthäus 10,34. ... Darum müssen wir bedenken, wie wunderbar und schrecklich unser Gott ist in seinen Gerichten, auf dass nicht das, was jetzt unternommen wird, um die Uneinigkeit beizulegen, hernach, so wir den Anfang dazu mit Verdammung des göttlichen Wortes machen, vielmehr zu einer Sintflut unerträglicher Übel ausschlage; bedenken müssen wir und fürsorgen, dass nicht diesem jungen, edlen Kaiser Karl, von welchem nächst Gott vieles zu hoffen ist, ein unseliger Eingang und ein unglücklich Regiment zuteil werde. Ich könnte dafür reichliche Exempel bringen aus der Heiligen Schrift: von Pharao, vom König zu Babel und von den Königen Israels, welche gerade dann am meisten Verderben sich bereitet haben, wenn sie mit den klügsten Reden und Anschlägen ihr Reich zu befrieden und zu befestigen gedachten. Denn der Herr ist‘s, der die Klugen erhascht in ihrer Klugheit und die Berge umkehrt, ehe sie es innewerden; darum tut‘s not, Gott zu fürchten.“ Luther, EA, LXIV, S. 379-382; op. lat. XXXVII, S. 11-13 DGK.132.3 Teilen

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Luther hatte deutsch gesprochen; er wurde nun aufgefordert, dieselben Worte in lateinischer Sprache zu wiederholen. Obwohl er durch die vorausgegangene Anstrengung erschöpft war, willigte er doch in diese Bitte ein und trug dieselbe Rede noch einmal ebenso deutlich und kraftvoll vor, so dass ihn alle verstehen konnten. Gottes Vorsehung waltete in dieser Sache. Viele Fürsten waren durch Irrtum und Aberglauben so verblendet, dass sie bei Luthers erster Rede die Gewichtigkeit seiner Gründe nicht klar erfassen konnten. Durch diese Wiederholung aber wurden ihnen die angeführten Punkte klar verständlich. DGK.133.1 Teilen

Solche, die ihre Herzen dem Licht hartnäckig verschlossen hatten und sich durchaus nicht von der Wahrheit überzeugen lassen wollten, wurden durch die Deutlichkeit seiner Worte sehr zornig. Als er seine Rede beendet hatte, mahnte der Wortführer des Reichstages in strafendem Ton, Luther hätte nicht zur Sache geantwortet und es gehöre sich nicht, hier Verdammungsurteile und Feststellungen von Konzilien in Frage zu ziehen. Luther sollte klar und deutlich antworten, ob er widerrufen wolle oder nicht. DGK.133.2 Teilen

Darauf erwiderte der Reformator: „Weil denn Eure Majestät und die Herrschaften eine einfache Antwort begehren, so will ich eine geben, die weder Hörner noch Zähne hat, dermaßen: Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse oder helle Gründe werde überwunden werden (denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil feststeht, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben), so bin ich überwunden durch die von mir angeführten Schriften und mein Gewissen ist gefangen in Gottes Worten; widerrufen kann ich nichts und will ich nichts, weil wider das Gewissen zu handeln beschwerlich, unsicher und nicht lauter ist. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“ Luther, EA, LXIV, S. 382f. DGK.133.3 Teilen

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So stand dieser rechtschaffene Mann auf dem sicheren Grund des göttlichen Wortes. Himmlisches Licht erleuchtete sein Angesicht. Die Größe und Reinheit seines Charakters, der Friede und die Freude seines Herzens offenbarten sich allen, als er die Macht des Irrtums bloßstellte und die Überlegenheit jenes Glaubens bezeugte, der die Welt überwindet. DGK.134.1 Teilen

