Portrait von Ellen White
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In der Bibel vorausgesagt
In der Bibel vorausgesagt
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Die Erziehung und das Leben in einfachen Verhältnissen prägten Luther (1483-1546). Er war ein treuer Nachfolger der Kirche, studierte das Kirchenrecht — aber auch die Bibel — und fand immer deutlicher die Ungereimtheiten zwischen Theorie und Praxis. Nach der Veröffentlichung seiner Thesen an der Kirchentür fing der Kampf auch für Luther an, aus dem schließlich die Trennung von Rom entstand. Er eiferte für die Wahrheit ohne Rücksicht auf die Folgen — die konnte er nicht erahnen.. DGK.100.1 Teilen

Unter denen, die berufen wurden, die Gemeinde aus der Finsternis in das Licht eines reineren Glaubens zu führen, stand Martin Luther an vorderster Stelle. Eifrig, feurig und hingebungsvoll kannte er keine Furcht außer der Gottesfurcht und ließ keine andere Grundlage für den religiösen Glauben gelten als die Heilige Schrift. Luther war der Mann für seine Zeit. Durch ihn führte Gott ein großes Werk für die Reformation der Kirche und die Erleuchtung der Welt aus. DGK.100.2 Teilen

Ebenso wie die ersten Herolde des Evangeliums stammte Luther aus einer einfachen, wenig begüterten Familie. Seine frühe Kindheit verbrachte er in dem einfachen Heim eines deutschen Landmanns. Durch tägliche harte Arbeit als Bergmann verdiente sein Vater die Mittel zu seiner Ausbildung. Er bestimmte ihn zum Rechtsgelehrten, aber nach Gottes Willen sollte aus ihm ein Baumeister an dem großen Tempel werden, der im Laufe der Jahrhunderte langsam gebaut wurde. Mühsal, Entbehrung und strenge Selbstbeherrschung waren die Schule, in der die unendliche Weisheit Luther für seine besondere Lebensaufgabe vorbereitete. DGK.100.3 Teilen

Luthers Vater war ein Mann von tatkräftigem, lebendigem Geist und großer Charakterstärke, ehrlich, entschlossen und aufrichtig. Er stand zu dem, was er als seine Pflicht erkannt hatte, ganz gleich, welche Folgen dies haben mochte. Sein klarer, gesunder Menschenverstand betrachtete das Mönchswesen mit Misstrauen. Er war sehr unzufrieden, als Luther ohne seine Einwilligung in ein Kloster eintrat. Es dauerte zwei Jahre, ehe sich der Vater mit seinem Sohn ausgesöhnt hatte, und selbst dann blieben seine Ansichten dieselben. Luthers Eltern erzogen ihre Kinder sehr sorgfältig. Sie bemühten sich, sie in der Gotteserkenntnis und Ausübung christlicher Tugenden zu unterweisen. Oft hörte der 100 Sohn, wie der Vater zum himmlischen Vater betete, dass das Kind des Namens des Herrn gedenken und einmal die Wahrheit fördern helfen möge. Soweit es ihr arbeitsreiches Leben zuließ, nutzten die Eltern jede Möglichkeit, sittlich und geistig weiterzukommen. Ihre Bemühungen, ihre Kinder für ein Leben der Frömmigkeit und Nützlichkeit zu erziehen, waren ernsthaft und ausdauernd. In ihrer Entschiedenheit und Charakterfestigkeit verlangten sie von ihren Kindern manchmal etwas zu viel, aber der Reformator selbst fand an ihrer Erziehungsweise mehr zu loben als zu tadeln, obwohl er sich in mancher Beziehung bewusst war, dass sie geirrt hatten. DGK.100.4 Teilen

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In Luthers Schulzeit wurde er streng, ja geradezu hart behandelt. So groß war die Armut seiner Eltern, dass er, als er das Vaterhaus verließ, um die Schule eines andern Ortes zu besuchen, eine Zeit lang genötigt war, sich seine Nahrung durch Singen von Tür zu Tür zu erwerben, wobei er oft Hunger litt. Die damaligen Vorstellungen von einer finsteren, abergläubischen Religion erfüllten ihn mit Furcht. Er legte sich abends mit sorgenschwerem Herzen nieder, sah zitternd in die dunkle Zukunft und schwebte in ständiger Furcht, wenn er an Gott dachte. Er sah in ihm mehr einen harten, unerbittlichen Richter und grausamen Tyrannen als einen liebevollen himmlischen Vater. DGK.101.1 Teilen

Dennoch ging Luther unter sehr vielen und großen Entmutigungen zielstrebig voran, dem hohen Ziel sittlicher und geistiger Reife zu, das ihn anzog. Er sehnte sich nach mehr Erkenntnis, und sein ernster und praktisch veranlagter Charakter suchte eher nach Dauerhaftem und Nützlichem als nach Schein und Oberflächlichkeiten. DGK.101.2 Teilen

Als er mit 18 Jahren zur Universität nach Erfurt ging, war seine Situation besser und seine Aussichten erfreulicher als in früheren Jahren. Da es seine Eltern durch Fleiß und Sparsamkeit zu einigem Wohlstand gebracht hatten, war es ihnen möglich, ihn zu unterstützen; auch hatte der Einfluss verständiger Freunde die negativen Wirkungen seiner früheren Erziehung etwas gemildert. Er studierte nun eifrig die besten Schriftsteller, nahm ihre wichtigsten Gedanken auf und eignete sich die Weisheit der Weisen an. Sogar unter der rauen Zucht seiner damaligen Lehrer gab es schon früh berechtigte Hoffnungen, dass er sich einmal auszeichnen könnte, und unter den günstigen Einflüssen entwickelte sich sein Geist sehr schnell. Ein gutes Gedächtnis, ein lebhaftes Vorstellungsvermögen, eine überzeugende Urteilskraft und unermüdlicher Fleiß ließen ihn bald einen Platz in den ersten Reihen seiner Gefährten einnehmen. Die geistige Erziehung stärkte seinen Verstand und weckte eine geistige Beweglichkeit und einen Scharfblick. Dies bereitete ihn auf die zukünftigen Kämpfe in seinem Leben vor. DGK.101.3 Teilen

Die Furcht des Herrn wohnte in Luthers Herzen. Sie befähigte ihn, an seinen Vorsätzen festzuhalten und führte ihn zu tiefer Demut vor Gott. Er war sich ständig seiner Abhängigkeit von der göttlichen Hilfe bewusst und versäumte es nicht, jeden Tag mit Gebet zu beginnen, während sein Herz ständig um Führung und Beistand flehte. Oft sagte er: „Fleißig gebetet ist über die Hälfte studiert.“ Mathesius, „Luther-Historien“, S. 3 DGK.101.4 Teilen

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Als Luther eines Tages in der Universitätsbibliothek die Bücher durchschaute, entdeckte er eine lateinische Bibel. Solch ein Buch hatte er nie zuvor gesehen, wie er selbst bezeugte: „Da ich 20 Jahre alt war, hatte ich noch keine Bibel gesehen. Ich meinte, es gab keine Evangelien noch Episteln mehr, denn die in den Postillen sind.“ „D. Martin Luthers sämtliche Werke“, Erlanger Ausgabe, LX, S. 255 DGK.102.1 Teilen

Nun blickte er zum ersten Mal auf das ganze Wort Gottes. Mit ehrfürchtigem Staunen wendete er die heiligen Blätter um; mit erhöhtem Puls und klopfendem Herzen las er selbst die Worte des Lebens, hin und wieder anhaltend, um auszurufen: „Oh, dass Gott mir solch ein Buch als mein Eigentum geben wollte!“ Engel Gottes standen ihm zur Seite, und Strahlen des Lichtes vom Thron des Höchsten eröffneten seinem Verständnis die Schätze der Wahrheit. Er hatte sich stets gefürchtet, Gott zu beleidigen; jetzt aber ergriff ihn wie nie zuvor eine tiefe Überzeugung seines sündhaften Zustandes. DGK.102.2 Teilen

Der aufrichtige Wunsch, von Sünden frei zu sein und Frieden mit Gott zu haben, veranlasste ihn schließlich, in ein Kloster einzutreten und ein Leben als Mönch zu führen. Hier musste er niedrigste Arbeiten verrichten und von Haus zu Haus betteln gehen. Er war in einem Alter, in dem man sich sehr nach Achtung und Anerkennung sehnt, und so fühlte er sich in seinen natürlichen Gefühlen durch diese erniedrigende Beschäftigung tief gekränkt. Doch ertrug er geduldig die Demütigung, weil er glaubte, dass es um seiner Sünden willen notwendig sei. DGK.102.3 Teilen