Die Versammelten staunten über diese mutige Verteidigung. Seine erste Antwort hatte Luther mit gedämpfter Stimme in achtungsvoller, beinahe unterwürfiger Haltung gegeben. Die römischen Gesandten hatten dies als einen Beweis gedeutet, dass sein Mut angefangen habe zu wanken. Sie betrachteten sein Gesuch um Bedenkzeit nur als Vorspiel seines Widerrufs. Sogar Kaiser Karl, der halb verächtlich die gebeugte Gestalt des Mönches, sein schlichtes Gewand und die Einfachheit seiner Ansprache wahrnahm, hatte erklärt: „Der soll mich nicht zum Ketzer machen.“ Der Mut aber und die Festigkeit, die Luther nun an den Tag legte, überraschte alle Parteien, ebenso wie die Kraft und Klarheit seiner Beweisführung. Von Bewunderung hingerissen, rief der Kaiser: „Dieser Mönch redet unerschrocken, mit getrostem Mut!“ Viele Fürsten blickten mit Stolz und Freude auf diesen Vertreter ihrer Nation. DGK.134.2 Teilen

Die Anhänger Roms waren geschlagen, und ihre Sache erschien in einem sehr ungünstigen Licht. Sie suchten nicht etwa ihre Macht aufrechtzuerhalten, indem sie sich auf die Heilige Schrift beriefen, sondern sie nahmen ihre Zuflucht zu Roms nie versagendem Beweismittel — zur Drohung. Der Wortführer des Reichstages sagte: „Widerruft er nicht, so werden der Kaiser samt den Fürsten und Ständen des Reiches beraten, wie sie mit einem solchen Ketzer verfahren wollen.“ Luthers Freunde hatten seiner glänzenden Verteidigungsrede mit großer Freude gelauscht, doch diese Worte ließen sie für seine Sicherheit fürchten. Luther selbst aber sagte gelassen: „So helf mir Gott, denn einen Widerruf kann ich nicht tun.“ Luther, Walch, XV, S. 2234,2235 DGK.134.3 Teilen

Luther verließ den Tagungsort, damit die Fürsten sich beraten konnten. Sie spürten, dass sie an einem großen Wendepunkt standen. Luthers beharrliche Weigerung, sich zu unterwerfen, könnte die Geschichte der Kirche auf Jahrhunderte hinaus beeinflussen. Es wurde beschlossen, ihm nochmals Gelegenheit zum Widerruf zu geben. Zum letzten Mal wurde er vor die Versammlung gebracht. Der Wortführer der Fürsten fragte ihn nochmals im Namen des Kaisers, ob er nicht widerrufen wolle. Darauf erwiderte Luther: „Ich weiß keine andere Antwort zu geben wie die bereits vorgebrachte.“ Luther, Leipziger Ausgabe, XVII, S. 580 Er könne nicht widerrufen, er wäre denn aus Gottes Wort eines besseren überführt. Es war deutlich, dass weder Versprechungen noch Drohungen ihn zur Nachgiebigkeit gegenüber Roms Befehlen bewegen konnten. Die Vertreter Roms ärgerten sich, dass ihre Macht, die Könige und Adlige zum Erzittern gebracht hatte, auf diese Weise von einem einfachen Mönch missachtet werden sollte. Sie wünschten nun, ihn ihren Zorn fühlen zu lassen und ihn zu Tode zu martern. Aber Luther, der die ihm drohende Gefahr begriff, hatte zu allen in christlicher Würde und Gelassenheit gesprochen. Seine Worte waren frei von Stolz, Leidenschaft oder Täuschung gewesen. Er hatte sich selbst und die großen Männer, die ihn umgaben, aus den Augen verloren und fühlte nur, dass er in der Gegenwart Gottes war, der unendlich erhaben über Päpsten, Prälaten, Königen und Kaisern thront. Christus hatte durch Luthers Zeugnis mit einer Macht und Größe gesprochen, die für den Augenblick Freunden und Feinden Ehrfurcht und Erstaunen einflößte. Der Geist Gottes war in jener Versammlung gegenwärtig gewesen und hatte die Herzen der Großen des Reiches ergriffen. Mehrere Fürsten anerkannten offen die Gerechtigkeit der Sache Luthers. DGK.134.4 Teilen

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Viele waren von der Wahrheit überzeugt; bei einigen jedoch dauerte dieser Eindruck nicht lange an. Andere hielten mit ihrer Meinung zurück, wurden aber später, nachdem sie die Heilige Schrift für sich selbst durchforscht hatten, furchtlose Anhänger der Reformation. DGK.135.1 Teilen

Der Kurfürst Friedrich von Sachsen hatte mit großer Besorgnis dem Erscheinen Luthers vor dem Reichstag entgegengesehen und lauschte jetzt tief bewegt seiner Rede. Mit Stolz und Freude sah er den Mut, die Entschiedenheit und die Selbstbeherrschung des Doktors und nahm sich vor, ihn entschiedener als je zu verteidigen. Er verglich die streitenden Parteien und erkannte, dass die Weisheit der Päpste, Könige und Prälaten durch die Macht der Wahrheit zunichte gemacht worden war. Diese Niederlage des Papsttums sollte unter allen Nationen und zu allen Zeiten spürbar sein. DGK.135.2 Teilen

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Als der päpstliche Gesandte die Wirkung der Rede Luthers wahrnahm, fürchtete er wie nie zuvor für die Sicherheit der römischen Macht. So entschloss er sich, alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu nutzen, um den Untergang des Reformators herbeizuführen. Mit all der Beredsamkeit und dem diplomatischen Geschick, das ihn in so hohem Grade auszeichnete, stellte er dem jungen Kaiser die Torheit und die Gefahr dar, wegen eines unbedeutenden Mönches die Freundschaft und Hilfe des mächtigen Rom zu opfern. DGK.136.1 Teilen

Seine Worte blieben nicht wirkungslos. Schon am nächsten Tag ließ Kaiser Karl den Reichsständen seinen Beschluss melden, dass er genau wie seine Vorfahren fest entschlossen sei, ihren Glauben zu unterstützen und zu schützen. Da Luther sich geweigert hatte, seinen Irrtümern zu entsagen, sollten die strengsten Maßnahmen gegen ihn und die Ketzereien angewandt werden, die er lehrte. „Es sei offenkundig, dass ein durch seine eigene Torheit verleiteter Mönch der Lehre der ganzen Christenheit widerstreite ... so bin ich fest entschlossen, alle meine Königreiche, das Kaisertum, Herrschaften, Freunde, Leib, Blut und das Leben und mich selbst daran zu setzen, dass dies gottlose Vornehmen nicht weiter um sich greife ... Gebiete demnach, dass er sogleich nach der Vorschrift des Befehls wieder heimgebracht werde und sich laut des öffentlichen Geleites in Acht nehme, nirgends zu predigen, noch dem Volk seine falschen Lehren weiter vorzutragen. Denn ich habe fest beschlossen, wider ihn als einen offenbaren Ketzer zu verfahren. Und begehre daher von euch, dass ihr in dieser Sache dasjenige beschließet, was rechten Christen gebührt und wie ihr zu tun versprochen habt.“ Luther, Walch, XIV, S. 2236, 2237 Der Kaiser erklärte, Luther müsse das sichere Geleit gehalten werden, und ehe Maßnahmen gegen ihn getroffen werden könnten, müsse ihm gestattet werden, seine Heimat sicher und unbehelligt zu erreichen. DGK.136.2 Teilen