Jeden Augenblick, den er von seinen täglichen Pflichten erübrigen konnte, nutzte er fürs Studium. Er gönnte sich wenig Schlaf und nahm sich kaum Zeit für seine bescheidenen Mahlzeiten. Vor allem andern erfreute ihn das Studium des Wortes Gottes. Er hatte, an der Klostermauer angekettet, eine Bibel gefunden und zog sich oft dorthin zurück. Je mehr er von seinen Sünden überzeugt wurde, desto stärker versuchte er durch eigene Werke Vergebung und Frieden zu finden. Er führte ein außerordentlich strenges Leben und bemühte sich, das Böse seines Wesens, von dem sein Mönchtum ihn nicht befreien konnte, durch Fasten, Wachen und Kasteien zu besiegen. Er schreckte vor keinem Opfer zurück, das ihm möglicherweise zur Reinheit des Herzens verhelfen könnte, die ihm vor Gott Anerkennung brächte. „Wahr ist‘s, ein frommer Mönch bin ich gewesen, und habe so gestrenge meinen Orden gehalten, dass ich‘s sagen darf — ist je ein Mönch gen Himmel gekommen durch Möncherei, so wollte ich auch hineingekommen sein; denn ich hätte mich (wo es länger gewährt hätte) zu Tode gemartert mit Wachen, Beten, Lesen und anderer Arbeit.“ Luther, EA, XXXI, S. 273 Infolge dieser schmerzhaften Zucht wurde er immer schwächer und litt an Ohnmachtsanfällen, von deren Auswirkungen er sich nie ganz erholte. Aber trotz aller Anstrengungen fand seine angsterfüllte Seele keine Erleichterung, sondern er wurde immer verzweifelter. DGK.102.4 Teilen

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Als es Luther schien, dass alles verloren sei, stellte Gott ihm einen Helfer und Freund zur Seite. Der fromme Staupitz öffnete das Wort Gottes seinem Verständnis und riet ihm, seine Aufmerksamkeit von sich selbst wegzulenken und mit den Betrachtungen über eine ewige Strafe für die Übertretung des Gesetzes Gottes aufzuhören und auf Jesus, seinen sündenvergebenden Heiland, zu schauen. „Statt dich wegen deiner Sünden zu kasteien, wirf dich in die Arme des Erlösers. Vertraue auf ihn — auf die Gerechtigkeit seines Lebens — auf die Versöhnung in seinem Tode. Horch auf den Sohn Gottes. Er ist Mensch geworden, um dir die Gewissheit seiner göttlichen Gunst zu geben.“ — „Liebe ihn, der dich zuerst geliebt hat.“ Walch, „D. Martin Luthers sämtliche Schriften“, II, S. 264 DGK.103.1 Teilen

So sprach dieser Bote der Gnade. Seine Worte machten tiefen Eindruck auf Luther. Nach manchem Kampf mit lang gehegten Irrtümern erfasste er die Wahrheit, und Friede zog in seine gequälte Seele ein. DGK.103.2 Teilen

Luther wurde zum Priester geweiht und aus dem Kloster an einen Lehrstuhl der Universität Wittenberg berufen. Hier widmete er sich dem Studium der Heiligen Schrift in den Grundtexten, begann darüber Vorlesungen zu halten und erschloss das Buch der Psalmen, die Evangelien und Briefe dem Verständnis von Scharen begeisterter Zuhörer. Staupitz nötigte ihn, die Kanzel zu besteigen und das Wort Gottes zu predigen. Luther zögerte, da er sich unwürdig fühlte, als Bote Christi zum Volk zu reden. Nur nach langem Widerstreben gab er den Bitten seiner Freunde nach. Die Wahrheiten der Heiligen Schrift erfüllten ihn schon stark, und Gottes Gnade ruhte auf ihm. Seine Beredsamkeit fesselte die Zuhörer, die Klarheit und Macht in der Darstellung der Wahrheit überzeugte ihren Verstand, und seine Inbrunst bewegte die Herzen. DGK.103.3 Teilen

Luther war noch immer ein treuer Sohn der päpstlichen Kirche und dachte nicht daran, je etwas anderes zu sein. Durch Gottes Vorsehung bot sich ihm Gelegenheit, nach Rom zu reisen. Er reiste dort zu Fuß hin, wobei er in den am Wege liegenden Klöstern Unterkunft fand. Er war verwundert, als er in einem Kloster in Italien den Reichtum, die Pracht und den Aufwand dieser Häuser sah. Mit einem fürstlichen Einkommen beschenkt, wohnten die Mönche in glänzenden Gemächern, kleideten sich mit den wertvollsten Gewändern und genossen eine üppige Verpflegung. Schmerzlich besorgt, verglich Luther dieses Schauspiel mit der Selbstverleugnung und Mühsal seines eigenen Lebens. Seine Gedanken wurden verwirrt. DGK.103.4 Teilen

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Schließlich erblickte er aus der Ferne die Stadt der sieben Hügel. Tief bewegt warf er sich auf die Erde nieder und rief: „Sei mir gegrüßt, du heiliges Rom!“ Er betrat die Stadt, besuchte die Kirchen, lauschte den von den Priestern und Mönchen vorgetragenen Wundererzählungen und erfüllte alle vorgeschriebenen Zeremonien. Überall boten sich ihm Szenen, die ihn mit Erstaunen und Abscheu erfüllten. Er sah, dass unter allen Gruppen der Geistlichkeit das Laster herrschte. Er hörte unanständige Witze von den Geistlichen und wurde mit Entsetzen erfüllt über deren schreckliche Profanität [gottloses Wesen] sogar während der Messe. Als er sich unter die Mönche und Bürger mischte, fand er Verschwendung und Ausschweifung. Wohin er auch kam, traf er statt Heiligkeit Gottlosigkeit. „Niemand glaubt, was zu Rom für Büberei und gräulich Sünde und Schande gehen [geschehen] ... er sehe, höre und erfahre es denn. Daher sagt man: ‚Ist irgendeine Hölle, so muss Rom drauf gebaut sein; denn da gehen alle Sünden im Schwang‘“ Luther, EA, LXII, S. 441 DGK.104.1 Teilen

Durch einen kurz vorher veröffentlichten Erlass war vom Papst all denen Ablass verheißen worden, (Siehe Anmerkung 27) die auf den Knien die „Pilatusstiege“ hinaufrutschten, von der gesagt wird, unser Heiland sei darauf herabgestiegen, als er das römische Gerichtshaus verließ, und sie sei durch ein Wunder von Jerusalem nach Rom gebracht worden. (Ranke, Geschichte im Zeitalter der Reformation, S.Auflage, I, S. 200) Luther erstieg eines Tages andächtig diese Treppe, als plötzlich eine donnerähnliche Stimme zu ihm zu sagen schien: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben!“ Römer 1,17. In Scham und Schrecken sprang er auf und rannte weg von dort. Jene Bibelstelle verlor niemals ihre Wirkung auf ihn. Von da an sah er klarer als je zuvor die Täuschung, auf Menschenwerke zu vertrauen, um Erlösung zu bekommen — und ebenso deutlich sah er die Notwendigkeit eines unerschütterlichen Glaubens an die Verdienste Christi. Seine Augen waren geöffnet worden, und das sollte so bleiben. Als er Rom den Rücken kehrte, hatte er sich auch in seinem Herzen von Rom abgewandt. Von da an wurde die Kluft immer tiefer, bis er schließlich alle Verbindung mit der päpstlichen Kirche aufgab. DGK.104.2 Teilen

Einige Zeit nach seiner Rückkehr aus Rom wurde Luther von der Universität Wittenberg der Titel eines Doktors der Theologie verliehen. Nun stand es ihm frei, sich wie nie zuvor der Heiligen Schrift zu widmen, die er liebte. Er hatte das feierliche Gelöbnis abgelegt, alle Tage seines Lebens Gottes Wort, und nicht die Aussprüche und Lehren der Päpste zu studieren und gewissenhaft zu predigen. Er war nicht länger der einfache Mönch oder Professor, sondern der bevollmächtigte Verkünder der Heiligen Schrift. Er war zu einem Hirten berufen, die Herde zu weiden, die nach der Wahrheit hungerte und dürstete. Deutlicherklärte er, die Christen sollten keine anderen Lehren annehmen, als die, welche auf der Autorität der Heiligen Schrift beruhten. Diese Worte trafen ganz und gar die Grundlage der päpstlichen Oberherrschaft. Sie enthielten den wesentlichen Grundsatz der Reformation. Luther erkannte die Gefahr, menschliche Lehrsätze über das Wort Gottes zu erheben. Furchtlos griff er den spitzfindigen Unglauben der Schulgelehrten an und trat der Philosophie und Theologie entgegen, die so lange einen beherrschenden Einfluss auf das Volk ausgeübt hatten. Er lehnte deren Bemühen nicht nur als wertlos ab, sondern auch als verderblich und versuchte die Gemüter seiner Zuhörer von den Trugschlüssen der Philosophen und Theologen weg — und auf die ewigen Wahrheiten hinzulenken, die die Propheten und Apostel verkündeten. DGK.104.3 Teilen