Erneut wurden zwei gegensätzliche Meinungen der Reichsstände deutlich. Die Gesandten und Vertreter des Papstes forderten wiederholt, das Sicherheitsgeleit für Luther nicht zu beachten, und sagten: „Der Rhein muss seine Asche aufnehmen wie die des Hus vor einem Jahrhundert.“ D‘Aubigne, ebd., 7.Buch, Kapitel 9 Doch deutsche Fürsten, obwohl auf päpstlicher Seite stehend und offene Feinde Luthers, wandten sich gegen einen öffentlichen Treuebruch als Schandfleck für die Ehre der Nation. Sie wiesen auf die folgenschweren Auseinandersetzungen hin, die auf den Tod von Hus gefolgt waren, und 136 H63/164! erklärten, dass sie es nicht wagten, eine Wiederholung dieser schrecklichen Ereignisse über Deutschland und zu Lasten ihres jungen Kaisers zu bringen. Karl selbst erwiderte auf den niederträchtigen Vorschlag: „Wenn Treue und Glauben nirgends mehr gelitten [eingehalten] würden, sollten doch solche an den fürstlichen Höfen ihre Zuflucht finden.“ Seckendorff, ebd., S. 357 Die schlimmsten römischen Feinde Luthers versuchten noch weiter, den Kaiser umzustimmen, dass er mit dem Reformator so verfahre, wie Sigismund Hus behandelt hatte, und ihn der Gnade und Ungnade der Kirche überlasse. Karl V. aber, der sich ins Gedächtnis zurückrief, wie Hus in der öffentlichen Versammlung auf seine Ketten hingewiesen und den Kaiser an seine verpfändete Treue erinnert hatte, erklärte entschlossen: „Ich will nicht wie Sigismund erröten!“ Lenfant, „Histoire du concile de Constance“, Bd. I, 3.Buch, S. 404 DGK.136.3 Teilen

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Karl hatte jedoch wohlüberlegt die von Luther verkündeten Wahrheiten verworfen. „Ich bin“, schrieb der Herrscher, „fest entschlossen, in die Fußstapfen meiner Ahnen zu treten.“ Er hatte entschieden, nicht vom Pfad des herkömmlichen Glaubens abzuweichen, selbst nicht, um in den Wegen der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu wandeln. Weil seine Väter dem römischen Glauben gefolgt waren, wollte auch er das Papsttum mit all seiner Grausamkeit und Verderbtheit aufrechterhalten. Bei dieser Entscheidung blieb er, und er weigerte sich, irgendwelches weitere Licht, das über die Erkenntnis seiner Väter hinausging, anzunehmen oder irgendeine Pflicht auszuüben, die sie nicht ausgeübt hatten. DGK.137.1 Teilen

Viele halten heute genauso an den Bräuchen und Überlieferungen der Väter fest. Schickt der Herr ihnen weiteres Licht, so weigern sie sich, es anzunehmen, weil ihre Väter es auch nicht angenommen haben, ohne zu bedenken, dass jene es ja noch gar nicht erhalten hatten. Wir sind viel weiter vorwärts gegangen als es unsere Väter waren, daraus folgt, dass unsere Pflichten und Verantwortlichkeiten auch nicht die gleichen sind. Gott wird es nicht gut finden, wenn wir auf das Beispiel unserer Väter blicken, anstatt das Wort der Wahrheit für uns selbst zu prüfen, um unsere Pflichten zu erkennen. Unsere Verantwortung ist größer als die unserer Vorfahren. Wir sind verantwortlich für das Licht, das sie erhielten und das uns als Erbgut zuteil wurde. Wir müssen aber auch Rechenschaft ablegen über das neu hinzugekommene Licht, das jetzt aus dem Wort Gottes auf uns scheint. DGK.137.2 Teilen

Christus sagte von den ungläubigen Juden: „Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen geredet hätte, so hätten sie keine Sünde; nun aber haben sie keinen Vorwand für ihre Sünde.“ Johannes 15,22 (Schlachter 2000). Dieselbe göttliche Macht hatte durch Luther zum Kaiser und zu den Fürsten Deutschlands gesprochen. Und als das Licht aus dem Wort Gottes strahlte, sprach sein Geist für viele in jener Versammlung zum letzten Mal. Wie Pilatus Jahrhunderte zuvor dem Stolz und der Gunst des Volkes gestattet hatte, dem Erlöser der Welt sein Herz zu verschließen; wie der zitternde Felix den Boten der Wahrheit gebeten hatte: „Für diesmal geh. Zu gelegener Zeit will ich dich wieder rufen lassen“ (Apostelgeschichte 24,25), und wie der stolze Agrippa bekannt hatte: „Es fehlt nicht viel, du überredest mich, dass ich ein Christ werde“ (Apostelgeschichte 26,28), und sich doch von der vom Himmel gesandten Botschaft abwandte — so entschied sich Karl V., den Eingebungen weltlichen Stolzes und der Staatsklugheit folgend, das Licht der Wahrheit zu verwerfen. DGK.137.3 Teilen

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Gerüchte über die Absichten gegen Luther wurden überall laut und verursachten große Aufregung in der ganzen Stadt. Der Reformator hatte sich viele Freunde erworben, die beschlossen, dass er nicht geopfert werden sollte, weil sie die verräterische Grausamkeit Roms gegen alle kannten, die es wagten, sein wahres Gesicht aufzudecken. Hunderte von Edelleuten verpflichteten sich, ihn zu beschützen. Nicht wenige kritisierten die kaiserliche Botschaft öffentlich als einen Beweis der Schwäche gegenüber der beherrschenden Macht Roms. An Haustüren und auf öffentlichen Plätzen wurden Plakate angebracht, von denen manche Luther verurteilten, andere ihn aber unterstützten. Auf einem standen nur die bedeutsamen Worte des weisen Salomo: „Weh dir, Land, dessen König ein Kind ist!“ Prediger 10,6. Die Begeisterung des Volkes für Luther, die deutschlandweit herrschte, überzeugte sowohl den Kaiser als auch den Reichstag, dass irgendein ihm zugefügtes Leid den Frieden des Reiches und selbst die Sicherheit des Throns gefährden würde. DGK.138.1 Teilen

Friedrich von Sachsen hielt sich klugerweise zurück und verbarg sorgfältig seine wirklichen Gefühle für den Reformator, während er ihn gleichzeitig mit unermüdlicher Wachsamkeit beschützte und sowohl Luther als auch seine Feinde scharf beobachtete. Viele jedoch brachten ihre Sympathie für Luther offen zum Ausdruck. Er wurde von vielen Fürsten, Grafen, Baronen und anderen einflussreichen weltlichen und kirchlichen Persönlichkeiten besucht. „Das kleine Zimmer des Doktors konnte die vielen Besucher, die sich vorstellten, nicht fassen“, schrieb Spalatin. Luther, EA, op. lat XXXVII, S. 15,16 Selbst solche, die seinen Lehren nicht glaubten, mussten doch jene vornehme Lauterkeit bewundern, die ihn antrieb, eher in den Tod zu gehen als sein Gewissen zu verletzen. DGK.138.2 Teilen

Weitere ernsthafte Anstrengungen wurden unternommen, um Luther zu einem Vergleich mit Rom zu bewegen. Besondere kleine Ausschüsse, bestehend aus Fürsten, Prälaten und Gelehrten, bemühten sich weiter um ihn, und sein Geleitbrief wurde gegen den Wunsch des päpstlichen Gesandten um fünf Tage verlängert. Fürsten und Adlige machten ihm deutlich, dass der Kaiser ihn aus dem Land treiben und ihm in ganz Deutschland keine Zuflucht lassen würde, wenn er hartnäckig sein eigenes Urteil gegen das der Kirche und Konzilien aufrechterhielte. Luther antwortete auf diese ernste Vorstellung: „Ich weigere mich nicht, Leib, Leben und Blut dahinzugeben, nur will ich nicht gezwungen werden, Gottes Wort zu widerrufen, in dessen Verteidigung man Gott mehr als den Menschen gehorchen muss. Auch kann ich nicht das Ärgernis des Glaubens verhindern, weil ja Christus ein Stein des Ärgernisses ist.“ Luther, EA, op. lat. XXXVII, S. 18 Erneut bedrängte man ihn, seine Bücher dem Urteil des Kaisers und des Reiches unterzuordnen. Luther erwiderte: „Ich habe nichts dawider, dass der Kaiser oder die Fürsten oder der geringste Christ meine Bücher prüfen — aber nur nach dem Worte Gottes. Die Menschen müssen diesem allein gehorchen. Mein Gewissen ist in Gottes Wort und der Heiligen Schrift gebunden.“ D‘Aubigne, ebd., 7.Buch, 7.Abschnitt, S. 221,224 DGK.138.3 Teilen