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Welch kostbare Botschaft, die er den Menschen bringen durfte! Sie wollten nichts davon verpassen, denn nie zuvor hatten sie so etwas gehört. Die frohe Botschaft von der Liebe des Heilands, die Gewissheit der Vergebung und des Friedens durch das versöhnende Blut Christi erfreute ihre Herzen und füllte sie mit einer bleibenden Hoffnung. In Wittenberg war ein Licht angezündet worden, dessen Strahlen die fernsten Teile der Erde erreichen und bis zum Ende der Zeit an Glanz und Klarheit mehr und mehr zunehmen sollten. DGK.105.1 Teilen

Aber Licht und Finsternis können sich nicht vertragen, und zwischen Wahrheit und Irrtum besteht ein unvermeidbarer Kampf. Das eine hochzuhalten und zu verteidigen bedeutet das andere anzugreifen und umzustürzen. Unser Heiland selbst erklärte: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert“ (Matthäus 10,34), und Luther schrieb einige Jahre nach dem Beginn der Reformation: „Gott reißt, treibt und führt mich; ich bin meiner nicht mächtig; ich will stille sein und werde mitten in den Tumult hineingerissen.“ Enders, „D. Martin Luthers Briefwechsel“, Bd. I, S. 430,20.Februar 1519 — Er sollte nun in den Kampf gedrängt werden. DGK.105.2 Teilen

Die katholische Kirche hatte die Gnade Gottes zu einem Handelsgut herabgewürdigt. Die Tische der Geldwechsler waren neben den Altären aufgestellt, und das Geschrei der Käufer und Verkäufer erfüllte die Luft. Matthäus 21,12. Unter dem Vorwand, Mittel für den Bau der Peterskirche in Rom zu erheben, wurden durch die Autorität des Papstes öffentlich Sündenablässe zum Verkauf angeboten. Mit Frevelgeld sollte ein Tempel zur Anbetung Gottes errichtet werden, der Grundstein mit Lösegeld von Sünde. Aber gerade das eingesetzte Mittel zur Stärkung Roms veranlasste den tödlichsten Schlag gegen seine Macht und Größe, brachte die entschlossensten und erfolgreichsten Gegner des Papsttums auf den Plan und führte zu dem Kampf, der den päpstlichen Thron erschütterte und die dreifache Krone auf dem Haupt des römischen Oberpriesters ins Wanken brachte. Der römische Beauftragte Tetzel (1465-1519), der in Deutschland den Verkauf von Ablässen leiten sollte, ist selbst der gemeinsten Vergehen gegen die menschliche Gesellschaft und das Gesetz Gottes überführt worden. DGK.105.3 Teilen

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Nachdem er jedoch der seiner Verbrechen entsprechenden Strafe entkommen war, wurde er mit der Förderung der geldgierigen und gewissenlosen Pläne des Papstes beauftragt. In herausfordernder Weise wiederholte er die schamlosesten Lügen und erzählte Wundergeschichten, um das unwissende, leichtgläubige und abergläubische Volk zu täuschen. Hätten sie das Wort Gottes besessen, wären sie nicht so hintergangen worden. Die Heilige Schrift wurde ihnen vorenthalten, damit sie unter der Herrschaft des Papsttums blieben und mithelfen würden, die Macht und den Reichtum seiner ehrgeizigen Führer zu vermehren. DGK.106.1 Teilen

Wenn der Dominikaner Tetzel, der den Ablasshandel leitete, (Siehe Anmerkung 11) eine Stadt betrat, ging ein Bote vor ihm her und verkündete: „Die Gnade Gottes und des heiligen Vaters ist vor den Toren.“ Und das Volk hieß den gotteslästerlichen Betrüger so willkommen, dass „man hätte nicht wohl Gott selber besser empfangen und halten können“. v. Dorneth, „Martin Luther“, S. 102 Der abscheuliche Handel wurde in der Kirche vorgenommen: Tetzel bestieg die Kanzel und pries die Ablässe als eine kostbare Gabe Gottes. Er erklärte, dass durch seine Ablasszettel dem Käufer alle Sünden, „auch noch so ungeheuerliche, welche der Mensch noch begehen mag“, verziehen würden. „Es wäre nicht nötig, Reue noch Leid oder Buße für die Sünde zu haben“. Seine Ablässe besäßen die Kraft, Lebende und Tote zu retten: „Wenn einer Geld in den Kasten legt für eine Seele im Fegfeuer, sobald der Pfennig auf den Boden fiel und klänge, so führe die Seele heraus gen Himmel.“ Luther, EA, XXVI, S. 69f., „Wider Hans Wurst“ DGK.106.2 Teilen

Als Simon der Zauberer sich von den Aposteln die Macht, Wunder zu wirken, erkaufen wollte, antwortete ihm Petrus: „Dass du verdammt werdest mit deinem Gelde, darum dass du meinst, Gottes Gabe werde durch Geld erlangt!“ Apostelgeschichte 8,20. Aber Tetzels Angebot wurde von Tausenden gierig angenommen. Gold und Silber flossen in seinen Kasten. Eine Seligkeit, die mit Geld erkauft werden konnte, war leichter zu erhalten als eine, die Reue, Glauben und eifrige Anstrengungen erforderte, der Sünde zu widerstehen und sie zu überwinden. DGK.106.3 Teilen

Der Ablasslehre hatten sich schon gelehrte und fromme Männer in der römischen Kirche widersetzt, und es gab viele, die den Behauptungen nicht trauten, die ja entgegen der Vernunft und der Offenbarung standen. Jedoch kein Bischof wagte es, seine Stimme gegen diesen gottlosen Handel zu erheben. Die Menschen dagegen waren beunruhigt und ängstlich, und viele fragten sich ernstlich, ob Gott nicht durch irgend ein Werkzeug die Reinigung seiner Kirche bewirken würde. DGK.106.4 Teilen

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Obwohl Luther noch immer ein sehr eifriger Anhänger des Papstes war, erfüllten ihn die gotteslästerlichen Anmaßungen der Ablasshändler mit Entsetzen. Viele aus seiner eigenen Gemeinde hatten sich Ablassbriefe gekauft und kamen gleich danach zu ihrem Beichtvater, bekannten ihre verschiedenen Sünden und erwarteten Freisprechung — nicht weil sie bußfertig waren und sich bessern wollten, sondern auf Grund des Ablasses. Luther verweigerte ihnen die Freisprechung und warnte sie, dass sie, wenn sie nicht bereuten und ihren Lebensstil änderten, in ihren Sünden umkämen. Ganz bestürzt suchten sie Tetzel auf und klagten ihm, dass ihr Beichtvater seine Briefe abgelehnt habe — ja, einige forderten mutig die Rückgabe ihres Geldes. Der Mönch wurde zornig. Er äußerte die schrecklichsten Verwünschungen, ließ einige Male auf dem Marktplatz ein Feuer anzünden und „weiset damit, wie er vom Papste Befehl hätte, die Ketzer, die sich wider den Allerheiligsten, den Papst und seinen allerheiligsten Ablass legten, zu verbrennen“. Luther, Walch XV, S. 471 DGK.107.1 Teilen

Luther begann nun mutig sein Werk als Kämpfer für die Wahrheit. Er warnte ernst und feierlich von der Kanzel aus, zeigte dem Volk das Schändliche der Sünde und lehrte, dass es für den Menschen unmöglich sei, durch eigene Werke die Schuld zu verringern oder der Strafe zu entrinnen. Nichts als die Buße vor Gott und der Glaube an Christus könne den Sünder retten. Gottes Gnade könne nicht erkauft werden; sie sei eine freie Gabe. Er riet dem Volk, keine Ablässe zu kaufen, sondern gläubig auf den gekreuzigten Erlöser zu DGK.107.2 Teilen