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Auf einen andern Überredungsversuch antwortete er: „Ich will eher das Geleit aufgeben, meine Person und mein Leben dem Kaiser ausliefern, aber niemals Gottes Wort.“ Er erklärte sich bereit, sich der Entscheidung des allgemeinen Konzils unterzuordnen, aber nur unter der Bedingung, dass es nach der Schrift entscheidet. „Was das Wort Gottes und den Glauben anbetrifft“, fügte er hinzu, „so kann jeder Christ ebenso gut urteilen wie der Papst es für ihn tun könnte, sollten ihn auch eine Million Konzilien unterstützen.“ Luthers Werke, Bd. II, S. 107, Hallenser Ausgabe Freunde und Gegner waren schließlich überzeugt, dass weitere Versöhnungsversuche nutzlos seien. DGK.139.1 Teilen

Hätte der Reformator nur in einem einzigen Punkt nachgegeben, so würden die Mächte der Finsternis den Sieg davongetragen haben. Aber sein felsenfestes Ausharren am Wort Gottes war das Mittel zur Befreiung der Gemeinde und der Anfang eines neuen und besseren Zeitalters. Indem Luther in religiösen Dingen selbständig zu denken und zu handeln wagte, beeinflusste er nicht nur die Kirche und die ganze Welt seiner Zeit, sondern auch alle künftigen Generationen. Seine Standhaftigkeit und Treue sollten bis zum Ende der Tage alle stärken, die ähnliche Erfahrungen zu bestehen haben werden. Gottes Macht und Majestät standen erhaben über dem Rat der Menschen und über der gewaltigen Macht des Bösen. DGK.139.2 Teilen

Bald darauf erging an Luther der kaiserliche Befehl, in seine Heimat zurückzukehren, und er wusste, dass dieser Weisung bald seine Verurteilung folgen würde. Drohende Wolken hingen über seinem Weg. Doch als er Worms verließ, erfüllten Freude und Dank sein Herz. „Der Teufel selbst beschützte des Papstes Bastion; aber Christus tat einen großen Bruch hinein, und Satan ward gezwungen zu gestehen, dass der Herr stärker ist.“ D‘Aubigne, Bd. 7, Kap. 11 DGK.139.3 Teilen

Auf seiner Heimreise schrieb Luther, der noch immer wollte, dass seine Festigkeit nicht als Empörung missdeutet werden möge, an den Kaiser folgendes: „Gott, der ein Herzenskündiger ist, ist mein Zeuge, dass ich in aller Untertänigkeit Eurer Kaiserlichen Majestät Gehorsam zu leisten ganz willig und bereit bin, es sei durch Leben oder Tod, durch Ehre, durch Schande, Gut oder Schaden. Ich habe auch nichts vorbehalten als allein das göttliche Wort, in welchem der Mensch nicht allein lebt, sondern wonach es auch den Engeln gelüstet zu schauen.“ — „In zeitlichen Sachen sind wir schuldig, einander zu vertrauen, weil derselben Dinge Unterwerfung, Gefahr und Verlust der Seligkeit keinen Schaden tut. Aber in Gottes Sache und ewigen Gütern leidet Gott solche Gefahr nicht, dass der Mensch dem Menschen solches unterwerfe.“ — „Solcher Glaube und Unterwerfung ist das wahre rechte Anbeten und der eigentliche Gottesdienst.“ Enders, Bd. III, S. 129-141,28.4.1521 DGK.139.4 Teilen