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schauen. Er erzählte seine eigene schmerzliche Erfahrung, als er vergeblich versucht hatte, sich durch Demütigung und Buße Erlösung zu verschaffen, und versicherte seinen Zuhörern, dass er Friede und Freude gefunden habe, als er von sich selbst wegsah und an Christus glaubte. DGK.108.1 Teilen

Als Tetzel seinen Handel und seine gottlosen Behauptungen fortsetzte, entschloss sich Luther zu einem wirksameren Widerstand gegen das schreiende Unrecht. Bald ergab sich dazu eine Gelegenheit. Die Schlosskirche zu Wittenberg war im Besitz vieler Reliquien, die an bestimmten Festtagen für das Volk ausgestellt wurden. Allen, die dann die Kirche besuchten und beichteten, gewährte man Sündenvergebung. Deshalb waren an diesen Tagen sehr viele Menschen dort. DGK.108.2 Teilen

Eine der wichtigsten Gelegenheiten, das Fest „Allerheiligen“, stand kurz bevor. Am Tag davor schloss Luther sich der Menge an, die bereits auf dem Weg zur Kirche war, und heftete einen Bogen mit 95 Thesen gegen die Ablasslehre an die Kirchentür. Er erklärte sich bereit, am folgenden Tag in der Universität diese Sätze gegen alle zu verteidigen, die sie angreifen würden. Man schenkte seinen Thesen allgemeine Beachtung. Sie wurden wieder und wieder gelesen und nach allen Richtungen hin wiederholt. Groß war die Aufregung an der Universität und in der ganzen Stadt. Durch diese Thesen wurde gezeigt, dass die Macht — Vergebung der Sünden zu gewähren und ihre Strafe zu erlassen — nie dem Papst oder irgendeinem andern Menschen übergeben worden war. Der ganze Plan sei ein Betrug — ein Kunstgriff, um Geld zu erpressen, indem man den Aberglauben des Volkes ausnutzte —, eine List Satans, um alle zu verderben, die sich auf seine lügenhaften Vorspiegelungen verließen. Ferner wurde deutlich darauf hingewiesen, dass das Evangelium Christi der kostbarste Schatz der Kirche ist und dass die darin offenbarte Gnade Gottes allen frei gewährt wird, die sie in Reue und Glauben suchen. DGK.108.3 Teilen

Luthers Thesen forderten zur Diskussion heraus, aber niemand wagte es, die Herausforderung anzunehmen. Die von ihm gestellten Fragen waren in wenigen Tagen in ganz Deutschland und in wenigen Wochen in der ganzen Christenheit bekannt. Viele kirchliche Leiter, welche die in der Kirche herrschende schreckliche Ungerechtigkeit gesehen und beklagt, aber nicht gewusst hatten, wie sie deren Ausbreitung aufhalten sollten, lasen die Sätze mit großer Freude und erkannten darin die Stimme Gottes. Sie empfanden, dass der Herr gnädig seine Hand ausgestreckt hatte, um die schnell anschwellende Flut der Verderbnis aufzuhalten, die von der römischen Kurie ausging. Fürsten und Beamte freuten sich insgeheim, dass der anmaßenden Gewalt Zügel angelegt werden sollten, die behauptete, gegen ihre Beschlüsse dürfe kein Einwand erhoben werden. Aber die sündenliebende und abergläubische Menge war entsetzt, als das raffinierte System, das ihre Furcht beseitigt hatte, einfach hinweggefegt wurde. Hinterlistige Geistliche, die in ihrem Treiben gestört wurden, das Verbrechen zu billigen, sahen ihren Gewinn gefährdet. Sie wurden wütend und vereinten sich in dem Bemühen, ihre Behauptungen aufrechtzuerhalten. Der Reformator stieß auf erbitterten Widerstand. Einige beschuldigten ihn, übereilt und impulsiv gehandelt zu haben. Andere nannten ihn vermessen und erklärten, dass er nicht von Gott geleitet werde, sondern aus Stolz und Voreiligkeit handle. „Wer kann eine neue Idee vorbringen“, antwortete er, „ohne einen Anschein von Hochmut, ohne Beschuldigung der Streitlust? Weshalb sind Christus und alle Märtyrer getötet worden? Weil sie gegen die stolzen Verächter der Wahrheit ihrer Zeit vorgingen und neue Ansichten aussprachen, ohne die Organe der alten Meinung demütig um Rat zu fragen. Ich will nicht, dass nach Menschen Rat, sondern nach Gottes Rat geschehe, was ich tue. Ist das Werk von Gott, wer möcht‘s hindern, ist‘s nicht aus Gott, wer möcht‘s fördern? Es geschehe nicht mein, noch ihr, noch euer, sondern Dein Wille, heiliger Vater im Himmel!“ Enders, Bd. I, S. 126, an Lang II.10.1517 Obwohl Luther vom Geist Gottes gedrängt war, sein Werk zu beginnen, sollte er es doch nicht ohne schwere Kämpfe weiterführen. Die Vorwürfe seiner Feinde, ihre Missdeutung seiner Absichten und ihre ungerechten und boshaften Bemerkungen über seinen Charakter und seine Beweggründe ergossen sich wie eine Sturzflut über ihn und blieben nicht ohne Wirkung. Er hatte zuversichtlich damit gerechnet, dass die Führer des Volkes sowohl in der Kirche als auch in der Universität sich ihm bereitwillig in seinen Bemühungen zugunsten der Reformation anschließen würden. Ermutigende Worte von hochgestellten Persönlichkeiten hatten ihm Freude und Hoffnung vermittelt. In der Vorahnung hatte er bereits einen helleren Tag für die Gemeinde anbrechen sehen. Doch die Ermutigung verwandelte sich in Vorwurf und Verurteilung. Viele staatliche und kirchliche Würdenträger waren zwar von der Wahrheit seiner Thesen überzeugt, aber sie sahen bald, dass die Annahme dieser Wahrheiten große Umwälzungen mit sich bringen würde. Das Volk zu erleuchten und umzugestalten hieße in Wirklichkeit die Autorität Roms zu untergraben, Unmengen von Geldern, die bisher in seine Schatzkammer flossen, aufzuhalten und auf diese Weise die Verschwendung und den Aufwand der Herren Roms in hohem Maße einzuschränken. Noch mehr: Das Volk zu lehren, als verantwortliche Geschöpfe zu denken und zu handeln und allein auf Christus zu blicken, um selig zu werden, würde den Thron des Papstes stürzen und am Ende auch ihre eigene Autorität zerstörten. Aus diesem Grund wiesen sie die von Gott angebotene Erkenntnis zurück und erhoben sich durch ihren Widerstand gegen den Mann, den Gott zu ihrer Erleuchtung gesandt hatte, und damit gegen Christus und die Wahrheit. Luther zitterte, als er auf sich blickte, „mehr einer Leiche, denn einem Menschen gleich“, den gewaltigsten Mächten der Erde gegenübergestellt. Manchmal zweifelte er, ob ihn der Herr in seinem Widerstand gegen die Autorität der Kirche wirklich leitete. Er schrieb: „Wer war ich elender, verachteter Bruder dazumal, der sich sollte wider des Papstes Majestät setzen, vor welcher die Könige auf Erden und der ganze Erdboden sich entsetzten und allein nach seinen Winken sich mussten richten? Was mein Herz in jenen zwei Jahren ausgestanden und erlitten habe und in welcherlei Demut, ja Verzweiflung ich da schwebte, ach! Da wissen die sichern Geister wenig von, die hernach des Papstes Majestät mit großem Stolz und Vermessenheit angriffen.“ Seckendorff, „Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo seu de reformatione“, Bd. I, S. 119f. DGK.108.4 Teilen

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Doch er wurde nicht ganz entmutigt. Fehlten menschliche Stützen, so schaute er auf Gott allein und lernte, dass er sich in vollkommener Sicherheit auf dessen allmächtigen Arm verlassen konnte. DGK.110.1 Teilen