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Auf der Rückreise von Worms war Luthers Empfang in den einzelnen Städten sogar noch großartiger als auf der Hinreise. Hochstehende Geistliche bewillkommneten den mit dem Bann belegten Mönch, und weltliche Beamte ehrten den vom Kaiser geächteten Mann. Er wurde aufgefordert, zu predigen und betrat auch trotz des kaiserlichen Verbots die Kanzel. Er selbst hatte keine Bedenken; „denn er habe nicht darin eingewilligt, dass Gottes Wort gebunden werde“. Enders, Bd. III, S. 154,14.5.1521 DGK.140.1 Teilen

Die Gesandten des Papstes erpressten bald nach seiner Abreise vom Kaiser die Erklärung der Reichsacht. Luther, EA, XXIV, S. 223-240 In diesem Dekret wurde Luther gebrandmarkt als „Satan höchst persönlich in der Gestalt eines Menschen, gekleidet in einer Mönchskutte.“ D‘Aubigne, 7.Buch, 11.Abschn., S. 232 Es wurde befohlen, nach Ablauf seines Sicherheitsgeleites Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen, um sein Werk aufzuhalten. Es war jedem verboten, ihn zu beherbergen, ihm Speise oder Trank anzubieten, ihm durch Wort oder Tat öffentlich oder geheim zu helfen oder ihn zu unterstützen. Er sollte, gleich wo er auch war, festgenommen und der Obrigkeit ausgeliefert werden. Seine Anhänger sollten ebenfalls gefangen genommen und ihr Eigentum beschlagnahmt werden. Seine Schriften sollten vernichtet und schließlich alle, die es wagen würden, diesem Erlass entgegenzuhandeln, in seine Verurteilung eingeschlossen werden. Der Kurfürst von Sachsen und die Fürsten, die Luther am günstigsten gesonnen waren, hatten Worms bald nach seiner Abreise verlassen. Der Reichstag bestätigte nun den Erlass des Kaisers. Jetzt frohlockten die römischen Vertreter. Sie betrachteten das Schicksal der Reformation für besiegelt. DGK.140.2 Teilen

Gott hatte für seinen Diener in dieser gefahrvollen Stunde einen Weg der Rettung vorbereitet. Ein wachsames Auge war Luthers Schritten gefolgt, und ein treues und edles Herz hatte sich zu seiner Rettung entschlossen. Es war klar, dass Rom nichts Geringeres als seinen Tod fordern würde. Nur indem er sich verbarg, konnte er vor dem Rachen des Löwen bewahrt werden. Gott gab Friedrich von Sachsen Weisheit, einen Plan zu entwerfen, der den Reformator am Leben erhalten sollte. Unter Mitwirkung treuer Freunde wurde der Plan des Kurfürsten durchgeführt und Luther erfolgreich vor Freunden und Feinden verborgen. Auf seiner Heimreise wurde er gefangen genommen, von seinen Begleitern getrennt und in aller Eile durch die Wälder zur Wartburg, einer einsamen Burgfeste, gebracht. Seine Gefangennahme und auch sein Verschwinden geschahen unter so geheimnisvollen Umständen, dass selbst Friedrich lange nicht wusste, wohin Luther entführt worden war. Der Kurfürst blieb absichtlich in Unkenntnis, denn solange er von Luthers Aufenthalt nichts wusste, konnte er keine Auskunft geben. Er vergewisserte sich, dass der Reformator in Sicherheit war und gab sich damit zufrieden. DGK.140.3 Teilen

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Frühling, Sommer und Herbst gingen vorüber, der Winter kam, und Luther blieb noch immer ein Gefangener. Aleander und seine Anhänger frohlockten, dass das Licht des Evangeliums dem Verlöschen nahe schien. Stattdessen aber füllte der Reformator seine Lampe aus dem Vorratshaus der Wahrheit, damit ihr Licht um so heller leuchte. DGK.141.1 Teilen