Einem Freund der Reformation schrieb Luther: „Es ist vor allem gewiss, dass man die Heilige Schrift weder durch Studium noch mit dem Verstand erfassen kann. Deshalb ist es zuerst Pflicht, dass du mit Gebet beginnst und den Herrn bittest, er möge dir zu seiner Ehre, nicht zu deiner, in seiner großen Barmherzigkeit das wahre Verständnis seiner Worte schenken. Das Wort Gottes wird uns von seinem Urheber ausgelegt, wie er sagt, dass sie alle von Gott gelehrt sind. Hoffe deshalb nichts von deinem Studium und Verstand; vertraue allein auf den Einfluss des Geistes. Glaube meiner Erfahrung.“ Enders, Bd.I, S.142, 18.1.1518 Hier wird eine außerordentlich wichtige Erfahrung allen mitgeteilt, die sich von Gott berufen fühlen, anderen ernste Wahrheiten für die gegenwärtige Zeit zu verkündigen. Diese Wahrheiten erregen die Feindschaft Satans und solcher Menschen, welche die Fabeln lieben, die er erdichtet hat. Zum Kampf mit den bösen Mächten ist mehr nötig als Verstandeskraft und menschliche Weisheit. DGK.110.2 Teilen

Haben sich die Gegner auf Bräuche und Überlieferungen oder auf die Behauptungen und Autorität des Papstes berufen, so trat Luther ihnen mit der Bibel — nur mit der Bibel — entgegen. Darin standen Beweisführungen, die sie nicht widerlegen konnten. Deshalb forderten die Sklaven des Formenwesens und des Aberglaubens sein Blut, wie die Juden nach dem Blut Christi geschrien hatten. „Er ist ein Ketzer!“, riefen die römischen Eiferer. „Es ist Hochverrat gegen die Kirche, wenn ein so schändlicher Ketzer noch eine Stunde länger lebt. Auf den Scheiterhaufen mit ihm!“ Seckendorff, ebd. S.104 Aber Luther fiel ihrer Wut nicht zum Opfer. Gott hatte eine Aufgabe für ihn bereit, und himmlische Engel wurden ausgesandt, ihn zu beschützen. Viele jedoch, die von Luther das wertvolle Licht empfangen hatten, wurden zur Zielscheibe der Wut Satans und ertrugen um der Wahrheit willen furchtlos Marter und Tod. DGK.110.3 Teilen

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Luthers Lehren zogen die Aufmerksamkeit denkender Menschen in ganz Deutschland auf sich. Seine Predigten und Schriften verbreiteten Lichtstrahlen, die Tausende erschreckten und erleuchteten. Ein lebendiger Glaube trat an die Stelle toten Formenwesens, in dem die Kirche so lange gehalten worden war. Das Volk verlor immer mehr das Zutrauen zu den abergläubischen Lehren der römischen Religion. Die Schranken des Vorurteils gaben nach. Das Wort Gottes, nach dem Luther jede Lehre und jede Behauptung prüfte, war wie ein zweischneidiges Schwert, das sich seinen Weg in die Herzen der Menschen bahnte. Überall erwachte der Wunsch nach geistlichem Wachstum; überall entstand ein so großer Hunger und Durst nach Gerechtigkeit, wie man ihn seit Jahrhunderten nicht gekannt hatte. Die bis dahin auf menschliche Bräuche und irdische Vermittler gerichteten Blicke des Volkes wandten sich nun reuevoll und gläubig auf Christus, den Gekreuzigten. DGK.111.1 Teilen

Dieses weitverbreitete Heilsverlangen erweckte noch mehr die Furcht der päpstlichen Autoritäten. Luther erhielt eine Vorladung, in Rom zu erscheinen, um sich gegen die Beschuldigung zu verantworten, Ketzerei getrieben zu haben. Diese Aufforderung erschreckte seine Freunde. Sie kannten nur zu gut die Gefahr, die ihm in jener verderbten Stadt drohte, die vom Blut der Zeugen Jesu trunken war. Sie erhoben Einspruch gegen seine Reise nach Rom und unterstützten ein Gesuch, ihn in Deutschland verhören zu lassen. DGK.111.2 Teilen

Dies wurde schließlich genehmigt und der päpstliche Gesandte Cajetan dazu bestimmt, den Fall anzuhören. In den ihm mitgegebenen Anweisungen hieß es, dass Luther bereits zum Ketzer erklärt worden sei. Der päpstliche Gesandte wurde deshalb beauftragt, „ihn zu verfolgen und unverzüglich in Haft zu nehmen“. Luther, EA, op. lat. XXXIII, S. 354f. Falls Luther standhaft bliebe oder der päpstliche Vertreter Roms ihn nicht erwischen würde, war er bevollmächtigt, ihn an allen Orten Deutschlands zu ächten, zu verbannen, zu verfluchen und alle seine Anhänger in den Bann zu tun. Um die sich ausbreitende Ketzerei auszurotten, befahl der Papst seinem Gesandten, alle, ausgenommen den Kaiser, ohne Rücksicht auf ihr Amt in Kirche und Staat zu exkommunizieren, falls sie es unterließen, Luther und seine Anhänger zu ergreifen und der Gerichtsbarkeit Roms auszuliefern. DGK.111.3 Teilen

Hier zeigte sich der wahre Geist des Papsttums. Nicht ein Anzeichen christlicher Grundsätze oder auch nur allgemeiner Gerechtigkeit war aus dem ganzen Schriftstück zu erkennen. Luther war weit weg von Rom. Ihm war keine Gelegenheit gegeben worden, seinen Standpunkt zu erklären oder zu verteidigen, sondern er war, bevor man seinen Fall untersucht hatte, bereits zum Ketzer erklärt und am selben Tag ermahnt, angeschuldigt, gerichtet und verurteilt worden, und zwar von dem, der sich selbst „Heiliger Vater“ nannte, der alleinigen höchsten, unfehlbaren Autorität in Kirche und Staat! Um diese Zeit, als Luther die Liebe und den Rat eines treuen Freundes so sehr brauchte, sandte Gottes Vorsehung Melanchthon nach Wittenberg. Als junger Mann, bescheiden und zurückhaltend in seinem Benehmen, gewannen Melanchthons gesundes Urteil, umfassendes Wissen und gewinnende Beredsamkeit, vereint mit der Reinheit und Redlichkeit seines Charakters ihm allgemeine Achtung und Bewunderung. Seine glänzenden Talente waren nicht bemerkenswerter als die Sanftmut seines Gemüts. Er wurde bald ein eifriger Vertreter des Evangeliums und Luthers vertrautester Freund und wertvollster Helfer. Seine Sanftmut, Vorsicht und Genauigkeit ergänzten Luthers Mut und Tatkraft. Ihr vereintes Wirken gab der Reformation die erforderliche Kraft und war für Luther eine Quelle großer Ermutigung. Augsburg war als Ort des Verhörs bestimmt worden. Der Reformator trat die Reise zu Fuß an. DGK.111.4 Teilen

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Man hegte seinetwegen ernste Befürchtungen. Es war ihm öffentlich gedroht worden, dass er auf dem Weg ergriffen und ermordet würde. Seine Freunde baten ihn deshalb, sich dem nicht auszusetzen. Sie bedrängten ihn sogar, Wittenberg eine Zeitlang zu verlassen und sich dem Schutz derer anzuvertrauen, die ihn bereitwillig beschützen würden. Er aber wollte den Platz nicht verlassen, an den Gott ihn gestellt hatte. Ungeachtet der über ihn hereinbrechenden Stürme musste er treu für die Wahrheit einstehen. Er sagte sich: „Ich bin mit Jeremia gänzlich der Mann des Haders und der Zwietracht ... je mehr sie drohen, desto freudiger bin ich ... mein Name und Ehre muss auch jetzt gut herhalten; also ist mein schwacher und elender Körper noch übrig, wollen sie den hinnehmen, so werden sie mich etwa um ein paar Stunden Leben ärmer machen, aber die Seele werden sie mir doch nicht nehmen ... wer Christi Wort in die Welt tragen will, muss mit den Aposteln stündlich bereit sein, mit Verlassung und Verleugnung aller Dinge den Tod zu leiden.“ Enders, Bd.i.s.211f., 10.7.1518 DGK.112.1 Teilen

Die Nachricht von Luthers Ankunft in Augsburg erfüllte den päpstlichen Gesandten mit großer Genugtuung. Der unruhestiftende Ketzer, der die Aufmerksamkeit der ganzen Welt erregte, schien nun in der Gewalt Roms zu sein, und der päpstliche Vertreter war entschlossen, ihn nicht entkommen zu lassen. Der Reformator hatte versäumt, sich mit einem Sicherheitsgeleit zu versehen. Seine Freunde überredeten ihn, nicht ohne Geleit vor dem Gesandten zu erscheinen, und versuchten, ihm eines vom Kaiser zu verschaffen. Der Vertreter Roms hatte die Absicht, Luther — wenn möglich — zum Widerruf zu zwingen oder, falls ihm dies nicht gelänge, ihn nach Rom bringen zu lassen, damit er dort das Schicksal von Hus und Hieronymus teile. Deshalb versuchte er durch seine Beauftragten Luther zu bewegen, ohne Sicherheitsgeleit zu erscheinen und sich seiner Gnade anzuvertrauen. Der Reformator lehnte dies jedoch ab und erschien nicht eher vor dem päpstlichen Gesandten, bis er den Brief erhalten hatte, der den Schutz des Kaisers verbürgte. DGK.112.2 Teilen

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Klug hatten sich die römischen Leiter entschlossen, Luther durch scheinbares Wohlwollen zu gewinnen. Der von Rom Gesandte zeigte sich in seinen Unterredungen mit ihm sehr freundlich, verlangte aber, dass Luther sich der Autorität der Kirche bedingungslos unterwerfen und in jedem Punkt ohne Beweis oder Frage nachgeben solle. Er hatte den Charakter des Mannes, mit dem er verhandelte, nicht richtig eingeschätzt. Als Antwort äußerte Luther seine Achtung vor der Kirche, sein Verlangen nach der Wahrheit, seine Bereitwilligkeit, alle Einwände gegen das, was er gelehrt hatte, zu beantworten und seine Lehren dem Entscheid bestimmter führender Universitäten zu unterbreiten. Gleichzeitig aber protestierte er gegen die Verfahrensweise des Kardinals, von ihm einen Widerruf zu verlangen, ohne ihm den Irrtum bewiesen zu haben. DGK.113.1 Teilen

Die einzige Antwort war: „Widerrufe! Widerrufe!“ Der Reformator berief sich auf die Heilige Schrift und erklärte entschlossen, dass er die Wahrheit nicht aufgeben könne. Der Vertreter Roms war den Beweisführungen Luthers nicht gewachsen. So überhäufte er ihn mit Vorwürfen, Spott und Schmeicheleien, vermengt mit Zitaten der Kirchenväter und aus der Überlieferung, dass der Reformator nicht richtig zu Wort kam. Luther, der die Nutzlosigkeit einer derartigen Unterredung erkannte, erhielt schließlich die widerstrebend erteilte Erlaubnis, seine Verteidigung schriftlich einzureichen. DGK.113.2 Teilen

Dadurch erzielte Luther trotz seiner bedrückenden Lage einen doppelten Gewinn. Er konnte seine Verteidigung der ganzen Welt zur Beurteilung unterbreiten und auch besser durch eine gut ausgearbeitete Schrift auf das Gewissen und die Furcht eines anmaßenden und geschwätzigen Tyrannen einwirken, der ihn immer wieder überschrie. Luther, EA, XVII, S. 209; L III, S. 3f. DGK.113.3 Teilen

Bei der nächsten Zusammenkunft gab Luther eine klare, gedrängte und eindrucksvolle Erklärung ab, die er durch viele Schriftstellen begründete, und überreichte sie dann dem Kardinal. Dieser warf sie jedoch verächtlich beiseite mit der Bemerkung, sie enthalte nur eine Menge unnützer Worte und unzutreffender Schriftstellen. Luther, dem jetzt die Augen aufgegangen waren, begegnete dem überheblichen Prälaten auf dessen ureigenstem Gebiet, den Überlieferungen und Lehren der Kirche, und widerlegte dessen Ausführungen gründlich und völlig. Als der Prälat sah, dass Luthers Gründe unwiderlegbar waren, verlor er seine Beherrschung und rief zornig aus: „Widerrufe!“ Wenn er dies nicht sofort täte oder in Rom sich seinen Richtern stellte, so würde er über ihn und alle, die zu ihm hielten, den Bannfluch verhängen, und über alle, zu denen er sich hinwendete, die kirchliche Ächtung. Zuletzt erhob sich der Kardinal mit den Worten: „Geh! Widerrufe oder komm mir nicht wieder vor die Augen.“ Luther, EA, LXiV, S. 361-365; LXII, S. 71 f DGK.113.4 Teilen

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Der Reformator zog sich sofort mit seinen Freunden zurück und gab deutlich zu verstehen, dass man keinen Widerruf von ihm erwarten könne. Das entsprach keineswegs der Hoffnung des Kardinals. Er hatte sich geschmeichelt, Luther mit Gewalt und Einschüchterung zur Unterwerfung zwingen zu können. Mit seinen Helfern jetzt allein gelassen, blickte er höchst ärgerlich über das unerwartete Misslingen seiner Anschläge von einem zum andern. DGK.114.1 Teilen

Luthers Bemühungen bei diesem Anlass waren nicht ohne positive Wirkung. Die anwesende große Versammlung hatte Gelegenheit, die beiden Männer zu vergleichen und sich selbst ein Urteil zu bilden über den Geist, der sich in ihnen offenbarte, und über die Stärke und die Wahrhaftigkeit ihrer Stellung. Welch bezeichnender Unterschied! Luther, einfach, bescheiden, entschieden, stand da in der Kraft Gottes, die Wahrheit auf seiner Seite; der Vertreter des Papstes, eingebildet, anmaßend, hochmütig und unverständig, ohne auch nur einen einzigen Beweis aus der Heiligen Schrift, laut schreiend: „Widerrufe oder du wirst nach Rom geschickt werden, um dort die verdiente Strafe zu erleiden!“ DGK.114.2 Teilen

Ohne das Sicherheitsgeleit Luthers achten zu wollen, planten die römischen Gesandten, ihn zu ergreifen und einzukerkern. Seine Freunde baten ihn dringend, unverzüglich nach Wittenberg zurückzukehren, da es für ihn nutzlos sei, seinen Aufenthalt zu verlängern. Dabei soll er aber äußerst vorsichtig vorgehen, um seine Pläne nicht zu verraten. Entsprechend verließ er Augsburg vor Tagesanbruch zu Pferd, nur von einem Führer geleitet, der ihm vom Stadtoberhaupt zur Verfügung gestellt wurde. Unter trüben Ahnungen nahm er heimlich seinen Weg durch die dunklen, stillen Straßen der Stadt, wollten doch wachsame und grausame Feinde seinen Untergang! Würde er den ausgelegten Schlingen entrinnen? Dies waren Augenblicke der Besorgnis und ernsten Gebets. Er erreichte ein kleines Tor in der Stadtmauer. Man öffnete ihm, und ohne gehindert zu werden, zog er mit seinem Führer hinaus. Außerhalb des Stadtbezirks fühlten sie sich sicherer, und so beschleunigten die Flüchtlinge ihren Ritt. Und noch ehe der römische Vertreter von Luthers Abreise Kenntnis erhielt, befand dieser sich außerhalb des Bereiches seiner Verfolger. Satan und seine Abgesandten waren überlistet. Der Mann, den sie in ihrer Gewalt glaubten, war entkommen wie ein Vogel aus den Schlingen des Vogelfängers. DGK.114.3 Teilen

Die Nachricht von Luthers Flucht überraschte und ärgerte den Vertreter Roms. Er hatte erwartet, für die Klugheit und Entschiedenheit bei seinen Verhandlungen mit diesem Unruhestifter in der Kirche große Ehren zu empfangen. Er fand sich jedoch in seiner Hoffnung getäuscht und drückte seinen Zorn in einem Brief an den Kurfürsten von Sachsen, Friedrich den Weisen aus, indem er Luther schwer anschuldigte und verlangte, Friedrich solle den Reformator nach Rom senden oder aus Sachsen verbannen. DGK.114.4 Teilen

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Zu seiner Rechtfertigung verlangte Luther nun, dass der päpstliche Gesandte oder der Papst selbst ihn seiner Irrtümer aus der Heiligen Schrift überführen solle, und verpflichtete sich feierlichst, seine Lehren zu widerrufen, falls nachgewiesen werden könne, dass sie dem Wort Gottes widersprächen. Er dankte Gott, dass er für würdig erachtet worden sei, um einer so heiligen Sache willen zu leiden. DGK.115.1 Teilen

Der Kurfürst wusste bis dahin nur wenig von den reformierten Lehren, aber die Aufrichtigkeit, Kraft und Klarheit der Worte Luthers machten einen tiefen Eindruck auf ihn, und er beschloss, so lange als Beschützer des Reformators aufzutreten, bis dieser des Irrtums überführt würde. Als Erwiderung auf die Forderung des päpstlichen Gesandten schrieb er: „Weil der Doktor Martinus vor euch zu Augsburg erschienen ist, so könnt ihr zufrieden sein. Wir haben nicht erwartet, dass ihr ihn, ohne ihn widerlegt zu haben, zum Widerruf zwingen wollt. Kein Gelehrter in unseren Fürstenhäusern hat behauptet, dass die Lehre Martins gottlos, unchristlich und ketzerisch sei.“ Luther, EA, op. lat. XXXIII, S. 409f.; D‘Aubigne, „Geschichte der Reformation“, 4.Buch, 10.Abschnitt Der Fürst weigerte sich, Luther nach Rom zu schicken oder ihn aus seinem Land zu vertreiben. DGK.115.2 Teilen