In der freundlichen Sicherheit der Wartburg erfreute sich Luther eine Zeit lang eines Daseins ohne Hitze und Kampfgetümmel. Aber die Ruhe und Stille konnten ihn nicht lange befriedigen. An ein Leben der Tat und des harten Kampfes gewöhnt, konnte er es schwer ertragen, untätig zu sein. In jenen einsamen Tagen vergegenwärtigte er sich den Zustand der Kirche, und er rief in seiner Not: „Aber, es ist niemand, der sich aufmache und zu Gott halte oder sich zur Mauer stelle für das Haus Israel an diesem letzten Tage des Zorns Gottes!“ Enders, Bd. III, S. 148,12.5.1521 an Melanchthon Wiederum richteten sich seine Gedanken auf sich selbst, und er fürchtete, er könnte durch seinen Rückzug vom Kampf als feige beschuldigt werden. Dann machte er sich Vorwürfe wegen seiner Lässigkeit und Bequemlichkeit. Und doch vollbrachte er zur selben Zeit täglich mehr, als ein Mensch zu leisten imstande schien. Seine Feder ruhte nie. Während seine Feinde sich schmeichelten, ihn zum Schweigen gebracht zu haben, wurden sie in Erstaunen versetzt und verwirrt durch handgreifliche Beweise seines Wirkens. Eine Fülle von Abhandlungen, (Siehe Anmerkung 28) die aus seiner Feder kamen, machten die Runde durch ganz Deutschland. Vor allem leistete er seinen Landsleuten einen außerordentlich wichtigen Dienst, indem er das Neue Testament in die deutsche Sprache übersetzte. Auf seinem felsigen Patmos arbeitete er fast ein Jahr lang, um durch Schriften das Evangelium zu verkündigen und die Sünden und Irrtümer der Zeit anzuprangern. DGK.141.2 Teilen

Gott hatte seinen Diener nicht nur deshalb vom Schauplatz des öffentlichen Lebens entrückt, um ihn vor dem Zorn seiner Feinde zu bewahren, sondern um ihm für diese wichtigen Aufgaben eine Zeit lang Ruhe zu verschaffen. Wertvollere Erfolge als diese sollten erreicht werden. In der Einsamkeit und Verborgenheit seiner bergigen Zufluchtsstätte war Luther ohne alle irdischen Stützen und ohne menschliches Lob. Somit blieb er vor Stolz und dem Vertrauen auf sich selbst bewahrt, die so oft durch Erfolg entstehen. Durch Schwierigkeiten und Demütigungen wurde er darauf vorbereitet, wieder sicher die schwindelnden Höhen zu betreten, zu denen er so plötzlich erhoben worden war. Wenn Menschen sich an der Freiheit erfreuen, welche die Wahrheit ihnen bringt, neigen sie dazu, die zu erhöhen, deren sich Gott bedient, um die Ketten des Irrtums und des Aberglaubens zu brechen. Satan versucht, der Menschen Gedanken und Neigungen von Gott abzulenken und auf Menschen zu richten. Er veranlasst sie, nur das Werkzeug zu ehren und dagegen den, der alle Ereignisse der Vorsehung leitet, unbeachtet zu lassen. Nur zu oft verlieren religiöse Verantwortungsträger, die auf diese Weise gelobt und verehrt werden, ihre Abhängigkeit von Gott aus den Augen und verlassen sich auf sich selbst. Sie suchen dann die Gemüter und das Gewissen des Volkes zu beherrschen, das eher bereit ist, auf sie, statt auf das Wort Gottes zu sehen. Das Werk einer Umgestaltung wird oft gehindert, weil dieser Geist von ihren Anhängern unterstützt wird. Vor dieser Gefahr wollte Gott die Reformation bewahren. Er wollte, dass dieses Werk sein Gepräge nicht durch Menschen, sondern durch ihn selbst erhalten sollte. Die Menschen hatten auf Luther, den Verkündiger der Wahrheit geschaut. Dieser trat aber nun in den Hintergrund, damit der Blick auf den Einen gerichtet werden konnte, in dem die Wahrheit gegründet ist. DGK.141.3 Teilen

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