Der Kurfürst sah, dass die sittlichen Schranken der Gesellschaft allgemein zusammenbrachen. Eine große Reform war nötig geworden. Die verwickelten und kostspieligen polizeilichen und juristischen Einrichtungen wären unnötig, wenn die Menschen Gottes Gebote und die Vorschriften eines erleuchteten Gewissens anerkennen würden und ihnen gehorchten. Er sah, dass Luther darauf hinarbeitete, dieses Ziel zu erreichen, und er freute sich insgeheim, dass ein besserer Einfluss in der Kirche spürbar wurde. DGK.115.3 Teilen

Er bekam auch mit, dass Luther als Professor an der Universität sehr erfolgreich war. Nur ein Jahr war vorüber, seit der Reformator seine Thesen an die Schlosskirche geschlagen hatte. Die Zahl der Pilger war weniger geworden, welche die Kirche wegen dem Allerheiligenfest besuchten. Rom war seiner Anbeter und Opfergaben beraubt worden, aber ihr Platz wurde von einer andern Gruppe eingenommen, die jetzt nach Wittenberg kam — es waren nicht etwa Pilger, die hier Reliquien verehren wollten, sondern Studenten, die die Hörsäle füllten. Luthers Schriften hatten überall ein neues Verlangen nach der Heiligen Schrift wachgerufen, und nicht nur aus allen Teilen Deutschlands, sondern auch aus anderen Ländern strömten die Studenten zur Universität. Jugendliche, die zum ersten Mal die Stadt Wittenberg sahen, „erhoben die Hände zum Himmel, lobten Gott, dass er wie einst in Zion das Licht der Wahrheit leuchten lasse und es in die fernsten Lande schicke.“ D‘Aubigne, ebd. Luther sagte: „Ich sah damals noch sehr wenige Irrtümer des Papstes.“ Luther, EA, LXII, S. 73 Als er aber Gottes Wort mit den päpstlichen Erlassen verglich, schrieb er voll Erstaunen: „Ich gehe die Dekrete der Päpste für meine Disputation durch und bin — ich sage dir‘s ins Ohr — ungewiss, ob der Papst der Antichrist selbst ist oder ein Apostel des Antichrist; elend wird Christus, d. h. die Wahrheit von ihm in den Dekreten gekreuzigt.“ Enders, Bd. I, S. 450, 13.3.1519 Aber noch immer war Luther ein Anhänger der römischen Kirche und dachte nicht daran, sich von ihr leichtfertig und unüberlegt zu trennen. DGK.115.4 Teilen

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Die Schriften und Lehren des Reformators erreichten alle Nationen der Christenheit. Das Werk dehnte sich bis in die Schweiz und nach Holland aus. Abschriften seiner Werke fanden ihren Weg nach Frankreich und Spanien. In England wurden seine Lehren als das Wort des Lebens aufgenommen. Auch nach Belgien und Italien drang die Wahrheit. Tausende erwachten aus einer todesähnlichen Erstarrung zu der Freude und Hoffnung eines Glaubenslebens. Die Angriffe Luthers erbitterten Rom mehr und mehr, und einige seiner fanatischen Gegner, ja selbst Doktoren katholischer Universitäten erklärten: Wer Luther ermorde, begehe keine Sünde. Eines Tages näherte sich dem Reformator ein Fremder, der eine Pistole unter dem Mantel verborgen hatte und fragte ihn, warum er so allein gehe. „Ich stehe in Gottes Hand“, antwortete Luther. „Er ist meine Kraft und mein Schild. Was kann mir ein Mensch tun?“ Luther, EA, LXIV, S. 365f. Als der Unbekannte diese Worte hörte, erblasste er und floh wie vor himmlischen Engeln. DGK.116.1 Teilen

Rom hatte zwar die Vernichtung Luthers beschlossen, aber Gott war sein Schutz. Überall vernahm man seine Lehren, „in Hütten und Klöstern, in Ritterburgen, in Akademien und königlichen Palästen“, und überall erhoben sich edle, aufrichtige Menschen, um seine Anstrengungen zu unterstützen. DGK.116.2 Teilen

Um diese Zeit las Luther die Werke von Hus und erkannte dabei, dass auch der böhmische Reformator die große Wahrheit der Rechtfertigung durch den Glauben hochgehalten hatte. So schrieb er: „Ich habe bisher unbewusst alle seine Lehren vorgetragen und behauptet ... Wir sind Hussiten, ohne es zu wissen; schließlich sind auch Paulus und Augustin bis aufs Wort Hussiten. Ich weiß vor starrem Staunen nicht, was ich denken soll, wenn ich die schrecklichen Gerichte Gottes in der Menschheit sehe, dass die offenkundige evangelische Wahrheit schon seit über hundert Jahren öffentlich verbrannt ist und für verdammt gilt.“ Enders, Bd. II, S. 345, Februar, 1520 DGK.116.3 Teilen

In einem Sendbrief an den Kaiser und den christlichen Adel deutscher Nation zur Besserung des christlichen Standes schrieb Luther über den Papst: „Es ist gräulich und erschrecklich anzusehen, dass der Oberste in der Christenheit, der sich Christi Statthalter und Petri Nachfolger rühmt, so weltlich und prächtig fährt, dass ihn darin kein König, kein Kaiser mag erlangen und gleich werden. Gleicht sich das mit dem armen Christus und St. Peter, so ist‘s ein neues Gleichen.“ „Sie sprechen, er sei ein Herr der Welt; das ist erlogen, denn Christus, des Statthalter und Amtmann er sich rühmet, sprach vor Pilatus: ‚Mein Reich ist nicht von dieser Welt.‘ Es kann doch kein Statthalter weiter regieren denn sein Herr.“ Luther, „Ausgewählte Werke“, Bd. II, München, 1948; D‘Aubigne, „Geschichte der Reformation“, 6.Buch, 3.Abschnitt, S. 77,81, Stuttgart, 1848 DGK.116.4 Teilen

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Von den Universitäten schrieb er Folgendes: „Ich habe große Sorge, die hohen Schulen seien große Pforten der Hölle, wenn sie nicht emsiglich die Heilige Schrift studieren und treiben ins junge Volk.“ „Wo aber die Heilige Schrift nicht regiert, da rate ich fürwahr niemand, dass er sein Kind hintue. Es muss verderben alles, was nicht Gottes Wort ohne Unterlass treibt.“ Luther, „Ausgewählte Werke“, Bd. II, München, 1948; D‘Aubigne, „Geschichte der Reformation“, 6.Buch, 3.Abschnitt, S. 77,81, Stuttgart, 1848 DGK.117.1 Teilen

Dieser Aufruf verbreitete sich mit Windeseile über ganz Deutschland und übte einen mächtigen Einfluss auf das Volk aus. Die ganze Nation war bewegt und viele wurden dazu ermutigt, sich um die Fahne der Reformation zu sammeln. Luthers Gegner versuchten voller Rachegelüste, den Papst davon zu überzeugen, radikal gegen ihn durchzugreifen. Es wurde beschlossen, Luthers Lehren sofort zu verdammen. 60 Tage wurden dem Reformator und seinen Anhängern gewährt, um zu widerrufen; andernfalls sollten sie aus der Gemeinschaft der Kirche ausgeschlossen werden. DGK.117.2 Teilen

Dies war die Zeit einer schwerwiegenden Entscheidung für die Reformation. Jahrhundertelang hatte Rom durch das Verhängen des Kirchenbanns mächtigen Monarchen Schrecken eingejagt und gewaltige Reiche mit Elend und Verwüstung erfüllt. Alle von Roms Fluch Betroffenen wurden allgemein mit Furcht und Entsetzen angesehen. Sie wurden von der Geselligkeit mit ihren Glaubensbrüdern ausgeschlossen und als Geächtete behandelt, die man hetzen müsse, bis sie ausgerottet seien. Luther war nicht blind gegen den über ihn hereinbrechenden Sturm, aber er stand fest — vertrauend auf Christus, der sein Helfer und sein Schirm sei. Mit dem Glauben und Mut eines Märtyrers schrieb er: „Wie soll es werden? Ich bin blind für die Zukunft und nicht darum besorgt, sie zu wissen ... Wohin der Schlag fällt, wird mich ruhig lassen ... Kein Baumblatt fällt auf die Erde ohne den Willen des Vaters, wie viel weniger wir. Es ist ein Geringes, dass wir um des Wortes willen sterben oder umkommen, da er selbst im Fleisch erst für uns gestorben ist. Also werden wir mit demselben aufstehen, mit welchem wir umkommen und mit ihm durchgehen, wo er zuerst durchgegangen ist, dass wir endlich dahin kommen, wohin er auch gekommen ist und bei ihm bleiben ewiglich.“ Enders, Bd. II, S. 484,485, 1.Januar, 1520; D‘Aubigne, ebd., 6.Buch, Kapitel 1.S. 113 DGK.117.3 Teilen

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Als die päpstliche Bulle Luther erreichte, schrieb er: „Endlich ist die römische Bulle mit Eck angekommen ... Ich verlache sie nur und greife sie jetzt als gottlos und lügenhaft ganz eckianisch an. Ihr sehet, dass Christus selbst darin verdammt werde ... Ich freue mich aber doch recht herzlich, dass mir um der besten Sache willen Böses widerfahre. Ich bin nun viel freier, nachdem ich gewiss weiß, dass der Papst als der Antichrist und des Satans Stuhl offenbarlich erfunden sei.“ Enders, Bd. II, S. 491, 12.Oktober, 1520 Doch der Erlass Roms blieb nicht wirkungslos. Gefängnis, Folter und Schwert erwiesen sich als mächtige Waffen, um Gehorsam zu erzwingen. Schwache und abergläubische Menschen erzitterten vor dem Erlass des Papstes. Während man Luther allgemein Anteilnahme bekundete, hielten doch viele ihr Leben für zu kostbar, um es für die Reformation zu wagen. Alles schien darauf hinzudeuten, dass sich das Werk des Reformators seinem Abschluss näherte. DGK.118.1 Teilen

Luther aber blieb noch immer furchtlos. Rom hatte seine Bannflüche gegen ihn geschleudert, und die Welt schaute zu in der sicheren Erwartung, dass er sterben oder sich unterwerfen müsse. Doch mit voller Wucht schleuderte er das Verdammungsurteil auf seinen Urheber zurück und erklärte öffentlich seinen Entschluss, für immer mit Rom zu brechen. In Gegenwart vieler Studenten, Gelehrter und Bürger jeden Ranges verbrannte Luther die päpstliche Bulle, auch die Dekretalien und andere Schriftstücke seiner Gegner, die Roms Macht unterstützten. Er begründete sein Vorgehen mit den Worten: „Dieweil durch ihr solch Bücherverbrennen der Wahrheit ein großer Nachteil und bei dem schlechten, gemeinen Volk ein Wahn dadurch erfolgen möchte zu vieler Seelen Verderben, habe ich ... der Widersacher Bücher wiederum verbrannt.“ „Es sollen diese ein Anfang des Ernstes sein; denn ich bisher doch nur gescherzt und gespielt habe mit des Papstes Sache. Ich habe es in Gottes Namen angefangen; hoffe, es sei an der Zeit, dass es auch in demselben ohne mich sich selbst ausführe.“ Luther, EA, XXIV, S. 155,164 DGK.118.2 Teilen

Auf die Vorwürfe seiner Feinde, die ihn mit der Schwäche seiner Sache stichelten, erwiderte Luther: „Wer weiß, ob mich Gott dazu berufen und erweckt hat und ihnen zu fürchten ist, dass sie nicht Gott in mir verachten ... Mose war allein im Ausgang von Ägypten, Elia allein zu König Ahabs Zeiten, Elisa auch allein nach ihm; Jesaja war allein in Jerusalem ... Hesekiel allein zu Babylon ... Dazu hat er noch nie den obersten Priester oder andere hohe Stände zu Propheten gemacht; sondern gemeiniglich niedrige, verachtete Personen auferweckt, auch zuletzt den Hirten Amos ... Also haben die lieben Heiligen allezeit wider die Obersten, Könige, Fürsten, Priester, Gelehrten predigen und schelten müssen, den Hals daran wagen und lassen ... Ich sage nicht, dass ich ein Prophet sei; ich sage aber, dass ihnen so viel mehr zu fürchten ist, ich sei einer, so viel mehr sie mich verachten und sich selbst achten ... so bin ich jedoch gewiss für mich selbst, dass das Wort Gottes bei mir und nicht bei ihnen ist.“ Luther, EA, XXIV, S. 58.59 DGK.118.3 Teilen

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Aber nicht ohne großen inneren Kampf entschloss sich Luther schließlich zur Trennung von Rom. Etwa um diese Zeit schrieb er: „Ich empfinde täglich bei mir, wie gar schwer es ist, dem, der mit menschlichen Satzungen gefangen ist, langwährige Gewissen abzulegen. O, mit wie viel großer Mühe und Arbeit, auch durch gegründete Heilige Schrift, habe ich mein eigen Gewissen kaum können rechtfertigen, dass ich einer allein wider den Papst habe dürfen auftreten, ihn für den Antichrist halten ... Wie oft hat mein Herz gezappelt, mich gestraft, und mir vorgeworfen ihr einig stärkstes Argument: Du bist allein klug? Sollten die andern alle irren und so eine lange Zeit geirrt haben? Wie, wenn du irrest und so viele Leute in den Irrtum verführest, welche alle ewiglich verdammt würden? Bis so lang, dass mich Christus mit seinem einigen gewissen Wort befestigt und bestätigt hat, dass mein Herz nicht mehr zappelt.“ Luther, EA, LIII, S. 93,94; Martyn, „Life and Times of Luther“, S. 372,373 DGK.119.1 Teilen

Der Papst hatte Luther den Kirchenbann angedroht, falls er nicht widerrufen sollte, und die Drohung wurde jetzt ausgeführt. Eine neue Bulle erschien, welche die endgültige Trennung des Reformators von der römischen Kirche aussprach, ihn als vom Himmel verflucht erklärte und in die gleiche Verdammung alle einschloss, die seine Lehren annehmen würden. Der große Kampf hatte nun mit aller Heftigkeit begonnen. DGK.119.2 Teilen

Widerstand ist das Schicksal aller, die Gott nutzt, um Wahrheiten, die besonders für ihre Zeit gelten, zu verkündigen. Es gab eine gegenwärtige Wahrheit in den Tagen Luthers — eine Wahrheit, die zu jener Zeit besonders wichtig war. Es gibt auch eine gegenwärtige Wahrheit für die heutige Kirche. Gott, der alles nach dem Rat seines Willens durchführt, hat es gefallen, die Menschen in verschiedene Situationen zu bringen und ihnen Pflichten aufzuerlegen, die der Zeit, in der sie leben, und den Umständen, in denen sie sich befinden, entsprachen. Würden sie das ihnen verliehene Licht wertschätzen, so würde ihnen auch die Wahrheit in größerem Umfang offenbart werden. Aber die Mehrzahl will die Wahrheit heutzutage ebenso wenig wissen wie damals die römischen Leiter, welche Luther widerstanden. Es besteht noch heute die gleiche Neigung wie in früheren Zeiten, statt des Wortes Gottes Überlieferungen und menschliche Theorien anzunehmen. Wer die Wahrheit für diese Zeit bringt, darf nicht erwarten, eine günstigere Aufnahme zu finden als die früheren Reformatoren. Der große Kampf zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen Christus und Satan wird bis zum Ende dieser Welt an Heftigkeit zunehmen. Jesus sagte zu seinen Jüngern: „Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt. Gedenkt an das Wort, das ich euch gesagt habe: ‚Der Knecht ist nicht größer als sein Herr.‘ Haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen; haben sie mein Wort gehalten, so werden sie eures auch halten.“ Johannes 15.19,20. Anderseits erklärte unser Heiland deutlich: „Wehe euch, wenn alle Leute gut von euch reden! Denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht.“ Lukas 6,26 (Schlachter 2000). Der Geist der Welt steht heute dem Geist Christi nicht näher als in früheren Zeiten. Wer das Wort Gottes in seiner Reinheit verkündet, wird heute nicht willkommener sein als damals. Die Art und Weise des Widerstandes gegen die Wahrheit mag sich ändern, die Feindschaft mag weniger offen sein, weil sie verschlagener ist, aber dieselbe Feindschaft besteht noch und wird bis zum Ende der Zeit sichtbar sein. DGK.119.3 Teilen

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